Über das Buch:
Was hat es mit den Briefen auf sich, die Ashley Baxter im Nachlass ihrer Mutter findet? Warum nur hütet ihr Vater sie so eifersüchtig?
Ashley ahnt nicht, dass Dayne Matthews den Schlüssel zu dem Geheimnis kennt. Der attraktive Hollywoodstar sucht gerade nach der idealen Besetzung für die weibliche Hauptrolle in seinem neuen Film. Ausgerechnet im verschlafenen Bloomington, dem Heimatort der Baxters, wird er fündig: Katy Hart kann das Casting für sich entscheiden. Dabei hatte sie ihre vielversprechende Schauspielkarriere wegen eines Todesfalls an den Nagel gehängt und das christliche Kindertheater zu ihrer Sache gemacht.
Katy schmeichelt das verlockende Angebot. Und sie fühlt sich zu dem attraktiven Dayne hingezogen. Aber ist das wirklich Gottes Weg mit ihr? Soll sie den millionenschweren Vertrag unterschreiben?

Über die Autorin:
Karen Kingsbury war Journalistin bei der Los Angeles Times. Seit einiger Zeit widmet sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane. Sie lebt mit ihrem Mann, drei eigenen und drei adoptierten Kindern in Washington.

Kapitel 8

Obwohl sie nicht mehr dort arbeitete, schaute Ashley einmal im Monat im Pflegeheim Sunset Hills vorbei, um ihre Freunde zu besuchen. An diesem Samstagmorgen wollten Landon und Cole den Garten sauber machen und um die Schaukel herum das Unkraut jäten. Ashley musste einige Besorgungen erledigen und besuchte auf dem Rückweg Sunset Hills.

Jenny Flanigan hatte sie angerufen und sie gebeten, sich zu erkundigen, wann eventuell ein Platz für ihre Mutter frei wurde. Offenbar war bei ihrer Mutter am Freitag Demenz diagnostiziert worden, und ihr Arzt hielt es für ratsam, sie jetzt schon in einem Pflegeheim unterzubringen und nicht zu warten, bis ihr Zustand noch schlimmer wurde.

Die Sonne schien durch die Bäume, die im Garten vor dem Haus standen. Sunset Hills war eigentlich ein umgebautes Wohnhaus, und fügte sich nahtlos in die anderen Häuser in der Nachbarschaft ein. Ashley blieb stehen und betrachtete die Rosen, die im Vorgarten blühten. Dieses Haus barg so viele Erinnerungen. Sie atmete die süße Sommerluft ein und lächelte. Gott hatte Sunset Hills und seine Bewohner dazu benutzt, um ihr die Fähigkeit zu schenken, andere Menschen zu lieben. Alles in ihrem Leben hatte sich aufgrund der Lektionen, die sie hier gelernt hatte, geändert.

Sie ging die Stufen hinauf und klopfte an die Tür.

Nach ein paar Sekunden öffnete ihr Roberta. Sie war eine hübsche, junge Mexikanerin mit spanischem Akzent und einem Herz für Familie und Glauben. Sie war ein perfekter Ersatz für Ashley gewesen, als diese vor einem Jahr gekündigt hatte. „Ashley! Cómo estás?“ Sie hielt ihr die Tür auf und winkte Ashley ins Haus.

„Bien.“ Ashley umarmte die Frau und grinste sie an. „Siehst du? Ich habe das Spanisch, das ich von dir gelernt habe, nicht vergessen.“

„Sí, muy bien“, lachte Roberta. „Komm herein, Freundin. Hier in Sunset Hills läuft alles gut.“ Sie flüsterte: „Die alten Leute vermissen dich. Sie reden immer noch von dir, als wärst du heute.“

Ashley lächelte. „Sie reden auch immer noch von 1975, als wäre es hier.“

Roberta legte den Kopf schief. „Das stimmt.“ Sie ging Ashley voran ins Wohnzimmer und deutete auf eine Reihe Liegesessel. „Der Vormittagsschlaf ist bald vorbei.“

Ashley betrachtete die Gesichter in den Liegesesseln. Edith lag am hintersten Ende, die liebe Edith. Die frühere Schönheitskönigin hatte sich vor ihrem eigenen Spiegelbild gefürchtet, bis Ashley die Spiegel aus ihrem Badezimmer entfernt hatte. Ashley schaute Roberta an. „Wie geht es ihr?“

„Nun ...“ Roberta trat auf Edith zu und streichelte ihr die Hand. Ediths Antwort war ein Schnarchen, und Roberta sprach leise weiter. „Ihr Arzt sagt, dass es nicht mehr lange dauert. Mit ihrem Herz geht es immer mehr bergab.“

„Ich erinnere mich an ihre Herzbeschwerden.“ Ashley drehte sich um und erblickte Helen in dem Liegesessel neben Edith. „Und wie geht es Helen? Wird sie immer noch gewalttätig, wenn die Eier nicht warm genug sind?“

„Sie spricht immer noch von ihrer Tochter Sue.“ Robertas Augen funkelten. „Sue besucht sie regelmäßig, und hin und wieder passiert, was damals geschah, als du noch hier warst: Helen erinnert sich an ihre Tochter und die beiden können einen Tag miteinander genießen wie früher.“

Ashley nickte und schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. „Das freut mich. Sie liebt Sue sehr.“

„Sí, mucho.“ Roberta schaute eine dritte Frau an, die in einem anderen Liegesessel lag. „Betty ist neu hier, und Frank ... du erinnerst dich an Frank?“

„Ja. Er zog hier ein, als Laura Jo starb.“

„Ja ...“ Roberta senkte einen Moment den Blick. „Frank starb letzte Woche. Die Ärzte vermuten, es war ein Schlaganfall.“ Sie schaute auf den Flur hinaus. „Er war sehr nett und hatte eine große Familie. Sie waren die ganze Zeit hier.“ Ihre Augen wurden feucht. „Ich vermisse ihn.“

Ashley legte den Arm um Robertas Schultern und drückte sie leicht. Das war das Schwere an einem Beruf mit alten Menschen. Sie erinnerte sich an Irvel, die Frau, die ihr in Sunset Hills so nahegestanden hatte. Von Irvel hatte sie gelernt, dass die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau stärker ist als die Zeit oder die Krankheit oder sogar der Tod.

„Die Freundschaften, die hier entstehen, sind oft nur von kurzer Dauer, Roberta.“ Ashley stellte ihre Handtasche auf einem kleinen Tisch ab. „Aber sie sind tief und farbenfroh und deshalb lohnenswert.“ Sie schaute den Gang hinab. „Bert geht es gut?“

„Er poliert immer noch seinen Sattel.“ Roberta führte sie in die Küche. „Ein Mann braucht einen Sattel zum Polieren; das sagt er mir jeden Tag.“

Ashley schmunzelte. Der alte Sattler hatte erst wieder angefangen zu sprechen, als er einen Sattel ins Zimmer bekam. Einen Sattel – eine Aufgabe – zu haben, hatte für Bert alles verändert. Ashley freute sich, als sie hörte, dass es ihm gut ging.

Schließlich kam sie zum eigentlichen Grund für ihren Besuch. Sie erzählte von Jenny Flanigans Mutter und erkundigte sich, ob ein Platz für sie frei sei.

„Wir haben ein Zimmer frei.“ Roberta goss Wasser in den Teekessel und stellte ihn auf den Herd. „Franks Tod kam unerwartet. Die Eigentümerin nimmt zurzeit Anträge für sein Zimmer entgegen.“

„Sag ihr, dass ich die perfekte Person habe. Sie heißt Lindsay Bueller und ihre Familie wohnt hier in der Stadt.“ Ashley begann, die Spülmaschine auszuräumen. „Ihre Familie betet für einen solchen Heimplatz.“

Aus dem Wohnzimmer hörten sie Helen rufen.

Roberta trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab. „Ich bin gleich wieder da. Helen kann nicht mehr ohne fremde Hilfe aus dem Sessel aufstehen.“

Ashley nickte. Sie nahm drei Teetassen aus der Spülmaschine und stellte sie nebeneinander auf die Arbeitsplatte. Danach zog sie das Tablett mit den Teebeuteln näher heran und suchte für jeden einen Beutel Pfefferminztee aus. Irvel hatte Pfefferminztee geliebt, und obwohl sie seit über einem Jahr tot war, wurde in Sunset Hills ihre Tradition, am Vormittag eine heiße Tasse Tee zu trinken, fortgesetzt.

Roberta tauchte wieder auf. Sie führte Helen zu ihrem Platz am Esstisch. Helen warf Ashley einen argwöhnischen Blick zu und deutete auf sie. „Ist sie kontrolliert worden?“ Bevor Roberta Ja sagen konnte, sprach Helen weiter: „Hier wird es immer schlimmer, sage ich euch.“ Helen hielt sich an Robertas Arm fest, während sie sich mühsam auf ihrem Stuhl niederließ. „Niemand wird mehr kontrolliert.“

Ashley lächelte. Einige Dinge änderten sich nie. Das Wasser im Kessel kochte, und sie goss den Tee auf und brachte Helen und Roberta jeweils eine Tasse. Bald gesellten sich Bert und Edith zu ihnen. Die Gespräche waren unzusammenhängend und lustig und Ashley vermisste ihre Arbeit hier im Pflegeheim.

Als sie ihren Tee getrunken hatten, verabschiedete sich Ashley. Sosehr sie die Gesellschaft ihrer Freunde in Sunset Hills auch genoss, noch mehr freute sie sich darauf, wieder bei Landon und Cole zu sein. Sie war schon auf halbem Weg nach Hause, als sie beschloss, zu ihrem Elternhaus zu fahren und zu schauen, wie es ihrem Vater ging.

Er war in letzter Zeit ruhiger als gewöhnlich. Wahrscheinlich dachte er das Gleiche, was alle in ihrer Familie dachten: Dass fast ein Jahr vergangen war, seit ihre Mutter gestorben war.

Sie bog in seine Einfahrt und sah Karis Auto. Von den fünf erwachsenen Baxtergeschwistern wohnten nur sie und Kari und ihre älteste Schwester, Brooke, in Bloomington. Luke und seine Frau und ihr kleiner Junge wohnten in New York, und Erin, die jüngste Baxtertochter, wohnte mit ihrem Mann und ihren vier Adoptivtöchtern in Texas.

Die räumliche Entfernung spielte keine Rolle. Die Baxters standen sich jetzt näher als in ihrer Jugend, besonders seit dem Tod ihrer Mutter.

Ashley fand Kari und ihren Vater im Wohnzimmer. In den Armen ihres Vaters lag Karis Sohn, der sieben Monate alte Ryan Junior, und neben ihm auf dem Sofa saß Jessie, Karis dreijährige Tochter, und streichelte dem Baby den Kopf.

„Ich wünschte, ich hätte eine Kamera.“ Ashley ging zu ihrem Vater und küsste ihn auf die Wange. „Oder vielleicht eine Staffelei.“

„Hallo, Schatz.“ Ihr Vater lächelte, und zum ersten Mal seit Tagen lächelten auch seine Augen. Das Baby gluckste. Ihr Vater krümmte den Finger und fuhr damit unter das Kinn des Babys. „Der kleine Ryan ist das glücklichste Baby, das du dir vorstellen kannst.“

Kari zog eine Milchflasche aus einer Wickeltasche und reichte sie ihrem Vater. „Ohne die ist er nicht mehr lange glücklich.“ Sie drückte Ashleys Arm. „Ich habe Papa gerade zum Essen eingeladen. Wollt ihr drei auch dazukommen?“

„Das würde ich gern, aber wir entwerfen heute Abend Bühnenbilder.“

„Bühnenbilder?“ Ihr Vater blickte auf. „Fürs Theater?“

„Ja“, antwortete Kari für sie. „Bühnenbilder für Tom Sawyer, das nächste Musical des christlichen Kindertheaters.“ Sie setzte sich neben Jessie und nahm das kleine Mädchen auf den Schoß. „Ihr habt euch anscheinend mit den Flanigans getroffen.“

„Ja, sie sind wunderbar. Ich liebe diese Familie.“ Ashley lächelte ihren Vater an. „Sie erinnern mich daran, wie wir früher waren.“

Die Miene ihres Vaters wurde weicher. „Ich würde sie gern einmal kennenlernen.“ Er schaute Ashley mit hochgezogener Braue an. „Wie kommt ihr dazu, Bühnenbilder fürs Theater zu malen?“ Er schmunzelte. „Erzähl mir nicht, das sei Landons Idee gewesen.“

„Ehrlich gesagt ...“ Ashleys Tonfall war nachdenklich. „... habe ich gedacht, dass Mama das gern gemacht hätte. Du weißt schon, beim Theater mitarbeiten.“

„Ja.“ Ihr Vater hielt Ryan die Flasche hin. „Besonders in einem christlichen Kindertheater. Sie liebte das Theater.“

Ashley setzte sich den anderen gegenüber in einen Sessel. „Das ist etwas, das Landon und ich gemeinsam machen können, etwas, das mir hilft zu wissen, dass Mama immer noch irgendwie ein Teil von dem ist, was wir tun.“

Schweigen legte sich für einen Moment über sie.

Jessie wand sich und Kari ließ sie nach unten. „Kann ich ein Buch haben, Mama?“

„Ja, Liebes. Hol dir eines und komm dann gleich wieder.“ Kari schaute ihrer Tochter nach, wie sie zur Tür hüpfte; dann wandte sie sich an Ashley. „Jessie vergisst sie schon.“ Traurigkeit zog über ihr Gesicht. „Ich habe ihr neulich Mamas Bild gezeigt, und sie hat die Hände hochgehalten und gefragt, wer das sei.“

Ihr Vater schloss für ein paar Sekunden die Augen und atmete dann lang und tief aus, bevor er sie wieder aufschlug. „Wenigstens weiß sie noch, wo die Bilderbücher ihrer Großmutter sind.“

Kari stand auf und schaute Ashley traurig an. Ihr Blick sagte, dass es falsch von ihr gewesen sei, das Thema in Anwesenheit ihres Vaters anzusprechen. „Ich glaube, ich sollte lieber aufpassen, dass sie nicht das ganze Regal durcheinanderbringt.“

Als Kari aus dem Zimmer war, ging Ashley zu ihrem Vater und kniete neben seinen Füßen nieder. Sie fuhr mit den Fingern über den Kopf des Babys. „Ich weiß noch genau, wie es war, als Cole so klein war.“

„Ich auch.“ Ihr Vater schniefte leise und eine Träne lief über seine Wange. „Deine Mutter hat Cole wie ihren eigenen Sohn geliebt.“

„Ich weiß.“ Ashley lachte traurig. „Als ich allein und schwanger aus Paris zurückkam, habe ich immer gedacht, sie würde Cole mehr lieben als mich.“

„Das war nie der Fall.“ Ihr Vater legte ihr die Hand auf die Schulter. „Sie hat dich verstanden, Ashley. Sie ...“ Er rang mit sich, fast als wollte er etwas sagen, sei sich aber nicht sicher, ob er es wirklich sagen sollte. „Sie hat dich immer verstanden. Du warst für sie etwas ganz Besonderes.“

„Papa, was wolltest du sagen?“

„Nichts.“ Diesmal kam seine Antwort schnell. „Ich will einfach, dass du nie an der Liebe deiner Mutter zu dir zweifelst.“

Kari und Jessie kamen vom Bücherregal im Wohnzimmer zurück. Ashley konnte Jessie in ihrer süßen Kinderstimme über Kätzchen mit orangefarbenem Fell und gestreiftem Schwanz reden hören.

Ashley schaute ihren Vater noch einen Moment fragend an. Egal, was er hatte sagen wollen, der Moment war jetzt vorbei. Sie schaute das Baby an und dann wieder ihren Vater. „Ich vermisse sie so sehr, Papa.“

Er nickte; dann zitterte sein Kinn. Er fuhr sich mit dem Handrücken zuerst über das eine Auge und dann über das andere. „Manchmal ...“ Er brach ab, und seine Stimme klang erstickt. Der größte Teil seines Gesichts war hinter seiner Hand versteckt. Als er wieder sprach, war er deshalb kaum zu verstehen. „Manchmal vermisse ich sie so sehr ... dass ich kaum atmen kann.“

Ashley stand auf, beugte sich nahe zu ihrem Vater vor und umarmte ihn. Sie konnte nichts sagen, nichts tun. Kari und Jessie waren jetzt zurück, und Ashley warf Kari einen vielsagenden Blick zu, einen Blick, der ihr sagte, dass ihr Vater litt, aber dass er darüber hinwegkommen würde.

Als Ashley sich von beiden verabschiedete und zu Landon und Cole nach Hause fuhr, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Tränen, weil es sie traurig machte, ihren starken Vater, den unbesiegbaren Dr. Baxter so leiden zu sehen, dass er kaum sprechen konnte. Tränen, weil ihre Mutter nie im Zuschauerraum sitzen und Tom Sawyer sehen und wissen würde, dass ihre früher so rebellische Tochter tatsächlich das Bühnenbild gemalt hatte. Tränen, weil die kleine Jessie sich nicht mehr an ihre Großmutter erinnerte. Aber vor allem Tränen, weil das, was sie mit ihrem Blick zu Kari gesagt hatte, stimmte. Eines Tages würden sie alle tatsächlich darüber hinwegkommen.

Und das war vielleicht das Traurigste.

Kapitel 9

Dayne war allein in seinem Haus in Malibu und wollte sich einen alten Barbara-Streisand-Film anschauen, als sein Telefon klingelte. Mitch Henry hatte versprochen, ihn anzurufen, sobald er etwas Neues wusste.

„Dayne, hier ist Mitch.“ Er machte eine kurze Pause. „Sie kommt.“

„Wirklich?“ Dayne sprang auf. „Ist das dein Ernst?“ Er schritt zur Tür, die zur Terrasse führte, starrte ein paar Sekunden aufs Meer und kehrte dann zum Sofa zurück, während Mitch ihm die Details berichtete. „Hey, warte.“ Dayne erstarrte. „Du hast meinen Namen nicht erwähnt, oder?“

„Kein einziges Mal.“

„Bist du dir sicher? Kein einziges Mal?“

„Dayne, sie hatte noch nicht einmal etwas von dem Film gehört.“ Er lachte kurz. „Bilde dir nicht zu viel ein. Von dir hat sie wahrscheinlich auch noch nie gehört.“

„Autsch.“ Dayne setzte seine Füße wieder in Bewegung und ging vom Sofa erneut zur Terrassentür und zurück. „Sie kommt also wirklich?“

„Ja, aber, Matthews, bist du dir sicher, dass du das richtige Mädchen hast?“ Mitch klang zögernd. „Ich habe sie freundlich überredet, wie du gesagt hast, aber sie ist ganz anders als jede andere Schauspielerin, mit der ich je gesprochen habe. Sie hat immer wieder dasselbe gefragt.“

„Was denn?“ Dayne fühlte sich aufgedreht und lebendig. Katy Hart kam zum Vorsprechen nach Hollywood. War das nicht wunderbar? Er konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. „Was hat sie denn gefragt?“

„Ob es ein Irrtum sei, ein Scherz.“ Er lachte, aber es klang eher sarkastisch als belustigt. „Das zeugt wirklich von großem Selbstvertrauen, Matthews. Sie dürfte im Film herrlich ankommen.“

Dayne ignorierte seine letzte Bemerkung. Es interessierte ihn nicht, was Mitch Henry dachte. Katy war perfekt für die Rolle; das würden sie alle bald mit eigenen Augen sehen. „Sie kommt am Sonntag, oder?“

„Ja, Sonntag.“ Er schwieg einen Moment. „Wir bringen sie im Sheraton unter und lassen sie am Morgen ins Studio bringen. Ihr Vorsprechen ist um neun Uhr, okay? Bist du jetzt zufrieden, Matthews?“

„Ja, das bin ich.“ Er schmunzelte. „Ich habe ihren Pilotfilm gesehen, Mitch. Sie ist genau die, die wir suchen.“

„Unschuldig?“

„Wie ein Baby.“

Mitch atmete hörbar ein. „Ich habe getan, was du wolltest. Ich tue doch alles, damit du zufrieden bist.“

„Du vergisst etwas.“

„Was denn?“ Mitch klang müde, als langweile ihn das Gespräch.

„Du vergisst, dass ich das tue, damit auch du zufrieden bist.“ Dayne kehrte zum Sofa zurück und setzte sich wieder. „Ich sage dir, Mitch, du wirst sie mögen.“

„Ich mag vor allem, wenn wir endlich die Rolle besetzt hätten.“ Nach einer weiteren Minute verabschiedeten sie sich und Dayne legte das Telefon wieder auf den Wohnzimmertisch. Wow. War es wirklich so leicht gewesen? Alles über Katy Harts Hintergrund herauszufinden, ausfindig zu machen, wo sie wohnte, und sie dazu zu bringen, zum Vorsprechen zu kommen?

In zwei Tagen würde Katy Hart – eine junge Frau, die er seit seinem kurzen, heimlichen Besuch in einem Laientheater nicht mehr vergessen konnte – vor ihm stehen und für eine Hauptrolle an seiner Seite in einem großen Kinofilm vorsprechen.

Dayne schloss einen Moment die Augen. Er musste die Paparazzi von ihr fernhalten, und das bedeutete eines: Sie durfte nicht mit ihm allein gesehen werden. Eine Frau, die zum Vorsprechen ins DreamFilms-Studio kam, war noch nicht interessant genug, um sie neugierig zu machen. Aber eine namenlose Regisseurin eines Kindertheaters aus Bloomington, Indiana, die nur auf die Bitte von Dayne Matthews hin nach Hollywood kam?

Diese Geschichte würde auf der Titelseite landen.

Nein, er durfte nicht mit ihr gesehen werden, und das war okay. Er war nicht an ihr interessiert, nicht wirklich. Er wollte nur die Chance bekommen, mit ihr einen Film zu drehen. Mit einer Schauspielerin, die neu und talentiert war und die noch nicht durch das Hollywoodleben verdorben war. Mit ihr zu drehen würde ihn in seine Studentenzeit zurückversetzen, als die Schauspielerei etwas gewesen war, das ihn zutiefst erfüllt und begeistert hatte.

Er wusste bereits, dass er sie vor der Kamera lieben würde, dass er ihr frisches Gesicht, die Unschuld in ihren Augen lieben würde. Aber es gab da noch ein kleines Problem. Er war zu Mitch Henry nicht ganz ehrlich gewesen. Er wusste nicht wirklich alles über Katy Hart. Etwas fehlte. Und dieses Puzzleteil lag in Chicago, wo Katy Hals über Kopf ihre Zelte abgebrochen und einen anderen Berufsweg eingeschlagen hatte.

Je nachdem, was damals in Chicago passiert war, bestand die Möglichkeit, dass Katy Hart es vielleicht gar nicht bedauerte, den Durchbruch im Filmbusiness nicht geschafft zu haben. Dayne schlug die Augen auf, lehnte sich auf dem Sofa zurück und starrte zu seiner gewölbten Zimmerdecke hinauf. Das war nicht möglich, oder? Jede andere Frau, die er in diesem Geschäft kennengelernt hatte, wollte das Gleiche. Die Chance, ein Star zu werden, das eigene Gesicht und den eigenen Namen auf der Leinwand zu sehen – war es nicht so? Aber trotzdem war diese Frage das Einzige, was Dayne den restlichen Abend und den ganzen nächsten Tag Kopfzerbrechen bereitete, während er die Stunden bis zu Katys Ankunft zählte.

Katy Hart war nicht wie jede andere Frau.

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Katy zog sich dreimal um, bevor sie mit dem Aufzug in die Hotelhalle hinunterfuhr, wo ihr Fahrer sie abholen würde.

Die Rolle war als weibliche Hauptrolle in einer romantischen Komödie über ein Kleinstadtmädchen beschrieben worden, das davon träumte, in New York City als Journalistin Karriere zu machen. Katy hatte einen ganzen Koffer Kleidungsstücke eingepackt, damit sie eine möglichst große Auswahl hatte. Um sechs Uhr morgens hatte sie geduscht und die verschiedenen Kleidungsstücke ausprobiert.

Im Schauspielunterricht hatte sie gelernt, dass die Kleidung so gut wie möglich auf die Rolle abgestimmt sein sollte. Deshalb war ihr erster Gedanke eine Jeans und ein T-Shirt gewesen. Aber dann war ihr eingefallen, dass Mitch Henry gesagt hatte, die weibliche Hauptfigur verbrächte den größten Teil des Filmes in Manhattan. Und das bedeutete ein völlig anderes Outfit. Deshalb zog sie sich nochmals um und wählte eine schwarze Hose und einen kurzen modischen Blazer.

Aber als sie ihren Blazer zugeknöpft hatte, fühlte sie sich steif und zu elegant gekleidet, außerdem waren die Sachen für den kalifornischen Sommer viel zu warm.

Am Ende wählte sie etwas, das dazwischenlag: Eine Khakihose und eine gelbe Baumwollbluse – darin fühlte sie sich wohl. Nicht dass das eine Rolle gespielt hätte. Die ganze Idee, nach Los Angeles zu fliegen und für eine Filmrolle vorzusprechen, war so sonderbar, dass Katy immer noch damit rechnete, jeden Augenblick würde jemand in ihrem Hotelzimmer auftauchen und ihr sagen, alles sei nur ein Scherz gewesen.

Und selbst wenn das nicht passieren sollte, hatte DreamFilms sicher Schauspielerinnen mit mehr Erfahrung, die für diese Rolle Schlange standen. Aber vielleicht war der Anruf auch gekommen, weil sie tatsächlich in einer Kleinstadt lebte. Vielleicht wollte man sie den Top-schauspielerinnen als das Kleinstadtmädchen präsentieren und brauchte sie nur als Anschauungsobjekt.

Katy wusste es nicht, aber es musste einen Grund geben, der bestimmt bald ans Licht käme. Sie nahm in der Hotelhalle Platz und wartete, als ein Mann in schwarzer Jeans und einem leichten, schwarzen Pullover auf sie zukam. „Miss Hart?“

„Ja.“

„Ich bin Greg, Fahrer bei DreamFilms.“ Er lächelte und reichte ihr die Hand. „Ich soll Sie zum Studio bringen.“

„Es ist also tatsächlich kein Scherz?“ Katy ging neben Greg her, während sie zu einem silberfarbenen Geländewagen gingen, der gleich vor der Tür parkte.

„Nein, das ist kein Scherz.“ Greg hielt ihr die Autotür auf und ging dann um das Auto herum und stieg auf der Fahrerseite ein. „Im Gegenteil, wenn ich richtig gehört habe, würde ich sagen, dass es einer der größten Filme wird, die je gedreht wurden.“

Auf dem Weg zum Studio unterhielten sie sich über Belanglosigkeiten, und Katy hatte die ganze Zeit das Gefühl, sie spiele eine Rolle in einem Stück. Denn das war nicht ihr Leben. Zu einem großen Filmstudio gefahren zu werden, um dort für die Hauptrolle in einem Film vorzusprechen, das war das Leben, von dem sie früher geträumt hatte, als sie noch in Chicago gelebt hatte.

Aber als sie diese Welt verlassen hatte, hatte sie gewusst, dass das alles hinter ihr lag. Gott hatte sie von dort herausgeholt, und Gott würde sie wieder in diese Welt hineinbringen müssen, falls sie je wieder in einem Film mitspielen sollte. Und jetzt war genau das passiert. Gott hatte eine Tür geöffnet, und sie war bereit, vorsichtig durch diese Tür zu gehen, obwohl sie bei jedem Schritt das Gefühl hatte, eine Rolle zu spielen, die sie nicht selbst war.

Der Fahrer führte Katy zu einem Büro, in dem Mitch Henry sie begrüßte.

„Haben Sie die Details zum Film im Internet nachgelesen?“ Mitch setzte sich auf die Ecke seines Schreibtisches und musterte sie. „Ich bin davon ausgegangen, dass das selbstverständlich ist.“

„Nein, Sir.“ Katy hatte es vorgehabt. Aber der einzige Internetzugang, den sie hatte, war im Haus der Flanigans, und ihre Beziehung zu Jenny und Bailey war immer noch angespannt. Deshalb hatte sie ihre Zeit lieber damit verbracht, die richtige Kleidung auszusuchen und mit Rhonda am Telefon darüber zu spekulieren, wie es zu dieser Einladung nach Hollywood gekommen sein könnte. Sie rutschte auf ihrem Stuhl zur Seite. „Ich weiß nur das, was Sie mir gesagt haben.“

„Nun ...“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Katy an. Dann griff er in seinen Schreibtisch und reichte ihr ein paar zusammengeheftete Skriptseiten. „Sie werden diesen Text vorsprechen. Ich gebe Ihnen ein paar Minuten, um sich mit der Szene vertraut zu machen. Dann kommen Sie zu mir und dem männlichen Hauptdarsteller nach nebenan.“

„Dem männlichen Hauptdarsteller?“ Katy hatte keine Ahnung, wer das war.

„Ja.“ Mr Henry schaute sie an. „Dayne Matthews. Er wurde vor Monaten für diese Rolle ausgewählt. Er ist mit im Raum, aber nur hinter einem Schreibtisch. Beim heutigen Vorsprechen geht es nur um Sie, meine Liebe.“ Er zögerte wieder und schaute sie an. „Noch irgendwelche Fragen?“

„Nein, Sir.“ Katy hatte hundert Fragen, aber in ihrem Kopf herrschte ein zu großes Durcheinander.

„Okay. Dann warte ich mit Dayne nebenan. Wir erwarten Sie in ein paar Minuten.“ Mitch Henry verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Katy merkte, dass sie zitterte. Sie atmete tief durch. Dayne Matthews? Er spielte die Hauptrolle? Mr Henry erwartete wahrscheinlich, dass sie aufgeregt war und vor Ehrfurcht vor dem großen Star erstarrte. Aber sie konnte an nichts anderes denken als an den sonderbaren Abend vor einem Jahr, als das christliche Kindertheater seine letzte Aufführung von Charlie Brown gehabt hatte.

Gegen Ende des Stücks war ein Mann Mitte dreißig allein ins Theater gekommen und hatte sich in die hinterste Reihe gesetzt. Katy war damit beschäftigt gewesen, sich das Stück anzuschauen und die Feier danach zu organisieren. Aber der Mann war ihr trotzdem nicht entgangen.

Und nach der Aufführung war Rhonda auf sie zugelaufen und vor Aufregung ganz außer Atem gewesen. „Dayne Matthews war hier, Katy! Kannst du dir das vorstellen? Hier in unserem kleinen Theater?“

Katy hatte zuerst daran gezweifelt, weil es einfach keinen Sinn ergab. Was hatte Dayne Matthews bei der Aufführung eines christlichen Kindertheaters zu suchen? Und das auch noch ausgerechnet in Bloomington?

Aber je mehr sie an diesem Abend mit den verschiedensten Leuten sprach, umso mehr war sie davon überzeugt. Dayne Matthews war tatsächlich hier gewesen und hatte sich einen Teil des Stücks angeschaut. Aber sein Auftauchen war nie erklärt worden, und er war wieder verschwunden, bevor jemand mit ihm hatte sprechen können. An jenem Abend hatte Katy, bevor die Feier begonnen hatte, für diesen Mann gebetet. Sie hatte dafür gebetet, dass Gott ihn eines Tages zurückbrachte, falls er aus einem bestimmten Grund gekommen war.

Jetzt, da Dayne und Mitch Henry im Zimmer nebenan auf sie warteten, musste sie glauben, dass es irgendwie einen Zusammenhang gab. Hatte Dayne sich an sie erinnert und sie für das Vorsprechen vorgeschlagen? Diese Idee war verrückt. Er hatte sie nur wenige Minuten gesehen, als sie auf der Bühne mit den Eltern gesprochen hatte. Warum hätte ihn das auf die Idee bringen sollen, sie könnte Schauspielerin sein?

Katy war von den ganzen Fragen, die ihr durch den Kopf schossen, ganz verwirrt. Wie sollte sie für eine Rolle mit Dayne Matthews vorsprechen, ohne zu verstehen, warum sie überhaupt hier war? Ihre Gedanken rasten in zig verschiedene Richtungen. Das Skript in ihren Händen zitterte so stark, dass sie es nicht lesen konnte.

Fünf Minuten waren schon vergangen, und Katy konnte nur eines tun. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und hob ihr Gesicht. Gott, erfülle mich mit deinem Geist, deiner Kraft, deiner Macht. Ich brauche nicht alle Antworten; ich brauche nur dich.

„Meinen Frieden gebe ich dir, Tochter ... ich werde dich nie verlassen oder im Stich lassen.“

Dieser ermutigende Gedanke kam aus der Tiefe ihrer Seele und verbreitete Wärme und Frieden bis in ihre Fingerspitzen. Die Worte waren aus der Bibel, Worte, die sie als kleines Mädchen auswendig gelernt hatte, als sie zu schüchtern gewesen war, um sich vor ihre Klasse zu stellen und ein Referat zu halten.

Und jetzt hörte sie diese Worte wieder, die ihr genau in dem Moment Ruhe schenkten, in dem sie darum gebeten hatte. Katy atmete langsam ein. Warum hatte sie nicht früher um Hilfe gebeten? Sie schlug die Augen auf und schaute das Skript an. Ihre Hände waren jetzt ruhig und sie begann, den Text zu lesen.

In der Szene erklärte die weibliche Hauptdarstellerin ihrem Vater, warum sie von zu Hause wegging und nach New York City zog. Bis auf wenige Worte war es ein zweiminütiger Monolog, bei dem die Figur ihre Entscheidung verteidigte und gleichzeitig von der Ehrfurcht und Begeisterung für das Leben außerhalb ihrer Kleinstadt ergriffen war. Kein Wunder, dass diese Stelle für das Vorsprechen ausgewählt worden war. Sie ließ ein breites Spektrum an Gefühlen zu, die jedem Casting-Direktor die nötigen Informationen über das Talent eines Schauspielers gaben, die er brauchte.

Sie ging den Text dreimal durch. Beim ersten Vorsprechen durfte sie das Skript benutzen, aber sie konnte den Text schon fast auswendig. Schließlich stand sie auf, strich die Falten ihrer Hose glatt, umklammerte das Skript und ging auf den Raum zu, in dem die zwei Männer warteten.

Bei jedem Atemzug erinnerte sie sich an die beruhigenden Worte ihres himmlischen Vaters:

„Ich werde dich nie verlassen oder im Stich lassen.“

Das war gut. Denn ohne Gottes Hilfe würde sie nicht einmal die erste Zeile schaffen. Sie würde vor Angst ohnmächtig auf dem Boden zusammensacken.