Aiken, G. A. Lions - Fährte der Lust (New York Shape Shifters 6)

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Übersetzt aus dem Amerikanischen von Doris Hummel

 

© dieser Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2020
© Shelley Laurenston 2011
© Deutsche Erstausgabe 2014
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Big Bad Beast«
© Kensington Publishing, New York 2011
© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2014
Covergestaltung: Cover&Books by Rica Aitzetmüller
Covermotiv: stock.adobe.com

 

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Prolog

Es wäre nicht seine erste Wahl für ein Treffen wie dieses gewesen, aber in Anbetracht der Tatsache, mit wem er sich traf, um diese wichtige Angelegenheit zu besprechen, war er gewillt, eine gewisse Flexibilität an den Tag zu legen. Aber wenn er ehrlich war, war es Niles Van Holtz – Van für seine Familie und Freunde – durchaus recht, dass dieses Treffen auf einer großen Freifläche und auf neutralem Gebiet stattfand, umgeben von einer Menge Menschen.

Er stieg aus dem Wagen und erlaubte seinem jungen Cousin, ihm zu folgen. Der sechsjährige Ulrich verbrachte den Sommer bei Van und dessen Gefährtin Irene, da, wie seine noch relativ frisch angetraute Braut es ausdrückte, »der junge Mann jetzt begreifen muss, dass sein Vater ein Idiot ist, und nicht erst später, wenn der Schaden bereits angerichtet ist«. Der Junge war allerdings keine besonders große Herausforderung. Er las ununterbrochen oder arbeitete in der Küche an seinen Messerkünsten. Er brauchte noch nicht einmal einen Fernseher, da er allem Anschein nach der Ansicht war, dieser lenke ihn nur von seinen Büchern ab. Anfangs hatte er nicht viel gesprochen, aber Irene hatte überraschenderweise ein Händchen für Kinder bewiesen, und es war ihr gelungen, Ric nach und nach aus seinem selbst gesponnenen Kokon zu locken, bis er sich in einen ziemlich geschwätzigen Welpen verwandelt hatte, wenn er in der richtigen Stimmung war.

Van hätte den Jungen auch in Seattle zurücklassen können, aber innerhalb von ein paar Wochen hatte sich Ric in Vans »Schatten« verwandelt, wie Irene es nannte. Was wiederum bedeutete, dass Van einfach kein gutes Gefühl dabei gehabt hätte, ihn zurückzulassen.

Davon abgesehen war dies hier nur ein Geschäftstreffen. Nichts Gefährliches oder so. Obwohl Van sich mit einem der Erzfeinde seines Rudels traf. Für Van war ein Geschäft eben ein Geschäft, und er nahm an, dass alle anderen das ganz genauso sahen.

»Du bleibst hier, Ric.« Van setzte den Jungen auf die Kühlerhaube seines Mietwagens: ein schneller kleiner Porsche, den er in der Nähe des Flughafens von Memphis abgeholt hatte, um damit zu diesem Treffen auf neutralem Gebiet zu fahren. »Ich bin gleich da drüben, okay?«

»Okay.« Der Junge zog ein Buch aus seinem Rucksack und begann zu lesen. Der Graf von Monte Christo. Ein Sechsjähriger, der Der Graf von Monte Christo las. Ein Buch, das Van gezwungenermaßen in der Highschool gelesen hatte – und das erst, nachdem seine Lehrerin ihn gewarnt hatte, dass die Lektürehilfe mit der Kurzversion allein ihm bei den Halbjahresprüfungen nicht helfen würde. Aber der Junge hatte sich das Buch im Laden selbst ausgesucht, zusammen mit zwölf weiteren sowie einem Taschenwörterbuch für den Fall, dass er das eine oder andere Wort nicht verstand.

Und was war mit dem neuesten Handheld-Spiel, das Van direkt aus Japan für Ric besorgt hatte? Das lag immer noch auf dem Bett des Jungen, in der Verpackung, unangetastet.

Van tätschelte Ric den Kopf – er liebte den Kleinen, auch wenn er seine Prioritäten völlig falsch setzte – und drehte sich um, um sich zum Treffpunkt zu begeben, machte dann jedoch unwillkürlich einen Satz rückwärts. Der Wolf, mit dem er hier verabredet war, stand in einem abgetragenen Led-Zeppelin-T-Shirt, zerrissenen Jeans und alten Springerstiefeln direkt vor ihm. Eine lange Kette, die vorn an einer Gürtelschlaufe seiner Jeans eingehakt war, schlängelte sich an seinem Bein entlang bis zu seiner Gesäßtasche und vermutlich seiner Brieftasche. Sein dunkelbraunes Haar hing bis auf die Schultern herunter und bedeckte vorn fast komplett seine Augen, während ein Vollbart die gesamte untere Hälfte seines Gesichts verbarg. Er sah aus wie ein durchgeknallter Veteran, der noch immer nicht verarbeitet hatte, was er während des Vietnamkriegs hatte durchmachen müssen.

»Mr. Smith?«, fragte Van und hoffte beinahe, dass er sich irrte.

Er irrte sich nicht. Das Grunzen sagte ihm sofort, dass hier in der Tat Egbert Ray Smith von der Smith-Meute aus Tennessee vor ihm stand.

»Niles Van Holtz.« Van streckte seine Hand aus. »Schön, Sie kennenzulernen.«

Der Wolf nahm weder seine Hand, noch hörte er auf, ihn mit seinen funkelnden Augen anzustarren. Van musste sich selbst daran erinnern, dass er nun das Alphamännchen seines Rudels war. Er würde sich von diesem potenziellen Serienkiller nicht einschüchtern lassen.

»Was willst du, Bürschchen?«

Das Ganze fing nicht gerade vielversprechend an. »Ich bin hier, um Ihnen einen Job anzubieten, Mr. Smith. Bei meiner Organisation. Der Gruppe.«

»Die Gruppe ist nichts als ein Haufen Weicheier.«

»Vielleicht, aber nun habe ich das Ruder übernommen, und ich will sie vorantreiben. Damit sie so wird wie die Einheit.« Smith kniff die Augen ein wenig zusammen. Er war jahrelang bei der Einheit gewesen – und das hatte Spuren hinterlassen: von jeder Falte in seinem noch gar nicht so alten Gesicht bis zu jeder Narbe an seinem Hals und wahrscheinlich an seinem ganzen Körper. Doch in jüngster Vergangenheit hatte sich innerhalb der Einheit einiges verändert. Die reine Gestaltwandler-Einheit des U.S. Marine Corps plante, seine Mitglieder nach zehn Jahren aus der Einheit zu entlassen – ganz gleich, ob sie wollten oder nicht. Smith war fast während seiner gesamten Zeit beim Corps in der Einheit gewesen und das erste Opfer dieser neuen Regelung geworden. Nach allem, was Van gehört hatte, war Smith ganz und gar nicht glücklich über die Wahl, die man ihm gelassen hatte: seine ehrenhafte Entlassung zu akzeptieren oder sich in die Truppe seiner vollmenschlichen Marines-Brüder einzufügen. Er hatte sich für die Entlassung entschieden, höchstwahrscheinlich aber nur, weil er sich niemals zwischen Vollmenschliche einreihen würde. Smith war direkt vom Boot-Camp zur Einheit gekommen und hatte sich im Laufe seiner Karriere durchaus einen Namen gemacht. Als Killer.

Denn genau das war Egbert Smith. Er war ein Killer, und ein sehr guter noch dazu. Und Van war sich sicher, dass Smith die perfekte Ergänzung für sein Team darstellte. Er hatte vor, die Gruppe in eine neue Richtung zu lenken und sie in eine Schutztruppe zu verwandeln, die sämtliche Gefahren für Gestaltwandler in den USA auslöschen würde. Für alle Gestaltwandler.

Und dieser Schritt war nun umso wichtiger, da die Situation für ihresgleichen mit jedem Tag gefährlicher wurde.

»Ich brauche Leute wie Sie in meinem Team, Mr. Smith. Die Bezahlung ist ausgezeichnet, hinzu kommen sämtliche Zusatzleistungen, eine Absicherung für Ihre direkten Angehörigen und genau die Art von Flexibilität, die ein Mann wie Sie braucht.« Vans nette Art zu sagen: »Wir wissen doch beide, dass Sie niemals einem normalen Job nachgehen könnten, Kumpel.«

Der Wolf grunzte erneut, und sein grimmiger gelbäugiger Blick blieb starr.

Van griff in die Gesäßtasche seiner Jeans und zog ein Blatt Papier heraus. Er reichte es Smith. »Das wäre Ihr Anfangsgehalt. Jährlich

Der Wolf starrte auf das Blatt hinunter, sah Van an und starrte dann wieder auf das Papier. Van war sich sicher, dass Smith niemals erwartet hatte, so viel Geld durch Arbeit zu verdienen. Aber die Gruppe hatte schier unerschöpfliche Ressourcen und setzte sie gern für die richtigen Rekruten ein.

»Diese Summe wird sich natürlich erhöhen, je länger Sie bei uns sind. Und abhängig davon, wie gut Sie Ihren Job erledigen.«

Der Wolf ließ seinen Blick über den großen Parkplatz schweifen, auf dem bereits der Flohmarkt aufgebaut war, der an diesem Samstag stattfinden sollte. Er räusperte sich und gab schließlich zu: »Hab meiner Gefährtin versprochen, sesshaft zu werden.« Seine Stimme klang tief und heiser, und wenn er genau hinsah, konnte Van eine alte Narbe erkennen, genau an der Stelle, an der die Stimmbänder des Wolfs hätten sein sollen. »Ich glaub nicht, dass es ihr gefallen wird, wenn ich sie schon wieder so lange allein lasse.«

»Sie müssen für diesen Job nicht umziehen, Mr. Smith. Es gibt keinen Stützpunkt, wo Sie wohnen, und kein Land, in das Sie ziehen müssen. Obwohl Reisen nach Alaska und Hawaii nötig sein könnten. Kurzreisen. Um ehrlich zu sein, muss ich einfach nur sichergehen können, dass Sie verfügbar sind, wenn ich Sie rufe. Aber ganz gleich, ob Sie einen Tag in der Woche oder drei Monate lang jeden Tag arbeiten oder auch sechs Monate nur rumsitzen und nichts zu tun haben – Sie bekommen Ihren Lohn. Alle zwei Wochen, pünktlich auf die Minute.«

»Und wenn mir was passiert?«

»Werden wir uns um Ihre Familie kümmern und Ihrem Rudel eine Entschädigung für den Verlust seines Mitglieds bezahlen. Die Gruppe kümmert sich um ihre Mitglieder, Mr. Smith.«

Während Van darauf wartete, dass der Wolf als Antwort auf sein Angebot irgendetwas sagen oder tun würde, kam ein kleines Mädchen auf sie zu. Die Kleine konnte nicht älter als neun oder zehn sein, noch nicht einmal in der Lage, sich zu verwandeln. Aber sie hatte die Augen ihres Vaters. Leuchtend gelb und kalt. Furchtbar kalt.

Sie starrte Van an, schien ihn als nicht bedrohlich einzustufen und zupfte am Hemd ihres Vaters. »Das da«, sagte sie.

Ihr Vater sah auf das riesige Jagdmesser hinunter, das sie in der Hand hielt. Er nahm es ihr ab und untersuchte es gründlich. »Warum?«, fragte er.

»Es hat das richtige Gewicht. Die Klinge ist aus gut gearbeitetem Stahl und lang genug, um das Brustbein zu durchdringen. Der Griff ist sehr solide, und wenn meine Finger länger werden, kann ich es immer noch benutzen. Ich dachte erst, ich hätte gern eins von diesen Klappmessern, aber das hier kann ich schneller ziehen und einsetzen. Wenn ich eine Waffe benutzen muss, hab ich keine Zeit, mit einem Klappmesser rumzufummeln, um es aufzuklappen.«

Ihr Vater nickte zustimmend, während Van das Mädchen nur weiter anglotzen konnte. Sicher, er hatte Ric in den letzten Wochen beigebracht, wie er sein Messerset schnell und wirksam einsetzen konnte, um ein Reh oder ein Wildschwein zu zerlegen, aber dabei ging es einzig und allein ums Kochen, damit der Junge eines Tages seinen Platz im Restaurant ihres Rudels einnehmen konnte. Dieses kleine Mädchen sprach hingegen davon, Brustbeine mit einem Messer zu durchbohren – und Van ging nicht davon aus, dass sie vom Brustbein eines Zebras sprach.

»Wie viel?«, fragte Smith die Kleine.

»Er wollte zweihundert dafür. Ich hab ihn auf achtzig runtergehandelt.«

»Wie hast du das geschafft?«

»Hab ihn angestarrt, bis er achtzig gesagt hat.«

Der Wolf griff in seine Hosentasche, drückte ihr vier Zwanzig-Dollar-Scheine in die Hand und gab ihr dann das Messer zurück. »Pass gut darauf auf, dann passt es auch gut auf dich auf, Zuckermäulchen.«

»Das werde ich, Daddy.« Sie trabte zu dem Verkäufer zurück, und Smith wandte sich wieder Van zu.

Eine Zeit lang starrten die beiden sich nur schweigend an, und Van hatte wirklich keine Ahnung, wie lange. Aber es musste lange genug gewesen sein, denn schließlich sagte Smith: »Steh nicht so drauf, mich einengen zu lassen.«

»Das wird auch nicht passieren. Ich gebe Ihnen mein Wort.«

Der Wolf schnaubte. »Das Wort eines Van Holtz. Das bedeutet nicht viel.«

»Mir schon.« Van hatte inzwischen die Schnauze voll und fügte hinzu: »Ja oder nein, Mr. Smith?«

Smith schätzte ihn ein letztes Mal ab und meinte: »Ja.«

Die Kleine kehrte zurück, ihr neues Messer fest in der Hand. »Er hat mir sogar eine Scheide gegeben, Daddy. Sie ist aus echtem Leder.«

»Gut gemacht.« Er deutete auf Van. »Das ist einer von diesen Van-Holtz-Wölfen, vor denen ich dich immer warne. Sie sehen alle aus wie er. Ziemlich dürr und versnobt. Riechen auch so wie er. Halt dich von ihnen fern, wenn du kannst. Und weide sie aus, wenn nicht.«

»Ja, Sir.«

Nicht unbedingt die Vorstellung, die Van erwartet hatte, aber … egal. Es spielte keine Rolle.

Zumindest spielte es keine Rolle, bis er bemerkte, dass sein kleiner Cousin nicht mehr auf der Kühlerhaube des Wagens saß, sondern direkt neben ihm stand, sich an ihn lehnte und mit weit aufgerissenen Augen Smiths kleine Tochter anstarrte.

Sie sah mit finsterem Blick auf Ric hinunter, aber als dieser nur weiter voller Ehrfurcht zu ihr hinaufstarrte, verschwand ihr finsterer Blick und verwandelte sich in ein Lächeln. »Was glotzt du denn so, Kleiner?«, fragte sie mit neckendem Tonfall.

Ric antwortete nicht – Van hatte das dumpfe Gefühl, der Junge sei gar nicht in der Lage, zu antworten –, sondern streckte ihr stattdessen einen seiner Schokoriegel hin, die er stets in seinem Rucksack hortete.

Sie blickte auf den Riegel und dann zu ihrem Vater hinauf. Er nickte, und sie nahm Ric die Schokolade aus der Hand. Nach einem kurzen Moment sagte sie: »Vielen herzlichen Dank«, und ihr Lächeln wurde noch breiter.

Ric stieß ein Seufzen aus und platzte heraus: »Heirate …«

Van klatschte eine Hand auf den Mund des Jungen, bevor dieser zu Ende sprechen konnte. Ric mochte vielleicht nur ein wehrloser Sechsjähriger mit mehr Hirn als Verstand sein und gerade seiner ersten Jugendliebe erliegen, an die er sich in ein, zwei Tagen wahrscheinlich gar nicht mehr erinnern würde, aber irgendetwas sagte Van, dass nichts von alledem für Egbert Smith eine Rolle spielte, wenn es darum ging, seine Tochter zu beschützen.

»Gut, dann …«, sagte Van, während er seinen heftig strampelnden Cousin zum Auto zerrte. »Zeit, aufzubrechen. Ich melde mich bei Ihnen, Mr. Smith.«

Van öffnete die Autotür und schob seinen Cousin in den Wagen. Er stieg auch ein und warf den Rucksack des Jungen auf den Rücksitz. Als er die Tür geschlossen hatte und sah, wie Smith mit seiner Tochter davontrottete, atmete Van langsam aus.

»Junge«, sagte er, »du musst unbedingt an deinem Timing arbeiten.«

»Aber sie ist perfekt, Onkel Van. Ich glaube, ich liebe sie.«

Van schaute noch einmal zu der halbwüchsigen Wölfin hinüber: ein zu dürres kleines Mädchen mit langen Armen und Beinen, das ein T-Shirt und eine abgeschnittene Jeans trug, aber keine Schuhe.

»Ric, du bist viel zu jung, um irgendjemand zu lieben, außer deine Eltern – und mich, natürlich.«

»Sie muss mehr essen«, bekundete Ric und ignorierte Vans Bemerkung. »Und ich werde derjenige sein, der ihr zu essen gibt!«

Van verdrehte die Augen und ließ den Wagen an.

»Komm schon, Ric«, versuchte er verzweifelt, den Jungen zur Vernunft zu bringen. »Du bist noch viel zu jung für dieses ganze verrückte Paarungszeug. Du musst dich erst mal auf andere Dinge konzentrieren.«

»Zum Beispiel?«

»Essen, dein Jagdgeschick … oder auch auf andere Mädchen«, antwortete er aufrichtig.

»Ich hasse Mädchen.« Er war sechs, natürlich hasste er Mädchen. »Aber sie ist kein Mädchen. Sie ist unglaublich

So viele Worte hatte der Junge noch nie innerhalb von fünf Minuten gesprochen, aber alles, was er damit erreichte, war, Van an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu treiben.

»Sie ist perfekt für mich, Onkel Van.«

»Nein, Ulrich. Ist sie nicht. Soweit ich das beurteilen kann, ist sie genau wie ihr Vater, und das bedeutet, dass wir uns um jeden Preis von ihr fernhalten müssen. Verstehst du?«

»Ich verstehe, Onkel Van.«

»Gut«, erwiderte Van und fuhr rückwärts aus der Parklücke.

»Ich werde warten, bis wir beide älter sind«, fügte der Junge hinzu, »und dann werde ich sie nageln

Van trat auf die Bremse. »Was?«

»Wie du und Tante Irene.«

Während die Panik langsam in ihm aufstieg, fragte Van erneut: »Was?«

»Das hast du gestern Abend zu ihr gesagt, als ich nach dem Abendessen die Töpfe geschrubbt habe. Dass du sie nageln wirst. Und dann hast du gelacht.«

Oh Scheiße. »Äh, Ric …«

»Und deshalb werde ich einfach warten, bis meine zukünftige Gefährtin und ich älter sind, und dann werde ich sie nageln. Oder wir nageln uns gegenseitig. Das klingt noch lustiger. Sich gegenseitig nageln.«

»Hör mal, Ulrich …«

»Was bedeutet das eigentlich? Nageln? So wie Tante Irene dich angegrinst hat, macht es bestimmt Spaß, oder?«

Van legte seinen Kopf auf dem Lenkrad ab und fragte sich, wie schlimm der Nervenzusammenbruch wohl ausfallen würde, den Rics Vater wegen dieser Sache bekommen würde. Angesichts der Tatsache, dass Alder Van Holtz ein verklemmter, reicher Snob war, schätzte Van … schlimm.

 

Eggie Ray Smith schloss die Tür seines Trucks und atmete langsam aus. Sein kleines Mädchen kniete sich auf dem Beifahrersitz neben ihm hin und schaute ihn an. »Du gehst wieder weg, stimmt’s, Daddy?«

»Hin und wieder.«

»Momma wird nicht glücklich sein.«

»Ich weiß.« Seine Gefährtin mochte es, wenn er zu Hause war. Allerdings nicht, wenn er ihr im Weg war, oh nein. Das konnte sie nicht ausstehen. Aber sie wusste gern, dass er »in Rufweite« war, wenn es Essen gab.

»Aber du musst gehen«, sagte sein kleines Mädchen und drückte mit der Hand seine Schulter. »Du hast wichtige Dinge zu erledigen, Daddy. Und wie sagt Big Poppa immer? Die kannst du nicht erledigen, wenn du nur im Garten hockst, Tee trinkst und Kuchen isst. Stimmt’s oder hab ich recht?«

Eggie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als er Dee-Ann Smith ansah. Von all den Dingen, die er im Laufe der Jahre getan hatte, war keines so wichtig und erfüllend, wie der Vater dieses kleinen Mädchens zu sein. »Da hast du recht, Zuckermäulchen, das kann ich nicht.«

»Außerdem kann ich mich um Momma kümmern. Niemand kommt an mir vorbei und schnappt sie sich.«

Eggie wusste das. Er hatte dafür gesorgt, dass es eine Sache gab, die sein kleines Mädchen beherrschte, und das war, sich und ihre Lieben zu beschützen. Nicht nur zu kämpfen, oh nein, sondern sich selbst zu beschützen. Er hatte beim Corps gelernt, dass es einen Unterschied zwischen Sich-prügeln und Sich-selbst-beschützen gab. Einen wichtigen Unterschied. Kämpfen konnte jeder Idiot.

»Das ist richtig. Das werden sie nicht.« Er streichelte mit seinen Fingern über ihre Wange. »Gefällt dir dein Geschenk, Zuckermäulchen?«

Ihr Grinsen wurde noch breiter. »Yep.«

»Gut. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.« Er ließ den Truck an. »Und erzähl’s nicht deiner Momma. Wir besorgen dir unterwegs nach Hause noch was anderes. Aber das Messer bleibt noch für ein paar … na ja, ein paar Jahre unter uns. Verstanden?«

Sie steckte das Messer hinten in ihre Jeansshorts und ließ sich auf dem Sitz nieder. »Yep.«

»Braves Mädchen. Und jetzt iss deine Schokolade.«

Sie betrachtete den noch immer eingewickelten Schokoriegel. »Das war ein süßer Junge«, sagte sie.

»Trotzdem ein Van Holtz«, erinnerte Eggie sie. »Und von den Van Holtzes musst du dich fernhalten.«

»Aber er ist so süß und klein«, entgegnete sie. »Und er sah auch schlau aus. Ich wette, er könnte mir helfen, eine richtig tolle Festung zu bauen, damit ich mir diese Wilden vom Leib halten kann, die Reed-Jungs.«

»Mir ist egal, wie süß oder schlau ein Van Holtz ist, Zuckermäulchen. Man kann ihnen nicht trauen. Halte dich an deinesgleichen. Verstanden?«

»Ja, Sir.«

Dee-Ann brach ein Stück von der Schokolade ab, die sie mittlerweile ausgewickelt hatte, und reichte es ihrem Vater, ohne sich selbst zuerst etwas in den Mund zu stecken. Als Eggie die Schokolade nahm, wurde ihm bewusst, dass er das beste kleine Mädchen der Welt hatte, und wenn er diesen Job bei einem verfeindeten Wolf annehmen musste, um dafür zu sorgen, dass sie immer in Sicherheit, glücklich und finanziell abgesichert war, dann würde er es tun.

Weil er sich für sein kleines Mädchen etwas Besseres wünschte. Er wollte nicht, dass sie schwarz gebrannten Schnaps oder – wie ein paar ihrer idiotischen Cousins in anderen Ecken des Landes – Waffen verkaufte. Und er wollte nicht, dass sie Tag für Tag ihr Leben riskierte, während sie gegen den übelsten Abschaum der Welt kämpfte.

Und was er für sein kleines Mädchen ganz bestimmt nicht wollte, war, dass sie auch nur eine Sekunde ihres Lebens für irgendeinen hinterhältigen, rechthaberischen, reichen Wolf arbeitete, der glaubte, er sei besser als alle anderen, nur weil er ein Steak braten konnte. Nein. Das würde seiner Dee-Ann nicht passieren. Niemals.

Dafür würde Eggie sorgen.

Fünfundzwanzig Jahre später …

Kapitel 1

Ulrich Van Holtz drehte sich um und schmiegte sich noch enger an den von Jeansstoff umhüllten Oberschenkel, der neben seinem Kopf lag. Dann fiel ihm jedoch ein, dass er letzte Nacht allein ins Bett gegangen war.

Er zwang sich, ein Auge zu öffnen, und blinzelte in das Gesicht, das auf ihn heruntergrinste.

»Morgen, Supermodel.«

Er hasste es, wenn sie ihn so nannte. Der herablassende Tonfall zerrte an seinen Nerven. Besonders an seinen äußerst sensiblen Morgen-Nerven. Sie hätte genauso gut sagen können: »Guten Morgen, Nichtsnutz.«

»Dee-Ann.« Er blickte sich um und versuchte, herauszufinden, was hier eigentlich vor sich ging. »Wie spät ist es?«

»Kurz vor Dämmerung.«

»Kurz vor Dämmerung?«

»Es dämmert noch nicht ganz, aber Nacht ist es auch nicht mehr.«

»Und gibt es einen Grund dafür, dass du um kurz vor Dämmerung in meinem Bett bist … komplett angezogen? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass du dich nackt viel wohler fühlen würdest.«

Sie schürzte kaum merklich die Lippen. »Also so was, Van Holtz. Du versuchst doch tatsächlich, mit mir zu flirten.«

»Wenn ich es so schaffe, dass du dich nackig machst …«

»Du bist mein Boss.«

»Ich bin dein Supervisor.«

»Wenn du mich feuern kannst, bist du mein Boss. Haben sie dir das auf deinem Elite-College nicht beigebracht?«

»Mein Elite-College war eine Kochschule, und ich habe den Großteil meiner Zeit damit verbracht, meinen französischen Lehrer zu verstehen. Falls sie den Unterschied zwischen Boss und Supervisor damals erwähnt haben, hab ich es wahrscheinlich nicht mitgekriegt.«

»Du hältst dich immer noch an meinem Oberschenkel fest, Boss.«

»Und du bist immer noch in meinem Bett. Und immer noch nicht nackt.«

»Nackt bin ich genauso wie angezogen: immer noch von Narben bedeckt und bereit zu töten.«

»Du versuchst doch nur, mich anzutörnen.« Ric gähnte, löste widerwillig seine Arme von Dees knackigem Oberschenkel und nutzte die Gelegenheit, einen ausführlichen Blick auf sie zu werfen.

In den letzten Monaten hatte sie ihr dunkles Haar ein wenig länger wachsen lassen. Die schweren Locken reichten nun bis über ihre Ohren und umrahmten ihren eckigen Kiefer, den eine zwölf Zentimeter lange Narbe aus ihrer Armeezeit und ein neuerer blauer Fleck zierten. Von Letzterem nahm Ric an, dass er von letzter Nacht stammte. Sie hatte die typische Smith-Nase – ein bisschen zu lang und an der Spitze ziemlich breit – und eine stolze, hohe Stirn. Aber es waren diese Augen, die die meisten Menschen verstörten, da sie sich niemals verwandelten. Sie hatten immer dieselbe Farbe und dieselbe Form, ganz gleich, welche Gestalt Dee annahm. Viele bezeichneten die Farbe als »Kötergelb«, aber für Ric war es »Hundegold«. Er empfand ihre Augen auch nicht als abschreckend. Nein, er fand sie bezaubernd. Genau wie die ganze Frau.

Ric kannte die Wölfin erst seit etwa sieben Monaten, aber seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, brodelte eine wahnsinnige, tiefe Lust in ihm. Als er sie im Laufe der Zeit immer besser kennengelernt hatte, hatte er sich total in sie verliebt. Es gab nur ein Problem, das sie beide daran hinderte, bis ans Ende ihrer Tage glücklich als Gefährten zusammenzuleben – und dieses Problem hieß Dee-Ann Smith.

»Also, gibt es einen anderen Grund dafür, dass du hier bist, in meinem Bett, nicht nackt, gegen kurz vor Dämmerung, der nichts damit zu tun hat, dass wir beide diese idiotischen professionellen Grenzen vergessen, damit du über meinen mehr als willigen Körper herfallen kannst?«

»Yep.«

Als sie nichts weiter sagte, setzte Ric sich auf und meinte: »Lass mich raten: Bei einer Portion Waffeln und Speck würde es dir leichter fallen, es mir zu erzählen.«

»Das stimmt, aber mit diesem miesen nachgemachten Akzent erwärmst du nicht gerade mein Südstaaten-Herz.«

»Ich wette, das ändert sich, wenn ich die Waffeln auch noch mit Heidelbeeren serviere.«

»Aus der Dose oder frisch?«

Mit offenem Mund funkelte Ric sie über die Schulter hinweg an.

»Das ist eine berechtigte Frage.«

»Raus.« Er deutete auf seine Schlafzimmertür. »Wenn du mir unterstellen willst, dass ich bei meinem Essen auch nur irgendwas aus der Dose verwende, während du nicht nackt auf meinem Bett sitzt, dann kannst du verdammt noch mal sofort aus meinem Schlafzimmer verschwinden … und dich in meine Küche setzen, mucksmäuschenstill, und warten, bis ich komme.«

»Wird deine Laune dann besser sein?«

»Wirst du dann nackt sein?«

»Zäh wie ein Wolf mit einem Knochen«, murmelte sie und erklärte dann: »Wohl kaum.«

»Dann hast du deine Antwort, schätze ich.«

»Oh, komm schon. Kann ich nicht wenigstens hier sitzen bleiben und zuschauen, wie du mit deinem blanken Hintern ins Bad wackelst?«

»Nein, kannst du nicht.« Er warf seine Beine über die Bettkante. »Aber du darfst sehnsuchtsvoll über deine Schulter blicken, während ich mit meinem nackten Hintern auf sehr männliche Weise entschlossen ins Bad marschiere. Ich bin nämlich nicht zu Ihrem Amüsement hier, Ma’am.«

»Es heißt Miss Smith. Bei netten Südstaaten-Mädchen heißt es Miss.«

»Dann ist Ma’am bei dir ja richtig, schätze ich.«

 

Dee-Ann Smith saß an Van Holtz’ Küchentisch und fuhr mit den Fingern die Linien der Marmorplatte entlang. Sein Küchentisch bestand aus echtem Marmor, die Beine aus edelstem Holz. Ganz anders als der Resopal-Tisch ihrer Eltern, auf dem man immer noch den Riss erkennen konnte, den Rory Reeds Riesenschädel hinterlassen hatte, als er völlig betrunken daraufgeknallt war, nachdem sie am Abend des Homecoming-Spiels in der vorletzten Klasse der Highschool ein paar Bier zu viel getrunken hatten.

Allerdings konnte man in Van Holtz’ Wohnung überall erkennen, dass Geld keine Rolle spielte und nur das Feinste vom Feinsten gut genug war. Trotzdem brachte sein Zuhause irgendwie das Kunststück fertig, gemütlich zu wirken, ganz im Gegensatz zu einigen anderen Häusern in dieser Stadt, in denen alles so edel war, dass Dee wirklich keine Ahnung hatte, wer dort freiwillig zu Besuch kommen oder sich auf irgendeins dieser verdammten Möbelstücke setzen sollte. Natürlich benahm sich Van Holtz auch nicht wie eins dieser verwöhnten reichen Bälger, denen sie am liebsten eine Tracht Prügel verpassen würde, wenn sie vorlaut wurden. Dee hatte immer vermutet, dass er genau so sein würde, aber als sie ihn vor ein paar Monaten kennengelernt hatte, hatte er bewiesen, dass er ganz und gar nicht so war.

Ein Jammer, dass sie das nicht auch von einigen anderen Mitgliedern seiner Familie behaupten konnte. Sie hatte seinen Vater erst ein paarmal getroffen, aber jedes Mal war ein bisschen schlimmer gewesen als das letzte. Und sein älterer Bruder war auch nicht viel besser. Um ehrlich zu sein, hatte sie keine Ahnung, warum Van Holtz die beiden nicht einfach herausforderte und die Alphastellung von diesem fiesen alten Mistkerl übernahm. So machten sie es bei den Smiths, und es war eine Lebensweise, die bereits seit mindestens drei Jahrhunderten in ihrer Meute funktionierte.

Frisch aus der Dusche und mit triefend nassem Haar kam Van Holtz in die Küche. Er trug eine schwarze Jogginghose und zog sich gerade ein schwarzes T-Shirt über den Kopf, wodurch sich Dee ein leider allzu flüchtiger Blick auf sein absolut perfektes Sixpack und seine schmalen Hüften bot. Nein, dieser Wolf war nicht so groß, wie Dee es gewohnt war – tatsächlich waren sie beide einen Meter neunzig groß und fast gleich breit gebaut –, aber bei Gott, der Mann hatte einen unglaublichen Körper. Es musste daran liegen, was er den lieben langen Tag so trieb: Er war Geschäftsführer und Chefkoch des Restaurants Fifth Avenue Van Holtz, Torhüter bei den Carnivores, dem reinen Gestaltwandler-Team, das ihm auch gehörte, und einer der Supervisoren bei der Gruppe – eine Position, die ihn dazu zwang, in ausgezeichneter Form zu bleiben, auch wenn er nicht so viel Zeit im Außeneinsatz verbrachte wie Dee-Ann und ihr Team.

Van Holtz gähnte erneut, warf sein nasses, dunkelblondes Haar aus seinem Gesicht und versuchte, seine braunen Augen zu fokussieren, während er seinen Blick durch die Küche schweifen ließ.

»Kaffee ist in der Kanne«, sagte sie.

Einige Männer funktionierten ohne ihren morgendlichen Kaffee einfach nicht, und Van Holtz gehörte zu ihnen.

»Danke«, seufzte er, griff nach der Tasse, die sie für ihn bereitgestellt hatte, und schenkte sich ein. Wenn es ihn störte, dass sie sich in seiner Küche und seiner ganzen Wohnung schon fast wie zu Hause fühlte, nachdem sie hier monatelang nach Belieben ein und aus gegangen war, dann zeigte er es zumindest nie.

Dee wartete ab, bis er ein paar Schlucke getrunken hatte und sich schließlich mit einem Lächeln zu ihr umdrehte.

»Guten Morgen.«

Sie erwiderte sein Lächeln – etwas, womit sie sich normalerweise nicht aufhielt – und sagte: »Morgen.«

»Ich hab dir Waffeln mit frischen Heidelbeeren versprochen.« Er stieß angewidert die Luft aus. »Aus der Dose. Als würde ich jemals …«

»Ich weiß, ich weiß. Ein Sakrileg.«

»Ganz genau.«

Dee-Ann blieb geduldig am Küchentisch sitzen, während Van Holtz in einer Geschwindigkeit ein komplettes Frühstück für sie zauberte, in der die meisten Menschen nur ein paar Scheiben Toast hätten rösten können.

»Also, Dee …« Van Holtz stellte die perfekt geformten Waffeln und den Speck mit einer Schüssel voll warmem Sirup und einem kleinen Teller mit Butter vor ihr ab. »Was führt dich zu mir?«

Er setzte sich mit seinem eigenen vollen Frühstücksteller auf den Stuhl ihr gegenüber.

»Katzen nerven mich.«

Van Holtz nickte und kaute auf einem Bissen herum. »Und trotzdem arbeitest du Tag für Tag so gut mit ihnen zusammen.«

»Nicht, wenn sie mir in die Quere kommen.«

»Besteht die Möglichkeit, dass du noch etwas genauer wirst, was deine Beschwerde betrifft?«

»Aber es ist lustig, zuzuschauen, wenn du so verwirrt aussiehst.«

»Nur eine Tasse Kaffee, Dee-Ann. Nur eine Tasse.«

Sie lachte kurz. Es amüsierte sie immer, wenn Van Holtz ein wenig muffelig war.

»Wir wollten letzte Nacht einen Hybriden-Kampf auffliegen lassen – aber es gab nicht nur keinen Kampf, die Katzen waren auch schon vor Ort.«

»Welche Katzen?«

»KZS.«

»Oh.« Er biss erneut von seinem Speck ab. »Diese Katzen. Tja, vielleicht versuchen sie …«

»Diese Katzen helfen Promenadenmischungen nicht, das weißt du genau, Van Holtz.«

»Kannst du mich nicht einfach Ric nennen? Du weißt schon, wie alle anderen auch.« Da der Mann mehr Cousins hatte, als gesetzlich erlaubt sein sollte, und sie alle den Nachnamen Van Holtz trugen, wäre dies für alle Beteiligten vielleicht wirklich ein wenig einfacher gewesen.

»Na schön. Sie helfen ihnen nicht, Ric

»Und trotzdem sieht es aus, als würden sie genau das tun – oder es zumindest versuchen.«

»Sie führen irgendwas im Schilde – und das mag ich ganz und gar nicht. Ich mag es nicht, wenn mir jemand in die Quere kommt.« Besonders gewisse Katzen, die einen so gesalzenen rechten Haken hatten, dass Dee ihn noch Stunden später an ihrem Kiefer spüren konnte.

»Na gut«, erwiderte er. »Ich kümmere mich drum.«

»Einfach so?«

»Yep. Einfach so. Orangensaft?« Sie nickte, und er schenkte ihr ein Glas frisch gepressten Saft ein.

»Du willst nicht zuerst mit dem Team sprechen?«

»Ich habe mit dir gesprochen. Was soll das Team mir sagen, was du mir nicht schon gesagt hättest? Außer, dass sie vermutlich mehr Silben benutzen und sich den Anti-Katzen-Unterton sparen würden.«

Dee nickte und sah ihm beim Essen zu. Hübsch. Der Mann war einfach … hübsch. Nicht mädchenhaft – obwohl sie sich sicher war, dass ihr Daddy und ihre Onkel genau das denken würden –, sondern hübsch. Attraktiv und gut aussehend mochten vielleicht die akzeptableren Bezeichnungen sein, wenn man von Männern sprach, aber diese Worte trafen nicht wirklich auf ihn zu.

»Stimmt was nicht mit deinem Frühstück?«, fragte er, als ihm auffiel, dass sie noch gar nicht angefangen hatte zu essen.

Sie sah auf die fachmännisch zubereiteten, mit Puderzucker bestäubten Waffeln hinunter, auf denen große, frische Heidelbeeren gleichmäßig verteilt waren. Außerdem hatte Ric noch mehr frische Heidelbeeren sowie Erdbeeren und Pfirsiche in kleinen Schüsseln auf den Tisch gestellt, und er hatte eine Leinenserviette und schweres, teuer aussehendes Besteck für Dee bereitgelegt. All das hatte er in gerade mal dreißig Minuten geschafft.

Das Frühstück war, mit einem Wort, perfekt, und genau aus diesem Grund antwortete Dee: »Es ist ganz okay … schätze ich.«

Eine seiner dunklen Augenbrauen wölbte sich. »Schätzt du?«

»Hab’s schließlich noch nicht probiert, oder? Ich kann dir nicht sagen, ob es mir schmeckt, wenn ich’s noch nicht probiert hab.«

»Nur eine Tasse Kaffee, Dee. Nur eine.«

»Vielleicht wär’s Zeit, dass du noch eine trinkst.«

»Iss und sag mir, dass mein Essen unglaublich schmeckt, oder ich kriege wieder miese Laune.«

»Wenn du gleich so aggressiv wirst …« Sie nahm einen Bissen und genoss die Geschmacksexplosion in ihrem Mund. Verdammt, der Mann konnte einfach kochen. Das konnte irgendwie nicht sein, oder? Hübsch und ein guter Koch.

»Und?«

»Muss ich dir wirklich sagen, wie gut es ist?«

»Ja. Obwohl allein dein Orgasmusgesicht ein Genuss ist.«

Sie grinste höhnisch. »Schätzchen, du kennst mein Orgasmusgesicht nicht.«

»Noch nicht. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.«

»Träum weiter.«

»Einer muss es ja tun.« Er zwinkerte ihr zu und widmete sich wieder seinem Essen. »Ich werde sehen, was ich über die momentanen Aktivitäten bei KZS herausfinden kann und melde mich dann wieder bei dir.« Er sah zu ihr hoch und lächelte. »Mach dir keine Sorgen, Dee-Ann. Ich stehe hinter dir.«

Das wusste sie. Sie wusste, dass er sein Versprechen halten würde. So schwer das auch zu glauben sein mochte, sie fing an, der einzigen Wolfsfamilie zu vertrauen, von der ihr Daddy ihr immer gesagt hatte, dass sie ihnen niemals trauen durfte.

Andererseits … ihr Daddy hat auch nie die Heidelbeer-Waffeln dieses Mannes probiert.

»Aber tu mir einen Gefallen, Dee«, sagte Ric. »Bis ich die Sache geregelt habe, fängst du keinen Streit mit den Katzen an.«

Dee starrte ihn an und fragte ehrlich verwundert: »Wie kommst du bloß auf die Idee, dass ich das tun würde?«

Kapitel 2

Der erste Schlag ins Gesicht brachte Dee-Ann ins Stolpern. Aber das war keine Überraschung. Nicht umsonst wurde die Tigerin Marcella Malone »Eisenfaust« genannt. Und Dee hatte den großen Fehler gemacht, ihr den Rücken zuzuwenden. Eigentlich wusste sie es besser und hätte dieser heimtückischen Katze und ehemaligen Marine, die ursprünglich aus Mineola, Long Island, New York, stammte, normalerweise niemals den Rücken zugedreht. Als sie noch zusammen trainiert hatten, hatte Dee sie »diese Long-Island-Hure« genannt.

Es war Jahre her, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten: Damals hatten sie gemeinsam bei der reinen Gestaltwandler-Einheit des Marine Corps angefangen. Ihr befehlshabender Offizier hatte sie später in unterschiedliche Teams eingeteilt, da »manche Hunde und Katzen einfach nie miteinander auskommen werden«, wie der Eisbär erklärt hatte.

»Tut mir leid, Dee-Ann«, sagte die Katze ohne das geringste Anzeichen von Reue. »Mir ist die Faust ausgerutscht.«

»Kann passieren«, entgegnete Dee, Sekunden, bevor sie ihrerseits einen Faustschlag in Malones Gesicht platzierte.

Die Tigerin knurrte und hob den Kopf, während sich ihre Augen vor Wut leuchtend golden färbten, da aus der Platzwunde an ihrer Wange Blut strömte. Dies erschien Dee allerdings nur fair, da aus ihrer eigenen Nase dieselbe Menge Blut floss.

Die beiden betrachteten einander abschätzig von oben bis unten. Dee rief sich blitzschnell sämtliche Stärken und Schwächen der Tigerin ins Gedächtnis. Malone war etwa in Dees Alter, um die fünfunddreißig, hatte kräftige Arme und Oberschenkel und befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Kraft. Sie war schnell, aber ihr Durchhaltevermögen reichte nicht an Dees heran. In menschlicher Gestalt war Malone einen Meter zweiundachtzig groß, wog etwas mehr als sie selbst und war insgesamt kurviger. Sie trug ihr schwarzes Haar mit den weißen und roten Strähnen noch immer lang, und Dee hatte keinerlei Skrupel, diese Haare zu ihrem Vorteil zu nutzen, wenn es sein musste.

Ihre beiden Teams bildeten einen Kreis um sie, und auf einer tieferen, humaneren Ebene wusste Dee durchaus, dass die ganze Sache falsch war. Eigentlich hatten sie in dieser heißen Spätjuninacht in dem Lagerhaus in Brooklyn wichtigere Dinge zu erledigen als diesen Zickenkampf zweier ehemaliger Marines. Aber Malone hatte schon immer das Schlechteste in Dee zum Vorschein gebracht. Das mit Abstand Schlechteste.

Also hatten die beiden Raubtiere die eigentlichen Probleme ignoriert – etwa die Frage, was mit dem Kampfring passiert war, der hier heute Abend ein Event hätte abhalten sollen –, ihre Jacken abgelegt und die Fäuste erhoben.

Malone war schon immer eine Streithenne gewesen und würde es auch immer bleiben. Das brachte ihr Tigerblut mit sich. Sie war die Tochter eines der größten Gestaltwandler-Hockeyspielers früherer Zeiten, »Nice Guy« Malone. Und genau wie ihr Vater hatte sie nach ihrer Zeit bei den Marines als rechte Verteidigerin bei den Nevada Slammers angefangen. Sie war ziemlich gut, verbrachte jedoch einen Großteil ihrer Zeit auf der Strafbank, weil sie einfach nicht damit aufhören konnte, den Leuten die Seele aus dem Leib zu prügeln, wenn sie ihr auf die Nerven gingen.

Aber Malone war nicht nur Hockeyspielerin. Sie arbeitete auch für die Katzenhaft Security, kurz: KZS, die Sicherheitsorganisation des Katzenvolks. KZS gab es schon seit mehreren Hundert Jahren, und die Organisation verfügte über Stützpunkte in aller Welt, deren einzige Aufgabe schlicht der Schutz aller Katzen war. Es passierte nur selten, dass Dee oder ein anderes Mitglied der Gruppe einem KZS-Team von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Besonders, wenn es um Hybriden ging. Die Katzen waren berüchtigt dafür, keinerlei Interesse an oder Geduld mit irgendeiner Art von Mischlingen zu haben. Tatsächlich tolerierten sie selbst Katzenmischlinge – Töwen, Liger, Gepard-Leopard-Kreuzungen usw. – nur widerwillig, und besonders, wenn sich Katzen außerhalb ihrer Art paarten oder KZS-Mitglieder mit Hundemischlingen zu tun hatten, zeigten sie oft noch mehr Verachtung als gewöhnlich. Was wiederum bedeutete, dass sie sich normalerweise nicht mit Hybridenproblemen abgaben.

Bis vor Kurzem. Und diese Tatsache löste bei Dee-Ann alle möglichen Arten von Misstrauen aus.

Der Zwei-Tonnen-Truck, den Malone ihre Faust nannte, rammte Dees Wange mit voller Wucht, gefolgt von einem rechten Haken auf ihre ohnehin bereits angeknackste Nase. Dee ignorierte die kleinen gelben Vögelchen, die um ihren Kopf flatterten, wehrte den nächsten Schlag mit dem rechten Unterarm ab und zerquetschte ihrerseits Malones Nase mit der Handfläche. Malones Kopf kippte nach hinten, und Dee ließ einen Fausthieb in den Magen folgen. Malone schlang beide Arme um Dees Hals, zog sie ganz nah an sich heran und rammte ihr Knie zweimal in Dees Unterleib. Daraufhin knallte Dee ihren Kopf nach vorn gegen Malones Stirn.

»Das reicht!«, brüllte eine weibliche Stimme.

Kräftige Hände rissen Dee und Malone auseinander, und die Tatsache, dass ihre Füße dabei über dem Boden baumelten, verriet Dee, dass sie von etwas sehr Großem gepackt worden waren.

»Dee-Ann?« Es war dieselbe weibliche Stimme, aber sie gehörte nicht dem Biest, das sie festhielt.

Dee wischte sich das Blut aus den Augen und schaute auf ein vertrautes Gesicht hinunter. »Guten Abend, Desiree.«

Desiree MacDermot-Llewellyn trug eine kugelsichere Weste über einem dünnen T-Shirt, hatte ihre Pistole gezogen – sie hatte immer mehr als eine Waffe dabei – und schaute sich mit ihren leuchtend grün-grauen Augen hastig im Raum um. Sie schien sich unter Gestaltwandlern immer entschieden wohler zu fühlen als unter ihresgleichen – und das lag nicht nur an dem Gefährten, den sie für sich gewählt hatte. Dee kannte den Löwen Mace Llewellyn seit Jahren über ihren Cousin Bobby Ray. Nein, es wäre zu leicht gewesen, zu behaupten, Desiree sei nichts anderes als ein Vollmensch, der erst durch seinen Gefährten zu sich selbst gefunden hatte. Denn in Wahrheit war Desiree MacDermot-Llewellyn ein ebenso gefährliches Raubtier wie jeder Gestaltwandler, den Dee kannte.

Desiree schüttelte den Kopf, stieß keuchend den Atem aus und steckte ihre Waffe zurück in das Holster an ihrer Seite. »Was zur Hölle machst du da, Dee?«

»Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.«

Desiree verdrehte die Augen und schaute zu Malone. »Und du?«

Malone knurrte und fletschte die Zähne. Eine Geste, die Desiree, ihrem verächtlichen Schnauben nach zu urteilen, nicht im Geringsten beeindruckte.

»Schaut euch mal hier um«, befahl Desiree. Sie war beim NYPD und heute Abend nicht allein gekommen. Abgesehen von dem Bären, der Dee und Malone wie zwei Stoffpuppen hochhielt, hatte sie ein S.W.A.T.-Team aus Brooklyn dabei, das größtenteils aus Gestaltwandler-Polizisten bestand. Bevor man sie mit ihrer jetzigen Aufgabe betraut hatte, hatten sie in anderen Bezirken in allen fünf Stadtteilen gearbeitet. Im Gegensatz zur Gruppe und zur KZS bestand ihre Aufgabe darin, den Frieden zwischen den verschiedenen Spezies in der ganzen Stadt zu erhalten, und nicht darin, sie zu beschützen oder sie auszulöschen. Und obwohl Desiree selbst ein Vollmensch war, verfügte sie über drei Eigenschaften, die sie die ideale Besetzung für diesen besonderen Job machten: Sie war die Gefährtin eines mächtigen Löwen, hatte selbst einen Löwen zur Welt gebracht – was wiederum bedeutete, dass sie alles tun würde, um ihn zu beschützen –, und die Frau war eine verdammt gute Polizistin.

»Dez«, rief ein Mitglied ihres Teams. »Du solltest dir das hier besser mal anschauen.«

Desiree entfernte sich, und Malone sagte zu dem Bären, der sie noch immer festhielt: »Denkst du, du könntest uns vielleicht allmählich runterlassen, Kumpel?«

Der Blick des knapp zwei Meter vierzig großen Eisbären wanderte ein paarmal zwischen den beiden hin und her, bevor er antwortete: »Nein.«

Nach einigen Minuten kehrte Desiree zurück, und ihre Miene wirkte ganz eindeutig nicht besonders glücklich.

Desiree ließ ihren Finger in der Luft herumwirbeln und befahl ihrem Team: »Kassiert sie alle ein.«

»Weswegen, verdammt noch mal?«, platzte Malone heraus.

»Da hinten liegen etwa zwanzig Leichen«, erklärte Desiree. »Einige in menschlicher Gestalt, andere nicht wirklich. Vielleicht hättet ihr zwei sie ja bemerkt, wenn ihr nicht so mit eurem knallharten Zickenkampf vor Publikum beschäftigt gewesen wärt.« Angewidert schüttelte sie den Kopf. »Solange wir das nicht geklärt haben, kommt ihr alle mit.«

Desiree kehrte wieder zu ihrem Team zurück und bellte weitere Befehle.

Dee schämte sich aufrichtig und warf einen Blick zu Malone hinüber, die im gleichen Moment den Kopf hob. Und einen Augenblick lang hatte Dee das Gefühl, dass sie beide dieselbe durchdringende Enttäuschung über sich selbst verspürten, weil sie sich nicht auf das eigentliche Problem konzentriert hatten. Im nächsten Moment schien es jedoch bereits, als seien sie beide dies leid, und sie begannen, sich gegenseitig anzuknurren, nacheinander zu schnappen und zu versuchen, sich gegenseitig aus der Ferne mit ihren Krallen zu zerfetzen, während sie den Bären ignorierten, der ihnen befahl, sich wieder zu beruhigen.

Dee musste zugeben, dass sich das entschieden besser anfühlte, als sich selbst leidzutun.

 

Ric holte drei Teller aus dem Grillofen. Er schob die Tür mit seinem Ellbogen wieder zu und stellte die Teller mit dem brutzelnden Seelöwenspeck auf den Tisch des Sauciers, der sie servierfertig machen würde.

»Auf geht’s, Leute!«, rief er, als er sah, wie viele Bestellungen sich bereits angesammelt hatten. »Legt ein bisschen Tempo zu. Wir haben ein volles Haus!«

»Ja, Chef!«, bekam er als Antwort, gefolgt von mehreren Stimmen, die ein leises »Arschloch« murmelten. Aber Ric störte das nicht. Er hatte es in gewisser Weise verdient.

»Ric!«, hörte er seine jüngere Cousine Arden kreischen, als sie in die Küche stürmte. Wenn ein Van Holtz nicht in der Küche arbeiten wollte, dann arbeitete er im Service. Zumindest bis er oder sie mit dem College fertig war.

Arden hielt einen großen Teller in der Hand: ein ganzer Lachs, mit Kopf und allem Drum und Dran, den Ric vor zehn Minuten nach draußen geschickt hatte.

»Was ist denn?«

»Der Grizzly an Tisch sechs sagt, es sei nicht genügend Honig an deinem Lachs mit Honigsoße.«

Ric, der ganz genau wusste, dass seine glasierte Honigsoße perfekt war und es immer sein würde, verstand sofort, was der verstimmte Bär wirklich wollte. Er griff in einen der unteren Schränke und holte eine der fünfzig bärenförmigen Fläschchen mit Nullachtfünfzehn-Honig heraus, die er immer vorrätig hatte. Das gute – und teure – Zeug aus Europa würde er nicht an diese Banausen verschwenden.

Ric drängte sich an seinem Souschef vorbei, schraubte den Deckel von der Flasche ab, schüttete die Hälfte des Honigs direkt auf den Lachs, klaute sich von einer der Stationen nebenan ein Messer und verteilte den Honig dann über den ganzen Fisch. Er nahm seiner Cousine den Teller aus den Händen, warf ihn in eines der industriellen Mikrowellengeräte und wärmte den Fisch für ein paar Sekunden wieder auf. Auch hier hätte ein Gast mit echtem Geschmack eine bessere Behandlung verdient, aber dieser Idiot von einem Bären hatte Glück, dass Ric mit dem verfluchten Fisch nicht den Badezimmerboden wischte.

Als er sich sicher war, dass genügend Zeit vergangen war, öffnete er die Mikrowelle und holte den Fisch wieder heraus. »Hier. Mit den Empfehlungen des Küchenchefs«, sagte er mit einem leisen Knurren.

Grinsend ging seine Cousine wieder aus der Küche.

»Das sind alles Banausen!«, verkündete er der Küchenmannschaft.

»Ja, Chef!«

Ric machte sich wieder an die Arbeit und richtete seine unerschütterliche Konzentration darauf, sein Essen rechtzeitig und perfekt zuzubereiten. Er war glücklich und in seiner eigenen Welt, als sein Telefon in der Tasche seiner schwarzen Jogginghose vibrierte.

»Ric am Apparat.«

»Hallo, Cousin.«

Ric lächelte. »Onkel Van! Wie läuft’s?«

»Großartig. Ganz großartig. Ich weiß, dass du beschäftigt bist, deshalb mache ich es kurz. Ich werde dir morgen oder übermorgen per Kurier etwas in deine Wohnung schicken lassen.«

»Okay.«

»Willst du mich nicht fragen, was es ist?«

»Sollte ich das?«

»Wahrscheinlich.«

Ric verzog das Gesicht. »Es hat mit meinem Vater zu tun, stimmt’s?«

»Möglicherweise. Ich sende dir Kopien der Bücher sämtlicher Van-Holtz-Restaurants der Gegend. Ich will, dass du sie dir ganz genau ansiehst und mir sagst, was du davon hältst.«

Rics Grimasse verwandelte sich in einen Ausdruck schierer Panik, und er starrte mit offenem Mund ins Leere. Er hatte das Gefühl, seine Kinnlade würde in Zeitlupentempo herunterklappen. »Wie bitte?«

»Du weißt, worum ich dich bitte, Ric.«

»Ja, aber …«

»Und du bist der Einzige, von dem ich glaube, dass er ehrlich zu mir ist.«

»Aber es klingt, als würdest du die Wahrheit bereits kennen.«

»Ich habe meine Vermutungen. Aber du bist derjenige, der ein Hirn für Zahlen hat. Zumindest sagt mir das meine wunderschöne Frau andauernd. Ihre genauen Worte waren: ›Bitte versuch nicht, darüber nachzudenken. Es tut richtig weh, das mit anzusehen. Schick Ulrich die verdammten Dinger.‹ Und sie hat vollkommen recht, wie immer. Ist das ein Problem?«

Zu untersuchen, ob Rics Vater, Alder Van Holtz, seiner eigenen Familie und der ganzen Meute Geld klaute, welchen Grund er auch immer dafür haben mochte? Warum sollte das wohl ein Problem sein?

»Nein, Sir.«

»Ausgezeichnet. Sag mir Bescheid, wenn du was findest.«

»Okay.«

Van legte auf, und Ric ging zurück an die Arbeit, froh, seine Küche kurz darauf an seinen Souschef übergeben zu können, da er später noch Gäste erwartete. Doch bevor er sich wieder ganz auf sein Essen konzentrieren konnte, klingelte sein Telefon erneut.

Da er fürchtete, dass sein Vater durch seine Spione bereits alles erfahren hatte, trat Ric in die Gasse hinter der Küche hinaus, um den Anruf anzunehmen.

»Ric am Apparat.«

»Mr. Van Holtz?«

Ric seufzte beinahe erleichtert, als er am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme hörte. »Ja.«

»Hier spricht Detective MacDermot, NYPD.«

Er kannte sie. Mace Llewellyns Frau. Nicht unbedingt der Typ Frau, von dem Ric erwartet hätte, dass ein Löwe wie Llewellyn sie als Gefährtin wählte. Nicht dass mit Desiree MacDermot irgendetwas nicht gestimmt hätte. Ganz im Gegenteil. Aber eine Straßenpolizistin irisch-puerto-ricanischer Abstammung konnte man nicht unbedingt als blaublütig bezeichnen, oder? Und darauf bestanden die Llewellyns für gewöhnlich.

»Ja, Detective. Was kann ich für Sie tun?«