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BAND 4

DAS HERZ

Aus dem Englischen von
Cornelia Holfelder-von der Tann

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Als Reaktion auf häufige Fragen und gelegentliche Tätlichkeiten (ja, danke, die blauen Flecken verblassen bereits) füge ich diesem Band als zweiten Anhang ein authentisches historisches Dokument bei: ein Verzeichnis der wichtigsten Götter des Trigonatsglaubens und ihrer Namen bei anderen Völkern Eions und Xands.

Hobbit Presse Paperback

www.hobbitpresse.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Shadowheart«

im Verlag DAW Books New York

© 2010 by Tad Williams

Für die deutsche Ausgabe

© 2011, 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlag: Birgit Gitschier, Augsburg

Unter Verwendung einer Illustration von Max Meinzold, München

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94959-9

E-Book: ISBN 978-3-608-10229-1

Unsere Kinder, Connor und Devon, sind immer noch der Meinung, ein Erwachsenenbuch gewidmet zu bekommen und nicht eins unserer kindgerechteren Bücher, sei irgendwie Betrug. Ich habe ihnen erklärt, dass sie eines Tages auch Erwachsene sein werden, so wie wir, aber sie weigern sich zu glauben, dass so netten Kindern etwas so Unfaires und Grässliches passieren kann.

Inhalt

Zusammenfassung Band 1 – DIE GRENZE

Zusammenfassung Band 2 – DAS SPIEL

Zusammenfassung Band 3 – DIE DÄMMERUNG

Vorspiel

ERSTER TEIL ❦ DAS VERKNOTETE SEIL

1 Kaltes Fieber

2 Ein Brief von Erasmias Jino

3 Das Siegel des Krieges

4 Die Tiefe Bibliothek

5 Jäger der Felstiefen

6 Der Baum in der Gruft

7 Die Schlacht von Klerborn

8 Und all seine flinken Fische

9 Das Scherenmonster

10 Narren verlieren das Spiel

11 Zwei Gefangene

12 Willow

13 Ein Blick in den Schlund

14 Die Königin des Alten Volks

ZWEITER TEIL ❦ DIE SCHILDKRÖTE

15 Ketzerei

16 Ein Käfig für einen König

17 Zinnobers Entscheidung

18 Verstreute und Erstgeborene

19 Mummenschanz

20 Worte aus dem Verbrannten Land

21 Der Ruf des Kopffüßlerhorns

22 Das Tor der Verdammnis

23 Ein Sturm von Flügelschlagen

24 Ungehorsame Soldaten

25 Zahn und Knochen

26 Im Licht brennender Schiffe

27 Voll mit dem Zeug

28 Besser als erhofft

DRITTER TEIL ❦ DIE EULE

29 Ein kleiner Mann aus Stein

30 Eine breite Spur von Blut

31 Das Funderlingstor

32 Eine Münze für die Überfahrt

33 Speerspitze

34 Heimkehr

35 Sein Täubchen

36 Das Messer

37 Das Blut eines Gottes

38 Besuch aus dem Totenreich

39 Das sehr alte Etwas

40 Feuriges Lachen

41 Schlangen und Spinnen

42 Die helle Klinge

43 Das Fieberei

44 Die schreienden Sterne

VIERTER TEIL ❦ DIE TANNE

45 Nur im Traum

46 Die durchscheinende Kerze

47 Tod den Eddons

48 Am dunklen Fluss

49 Zwei Boote

50 Ein Kuckucksei

51 Eine wichtige Gemeinsamkeit

52 Das fehlende Stück

53 Schattenspieler

54 Immergrün

Nachspiel

Personen

Orte

Dinge

Die wichtigsten Götter des Trigonatsglaubens und ihre Namen bei den Heidenvölkern

Dank

Zusammenfassung
Band 1 – DIE GRENZE

Südmarksburg, die nördlichste Menschenstadt, versteht sich seit zweihundert Jahren als Bollwerk gegen die Qar – das Elbenvolk, das zwei Kriege gegen die Menschen geführt hat. Derzeit ist das Land Südmark in einer schwierigen Lage: Der König, OLIN EDDON, wird in einem fernen Staat in Geiselhaft gehalten, und seinen drei Kindern, dem Kronprinzen KENDRICK und den Zwillingen BARRICK und BRIONY, fällt es zu, über das Königreich und das Volk zu wachen. Ausgerechnet in diesen ohnehin unsicheren Zeiten hat sich auch noch die Schattengrenze – die Grenze zwischen den Menschenlanden und dem nebligen, in ewigem Zwielicht liegenden Reich der Qar – nach Südmark hin verschoben.

Eines Nachts wird Kendrick in der eigenen Burg ermordet. SHASO DAN-HEZA, Brionys und Barricks Mentor, soll das Verbrechen begangen haben, und alles spricht gegen ihn. Briony ist zwar nicht restlos von seiner Schuld überzeugt, aber durch vielerlei andere Probleme abgelenkt, nicht zuletzt durch die schwierige Aufgabe, zusammen mit Barrick, ihrem kränklichen, wütenden Zwillingsbruder, die Regentschaft auszuüben.

Tatsächlich wird die Lage in Südmark mit jedem Tag verwirrender und bedrohlicher. CHERT und OPALIA, ein Ehepaar vom Zwergenvolk der Funderlinge, das im Fels unter Südmarksburg lebt, beobachten, wie geheimnisvolle Reiter von jenseits der Schattengrenze ein Kind auf südmärkischem Terrain aussetzen. Der Junge ist ein Großwüchsiger, wie die Funderlinge normalgroße Menschen nennen, aber die beiden geben ihm den Funderlingsnamen FLINT und nehmen ihn mit in ihr Haus im Fels unter der Burg. Unterdessen beschäftigt sich CHAVEN, der königliche Hofarzt, geradezu besessen mit einem mysteriösen Spiegel und dem noch mysteriöseren Etwas, das darin zu wohnen scheint.

Prinzessin Briony gibt die Schuld am Tod ihres älteren Bruders nicht zuletzt dem Hauptmann der königlichen Garde, FERRAS VANSEN, der in ihren Augen nicht genug für Kendricks Schutz getan hat. Vansen seinerseits hegt für Briony Eddon Empfindungen, die allein schon wegen des Standesunterschieds ungehörig und absurd sind. Er kann sich nur stumm fügen, als sie ihn, auch als Bestrafung, zum Schauplatz eines Qar-Überfalls diesseits der Schattengrenze schickt.

YNNIR, der blinde König der Qar, verfolgt eine vorerst undurchschaubare Strategie gegenüber Südmarksburg und dessen Herrscherfamilie: Die Aussetzung des Jungen in der Nähe der Burg war nur der Anfang. Doch sie zeitigt bereits Folgen: Bei Kendricks Beisetzung erblickt HERZOGIN MEROLANNA, die Großtante der Eddon-Kinder, den Knaben Flint und fällt beinah in Ohnmacht. Sie ist sich sicher, ihr außereheliches Kind gesehen zu haben, dessen Geburt sie verheimlichte und das spurlos verschwand – allerdings vor über fünfzig Jahren.

Ynnir ist nicht der einzige Qar mit bedeutsamen Plänen. FÜRSTIN YASAMMEZ, eine der mächtigsten Qar-Führerinnen, hat ein Heer um sich versammelt und zieht in Richtung Schattengrenze, um die Menschenlande anzugreifen.

Gleichzeitig stellen sich Barrick und Briony neue Probleme. Ihr wichtigster Ratgeber, AVIN BRONE, berichtet ihnen, die TOLLYS, ein mächtiges, ambitioniertes Adelsgeschlecht der Markenlande, beherbergten an ihrem Hof Agenten von SULEPIS, dem AUTARCHEN VON XIS. Dieser Gottkönig des Südkontinents scheint nun auch den gesamten Nordkontinent erobern und versklaven zu wollen. (Der offenkundige Wahnsinn dieses Gewaltherrschers spricht aus seinem Umgang mit dem Mädchen QINNITAN, einer kleinen Tempelnovizin, die er zu einer seiner vielen Ehefrauen erklärt und in seinem »Frauenpalast« genannten Harem untergebracht hat. Seltsamerweise besteht jedoch die einzige Aufmerksamkeit, die ihr dort zuteil wird, in einer Art religiöser Unterweisung und drogenartigen Tränken, die ihr die Priester einflößen.)

Auf dem Nordkontinent spitzt sich die Lage zu. Ferras Vansen und sein Trupp werden über die Schattengrenze gelockt. Mehrere seiner Männer fallen monströsen Kreaturen zum Opfer, und ehe die restlichen wieder in die Menschenlande zurückfinden, sieht Vansen den Heerzug, den Yasammez in Richtung Markenlande führt.

MATTY Kettelsmit, ein mittelloser südmärkischer Dichter, soll für den augenscheinlich einfältigen Schankknecht GIL einen Brief an die Eddons schreiben. Leicht verdientes Geld, glaubt Kettelsmit, doch die Sache endet damit, dass er verhaftet, vor Avin Brone gebracht und des Hochverrats bezichtigt wird. Prinzessin Briony hat Mitleid mit ihm, befiehlt seine Freilassung und macht ihn sogar zu ihrem Hofdichter. So schwer die Zeiten auch für alle anderen sind – Kettelsmit scheint das Glück hold.

Die Qar zerstören die Stadt Milnersford, und Briony beschließt, ein südmärkisches Heer zu entsenden, um den Vormarsch der Zwielichtler aufzuhalten. Zu ihrem Erstaunen will ihr Bruder Barrick mit gegen die Qar reiten. Er hat seiner Schwester gestanden, dass ihr Vater Olin an einer Form von Wahnsinn leidet, der Barrick seinen verkrüppelten Arm verdankt. Barrick glaubt, diesen Wahnsinn geerbt zu haben und deshalb ebenso gut sein Leben für das Königreich aufs Spiel setzen zu können. Als Briony ihm das Vorhaben nicht ausreden kann, beauftragt sie Ferras Vansen, der wieder aus den Schattenlanden zurückgekehrt ist, ihren Bruder um jeden Preis zu beschützen.

Unter der Burg, in Funderlingsstadt, ist der sonderbare Junge Flint verschwunden. Mit Hilfe eines der winzigen DACHLINGE findet ihn Chert schließlich in den noch tiefer gelegenen heiligen Stätten der Funderlinge, den sogenannten Mysterien. Dort ist Flint irgendwie auf eine Insel inmitten eines unterirdischen Sees gelangt, wo die mächtige Steinfigur steht, die die Funderlinge den Leuchtenden Mann nennen. Chert bringt den Jungen nach Hause zurück. Einen magischen Gegenstand, den der Junge aus den Mysterien mitgebracht hat, wird Chert später gemeinsam mit dem Schankknecht Gil der dunklen Fürstin Yasammez übergeben, der Anführerin der Qar-Truppen, die vor Südmarksburg lagern.

Es ist mitten im Winter, und das südmärkische Heer ist gegen die Qar gezogen. Briony wird von HENDON TOLLY öffentlich provoziert, verliert die Beherrschung und fordert ihn zum Zweikampf, den er ihr jedoch verweigert. Der Vorfall ist für Briony eine weitere Demütigung vor dem versammelten Hofadel, der sie zum Teil ohnehin für zu jung und instabil (und als Frau prinzipiell für untauglich) hält, Südmark zu regieren. Als sie später ihrer schwangeren Stiefmutter ANISSA einen Besuch abstatten will, trifft sie zu ihrer Überraschung den Hofarzt Chaven, der einige Zeit aus der Burg verschwunden war.

Auf dem Südkontinent gelingt es unterdessen Qinnitan, aus dem Frauenpalast von Xis zu fliehen und an Bord eines Schiffes zu gelangen, das zum Nordkontinent segelt.

Im Norden erweisen sich die Qar als zu stark und trickreich für das südmärkische Heer: Prinz Barrick und die übrige Armee werden vernichtend geschlagen. Barrick selbst wird beinah von einem Riesen getötet, doch Yasammez befiehlt, sein Leben zu schonen. Nachdem sie zauberischen Einfluss auf ihn ausgeübt hat, schickt sie ihn weg, und er reitet in einer Art Trance in Richtung Schattengrenze. Ferras Vansen sieht es; als er den verwirrten Prinzen nicht aufhalten kann, begleitet er ihn, um ihn zu beschützen, wie ihm Prinzessin Briony aufgetragen hat.

Indessen nimmt Brionys Besuch bei ihrer Stiefmutter eine schreckliche Wende, da Anissas Dienerin sich nicht nur als Kendricks Mörderin entpuppt, sondern sich abermals mit Hilfe eines magischen Steins in eine dämonische Kreatur verwandelt, um auch Briony zu töten. Dank Brionys Mut findet jedoch die Kreatur selbst den Tod. Durch den Schock setzen bei Anissa die Wehen ein.

Briony lässt ihre Stiefmutter in Chavens Obhut zurück und geht ins Verlies, um ihren Mentor Shaso zu befreien, dessen Unschuld an Kendricks Tod ja jetzt erwiesen ist. Als seine Fesseln gelöst sind, sehen sich beide jedoch plötzlich von Hendon Tolly attackiert, der das Geschehen schon die ganze Zeit manipuliert hat. Er will es so hinstellen, als ob Shaso Briony ermordet hätte, um sich selbst des Throns zu bemächtigen. Doch Briony und Shaso kämpfen sich frei, und mit Hilfe loyaler SKIMMER, Angehöriger eines wasserliebenden Volkes, das ebenfalls in Südmarksburg lebt, gelingt ihnen die Flucht. Aber Briony hat ihre Heimat in den Klauen ihrer schlimmsten Feinde zurückgelassen, ihr Bruder ist spurlos verschwunden, und Yasammez und die mörderischen Qar belagern die Burg.

Zusammenfassung
Band 2 – DAS SPIEL

BRIONY EDDON und ihr Zwillingsbruder BARRICK, die Erben des verschollenen Königs von Südmark, sind getrennt worden. Ihre Burg und ihr Land kontrolliert jetzt HENDON TOLLY, ein skrupelloser Verwandter. Ein Heer des rachsüchtigen Elbenvolks der QAR belagert Südmarksburg.

Nachdem sie Hendon entrinnen konnten, finden Briony und ihr Mentor SHASO in einer nahegelegenen Stadt bei einem Landsmann von Shaso Unterschlupf, doch ihre Zufluchtsstätte wird bald schon angegriffen und niedergebrannt. Briony kann als Einzige entkommen, ist jetzt aber allein und ohne Unterstützung. Hungrig und krank versteckt sie sich im Wald.

Barrick, getrieben von einem inneren Drang, den er selbst nicht versteht, reitet durch die Elbenlande immer weiter nach Norden, begleitet von dem Gardehauptmann FERRAS VANSEN. Bald schon ergänzt ein dritter Reisefährte den kleinen Trupp: GYIR DAS STURMLICHT, ein enger Gefolgsmann der Qar-Heerführerin YASAMMEZ, der von ihr beauftragt wurde, einen Spiegel – ebenjenen Gegenstand, den der Knabe FLINT bei sich hatte, als er zu Füßen des Leuchtenden Mannes tief unter der Südmarksburg gefunden wurde – YNNIR, dem blinden König der Qar, zu überbringen. Doch Barrick und seine Gefährten werden von einem Monster namens KITUYIK gefangen genommen, einem Halbgott, der die Minen von Großetiefen wieder in Betrieb genommen hat, weil er darin einen Weg sieht, sich die Macht der schlafenden Götter anzueignen.

Briony Eddon begegnet der Halbgöttin LISIYA, einer Waldgottheit, deren große Zeiten längst vorbei sind. Lisiya führt Briony zu MAKSWELLS MIMEN, einer fahrenden Schauspieltruppe, die auf dem Weg nach Süden in das mächtige Königreich Syan ist. Briony schließt sich den Mimen an, sagt ihnen aber nicht, wie sie wirklich heißt und wer sie ist.

Ganz im Norden der Schattenlande, in der Elbenstadt Qul-na-Qar, liegt KÖNIGIN SAQRI im Sterben, und König Ynnir vermag ihr nicht mehr zu helfen. Seine letzte Hoffnung ist offenbar das Geschehen rund um jenen Spiegel, den gegenwärtig Gyir das Sturmlicht bei sich trägt. Dieser Spiegel und ein Abkommen, das sich auf ihn bezieht und Pakt des Spiegelglases heißt, sind das Einzige, was die rachsüchtige Yasammez und ihr Elbenheer davon abhält, Südmarksburg zu zerstören.

In der Zwischenzeit hat QINNITAN, die entflohene junge Braut SULEPIS’, des AUTARCHEN VON XIS, in Hierosol, der südlichsten Hafenstadt des Nordkontinents, ein Auskommen gefunden. Sie ahnt nicht, dass der Autarch den skrupellosen Söldner DAIKONAS VO ausgeschickt hat, sie ihm zurückzubringen, und ihn durch einen potentiell tödlichen Zauber auch aus der Entfernung zwingt, seinen Befehl zu erfüllen. Warum Qinnitan für den Autarchen so wichtig ist, bleibt ein Rätsel.

Die Qar lagern zwar immer noch vor Südmarksburg, unternehmen jedoch keinen Angriffsversuch. In der Burg hat sich der Dichter MATTY Kettelsmit in ELAN M’CORY verliebt, Hendon Tollys unglückliche Geliebte. Als Elan merkt, dass Kettelsmit ihr ergeben ist, bittet sie ihn, ihr zu helfen, Selbstmord zu begehen. Er gibt ihr jedoch nur so viel Gift, dass sie bewusstlos wird, und schmuggelt sie dann aus dem Palast, um sie vor Hendon zu verstecken.

Tollys Macht beruht vor allem darauf, dass er sich zum Protektor des neugeborenen ALESSANDROS ernannt hat, des Sohns von König Olin und dessen zweiter Frau Anissa. Die Qar-Belagerung und sonstige Belange des Königreichs scheinen Tolly wenig zu interessieren.

Unterdessen sitzt Olin in der Stadt Hierosol im Süden des Kontinents gefangen, wo er zufällig Qinnitan sieht, die als Dienstmagd im Palast arbeitet. Er glaubt, an ihr etwas seltsam Vertrautes wahrzunehmen. Viel Zeit, dem nachzugehen, bleibt ihm jedoch nicht, da die gewaltige Flotte des Autarchen von Süden heransegelt und Hierosol belagert. Der Protektor von Hierosol, der Olin gefangen hält, übergibt ihn dem Autarchen im Tausch gegen seine eigene Unversehrtheit. Welches Interesse der Gottkönig von Xis am Herrscher eines kleinen nördlichen Landes haben könnte, ist vorerst unklar.

In Großetiefen sind Barrick Eddon und die übrigen Gefangenen des Halbgottes Kituyik dafür bestimmt, bei einem Ritual geopfert zu werden, das den Weg zu den Landen der schlafenden Götter eröffnen soll, doch der Elbe Gyir opfert sich vorher selbst, um die Wächterwesen des Halbgottes mit ihrem eigenen Sprengstoff zu vernichten. Gyir stirbt, und Vansen fällt durch ein magisches Portal ins Nichts. Barrick, der von Gyir den für König Ynnir bestimmten magischen Spiegel übernommen hat, kann sich allein aus den Minen herauskämpfen und fliehen. Mit dem Raben SKURN als einzigem Begleiter macht er sich auf die lange, einsame Reise durch die Schattenlande zur Elbenstadt Qul-na-Qar. Nur im Traum trifft Barrick zuweilen eine weitere Gefährtin – Qinnitan, der er nie leibhaftig begegnet ist, deren Gedanken aber aus irgendeinem Grund seine finden können.

Inzwischen haben Briony und die fahrenden Schauspieler Tessis erreicht, die prächtige Hauptstadt von Syan. Dort treffen sie DAWET DAN-FAAR wieder, den ehemaligen Gesandten des Protektors Ludis Drakava, der König Olin in Hierosol gefangen hielt. Doch sie werden allesamt von syanesischen Soldaten gefangen genommen, und nur Dawet kann entfliehen. Briony und die Schauspieler werden der Spionage bezichtigt. Um ihre Gefährten zu retten, offenbart Briony, wer sie wirklich ist – die Prinzessin von Südmark.

Ferras Vansen, der zunächst in scheinbar endloses Dunkel stürzte, findet sich auf einer seltsamen, traumartigen Reise durch das Land der Toten, begleitet von seinem verstorbenen Vater. Als er schließlich von dort entkommt, ist er nicht mehr jenseits der Schattengrenze, sondern in Funderlingsstadt unter der Südmarksburg. Der Hofarzt CHAVEN hält sich jetzt ebenfalls bei den Funderlingen auf, um sich vor Hendon Tolly zu verstecken.

Im fernen Hierosol fällt Qinnitan dem Häscher Daikonas Vo in die Hände, der sie zu Sulepis bringen will, doch der Autarch ist bereits aus Hierosol abgesegelt und auf dem Weg in das kleine nördliche Königreich Südmark. Außer seinem getreuen Obersten Minister PINNIMON VASH hat er auch noch einen Gefangenen bei sich – den Nordländerkönig OLIN EDDON. Daikonas Vo konfisziert ein anderes Schiff und reist seinem grausamen Herrn hinterher.

Zusammenfassung
Band 3 – DIE DÄMMERUNG

Die königlichen Zwillinge BARRICK und BRIONY EDDON sind beide fern von Südmark. Dort herrscht noch immer der Usurpator HENDON TOLLY auf der Südmarksburg, die seit Wochen vom Elbenvolk der Qar, auch Zwielichtler genannt, belagert wird. In vorderster Front gegen die Qar stehen die Funderlinge, die im Fels unter der Burg in einem weitverzweigten, bis zu ihren heiligen Stätten, den »Mysterien«, hinabreichenden Geflecht von Höhlen und Gängen leben.

Prinzessin Briony befindet sich im weiter südlich gelegenen Syan, als eine Art Gast des dortigen Königs ENANDER. (Ihre Tarnung als fahrende Schauspielerin hat sie aufgegeben, nachdem die Mimen von syanesischen Wachen verhaftet wurden). Am Hof findet sie zwar ein paar Freunde und Freundinnen, aber nur einen nützlichen Verbündeten, den Kronprinzen ENEAS, der ihr sehr zugetan scheint. Ihre Dankbarkeit für seine Unterstützung nimmt noch zu, nachdem sie einem Giftanschlag von anderer Seite nur knapp entgangen ist.

Ihr Bruder Barrick reist unterdessen in Begleitung eines unappetitlichen Raben namens SKURN durch die ewig dämmrigen Zwielichtlande, in einer Mission, die ihm selbst nicht ganz klar ist. Barrick weiß nur, dass ihm der Zwielichtler GYIR im Sterben das Gelöbnis abgenommen hat, einen magischen Spiegel an den Königshof der Qar zu bringen – in die uralten Hallen von Qul-na-Qar. Doch zwischen Barrick und der sagenumwobenen Qar-Festung liegen die endlos scheinenden Schattenlande, bewohnt von Wesen wie den wehrhaften winzigen Stoltewichten, aber auch mörderischen Kreaturen wie den gesichtslosen Seidenwicklern.

Trotz Skurns Protest erklimmt Barrick, um den Seidenwicklern zu entgehen, den sogenannten Verfluchten Berg und trifft auf dessen Gipfel drei seltsame, offenbar uralte Kreaturen, die sich SCHLÄFER nennen. Sie sind abtrünnige Angehörige des Qar-Stammes der Traumlosen und behaupten, Barrick zu kennen und ihm helfen zu wollen, nach Qul-na-Qar zu gelangen, erklären ihm aber, dass er zu schwach und der Weg dorthin zu weit sei. Sie vollziehen an ihm eine magische Zeremonie, nach der er sich stärker und gesünder fühlt und selbst sein verkrüppelter Arm geheilt scheint, und weisen ihn an, in der Stadt Schlaf, der Heimat der mittlerweile mit den übrigen Qar verfeindeten Traumlosen, eine mysteriöse »Tür« nach Qul-na-Qar zu finden und zu benutzen.

Doch nicht nur die Qar haben es auf Südmark abgesehen. AUTARCH SULEPIS, der Gottkönig des Großreiches Xis auf dem südlichen Kontinent, naht mit einem gewaltigen Aufgebot an Männern und Schiffen, um die Burg zu erobern; er führt den wahren Herrscher Südmarks und Vater der Zwillinge, KÖNIG OLIN, als Gefangenen mit sich. Der Autarch hält nicht mit seinen Plänen hinterm Berg, scheint im Gegenteil sogar gern darüber zu sprechen: Er will König Olin opfern und dessen Blut (das zu einem gewissen Teil auf das Herrschergeschlecht der Qar und damit auf einen Gott zurückgeht) als magisches Mittel benutzen, um ein Portal zu jenen Gefilden zu öffnen, wo die Götter im Schlaf gefangen sind, seit sie von ebenjenem Gott verbannt wurden, der der Ahnherr der Qar und König Olins ist – KUPILAS, auch KRUMMLING genannt. Doch nicht dem sterbenden Kupilas gilt das Interesse des Autarchen, sondern einem schrecklicheren Gott, dessen Macht er sich durch ein Ritual am bevorstehenden Mittsommertag aneignen will.

Olin ist nicht der einzige wichtige Gefangene des Autarchen. QINNITAN, eine junge Frau, die Sulepis schon einmal entflohen war, ist vom eigens dafür ausgesandten Häscher, dem Söldner DAIKONAS VO, wieder eingefangen worden. Vo hat ein xixisches Schiff beschlagnahmt und reist damit dem Autarchen nach Südmark hinterher, um die Gefangene zu übergeben und seine Belohnung zu empfangen. Nach mehreren missglückten Versuchen entkommt Qinnitan dem Häscher schließlich in der wilden Küstenregion östlich von Südmark, aber Vo, der zunehmend dem Wahnsinn verfällt, gibt nicht auf und verfolgt sie weiter.

Ferras Vansen, Hauptmann der königlichen Garde Südmarks, hat mit den Funderlingen, die ihm den Oberbefehl übertragen haben, einen langen, tapferen Widerstandskampf gegen die Qar geführt, doch als er vom Nahen des Autarchen erfährt, macht Vansen sich todesmutig ins Qar-Lager auf, um die Zwielichtler als Verbündete zu gewinnen. Unterdessen spielt der rätselhafte Junge FLINT, Adoptivsohn der Funderlinge CHERT und OPALIA, weiterhin in vielem eine mysteriöse Rolle, wobei er manchmal sein eigenes Handeln genauso wenig zu verstehen scheint wie alle anderen.

In Syan sieht sich Briony infolge von Verrat der falschen Anschuldigung ausgesetzt, gegen König Enander zu intrigieren. Sie entkommt mit Hilfe ihrer Schauspielerfreunde. Kronprinz Eneas holt sie ein und erklärt, er wolle ihr helfen, nach Hause zu gelangen und ihren Thron zurückzugewinnen. Mit einem solchen Verbündeten (und seinen Reitertruppen) sieht Briony endlich die Möglichkeit, Südmark wieder für die Eddons in Besitz zu nehmen.

Ihr Zwillingsbruder Barrick ist inzwischen in der Stadt Schlaf angekommen, und nach erfolgreich bestandenem Kampf mit grauenerregenden Wächterwesen schafft er es, durch das magische Portal direkt nach Qul-na-Qar zu gelangen. Seine Begleiter allerdings, der Rabe Skurn und der ehemalige Kaufmann RAEMON BECK, durchqueren zwar ebenfalls das Portal, kommen aber nicht in Qul-na-Qar an. Die uralte Heimstatt der Qar ist so gut wie verlassen (da die meisten Zwielichtler mit ihrer grimmigen Anführerin, FÜRSTIN YASAMMEZ, vor Südmarksburg stehen), doch der blinde König YNNIR, die schlafende Königin SAQRI und einige Bedienstete sind noch dort. Ynnir benutzt den Spiegel, den ihm Barrick nach all der Mühsal und Gefahr endlich übergeben hat, aber die Macht des Gegenstands reicht nicht aus, um die Königin aufzuerwecken.

Der Autarch und sein Gefangener König Olin landen in Südmark. Dort herrscht gespenstische Ruhe: Die Qar scheinen die Belagerung der Burg aufgegeben und den Rückzug angetreten zu haben. Es ist absehbar, dass die riesige xixische Armee die schwache Verteidigung der Burg bald überwunden haben wird und der Autarch das Tor zu jenem Ort öffnen kann, wo die zürnenden vertriebenen Götter darauf warten, Rache zu nehmen.

In Qul-na-Qar erklärt König Ynnir dem Sterblichenprinzen Barrick, um Königin Saqri aufzuerwecken, bleibe ihm keine andere Möglichkeit, als ihr seine letzten Kräfte zu spenden. Das aber kann er nicht, ohne vorher einen neuen Hüter der FEUERBLUME gefunden zu haben, der Weisheit aller Qar-Könige, die er in sich trägt. (Saqri bewahrt in sich die weibliche Version, die Weisheit sämtlicher Qar-Königinnen.) Kein Sterblicher hat je die Feuerblume übernommen, aber in Barricks Adern fließt ja das Blut des Gottes Kupilas (oder Krummling, wie ihn die Qar nennen). Barrick willigt ein.

Die Macht der Feuerblume bringt Barrick beinahe um, aber Saqri erwacht wieder zum Leben, noch während Ynnir stirbt. Barrick bleibt ohne seinen Helfer Ynnir in der Festung der Qar zurück, den Kopf voller rätselhafter Qar-Erinnerungen.

Vorspiel

Er hieß nach den Tualum, einer kleinen Antilopenart, die sich in den trockenen Wüstenhügeln tummelte. Seine Mutter hatte als Mädchen oft beobachtet, wie die Tiere zum Fluss herabkamen, um zu trinken: so schlank, so funkeläugig, so mutig. Als sie ihren Sohn zum ersten Mal erblickte, sah sie das alles in ihm. »Tulim«, sagte sie verzückt. »Er soll Tulim heißen.« Sie schrieben es pflichtschuldig auf, als sie ihn ihr wegnahmen und der königlichen Amme übergaben.

Die früheste Erinnerung des Knaben waren die sonnenuntergangsfarbenen Wandteppiche des Frauenpalasts, wo er seine ersten Lebensjahren unter den Frauen verbrachte, wo ihn liebevolle, gut riechende Ammen in den Armen hielten, wo sie ihm vorsangen und seine kleinen braunen Gliedmaßen mit teuren Salben einrieben. Traurige Momente gab es für den Kleinen nur dann, wenn er wieder in sein Bettchen gelegt wurde und die Ammen eins der anderen kleinen Herrscherkinder heraushoben, um es zu hätscheln und zu liebkosen. Diese Ungerechtigkeit – dass die Aufmerksamkeit, die doch nur ihm allein hätte gelten sollen, auch anderen zuteilwurde – brannte in dem kleinen Tulim wie die Flamme der Lampe, in die er jeden Abend vor dem Einschlafen schaute und die er so genau beobachtete, dass er sie manchmal sogar am hellen Mittag vor seinem inneren Auge sah, so hell, dass sie alles Wirkliche buchstäblich in den Schatten stellte.

Als Tulim gerade drei Jahre alt geworden war, geschah es, dass er als eine Art Experiment einen der anderen kleinen Prinzen beim gemeinsamen Bad ertränkte. Er wartete, bis sich die Ammen abwandten, um ein Kind zu trösten, das weinte, weil es nassgespritzt worden war. Dann packte er den Kopf seines Bruders Kirgaz, drückte ihn unter das mit Blüten bestreute Wasser und hielt ihn nieder. Die drei, vier anderen Kinder im Badebecken waren so mit Spielen und Spritzen beschäftigt, dass sie es nicht bemerkten.

Es war seltsam, das verzweifelte Zappeln des Bruders zu fühlen und zu wissen, dass gleich daneben alles ganz normal weiterging – ohne ihn. Die Leute machten so viel Aufhebens um das Leben, aber er, Tulim, konnte es auslöschen, wann immer er wollte. Er sah im Geist wieder die Flamme, doch diesmal war es, als wäre er selbst das Feuer, das so hell brannte und den Rest der Schöpfung in Dunkel tauchte. Es war ein ekstatisches Gefühl.

Als sich die Ammen schließlich umdrehten, trieb Kirgaz schlaff im Wasser, das Haar wie Seetang, in dem sich helle Blütenblätter verfangen hatten. Sie schrien und zogen ihn heraus, aber es war zu spät. Im Obstgartenpalast lebten viele Prinzen – der Autarch hatte viele Frauen und zeugte viele Kinder –, deshalb war der Verlust dieses einen keine Tragödie, aber die beiden Ammen wurden natürlich sofort hingerichtet. Darüber war Tulim traurig. Die eine hatte ihm abends immer eine süße Honigmilch aus den Palastküchen geschmuggelt. Jetzt musste er ohne diese Leckerei einschlafen.

Bald schon wurde Tulim zu groß, um weiter im Frauenpalast zu wohnen, also kam er in den Zedernhoftrakt des weitläufigen Obstgartenpalasts, wo jene Knaben, die wie Tulim Söhne des glorreichen Gottkönigs Parnad waren, bis zum Mannesalter erzogen wurden und die Söhne des Hofadels das Privileg genossen, in der Nähe der königlichen Prinzen heranzuwachsen. Hier lebte Tulim zum ersten Mal unter richtigen Männern – den Frauenpalast durften nur die Begünstigten betreten – und lernte vieles: Jagen, Kämpfen und Kriegsgesänge. Langbeinig, hübsch und blitzgescheit, wie er war, fiel er hier auch erstmals den Männern des Obstgartenpalastes auf, sogar, was das Allererstaunlichste war, seinem eigenen Vater.

Die meisten Söhne Parnads hofften, dass ihr Vater sie nicht bemerkte. Gewiss, einer von ihnen würde eines Tages Parnads Nachfolger werden, aber der Autarch war ein vitaler, kräftiger Mann in den Fünfzigern, also war dieser Tag noch fern, und xixische Thronanwärter hatten die unselige Neigung, Unfälle zu erleiden. Es konnte passieren, dass Parnad höchstselbst befand, dieser oder jener seiner Söhne sei bei den Soldaten oder beim einfachen Volk zu beliebt. Ein solcher Jüngling war als einziger xixischer Kämpfer in einer Seeschlacht mit Piraten vor den westlichen Inseln gefallen. Ein anderer war blau angelaufen und erstickt, nachdem ihn im Yenidos-Gebirge eine Schlange gebissen hatte – mitten im Winter, für Schlangenbisse eine sehr ungewöhnliche Jahreszeit. Daher war keiner der anderen Prinzen allzu eifersüchtig, als ihr Vater Tulim zur Kenntnis nahm und gelegentlich mit ihm sprach.

»Wer war deine Mutter?«, fragte ihn Parnad beim ersten Mal. Der Autarch war ein Hüne, hochgewachsen, aber gleichzeitig so breit wie ein altes Krokodil. Für Tulim war es eine seltsame Vorstellung, dass dieser vierschrötige Mann mit dem dichten Bart der Erzeuger seines schlanken, langgliedrigen Körpers sein sollte. »Ah ja, ich erinnere mich. Wie eine Katze war sie. Du hast ihre Augen.«

Tulim wusste nicht recht, ob »war« bedeutete, dass seine Mutter nicht mehr lebte, wollte aber nicht fragen, weil das vielleicht sentimental und weibisch wirken würde. Wenn er jedoch ihre Augen hatte, musste sie wirklich außergewöhnlich gewesen sein, denn das fiel den Leuten an ihm als Erstes auf: diese eigentümlichen, goldenen Augen, wie Tümpel von geschmolzenem Metall. Seine Augen waren einer der Gründe, warum er schon lange wusste, dass er nicht wie die anderen war – diese helle, alles verzehrende Flamme lohte in seinen Brüdern und den übrigen Kindern nicht auf die gleiche Art wie in ihm.

Er und sein Vater, der Autarch, unterhielten sich noch öfter, wenn Tulim dabei auch nie viel sagte. Und nach einiger Zeit wurde Tulim aus dem Schlafgemach, das er mit ein paar Halbbrüdern teilte, in ein eigenes Zimmer verlegt, wo ihn der Autarch zu jeder Tages- und Nachtzeit besuchen konnte, ohne die anderen Prinzen zu stören. Außerdem begann Parnad, ihn allen möglichen grausamen und schmerzhaften Praktiken zu unterziehen und ihm dabei immer wieder zu erklären, welch schreckliche Verantwortung es bedeutete, der Bishakh zu sein – das Oberhaupt des Falkengeschlechts, das aus der Wüste gekommen war, um die Herrscherthrone der Städte dieser Welt in den Staub zu treten.

»Die Götter lieben uns«, erklärte Parnad, während er Tulims Schmerzensschreie erstickte, indem er ihm den Mund zuhielt. »Sie haben bestimmt, dass der Falke höher fliegt als irgendein anderes Wesen – dass er auf die gesamte Schöpfung hinabblickt. Die Sonne selbst ist nur das Auge des mächtigen Falken.«

Tulim verstand nicht immer, was sein Vater sagte, doch insgesamt machten ihm die Unterweisungen, verbunden mit dem Schmerz und anderen sonderbaren Gefühlen, klar, dass der Weg der Flamme und der Weg des Falken mehr oder minder eins waren: Alles gehört demjenigen, der ohne Furcht zuzugreifen vermag. Diesen Mann lieben die Götter.

Wenn die Besuche auch jahrelang weitergingen, schwor sich Prinz Tulim doch schon in jener ersten Nacht, eines Tages seinen Vater zu töten. Es war weniger der Schmerz, der nach Rache schrie, als vielmehr die Hilflosigkeit – die Flamme durfte nie durch den Schatten eines anderen verdunkelt werden, nicht mal durch den des Autarchen selbst.

Als Tulim sich dem Alter näherte, da er den Status des Knaben ablegen und den Status des Mannes überstreifen würde wie ein neues Gewand, verbrachte er immer mehr Zeit in Gesellschaft eines anderen Erwachsenen, der seinen Wünschen und Bedürfnissen eher gerecht wurde. Es war der Mann, den er Onkel Gorhan nannte, einer der älteren Halbbrüder des Autarchen. Gorhan war von Parnads Vater mit einer Frau von höchst gewöhnlichem Blut gezeugt worden, daher bestand keine Gefahr, dass er den Thron an sich reißen könnte. Er hatte den Abstammungsmakel zu seinem Vorteil genutzt, indem er einer der verlässlichsten Ratgeber des Autarchen geworden war: ein überaus gelehrter und findiger Mann. Sein Verhältnis zu Tulim war weniger physisch und weniger metaphysisch als das des Autarchen: Er sah in dem Jüngling einen Geist, der seinem verwandt war, einen Geist, der sich bei rechter Schulung nicht nur über die Mauern des Obstgartenpalasts und die Grenzen von Xis hinausschwingen könnte, sondern durch all die endlosen Gänge und Flure der Schöpfung. Gorhan lehrte Tulim, wahrhaft zu lesen. Nicht nur die Schriftzeichen auf Pergament oder Papyrus zu erkennen und ihre Bedeutung zu entschlüsseln – das lernten alle Prinzen –, sondern zu lesen, um neues Wissen für das eigene Denken einzuspannen wie Zugochsen und die eigenen Ideen durch andere zu mehren wie die Soldaten eines Heeres, sodass die Macht des Lesenden immer größer wurde.

Gorhan führte Tulim in die Werke großer Kriegsstrategen wie Kersus und Hereddin ein und machte ihn mit Historikern wie dem berühmten Pirilab bekannt. Tulim lernte, dass man in Büchern menschliche Gedanken über tausend Jahre bewahren konnte – dass die großen und gelehrten Männer anderer Zeitalter zu ihm zu sprechen vermochten, als wären sie anwesend. Und wichtiger noch, er lernte, dass auch die Götter und ihre engsten Gefolgsleute über den Abgrund der Zeit und die noch größere Kluft zwischen Himmel und Erde hinweg sprachen und die Geheimnisse der Schöpfung selbst offenbarten. Er lernte, was ihm Gorhan aus den Schriften des Krieger-Dichters Hereddin rezitierte: »Wer die Hand nur nach einem Thron ausstreckt, wird niemals nach den Sternen greifen.« Tulim begriff und fühlte, dass auch sein Onkel über eine Weisheit verfügen musste, die größer war als die anderer Menschen, eine Weisheit, die der der Götter kaum nachstand: Gorhan hatte erkannt, dass er, Tulim, nicht wie die anderen war, dass da in ihm noch mehr war als nur das Blut seines Vaters. Gorhan hatte erkannt, dass Tulim nicht das Kind eines Menschen, sondern ein Kind des Himmels selbst war.

Als Tulim älter wurde und seine knabenhafte Zartheit der sehnigen Geschmeidigkeit des Jungmännerkörpers wich, verlor sein Vater, der Autarch, das Interesse an ihm, was ihn nur in seinem Hass bestärkte. Der Autarch hatte ihn lediglich benutzt, und das nicht einmal seiner Einzigartigkeit wegen, sondern aufgrund jener Eigenschaften, die er mit allen hübschen Knaben teilte. Hätte Tulim Parnad töten können, hätte er es getan, aber der Autarch wurde nicht nur lückenlos von seinen grimmigen Leopardengarden bewacht, er verfügte auch selbst über erstaunliche Körperkräfte und eine trainierte, nie erlahmende Aufmerksamkeit, selbst bei Aktivitäten, die jeden Geringeren abgelenkt oder schläfrig gemacht hätten. Außerdem wurden die xixischen Autarchen seit vielen Generationen durch die Institution des Scotarchen geschützt, jenes Nachfolgers auf Zeit, der kein direkter Blutsverwandter war und in dem Fall, dass der Autarch unter verdächtigen Umständen starb, den Thron bestieg und Gerechtigkeit übte, ehe die Herrschaft an den eigentlichen Thronfolger überging – sofern dieser nicht der Mörder des vorigen Autarchen war. Es war eine seltsame, umständliche alte Sitte, hatte aber die Autarchen über Jahrhunderte wirksamer vor Verschwörungen geschützt, als dies den Herrschern fast aller anderen Länder gelungen war.

Also konnte Tulim nur warten, studieren, planen … und träumen.

Endlich kam der Tag, da die rechteckigen Gongs im Maulbeerfeigenturm und im Nushash-Tempel den Tod des Herrschers verkündeten. Parnad, kaum mehr als dreimal zwanzig Jahre alt, war im Frauenpalast gestorben, im Bett einer seiner Ehefrauen. Obwohl nichts auf einen unnatürlichen Tod hindeutete, ließ sein Scotarch unverzüglich die betreffende Ehefrau und deren Dienerinnen foltern, um sich zu vergewissern, dass sie nichts von irgendwelchen üblen Machenschaften wussten. Anschließend ließ er sie hinrichten, um den übrigen Palastbewohnern in Erinnerung zu rufen, wie gefährlich es war, in irgendeinem Zusammenhang, und sei er noch so unschuldig, mit dem Tod eines Autarchen zu stehen. Es begann die Trauerzeit, nach deren Ablauf Dordom, der älteste Sohn, der bereits Heerführer und ein für seine Fähigkeiten wie für seine Grausamkeit bekannter Krieger war, den Thron besteigen sollte.

Doch Dordom starb noch in Parnads Todesnacht den Erstickungstod, und im ganzen Obstgartenpalast wurde geflüstert, er sei vergiftet worden. Das schien umso plausibler, als auch noch drei Brüder Parnads (samt diversen Freunden, Dienern und Geliebten, die zufällig vom falschen Teller aßen oder aus dem falschen Becher tranken) einem eigentümlichen Gift erlagen, das man weder roch noch schmeckte und das auch nicht auf der Stelle wirkte, sondern das Opfer erst anschließend von innen zerfraß wie Schwefelsäure.

Einer nach dem anderen verschieden die möglichen Thronfolger: vergiftet wie Dordom, von zuvor für unbestechlich gehaltenen Dienern im Schlaf erdolcht oder von Meuchlern auf dem Liebeslager erdrosselt, während die Wachen vor der Tür angeblich nichts hörten. Einige weniger ehrgeizige Nachkommen Parnads, die merkten, woher der Wind wehte, verschwanden samt ihren Familien aus Xis, um dem Tod zu entgehen (der sie aber dennoch irgendwann fand). Andere spielten das Spiel mit, und ein Jahr lang war das alte Xis wie ein einziges riesiges Shanat-Brett: Jeder Zug eines noch lebenden Mitglieds der königlichen Familie wurde studiert und mit dem entsprechenden Gegenzug beantwortet. Tulim, der in der Thronfolge an dreiundzwanzigster Stelle stand, kam gar nicht in Verdacht, etwas mit den anfänglichen Todesfällen zu tun zu haben – viele Leute glaubten, dass Parnads Tod eine schon lange schwärende, mörderische Rivalität zwischen aussichtsreichen Thronanwärtern ausgelöst hatte. Ja, während des Jahrs des Scotarchen (wie es später genannt werden sollte) waren die meisten Einwohner von Xis und vor allem die klügsten Männer im Obstgartenpalast überzeugt, dass es ein Machtkampf zwischen Dordoms jüngeren Brüdern Ultin und Mehnad war, die, während andere starben oder flohen, unbeschadet ausharrten, bis in Xis nur noch sie, Tulim und eine Handvoll weiterer Prinzen übrig waren.

Die meisten klugen Männer am Hof waren sich sicher, dass Tulim nur deshalb noch lebte, weil er für niemanden eine echte Bedrohung darstellte. Die wenigen, die ihn besser kannten und womöglich den Verdacht hatten, dass nicht alles so war, wie es aussah, kannten ihn aber auch gut genug, um nicht über ihn zu munkeln. Von diesen wahrhaft klugen Männern am Hof erlebten es viele, ihm dienen zu dürfen.

Der Klügste von allen war natürlich Onkel Gorhan, der in dem jungen Tulim etwas Gnadenloses – vielleicht den Widerschein dieser inneren Flamme – erkannt und sein eigenes Schicksal an das des unbedeutenden, da in der Thronfolge so weit hinten stehenden Prinzen geknüpft hatte. Das war ein echtes Hasardspiel von Gorhan gewesen, da er ja als gelehrter und nicht weiter bedrohlicher älterer Mann beste Chancen gehabt hätte, die Inthronisierung eines neuen Herrschers zu überleben, sein Ratgeberamt über eine weitere Regierungszeit oder auch zwei zu versehen, irgendwann friedlich und in Würde zu sterben und dann zum Zeichen dafür, wie hoch er in der Gunst der königlichen Familie gestanden hatte, mit tausend lebenden Sklaven begraben zu werden. Stattdessen setzte er alles auf diesen einen unwahrscheinlichen Würfelfall … so jedenfalls musste es jedem erscheinen, der noch nie tiefer in Tulims beunruhigend goldene Augen geblickt hatte.

»Ich könnte nicht anders, Gesegnete Hoheit«, erklärte ihm Gorhan. »Weil ich schon bei unserer ersten Begegnung wusste, was aus Euch werden würde. Und nichts könnte mich je dazu bringen, Euch zu verraten. Ihr und ich, wir sind so.« Der Ältere presste Zeige- und Mittelfinger der erhobenen Hand aneinander, um zu demonstrieren, wie eng er und Tulim verbunden waren. »So

»So, Onkel«, wiederholte der Prinz und machte die gleiche Geste. »Ich habe Euch wohl verstanden.«

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ihre Partnerschaft Früchte trug. Ein geringerer Prinz saß mit Mehnad, einem der beiden verbliebenen Thronanwärter, bei einem nicht sonderlich entspannten Gastmahl. Mitten im Essen rang der Prinz plötzlich nach Luft, als steckte ihm ein ganzes Entenei in der Kehle. Er lief dunkel an, kam auf die Beine, wankte durch das auf dem Boden arrangierte Speisenaufgebot, ohne es zu sehen, und fiel dann mitten in eine Dienerschar mit Fingerschalen und Weinkrügen. Das so verursachte Klirren und Scheppern lenkte zunächst davon ab, dass die junge Gemahlin des Prinzen einen ähnlichen, wenn auch leiseren Tod gestorben war.

Prinz Mehnad, außer sich vor Wut, rief, dass er nichts damit zu tun habe, dass das ein Komplott sei, um ihn als engherzigen Kleingeist hinzustellen (denn was sonst sollte man von jemandem denken, der Gäste in seinem eigenen Haus vergiftete, noch dazu nicht nur Männer, sondern auch noch eine Frau?). Sicher, dass sein Bruder Ultin dahintersteckte, marschierte Mehnad mit einem Trupp Wachen zu Ultins Wohnung im Blaulampenviertel der Stadt, aber die Kunde von dem Mord war ihm vorausgeeilt, und Ultin erwartete ihn bereits mit einem Trupp eigener Wachen. Beide Brüder waren der ewigen Intrigen und Gegenintrigen, des Meuchelns und Misstrauens so müde, dass sie keinen Vorwand brauchten, um ihre Differenzen ein für alle Mal auszutragen. Während die Wachen eine Schlägerei unter sich veranstalteten, forderten Ultin und Mehnad einander heraus und lieferten sich, grimmige Krieger, die sie waren, einen erbarmungslosen Zweikampf.

Erst als Ultin seinen Bruder schließlich gefällt hatte und triumphierend über dessen Leichnam stand, selbst zwar blutend, aber nicht ernstlich verletzt, wurde Tulims Plan offenbar. Noch während Ultin seinen Siegerstolz hinauskrähte, begann er plötzlich nach Luft zu ringen wie vorhin der unglückliche Prinz. Blut rann ihm aus Nase und Mund, dann fiel er auf seinen toten Bruder. Beider Klingen waren, wie man später herausfand, von dritter Seite vergiftet worden, aber Mehnad hatte nicht mehr lange genug gelebt, um die Wirkung zu spüren.

Und während die Leibwachen beider Prinzen noch in einem Nebel aus Verwirrung und Zorn um die Leichen herumstanden, traten Tulim und Gorhan aus dem Versteck, von wo aus sie das Ganze beobachtet hatten. Sie hatten nur ein paar von Gorhans Wachen dabei, konnten es an Zahl weder mit Ultins noch mit Mehnads Trupp aufnehmen, aber die Männer, die eben noch für die rivalisierenden Brüder gekämpft hatten, erkannten rasch, dass ein Sieg über Tulim für sie nur bedeuten würde, sich eine neue Stellung suchen zu müssen – denn was ist ein prinzlicher Leibwächter ohne Prinz? Schließlich war Tulim ja ein Nachkomme Parnads, und wenn er auch anfangs nur ein unbedeutender Nachkomme gewesen war, hatte er es doch geschafft, fast zwei Dutzend andere zu überleben – das allein war schon Grund genug, ihn als ernsthaften Thronfolgekandidaten zu betrachten. Gorhans kleine, aber getreue Leibwache und ihre spitzen Speere waren ein weiteres, gewichtiges Argument.

So also geschah es, dass Prinz Tulim, den zuvor kaum jemand bemerkt und niemand sonderlich gefürchtet hatte, über Dutzende von Leichen ging, um auf den Falkenthron von Xis zu gelangen, wo er sich den Autarchennamen Sulepis am-Bishakh zulegte. In den folgenden Jahren würde Sulepis sich auf das historische Recht des Großen Xis berufen, über den gesamten Kontinent Xand zu herrschen, und zur Durchsetzung ebendieses Rechts über Hunderttausende weiterer Leichen gehen, ja praktisch die gesamte Welt südlich der Ostaeischen See mit seinen blutigen Fußspuren überziehen. Und wenn er sich danach die Eroberung des nördlichen Kontinents Eion zum Ziel setzte – wer konnte es ihm verdenken? Die Vorsehung war eindeutig mit ihm: Seine Flamme brannte in der Tat heller als alle anderen.

Und wie ein Gott richtete Tulim-der-jetzt-Sulepis-war nicht nur über das Los von Kontinenten: Er konnte auch persönlich werden. Wenige Tage nach seiner Thronbesteigung kam es zwischen ihm und seinem Onkel Gorhan zu einem Disput über irgendeine mindere Frage der Staatskunst, wobei Gorhan den neuen Autarchen mit einem Blick bedachte, der ihn, wenn auch vielleicht nicht mit Scham ob seiner Undankbarkeit, so doch mit einer gewissen Verlegenheit erfüllen sollte.

»Ich bin enttäuscht, Herr«, erklärte Gorhan seinem Neffen. »Ich dachte, wir wären so.« Er presste Zeige- und Mittelfinger der erhobenen Hand aneinander. »Ich dachte, Ihr hieltet genug von mir, um auf meinen Rat zu hören. Ihr seid wie ein Sohn für mich, Tulim. Und ich hatte gehofft, Euch so etwas wie ein Vater zu sein.«

»Wie ein Vater?« Sulepis zog eine Braue hoch und fixierte Gorhan mit Augen, so erbarmungslos und golden wie die eines Jagdfalken. »Das könnt Ihr haben.« Er wandte sich an den Hauptmann seiner Leopardengarde. »Bringt den alten Mann weg«, sagte er. »Zieht ihm die Haut ab – aber langsam, damit er es spürt. Und auch nicht im Ganzen, sondern in einem durchgehenden Streifen, immer rundherum von den Füßen bis zum Scheitel. Ich möchte, dass er es bis zum Schluss mitbekommt, mein neuer ›Vater‹.«

Selbst der abgebrühte Hauptmann zögerte, als Gorhan auf die Knie fiel und unter Tränen um Gnade flehte. »Ein durchgehender Streifen, o Goldener?«, fragte der Soldat. »Wie breit?«

Sulepis lächelte und presste Zeige- und Mittelfinger zusammen. »So

ERSTER TEIL
Das verknotete Seil

1
Kaltes Fieber

»Dieses Buch ist für alle Kinder von edler Geburt, als eine Unterweisung am Vorbild des Waisen, des Frommsten unter den Sterblichen und Lieblings der Götter …«

Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben

und himmlischer Lohn – ein Buch für Kinder

Die fernen Berge waren schwarz, der felsige Strand und das anbrandende Meer ebenso, und der Himmel war wie nasser, grauer Stein; das einzig Helle, das er sah, waren die Kämme der Wellen, die der steife Wind vor sich hertrieb, und die leuchtend weiße Gischt, die jedes Mal aufspritzte, wenn eine dieser Wellen gegen die Felsen schlug.

Barrick konnte das alles kaum aufnehmen. Vom Stimmenlärm der Feuerblume fühlte sich das Innere seines Kopfes noch lauter und gefährlicher an als die tosende Brandung, so als könnte ihn dieser Sturm von fremden Gedanken, Ideen und Erinnerungen jeden Moment davonreißen, beuteln, überrollen, hinabziehen und ertränken 

… Nicht mehr, seit Mawra die Atemlose auf Erden wandelte 

… Aber sie kamen nicht vom Meer her, wie Silberglanz erwartet hatte, sondern aus der Luft 

… Sie ward nie mehr gesehen, obwohl ihr Liebster und seine Horde die Berge absuchten, bis der Winterschnee fiel 

Unter dem endlosen Sturm von Gedanken nicht zu schreien, fiel ihm schon schwer genug. Er biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, rang darum, den Barrick Eddon im Zentrum des Ganzen nicht zu verlieren. Er hatte gehofft, das Gewirr in seinem Kopf würde sich legen, wenn die Trauerfeier für den verstorbenen König vorbei wäre, aber die Stille, die dann eingetreten war, hatte es nur noch schlimmer gemacht.

Die Zwielichtlerkönigin Saqri ging neben ihm her – oder vielmehr ein wenig vor ihm, ganz in fließendem Weiß, sodass sie kaum substantieller schien als die Meeresgischt. Ynnirs Witwe hatte kein Wort zu ihm gesagt, seit sie ihm mit einer gebieterischen Geste bedeutet hatte, ihr zu folgen. Stumm hatte sie ihn aus den Hallen von Qul-na-Qar ins Freie und dann einen gewundenen Pfad zum rastlosen, dunklen Meer hinab geführt.

Sie waren allein, Barrick und Saqri, oder jedenfalls so allein wie möglich: Drei bewaffnete und gepanzerte, männerähnliche Gestalten standen am unteren Ende des Pfads und beobachteten jeden Schritt ihrer Königin. Es waren Eisettins, wie Barrick ohne sein Zutun wusste, aus der Sippe der Weißumschlungenen, die in Blauetiefen droben im Norden lebte. Er kannte auch ihre Namen oder zumindest die Gesten, die sie für ihren Namen machten Weißumschlungenen