WESTEND

Ebook Edition

Mathias Bröckers ist freier Journalist, der unter anderem
für die taz und Telepolis schreibt und bei der taz derzeit für
die Blogs und das Online-Marketing zuständig ist.
Sein Buch Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf,
1993 erstmals erschienen, liegt inzwischen in der
42. Druckauflage vor. Zuletzt erschien von ihm im
Westend Verlag 11.9. – Zehn Jahre danach (2011) und
JFK – Staatsstreich in Amerika (2013).

Mathias Bröckers

KEINE ANGST
VOR HANF!

Warum Cannabis
legalisiert werden muss

WESTEND

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Publisher

ISBN 978-3-86489-561-6
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany

Inhalt

Einleitung: Warum Cannabis legalisiert werden muss

1 Die verbotene Medizin

2 Keine Angst vor Hanf!

3 Prohibitionsschwerter zu Hanfpflugscharen

Anhang

Was sind Cannabinoide?

Resolution deutscher Strafrechtsprofessorinnen und -professoren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Petition an den Deutschen Bundestag

Anmerkungen

Literatur

Einleitung: Warum Cannabis legalisiert
werden muss

Es reicht! Mehr als 80 Jahre Prohibition, mehr als 130 000 Strafverfahren pro Jahr in Deutschland, Milliarden in einem unwirksamen »Krieg gegen Drogen« verschwendete D-Mark und Euro sind genug. Dass der Kollateralschaden dieses Kriegs sehr viel größer ist als sein Nutzen, dass Strafrecht und Kriminalisierung das »Drogenproblem« nicht lösen können und die Politik der Prohibition auf der ganzen Linie gescheitert ist, diese Erkenntnis ist mittlerweile von Gremien der Vereinten Nationen bis in die Bezirksparlamente deutscher Großstädte durchgedrungen. Sie wird von Vertretern der Ärzteschaft ebenso geteilt wie von Polizeipräsidenten, von Studenten ebenso wie von Professoren. So appellierten 120 Strafrechtslehrer im Herbst 2013 mit einer Resolution an die Bundesregierung, das Betäubungsmittelgesetz zu reformieren. Auch vielen Politikern, Entscheidungsträgern, Medienleuten quer durch alle Parteien und weltanschauliche Lager ist das fatale Scheitern des »war on drugs« sehr wohl bewusst, doch in der Regel fordern sie sein Ende erst dann, wenn sie ihre Ämter als Präsidenten oder Minister bereits aufgegeben haben.

Das Dogma der Prohibition anzugreifen scheint noch immer Gift für politische Karrieren zu sein. Dieses Tabu muss fallen. Statt irrational weiter auf einem destruktiven Irrweg zu beharren, muss eine schadensmindernde Vernunft die Perspektive der Drogenpolitik bestimmen. Statt Durchhalteparolen eines nicht zu gewinnenden Drogenkriegs – »Was verboten ist, bleibt verboten«, verkündete die neue bestallte Bundesdrogenbeauftragte im Februar 2014 ganz in diesem Sinne bei ihrem Antrittsinterview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – müssen wissenschaftlich fundierte Abwägungen über Kosten und Nutzen, über Gefahrenpotential und Regulierungsbedarf in den Diskurs und in die Gesetzgebung einfließen. Statt dem Wildwuchs des Schwarzmarkts und der organisierten Kriminalität das Feld zu überlassen, müssen Jugend- und Verbraucherschutz endlich ernst genommen und durch einen regulierten Markt garantiert werden. Und der Anfang muss mit der am weitesten verbreiteten illegalisierten Substanz gemacht werden: mit Hanf/Cannabis/Marihuana. Dies ist nicht ein »falsches Signal«, wie es die neue Drogenbeauftragte in dem oben erwähnten Interview verkündet, es ist das einzig Richtige, denn es signalisiert den Abschied von einer definitiv gescheiterten Politik und dem fatalen Irrglauben, mithilfe von Strafrecht, Polizei und Gefängnis eine drogenfreie Gesellschaft schaffen zu können.

Die Einsicht, dass die Prügelstrafe keine geeignete Methode ist, um die Befähigung zum Rechnen, Lesen und Schreiben zu fördern, ist noch nicht sehr lange selbstverständlich. In Bayern wurden als letztem Bundesland erst 1980 körperliche Züchtigungen im Klassenzimmer gesetzlich abgeschafft. Dass für die Erziehung einer Gesellschaft (und jedes einzelnen) mit berauschenden Substanzen dasselbe gilt und dass Kriminalisierung und Prohibition keine geeigneten Mittel sind – auch diese Einsichten müssen zu einer Selbstverständlichkeit werden. Und an keinem Punkt lässt sich diese Notwendigkeit klarer verdeutlichen als am Verbot des Hanfs und den nach wie vor weitreichenden Widerständen und tiefsitzenden Ängsten vor der Legalisierung einer Pflanze, die seit tausenden von Jahren auch in Deutschland heimisch ist und mit der es bis zur Erfindung der Prohibition nie irgendein Problem gab.

Im Gegenteil: »Mancher Schad’ ist nicht zu heilen durch die Kräuter dieser Welt, Hanf hat viel verzweifelt Böses gut gemacht und abgestellt« lautet ein altes Sprichwort, das die Brüder Grimm in ihr Deutsches Wörterbuch aufnahmen und das die bedeutende Rolle des Hanfs als Heilpflanze unterstreicht. Von den großen Heilkundigen des Mittelalters wie Paracelsus oder Hildegard von Bingen bis in die Arzneibücher und Apotheken zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Cannabis als Arzneimittel ebenso unverzichtbar wie in der Landwirtschaft als universeller Rohstoff für Textilien, Papier, Seile, Segel und hunderte anderer Produkte. Aus Hanfsamen, einem der proteinreichsten Nahrungsmittel überhaupt, wurden Brot, Suppe und zahlreiche Lebensmittel gemacht. Und die Hanfblüten landeten als »Knaster« in der Pfeife der Bauern, die sich teuren Tabak nicht leisten konnten. Die entspannende Wirkung – es macht »a wengerl rauschig« sagte man in Bayern – war sehr wohl bekannt, doch niemand sah darin etwas Verwerfliches oder gar eine gefährliche Droge, deren Konsum verfolgt und bestraft werden müsste.

Dass freilich Kinder und Jugendliche die Finger davon lassen sollten, macht schon der Pionier des Comicstrips, Wilhelm Busch, in seiner Geschichte von »Krischan mit der Piepe« (1864) deutlich, in der sich ein Junge über das Verbot des Vaters hinwegsetzt und dann aus dem Rauch der Pfeife Gespenster aufsteigen sieht. Der heimkehrende Vater erlöst den berauschten Krischan dann von seinem »Horrortrip« – mit einer Tasse starken Kaffee.

Bis vor 100 Jahren waren Haschischzigaretten eine Normalität in deutschen Tabakläden, und ihr Verschwinden nach dem Ersten Weltkrieg war nicht einem Verbot, sondern einem einsetzenden Trend zum »Leichtrauchen« geschuldet: »Starker Tobak« – als Redewendung für unglaubliche, verrückte Geschichten immer noch ein Begriff – war nicht mehr so gefragt.

Dass der »indische Hanf« 1929 überhaupt ins deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, verdankte sich einem Kuhhandel: In der Kampfabstimmung um das von Ägypten beantragte Cannabisverbot auf der internationalen Opiumkonferenz 1925 hatte Deutschlands Stimme am Ende den Ausschlag gegeben, nachdem die Ägypter im Gegenzug zugesichert hatten, keine Importverbote für die deutschen Pharma-Bestseller »Heroin« (Bayer) und »Kokain« (Merck) zu erlassen. Auch wenn Cannabis also seit 1929 im deutschen »Opiumgesetz« zumindest auf dem Papier der Prohibition unterworfen war, spielte der Stoff für Polizei und Justiz keinerlei Rolle.

Das erste Strafverfahren in Sachen Hanf in Deutschland wurde erst 1948 aktenkundig; es betraf einen amerikanischen Soldaten, der mit einem Sack Hanfblüten erwischt worden war. Diese wurden dann auch hier als »Marihuana« bezeichnet. Den exotischen Begriff aus dem Mexikanischen hatte der erste Drogenzar der USA, Harry Anslinger, in den 1930er Jahren importiert und mit Unterstützung des Zeitungsmagnaten Hearst eine Kampagne gestartet, die eine der folgenreichsten Propagandaoperationen aller Zeiten wurde. Mit Horrormärchen vom »Mörderkraut Marihuana« und von Schwarzen und Latinos, die nach einer Zigarette mit dem »Teufelskraut« bevorzugt weiße Frauen vergewaltigen, fütterte Anslingers neu gegründetes »Federal Bureau of Narcotics« (FBN) regelmäßig die Medien, wobei der Begriff »Marihuana« dafür sorgte, dass das Publikum dies für eine neuartige Droge hielt, die niemand mit dem guten alten Hanf beziehungsweise dem in der Apotheke als Blüten und in zahlreichen Tinkturen erhältlichen »Cannabis« in Verbindung brachte. Auch nicht die Mitglieder des US-Kongresses, die Anslinger mit seinen haarsträubenden Geschichten auf Linie gebracht hatte und die 1937 die bundesweite Prohibition beschlossen – was auch den industriellen Hanfanbau zum Stillstand brachte.1

Nachdem man Harry Anslinger 1948 zum Leiter des Drogenbüros der neu gegründeten UNO gemacht hatte, setzte er diese Politik auf internationaler Ebene fort und krönte sein Lebenswerk 1961 mit der »Single Convention on Narcotic Drugs«, die von 180 Nationen ratifiziert wurde. Voraussetzung für diese globale Prohibition von Cannabis waren wie schon 1937 in den USA pseudowissenschaftliche Gefälligkeitsgutachten, die der Pflanze jeden medizinischen und therapeutischen Wert ab- und ein extremes Gefahren- und Suchtpotential zusprachen. So kam Cannabis in »Schedule 1«, die Klasse der gefährlichsten illegalen Drogen und verschwand aus den Arzneibüchern ebenso wie aus den Lehrplänen der Ärzte und Apotheker. Fortan war von Marihuana nur noch im Zusammenhang mit »Rauschgift«, »Sucht«, »Vergewaltigung«, »Mord« und »Wahnsinn« die Rede. Die Hanfpflanze wurde zur »flora non grata«, zur am meisten verfolgten Droge der Welt.

»Sicherlich ist Marihuana eher harmlos. Aber die Sache war ein Beispiel dafür, dass ein Verbot die Autorität des Staates stärkt«, hatte Anslinger zwar gegen Ende seines Lebens bekundet – nachdem schon aktenkundig geworden war, dass 95 Prozent der »zweifelsfreien Quellen« und »Fakten«, die er für die nationale und internationale Durchsetzung der Hanf-Prohibition angeführt hatte, aus Boulevardzeitungen stammten. Doch die von seiner Diffamierungs- und Desinformationskampagne ins kollektive Unbewusste gepflanzten Ängste blieben virulent und verhindern bis heute eine rationale Politik in Sachen Cannabis. Der autoritative, ordnungspolitische Faktor bedient weiterhin Mythen und Märchen, eine wissenschaftlich fundierte Bewertung der Gefahren und eine sachliche Kosten-Nutzen-Rechnung der Prohibition werden dabei hartnäckig vermieden. Dass Cannabis nicht aggressiv macht, sondern eher entspannt und statt zu Gewalt und Mordtaten eher zu Müdigkeit führt, diese schon bald einsetzende Entzauberung von Anslingers »Mörderkraut«-Märchen führte dann auch nicht zu einer Rehabilitierung des Hanfs.

Vielmehr wurde die schon 1944 im »La Guardia«-Report (und seitdem immer wieder) festgestellte relative Harmlosigkeit des Hanfs für eine neue Propagandastory verwendet – das Märchen von der »Einstiegsdroge«. Auch wenn Hanf eher unschädlich sei, führe er doch zwangsläufig zu härteren, gefährlicheren Drogen und zur Sucht – so die mittlerweile zwar auch schon lange und definitiv widerlegte, doch bis heute immer wieder vorgetragene These. Nicht nur manische Antidrogenkrieger und geschäftstüchtige Prohibitionisten, Politiker und Behörden sowie auch Wissenschaftler entblöden sich nach wie vor nicht, auf Anslinger-Niveau zu argumentieren.

Zum Beispiel Prof. Dr. Rainer Thomasius, ein als Experte in Deutschland immer wieder gehörter Prohibitionsbefürworter, der sagt: »Die Einstiegsdrogentheorie ist zwar nicht belegt. Aber widerlegt ist sie auch nicht.« Was für die Jungfrauengeburt natürlich ebenso gilt wie für kleine grüne Männchen vom Mars – und zeigt, dass in Sachen Cannabisverbot die Voodoo-Wissenschaft der Anslinger-Ära noch immer nicht überwunden ist. Weshalb dienstbare »Experten« wie Dr. Thomasius von Behörden und Medien immer wieder herangezogen werden, um auf die »unterschätzten Gefahren« von Cannabis hinzuweisen. Mit der oben zitierten Behauptung hätte er – im weißen Kittel – wunderbar in den von Anslinger geförderten Aufklärungsfilm »Reefer Madness« (1938) gepasst, der unter dem deutschen Titel »Kifferwahn« seit den 1970er Jahren immer mal wieder aufgeführt wird und zu Lachstürmen reizt.2

Wobei es – um solchen rückwärtsgewandten »Experten« nicht völlig Unrecht zu tun – keineswegs abzustreiten ist, dass Kinder und Jugendliche durch massiven Konsum von Cannabis körperliche und geistige Schäden davontragen können, was allerdings in dieser Altersgruppe für nahezu jede andere legale wie illegale Substanz ebenso gilt. Doch weder für die allgemeine Legalisierung für Erwachsene noch gar für die Anerkennung als Medizin ist diese »unterschätzte Gefahr« von Relevanz. Im Gegenteil sorgt ja gerade die unkontrollierte Distribution von Hanf über den Schwarzmarkt dafür, dass er ohne Alterskontrolle und ohne irgendwelchen Jugend- und Verbraucherschutz nahezu überall verfügbar ist.