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Verlag:  BILDNER Verlag GmbH

ISBN Print: 978-3-8328-5284-9
ISBN eBook: 978-3-8328-5242-9

Covergestaltung: Christian Dadlhuber

Produktmanagement: Lothar Schlömer

Layout: Angela May, Mettmann

Autor: Ronny Behnert

Herausgeber: Christian Bildner

© 2016 BILDNER Verlag GmbH, Passau | zweite überarbeitete Auflage

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Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Es gelten die Lizenzbestimmungen der BILDNER-Verlag GmbH Passau.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Buch

1Der Fotograf

2Unterschiede zu herkömmlichen Belichtungen

3Langzeitbelichtungen

3.1Voraussetzungen und Tageszeiten

3.2Kurze und lange Belichtungszeiten mit Dichtefiltern

Bewegungsunschärfen im Straßenverkehr

Die Effekte der langen Belichtungszeiten

Das Geheimnis der menschenleeren Orte

Ziehende Wolken und spiegelglattes Wasser

4Das Equipment

4.1Die Kamera

Sensorflecken

4.2Die Objektive

4.3Der Neutraldichtefilter

Der Einschraubfilter

Der Einsteckfilter

Neutraldichtefilter in Kombination mit anderen Filtern

Notwendiges Abdichten von Filtern und Kamera

4.4Fernauslöser und Stative

Der Infrarotfernauslöser

Der Funkfernauslöser

Der Kabelauslöser

Das Stativ

Der Stativkopf

5Einstellungen an der Kamera

5.1Die Wahl des Dateiformats

RAW

JPEG

TIFF

Die richtige Wahl

5.2Der Weißabgleich

Automatischer Weißabgleich

Manueller Weißabgleich

5.3Die ISO-Empfindlichkeit

5.4Die Blende

5.5Die Rauschreduzierung

High ISO Rauschreduzierung

Rauschreduzierung bei Langzeitbelichtungen

5.6Der Bulb-Modus

5.7Einstellungen am Objektiv

5.8Die Bildschärfe

Fokussierung

Blendeneinstellung

Instabiler Untergrund

Verwacklungen am Stativ

Die Spiegelvorauslösung

5.9Die Belichtungszeit

5.10Das Histogramm

6Motive

6.1Architektur

6.2Urbanes

Das Urheberrecht

6.3Landschaften

6.4Menschen

6.5Blitze

Der richtige Standpunkt

Auf Blitzjagd

6.6Auf Reisen

7Komposition und Gestaltung

7.1Das passende Bildformat

Das Querformat

Das Hochformat

Das Quadrat

Das Panoramaformat

7.2Die Bildaufteilung

Der Goldene Schnitt

Die Drittelregel

Die Fibonacci-Spirale

Gedachte Linien

Natürliche Rahmen

7.3Minimalismus

8Vorgehensweise zum Erstellen einer Langzeitbelichtung

8.1Planungen vor der Aufnahme

Clevere Tricks zum Erstellen innovativer Fotos

8.2Die Ermittlung der Belichtungszeit

8.3Während der Aufnahme

8.4Nach der Aufnahme

9Langzeitbelichtungen bei Nacht

9.1Die besten Voraussetzungen

9.2Blaue und goldene Stunde

9.3Nach der blauen Stunde

Streulicht

9.4Geeignete Motive für Nachtaufnahmen

9.5Lichtsterne

9.6Lichtspuren

9.7Sternenfotografie

9.8DRI/HDR-Fotos erstellen

10Die Bildbearbeitung

10.1Erste Schritte in Adobe Lightroom

Profilkorrekturen aktivieren und chromatische Aberration entfernen

Stürzende Linien entfernen

Weißabgleichseinstellungen

Bildrauschen entfernen

Der Bildzuschnitt

10.2Schwarz-Weiß oder Farbe – die Qual der Wahl

10.3Der Farblook in Lightroom

Erste Korrekturen und Vorbereitungen

Erstellen und Verwenden von Presets

Lichtakzente und künstliche Beleuchtungen hinzufügen

Sensorflecken finden und entfernen

Die letzten Korrekturen

11Das Einmaleins der Fine-Art-Bearbeitung

11.1Erste Schritte zur Vorbereitung

11.2Grundlagen in Photoshop

Die Basisebene

Die Schwarz-Weiß-Konvertierung

11.3Freistellen der Bildteile

11.4Die Ebenenreihenfolge

11.5Arbeiten mit dem Plug In Silver Efex Pro

11.6Verläufe setzen

11.7Fenster abdunkeln

11.8Der letzte Feinschliff

12Das Foto auf Papier

13Zu guter Letzt

Stichwortregister

Vorwort

Zunächst kannte ich Ronny Behnert und seine eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotografien nur virtuell. Wir waren uns online in der Fotocommunity über den Weg gelaufen. Wenig später – es muss 2009 gewesen sein – trafen wir uns erstmals persönlich … auf Sylt, meiner Lieblingsinsel und Ronnys damaligem Wohnsitz.

27 Jahre jung war er zu dem Zeitpunkt. Mein erster Eindruck: ein suchender junger Mann – unsicher, fast ein bisschen schüchtern, dann wieder mit frecher Berliner „Schnauze“. Schwierig, ihn einzuschätzen – mal so, mal so – unfertig irgendwie …

Ich darf das so sagen (wer ist schon je fertig?), weil ich rein altersmäßig Ronnys Mutter sein könnte!

Ronny hatte damals schon seine ganz eigene Art der Fotografie, digital und analog. Gern auch mal experimentell – eher im Sinne von „lernend“ und immer schwarz-weiß mit viel Kontrast –, aber stets in seiner ganz typischen Handschrift …

Die war immer schon sehr klar, gerade – keine Spur von Unsicherheit oder Suche. In der Fotografie wusste er längst, wohin er wollte, nur noch nicht, auf welchem Weg.

So bewarb Ronny sich auf einer privaten Hochschule für ein Fotografenstudium. Angenommen wurde er – bloß bezahlen konnte Ronny das Studium nicht.

Die Suche nach Wegen ging also weiter und führte Ronny schließlich auf die Insel Sylt. Um sein Leben dort finanzieren zu können, arbeitete er halbtags in dem wenig mondänen Inselort Tinnum in einem Zoofachgeschäft in der Terraristik- und Aquaristikabteilung … Gelernt hatte er übrigens Kaufmann im Einzelhandel, Fachbereich Zoologie.

Die übrige Zeit widmete er seiner Fotografie, dem Aufbau seiner Existenz als freiberuflicher Fotokünstler. Er begann damit, am helllichten Tag die Sylter Küstenlandschaft als Langzeitbelichtungen zu fotografieren – mithilfe von stark abdunkelnden Filtern und natürlich in Schwarz-Weiß. Dabei entstanden stille Bilder von manchmal abstrakter, oft auch melancholischer Schönheit. Sie stießen bei einigen Sylter Unternehmern auf großes Interesse, dekorierten schon bald die Wände von Hotels, Restaurants und edlen Ferienwohnungen … Aufträge im Bereich Architekturfotografie folgten.

Im Gegensatz dazu fotografierte Ronny zusätzlich noch für die Kieler Nachrichten tagesaktuelle Ereignisse, scheinbar immer noch suchend, welchen Weg er nun beruflich einschlagen sollte. Aber die Fine-Art-Fotografie kristallisierte sich zunehmend heraus … Ronnys Leidenschaft. Verkäufe und Erfolge häuften sich, auch mithilfe der sozialen Netzwerke und Fotocommunitys wurde Ronnys Arbeiten bekannter und begehrter.

Entsprechend konsequent kündigte er schließlich seinen Brot-Job im Tinnumer „Futterhaus“ und zog dann zurück in seine Heimat aufs Festland.

Erst mal nach Berlin, und von dort ging‘s hinaus in die weite Welt. Nicht mehr suchend, sondern ganz gezielt an Orte, die schon unendlich viele Male fotografiert wurden – aber noch nicht in der unnachahmlichen Sichtweise und Art von Ronny Behnert: die Wolkenkratzer von Dubai, das Schweizer Matterhorn, die Lagunenstadt Venedig, die berühmten Wasserfälle auf Island, die Windmühlen von Kinderdijk in den Niederlanden, die Gassen von Barcelona, der Eiffelturm in Paris. Aber auch klassische Motive in Deutschland finden sich in Ronnys Portfolio: Schloss Neuschwanstein in Bayern, der Leuchtturm von Westerhever in Nordfriesland – beeindruckende Bilder, die im Kopf und in Erinnerung bleiben.

Und immer wieder zwischendurch fotografierte er auch Berliner Motive, Architektur, Gebäude, Wahrzeichen, Sehenswürdigkeiten, Stadtlandschaften.

Warum auch in die Ferne schweifen? „Berlin – Umme Ecke Photography“ ist das aktuelle Projekt von Ronny – Langzeitbelichtungen, Panoramen, nicht mehr nur schwarz-weiß und mit harten Kontrasten, sondern pastellfarbig und in weichem Licht. Die Suche ist noch nicht abgeschlossen, aber der Weg ist gefunden. Manchmal braucht man eben einfach nur vor die Tür „umme Ecke“ zu gehen!

Ronnys Reise geht weiter – mit offenen Augen, suchendem Blick und klarem fotografischem Stil. Ich bin gespannt auf das, was kommt, und stolz darauf, dieses Vorwort geschrieben haben zu dürfen. Ich werde Deinen Weg weiterhin begleiten und Deine Bilder bestaunen, lieber Ronny!

Beate Zoellner

Das Buch

Das Vorwort habe ich meiner Lieblingsfotografin aus dem Norden Deutschlands, Beate Zoellner, überlassen, die mich seit Jahren kennt und die ich sehr schätze. Eine Fotografin, die mir von Beginn an vertraut war und die mich auch aus der Ferne immer unterstützt hat. Danke Dir für dieses persönliche Vorwort! Ich freue mich sehr, dass Du es geschrieben hast.

Ich möchte meinen Dank auf diesem Wege außerdem allen Personen aussprechen, die mir bei diesem Buch und auf meinem fotografischen Weg geholfen und mich unterstützt haben:

Lothar Schlömer, der mir mit Rat und Tat zu jeder Zeit zur Seite stand. Ohne Ihre Hilfe, Ihre Tipps und Ihre Geduld wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen!

Meinem Berliner Kollegen Marcus Klepper, der mir vom Namen her schon länger ein Begriff war, aber den ich erst seit Kurzem persönlich kenne, für das bereitwillige Hergeben seiner Kamera für die eine oder andere Aufnahme in diesem Buch.

Meinem Reisebegleiter Jakob Hartenberger für den letzten Feinschliff am Buch. Weiß ich technisch nicht mehr weiter, ist er das wandelnde Lexikon und steht mir mit Rat und Tat zur Seite. Danke Dir für Deine Hilfe.

Meinen Eltern gilt ein besonderer Dank für ihre Unterstützung. Jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich mich in Projekte hineinsteigere, die mir am Herzen liegen. Dabei vergesse ich oft die Welt um mich herum und somit auch die eine oder andere Erledigung. Hätten meine Eltern nicht ab und an nach mir geschaut, wäre ich wahrscheinlich schon verhungert, verdurstet oder im Chaos meiner Wohnung versunken.

Widmen möchte ich dieses Buch aber einer ganz besonderen Person, die während der Arbeiten an diesem Projekt leider verstorben ist. Meiner Oma. Viele Gedanken zu ihr finden sich in diesem Buch wieder, und ich hoffe, dass sie es gut hat, dort, wo sie jetzt ist. Auf dass Du in unseren Herzen weiter wachsen wirst.

Mein Dank gilt aber auch allen anderen Unterstützern, die hier nicht namentlich genannt werden können, aber die mich täglich neu voranbringen. Es ist immer wieder ein aufbauendes Gefühl, Resonanzen von Personen zu bekommen, die mich von Beginn meiner Fotografie an begleiten. Manche still und leise und manche mit regelmäßigen Kommentaren oder in persönlichen E-Mails. Viele dieser Reaktionen zu meinen Arbeiten sind die pure Motivation. In all den Jahren habe ich tolle Leute kennenlernen dürfen, die mich inspiriert und die mir Freude und Lob geschenkt haben. Die mir Türen geöffnet haben, die mir ohne deren Hilfe verschlossen geblieben wären, und mir damit weitere Schritte in die richtige Richtung ermöglicht haben. Ich danke euch allen von Herzen!!!

Den Firmen Hama, Manfrotto, Novoflex, B&W und Formatt Hitech möchte ich für die problemlose und schnelle Bereitstellung der Produktfotos danken.

Weitere Projekte werden folgen, und einige stehen bereits in den Startlöchern. Ich hoffe, ihr werdet mir auch weiterhin treu bleiben und meinen Weg verfolgen. Ich würde mich freuen …

1Der Fotograf

Als Autor dieses Buches möchte ich mich zu Beginn kurz vorstellen. Mein Name ist Ronny Behnert, 1982 in Luckenwalde südlich von Berlin geboren und mit Unterbrechungen seit 1989 in Berlin lebend. Mein Interesse an der Fotografie wurde verhältnismäßig spät geweckt. Ich war schon immer ein sehr optischer Mensch und habe in meiner Jugend viel gezeichnet und den Pinsel geschwungen. Gestaltungsregeln waren mir also nie ganz fremd, obwohl ich viele dieser Regeln intuitiv angewandt habe, ohne sie zu kennen. Irgendwann habe ich die Stifte weggelegt und begonnen, mit der Kompaktkamera eines Freundes herumzuexperimentieren. Die Ergebnisse waren zu Beginn zwar eher mittelmäßig und nicht zufriedenstellend, aber das Interesse am Fotografieren und an der Bildbearbeitung war geweckt. 2007 habe ich mir meine erste analoge Kamera gekauft und bin mit offeneren Augen durch meine Heimatstadt Berlin gelaufen. Schnell war klar, welcher Bereich in der Fotografie mich besonders interessiert. Architektur und Stadtaufnahmen hatten es mir schon damals angetan, auch wenn meine Fotos düsterer und morbider waren, als sie es heute sind.

Meine allerersten Fotos habe ich auf Berliner Friedhöfen geschossen. Diese eigenartige Ruhe inmitten der Großstadt und die zahlreichen Figuren aus Stein stellten genau das dar, was ich damals fotografisch auf Film bannen wollte. Diese Stille ist der rote Faden, der sich noch heute durch meine Fotos zieht.

Meine erste Digitalkamera legte ich mir nur wenige Monate später aufgrund der praktikableren und vor allem schnelleren Anwendungsmöglichkeiten zu. Die Analogfotografie habe ich dennoch nie ganz aufgegeben. 2009 zog es mich für zwei Jahre auf die Insel Sylt, auf der ich ein weiteres Stilmittel, das meine Fotografien ausmacht, entdeckte und einsetzte. Auf die ersten Langzeitbelichtungen, die die charakteristischen ziehenden Wolken zeigten, wurde ich auf einer großen deutschen Fotoplattform aufmerksam. Die Frage nach dem „Wie funktioniert das?“ tauchte sofort in meinem Kopf auf. Ich wollte das auch können. Aufgrund des oft rauen Wetters der Nordsee und der Menge an ziehenden Wolken lag es nahe, sich mit langen Belichtungszeiten und Dichtefiltern auseinanderzusetzen. Zuvor studierte ich ein paar Tutorials im Internet, um zu wissen, welches Equipment ich benötigte, und los ging es.

Mein erster Graufilter war ein ND 3,0 mit einer 1.000-fachen Verlängerung der Belichtungszeit, und ich war von Beginn an Feuer und Flamme. Die Effekte, die ich durch die Verwendung dieses Filters erzielen konnte, haben mich sofort begeistert und mir vollkommen neue fotografische Möglichkeiten eröffnet, meine Umwelt darzustellen. Die Insel gehörte mir, und ich konnte sie neu entdecken und porträtieren. Während meiner Zeit auf Sylt war es mir möglich, meine ersten freien Arbeiten zu präsentieren und vor allem mich als Fotograf selbstständig zu machen. Ich habe meine ersten Fotos für die Kieler Nachrichten geschossen, von denen ich regelmäßig Aufträge bekam. Kurz darauf bot mir die Redaktion die Möglichkeit, meine erste mehrseitige Fotostrecke über Sylt im Winter auszuarbeiten, die erfolgreich veröffentlicht wurde. Weiter ging es mit Innenaufnahmen der zahlreichen Diskotheken, Restaurants und Ferienhäuser, sodass für mich schnell klar war, dass ein großer Bereich meiner Fotografien die Innenarchitektur darstellen würde. So konnte ich meine Leidenschaft für spannende, fotogene Bauwerke und Innenausstattungen zum Beruf machen.

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f/2,8 | 3,2 s | ISO 100 | 17,0 mm | ND 3,0

Eine meiner ersten Arbeiten, die ich auf Sylt geschossen und bearbeitet habe, zeigt die typischen Buhnen auf der Insel. Wie Sie an den Kameraeinstellungen sehen können, hatte ich noch nicht viel Ahnung, welche Einstellungen die bestmögliche Bildqualität aus der Kamera herausholen

Seit Ende 2010 lebe und arbeite ich wieder in Berlin und habe trotz vieler Hindernisse die Fotografie weiterverfolgt. Mittlerweile fotografiere ich für Hotels, Restaurants etc. in verschiedenen Ländern und stelle jeden Morgen aufs Neue fest, dass ich meine Passion gefunden habe. Meine freien Arbeiten habe ich jedoch nie aufgegeben, und ich freue mich immer wieder, wenn interessierte Fotografen meine Workshops buchen, um Tipps und Tricks, gerade im Bereich der Langzeitbelichtungen, zu erhalten. Diese Arbeiten fasse ich alle unter meinem auf Sylt gegründeten Projekt „Håggard Photography“ zusammen, das sich vor allem mit Langzeitbelichtungen und Architektur vorzugsweise in Schwarz-Weiß beschäftigt. Ein weiteres Projekt, das ich vor Kurzem gestartet habe, nennt sich „Berlin Umme Ecke“ und zeigt fast überwiegend Farbaufnahmen meiner Heimatstadt Berlin aus teils ungewöhnlichen Perspektiven. Ich beginne erst jetzt, nach über 20 Jahren, diese Stadt richtig zu entdecken. Meine Entdeckungsreisen fasse ich in diesen Projekten zusammen und nehme den Betrachter mit auf die Dächer und in die Straßenschluchten vieler Städte oder zeige ihm faszinierende Landschaften und Naturschauspiele.

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f/13,0 | 25,0 s | ISO 100 | 29,0 mm

Mein zweites Projekt „Berlin Umme Ecke“ beschäftigt sich primär mit Berliner Langzeitbelichtungen in Farbe am Abend und in der Nacht.

Ein Großteil meiner Serien wurde mittlerweile in namhaften Fotomagazinen veröffentlicht, und ich kann in all den Jahren auf die eine oder andere erfolgreiche Fotoausstellung zurückblicken. Ich hoffe, diesen Beruf auch in Zukunft ausüben zu können, und bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, mit meiner Leidenschaft meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wohin der Weg mich führt, wird sich zeigen, aber ich freue mich darauf.

Alle meine Arbeiten zeige ich auf meiner Webseite www.bewegungsunschaerfe.de sowie auf Facebook unter www.facebook.com/HaggardPhotography und http://www.face-book.com/BerlinUmmeEcke.

Seit etwa zwei Jahren gebe ich Fotokurse in den Bereichen Langzeitbelichtungen und Nachtfotografie in verschiedenen Städten Deutschlands und Europas. Das Schönste daran ist für mich neben der Möglichkeit, andere fotointeressierte Menschen zu treffen, das Weitergeben von Selbsterlerntem. Ich bin selbst Autodidakt und weiß, wovon ich schreibe. Zwar habe ich mich, als ich noch am Anfang stand, mehrmals für einen Studienplatz für Fotografie beworben – eine Bewerbung war sogar von Erfolg gekrönt –, aber das Schicksal hatte einen anderen Weg für mich vorgesehen. Das Studium konnte ich leider nicht antreten, sodass ich mir mein Wissen durch viel Praxis und Experimente selbst angeeignet habe. Ich weiß, wie schwer es ist, sich vielfältige Techniken, Kniffe und Tricks zu entwickeln und auszubauen. Ich bin deshalb stolz darauf, dass andere Fotobegeisterte meine Erfahrungen in Anspruch nehmen, um davon zu profitieren.

Da nicht jeder die angebotenen Fotokurse wahrnehmen kann, ist dieses Buch die perfekte Alternative, um neue fotografische Wege einzuschlagen oder um vorhandenes Wissen auszubauen. Setzen Sie die Theorie in die Praxis um, und Sie werden sehen, dass sich Ihre Fotos verbessern und Sie Erfolgserlebnisse haben werden, die Sie weiter voranbringen. Ich versuche Ihnen, mithilfe dieses Buches die Vorteile des bewussten Fotografierens näherzubringen. Durchdenken Sie Ihre Fotos und bieten Sie Ihren Motiven eine Bühne, um etwas Besonderes zu kreieren. Fotografie ist eine künstlerische Ausdrucksform, die vom besonderen, einzigartigen Moment lebt, den Sie mit etwas Geduld erleben und dem Betrachter Ihrer Fotos näherbringen können.

Viel Spaß beim Lesen.

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f/2,8 | 1/400 s | ISO 100 | 17,0 mm

Selbstporträt aus 2011, geschossen in Barcelona, Spanien.

2Unterschiede zu herkömmlichen Belichtungen

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f/10,0 | 9,0 s | ISO 100 | 84,0 mm | ND 3,0

Motive am Wasser bieten sich für den Einsatz von Neutraldichtefiltern besonders an. Die Wasseroberfläche wirkt durch die lange Belichtungszeit spiegelglatt, und auch der Nebel erscheint weicher und wirkt mystischer auf die Landschaft ein.

Bevor ich mich dem umfassenden Thema Langzeitbelichtungen widme, möchte ich erst einmal erläutern, worin die Unterschiede zu anderen Techniken in der Fotografie bestehen und welchen Reiz Fotos mit langen Belichtungszeiten auf mich ausüben. Stelle ich eine langzeitbelichtete Aufnahme einer normal belichteten gegenüber, die das gleiche Motiv aus dem exakt gleichen Blickwinkel zeigt, werden mindestens 90 % der Betrachter zur Langzeitbelichtung tendieren.

Die erste Frage beim Anschauen des Fotos lautet meist: „Wie hat er das gemacht?“ Und genau darin liegt der Reiz dieses speziellen Gebiets in der Fotografie. Bei vielen Fotografen, die ich kenne und die sich seit Langem mit dem Thema der Langzeitbelichtungen beschäftigen, stand anfangs diese Frage im Raum. Die Frage nach dem „Wie funktioniert das?“ hat den Großteil der Künstler nicht mehr losgelassen, und die ständige Jagd nach geeigneten neuen Motiven hat in den meisten Fällen so begonnen.

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f/10,0 | 1/15 s | ISO 100 | 84,0 mm

Eine herkömmliche Aufnahme ohne zusätzliche Filter und Effekte. Der Nebel und das Wasser weisen aufgrund der kurzen Belichtungszeit Strukturen auf. Ein Motiv und eine Aufnahme, die sicher ihren Reiz hat, aber auch Potenzial für kreative Ideen.

Ich persönlich kann die Frage, warum ich mich diesem Bereich verstärkt widme, ganz klar beantworten. Die langen Belichtungszeiten ermöglichen es mir als Fotograf, aus einer alltäglichen Szene, wie ich sie oft vor Augen habe, etwas vollkommen Neues entstehen zu lassen. Dinge, Strukturen und Formen, die in jeder Sekunde an uns vorbeirauschen, aber von uns nicht wahrgenommen werden, sind plötzlich sichtbar. Manche Fotos vergleiche ich dabei schon fast mit einer Art Zeitlupe, in der ein Motiv quasi schleichend, mit einer Spur versehen, an uns vorbeizieht. Die Zeit, die während des Aufnehmens an uns vorbeirauscht, wird mit der Kamera optisch festgehalten. Durch die dazugehörige Nachbearbeitung der Fotos versuche ich, dem Motiv eine Art Bühne zu bieten. Ich möchte Umgebung und Hauptmotiv durch Licht und Schatten zu einer Szene verschmelzen, sodass alle Bildinhalte den Eindruck erwecken, als befänden sie sich auf einem Podium – vollkommen neu inszeniert.

Das Thema Langzeitbelichtung bietet immens viele kreative Möglichkeiten, mit der Kamera, den Verschlusszeiten und den Motiven zu spielen. Es scheint fast schon, als gäbe es unendlich viele Szenerien, die es festzuhalten gilt. Am Ende meiner Fotokurse fällt mir oft auf, wie sehr sich die Wahrnehmung der Teilnehmer in nur wenigen Stunden verändert hat und sie mit anderen, noch kreativeren Augen ihre Umgebung betrachten. Der fotografische Horizont scheint sich erweitert zu haben. Die Möglichkeit, Dinge festzuhalten, an denen Sie vorher achtlos vorbeigegangen sind, macht den Reiz dieser besonderen Art der Fotografie aus. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion scheint in diesen Fotos zu verschwimmen. Mir als Fotograf wird durch die Verwendung eines Graufilters die Möglichkeit gegeben, alles festzuhalten, was sich in irgendeiner Form bewegt – seien es die Blätter eines Baums, Wellen im Meer, die sich langsam zurückziehen, Autoverkehr, sich bewegende Menschen und die ziehenden Wolken am Himmel. Durch Dichtefilter, die sich durch verschiedene Stärken unterscheiden, erweitert sich das Spektrum der möglichen Motive um ein Vielfaches.

Ich kann bei Tage belebte, stark befahrene Plätze optisch leeren oder ab der Dämmerung zahlreiche Lichtspuren sichtbar machen. Aus einem Motiv mit festem Blickwinkel und festem Standpunkt kann in nur einer Stunde ein vollkommen neues Foto entstehen.

Lange Verschlusszeiten haben den Effekt, dass sich jedes Foto in irgendeiner Form von der vorherigen Aufnahme unterscheidet. Ich mache trotz gleichen Standpunkts und Bildausschnitts nie haargenau das gleiche Foto.

Die abgebildeten Strukturen verändern sich ständig, und selten herrscht exakt das gleiche Licht, das durch den Dichtefilter noch zusätzlich verstärkt oder neutralisiert wird. Kein Foto gleicht exkt dem anderen, was einen enormen Reiz auf mich ausübt. Durch die weichen Strukturen wohnt vielen dieser Fotos eine besondere Stille inne. Sie beruhigen. Sie lassen den Betrachter ankommen.

Das gängige Vorurteil, das Thema Langzeitbelichtung sei nicht auf einen bestimmten Moment angewiesen, den es festzuhalten gilt, kann ich nicht bestätigen. Trotz der längeren Belichtungszeiten machen auch hier korrektes Timing und die Tatsache, dass man sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befinden muss, das Foto aus – seien es die Wolken, die sich auf der richtigen Position befinden, oder ein Fahrzeug, auf das man wartet, bis es im perfekten Moment durch das Bild fährt.

Ein Foto aus Zürich ist das beste Beispiel für den passenden Moment, der in der Fotografie so oft erlebt und gespürt werden will. Ich stand für die Aufnahme am Escher-Wyss-Platz mitten in Zürich, um Straßenbahnen während der Fahrt zu fotografieren. Der Platz ist architektonisch etwas ganz Besonderes. Die vielen Autobahnbrücken ermöglichen mir, einen spannenden Bildaufbau zu komponieren, indem ich mit den Linien und Fluchtpunkten dieser Brücken arbeite (dazu aber später mehr im Kapitel 7 „Komposition und Gestaltung“ auf Seite 144). Ich stand also dort, habe mein Bild komponiert, alle erforderlichen Kameraeinstellungen vorgenommen und mich auf das Warten auf die Straßenbahnen vorbereitet. Zwar fuhr alle paar Minuten eine Bahn vorbei, doch das Timing wollte nicht passen. Irgendetwas fehlte, oder ich habe zu spät oder zu früh abgedrückt. Die Straßenbahn nahm nie die perfekte Position im Bild ein, um das Foto harmonisch aufzubauen. Plötzlich fügte sich aber alles wie von Geisterhand zusammen.

Von hinten kam ein Passant, der die Straße überqueren wollte, doch durch die von rechts kommende Straßenbahn musste er abwarten, bis sie vorbeigefahren war. In diesem Moment habe ich abgedrückt, zwei Sekunden belichtet und aufs Display geschaut. Es passte alles. Das perfekte Timing war auch hier wieder das Geheimrezept!

Was mir das Thema Langzeitbelichtung ebenfalls nähergebracht hat, ist die Entschleunigung des Arbeitens, das sehr bewusste Fotografieren und das ruhige Komponieren von Bildinhalten. Vor dem Aufnehmen eines Fotos habe ich die Möglichkeit, ein Bild bewusst zu gestalten und diese Gestaltung während des Aufnahmeprozesses nochmals aufzuheben bzw. zu verändern. Oft fällt mir während der notwendigen Wartezeit auf, dass mir die Bildgestaltung doch nicht optimal gefällt, sodass ich die Möglichkeit wahrnehme, meine Bildgestaltung nochmals zu verfeinern. Diese Art der Fotografie strahlt eine Beruhigung des hektischen Alltags aus, die ich nicht mehr missen möchte.

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f/3,5 | 2,0 s | ISO 250 | 20,0 mm | ND 3,0

Die Aufnahme der vorbeifahrenden Zürcher Tram. Aufgrund des starken Dichtefilters musste die Blende weit geöffnet werden, um eine Belichtungszeit von 2 Sekunden zu erreichen.

3Langzeitbelichtungen

Langzeitbelichtungen sind, wie der Begriff schon sagt, Aufnahmen mit langen Belichtungszeiten. Diese Zeiten bewegen sich im Bereich von ca. einer Sekunde bis hin zu mehreren Minuten und in Ausnahmefällen sogar noch länger. Die langen Verschlusszeiten werden bevorzugt als Stilmittel verwendet, um Bewegungsabläufe im Foto festzuhalten oder um sie auch komplett verschwinden zu lassen. Ob die Aufnahmen dabei am Tag oder in der Nacht geschossen werden, ist vorerst irrelevant. Beide Tageszeiten haben ihre Besonderheiten und Vorzüge. Zum Thema Nachtfotografie komme ich etwas weiter hinten im Buch, im Kapitel „Langzeitbelichtungen bei Nacht“ auf Seite 172.

Der Länge der Belichtungszeiten sind nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Langzeitbelichtungen können von wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Monaten dauern. Einige Fotografen arbeiten sogar mit Lochkameras, die es ihnen ermöglichen, Belichtungszeiten von einigen Jahren zu erzielen. Der deutsche Fotograf Michael Wesely arbeitet z. B. mit Verschlusszeiten, die mehrere Jahre andauern, und bannt die Vorgänge, die sich währenddessen vor der Linse abspielen, auf Film. Dadurch entstehen außergewöhnliche Fotos der Stadtentwicklung, in denen z. B. Gebäude abgerissen und wieder neu aufgebaut werden. Den Umbau ganzer Viertel hat er so über mehrere Jahre in nur einem Foto festgehalten.

Um die erwünschten Effekte einer langen Belichtungszeit am Tag zu erzielen, ist der wichtigste Bestandteil des Equipments – neben einem standfesten, stabilen Stativ – der Graufilter, auch Neutraldichtefilter (ND-Filter) genannt. Diese Filter werden mittlerweile in unterschiedlichsten Stärken auf dem Markt angeboten. Die Herausforderung bei Langzeitbelichtungen am Tag besteht darin, die Funktionen der eigenen Kamera im Schlaf zu beherrschen und geeignete Motive bewusst zu erkennen. Ziel des Ganzen ist, das Ziehen der Wolken darzustellen, die Fließgeschwindigkeit des Wassers sichtbar zu machen und zu verstärken oder sich bewegenden Objekten wie Wind- oder Riesenrädern eine eigene Dynamik zu verleihen.

Als Neutraldichtefilter bezeichnet man Glasoder Kunststoffscheiben, die neutralgrau eingefärbt wurden, um dadurch weniger Licht durch die Linse fallen zu lassen. Stärkere Filter erscheinen fast schwarz. Diese Filter unterscheiden sich von Hersteller zu Hersteller durch Art und Stärke von Farbstichen, Materialien und Oberflächen, auf die ich später eingehen werde. Durch einen starken Graufilter mit einer 1.000-fachen Verlängerung der Belichtungszeit vor dem Objektiv ist die Kamera quasi blind und lässt trotz strahlenden Sonnenscheins nur minimal Licht auf den Sensor fallen. Halten Sie diesen Filter gegen das Licht, sehen Sie nur eine schwarze Scheibe. Für das menschliche Auge ist es praktisch unmöglich, hindurchzuschauen. Je nach Tagesabschnitt oder erwünschtem Effekt lassen sich die verschiedenen Dichtestärken einsetzen bzw. auch miteinander kombinieren.

3.1Voraussetzungen und Tageszeiten

Die für mich wichtigste Voraussetzung, um eine Langzeitbelichtung zu erstellen, ist in erster Linie das passende Motiv. Der wesentlichste Faktor ist, eine perfekte Kombination aus Bewegung, Dynamik und Stillstand zu erzeugen. Im Idealfall sind das Motive, die sich im oder am Wasser befinden, Gebäude, die weit in den Himmel ragen, oder gleich eine komplette Stadtlandschaft mit den Faktoren Straßenverkehr, sich bewegenden Wolken und einem Fluss oder gar dem Meer in einem Bild. Mein Ziel ist es in der Regel, den Kontrast zwischen Bewegung und Stillstand sichtbar zu machen. Das geeignete Wetter stellt den zweiten Faktor dar, der stimmen sollte, um ein ansprechendes Foto zu schießen.

Möchte ich meinen Graufilter einsetzen, wünsche ich mir im Idealfall einen wolkigen Himmel. Wolken sind für mich das Wichtigste, um eine gewisse Bewegungsunschärfe im Himmel zu erhalten und um ein Foto in neutralem Licht ohne viel Sonneneinfall oder Schattenbildung zu schießen. Je diffuser und neutraler das Licht ist, desto mehr kommt es mir entgegen. Die Struktur der Wolken kann dabei variieren. Von vereinzelten Schäfchenwolken bis hin zu stark bewölktem Himmel nehme ich jede Wolkenformation dankend an.

Natürlich kann sich niemand das Wetter aussuchen, aber stimmen die Voraussetzungen nicht, packe ich meine Kamera im Normalfall nicht aus, sondern warte auf fotogeneres Wetter. Wirklich ideal sind schnell ziehende Wolken am Himmel, durch die das Blau des Himmels immer wieder durchbricht. Am besten bewegen Sie sich dazu noch in eine bestimmte Wunschrichtung, um einen stärkeren dynamischen Effekt zu erzielen und um dem Foto die perfekte Blickrichtung auf das Hauptmotiv vorzugeben. Je mehr Geschwindigkeit die Wolken aufnehmen, desto dynamischer wirkt das Foto am Ende. Träume sind zwar oft Schäume, aber diese Wunschvoraussetzungen treten häufiger auf, als Sie es sich vielleicht vorstellen.

image Strukturen im Himmel erhalten

Bei stark bewölktem, fast schon strukturlosem Himmel empfehlen sich eher kürzere Belichtungszeiten um ca. 30 Sekunden, denn je länger die Belichtung andauert, desto mehr verschwinden die feinen Strukturen der Wolken, die eigentlich erhalten bleiben sollten. Praktisch gilt: Je länger die Belichtungszeit, desto weniger Struktur erhalten die bewegten Bildinhalte im Foto.

Die Fließgeschwindigkeit von Wasser ist im Gegensatz zu den Wolken eher zweitrangig. Ziel einer Langzeitbelichtung von Gewässern ist es, das Wasser glatt und möglichst strukturlos abzubilden oder feinste Spiegelungen hervorzuheben. Bei der Motivsuche in Wassernähe achte ich primär darauf, dass sich etwas im Wasser befindet. Das können Felsen oder Buhnen am Strand sein, Fischerboote weit draußen im Meer oder Brückenkonstruktionen und Pfeiler in einem Fluss. Auch Wasserfälle sind dankbare Motive, die durch eine lange Belichtungszeit eine tolle Dynamik erhalten.

Meine favorisierten Tageszeiten zum Fotografieren sind der Morgen und der Abend. Gerade das softe Licht eines Sonnenaufgangs oder -untergangs ist eine gute Voraussetzung für Langzeitbelichtungen. Das schwache, weiche Licht ermöglicht es mir, noch längere Belichtungszeiten zu erzielen und die tollen Farben dieser Sonnenspiele zusätzlich zu verstärken. Meist fange ich kurz vor Sonnenaufgang zu fotografieren an. Ich bin ca. eine halbe Stunde vorher am gewünschten Spot, komponiere einen geeigneten Bildaufbau und warte, bis sich das erste Licht am Horizont zeigt. Zu den Dämmerzeiten bevorzuge ich allerdings eher einen nicht zu stark bewölkten Himmel, um den Farben und dem Licht die Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren. Da man sich, wie oben erwähnt, das Wetter nicht aussuchen kann, bin ich auch mit einem stark bewölkten Himmel zufrieden. Dieser erfordert dann allerdings noch längere Belichtungszeiten, da weniger Licht durch die Wolken bricht. Umgekehrt verfahre ich genauso bei Sonnenuntergang. Ich bin ca. 30 Minuten vor Sonnenuntergang vor Ort und beginne zu fotografieren, wobei das Licht hier schnell schwächer wird und man sich etwas beeilen muss, um eine korrekte Belichtungszeit zu erzielen.

image Veränderungen der Belichtungszeiten während des Aufnehmens

Morgens und abends entstehen häufig Schwierigkeiten bei der Berechnung der Verschlusszeiten, da sich das Licht aufgrund der aufgehenden bzw. untergehenden Sonne im Minutentakt verändert. Beim Fotografieren am Morgen passierte es mir anfangs, dass meine errechnete Belichtungszeit ein überbelichtetes Foto hervorbrachte, bis ich auf des Rätsels Lösung stieß. Die Belichtungszeit, die ich beim Auslösen errechnet hatte, war am Ende der Aufnahme schon zu lang, da es stetig heller wurde und zu viel Licht auf den Sensor fiel. Mit der Zeit habe ich die Belichtungszeiten während des Aufnehmens per Gefühl angepasst. Verändert sich das Licht morgens schnell, senke ich die Zeit je nach Länge der Belichtung um ein paar Sekunden. Abends verhält es sich umgekehrt. Nimmt das Tageslicht langsam ab und steht die Sonne nur noch knapp über dem Horizont, füge ich, um ein gut belichtetes Foto zu erhalten, mindestens ein Drittel der errechneten Zeit hinzu.

Das Fotografieren am Tag, z. B. zur Mittagszeit, ist natürlich ebenfalls möglich, auch wenn es hier zu diversen Schwierigkeiten kommen kann. Ist der Himmel bedeckt und fällt kein direktes Sonnenlicht auf die Umgebung, ist es problemlos möglich, die langen Belichtungszeiten anzuwenden. Schwierig wird es, wenn die Sonne immer wieder durchbricht und in Phasen mal mehr oder mal weniger Licht auf den Sensor wirft. Diese schwierigen Lichtsituationen können unter Umständen störende Schatten auf dem Hauptmotiv abbilden und das Errechnen der Belichtungszeiten erschweren. Bestimmte Bildteile können unter Umständen überbelichtet oder zu dunkel sein, da sich die Helligkeit der Umgebung schnell verändert. Hier ist schlichtweg ein wenig Ausdauer erforderlich. Mit genügend Zeit, Geduld und Anpassen der Belichtungszeit klappt es fast immer, eine harmonische Lichtstimmung auf dem Foto zu erhalten. Ich bevorzuge aber trotzdem das neutrale, fast schon diffuse Licht. Eine der fotografischen Bauernregeln lautet nicht umsonst: „Zwischen elf und drei hat der Fotograf frei.“ Ein Funken Wahrheit findet sich tatsächlich darin.

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f 7,1 | 326,0 s | ISO 100 | 24,0 mm | ND 3,0

Dieses Foto wurde bei Sonnenaufgang mit einem B&W ND 3,0 geschossen. Die Farben des Sonnenaufgangs wurden durch den leichten Rotstich dieses Filters noch verstärkt.

Ein weiteres tolles Stilmittel ist Nebel, egal ob fein oder dicht. Durch die langen Belichtungszeiten verschwinden die filigranen Zeichnungen der Nebelwolken und verleihen der Umgebung eine fast schon mystische Atmosphäre. Die unterschiedlichen Nebelschwaden überlagern sich mit der Zeit und hüllen das Hauptmotiv in einen zarten Schleier. Bei solchen Aufnahmen empfiehlt es sich immer, etwas überzubelichten, da der Nebel je nach Dicke außerordentlich viel Licht schluckt.

Genauso verhält es sich bei Aufnahmen im Schnee. Eine schwache Überbelichtung des Schnees mit einer oder zwei Blendenstufen verleiht dem Foto eine besondere Klarheit. Im Winter gibt es noch eine weitere Möglichkeit, tolle Motive in außergewöhnlicher Art und Weise zu fotografieren. Schwimmende Eisschollen auf dem Wasser bringen sehr interessante Strukturen und eine starke Dynamik ins Wasser. Auch hier lohnt sich das Spielen mit den Belichtungszeiten, um die Strukturen der vorbeiziehenden Eisschollen durch eine etwas kürzere Belichtungszeit zu erhalten oder um die Eisschollen durch eine längere Belichtungszeit ausgiebig durch das Foto ziehen zu lassen.

Besonders schönes Licht erhalten Sie oft kurz vor einem Regenschauer. Eine fast unwirkliche Stimmung entsteht an einem sonnigen Tag, an dem von weitem bereits dicke, graue Regenwolken aufziehen, die das Unwetter erahnen lassen, das bald toben könnte. In diesen Situationen suche ich mir ein Motiv, das ich in Richtung der dunklen Wolken fotografieren kann. Idealerweise stehe ich dabei mit dem Rücken zur Sonne, die das Hauptmotiv noch anstrahlt, während sich im Hintergrund der Himmel zuzieht und zunehmend dunkler wird. Meist besitzen die dicken Regenwolken interessante Strukturen, die, mit einer mittleren Belichtungszeit aufgenommen, toll zur Geltung kommen. Der Kontrast zwischen hell und dunkel, der dabei entsteht, ist einzigartig. Um ein solches Schauspiel zu erleben, ist natürlich immer etwas Glück von Vorteil, aber wenn Sie öfter mit der Kamera unterwegs sind, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, einen solchen Moment zu erwischen.

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f/9,0 | 97,0 s | ISO 100 | 24,0 mm | ND 3,0

Durch die lange Belichtungszeit verschwindet jede Struktur im Wasser. Der Nebel macht das Foto ebenfalls weicher und erzeugt ein diffuses Licht, das die Umgebung noch mystischer erscheinen lässt

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f/11,0 | 103,0 s | ISO 50 | 23,0 mm | ND 3,0

Um die Strukturen der ziehenden Eisschollen zu erhalten, empfehle ich die Belichtungszeiten nicht zu hoch anzusetzen. Ich bewege mich meist bei Zeiten zwischen 10 und 120 Sekunden. Dieses Foto zeigt sehr gut die lange Spur, die das treibende Eis erzeugt. Je länger Sie belichten, desto weniger Strukturen sind auf dem Eis bzw. im Wasser erkennbar.

Sagt der Wetterbericht Regen voraus oder sehen Sie die dunklen Wolken aufziehen, schauen Sie sich nach einem passenden Motiv und einem Aufnahmeort um – flüchten Sie nicht. Die schönsten Fotos entstehen während der ungewöhnlichsten Situationen und werden den Betrachter genau deshalb fesseln. Durch Regen entstandene Spiegelungen können ein Foto ebenfalls aufwerten und aus einem oft gesehenen und fotografierten Motiv etwas Einzigartiges entstehen lassen. Achten Sie während oder nach einem Regenschauer auf den Boden vor Ihnen und versuchen Sie, die entstandenen Spiegelungen in Ihrer Bildkomposition zu berücksichtigen. Durch einen spontan geänderten Bildaufbau kommt zwar eine weitere Herausforderung auf Sie zu, aber die Gedanken und der Aufwand zu einer neuen Komposition können sich mit hoher Wahrscheinlichkeit lohnen.

Ein leicht erhöhter Standort vereinfacht die Bildgestaltung etwas, da Spiegelung und Hauptmotiv gleichermaßen gut in den Aufbau passen. Niedrige Standpunkte verringern optisch die Fläche des Bodens vor Ihnen im Bild, sodass die Gefahr besteht, dass zu wenige Informationen der eigentlich erwünschten Spiegelung zu sehen sind. Mit etwas Experimentierfreude werden Sie die besten Ergebnisse erzielen und immer wieder neue Blickwinkel und Möglichkeiten entdecken.

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f/11,0 | 1,3 s | ISO 50 | 28,0 mm | ND 0,9

Die Berliner Weltzeituhr, aufgenommen mit einem schwächeren Neutraldichtefilter und einer kürzeren Belichtungszeit, zeigt deutliche Strukturen des sich drehenden Stahlgebildes.

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f/8,0 | 39,0 s | ISO 100 | 28,0 mm | ND 3,0

Die lange Belichtungszeit von über 30 Sekunden konnte ich mit einem starken Dichtefilter erreichen. Die Drehbewegung der Konstruktion wird dynamischer und gibt den Blick auf den Fernsehturm im Hintergrund frei.

3.2Kurze und lange Belichtungszeiten mit Dichtefiltern

Mit einem oder mehreren Neutraldichtefiltern in Kombination haben Sie die Möglichkeit, ein breites Spektrum an Belichtungszeiten abzudecken, die von einer Sekunde bis hin zu mehreren Minuten dauern können. In diesem Abschnitt verrate ich Ihnen ein paar Tipps und Tricks für die unterschiedlichen Belichtungszeiten und der gleichzeitigen Verwendung mehrerer Dichtefilter.

Bewegungsunschärfen im Straßenverkehr

Möchte ich beispielsweise einen fahrenden Bus fotografieren, habe ich mehrere Möglichkeiten. Ich friere den Bus durch eine sehr kurze Belichtungszeit ein, oder ich arbeite mit einem ND-Filter und versuche, dem Fahrzeug eine gewisse Dynamik und optische Geschwindigkeit zu verleihen. Beides ist legitim, um sich fotografisch zu verwirklichen. Aber wir wollen ein außergewöhnliches Foto schaffen, das der Wirklichkeit entspricht und trotzdem unwirklich erscheint. Der Trick liegt hier im Timing und in der Wahl der Belichtungszeit.

Belichten Sie zu lang, verschwindet das gewünschte Motiv im Foto und bleibt fast unsichtbar. Wählen Sie eine zu kurze Verschlusszeit, friert der Bus ein und erhält nicht die außergewöhnlich lange Spur, die das eigentliche Ziel ist. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass die effektivste Belichtungszeit, je nach Geschwindigkeit des Fahrzeugs, zwischen 1,3 und 1,6 Sekunden liegt (typischer Straßenverkehr). Erst dann zeigen sich die Spuren, die die Fahrzeuge durch das Foto ziehen können.

Die Effekte variieren natürlich je nach Geschwindigkeit der sich bewegenden Motive. Bremst ein Bus bereits ab, wenn er durch das Bild rauscht, wird der Effekt verstärkt, wenn Sie die Belichtungszeit minimal erhöhen. Zwei Sekunden sind hierbei vollkommen ausreichend, um die Bewegungsunschärfe abzubilden. Fahren die Motive aber in einem gleichbleibenden zügigen Tempo durchs Foto, reichen die kürzeren, oben erwähnten Zeiten vollkommen aus.