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Wilfried Feichtinger
Eva Stanzl

Kinderwunsch
und Lebensplan

Chancen und Herausforderungen der Reproduktionsmedizin

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www.kremayr-scheriau.at

eISBN 978-3-7015-0607-1

Copyright © 2009, überarbeitete Fassung 2018 by Orac/Verlag Kremayr & Scheriau KG, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Schutzumschlaggestaltung: Christine Fischer unter Verwendung eines Fotos von DONOT6_STUDIO / shutterstock

Lektorat: Doris Schwarzer/Stefanie Jaksch

Typografische Gestaltung: Ekke Wolf, typic.at

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kinderwunsch und Lebensplan

Aufgehoben ist oft aufgeschoben

Kapitel 2

Warum wir planen müssen, was wir nicht planen können

Gesellschaftliche Gründe, warum wir immer später Kinder kriegen

Kapitel 3

Frauen »werden« schwanger, Männer »machen« schwanger Oder: Je länger man wartet, desto schwieriger wird es

Gesellschaftliche Gründe können medizinische Gründe zur Folge haben

Kapitel 4

Was einer Empfängnis innerlich im Wege stehen kann, ist vielgestalt

Unerfüllter Kinderwunsch kann auch in Wechselwirkung mit der Psyche stehen

Kapitel 5

Wie die Medizin heute helfen kann

State of the Art: Untersuchung und medizinische Behandlungsmethoden

Kapitel 6

Zukunftsvisionen der Medizin

Wie die Fähigkeit, zu zeugen und zu empfangen, erhöht werden kann

Kapitel 7

Vorbeugen ist besser als Heilen

Was wir besser machen könnten

Vorwort

Ein Kreislauf

In Mitteleuropa ist eine Zunahme an Menschen zu verzeichnen, die sich gegen ein eigenes Kind entscheiden. Zusätzlich scheint es mittlerweile endlich auch akzeptiert zu sein, dass die eigene biologische Mutterschaft beziehungsweise Vaterschaft eben nur eine (vielleicht sogar in der Vergangenheit oft überschätzte) von vielen möglichen Komponenten jener großen Bandbreite an Facetten ist, die sich unter dem Überbegriff »Familie« subsumieren lassen. Freunde oder Verwandte, denen etwa – trotz ihres Singledaseins ohne eigene Kinder – die Kinder anderer nicht egal sind, Adoptionen, gleichgeschlechtliche Beziehungen, Patchwork-Familien und vieles mehr sind zu Recht in Zahl und Akzeptanz zunehmende Aspekte dieses angesprochenen Spektrums. Und trotzdem – für viele Menschen ist die Erfüllung des Wunsches nach eigenen Kindern immer noch von zentraler Bedeutung.

Ob nun die Zahl jener Paare, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können, zunimmt/zunahm oder nicht: Die Reproduktionsmedizin mit ihrem Ziel der Hilfestellung bei unerfülltem Kinderwunsch hat seit ihren ersten Schritten vor etwa vier Jahrzehnten in unseren Breiten enorm an Bedeutung gewonnen. Es ist absolut selbstverständlich, dass man all jenen Paaren, die die Hilfe moderner Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen, den gleichen Respekt und die gleiche Akzeptanz zuteilwerden lässt wie allen anderen Vertretern der verschiedenen Aspekte »familiären« oder eben nicht mehr so familiären Zusammenlebens beziehungsweise Engagements. Allerdings: Obwohl das öffentliche Gesundheitssystem mittlerweile in vielen Ländern diese Gleichwertigkeit dadurch zum Ausdruck bringt, dass ein Großteil der für reproduktionsmedizinische Dienstleistungen anfallenden Kosten übernommen wird, gibt es betreffend Toleranz und Akzeptanz leider immer noch Nachholbedarf.

Sie werden zwar immer weniger, aber es gibt noch zu viele, die der Reproduktionsmedizin und damit auch jenen, die sie in Anspruch nehmen, reserviert gegenüberstehen. Die Begründung dafür wird wohl in bestimmten Ängsten zu suchen sein, die so manche in Verbindung mit den aktuellen und noch kommenden wissenschaftlichen oder medizinischen Errungenschaften moderner Reproduktionsmedizin haben. Viele davon mögen unbegründet sein, andere mögen aber ihre Berechtigung haben.

Wer ist in unseren Breiten nicht ein glühender Anhänger der Demokratie? Auch wenn wir doch wissen, dass Demokratie nicht immer notwendigerweise Garantien für ethische Lösungen bieten kann, weil Mehrheiten eben nicht immer Recht haben. Und doch bin ich zutiefst davon überzeugt, dass es für eine weitere Zunahme der Akzeptanz moderner Reproduktionsmedizin unbedingt notwendig ist, einen – den – demokratischen Diskurs stets auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft im Lauf zu halten. Nicht alles Machbare soll automatisch gemacht werden. Der Fortschritt braucht auch Restriktionen. Andererseits müssen Patienten stets dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechend behandelt werden.

Um Abwägungen dieser Art zu ermöglichen, muss eine breite öffentliche Diskussion über alle Pros und Contras geführt werden. Die Ergebnisse einer solchen breiten, informierten, konstruktiven Diskussion müssen in Gesetze gegossen werden, innerhalb deren Rahmen sich die Reproduktionsmedizin, so wie alle anderen medizinischen Fachbereiche, bewegen soll und darf.

Zu den wohl wichtigsten Instrumenten, um diesen Kreislauf in Gang zu bringen, gehören Bücher wie das hier vorliegende von Eva Stanzl und Wilfried Feichtinger. Dieses Buch ist aus einer Interaktion entstanden, die, obwohl sie eigentlich vollkommen unverzichtbar geworden ist, trotzdem leider noch viel zu selten stattfindet. Hier interagiert eine Journalistin mit einem Mediziner/Wissenschafter – zwei Experten also, der eine für einen medizinischen Fachbereich, die andere für die Vermittlung komplexer Zusammenhänge in für den Laien verständlicher Art und Weise. Reproduktionsmedizin mit all ihren naturwissenschaftlichen, humanmedizinischen, psychologischen und gesellschaftlichen Aspekten war das Thema dieser Interaktion. Lesen Sie, unterhalten Sie sich und werden Sie Teil des Kreislaufs.

Markus Hengstschläger, Oktober 2018

Kapitel 1

Kinderwunsch und Lebensplan

Aufgehoben ist oft aufgeschoben

Es ist ein Wunder, sagt das Herz.

Es ist eine große Verantwortung, sagt der Verstand.

Es ist viel Sorge, sagt die Angst.

Es ist eine enorme Herausforderung, sagt die Erfahrung.

Es ist das größte Glück, sagt die Liebe.

Vor knapp einem Jahr wäre Ulrike nicht auf die Idee gekommen, diese Sätze zu schreiben, obwohl sie sich mit dem Thema täglich auseinandersetzte. Sie schickte sie jetzt an ihr Behandlungsteam, nachdem sie ihr Baby bekommen hatte, als ehemalige Kinderwunsch-Patientin. Doch was empfinden Frauen und Männer, die sich Kinder wünschen, deren Wunsch aber nicht in Erfüllung geht?

Die ersten Jahre reden sie kaum vor Dritten darüber. Das Thema ist nun einmal unter der Gürtellinie angesiedelt und erscheint schon allein deshalb als zu persönlich, um es bereitwillig zu diskutieren. Der Partner könnte verletzt werden, jedenfalls der unfruchtbare Teil der Verbindung. Selbst unter Aufgeklärten und Sachorientierten könnten Gespräche über einen unerfüllten Kinderwunsch immer noch als Tratsch und in Form banaler Witze ihr Publikum finden. Schon zu Großmutters Zeiten war das so. Dass es bei der oder der »nicht klappte«, wurde allenfalls hinter vorgehaltener Hand thematisiert. Darauf, dass der Mann die Ursache sein könnte, kam man gar nicht, wurde doch seine seine Zeugungsfähigkeit als gegeben angenommen und schien daher jenseits möglicher medizinischer Komplikationen.

Der diskrete Umgang mit dem Thema geht auf archaische Verhaltensmuster zurück, die aber in unserer Gesellschaft – wenn auch in stark abgeschwächter Form – immer noch anzutreffen sind. Ihren ursprünglichen Stellenwert erkennen wir anhand heute noch konservativ erhaltener Kulturkreise, in welchen die kinderlos gebliebene Frau verstoßen und der fälschlicherweise für impotent gehaltene Mann allgemeiner Verachtung ausgeliefert wird.

Im krassen Gegensatz zum Verdrängen und Verschweigen steht die Allgegenwart des Themas in den Medien. Womit wir uns die Logik der Schlagzeilenmacher vergegenwärtigen müssen. Denn anders als bei den Tagesmeldungen aus Politik und Wirtschaft gilt: Nachrichten aus der Welt der Medizin müssen gute Nachrichten sein, um Schlagzeilen zu machen. Denn sie stehen für den Fortschritt.

Dazu ein paar Beispiele zum Vergleich:

»Krebspatient geheilt!« wird auf mehr Interesse stoßen als »Weiterhin keine Heilung für Krebspatienten«, wiewohl letztere Schlagzeile ein Drama mit bösem Ausgang erahnen lässt.

»HIV-Impfstoff entdeckt« würde sofort die Titelseiten beherrschen, »Kein Fortschritt bei Suche nach HIV-Impfstoff« hingegen im Kleingedruckten zu finden sein.

»Prinzessin erwartet ein Baby« als Schlagzeile wäre durchaus imstande, die Fadesse beim Friseur aufzumischen, hingegen wäre »Prinzessin erwartet kein Baby« der Langweiler der Woche.

Wenn also Nachrichten aus der Welt der Medizin nach dem Prinzip »nur gute Nachrichten« gesiebt werden, dann ist es nicht weiter verwunderlich, dass kinderlos Gebliebene versucht sind, an Wunder zu glauben. Jetzt, wo sie ihre Familienplanung nicht in den Griff bekommen haben, würde die Medizin helfen, sind sie versucht anzunehmen.

»Das geht doch heute alles eh schon viel länger«, sind die vermeintlich beruhigenden Worte, die Frauen Ende 30, die noch keine Kinder haben, jedoch die biologische Uhr ticken hören, von ihren Freundinnen gesagt bekommen, wenn sie ihre Sorge aussprechen, dass sie am Ende kinderlos bleiben könnten. Und die sie wohl manchmal auch zu sich selbst sagen. Statt die Fakten zu registrieren, ernst zu nehmen und das Problem anzusprechen, beschließen sie zuzuwarten und allenfalls später einmal zum Arzt zu gehen. Übersehen oder verdrängt wird dabei: Auch die Götter in Weiß können die biologische Uhr nicht zurückdrehen.

Dieses Buch wendet sich sowohl an jüngere Menschen, um die Bedeutung einer rechtzeitigen Familienplanung zu verdeutlichen, als auch an derzeit noch Kinderlose, um die Möglichkeiten, die die Medizin heute bietet, zu beschreiben.

Dazu zitieren wir aus einer Auswertung einer Internetumfrage des Online-Magazins beQueen. Dieses Startup-Unternehmen des Burda-Verlags, das 2011 übernommen wurde, hatte die Blattlinie »Die Leserin ist Königin«. Darunter verstanden die Herausgeber, dass die Inhalte ausschließlich von ihren Leserinnen und Lesern kommen sollten: Was diese anregten, wurde thematisiert und gebracht. Somit stellte beQueen eine Art Spiegel der Gesellschaft und eine Vorreiterin der sozialen Medien dar, allerdings waren die Inhalte professionell in journalistische Formate übersetzt. Den Leserinnen des Online-Magazins lag unter anderem das Thema Kinderwunsch und dabei vor allem der Zeitpunkt seiner Verwirklichung besonders am Herzen.

465 Personen, davon 93 Prozent Frauen und 7 Prozent Männer, beteiligten sich an einer Umfrage zum Thema »Kinderwunsch und Lebensplan«.

76,5 Prozent der Befragten hatten damals noch kein Kind, wünschten sich aber zu einem späteren Zeitpunkt mindestens eines. 9,5 Prozent hatten schon ein Kind und wünschten sich weiteren Nachwuchs.

Knapp 29 Prozent der Befragten sagten, sie würden sich von ihrem langjährigen Partner trennen, falls dieser unter keinen Umständen Kinder wolle.

46 Prozent der Befragten hielten das Alter zwischen 26 und 30 Jahren für besonders geeignet, um gezielt nach einem Partner für die Familiengründung zu suchen.

57 Prozent der befragten Frauen wollten mindestens zwei bis fünf Jahre Berufserfahrung vor einer Familienpause einplanen, um anschließend ihrer Meinung nach wieder gut in den Beruf einsteigen zu können.

47 Prozent der befragten Frauen gingen davon aus, dass eine Elternzeit negative berufliche Konsequenzen nach sich zieht, denn

68 Prozent würden ihr Kind bis zu einem Alter von zwei Jahren gerne ganztags selbst betreuen.

Soweit die Ergebnisse der Umfrage.

Aus eigener Erfahrung fügen wir hinzu:

Als Wissenschaftsjournalistin des Fachgebiets und als Arzt, der täglich mit Fällen von unerfülltem Kinderwunsch konfrontiert ist, wissen wir, dass besonders Frauen ungewollt und mangels rechtzeitiger Planung Gefahr laufen, das Kinderkriegen zu verpassen.

Zwar ist uns bewusst, dass das nicht für alle ein Problem ist – wie Ulrike Stelzl, Wahlärztin für Allgemeinmedizin in Graz, in einer ihrer wöchentlichen Kolumnen im Fachmagazin Medical Tribune auf humorvolle Art und Weise beschreibt:

»Letztens sagt ein Bekannter zu mir: ›Du bist 40, du musst jetzt wirklich schauen, dass du endlich schwanger wirst. Sonst wirst du hochneurotisch und über die Sinnlosigkeit des Lebens jammern. Dann wirst du dir zwei Katzen zulegen und spinnen.‹ Natürlich war ich geschockt, doch dann habe ich gedacht: Ich habe einen wunderbaren Partner, einen Beruf, den ich liebe, tolle Menschen um mich herum: Eine Katze wird reichen!«

(Medical Tribune, 25. März 2009)

Jedoch wissen wir auch, dass viele andere sich Kinder ganz besonders wünschen.

In der Regel beginnt bei Frauen ab dem Alter von 35 Jahren die sogenannte biologische Uhr zu ticken, bei Männern ab Mitte 50. Gerade dann stehen aber viele auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und haben nur noch wenige Jahre, um ihren Kinderwunsch in die Realität umzusetzen. Sie verspüren dann den Druck, eine Entscheidung treffen zu müssen: Möchte ich noch ein Kind oder möchte ich keines? Passt die Situation überhaupt? Soll ich meine Laufbahn wirklich jetzt unterbrechen – oder doch noch ein bisschen warten? Viele geraten in einen Konflikt zwischen persönlichen Wünschen und Karriereplanung.

Zwischen Sorge und Trost spendenden Hoffnungen in die Medizin sind sich viele noch kinderlose Frauen und Männer zudem nicht voll und ganz bewusst, wie sehr das Alter die Möglichkeit Kinder zu bekommen beeinträchtigt. Abha Maheshwari und ihr Team von der Universität Aberdeen hat 724 Frauen befragt, die entweder bereits schwanger waren oder Reproduktionsmediziner besuchten, weil sie nicht schwanger wurden. Zwar war den meisten von ihnen bewusst, dass die Fruchtbarkeit nach und nach abnimmt. Jedoch wusste ein überraschend hoher Prozentsatz nicht, in welch frühem Lebensalter das Risiko zunimmt, nicht schwanger werden zu können. Weitverbreitet war hingegen das Hoffen auf und Glauben an die »letzte Möglichkeit« der In-vitro-Fertilisation (IVF).

»Besonders Frauen, deren fruchtbares Alter in der Regel kürzer ist als das von Männern, sollten sich voll und ganz im Klaren sein über die Risiken ihrer Entscheidung, eine Schwangerschaft aufzuschieben«, subsumiert Maheshwari in der Fachpublikation Fertility & Sterility. Und weiter: »Unsere und andere Studien zeigen, dass Frauen dringend ausführliche Informationen erhalten sollten über die möglichen Folgen einer solchen Entscheidung.«

Die Auswertung der Fragebögen der 362 schwangeren Frauen und der 362 Frauen in Kinderwunsch-Behandlung zeigte, dass sich 85 Prozent derer mit Fruchtbarkeitsproblemen und 76 Prozent der bereits Schwangeren im Klaren waren, dass die Fruchtbarkeit im Alter zwischen 30 und 40 Jahren abnimmt. Ein guter Schnitt, könnte man meinen. Die Wissenschafter sehen es anders. Maheshwari bezeichnete die Tatsache, dass »so wenig« Bewusstsein über das Ablaufdatum der Fruchtbarkeit existierte, als ähnlich überraschend, wie wenn die übrigen 15 beziehungsweise 24 Prozent an den kinderbringenden Storch glauben würden. In unseren aufgeklärten Zeiten, meinten sie, müsste eigentlich jede und jeder vollständig informiert sein.

Parallel dazu wird eine Werte-Debatte zu den ethischen Implikationen der Reproduktionsmedizin geführt. Ihre Proponenten hinterfragen, ob medizinische Methoden, bei denen der Sexualakt von der Fortpflanzung getrennt wird, mit christlich-westlichen Grundwerten vereinbar sind. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage, wann das Leben beginnt, und dass man diesem seinen Lauf lassen und nicht eingreifen sollte. Wie schmerzhaft aber ein unerfüllter Kinderwunsch sein kann, diskutieren diese Ethiker nicht. Kaum jemand thematisiert öffentlich »Sehnsucht nach Kind«.

Was »Kinderwunsch« alles bedeuten kann, zeigen im Folgenden Auszüge aus Vorsprachen in der Ordination, Interviews und Gesprächen im Freundes- und Bekanntenkreis zu den Themen »Leben mit Kindern«, »Leben ohne Kinder« und »Kinderwunsch«. Sie illustrieren auch die Motivationen für unterschiedliche Formen der Lebensplanung und die Umstände, die dazu führen können, dass Menschen Kinder bekommen – oder eben nicht.

Wir beginnen mit generellen Überlegungen und gehen weiter zu unerfülltem Kinderwunsch bis hin zu erfülltem Kinderwunsch und Familienleben. Die Namen wurden auf Wunsch der Gesprächspartnerinnen und -partner geändert.

»… Vater und Mutter und Kind«

Virginia (36), Doktorandin

»In der Pubertät hatte ich die Vorstellung, dass ich mit 28 Jahren verheiratet sein und das erste Kind bekommen würde. Vielleicht kam die Idee daher, dass meine Mutter genauso alt war, als ich zur Welt kam. Wenn man das bedenkt, habe ich eigentlich mit 20 viel zu früh geheiratet. Es war eine Liebesheirat, aber auch eine, die einem Mann den Aufenthalt in Österreich ermöglichen sollte. Ich dachte, es ist ja nur ein Stück Papier, und wenn es ihm hilft, dann gerne, denn ich liebe ihn.

Bald kam das Thema Kinder zur Sprache. Seit ich 16 war, hatte ich die Pille genommen. Mein Vater hatte mich damals zum Frauenarzt geschleppt, weil ich einen Mann geküsst hatte und er Angst hatte, dass ich sofort schwanger werden könnte. Und nun wollte mein Mann unbedingt Kinder und ich dachte: ja, warum nicht jetzt. Ich setzte die Pille ab, wurde aber nicht schwanger. Es ging der eine und andere Beziehungsstreit los, jedoch war mir klar, dass Kinderkriegen eine Verantwortung ist, für die die äußeren Umstände passen müssen. Mein Mann entpuppte sich als sehr eifersüchtig. Er begann Drogen zu nehmen. Ich war nicht mehr sicher, ob die Beziehung Zukunft haben würde. Ein Jahr später haben wir uns getrennt.

Danach dachte ich nicht mehr über Kinder nach, sondern darüber, was ich mit meinem Leben anfangen würde. Ich zog von Salzburg nach Wien und machte die Aufnahmeprüfung an der Akademie für die Restaurierungsklasse, wo ich dann auch studierte.

Während des Studiums hatte ich eine zehnjährige Beziehung mit einem wahnsinnig liebevollen Mann, der mir am Anfang irrsinnig viel gegeben hat. Wir hatten den Traum, irgendwann später nach meinem Abschluss Kinder zu bekommen, und zwar mit der Vorstellung, dass ich arbeiten würde und er auf die Kleinen aufpasst. Aber es war immer ein ›Schmähgespräch‹ ohne Schritte zur Umsetzung. In dieser Zeit bekam ich allerdings immer wieder die Regel zu spät – obwohl unsere Sexualität nicht herausragend gut funktionierte.

Heute bin ich mit einem Mann zusammen, mit dem die Sexualität sehr gut klappt, und auch die Regel kommt regelmäßig. Wenn ich jetzt überlege, ob ich gerne ein Kind hätte, dann stelle ich paradoxerweise fest, dass ich mich immer unreifer fühle, je älter ich werde. Mit 20 denkt man, alles geht immer irgendwie. Die letzten 15 Jahre habe ich nach diesem Motto durchgestanden: Es ging immer irgendwie. Aber die Erfahrung zeigt, was alles passieren kann, und ich bin nachdenklich. Ich hoffe, dass sich mit einer Schwangerschaft mehr Zuversicht über das Mutter-Kind-Gefühl einstellt. Denn ich möchte kein Kind zur Erfüllung meiner Erwartungshaltungen und keine Alleinerzieherin sein. Wenn schon, dann brauche ich die ganze, gute, alte Familie – also Vater und Mutter und Kind, die füreinander da sind. Zwischen Mann und Frau sollte es so funktionieren, dass man sagt: Wir hätten gerne ein Kind und wir möchten etwas weitergeben.«

»… daran denken, was endlich ist«

Karin (44), Zahntechnikerin und Michael (46), Zahntechniker

Karin: »Es ist immer so viel passiert, dass das Kinderkriegen nicht passierte. Sie müssen wissen, seine und meine Eltern waren im Alter sehr krank. Da lebt man mit, und zwar von Arzttermin zu Arzttermin und bis die nächste Rettung kommt.«

Michael: »Es summieren sich Minuten. Und aus Minuten werden Stunden und Wochen und Jahre. Mein Vater hatte praktisch alle Krankheiten, der war schon krank, als ich ein Kind war. Ich musste immer ruhig sein, man hat mir immer gesagt: ›Mach keinen Wirbel, der Papa ist krank.‹«

Karin: »Wir sind seit 25 Jahren zusammen, aber wir haben schon miteinander Schulaufgaben gemacht. Dann haben wir die Zahntechniker-Lehre gemacht. Ein Paar wurden wir nach der Gesellenprüfung. Da war ich 19 und er 21. Dann waren wir tanzen. Wir waren sechs Jahre lang Turniertanzen, es verging kein Tag ohne Tanzen. Damals haben wir noch nicht an Kinder gedacht, ich hab eine Wohnung gekauft, den Führerschein gemacht.«

Michael: »Ich hab nebenbei noch die Abendmatura gemacht.«

Karin: »Wir sind lange nicht zusammengezogen, denn wir haben – beide – immer unsere Mütter bei uns gehabt und wir haben ihnen geholfen. Und die sagten uns immer: ›Schaut, dass ihr ja keine Kinder bekommt.‹ Warum die immer so gegen Kinder waren, habe ich nicht verstanden.«

Michael: »Bei so vielen Krankheiten wie in unseren Familien wird man vorsichtig.«

Karin: »Die Krankheit meiner Mutter war sehr arg. Sie hatte einen kindskopf-großen Tumor und ich hab ihr das alles gemacht und verbunden, das hat fünf Stunden am Tag gedauert. Wir hatten in dieser Zeit eineinhalb Jahre keinen Sex.«

Michael: »Wenn man solche Arbeiten verrichtet, dann kühlt sich das ab. Du kommst nicht nach Hause mit einer Rose zwischen den Zähnen und sagst: ›Hier bin ich, mein Schatz.‹«

Karin: »Ich konnte es vor allem seelisch nicht, mich vergnügen, wenn meine Mama so krank ist. Nachdem sie gestorben war, hatte ich prompt einen Bandscheibenvorfall.«

Michael: »Ja, das war schlimm. Aber auch sonst war alles so wahnsinnig kompliziert und umständlich.«

Karin: »Kannst’ dich erinnern, wie wir den Garten dazugekauft haben? Meine Eltern hatten einen Schrebergarten, aber da war nie Platz für uns. Und deswegen haben wir einen eigenen Garten gekauft, weil wir dachten, wir bauen ein Häuschen für uns. Na das war ein Wahnsinn! (lacht) Da haben wir vier Jahre geschuftet, die haben uns das Fundament schief betoniert, dann waren die Kanäle verschmutzt – aber gut, wir haben halt geglaubt, es ist eine gute Idee. Aber wie das fertig war – zwischen 1995 und 2000, da hätten wir’s tun sollen: Da hätten wir ein Kind machen sollen. Ab 2000 war meine Mutter krank und davor wäre es gut gewesen.«

Michael: »In dieser Zeit haben wir ja auch eine Weltreise gemacht. Und eine größere Wohnung gesucht. Aber wir haben keine gefunden, also nicht eine, die so war, wie wir sie wollten und die wir uns halt auch leisten hätten können.«

Karin: »Wir haben damals weniger Geld gehabt als jetzt und ich wollte nie ein Kind haben, so wie ich eines war – nach dem Motto: ›Krieg ein Kind und das geht dann schon irgendwie.‹ Ich selber bin als Kind immer so mitgerannt. Meine Mutter hat sich scheiden lassen, als ich drei Jahre alt war, und dann zog sie mich alleine groß. Ich hatte nie ein eigenes Zimmer und niemand kümmerte sich um mich. Zu meinem Vater hatte sie keinen Kontakt mehr, ich habe nie wieder etwas gehört von ihm, und wahrscheinlich hat sie mir immer gesagt: ›Nur keine Kinder‹, weil sie es selbst so schwer hatte. Ich hatte jedenfalls als Kind von meiner Mutter wenig. Ich war zuerst bei der Großmutter und dann im Halbinternat. Wenn ich also selber ein Kind habe, dann will ich Zeit dafür haben.«

Michael: »Bei mir war es genau das Gleiche, meine Mutter hat bei uns alles entschieden. Mein Vater war sehr krank, und bei uns ging es sich finanziell und gesellschaftlich gerade so aus. Und weil das alles so knapp war, hat es immer geheißen: ›Du musst dich zusammenreißen, Michael.‹ Ich wollte Gitarre lernen, die haben mich gefragt, ob ich spinne.«

Karin: »Es gibt Leute, die sind schon ganz jung erwachsen. Dazu gehören wir beide nicht. Ich hab mir als junger Mensch jedenfalls nie vorgestellt: Ich will zwei Kinder, denn das wusste ich nicht. Jetzt will ich es, weil ich die Torschluss-Panik habe. Ein Kind ist das Einzige, was bleibt, es ist die einzige Möglichkeit zu sagen, ich war für irgendetwas gut, es ist unser Bestimmungszweck und der Grund, warum wir da sind. Aber das habe ich erst jetzt begriffen. Und dazu kommt: Ich fühle mich ohne Kind nicht ganz als Frau.«

Michael: »Titel, Studien – ist alles wunderbar. Aber ein Kind ist das Wichtigste. Obwohl: Meine Mutter hat mich auch erst mit 40 bekommen.«

Karin: »Als ich 40 war, fanden wir endlich eine Wohnung, familiengerecht wie wir sie uns vorgestellt hatten. Und dann haben wir gesagt: Jetzt heiraten wir endlich auch noch kirchlich.«

Michael: »Ein bisserl ›überwuzelt‹ waren wir schon, aber es war schön.«

Karin: »Dann haben wir die neue Wohnung eingerichtet und die alte verkauft. Jetzt wünsche ich, dass es klappt mit unserem Baby.«

Michael: »Jetzt hätten wir Zeit und den Platz. Ein eigener Schreibtisch, eine Lampe, ein Sessel, alles da, was ein Kind braucht.«

Karin: »Wir haben uns beide viel zu sehr eingelassen auf das, was unsere Familien brauchten.«

Michael: »Das Problem ist, wir waren nicht egoistisch genug. Wenn ich noch einmal 20 sein könnte, würde ich mehr daran denken, was endlich ist, und mir nicht so viel einreden lassen.«

Karin: »Und ich würde mir ein Kind nicht so sehr wünschen, wenn ich nicht so einen Partner hätte, wenn ich ihn nicht hätte. Man sagt immer, man soll für einen Mann nicht die Hand ins Feuer legen, aber für ihn würde ich das sofort machen.«

»… ich bin mir genug«

Doris (41), Marketingleiterin