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Über dieses Buch

Essen und Trinken ist ein Grundbedürfnis des Menschen und kann doch weit mehr sein als die bloße Nahrungsaufnahme. Es hatte schon immer einen sozialen, geselligen und kommunikativen Aspekt, denn selten isst der Mensch alleine. Man genießt mit der Familie, Freunden oder Gästen die gemeinsame Mahlzeit. Dann hält das Essen, wenn man der Redensart folgt, Leib und Seele zusammen. Tatsächlich essen auch in den Märchen die Helden selten alleine. Das sind eher die Gegenspieler, die durch ihren Geiz verbittert und ohne Freude leben. Davon erzählen die Märchen. Aber ebenso von wundersamen Mitteln, die auf Wunsch ein Schlaraffenland auf Tisch und Teller zaubern, von magischen Speisen und zauberhaften Verwandlungen, von gewitzten Helden, hungrigen Hunden und schlauen Mäusen.

Über die Herausgeberin

Ulrike Krawczyk studierte Germanistik und Linguistik sowie Sprecherziehung und Stimmbildung in Stuttgart und München. Ihr besonderes Interesse an Märchen wurde schon in der Kindheit geweckt. Seit 20 Jahren erzählt sie Märchen und Geschichten und hält Seminare in unterschiedlichen Bildungseinrichtungen. Unter anderem übersetzt sie Märchen aus dem Englischen und Französischen. In verschiedenen Verlagen veröffentlichte Ulrike Krawczyk Märchen- und Sagenbücher. Gemeinsam mit ihrer Mutter Sigrid Früh brachte sie im Königsfurt-Urania Verlag »Märchen von Müttern und Töchtern« heraus.

Märchen
von Speis und Trank

Herausgegeben
von Ulrike Krawczyk

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Die Königin der Kochkunst ist die Phantasie.

Für meine Kinder und Enkelkinder

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

E-Book-Ausgabe

© 2019 by Königsfurt-Urania Verlag GmbH

Lektorat: Claudia Lazar, Kiel

eISBN 978-3-86826-430-2

Inhalt

Der Traum vom Schlaraffenland

Das Märchen vom Schlaraffenland

Der Mann, der nicht schlafen konnte

Von dem Breikessel

Die drei Hochzeitsgäste

Die drei hilfreichen Dinge

Die weiße Katze

Ei so beiß!

Der unersättliche Knecht

Die drei Musikanten

Der geheilte Patient

Zu Gast bei Arm und Reich

Der Zwerg Nase

Von Himmel und Hölle

Die Mühle, die auf dem Meeresgrunde mahlt

So notwendig wie das Salz

Vom geizigen Lars

Von der Königin, die keine Pfeffernüsse backen, und dem König, der nicht das Brummeisen spielen konnte

Das Mittagessen im Hof

Die beiden Fleischhauer in der Hölle

Ein Tölpel auf Brautschau

Suppe von einem Wurstspeiler

Zu Tisch mit Lustigen und Listigen

Das kluge Gretel

Der kleine Däumling

Dschahis und seine schöne Stiefmutter

Die drei Träume

Der Feigensack

Die kluge Bauerntochter

Vom Schwaben, der das Leberlein gefressen

Es ist schon gut – mit einem Wunschhut

Von magischen und heilenden Speisen

Die weiße Schlange

Die drei Liebhaber

Kathrin die Nussknackerin und Anna mit dem Schafskopf

Vom Vogel, der goldene Eier legt

Das Märchen von dem kühnen Jüngling, dem Lebenswasser und den verjüngenden Äpfeln

Der Tod und das Knäckebrot

Nachwort

Verwendete Literatur in Auswahl

Quellenverzeichnis

Der Traum vom Schlaraffenland

Das Märchen vom Schlaraffenland

Hört zu, ich will euch von einem guten Land erzählen, dahin würde mancher gerne auswandern, wenn er nur wüsste, wo es liegt. Aber der Weg dorthin ist sehr weit für die Jungen, aber auch für die Alten. Diese schöne Gegend heißt Schlaraffenland.

Im Schlaraffenland sind die Häuser mit Pfannekuchen gedeckt, Türen und Wände sind aus Lebkuchen und die Balken aus Schweinebraten. Was man bei uns für ein Goldstück kauft, kostet dort nur einen Pfennig. Um jedes Haus steht ein Zaun aus Bratwürsten, die sind teils auf dem Rost knusprig gebraten, teils frisch gekocht. Je nachdem, ob sie einer so oder so gerne isst. Alle Brunnen sprudeln über von Saft und süßem Wein, das rinnt einem nur so in den Mund hinein. Wer also gern solche Säfte und Weine trinkt, der soll sich beeilen, dass er ins Schlaraffenland hineinkommt. Auf den Bäumen wachsen frischgebackene Semmeln, und unter den Bäumen fließen Milchbäche. In die fallen die Semmeln hinein und weichen sich selber ein, für die, die sie gern einbrocken. Das ist doch etwas für euch Kinder! Also diejenigen von euch, die jetzt auswandern wollen, kommt schnell herbei! Macht euch auf den Weg zum Semmelbach und vergesst nicht einen großen Milchlöffel mitzubringen.

Die Fische schwimmen im Schlaraffenland oben auf dem Wasser und sind auch schon gebraten und gebacken. Ganz nah am Ufer schwimmen sie obendrein. Wenn einer aber gar zu faul ist und ein richtiger echter Schlaraffe, der braucht nur »Kommt, kommt!« zu rufen, dann kommen sie auch sogleich ans Land spaziert und hüpfen dem Schlaraffen in die Hand, dass er sich nicht zu bücken braucht.

Ob ihr es glaubt oder nicht, die Vögel fliegen im Schlaraffenland gebraten in der Luft herum, Gänse, Enten und auch knusprige Hähnchen. Wem es aber zu viel Mühe macht, die Hand danach auszustrecken, dem fliegen sie geradewegs in den Mund hinein. Auch die Spanferkel laufen gebraten umher, und jedes trägt ein Messer im Rücken, damit derjenige, der Appetit hat, sich gleich ein frisches saftiges Stück abschneiden kann. Die Käse wachsen im Schlaraffenland wie die Steine, groß und klein. Die Steine selber sind aber lauter Pastetchen und Kuchen.

Wenn es dort regnet, dann regnet es lauter Honig in süßen Tropfen, da kann einer lecken und schlecken, dass es eine Lust ist. Und wenn es schneit, dann schneit es Zucker, wenn’s aber hagelt, dann hagelt es Würfelzucker vermischt mit Rosinen und Mandeln. Im Schlaraffenland lassen die Pferde keine Pferdeäpfel fallen, sondern Eier. Große Körbe voll und ganze Haufen, so dass man tausend für einen Pfennig kauft. Das Geld aber, das kann man dort ohnehin von den Bäumen schütteln, so wie hierzulande die Kastanien im Herbst. Jeder kann sich so viel herunterschütteln, wie er möchte, was er nicht will, kann er liegenlassen.

In dem Land gibt es auch große Wälder, da wachsen auf Büschen und Bäumen die allerschönsten Kleider, Röcke, Mäntel und Hosen. Wer ein neues Gewand braucht, der geht einfach in den Wald und holt es sich herunter. Das Gras ist aus bunten Bändern, Büsche tragen Broschen und Perlenketten, an Tannen hängen Stiefel und Schuhe. Ihr braucht nur hinzugehen und euch etwas davon zu holen.

Auch allerlei Zeitvertreib gibt es im Schlaraffenland. Wer hierzulande gar kein Glück im Spiel hat, der hat es dort. Auch für die Schlafmützen und Faulpelze ist jenes Land das allerbeste. Jede Stunde Schlaf bringt dort nämlich einen Taler ein und jedes Gähnen sogar zwei. Wer im Spiel verliert, dem fällt sein Geld wieder in die Tasche. Und wer die Leute am besten ärgern und necken kann, bekommt gleich einen Gulden. Wer aber die größte Lüge tut, der wird zum König ausgerufen. Hierzulande lügt so mancher drauf und drein und hat gar nichts von seiner Mühe, dort aber hält man Lügen für die größte Kunst.

Wer dort ein kluger Mensch sein will, der muss Grobian studiert haben. Solche Studenten gibt es auch bei uns, aber die haben keinen Dank davon und keine Ehre. Obendrein muss im Schlaraffenland solch ein Kluger faul und gefräßig sein, das sind dort nämlich schöne Künste. Ich kenne einen, der könnte dort jeden Tag Professor werden.

Wer gern arbeitet, der wird sogleich aus dem Schlaraffenland verwiesen, aber wer gar nichts kann und mag, der wird als Edelmann angesehen. Wer nichts kann als Schlafen, Essen, Trinken, Tanzen und Spielen, der wird zum Grafen ernannt. Der Faulste und Tollpatschigste von allen, der wird König über das ganze Land und erhält obendrein noch einen Schatz von Gold und Edelsteinen.

Nun habe ich euch erzählt, wie es im Schlaraffenland Sitte und Brauch ist. Wer also dorthin eine Reise machen will, soll sich sogleich auf den Weg machen. Ihr müsst aber noch wissen, dass um das ganze Land herum eine berghohe Mauer aus Reisbrei ist. Und wer hinein oder hinaus will, der muss sich da erst einmal hindurchfressen.

Märchen aus Mitteldeutschland

Der Mann, der nicht schlafen konnte

Es war einmal ein junger Mann, der war so unermesslich faul, dass niemand glaubte, dass er es im Leben zu etwas bringen werde. In verschiedenen Handwerken hatte er sich versucht, aber keines gefiel ihm, denn überall musste er ja doch arbeiten, und das lag ihm ganz und gar nicht.

Schließlich kam ihm der Gedanke, sich als Soldat zu verdingen. Er durchstreifte ein ganzes Jahr lang die Welt, peinigte die Armen, stahl sich durch und aß und trank, soviel es ihn gelüstete. Aber auch dieser Beruf machte ihm bald kein Vergnügen mehr, denn mehr als nur einmal war er vom Kommandanten bestraft worden, war er doch nicht beim ersten Trompetenstoß aufgestanden oder war betrunken ins Quartier zurückgekommen und hatte Unheil gestiftet. Daher nahm er eines Tages seinen Abschied und zog fort.

Die ersten Tage ging alles gut, denn er hatte etwas Geld im Beutel. Am Morgen des vierten Tages aber warf ihn der Wirt hinaus, weil er die Zeche nicht bezahlen konnte. Da setzte er sich niedergeschlagen ins Gras und überlegte, dass es ihm nichts ausmachen würde, wäre er für sieben Jahre dem Teufel verschrieben, könnte er währenddessen nur nach Herzenslust essen und trinken und müsste nicht arbeiten. Er hatte kaum den Gedanken zu Ende gedacht, als er ein schönes Mädchen über die Wiese kommen sah. Sie trug in der einen Hand ein großes Stück Brot, in der anderen einen Krug Wein. Der Hungrige rief ihr nach: »Wohin gehst du?«

Sie antwortete:

»Bist du hungrig, hier ist Brot

auch für den Durst hat’s keine Not,

wenn du mit mir Hochzeit hältst,

nie in Not du mehr verfällst;

das Beste gar aus Küch’ und Keller

hast du stets auf deinem Teller.«

»Meiner Treu«, rief da der Soldat, »wenn es weiter nichts ist, so tu ich’s mit dem größten Vergnügen.«

»Das ist ein Wort«, sprach das Mädchen. »Es gilt. Ich bin jetzt deine Frau. Trink aus dem Krug und folge mir.«

Sie reichte ihm einen Krug und der Soldat nahm einen tüchtigen Schluck. Dann gingen sie zusammen über die Wiese. Unterwegs fiel dem Soldaten auf, dass sie einen behenden, hüpfenden Gang hatte. Er fand Gefallen daran und dachte bei sich: »Was habe ich doch da für eine flinke Frau gefunden?« Nachdem sie die Wiese verlassen hatten und einen Weg betraten, hörte er die Steine unter den Füßen seiner Frau klingen, als schlügen Hämmerchen darauf. Auch daran fand er Gefallen und er dachte bei sich: »Was für hübsche Schühchen sie hat!«

Sie kamen in einen großen Wald. In dessen Mitte stand ein schönes Haus.

»Hier wohne ich«, sprach das Mädchen. »Du kannst in diesem Haus soviel essen und trinken, soviel du begehrst, und du brauchst das ganze Jahr über, vom ersten bis zum letzten Tage nichts zu arbeiten.«

»Das ist genau das Richtige für mich«, antwortete der Soldat. »Wohlan denn, trage mir das Essen auf!«

Kaum hatte er die Worte gesprochen, da stand der Tisch auch schon da und war gefüllt mit den allerbesten Speisen und erlesensten Weinen. Der Soldat nahm mit seiner Frau Platz und sie aßen und tranken bis spät in die Nacht hinein. Endlich waren sie satt und hatten genug. Da sprach der Soldat: »Meine liebe Frau, mein Schatz, jetzt wollen wir uns ausziehen und ins Bett gehen.«

Das Mädchen fing an, sich zu entkleiden, aber was sah da unser Soldat, als sie die Röcke fallen ließ?!

»Was zum Teufel soll das bedeuten!«, rief er, »habe ich denn eine Geiß geheiratet!«

»Eine Geiß?«, rief das Mädchen. »Bist du denn so betrunken, dass du mich für eine Geiß hältst?«

Sie stieß ihn aufs Bett, zog sich rasch wieder an und verließ bebend vor Zorn das Haus. Unser Soldat lag nun ganz benommen auf dem Bett. Er war so betrunken, dass jeder andere in der gleichen Lage auf der Stelle eingeschlafen wäre. Er fand aber keine Ruhe und fragte sich, ob er ein Opfer seiner Trunkenheit war oder ob das Mädchen tatsächlich Geißfüße hatte.

Schließlich sprach er zu sich selbst: »Es ist doch töricht von mir, über dergleichen Dinge nachzudenken. Sie wird ja doch morgen wiederkommen und ich kann der Sache dann auf den Grund gehen. So will ich jetzt schlafen.«

Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Er wälzte sich auf die linke und auf die rechte Seite. Er legte sich auf den Rücken, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Bis der Morgen graute, lag er wach.

Zerschlagen und müde stand er auf und sprach: »Oft habe ich erlebt, dass einen Mann nach durchwachter Nacht nichts besser wieder auf die Beine stellt als ein gutes Essen zu einem tüchtigen Schluck Wein.«

Er hatte kaum die Worte gesprochen, da kam das Mädchen auf behenden Füßen fröhlich tänzelnd herein und fing an, den Tisch zu decken. Als sie fertig war, sprach sie zu ihrem Mann: »Komm zu Tisch, wir wollen es uns schmecken lassen!«

Wieder speisten sie bis spät in die Nacht hinein. Immer wieder versuchte der Mann, die Füße seiner Frau zu Gesicht zu bekommen. Ihr Kleid fiel aber tief hinab und er konnte nichts erkennen. Als er zu viel getrunken hatte wie am Abend zuvor, erhob er sich schwankend und sprach: »Ich denke, es ist Zeit zum Schlafengehen. Jetzt wollen wir uns ausziehen.«

Das Mädchen zog das Kleid aus und der Soldat erblickte zwei Geißenfüße. »Der Teufel soll mich holen«, rief er, »wenn du nicht zwei Geißenfüße hast!«

»Geißenfüße, Geißenfüße«, schimpfte das Mädchen, warf ihn aufs Bett und ging voller Zorn hinweg.

»Ach«, dachte er, »ich gäbe die beste Flasche Wein für ein Viertelstündchen Schlaf«. Doch der Schlaf wollte die ganze Nacht nicht kommen. Am Tage bekam er wieder Hunger und Durst. Kaum hatte er daran gedacht, da kam das Mädchen auch schon fröhlich tänzelnd herein und deckte den Tisch. Sie forderte ihn auf, Platz zu nehmen, und der Tag verging wie die anderen. Und die Nacht verging wiederum ohne Schlaf.

Ein ganzes Jahr ging es so. Das gute Essen und Trinken nützte dem armen Tropf, der nicht schlafen konnte, wenig. Er wurde mager wie der Gockelhahn auf dem Kirchturm. Schließlich verlor er auch noch den Appetit. Weil das Mädchen aber nur zu ihm kam, wenn er nach Essen und Trinken verlangte, sah er sie manchmal zwei oder drei Tage nicht.

Eines Tages, als er auf der Türschwelle saß und jammerte, kam plötzlich ein kleines graues Männchen zu ihm und sprach: »Guten Tag, Kamerad. Was jammerst du denn so?«

»Warum sollte ich nicht jammern und klagen«, antwortete der Soldat. »Ich habe zu essen und zu trinken, soviel ich nur will, ich brauche nicht zu arbeiten und doch weiß ich nicht, ob meine Frau eine Geiß ist. Meine noch größere Qual aber ist, dass ich nicht schlafen kann. Seit einem ganzen Jahr habe ich kein Auge zugetan.«

»Wenn es weiter nichts ist«, sprach das graue Männchen, »so will ich dir das Heilmittel in die Hand geben. Hebe diesen Steinbrocken und trage ihn zum Waldrand. Gehe dann zurück und leg dich nieder. Du wirst dann eine Viertelstunde schlafen können.«

»Wie soll ich denn den Stein schleppen, er ist doch viel zu schwer«, rief der Soldat. »Sage mir ein anderes Mittel.«

Aber das graue Männchen war schon wieder verschwunden.

Als einige Zeit vorübergegangen war, stand der Soldat jedes Mal auf, wenn er zu sehr unter dem mangelnden Schlaf litt, lud sich den Steinbrocken auf die Schultern und trug ihn ächzend und stöhnend zum Waldrand. Dort hatte er kaum den Stein abgeworfen, als seine Lider schwer wurden. Er fand kaum Zeit, bis nach Hause zu kommen, wo er eine Viertelstunde tief und fest schlief.

Als er erwachte, war er hungrig und durstig und rief: »Meine liebe Frau, wo bist du?« Die Frau kam wie üblich herein und deckte den Tisch. Sie war aber nicht mehr so munter wie vorher und auch die Speisen mundeten nicht mehr so gut. Der Wein war ebenfalls schlechter.

Trotzdem aß er aber wieder tüchtig und trank so viel, dass er am Abend betrunken war. »Lass uns zu Bett gehen«, sprach er zu seiner Frau. Diese aber ging aus dem Zimmer, anstatt sich zu entkleiden, und ließ ihn allein.

Er versuchte wieder zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Am Morgen litt er so sehr unter dem Schlafmangel, dass er beschloss, wenn es ihm auch noch so schwerfallen würde, den Stein vom Waldrand zu holen. Danach rief er seine Frau, die so missmutig erschien wie am Tage zuvor. Sie deckte den Tisch in liebloser Weise und als der Abend kam, verließ sie ihn. So verging wieder ein ganzes Jahr.

Der Soldat hatte sich so daran gewöhnt, den Stein zu tragen, dass es nun ein Leichtes für ihn war.

Eine Viertelstunde Schlaf reicht freilich nicht aus, um einen Mann wieder auf die Beine zu stellen. Und so kam es, dass es unserem Soldaten am Ende des Jahres nicht besser erging als im Jahre zuvor.

Wieder setzte er sich auf die Türschwelle und jammerte und klagte über sein Geschick. Wieder erschien das graue Männchen.

»Was jammerst du denn so?«, fragte es.

»Warum sollte ich nicht jammern und klagen«, antwortete der Soldat. »Ich habe genug zu essen und zu trinken und ich brauche nicht zu arbeiten. Bei allem aber weiß ich nicht, ob meine Frau eine Geiß ist. Meine größte Qual aber ist, dass ich nicht länger als eine Viertelstunde am Tag schlafen kann.«

»Wenn es weiter nichts ist«, sprach das graue Männchen, »so nimm den Stein, trage ihn zum Waldrand und trage ihn gleich wieder zurück. Dann wirst du eine halbe Stunde schlafen können.«

Mit diesen Worten verschwand das Männchen.

»Ach«, dachte der Soldat, »den Stein hintragen, das gelingt mir leicht, aber ihn gleich wieder zurücktragen, das fällt mir schwer. Aber ich werde es versuchen.«

Er lud sich den Stein auf die Schultern, trug ihn unter Ächzen und Stöhnen zum Waldrand und wieder zurück. Kaum hatte er ihn niedergelegt, fiel er auch schon für eine halbe Stunde in tiefen, festen Schlaf. Als er erwachte, hatte er einen Appetit, wie er ihn seit zwei Jahren nicht mehr gehabt hatte. Er rief seine Frau. Sie kam mit einem noch viel verdrießlicheren Gesicht als zuvor und sie deckte den Tisch mit einfachen Speisen und schlechtem, zusammengemischtem Wein.

Der Soldat beachtete dies nicht weiter und aß gierig. Seine Frau erhob sich, bevor er fertig war, und ging hinaus. Weil Wasser im Wein war, war der Soldat nur halb so betrunken wie sonst.

So verging wieder ein Jahr und der Soldat hatte sich daran gewöhnt, den Stein hin- und herzutragen. Es fiel ihm nicht mehr schwer.

Am Jahresende setzte er sich wieder auf die Türschwelle. Er sprach: »Kleiner Grauer, wenn ich doch nur wenigstens eine Stunde schlafen könnte!«

Im selben Augenblick stand das graue Männchen vor ihm und sprach: »Wenn es weiter nichts ist, Kamerad, so trage den Stein bis zur Landstraße und wieder zurück. Dann wirst du eine Stunde schlafen können.«

»Das ist freilich hart, bis zur Landstraße«, dachte der Soldat. Nach einigem Zögern lud er sich den Stein aber doch auf die Schultern und zog los. Es ging gut bis zur Straße, aber der Weg zurück war sehr mühevoll. Dennoch gelang es ihm, auf diese Weise eine Stunde Schlaf zu finden.

Als er erwachte, war er vergnügt, aber hungrig, und er rief seine Frau. Zornentbrannt wie ein Drache kam sie hereingestürzt und warf Brot und Rüben auf den Tisch. Dazu setzte sie ihm Wein vor, der zu drei Viertel Wasser enthielt. Kaum hatte er sich hingesetzt, da stand sie schon wieder auf und ging hinaus.

Der Soldat wunderte sich darüber. Weil er aber großen Hunger hatte, begann er zu essen. Und weil der wässrige Wein ihn nicht betrunken machte, konnte er mit klarem Kopf über sein Schicksal nachdenken.

So verging wieder ein Jahr. Als es zu Ende war, wünschte er sich zwei Stunden Schlaf. Wieder erschien das graue Männchen. Es sprach, er solle den Stein bis zur Wiese tragen. Das tat er denn auch. Er hatte große Mühe dabei, denn der Weg war gut zwei Meilen weit. Danach aber legte er sich nieder und schlief zwei Stunden lang wie ein Murmeltier. Man kann ahnen, mit welchem Appetit er erwachte.

»Meine liebe Frau«, rief er, »bringe mir das Essen!«

Die Frau öffnete die Tür, warf, ohne hereinzukommen, ein Stück Schwarzbrot ins Zimmer, stellte einen Krug voll Wasser vor die Schwelle, schlug die Türe zu und verschwand schimpfend.

»Jetzt ist sie verrückt geworden«, dachte der Soldat. Weil er aber so hungrig war, merkte er gar nicht, wie einfach das Essen war.

Jeden Tag geschah es nun in der gleichen Weise. Und so verging wieder ein ganzes Jahr. Am Ende setzte sich der Soldat auf die Türschwelle und dachte: »Ich bin doch wirklich ein Narr, dass ich mich mit zwei Stunden Schlaf zufriedengegeben habe. Zwei Stunden Schlaf reichen nicht aus, um mich wieder gesund und munter zu machen. Ich will schlafen wie alle Menschen.«

Kaum hatte er das zu Ende gedacht, da erschien auch schon das graue Männchen und sprach: »Ich weiß, was du willst. Nichts ist leichter als das. Du brauchst den Stein nur an die Stelle zu tragen, wo du dem Mädchen zum ersten Mal begegnet bist.«

»Ach herrje, das sind ja mindestens drei Meilen!«, rief der Soldat. Dennoch lud er sich den Stein auf die Schultern und machte sich auf den Weg.

Als er zurückkehrte, war es schon dunkel. Er war schweißüberströmt und keuchte. Kaum hatte er sich niedergelegt, war er auch schon eingeschlafen. Er schlief tief und fest die ganze Nacht hindurch. Beim Morgengrauen erhob er sich, fühlte sich frisch und froh wie noch nie im Leben und hatte einen Bärenhunger.

»Meine liebe Frau«, rief er, »bring mir zu essen!«

Kaum hatte er die Worte gesprochen, hörte er hinter dem Haus die Stimme der Frau wie Donnergrollen mit schrecklichem Gefluche.

Sie schrie: »Hol es dir doch selber!«

Im selben Augenblick war das Haus verschwunden. Der Soldat saß mitten im Wald. »Was tun?«, fragte er sich. »Kleiner Grauer, kleiner Grauer hilf mir!«

Das graue Männchen erschien und sprach: »Hier bin ich. Was willst du von mir?«

»Nun habe ich kein Obdach mehr«, sprach der Soldat, »und meine Frau verweigert mir das Essen.«

Das graue Männchen antwortete: »Bist du denn nicht imstande, selbst für dich zu sorgen? Deine Frau ist der Teufel, dem du dich deiner Faulheit wegen verschrieben hast. Mit meiner Hilfe hast du arbeiten gelernt. Gehe jetzt hinaus in die Welt, betrinke dich nicht mehr und mach etwas von Nutzen, wofür du deinen Lohn bekommst. Dann wirst du zufrieden sein.«

Mit diesen Worten verschwand das Männchen. Der Soldat erhob sich, ging ins nächste Dorf, trat in den Dienst bei einem Baumeister und arbeitete fleißig ein ganzes Jahr lang. Schließlich kannte er alle Geheimnisse dieser Zunft und wurde selbst Meister.

Der König des Landes aber hatte eine Tochter, die war schöner als die Sonne. Viele Prinzen begehrten sie zur Frau. Aber sie sprach, sie wolle nur denjenigen zum Manne nehmen, der ein Schloss nach ihren Wünschen bauen könne, eines, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Weil es nun wenige Baumeister unter den Prinzen gab, kamen nur klägliche Versuche zustande, die eher Ruinen glichen als Schlössern. Nach den Prinzen versuchten sich die Grafen, dann die einfachen Edelleute. Aber sie alle hatten keinen Erfolg.

Darüber war der alte König sehr traurig, denn das Mädchen war über zwanzig Jahre alt, und er hätte sie gerne vor seinem Tode verheiratet gesehen. Unter Trommelwirbel ließ er daher verkünden, dass jeder, egal aus welchem Stande, seine Tochter zur Frau bekäme, dem es gelänge, das gewünschte Schloss zu bauen.

Sogleich meldeten sich viele Bewerber. Unter ihnen waren auch Baumeister. Aber so sehr sie sich bemühten, ihr Werk fand keinen Gefallen. Drei Meilen Land war schließlich mit Bauwerken bedeckt, aber keines erhielt die Zustimmung der Prinzessin.

Als unser Soldat das sah, fiel ihm das kleine graue Männchen ein. Eines Morgens ging er hinaus in den Wald, an die Stelle, wo früher sein Haus gestanden hatte.

Er fand das graue Männchen dort und es begrüßte ihn und sprach: »Da bist du ja endlich. Ich habe lange auf dich gewartet. Du sollst für deine Arbeit und deinen Fleiß belohnt werden. Hier hast du einen Plan. Darauf habe ich gerade das Schloss gezeichnet, das die Prinzessin sich wünscht. Halte dich genau an diesen Plan und der Bau wird dir gelingen.«

Als der König davon erfuhr, sprach er: »Ich will ihn gewähren lassen. Wenn man erkennen kann, was dabei entsteht, werde ich alles meiner Tochter zeigen.«

Nach einem halben Jahr waren die Mauern schon ziemlich hoch. Da erschien der König mit seiner Tochter.

»Wie gefällt es dir?«, fragte der König seine Tochter.

»Ich finde es nicht schlecht«, gab sie mit einem Lächeln zur Antwort, »und der Baumeister ist auch nicht übel. Sein Werk ist aber noch nicht vollendet.«

Drei Monate später benachrichtigte der Soldat den König, dass nun das Schloss fertiggebaut sei. Dieser betrachtete es zusammen mit seiner Tochter. »Ist es so, wie du es dir gewünscht hast?«, fragte er sie.

»Alles ist gut bis auf eines«, antwortete die Prinzessin und ging hinweg. Der Baumeister verglich alles mit seinem Plan und konnte nichts entdecken, was noch gefehlt hätte. Drei Tage und drei Nächte suchte er. Dann kam ihm das graue Männchen in den Sinn. Er ging in den Wald und rief: »Kleiner Grauer, kleiner Grauer komm und hilf mir!«

Das graue Männchen erschien und sprach: »Ich weiß, was dich bekümmert. Du hast dich genau an den Plan gehalten. Aber es gibt eine Kleinigkeit, die ich nicht eingezeichnet habe. Mitten im Hof musst du eine Säule aus blankem Kristall errichten. Auf ihre Spitze musst du den Stein setzen, den du so lange mit dir herumgeschleppt hast. Dies soll dir eine Erinnerung sein, dass du, wenn du König geworden bist, keinen Tag ohne Arbeit zubringen sollst.«

Erleichtert und zufrieden kehrte der Baumeister in die Stadt zurück und tat sogleich alles, wie ihm geheißen war. Als er die Kristallsäule mit dem Stein auf der Spitze, den er so lange getragen hatte, errichtet hatte, bat er den König, sich das Schloss zusammen mit seiner Tochter noch einmal anzusehen. Sie kamen mit ihrem ganzen Hofstaat. Und als die Prinzessin die Kristallsäule erblickte, sprach sie: »Jetzt ist alles gut.«

Darüber war der alte König glücklich. Noch glücklicher aber war der Baumeister. Die Hochzeit wurde mit großer Pracht gefeiert. Sieben Könige aus Nachbarländern kamen zu dem Fest und Edelleute aus der halben Welt. Als später der alte König starb, wurde der einstige Soldat König. Wenn er heute noch lebt, so ist er der glücklichste König der Welt.

Märchen aus Frankreich

Von dem Breikessel

Sieben Meilen hinter Eulenpfingsten lebten vor alter Zeit ein Mann und eine Frau, aßen und tranken und waren allezeit guter Dinge. Der Mann aber war ein Müller. Nun rate, was die Frau war. Und sie hatten eine einzige Tochter, wenn die im Sommer am Bach saß und ihre Füßchen spülte, kamen alle Fische herbeigeschwommen und sprangen vor Freude aus dem Wasser, so schön war sie.

Einst wurde eine teure Zeit und es kam nur wenig Korn zur Mühle, deshalb hatten sie bald nichts mehr zu essen. Da ging die Frau eines Tages hin, schüttelte alle Kisten und Kasten und klopfte alle Säcke aus, tat das letzte Salz daran, kochte einen Roggenbrei und sagte: »Dies wird die letzte Mahlzeit sein. Wir können uns dann hinlegen und sterben.«

Als der Brei fertig war, kam der Mann in die Küche, nahm den hölzernen Löffel und wollte einmal schmecken. Die Frau verwehrte es ihm und als er Gewalt brauchen wollte, nahm sie den Kessel auf den Kopf und lief davon, dass ihr die Haare um den Nacken flogen. Der Mann setzte mit dem Löffel in der Hand hinter ihr her, und als die Tochter das sah, nahm sie die Schuhe in die Hand und lief hinter dem Vater her. Schließlich kamen sie in einen Wald, da verlor das Mädchen den einen Schuh und während sie den suchte, ohne ihn finden zu können, verschwanden Vater und Mutter hinter den Bäumen. Da setzte sie sich hinter einen Busch und konnte nicht mehr weiter, so müde war sie und sie wimmerte und weinte. Und als sie daran dachte, dass sie ihren Schuh verloren hatte, weinte sie noch viel mehr. Den Schuh aber hatte der Zaunkönig gefunden und die Frau Zaunkönigin wiegte ihre Jungen darin.

Als das Mädchen nun so dasaß und klagte, dass es einen Stein hätte erbarmen können, da stand auf einmal eine alte Frau bei ihr und sagte: »Was fehlt dir, mein Kind?« Das Mädchen antwortete: »Ja, die Mutter nahm das letzte Mehl und kochte einen Brei davon, da wollte der Vater schmecken, die Mutter wollte es aber nicht haben. Nun ist sie davongelaufen mit dem Kessel auf dem Kopf und der Vater läuft hinter ihr her mit dem Löffel in der Hand. Und als ich ihnen nachlief, da verlor ich den einen Schuh und wie ich den suchte, verschwanden Vater und Mutter hinter den Bäumen. Was soll ich jetzt nur anfangen? Hätte ich nur den Schuh!«

»Hier hast du den anderen«, sagte die Frau, griff in die Tasche und holte einen funkelnagelneuen Schuh heraus. Dann sprach sie: »Nun sei ruhig und tu, was ich dir sage, so wird alles gut. Geh noch ein wenig tiefer in den Wald, da kommst du an ein großes Königsschloss. Geh nur hinein und wenn sie dir dann viele Kleider vorlegen und dir sagen, du sollst dir davon eines auswählen, dann suche dir das schönste seidene aus. Wenn sie dich dann fragen, warum du dir dieses auswählst, so antworte ›ich bin in Seide erzogen‹.« Das Mädchen bedankte sich, ging in den Wald hinein und kam bald an das Königsschloss, wie die Frau gesagt hatte. Als sie nun hineinging und ihr die vielen Kleider vorgelegt wurden, seidene, baumwollene und leinene, suchte sie sich das schönste seidene aus. Da fragte sie der König: »Warum wählst du dir denn gleich ein seidenes?«

»Ich bin in Seide erzogen«, gab sie zur Antwort.

Nun hatte der König einen Sohn, der sollte sich bald verheiraten, und als er die Müllerstochter in dem seidenen Kleid sah, da lief es ihm heiß durchs Herz und er sagte: »Lieber Vater, wenn ich nun heiraten soll, so gebt mir dieses Mädchen. Eine andere nehme ich nimmermehr.« Da waren alle froh und die Hochzeit wurde vorbereitet.

Eines Tages stand die Braut oben im Saal am Fenster und besah sich die Gegend. Und wie sie so hinausschaute, da sah sie ihre Mutter mit dem Kessel auf dem Kopf vorbeilaufen und hinter ihr her rannte der Vater mit dem hölzernen Löffel in der Hand. Da konnte sie nicht an sich halten und musste laut auflachen. Das hörte der Prinz im Nebenzimmer, er kam herein und fragte: »Schätzchen, warum lachst du?« Sie wollte nun aber die Geschichte mit ihren Eltern nicht gerne erzählen und antwortete: »Ich lache darüber, dass wir in diesem kleinen Schloss Hochzeit halten sollen. Wo sollen hier die vielen Gäste unterkommen?«

»Ja, hast du denn ein größeres?«, fragte der Prinz.

»Ein viel größeres«, gab sie zur Antwort.

»Ei, so lass uns die Hochzeit noch acht Tage aufschieben, wir feiern dann auf deinem Schloss die Hochzeit«, sagte der Prinz. Und er ging weg, um es gleich seinem Vater zu sagen, sie aber war recht traurig, denn wo sollte das große Schloss herkommen?

Und als sie so dasaß und weinte, da war auf einmal wieder die alte Frau bei ihr und fragte: »Was fehlt dir denn?«

»Ich stand gerade oben im Saal am Fenster und schaute hinaus. Da liefen unten im Hof meine Eltern vorbei, so dass ich laut auflachen musste. Das hörte mein Bräutigam und als er kam und mich fragte, warum ich gelacht habe, da gab ich vor, es sei wegen dieses kleinen Schlosses, ich hätte ein viel größeres. Nun soll dort die Hochzeit gefeiert werden. Ich habe aber doch gar kein Schloss.«

»Das hast du doch«, erwiderte die Alte. »Sei nur ruhig und fahre getrost mit deinem Bräutigam hin. Wenn ihr eine Weile gefahren seid, wird ein weißer Pudel aus dem Gebüsch springen, den nur du allein sehen kannst. Wo der hinläuft, da lass hinfahren.« Und mit diesen Worten verschwand die alte Frau.

Als nun die Gäste zur Hochzeit kamen, fuhren alle in den Wald hinein und bald kam ein weißer Pudel aus dem Gebüsch gesprungen, den nur das Mädchen allein sehen konnte. Wo der hinlief, da ließ sie ihre Kutsche hinfahren und die anderen Wagen fuhren ihr alle hinterdrein. Als sie eine Zeitlang unterwegs waren und es den Gästen allmählich zu lange dauerte, fragten sie: »Sind wir noch nicht bald da?«

»Doch, sogleich«, antwortete sie.