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Originalausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2016

Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Lektorat Uwe Naumann

Umschlaggestaltung any.way, Walter Hellmann

Illustration Marina Lohrbach/iStockphoto.com

Satz Dörlemann Satz, Lemförde

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN 978-3-644-05361-8

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-05361-8

Die Mehrzahl der Texte erschien zuerst in «Cicero – Magazin für politische Kultur» als Teile der Artikelserie «Mein Schüler». Die Gespräche wurden in Form von Interviews aufgezeichnet und anschließend gekürzt und in eine Chronologie gebracht.

«Kannst du nicht mal lustig sein, Angela?»

Erika Benn war die Russischlehrerin von Angela Merkel (CDU). Merkel machte 1973 das Abitur an der Erweiterten Oberschule (EOS) in Templin.

Ich erinnere mich noch gut an Angela. Ein schlankes, sehr schlankes Mädchen. Sie war in der achten Klasse der Erweiterten Oberschule in Templin, und ich habe damals neben der Schule einen freiwilligen Russischunterricht für besonders begabte Schüler angeboten. Das hatte die Abteilung Volksbildung organisiert, es nannte sich Russisch-Klub. Jeden Sonntag trafen wir uns in meiner Wohnung.

Angela war das, was man heute «hochbegabt» nennen würde, aber den Ausdruck gab es seinerzeit nicht. Bei uns hieß das einfach: sehr gut. Und die Angela – die damals noch Angela Kasner hieß – war richtig gut. Das lag vor allem an ihrem Fleiß und ihrem Wollen. Sie war sehr ehrgeizig und hat zum Beispiel nie Grammatikfehler gemacht. Ich hatte nie Ärger mit ihr, und sie hat immer gemacht, was ich gesagt habe. Und sie hat immer die Texte gelernt, auch Texte über Lenin, wenn das gerade dran war.

Was sie aber erst lernen musste, war, freundlich zu sein. Na klar, sie war ja sehr ernst und nicht so aufgeschlossen wie ihre Mutter, die immer eine sehr fröhliche Person war. Ich habe immer zur Angela gesagt: «Kannst du nicht mal ein bisschen fröhlich und ein bisschen lustig sein? Mal ein paar Bewegungen machen oder so?» Dann hat sie nüscht gesagt, aber sie wird das schon verinnerlicht haben. Denn bei der Spracholympiade hat sie ja dann trotzdem die volle Punktzahl bekommen, und Punkte gab es auch für das Auftreten. Diese Spracholympiade hat die Angela damals in der Schule gewonnen. Dann kam die Olympiade für den Kreis Templin, die hat sie auch gewonnen. Dann kam der Bezirk Neubrandenburg, den hat sie auch gewonnen. Und schließlich hat sie sogar in Berlin gewonnen.

Aber nach der Olympiade hab ich Ärger bekommen. Da gab es eine Parteiversammlung, in der Schulergebnisse ausgewertet wurden. Und dieser eine Schulrat sagte ganz wütend, es wäre ja keine Kunst, Arzt- und Pfarrerskinder zu fördern. Es war eben wichtig, Arbeiter- und Bauernkinder zu fördern. Ich stotterte dann irgendwas wie: Ich kann ja ooch nüscht dafür, wenn die so gut ist! Dann habe ich ein bisschen geheult, weil ich das so ungerecht fand. Sitzen Sie mal in so einer Parteiversammlung! Und ich war ja auch noch jung, ist ja 50 Jahre her.