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Hans Jörg Hennecke

Friedrich August von Hayek zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Dieter Thomä, St. Gallen
Cornelia Vismann, Weimar †

Junius Verlag GmbH

Stresemannstraße 375

22761 Hamburg

Im Internet: www.junius-verlag.de

© 2008 by Junius Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Florian Zietz

Titelbild: Adam Smith Institute, London

E-Book-Ausgabe September 2018

ISBN 978-3-96060-065-7

Basierend auf Printausgabe

ISBN 978-3-88506-655-2

3., ergänzte Auflage 2014

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zur Einführung …

hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1978 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Von Zeit zu Zeit müssen im ausufernden Gebiet der Wissenschaften neue Wegweiser aufgestellt werden. Teile der Geisteswissenschaften haben sich als Kulturwissenschaften reformiert und neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervorgebracht; auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sind die traditionellen Kernfächer der Geistes- und Sozialwissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diese Veränderungen sind nicht bloß Rochaden auf dem Schachbrett der akademischen Disziplinen. Sie tragen vielmehr grundlegenden Transformationen in der Genealogie, Anordnung und Geltung des Wissens Rechnung. Angesichts dieser Prozesse besteht die Aufgabe der Einführungsreihe darin, regelmäßig, kompetent und anschaulich Inventur zu halten.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in verstärktem Maß ein Ort für Themen, die unter dem weiten Mantel der Kulturwissenschaften Platz haben und exemplarisch zeigen, was das Denken heute jenseits der Naturwissenschaften zu leisten vermag.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner
Dieter Thomä
Cornelia Vismann

Inhalt

1. Einleitung

2. Hayeks Lebensweg

3. Die sensorische Ordnung: Psychologische und erkenntnistheoretische Grundlagen

4. Wettbewerb und Wissen: Die Theorie des Marktes

5. Kosmos und Taxis: Die Ordnungstheorie

6. Jenseits von Instinkt und Vernunft: Die Theorie kultureller Evolution

7. Freiheit und Zwang

8. Recht und Gesetzgebung

9. Gerechtigkeit und »soziale Gerechtigkeit«

10. Demokratiekritik und Demokratiereform

11. Wirtschaftliche und politische Konsequenzen

12. Einordnung, Diskussion und Würdigung

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Zeittafel

Über den Autor

1. Einleitung

Es zeichnet einen Klassiker politischen Denkens vor den vielen bienenfleißigen und gelehrten Repräsentanten des Durchschnittsdenkens aus, dass sich in seinem Werk die kontroversen Fragen einer Zeit wie in einem Brennglas treffen. Oft sind es intellektuelle Störenfriede, die quer zum jeweiligen Zeitgeist stehen, gegen viele Widerstände das Denken ihrer Zeitgenossen und der nächsten Generation neu ausrichten und dabei über die jeweiligen Umstände hinaus grundsätzliche Ordnungsfragen menschlichen Zusammenlebens berühren. Nicht Hinterherdenken oder Mitdenken, sondern Vordenken zeichnet jene Klassiker aus, die dauerhaft in den Kanon politischer Ideen oder wissenschaftlicher Theorien aufgenommen werden.

Wer das kurze 20. Jahrhundert zwischen 1914 und 1989 als eine Ära der kollektivistischen Ideologien und ihrer totalitären Experimente zur Organisation von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik begreift, wird Friedrich August von Hayek den Rang eines Klassikers politischen Denkens nicht vorenthalten können. Sein Leben und sein Werk standen von Anfang bis Ende unter dem Eindruck von Aufstieg und Fall des Sozialismus. Unter dem Einfluss der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und in der Tradition der schottischen Aufklärung formulierte er eine Ordnungstheorie, die als moralphilosophischer Alternativentwurf zu den totalitären Ideologien seiner Zeit und ihren methodologischen Prämissen konzipiert war.

Hayek hat begründet, dass die Durchführbarkeit von Planwirtschaft an der unmöglichen Zentralisierung des benötigten Wissens scheitern müsse, und mit der These provoziert, dass die totalitäre Diktatur kein Betriebsunfall, sondern die unvermeidliche Konsequenz von planwirtschaftlicher Zentralisierung sei. Aus der Theorie des Marktes und des Wettbewerbs entwickelte Hayek eine umfassende Theorie spontaner Ordnung und kultureller Evolution, die den Erfolg der westlichen Zivilisation auf die Durchsetzung einer individualistischen Moralphilosophie zurückführte. Den in der Tradition der rationalistischen Aufklärung stehenden, über den Positivismus und Szientismus des 19. Jahrhunderts vermittelten Anspruch, diese Ordnung der individuellen Freiheit durch rationale Planung ersetzen und ganze Gesellschaften zur Verwirklichung konkreter Ziele organisieren zu können, betrachtete Hayek als – so der Titel seiner Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahre 1974 – unhaltbare »Anmaßung von Wissen«, die in existenzielle Gefährdung durch Armut, Hunger und politische Unfreiheit münden müsse.

Diese wenigen Pinselstriche mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass Hayek ein provokanter Denker war – kein Feiertagsliberaler für konsensuale Festreden, sondern der Vertreter eines ideologisch polarisierenden Freiheitsverständnisses, dessen Konturen durch den Blick auf die Probleme wirtschaftlicher und sozialer Ordnung und auf verfassungsrechtliche Konsequenzen deutlich werden. Spätestens seit den 1970er Jahren ist sein Werk Referenzpunkt für viele wissenschaftliche und politische Debatten um die Ordnungsfragen von Wirtschaft und Gesellschaft. Inzwischen gilt er als Klassiker des Liberalismus im 20. Jahrhundert, mit dessen Werk sich neben Ökonomen auch Philosophen, Juristen, Politik- und Sozialwissenschaftler oder Historiker beschäftigen. Das schlägt sich nicht nur in einer breiten Sekundärliteratur nieder, sondern auch in dem Umstand, dass sich seither zahlreiche liberale Reformakteure sowohl in der westlichen Welt als auch in den Transformationsgesellschaften Lateinamerikas und Ost- und Mitteleuropas auf Hayek berufen haben.

Während sich die Forschung inzwischen auf eine verzweigte Sekundärliteratur stützen kann, mangelte es lange Zeit – bis auf wenige Ausnahmen1 – an übersichtlichen Einführungen zu Leben und Werk für Studierende oder interessierte Laien in deutscher Sprache. Das vorliegende Buch versucht, dieser Aufgabe gerecht zu werden, indem es zunächst einen Überblick zu Hayeks Biografie und zum zeithistorischen Kontext seiner Ideen gibt. Die folgenden Kapitel lösen sich von der chronologischen Darstellung und bieten eine jeweils knappe Einführung in zentrale Themen des hayekschen Denkens. Mit Rücksicht auf den Kontext der Reihe, in der dieser Band erscheint, werden die im engeren Sinne ökonomischen Themen der Geld-, Konjunktur- und Kapitaltheorie insgesamt knapper behandelt, als dies aus Sicht von Fachvertretern möglicherweise geboten erscheint. Der Schwerpunkt soll auf grundsätzlichen Fragen der Ordnungstheorie, der Moralphilosophie und deren politischen Konsequenzen liegen, deretwegen auch Nichtökonomen ihr Interesse zunehmend auf Hayeks Denken richten. Im Schlusskapitel wird auf einige Fragen der Einordnung, Diskussion und Würdigung eingegangen. Es wäre allerdings mit dem Charakter einer knappen, auch für Einsteiger leicht verdaulichen Einführung, die auf die Darstellung der wichtigsten Gedankengänge konzentriert sein muss, nicht vereinbar, die verschiedenen Kontroversen über Auslegung, Einordnung und Deutung von Hayeks Werks ausführlich darzustellen oder gar eigene Positionen argumentativ zu entwickeln. Die Auswahlbibliografie weist den Weg in die umfassende Sekundärliteratur. Wer neben dieser Einführung nach einer Möglichkeit sucht, sich einen ersten, übersichtlichen Eindruck von Hayeks Texten zu verschaffen, dem seien der gut sortierte Zitatenschatz in dem von Gerd Habermann herausgegebenen Hayek-Brevier sowie das von Viktor Vanberg herausgegebene Hayek-Lesebuch empfohlen.2

Ein abschließender Dank gilt der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung in Freiburg und dem Liberalen Institut in Zürich, von denen die Idee zu dem Buch ausging und die es durch eine großzügige finanzielle Unterstützung möglich gemacht haben.

Vorbemerkung zur zweiten Auflage

Allen Rezensenten, die mit ihren durchweg freundlichen, fairen und konstruktiven Besprechungen zur raschen Verbreitung der ersten Auflage beigetragen haben, sei herzlich gedankt. Für die zweite Auflage, die dankenswerterweise wiederum von der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung unterstützt wurde, wurden das Buch auf Fehler durchgesehen, die Literaturverweise aktualisiert und der Text an einigen Stellen ausgebessert.

Vorbemerkung zur dritten Auflage

Für die dritte Auflage wurde die inzwischen erschienene Literatur gesichtet und der Text durchgesehen.

2. Hayeks Lebensweg

Als politischer, intellektueller und kultureller Mittelpunkt eines Vielvölkerreiches, das von der greisen, unnahbaren Gestalt des Kaisers Franz Joseph zusammengehalten wurde, war die Stadt Wien um 1900 zu einem Schmelztiegel der Kulturen und zu einem Laboratorium der Moderne geworden. Doch der Glanz dieser Stadt war bereits matt und dämmrig, allerorten wehte ein Hauch des Morbiden. Die Völkerschaften des Riesenreichs strebten auseinander, die gesellschaftlichen und ideologischen Spannungslagen zwischen höfischem Adel, wohlhabendem Großbürgertum, bodenständigem Kleinbürgertum und der ärmlichen Welt der Arbeiter, Tagelöhner und Gestrandeten waren mit Händen zu greifen. In allen Zweigen des geistigen und künstlerischen Lebens wurde mit der Überlieferung gebrochen und regten sich neue Kräfte. Ob Musik, Architektur und Stadtplanung, Kunst, Literatur oder Wissenschaft – als die äußere und innere Macht der Monarchie morsch wurde, begann eine kulturelle, geistige und wissenschaftliche Blüte, die die Stadt zu einem faszinierenden Ort machte: »Es gibt buchstäblich keine Sphäre des Lebens [...], in der wir nicht von Genies umgeben waren. Das hat uns vielleicht ein bisserl verdorben«, schrieb Joseph Herbert Fürth, ein Studienfreund Friedrich August von Hayeks, rückblickend.3

An kaum einem anderen Ort ist um 1900 so viel angelegt, was den Charakter des 20. Jahrhunderts in Kunst, Literatur, Wissenschaft und Politik ausmachen sollte. Die Stadt Wien hat so viele Protagonisten des 20. Jahrhunderts hervorgebracht oder entscheidend geprägt, dass es nicht abwegig ist, ihre Bedeutung für die Moderne mit derjenigen Athens für das klassische Griechenland oder von Florenz für die Renaissance oder Paris für die Aufklärung zu vergleichen.

In diese anregende, zugleich aber auch verstörende und aufwühlende Welt wurde am 8. Mai 1899 Friedrich August von Hayek in der elterlichen Wohnung in der zum dritten Wiener Gemeindebezirk gehörigen Messenhausergasse 14 geboren. Die Hayeks zählten nicht zu den neuadeligen Professoren- und Beamtendynastien, von denen es im k.u.k. Wien nur so wimmelte, sondern verdankten ihr Adelsprädikat einem böhmischen Vorfahren, der als tüchtiger Unternehmer von Kaiser Joseph II. wenige Wochen vor dem Ausbruch der Französischen Revolution nobilitiert worden war – also noch eben zu einer Zeit, als Adel, wie Hayek selbstironisch zu betonen pflegte, noch etwas bedeutet hatte.

Freilich zerrann das beachtliche Familienvermögen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. So konnte Hayeks Großvater Gustav zwar noch am ehrwürdigen Theresianum ausgebildet und hernach Marineoffizier werden, aber er entschied sich später für eine bescheidene Laufbahn im Schuldienst und unterrichtete als Biologielehrer unter anderem den jungen Otto Neurath. Gustavs Sohn August studierte Medizin und praktizierte als Arzt. Seine wissenschaftlichen Ambitionen und seine Leidenschaft galten, wovon mehrere Standardwerke zur Pflanzengeografie Österreichs Zeugnis ablegen, der Biologie. Sein imposantes Herbarium war eine der eindrücklichsten Erinnerungen, die Friedrich August von Hayek aus der Kindheit bewahrte. Vater Hayek wurde zwar zum Privatdozenten an der Wiener Universität ernannt, die ersehnte Professur blieb ihm allerdings verwehrt.

Wichtiger für das Prestige der Hayeks und ihren Zugang zu der akademischen Gesellschaft war die Familie der Mutter. Als Tochter des Statistikers und Rechtsprofessors Franz von Juraschek und seiner Frau Johanna, einer geborenen Stallner, war Felicitas für den Arzt August von Hayek eine gute Partie. Die Jurascheks bewohnten auf der Kärntner Straße gegenüber der Staatsoper, dort, wo später das Hotel Bristol erbaut wurde, ein repräsentatives Appartement. Dieses war für die Großfamilie und für den weit in die Professoren- und Beamtenschaft hinein verzweigten Bekannten- und Freundeskreis des Großvaters ein regelmäßiger und standesgemäßer Mittelpunkt. Dort begegnete Enkelsohn »Fritz« von Kindesbeinen an herausragenden Persönlichkeiten des Wiener Lebens: ergrauten Berühmtheiten wie dem Ökonomen und Handelsminister Eugen von Böhm-Bawerk ebenso wie den späteren Nobelpreisträgern Karl von Frisch, Konrad Lorenz und Erwin Schrödinger. All das war freilich im Vergleich zu den Verwandten der Großmutter eine bescheidene Welt: Johanna von Jurascheks Cousine war jene Leopoldine Kalmus, die den sagenhaft reichen Großindustriellen Karl Wittgenstein heiratete und ihr Haus zum kulturellen Zentrum der Wiener Gesellschaft schlechthin machte. Dieser »Tante Poldi« verdankte der kleine »Fritz« die erste Automobilfahrt seines Lebens, und auch die einige Jahre älteren Wittgenstein-Teenager Ludwig und Paul gehörten zu den Erinnerungsbildern aus Hayeks Kindheit.

Während seine beiden jüngeren Brüder – Heinrich als Anatom und Erich als Chemiker – die naturwissenschaftliche Familientradition fortführten, setzten sich beim erstgeborenen Friedrich August sozialwissenschaftliche Interessen durch. Trotz seiner Intelligenz und vielseitigen Interessen durchlief Hayek die Schullaufbahn nur mit mäßigem Erfolg, bis er 1917 am Elisabeth-Gymnasium die Maturaprüfungen absolvierte.

Bereits zuvor war Hayek wie fast alle jungen Männer seiner Generation zum Kriegsdienst einberufen worden und wählte standesgemäß die Offizierslaufbahn. Bis auf einen lebenslang nachwirkenden Hörschaden, der durch die Detonation einer Granate verursacht wurde, kehrte Hayek unversehrt von der italienischen Front aus dem Krieg zurück. Ende August 1918 begegnete er auf einer Bahnfahrt inmitten betrunkener Offiziere auf dem Rückweg zur Front seinem Cousin Ludwig Wittgenstein, der damals das Manuskript seines Tractatus im Tornister hatte. Von dieser nächtlichen Unterhaltung blieb Hayek vor allem ein befremdlich anmutender Wahrheitsfanatismus seines außerordentlichen Verwandten in Erinnerung.

Nach dem Waffenstillstand vom November 1918 kehrte Hayek in eine Heimatstadt zurück, die von Hunger, Epidemien, wirtschaftlichem Chaos, politischen Unruhen und allgemeiner Perspektivlosigkeit geprägt war. In dieser Situation geistige Orientierung zu finden war für die jungen Soldaten nicht leicht. Neben Walther Rathenau, der mit seinen sozialistischen Schriften viele junge Kriegsteilnehmer in seinen Bann zog, richteten sich die Hoffnungen in der Nachkriegszeit auf den US-Präsidenten Woodrow Wilson und die demokratischen Ideale der »Vierzehn Punkte«. Mit Studienfreunden gründete Hayek daher im November 1918 eine »Demokratische Hochschüler-Vereinigung«.

Hayek, dem als Berufsziel eigentlich eine Karriere im diplomatischen Dienst vorgeschwebt hatte, nahm unmittelbar nach der Rückkehr in seine Heimatstadt ein rechtswissenschaftliches Studium auf. Am meisten beeindruckte ihn unter den Juristen – allerdings nur vorübergehend – der Rechtspositivist Hans Kelsen, in dessen Veranstaltungen er auch dem späteren Staatsrechtslehrer Hermann Heller begegnete. Als die Universität Wien im Winter 1919/20 aus Mangel an Heizmaterial schließen musste, verbrachte Hayek einige Wochen in Zürich, wo er bei einem Gehirnanatom arbeitete und Vorlesungen über Moritz Schlick hörte.

Die Aufmerksamkeit des Studenten Hayek reichte von Beginn an über das rechtswissenschaftliche Studium hinaus. Viel Zeit verbrachte er in philosophischen und psychologischen Vorlesungen, auch wenn die personelle Situation dieser Fächer kein stimulierendes Umfeld bot. Über Veranstaltungen bei Heinrich Gomperz oder Adolf Stöhr wurde er an das Werk des 1916 verstorbenen Ernst Mach herangeführt. In Auseinandersetzung mit Mach entstand im September 1920 eine rund vierzig Typoskriptseiten umfassende Ausarbeitung unter dem Titel Beiträge zur Theorie der Entwicklung des Bewußtseins.4 In ihr unternahm Hayek den Versuch, eine Erklärung der Bewusstseinserscheinungen zu liefern, die nicht auf einem atomistischen Empfindungsbegriff beruht, welcher jeder Vorstellung eine bestimmte Zelle zuordnet, sondern auf der Verbindung physiologischer Elemente. Der Sinnesordnung mit ihren untereinander verbundenen Elementen komme, so Hayek, die Wahrnehmung der äußeren Eindrücke zu, die sie erfülle, indem sie die Erscheinungen in vorhandene Schemata einordne. Ständig werde die Sinnesordnung von äußeren Eindrücken geformt, indem neue Klassifikationen und neue Verbindungsmuster entstünden.

Dieses Thema legte Hayek jedoch beiseite und griff es erst ein Vierteljahrhundert später wieder auf, da er zügig sein Brotstudium abschließen wollte. Ohne eine Dissertation vorlegen zu müssen, wurde Hayek im November 1921 zum »Dr. iur.« promoviert. Eine erste berufliche Stellung fand er im Abrechnungsamt, einer nach dem Krieg geschaffenen Behörde, deren Aufgabe darin bestand, die Übernahme der Altschulden der Doppelmonarchie zu regeln und vermögensrechtliche Probleme der Friedensverträge zu bearbeiten. Einer seiner Vorgesetzten dort war Ludwig von Mises, der zwar ein glänzender theoretischer Kopf war, aber wegen seines doktrinären Liberalismus und seiner schroffen Persönlichkeit keine Aussichten hatte, an der Wiener Universität über den Status eines Privatdozenten hinaus Karriere zu machen. Wie manch anderer von den Verheißungen des Sozialismus ernüchterte Jungökonom wurde Hayek in dessen Bann gezogen und bekehrt. Mises’ 1922 erschienenes Werk Die Gemeinwirtschaft5, in dem der bahnbrechende und quer zu den herrschenden Auffassungen der Zeit stehende Nachweis geführt wurde, dass in Planwirtschaften ohne freie Preisbildung keine wirkliche Wirtschaftsrechnung möglich sei, wurde für Hayek zum intellektuellen Schlüsselerlebnis.

Parallel zu der Tätigkeit im Abrechnungsamt setzte Hayek nach 1921 sein Studium mit sozialwissenschaftlicher und nationalökonomischer Ausrichtung fort. Klugerweise baute er dazu nicht auf den Außenseiter Mises, sondern hielt sich an die mächtigen Ordinarien der Wiener Nationalökonomie, auch wenn es diesen an der geistigen Originalität von Mises mangelte. Denn die von Carl Menger begründete Tradition des methodologischen Individualismus in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften war in Wien nach dem Weltkrieg personell geschwächt. Sie wurde in Hayeks Studienzeit vor allem durch die Persönlichkeit des schon über siebzigjährigen Friedrich von Wieser repräsentiert, der in einigen wirtschaftspolitischen Fragen allerdings für sozialistische Positionen offen war, wie sie vor allem an der London School of Economics und in der mit dieser eng verbundenen Fabian Society verbreitet wurden. Erst recht konnten andere Ordinarien wie der Marxist Carl Grünberg oder der Vordenker des späteren »Ständestaates«, Othmar Spann, kaum als Gralshüter der mengerschen Lehre des methodologischen Individualismus gelten.

Aus Verärgerung über eine Seminarsitzung bei Othmar Spann beschlossen Hayek und einige Freunde im Herbst 1921, eine private Debattierrunde zu gründen, die angesichts ihrer handverlesenen und vielversprechenden Teilnehmer mehr als eine bescheidene Fußnote in der eindrucksvollen Kulturgeschichte der vielen Wiener Kreise der 1920er Jahre ist. Den harten Kern dieses »Geistkreises« bildeten exzellente Ökonomen wie Joseph Herbert Fürth, Gottfried Haberler, Fritz Machlup, Felix Kaufmann oder Oskar Morgenstern, die später als Wissenschaftler oder hochrangige Regierungsbeamte zu internationalem Ruhm gelangten, aber es waren auch nicht minder verheißungsvolle Geisteswissenschaftler wie Eric Voegelin, Alfred Schütz oder Friedrich Engel-Jánosi vertreten.

Obwohl Hayek ab 1922 regelmäßig Vorlesungen bei dem nach Wien gewechselten Philosophen Moritz Schlick hörte, hielt er sich von den Zusammenkünften des von Schlick inspirierten »Wiener Kreises« stets fern. Ausschlaggebend für diese Zurückhaltung war wohl, dass dessen wirtschaftspolitische Debatten von Otto Neurath dominiert wurden. Dieser frühere Berater der bayerischen Räterepublik verfocht die Idee, dass die Koordination von wirtschaftlichen Aktivitäten nicht länger durch Marktpreise und freien Geldverkehr, sondern durch zentralistische Planwirtschaft und Naturalrechnungseinheiten vorgenommen werden solle. Im Logischen Positivismus und der auf ihm aufbauenden Statistik und Utopistik sah er die wissenschaftlichen Voraussetzungen dafür, dass das für die Planungsentscheidungen erforderliche Wissen in einer zentralen Behörde zusammengefasst und vollständig durchsichtig und beherrschbar werde: Sozialisiert werden müsse von oben, und was mit dem Einzelnen zu geschehen habe, ergebe sich aus der Anlage des Ganzen, so brachte Neurath die politischen Konsequenzen unmissverständlich auf den Punkt.6 Schon aus Sicht des jungen Hayek war dies ein unerträglicher und gefährlicher Unfug, der wissenschaftstheoretisch und wirtschaftspolitisch das Gegenteil von dem bedeutete, was aus dem methodologischen Individualismus und der Grenznutzenlehre der Österreichischen Schule folgte. Neuraths gesellschaftstechnisches Ideal war gewissermaßen das Urbild von Rationalismus, Positivismus, Szientismus und Sozialismus, gegen die sich Hayeks Kritik später im Detail richtete.

Nachdem Hayek im Februar 1923 mit einer Dissertation Zur Problemstellung der Zurechnungslehre7, die er bei Othmar Spann und Hans Kelsen einreichte, das staatswissenschaftliche Doktorat erhalten hatte, machte er sich mit einem Empfehlungsschreiben von Joseph Alois Schumpeter im Gepäck auf den Weg in die USA. Ein knappes Jahr war er unterwegs, um sich mit der dort weit vorangetriebenen Konjunkturtheorie und zukunftsweisenden Methoden der Konjunkturbeobachtung zu befassen. Im Kontakt mit Wesley C. Mitchell und John B. Clark beschäftigte er sich in New York mit Fragen der Geldwertpolitik und empfing dort Impulse, die sein Arbeitsprogramm der kommenden Jahre prägen sollten.

Das gemeinsame Interesse an konjunkturtheoretischen Fragen ließ nach der Rückkehr aus den USA die Verbindung zu Mises enger werden. Hayek wurde in dessen legendäres »Privatseminar« eingeladen, in dem sich die meisten Freunde und Kollegen aus dem »Geistkreis« wiedertrafen. Die Zusammenkünfte waren hier freilich stärker auf sozialwissenschaftliche Theorie- und Methodenprobleme fokussiert, die Mises als Konkurrenzprogramm zu den Lehrveranstaltungen der nationalökonomischen Ordinarien diskutieren ließ. Er lud auch weibliche Teilnehmer und gelegentlich ausländische Gäste wie Frank Knight aus Chicago oder William Beveridge aus London ein, die der gute Ruf der Österreichischen Schule hin und wieder zu Vorträgen oder Konferenzen nach Wien lockte.

Mises schätzte Hayek und förderte ihn nach Kräften. Ihre gemeinsamen Bemühungen, die Konjunkturforschung auch in Österreich zu etablieren, mündeten Anfang 1927 in die Gründung des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung, dessen Leiter und vorerst einziger Mitarbeiter Hayek wurde. Hayek konzentrierte sich nun ganz auf die Wissenschaft, was für die nächsten Jahre vor allem harte Pionierarbeit bedeutete: Neben Vorträgen und Artikeln zur Konjunkturforschung standen monatliche Konjunkturberichte im Mittelpunkt, in denen sich bald Vorgeschichte und Ablauf der Weltwirtschaftskrise widerspiegeln sollten.

Dass Hayek mit seinen geld- und konjunkturtheoretischen Interessen in der deutschsprachigen Fachwelt einen schweren Stand hatte, zeigte sich auf den Tagungen des »Vereins für Socialpolitik«. Gegenüber dem im Deutschen Reich dominierenden, in der Tradition Gustav Schmollers stehenden Wirtschaftshistorismus war die theoretisch ambitionierte Österreichische Schule personalpolitisch in der Minderheitsposition. Auf Tagungen wie derjenigen im Dezember 1928 in Zürich ergaben sich fast zwangsläufig Kontakte zu deutschen Nachwuchskräften wie Wilhelm Röpke, Walter Eucken oder Alfred Müller-Armack, die ihrerseits den Historismus und den »Kathedersozialismus« der alten Herren zu überwinden trachteten.

Hayek hatte es vor allem seiner Habilitationsschrift, die 1929 unter dem Titel Geldtheorie und Konjunkturtheorie erschien, zu verdanken, dass er pünktlich zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise als einer der vielversprechenden Konjunkturtheoretiker wahrgenommen wurde. Im Kontext der deutschsprachigen Debatte fand vor allem Beachtung, dass Hayek im Anschluss an Mises, Röpke und den Schweden Knut Wicksell mit einer monetären Konjunkturtheorie aufwartete. Im Kontext der internationalen Debatte hingegen, in der monetäre Konjunkturtheorien schon länger diskutiert wurden, bestand die Originalität Hayeks darin, dass er die Erklärung für Konjunkturverläufe nicht im allgemeinen Preisniveau, sondern in den handlungsleitenden relativen Preisen der verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses suchte. Die entscheidende Ursache für Konjunkturschwankungen sah Hayek darin, dass »infolge der Veränderlichkeit der Umlaufsmittelmenge der Zins, den die Banken fordern, nicht notwendig immer gleich mit dem Gleichgewichtszins ist, sondern in der Bewegung über kurze Fristen tatsächlich von den Liquiditätserwägungen der Banken bestimmt wird«8. Konjunkturpolitisch zog Hayek daraus zwei Schlussfolgerungen: Zum einen hielt er eine frühzeitige Abbremsung der Kreditexpansion für möglich, zum anderen wandte er sich gegen das vielfach empfohlene Rezept des »erzwungenen Sparens«, dem gemäß die Kapitalbildung durch Gewährung von zusätzlichen Produktionskrediten auf Kosten des Konsums gesteigert werden sollte. Ein solches erzwungenes Sparen sei wahrscheinlich sogar der Krisengrund, und die Wiederherstellung der Proportionalität des Wirtschaftsaufbaus sei von ihm nicht zu erwarten.

Im Jahr der Weltwirtschaftskrise trafen Hayeks Überlegungen den Nerv der Zeit. Als ein Gegner aller Spielarten von Unterkonsumtionstheorien wies er sämtliche Überlegungen zurück, durch Stärkung der Nachfrage, staatliche Investitionsprogramme, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Ausdehnung der Geldmenge oder vergleichbare Aktivitäten die Konjunkturkrise zu überwinden. Wenn erst einmal eine übermäßige Ausdehnung des Produktionsapparates zutage getreten sei, so Hayek, führe an der Verminderung der Konsumgüternachfrage, notfalls über Lohnsenkungen oder Arbeitslosigkeit, kein Weg vorbei. Das Hinauszögern oder Unterdrücken der notwendigen Anpassungsprozesse der relativen Preise durch verschiedene Varianten der Kaufkraftstärkung lehnte Hayek als letztlich krisenverschärfend ab. Mit dieser Position setzte er sich zum einen in Widerspruch zu Röpke, der sich angesichts der Dramatik der politischen Lage ab 1931 zu der Haltung durchrang, dass die Krise in ein sekundäres, ökonomisch sinnlos gewordenes Stadium eingetreten sei und deshalb für den Moment eine »Initialzündung« und »Reiztherapie« notwendig sei, um den Produktionsprozess durch eine Stimulierung der Nachfrage überhaupt irgendwie wieder in Gang zu bringen und danach die ökonomische Rationalität wieder in ihr Recht einsetzen zu können.9 Vor allem aber stand Hayeks Position in diametralem Widerspruch zur Unterkonsumtionstheorie von John Maynard Keynes, der die Weltwirtschaftskrise nicht wie Röpke als eine auch außerökonomisch zu erklärende Ausnahmesituation verstehen wollte, sondern sie als Musterfall ansah und aus ihr eine Konjunkturtheorie mit allgemeinem Erklärungsanspruch ableitete. Der intellektuellen Anziehungskraft dieser faszinierenden Persönlichkeit konnte sich Hayek nie ganz entziehen. Den schon damals berühmten Keynes schätzte Hayek nicht zuletzt wegen dessen Kritik an den ökonomischen Regelungen der »Vororteverträge« von 1919/20, in denen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs Deutschland, Österreich und ihren Verbündeten harte und nicht eben weitsichtige Friedensbedingungen diktiert hatten. All dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, Keynes’ zweibändiges A Treatise on Money10 von 1930 einer grundlegenden Kritik zu unterziehen und dessen makroökonomischer Unterkonsumtionstheorie mit einer mikroökonomischen Gegenposition zu erwidern. Angesichts des weiteren Gangs der wirtschaftspolitischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert sollte sich die nun beginnende Kontroverse als dogmenhistorisch höchst bedeutsam erweisen. Aus Hayeks Sicht verlief sie aber insofern enttäuschend, als Keynes bald von zentralen Thesen seines Buches abrückte und damit die Kritik ins Leere laufen ließ.

Noch bevor die Kontroverse zwischen Hayek und Keynes 1931/32 ihren Höhepunkt erreichte, nahm Hayeks Karriere eine entscheidende Wendung, als er im Januar 1931 auf Einladung von Lionel Robbins vier Gastvorträge an der London School of Economics and Political Science (LSE) hielt. Die Auftritte, kurz darauf als Preise und Produktion11 in Buchform erschienen, erregten großes Aufsehen. Standen in Geldtheorie und Konjunkturtheorie noch die monetären Ursachen der Konjunkturschwankungen im Mittelpunkt, widmete sich Hayek nun den realen Verschiebungen im Aufbau der Produktion und deren Auswirkungen auf den Konjunkturverlauf. Je länger und damit »kapitalistischer« die Produktionswege würden, desto mehr hänge von dem Verhältnis von Konsumgüternachfrage und Produktionsmittelnachfrage ab: Wenn die Konsumgüternachfrage steige, so erfordere diese zunächst neues Sparen, damit das notwendige Kapital zur Ausweitung der Produktionsgütererzeugung bereitgestellt werde. Vor diesem Hintergrund urteilte Hayek skeptisch über die politischen Möglichkeiten der Preisstabilisierung. Er warnte vor geldpolitischen Eingriffen, deren Wirkungen von ihren Urhebern nicht verstanden werden und die daher mehr oder weniger willkürlich sein müssten, und plädierte stattdessen für die Selbstordnungskräfte der allerorten infrage gestellten Goldwährung. Mehr oder weniger hielt er es für eine Illusion, die einmal eingetretenen Konjunkturschwankungen durch eine aktive Geldpolitik im Sinne der Geldwertstabilisierung zu beseitigen. Das einzige Mittel zur Vermeidung von Fehlleistungen in der Produktion sah Hayek darin, dass die Preise entsprechend der Produktivitätssteigerung fallen müssten. Allein durch die Stabilisierung der Produktionsgüterpreise sei die Stabilisierung des Geldwerts möglich.

Hayeks Position war eine konsequente Absage an konjunkturpolitische Kurpfuscherei jeder Art und wies jede Form von Interventionismus zurück. Dass freilich die politisch Verantwortlichen und die Wähler in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, Massenelend und politischer Radikalisierung solchen Empfehlungen nicht folgen wollten und lieber auf konjunkturpolitischen