Inhaltsangabe:

24 Stunden bis zum Neuanfang

Philip saß, wie jeden Morgen nach dem Frühstück, vor seinem PC im Büro des kleinen Reihenhauses. Die Zeit seines letzten großen Erfolges lag schon eine Ewigkeit zurück. Hoch gelobt hatte die Presse seinen letzten Krimi, als bester Debütschriftsteller des Jahres wurde er gehandelt. Aber heute? Tag für Tag sitzt Philip und starrt auf seinen Monitor, aber die erlösende Idee für einen neuen Plot will sich nicht einstellen. Giselle, seine Frau seit knapp zwanzig Jahren, hatte alles versucht um ihn zu motivieren. Aber auch sie schaffte es nicht, genauso wenig wie der Literaturagent, mit dem Philip zusammen arbeitete. Wenn der Autor nicht bald etwas Neues zu Papier bringen würde, wäre er die längste Zeit in aller Munde gewesen.

„Ich mach mich auf den Weg, mein Schatz. Sei kreativ. Bis heute Abend!“, drang es an Philips Ohr.

Giselle hat es nicht einmal für nötig gehalten, zu ihm ins Büro zu kommen um sich zu verabschieden.

„Bis später!“, konterte der mutlos gewordene Ehemann.

Ein plötzliches und ungewohntes Geräusch drang an sein Ohr. Es klang wie ein Ding mit einem Echo und es kam aus dem PC. Der Monitor allerdings war wie immer, kein Hinweis war zu erkennen. Philip ignorierte es und öffnete den Krimi-Ordner und fixierte die ersten Zeilen, die unter der Überschrift Mord am Abend standen. Plötzlich erklang erneut dieses eigenartige Geräusch, jetzt allerdings begleitet von einer fies grinsenden Maske, die auf lindgrünem Untergrund schwarz glänzend auf der Mitte des Monitors erschien. In der Mitte stand die Zahl 24. Dann öffnete sich ein Auge der Maske und daraus kam ein Stückchen Papier mit einer Nachricht: Schaue in deinen Briefkasten. Du hast genau 3 Minuten Zeit. Dann kommt die nächste Botschaft. Beeile dich, sonst stirbt deine Frau. Dann waren die Nachricht und die Maske verschwunden und man hörte das Ticken einer Uhr. Philip blicke wie versteinert auf den Monitor. Dann sprang er auf, rannte aus dem Büro zur Haustür und hinaus in den Vorgarten. Er entnahm dem Briefkasten einen weißen Umschlag und rannte zurück in sein Büro, die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss, dass die Scheiben wackelten. Noch auf dem Rückweg riss Philip den Umschlag auf und entnahm ein Foto eines ihm unbekannten Mannes. Schnaubend setzt er sich wieder vor seinen Computer und versuchte ruhig durchzuatmen. Das Foto in der linken Hand und die rechte Hand auf dem Herzen, die Anspannung legte sich jedoch nicht. Dann ertönte wieder dieses Geräusch und die Fratze erschein auf dem Bildschirm. Ein höhnischen Lachen ertönte, dann öffnete sich eine neue Nachricht: Töte diesen Mann. Du hast 24 Stunden Zeit. Sonst stirbt deine Frau. Auf der Rückseite des Fotos findest du Hinweise! Aus. Der Bildschirm war schwarz. Die Fratze verschwunden. Philip dreht vorsichtig das Foto um, so als könnten die Bildpunkte verrutschen. Dort standen eine Adresse und eine Uhrzeit. Julius-Leber-Straße Nummer 11, 21 Uhr. Philip war total verunsichert. Schweißtropfen rannen über sein Gesicht und tropften auf den Kragen seines Hemdes. Zögernd griff der Autor zum Telefon und wählte die Mobilnummer seiner Frau. Es meldete sich ihre Stimme, jedoch von der Ansage der Mailbox. Philip wollte gerade aufstehen, als erneut die Grimasse auf dem Monitor erschien. Eine verzerrte Stimme erklärte: Jetzt sind es nur noch 23 ½ Stunden. Beeil dich, denke an deine Frau! Töte ihn!

Die Gedanken überschlugen sich, alles geriet aus den Fugen. Philip stolperte von seinem Bürostuhl auf und ging in Richtung Ausgang. Auf dem Weg griff er sich seine Jacke, sein Handy, den Autoschlüssel und seine Brieftasche, die auf dem kleinen Schränkchen auf dem Flur lag. Apathisch öffnete er die Tür, ging vorsichtig einen Schritt hinaus und stieß im selben Moment gegen einen unbekannten Gegenstand, der am Boden auf der Fußmatte lag. Philip schaute sich nach allen Richtungen suchend um, nichts erschien ungewöhnlich. Schnell bückte er sich und nahm das Paket an sich und ging zurück ins Haus. Er riss das braune Packpapier auf und entnahm einen kleinen unscheinbaren Karton. Der Deckel ließ sich leicht öffnen, darin lag ein Revolver. Fast hätte Philip die Waffe fallen lassen. Mechanisch griff er danach und steckte den Colt wie selbstverständlich in seine Jackentasche. Dann verließ er das Haus und stieg in seinen Wagen.

Die Julius-Leber-Straße lag etwa zwanzig Autominuten von seinem Haus entfernt. Das Haus Nummer 11 lag nun direkt vor ihm. Er parkte seinen Wagen und stellte den Motor aus, dabei ließ er die Haustür des gelben Einfamilienhauses nicht aus den Augen. Wer dieser Mann wohl war? Warum sollte er ihn töten? War seine Frau in Gefahr? Er blicke ängstlich auf die Digitaluhr in seinem Auto. Nur noch knapp 22 Stunden, ging es durch seinen Kopf! Tatsächlich öffnete sich die Haustür und ein Mann näherte sich dem davor geparkten BMW. Philip duckte sich unweigerlich in Fond seines Wagens, so wie er es schon unzählige Male in Filmen gesehen hatte, wenn Detektive Personen observierten. Der Unbekannte stieg in seinen Wagen ein, schmiss den Motor an und fuhr los. Philip folgte dem Fahrzeug, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Die Fahrt ging quer durch die Stadt, scheinbar ziellos, bis der Wagen dann in die Einfahrt einer Tiefgarage fuhr. Philip folgte ihm nach einigen Momenten und parkte seinen Wagen nur wenige Meter neben dem BMW. Der Fremde stieg aus und Philip folgte ihm. Sollte er ihn schon hier erschießen? Jetzt sofort? Plötzlich auftauchende junge Leute beendeten seine Gedanken, denn Zeugen konnte Philip nicht gebrauchen. Ein Vibrieren in der Hosentasche meldete einen Anruf auf seinem Telefon an. Philip zog vorsichtig das Telefon aus der Tasche und schaute auf das kleine Display. Unbekannter Anrufer! Natürlich nahm der erfolglose Autor das Gespräch entgegen. Die Stimme seiner Frau war zu hören.

„Philip, du musst den Mann töten. Sonst töten sie mich! Philip, bitte, keine Polizei. Töte den Mann!“

Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Zitternd stand der besorgte Ehemann vor der Fahrstuhltür. Der Unbekannte war verschwunden. Frustriert kehrte Philip zu seinem Auto zurück und verließ das Parkhaus wieder. Er fuhr zurück nach Hause zu seinem Computer. Kaum hatte er den Wagen abgestellt rannte der Autor ins Haus und schaltete den Rechner ein. Die Minuten vergingen wie Stunden, dann erschien die Grundmaske, aber keine neue Nachricht, keine Fratze und Philip war fast so etwas wie enttäuscht. Ein erneuter Versuch seine Frau telefonisch zu erreichen, blieb erfolglos. Entmutigt schloss Philip die Augen und dachte angestrengt nach. Sollte er diesen unbekannten Mann töten? Was geschah, wenn er einfach alles ignorierte? Was hatte er denn damit zu tun? Wenn Giselle nun ermordet wurde? Plötzlich öffnete er die Augen und begann einen perfiden Plan zu durchdenken. Wenn er nichts tat, einfach alle Aufforderungen ignorierte, was würde dann geschehen? Er wäre wieder frei. Giselle hatte eine ziemlich hohe Lebensversicherung, die er selbst abgeschlossen hatte. Eine Million Euro. Liebte er seine Frau noch? Könnte er nicht auch ohne Giselle weiterleben? Blockierte sie ihn nicht sowieso bei der Arbeit? Er schüttelte sich, erhob sich vom Stuhl und ging im Büro auf und ab. Ein hämisches Grinsen erklang aus dem Lautsprecher des PCs. Sofort setzte sich Philip wieder vor den Monitor. Aber es war nur der grüne Untergrund und eine große 19. Nur noch 19 Stunden, dann lief das Ultimatum ab. Wenn er diesen unbekannten Mann ermorden wollte, dann musste es heute Abend um neun Uhr passieren. Ein Morgen würde es nicht geben. Philip wurde durch das Klingeln seines Telefons jäh aus den Gedanken gerissen. Am anderen Ende der Leitung war Ruth, die beste Freundin seiner Frau. Viel zu viel Gerede, um nichts, dachte Philip und versuchte das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Er erfand eine Ausrede, seine Frau sei einige Tage bei ihren Eltern zu Besuch und käme erst am Wochenende zurück. Damit war Ruth zufrieden und Philip legte den Hörer auf. Ohne den Rechner auszuschalten verließ der Krimiautor sein Haus und setzte sich ins Auto. Die Nachbarn, die zufällig nach vom Einkaufen nach Hause kamen, entdeckte ihn und drehten sich winkend zu ihm um. Philip bemerkte die Freunde allerdings nicht. Er hatte nur die Uhr im Kopf, die unaufhörlich weiter lief. Tick. Tick. Tick. Philip konnte an nichts anderes mehr denken. Er starte den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die beiden von Gegenüber schüttelten ihre Köpfe über solch eine Rücksichtslosigkeit.

Philip stand nun schon seit vier Stunden vor dem Haus Nummer elf in der Julius-Leber-Straße. Er hatte den Unbekannten weder kommen noch gehen gesehen. Alles war still. Dann, es war 20.45 Uhr, sah er ihn, wie er winkend aus der Haustür seines Hauses kam. Er rief noch etwas, was für Philip allerdings unverständlich blieb. Dann stieg er in seinen BMW und fuhr davon. Philip folgte ihm. Die Fahrt führte ihn quer durch die Innenstadt in ein abgelegenes Gebiet, in dem sich überwiegend große Lagerhallen und Industriebetriebe befinden. Der BMW fuhr an die Rückseite einer Lagerhalle und hielt an. Philip wartete in Sichtnähe mit laufendem Motor und ausgeschalteten Scheinwerfern. Dann stiegt der Fremde aus, sah sich suchend um und betrat durch eine kleine Metalltür die Halle. Philip folgte ihm, die Waffe hatte er in der Hand, er war bereit sie zu benutzen. Vorsichtig und extrem leise näherte er sich der Tür, die einladend offen stand. Drinnen war es schwarz wie die Nacht. Seinen Atem hatte Philip nicht mehr unter Kontrolle, sein Herz raste und die Hände waren klitschnass. Philip atmete tief aus und trat einen Schritt nach vorne, hinein in die Halle. Die Waffe im Anschlag war er angespannt und auf alles gefasst, auf fast alles. Man hörte einen Knall. Dann war Ruhe.

Giselle kam gegen 23 Uhr nach Hause. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Der erste Weg ging daher nach oben und unter die Dusche. Das Badehandtuch noch in der Hand, hörte sie, wie die Haustür geöffnet wurde. Schritte folgten, die die Treppe hinauf führten.

„Bist du es? Ist alles klar gegangen?“, fragte Giselle und kämmte sich gerade ihre langen Haare.

Es blieb still. Auch waren die Schritte verstummt. Giselle machte sich plötzlich Sorgen. Sollte da etwas nicht nach Plan verlaufen sein? Langsam wurde die Badezimmertür geöffnet, Giselle hatte sie nur angelehnt, nicht zugezogen.

„Lass das, komm rein!“, forderte sie den hinter der Tür stehenden Mann auf.

Doch es geschah etwas anderes, als sie erwartet hatte. Die Tür wurde plötzlich zugezogen und verschlossen. Den fehlenden Schlüssel hatte Giselle natürlich nicht bemerkt. Die Schritte entfernten sich. Giselle rief, und bat mit dem Unfug aufzuhören. Es blieb jedoch still. Irgendwann, Giselle hatte sich auf den Boden ihres Badezimmers sinken lassen, hörte sie wieder Geräusche und Schritte, die näher kamen. Eine Gestalt war hinter der Glasscheibe zu erkennen. Dann hörte sie das fiese Lachen und die Stimme sagte ihr, nun sei die Zeit abgelaufen. Die 24 Stunden wären verstrichen. Das Ultimatum sei abgelaufen. Nun müsse sie sterben.

„Was soll das? Lass mich hier raus!“, schrie die ängstliche Frau, die sich mittlerweile sicher war, dass irgendetwas an ihrem Plan nicht funktioniert haben musste.

Der Schlüssel wurde herumgedreht und die Tür öffnete sich langsam. Vor Giselle stand Philip.

„Du?“, fragte Giselle voller Erstaunen. „Ich denke du bist tot?“, entwich es ihr.

„Hat nicht geklappt. Dein Plan war nicht schlecht. Aber, du hast wohl nicht damit gerechnet, dass ich eins und eins zusammenzählen kann!“, konterte Philip.

„Zieh dich an. Wir fahren noch einmal weg. Beeil dich. Die Uhr tickt auch für dich, meine Liebe!“, forderte Philip seine Frau auf und lachte dabei zynisch.

Kurze Zeit später saßen die Eheleute im Auto und Philip fuhr erneut zum Industriegebiet der Stadt. Noch immer stand an der Hinterseite der Lagerhalle der BWM des Fremden. Philip parkte seinen Wagen in sicherem Abstand und zerrte seine Frau aus dem Wageninneren. In der Lagerhalle angekommen warf er sie mit einem harten Schlag auf den Boden. Sie fiel auf etwas Weiches und schrie so laut sie nur konnte.

„Sinnlos meine Liebe. Hier ist keine Menschenseele, die dir helfen kann.“

Philip schlug seiner Frau ins Gesicht, nahm ihre rechte Hand und drückte ihr die Waffe hinein. Gleichzeitig löste sich gewollt ein Schuss, der gegen die Deckenplatten der Lagerhalle knallte.

„So meine Liebe, nun noch ein Schuss, dann hat die liebe Seele Ruh!“, erklärte Philip.

„Was? Du willst mich auch töten? Ich soll sterben?“, fragte Giselle weinend und sie versuchte aufzustehen und strampelte wild um sich.

Plötzlich war die Lagerhalle hell erleuchtet. Überall an den Decken und Wänden standen große Strahler, die nun wie von Geisterhand eingeschaltet wurden. Philip war so erschrocken, dass er die Waffe fallen ließ. Einer der Uniformierten sprang aus dem Hinterhalt hervor und schoss die Waffe mit seinem Fuß außer Reichweite. Zwei weitere Beamte schmissen sich auf Philip und legten ihm Handschellen an. Giselle erhob sich und wankte zur Tür, um ins Freie zu gelangen.

Ein Beamter der Polizei, der vor der Tür Wache geschoben hatte, näherte sich der erschöpften Frau.

„Ich hoffe, Sie haben keinen Schaden genommen. Geht es Ihnen gut?“, fragte der Zivile und legte dabei seine Hand auf ihren Arm.

Giselle nickte und erklärte, sie wolle nun nur noch nach Hause.

„Ich muss erst einmal damit fertig werden, dass mein Mann mich ermorden wollte. Ich kann es immer noch nicht glauben! Vielen Dank, dass Sie mir geglaubt haben. Sonst wäre ich sicherlich jetzt im Jenseits!“

Damit verabschiedete sich Giselle und wurde von einem Beamten nach Hause in ihr kleines Reihenhaus gefahren. Sie öffnete die Haustür und ging ins Wohnzimmer um die Jalousien zu schließen. Dann schaltete sie das Licht an und setzte sich lächelt auf ihr Sofa zu ihrem Freund.

„Es hat alles geklappt. Genauso wie du es gesagt hast. Ich liebe dich und wir werden eine schöne Zeit zusammen haben. Was passiert jetzt eigentlich mit dem BMW? Er stand noch vor der Lagerhalle.“

„Den habe ich gestohlen. Keine Ahnung. Kümmern wir uns um die wirklich wichtigen Dinge!“

Marcel, so hieß der Unbekannte, legte seinen Arm um Giselle und sie küssten sich zärtlich. Auf dem Kamin stand die kleine, goldene Uhr, die sie von Philip zur Hochzeit bekommen hatte. Sie tickte leise und unaufhörlich….

Kluntjes zum Abend

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