Cover

Heinz G. Konsalik

Zwei Stunden Mittagspause

Roman

hockebooks

16

Die Exhumierung von Margots Leiche war für den frühen Morgen des nächsten Tages vorgesehen.

Zwei Wagen der Mordkommission, ein Leichenwagen mit dem üblichen flachen Zinksarg, ein Gerichtsmediziner, sechs Polizisten, die das Gelände absperren sollten, der Polizeifotograf und eine Sekretärin der Mordkommission für das Protokoll standen auf dem schmalen Waldweg, von dem ab es nur noch an die zwanzig Schritte bis zu der von Zumbach auf seiner Skizze angekreuzten Stelle waren.

»Dann wollen wir mal!«, sagte Kriminalobersekretär Meier III und winkte den beiden Waldarbeitern der Forstverwaltung zu. »Wenn ihr sie freigelegt habt und euch übel werden sollte, könnt ihr einen trinken, Jungs.«

Die Mordkommission umstand die Stelle, wo Margot Großmann angeblich verscharrt worden war.

Kriminalrat Häberle schob den Hut in den Nacken. Es war ein kalter, nebeliger Morgen, ein »englischer Morgen«: nässlich, mit wabernden Nebelschwaden, still und menschenfeindlich. Aber trotz dieses miesen Wetters begann Häberle zu schwitzen.

»Hier …?«, fragte er gedehnt. »Irren Sie sich auch nicht, Meier?«

»Auf der Skizze von Zumbach ist es so angegeben.« Meier III hielt das Blatt Papier hoch. »Wenn die Zeichnung stimmt, stehen wir jetzt drei Meter vor dem Grab.«

»Dann sehen Sie sich mal den Boden an!« Häberle wies mit seinem Regenschirm auf den Waldboden vor sich. »Unberührt … nirgendwo Spuren, dass einer hier gegraben hat. Keine Erdkrümel … unversehrter Humusboden. So vollkommen haben nicht mal die alten Indianer in unseren Jugendgeschichten Spuren verwischen können. Aber gut, fangen wir an. Trotzdem glaube ich, dass wir an der falschen Stelle sind.«

Häberles Pessimismus sollte sich als berechtigt erweisen.

Man grub im Umkreis von vier Metern einen Meter tief … Margot Großmann fand man nicht.

Es wurde Mittag, die Waldarbeiter schwitzten, die Gesichter der Männer von der Mordkommission wurden immer länger.

Häberle rauchte eine seiner dicken Brasilzigarren, was immer Unheil bedeutete. Meier III lief herum wie ein beutegieriger Fuchs, schnüffelte den Boden ab und suchte nach Spuren.

Nichts, was darauf hingewiesen hätte, dass hier ein Mensch vergraben worden war. Nur unberührter Wald.

Und gegen zwölf Uhr mittags begann es zu regnen, zwölf Uhr Mittag – die Stunde, die einmal zwei Menschen zum Verhängnis geworden war.

»Die Skizze ist falsch«, sagte Meier III schließlich erschöpft. »Aufhören zu graben! Schluss. Wir sind am falschen Ort.«

»Und was bedeutet das?«, fragte Häberle und gab sich dann selbst die Antwort: »Der Fall bleibt in seiner letzten Konsequenz unaufgeklärt. Margot Großmann ist tot … aber wir werden nie wissen, wie sie wirklich gestorben ist.«

»Wir suchen weiter, Herr Rat«, sagte Meier III deprimiert.

»Wollen Sie etwa den ganzen Staatsforst umgraben? «

»Wir werden ihn nach Erdbewegungsspuren absuchen.«

»Tun Sie das.« Erdbewegungsspuren, welch ein Wort! Häberle steckte sich die zweite Brasilzigarre an. »Und wenn die ganze Richtung überhaupt nicht stimmt? Wenn es der Nordforst ist? Oder der Spierunger Wald? Oder der Kurfürstenwald? Wir sind von unzähligen Wäldern hier umgeben!«

»Dann bedeutet das, Herr Rat, dass Zumbach uns eine falsche Skizze hinterlassen hat, dass er uns täuschen wollte, dass er Margot Großmann doch ermordet hat.« Meier III stand triefend unter seinem Regenschirm. Um ihn herum war die Erde aufgewühlt. Es roch nach Moder, aber nicht nach menschlicher Verwesung.

»Das wäre eine einfache Folgerung.« Häberle zog an seiner Zigarre und umhüllte sein Gesicht mit einer Rauchwolke. »Wir haben ja Zeit. Wir können systematisch alle Waldstücke durchkämmen. Die Befragung von Frau Megges, der Pensionswirtin, ergab lediglich, dass Margot Großmann tot im Bett lag, als Zumbach sie ins Zimmer ließ. Nackt und tot. Und Frau Megges glaubte ohne den geringsten Zweifel, was Zumbach ihr sagte: Herzversagen. Sie hat sich die Leiche nicht genau angesehen … sie habe ausgesehen, als ob sie schliefe, hat sie zu Protokoll gegeben. Aber auch eine Erwürgte kann so aussehen, als wenn sie schläft. Lassen wir den Fall Zumbach/Großmann also offen, bis wir die Leiche gefunden haben …«

Es war eine schreckliche Stunde, als Kriminalrat Häberle ohne Umschweife Luise Zumbach erklären musste, dass ihr Mann für die Mordkommission so lange in Verdacht stehen würde, ein Mörder zu sein, bis die Tote selbst ihn entlastete.

»Ich habe wenig Hoffnung, dass wir sie finden«, sagte Häberle ehrlich. »Ich frage mich nur: Warum gab Ihr Mann Ihnen eine falsche Lageskizze?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Luise kaum hörbar. »Aber er war kein Mörder, davon bin ich fest überzeugt.«

»Als Ihr Mann Margot Großmann verscharrte, litt er nicht etwa unter Gedächtnisschwund. Er konnte sich sehr gut erinnern, wo er sie begraben hatte. Panik überfiel ihn, als er feststellen musste, dass seine Geliebte tot war – wenn es tatsächlich ein Unfall gewesen ist, wie Sie annehmen. Aber dann, als er sie fortschaffte, handelte er bewusst. Und er handelte mit kalter Berechnung, wenn er Margot Großmann ermordet haben sollte.« Häberle sah auf Luises gesenkten Kopf. »Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Ihnen auch noch die letzte Wahrheit zu sagen: Zum Abschied hat Ihr Mann Ihnen eine Lüge hinterlassen.«

»Das ist nicht wahr!« Luises Kopf zuckte hoch. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, voll Empörung und Widerstand gegen die Fülle von Schmerz, die sie durchflutete.

Als sie sich wieder gefasst hatte, sagte sie: »Sie haben Heinrich nicht in dieser Stunde erlebt, in der er mir alles gestand. Er war fertig, restlos am Ende, ein totaler Zusammenbruch … da lügt man nicht mehr. Da will man sich nur von der unerträglichen Last befreien.«

Häberle nickte schwach. »Psychologisch gesehen ist das alles richtig. Aber wo ist die Leiche von Margot Großmann? Das allein gilt! Und Ihr Mann hat dieses Wissen mit in sein Grab genommen. Warum? Was hatte er zu verbergen?«

»Er war kein Mörder!«, schrie Luise auf. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte. »Er hat sie nicht umgebracht! Er war dazu nicht fähig …«

»Das will ich Ihnen ja gerne glauben, aber in der Kriminalistik gilt leider nicht der Glaube, sondern einzig und allein der Beweis. Und solange die Leiche nicht gefunden wird, ist Heinrich Zumbach in unseren Augen …«

Er schwieg, doch Luise wusste auch so, wie das Ende des Satzes gelautet hätte. Es gab darauf nichts mehr zu erwidern.

Heinrich Zumbach galt als Mörder.

Sie war die Frau eines Mörders.

Es gab nur eins: Die Zähne zusammenbeißen und auf das Wunder hoffen, dass jemand die Stelle finden würde, wo Margot Großmann begraben lag.

Aber gibt es heute noch Wunder?

Nach drei Wochen wurde die Suche eingestellt. Die Akte Großmann wanderte in den Schrank für »ungeklärte Fälle«. Es waren nicht viele Akten, und Kriminalrat Häberle war stolz auf die Erfolge seiner Beamten.

Aber diese Akte Großmann ärgerte ihn. Sie würde daliegen und verstauben, sie würde keinen mehr interessieren, doch sie würde immer den Namen Zumbach mit einem Mordverdacht belasten, obwohl einem der gesunde Menschenverstand sagen musste, dass es wirklich ein Unfall gewesen war – ein postkoitaler Kollaps.

»Heinrich Zumbach war ein ausgemachter Narr«, sagte Häberle, als die Mordkommission wieder einmal zu einer Besprechung beim Chef zusammensaß. »Gibt es sonst was Neues?«

Kommissar Feiger vom Morddezernat II legte eine dünne Akte auf den Schreibtisch des Chefs. »Christian Hahmel hat gestanden.«

»Na endlich!« Häberle atmete auf. Wieder ein gelöster Fall. Mord an einer Greisin wegen ihrer Ersparnisse. Das Geld hatte der Mörder allerdings nicht gefunden, nur das Portemonnaie der alten Frau, das DM 14,49 enthielt.

So billig ist ein Menschenleben. DM 14,49.

Und der Mörder Hahmel war siebzehn Jahre alt …

Im Spätsommer sah man Benno Großmann und Luise Zumbach mehr als sonst zusammen. Sie besuchten die Klubabende zusammen, sie fuhren zur Weinlese nach Meran, sie gingen in die Oper und in Konzerte.

Was alle munkelten, machte Großmann an einem Abend im Oktober zur Wahrheit.

»Luise«, sagte er. »Du hast mir geholfen, Margot zu vergessen … Nein, das ist keine Phrase … ich denke an sie, aber ich denke an sie wie an einen Menschen, an dem man vorbeigegangen ist. Keine Bitterkeit ist mehr da, kein Schmerz. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, wenn du an Heinrich denkst.«

»Er gehört einer vergangenen Zeit an … weiter nichts. Wir aber leben jetzt ein neues, eigenes Leben«, erwiderte sie lächelnd, und dieses Lächeln gab Benno Mut.

»Wirklich ein eigenes Leben?«

»Wie man’s nimmt …«

»Haben wir uns nicht aneinander gewöhnt … mehr als gewöhnt, Luise? Die vergangenen Monate … gehören wir nicht zusammen? Bin ich dir nicht mehr geworden als nur ein guter Freund?«

»Manchmal ist es so, dass ich darauf warte, dass du draußen an der Tür klingelst.«

»Manchmal nur?«

»Nein … eigentlich immer.« Luise schüttelte den Kopf und lachte. »Hast du Angst, Benno?«

»Ich bin ein alter Trottel.«

»O nein, du bist ein feiner Kerl!«

»Wir sollten heiraten, Luise, meinst du nicht?«

Benno Großmann zog sie aus dem Sessel und nahm sie in die Arme. Ganz nahe war ihr Gesicht, und ihre blauen Augen hatten etwas rührend Kindliches.

Er küsste ihren Mund – nicht stürmisch wie ein verliebter Jüngling, sondern eher vorsichtig, wartend, ob sie ihm die Lippen vielleicht entzog. Aber sie blieb in seinen Armen und schloss die Augen, als er sie küsste.

»Verdammt«, sagte er danach, »das war schwerer, als Steine zu kauen.«

»Welch ein Vergleich! Soll das heißen, dass ich dir so schwer im Magen liege?«, fragte sie lachend.

Benno stimmte in ihr Lachen ein, legte den Arm um ihre Schulter und ging mit ihr hinaus auf die Terrasse.

»Jetzt müsste Dieter hier sein«, sagte Großmann. »Er würde sich auch freuen.«

Aber Dieter war weit weg. Er studierte seit einem halben Jahr in den Vereinigten Staaten. Fast fluchtartig hatte er seinen Vater verlassen, als an dem Tod Margots kein Zweifel mehr bestand.

»Die Jugend will die Welt erobern … wie schön ist es doch, dass sie das heute kann!«, hatte Großmann damals gesagt und Dieter nach Amerika fahren lassen. Er war stolz auf seinen Sohn.

Nur etwas wusste er nicht: In der verschlossenen Schublade von Dieters Schreibtisch – den Schlüssel hat er mit nach Amerika genommen – lag ein schmales Buch. Ein Tagebuch mit kärglichen Notizen. Aber eine Eintragung war wichtig:

»Margot ist tot. Wie’s auch gewesen ist … ob sie in Heinrich Zumbachs Armen gestorben ist, oder ob er sie umgebracht hat … ich hätte sie umgebracht, wenn ich gewusst hätte, dass sie jeden Dienstag und Freitag seine Geliebte gewesen ist. Denn sie gehörte mir … mir allein … jeden Montag und Donnerstag … in der Pension Else in Erlenbruch … für zwei Stunden, zwei herrliche Stunden Mittagspause …«

Der Autor

Hans Bemmann

Heinz. G. Konsalik wurde 1921 in Köln geboren; Studium der Theater- und Zeitungswissenschaften und der Literaturgeschichte in Köln und München mit dem Ziel, Dramaturg zu werden. Wurde bei Ausbruch des 2. Weltkrieges eingezogen; nach der Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft war er zunächst Mitarbeiter im Feuilleton der Kölner Zeitung. Bald gehörte er zu jenen Autoren, die sich nach Kriegsende zum Ziel setzten, für die nachkommende Generation die Schrecken jedes Krieges eindringlich und realistisch zu schildern. 1956 wurde Konsalik mit dem Roman Der Arzt von Stalingrad, der heute als einer der Klassiker der Weltkrieg-II-Literatur gilt, nahezu über Nacht berühmt. Seitdem schrieb er einen Bestseller nach dem anderen – insgesamt 155. Am 2. Oktober 1999 erlag er in seinem Salzburger Domizil einem Schlaganfall. Er ist aber noch heute unbestritten der national und international meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller der Nachkriegszeit; seine Werke erreichten bisher eine Gesamtauflage von rund 88 Millionen Exemplaren; sie wurden in 46 Sprachen übersetzt.

1

Sie hörte ihn kommen, drückte die Zigarette in einem kleinen marokkanischen Aschenbecher aus Messing aus, legte sich zurück und kreuzte die Arme hinter dem Nacken.

Die orangefarbenen Übergardinen waren zugezogen … das Sonnenlicht drang gedämpft ins Zimmer und breitete einen matten, rötlichen Schimmer über die nackte Haut.

Sie zog das rechte Bein etwas an und blickte erwartungsvoll auf die Tür.

Seine Stimme klang undeutlich, er stand draußen auf dem langen Flur und sprach mit Albertine Megges, wie er es jedes Mal tat, wenn er das Zimmer in der Pension Sonneck bezog.

Es war sicherlich keine Höflichkeit von ihm, sich ein paar Minuten mit der Pensionswirtin zu unterhalten, eher eine Art Scham- und Reuegefühl, das sich in Worten löste und in einem Geldschein, den Albertine Megges später irgendwo fand: in ihrer Schürzentasche, unter dem Telefon im Flur, auf dem roten Plüschpolster des Dielenstuhles. Ein Pflaster für Schweigsamkeit und Blindheit. Ein letzter Anflug bürgerlichen Gewissens.

Margot Großmann lächelte spöttisch. Sie dehnte sich in der orangegefilterten Sonne, strich mit beiden Händen über ihren blanken, schlanken Körper und zerwühlte sich dann das rötlichblonde Haar.

Er liebte diese Wildheit, dieses Aufgelöste, Urhafte, das ihn wegtrug aus der Enge seines alltäglichen Lebens.

Sie stellte sich ihn jetzt im Flur vor – elegant, groß, nicht schlank, aber auch nicht dicklich, sondern »gut im Fleisch«, wie er es einmal scherzhaft genannt hatte, seine graublauen Augen blickten Frau Megges an, während er die obligaten Worte der Höflichkeit wechselte, sich nach dem Rheumaknie von Albertine erkundigte und ein neues Einreibemittel empfahl. Und Frau Megges sagte glücklich: »Ich werde es mir nachher gleich aus der Apotheke holen, Herr Zumbach. So ‘n Rheuma ist schrecklich … nachts kann ich das Bein nicht ausstrecken, so weh tut’s im Gelenk …«

Schritte …

Seine Hand legte sich auf die Klinke …

Seine Stimme, jetzt deutlich: »Ich werde meinen Hausarzt einmal fragen, Frau Megges. Am Freitag kann ich Ihnen bestimmt ein gutes Mittel sagen …«

Ein Räuspern …

Margot blickte auf die Armbanduhr … sie war das Einzige, was sie noch am Körper trug, und auch sie band sie jetzt ab und legte sie auf den Nachttisch.

12 Uhr und 15 Minuten. Bereits eine Viertelstunde verschenktes Glück.

Er hat zu viel Gewissen, dachte sie. Er redet und redet und beruhigt sich damit selbst. So ist es immer, bevor er hier in diesem Zimmer alles von sich abschüttelt und ein anderer Mensch wird. Nicht mehr der Mann, der seine Frau betrügt, der seinem besten Freund die Frau wegnimmt, der heimlich in die Pension Sonneck schleicht und mit seiner Kleidung auch den berühmten Architekten, den Erfolgsmenschen, das Aushängeschild der Gesellschaft abstreift. Hier in diesem Zimmer wurde er wöchentlich zweimal neu geboren … jeden Dienstag und jeden Freitag von zwölf bis zwei Uhr mittags.

Margot Großmann legte sich mit ausgebreiteten Armen zurück, als die Tür aufschwang und sich leise wieder schloss.

Heinrich Zumbach blieb einen Augenblick im Türrahmen stehen und blickte stumm auf Margot.

Ihr in der orangenen Sonne glänzender Körper hatte jene Schönheit, die zunächst sprachlos macht. Vollendung erzeugt Schweigsamkeit … es ist wie eine Kapitulation, eine völlige Aufgabe des eigenen Willens.

»Guten Tag, kleine Göttin«, sagte Zumbach.

Er kam näher, setzte sich auf die Bettkante und fasste mit beiden Händen in das zerwühlte Haar.

»Guten Tag, Bärlein.«

Sie zog seinen Kopf zu sich herunter und küsste ihn mit der Leidenschaft, von der er in den »stillen« Tagen träumte. Unter seinen gleitenden Händen spürte er die glatte Schönheit ihres Leibes, und seine Verwandlung begann.

»Du wirst von Tag zu Tag schöner«, sagte er heiser. »Ich habe Angst!«

»Vor mir?« Margot lachte und schlang ihre langen Beine um seinen Leib.

»Eines Tages werde ich neben dir wie ein hässlicher Affe wirken. Es ist unheimlich, wie schön du bist.« Er zog das Hemd über seinen Kopf und warf es neben das Bett. »Das Einzige, was mich tröstet, ist, dass auch andere Männer neben dir wie Affen aussehen.«

»Wie lange hast du Zeit?«, fragte sie.

»Bis zwei Uhr, du weißt es doch.«

»Ja, ich weiß es! Und es macht mich krank, bevor ich noch dieses Zimmer betrete. Liebe nach der Uhr, wie ein Kantinenessen! Zwei Stunden Mittagspause … rrrrrrr, die Klingel rasselt, alles wieder auf die Plätze, Mund abwischen, in die Hände gespuckt und weitergemacht. In den Frikadellen war heute wieder verdammt viel Brot, was, Karle? Und der Wirsing war pappig. Man sollte dem Kantinenkoch mal in den Hintern treten! Oder einfach streiken. So ‘n Fraß, das ist doch ‘ne verlorene Mittagspause, Karle …«

Sie zog die Beine an und umfasste sie. Das Kinn auf die Knie gestützt, starrte sie Zumbach an, wie er sich ganz entkleidete und seine Hose, ordentlich auf Bügelfalte gelegt, über die Stuhllehne hängte.

»Ich liebe dich, Bärlein«, sagte sie leise.

Ihre Stimme hatte plötzlich einen anderen, fremden, fast kindlichen Klang.

»Ich liebe dich wirklich. Nicht bloß, weil Liebe schön ist, weil es Spaß macht, weil es uns gut tut wie ein Schinkenbrot oder ein Glas Sekt … nein, ich liebe dich mit allem, was ich habe.

Ich hasse dieses Versteckspielen, diese Pension, dieses Zimmer, das diskrete Herumschleichen von Frau Megges, die Lügen zu Hause, das Theaterspielen, wenn wir uns außerhalb dieses Zimmers sehen, diese Heuchlerei, wenn ich deine Frau umarme und sie auf die Wangen küsse, oder wenn du Benno umarmst und eure dicke Freundschaft dokumentierst. Das ist alles widerlich! Warum können wir uns nicht lieben und das vor aller Welt gestehen?«

»Wir haben ausgemacht, nie mehr darüber zu sprechen, Margot.«

Zumbach umfasste ihre Schulter und zog sie an sich.

Ihr Körper glitt ihm entgegen, und er spürte, wie wild in ihr der Drang zu ihm war. Ihre großen grünen Augen unter dem zerzausten Haar wurden dunkler und glänzender. Er kannte das von vielen Mittagspausen und atmete heftiger.

»Du bist meine Göttin!«, sagte er heiser. »Eine Göttin der Liebe … und den Göttern gehört die Unendlichkeit …«

Es waren Worte, auf die sie keine Antwort wusste, wie so oft, wenn sie mit ihm zusammen war.

Sie ließ sich zurückfallen und riss ihn mit sich, und die orangene Sonne zerbarst, wie die ganze Welt auseinanderplatzte in einem Lustgefühl, für das es keinen Namen gab …

Es war gegen halb zwei, als Margot Großmann in den Armen Zumbachs merkwürdig zu atmen begann. Es klang wie ein helles Röcheln, unterbrochen von einem seufzenden Atemholen, als schnüre ihr etwas die Kehle zu.

Ihre großen Augen bekamen etwas Starres, Fremdes … Angst schrie in ihnen auf und eine dunkle, schreckliche Ahnung. Noch zitterte ihr Körper in den heißen Wellen der Erregung, aber das Bedrückende, Unbekannte mischte sich bereits hinein.

Zumbach bemerkte es nicht sofort. Sein Rausch war vollkommen, sein Himmel brannte in tausenden brausenden Feuern.