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Inhalt

Historische Anmerkung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Danksagungen

Über Den Autor

STAR TREK

THE NEXT GENERATION

KALTE BERECHNUNG

BUCH III

DIABOLUS EX MACHINA

DAVID MACK

Based on
Star Trek
and
Star Trek: The Next Generation
created by Gene Roddenberry

Ins Deutsche übertragen von
Wibke Sawatzki

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Original English language edition copyright © 2013 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

Für Keith, der mir gezeigt hat, wie es läuft.

HISTORISCHE ANMERKUNG

Die Ereignisse der Haupthandlung dieses Romans finden Mitte 2384 statt, etwa vier Jahre und acht Monate nach den Ereignissen des Kinofilms STAR TREK – NEMESIS und sechs Monate nach dem Roman »Kalte Berechnung 1: Die Beständigkeit der Erinnerungen«, in dem der legendäre Kybernetiker Noonien Soong (der nicht so tot war, wie er die Galaxis hatte glauben machen wollen) sein Leben geopfert hat, um seinen Sohn, den Androiden Data, auferstehen zu lassen. Dieser ist nun in persönlicher Mission unterwegs, um sein verlorenes Kind Lal zurückzubringen.

Wenn der Leib nicht die Seele wäre,
was ist dann die Seele?

– Walt Whitman, »Ich singe den Leib, den elektrischen«
in: Grashalme (1867)

PROLOG

2366

Mein Verstand verabschiedet sich. Admiral Haftel hat gesagt, ich solle ruhig bleiben, aber er weiß ja auch nicht, wie sich das hier anfühlt. Vom Hals abwärts bin ich gelähmt. Ich bin nichts weiter als ein sprechender Kopf, der in diesem Stahlkäfig im Labor meines Vaters an Bord der Enterprise gefangen ist.

Der Admiral hatte schon aufgegeben, als mein Vater immer noch verzweifelt versuchte, meine Positronenmatrix zu stabilisieren. Inzwischen hat auch Vater aufgegeben. Ich merke, wie meine Synapsen zusammenbrechen. Ganze Bereiche meiner Nervenbahnen erlöschen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich weiß bereits, was passiert, bevor mein Vater spricht.

»Lal?« Mit ausdruckslosem Gesicht sieht er mir in die Augen und wartet darauf, dass mein Blick ihn fixiert und ihm zeigt, dass ich noch anwesend bin. »Ich kann das Systemversagen nicht beseitigen.«

»Das weiß ich auch.« Ich hatte gehofft, tapfer zu klingen, aber ich kann die Furcht in meiner Stimme nicht mehr verbergen.

Er klingt zärtlich. »Wir werden uns jetzt trennen.«

Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich will mich nicht von ihm verabschieden. Mühsam ringe ich um Fassung. »Ich … fühle

An seinem Blick erkenne ich, wie er hin- und hergerissen ist zwischen Neugierde und dem Wunsch, mich zu trösten. »Was fühlst du, Lal?«

Weitere Nervenbahnen brechen zusammen. Alle meine Erinnerungen schwinden. Wir haben keine Zeit mehr. Ich muss es ihm sagen, solange ich noch kann. »Ich … liebe dich, Vater.«

Er ist verwirrt, versteht nicht. Er kann es nicht. So wurde er nicht gebaut.

Meine Gefühle sind so schwer zu beschreiben. Ich bin voller Freude, und doch leide ich Qualen. Nichts wünsche ich mir mehr, als meine Gefühle mit ihm zu teilen, als dass er in diesem Moment dasselbe fühlt, aber ich sehe es ihm an – ich bin mit meinem Kummer allein. Muss ich deshalb sterben, weil ich zu viel fühle? Das ist nicht fair.

Er legt den Kopf schief. »Ich wünschte, ich könnte auch so empfinden.«

Wenn ich doch nur eine Hand heben könnte, um ihn zu berühren. »Ich fühle alles … für uns beide.«

Noch einmal spüre ich die Panik wie einen roten Nebel, dann schwinden meine Erinnerungen, unwiderruflich ausgelöscht. In wenigen Sekunden werden meine Haupterinnerungsmodule zerfallen. Angst und Zorn, Trauer und Verwunderung – der Sturm der Gefühle zerreißt mich innerlich. Doch dann sehe ich meinen Vater an, und alles, woran ich denke, ist, wie viel er mir gegeben hat. Mit Mühe bringe ich die Worte hervor. »Ich danke dir für dieses Leben.«

Haupterinnerungsmodule versagen.

Vor meinen Augen spielt sich mein Leben noch einmal rückwärts ab, bevor es für immer verschwindet.

Das lächelnde Gesicht eines Mannes. »Flirten.«

Freude liegt in der Luft. »Lachen.«

Fantasie nimmt Gestalt an. »Gemälde.«

Ich stehe neben meinem Vater. Außer uns gibt es nichts im Universum. »Familie.«

Noch bin ich unbeschrieben, ein Wesen ohne Form. »Weiblich.«

Ein Mechanismus, dazu getrieben, sich selbst zu erschaffen. »Menschlich.«

Ich …

KAPITEL 1

Wesley Crusher hatte im Zentrum der Galaxis Dunkelheit erwartet; er fand einen Sturm vor.

Schon bevor seine Freunde auf Istarral Prime ihn um Hilfe gebeten hatten, hatte er das Beben einer verheerenden Störung im Subraumgefüge gespürt. Das Übelkeit erregende Gefühl einer unbestimmten Bedrohung schien von überall und nirgends herzurühren. Ihr verzweifeltes telepathisches Flehen jedoch war ganz auf ihn gerichtet gewesen, abgestimmt auf seine spezifische psionische Frequenz als Reisender – ein Wesen, das kraft seiner Gedanken nicht nur in der Lage war, sich durch Raum und Zeit zu bewegen, sondern diese auch zu verlassen. Diese Fähigkeit fußte auf einem tiefen, beinahe instinktiven Verständnis des Konzepts, dass Zeit, Raum, Materie, Energie und Gedanken eins waren – harmonische Noten im gemeinsamen Akkord des Seins. Diese grundlegende Tatsache des Universums war so sehr ein Teil von ihm, dass er ihn in jedem Moment der Zeit sehen konnte, jedem Materieteilchen, jeder flüchtigen Idee. Es war eine schöne Wahrheit, die reinste und eleganteste, die er sich je hätte vorstellen können. Inzwischen wurde er durch sie definiert.

Vor vielen Jahren hatte er Freundschaft mit den Istarral geschlossen. Sie waren ein weises und freundliches Volk, dessen Welt ganz am Rand der Galaxis lag, im Gamma-Quadranten, am Ende des Sagittarius-Carina-Arms, wo sie einen alten orangefarbenen Stern umkreiste. Noch nie hatten die Istarral ihr eigenes Sternensystem verlassen, da ihr Planet wenige fossile Brennstoffe oder zur Kernfusion geeignete Elemente aufwies und es so sehr schwer war, die notwendigen Antriebssysteme für rudimentäre Raumfahrzeuge oder gar interstellaren Flug zu entwickeln. Trotz dieser Einschränkungen waren sie jedoch aufmerksame Beobachter des Universums, das sie umgab.

Wesley fand ihre angeborene Neugierde und ihre freundliche Natur so einnehmend, dass er, nachdem er ihre Kultur mehr als ein Jahr lang aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, beschlossen hatte, sich ihnen zu zeigen und sein Wissen über den Kosmos mit ihnen zu teilen.

Wie erwartet begrüßten sie ihn, als sei er einer von ihnen, obwohl er nicht unterschiedlicher hätte aussehen können. Da die Istarral sich in einem Urmeer herangebildet hatten, ohne Kontakt zu den Humanoiden, die sich vor Milliarden von Jahren auf so vielen anderen Sternensystemen der Milchstraße entwickelt hatten, ähnelten sie riesigen orangefarbenen Pilzen, die sich auf vier Tentakeln fortbewegten und mit zwei weiteren ihre Instrumente hielten. Sie hatten keine Augen, Münder oder Ohren; stattdessen war ihre Außenhaut besonders empfindlich für die leiseste Veränderung im Luftdruck. So nahmen sie Bewegungen und Hindernisse wahr und konnten auch Teilchenspuren in der Luft erkennen, was einem Geruchssinn schon sehr nahekam, fand Wesley. Meistens kommunizierten die Istarral über den Austausch chemischer Informationen, die sie über ein weltweites Wurzelnetzwerk sandten, das ihre Vorfahren vor einigen Hundert Millionen Jahren hatten wachsen lassen. Diese tiefe, allumfassende Verbindung ermöglichte es den Istarral, in Frieden zu leben. Sie waren alle Teil desselben Ökosystems, derselben Gemeinschaft, derselben Welt.

Kurz darauf hatte er gemerkt, dass ihre Wahrnehmung über die physische Welt hinausging. Sie besaßen psionische Talente, die es ihnen ermöglichten, die Sterne zu erforschen, ohne ihre Heimatwelt jemals zu verlassen. Die Istarral waren begabt in der Astralprojektion und hatten so heimlich die letzten hundert Millionen Jahre galaktischer Geschichte beobachtet. Niemand schien von ihnen zu wissen, aber sie kannten die großen Zivilisationen, mit denen sie eine Galaxie teilten, nur zu genau.

Wesley wusste, dass einige Bewohner anderer Welten die Istarral als bizarr empfinden würden. Für ihn waren sie bewundernswert. Während seiner vielen Besuche hatte er ihre Sprache gut genug gelernt, um ihre Poesie zu erkennen, und er hatte sich geehrt gefühlt, als sie ihm den Spitznamen N’iliquendi gegeben hatten, »Lehrer von den Sternen«.

Inzwischen freute er sich auf ihre Einladungen und hatte schon viele Male ihre Gastfreundschaft in Anspruch genommen. Aber als er ihre letzte psionische Bitte empfangen hatte, hatte er sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte. Bei seiner Ankunft war die gesamte Spezies in Panik gewesen, und es hatte Stunden gedauert, einen von ihnen so weit zu beruhigen, dass er in der Lage gewesen war, ihm von der »alles verschlingenden Dunkelheit« hinter »einem Riss im Himmel« zu berichten.

Sobald Wesley seine Sinne darauf eingestimmt hatte, ihre Vision nachzuempfinden, war er ebenso erschrocken gewesen.

Etwas griff aus weiter Ferne nach dem Istarral-System, krümmte das Raum-Zeit-Gefüge, verdrehte und verformte es mit unbekannter Absicht. Mit einem Gedanken, der zu Bewegung wurde, steuerte Wesley sein Schiff, einen mancharanischen Sternenhüpfer, den er Erithacus getauft hatte, die mehr als fünfzigtausend Lichtjahre zum Zentrum der Milchstraße. Dort, das verrieten ihm seine Instinkte als Reisender, würde er die Quelle der Verzerrung finden, die seine Freunde bedrohte.

Nun betrachtete er ein wahres Albtraumszenario. Es war so groß wie ein Planet, aber auf den ersten Blick wusste Wesley schon, dass es künstlich war, geschaffen aus Metall und ungezügelter Kraft. In der Außenhülle befanden sich Spalten, von denen einige geradewegs bis zur anderen Seite des sternenlosen Stahlplaneten zu reichen schienen. Leuchtend violette Wolken umwirbelten ihn wie ausgedehnte Nebel, und in ihrem Inneren zuckten azurblaue und purpurne Blitze auf, wie ein Versprechen von Gewalt.

Ich muss vorsichtig sein, beschloss Wesley. Man kann nie wissen, wie dieses Ding auf aktive Scans reagiert. Um auf Nummer sicher zu gehen, führte er zunächst nur einen Scan mithilfe der visuellen Sensoren durch. Der holografische Projektor in seinem Cockpit zeigte eine verkleinerte Ansicht der Sphäre an. Auf ihrer Oberfläche brannte kein Licht, aber im Blitzen des sie umgebenden Unwetters konnte er sehen, dass die Oberfläche von uralten Kraternarben verunziert wurde und mit unzähligen Apparaten und Gerätschaften übersät war. Tief im Kern der Maschine allerdings pulsierte ein unwirkliches Glühen in Tausenden von Farbschattierungen, die erschienen und wieder verschwanden wie Geister und die auf Aktivitäten von unbekanntem Ausmaß und Zweck hindeuteten.

Das Einzige, was Wesley noch mehr aus der Fassung brachte als die Maschine – denn er war überzeugt, dass es sich bei der riesigen Kugel um genau das handelte, und er wollte sie auch als solche bezeichnen –, war das, was sich dahinter befand.

Eine alles verschlingende Dunkelheit. Eine unersättliche Masse, die pausenlos Materie, Energie, Zeit und Informationen in sich hineinfraß. Ein supermassereiches schwarzes Loch.

Es war nicht die größte Singularität im Zentrum der Galaxis; diese Ehre gebührte Sagittarius A* (ausgesprochen »A Stern«), dem riesigen schwarzen Loch, dessen Masse auf die über viermillionenfache Sonnenmasse geschätzt wurde. Nein, bei diesem gähnenden, unersättlichen kosmischen Abgrund handelte es sich um Abbadon, das von den Astronomen der Föderation etwas schönfärberisch als »mittelschweres« schwarzes Loch bezeichnet wurde, obwohl es auch ein Kampfgewicht von mehr als viertausend Sonnenmassen aufwies.

Aber etwas fühlte sich falsch an. Wo Wesley erwartet hätte, einen Haufen von mehr als zehntausend Sternensystemen zu finden, die das Loch umkreisten, entdeckte er nur Leere. Dann wurde ihm klar, dass Abbadon weit größer war, als es noch vor zehn Jahren gewesen war. Den Sensoren der Erithacus zufolge war die Singularität auf eine Größe von mehr als zwölftausend Sonnenmassen angewachsen, und ihre Akkretionsscheibe hatte sich zu einem feurigen Ring der Zerstörung mit Hunderten von Kilometern Durchmesser ausgedehnt, der sich mit einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit drehte, bevor er hinter dem Ereignishorizont für immer verschwand.

Die Sensordaten ergaben für Wesley überhaupt keinen Sinn. Was in aller Welt geht hier vor? Abbadon hätte diese Systeme während der nächsten Hunderte von Millionen Jahren nicht absorbieren sollen.

Blendend helles Licht flammte im Herzen der Maschine auf, und die holografische Darstellung auf der Erithacus verschwand in statischem Rauschen. Selbst wenn Wesley keine Möglichkeit gehabt hätte, zu beobachten, was sich dort draußen abspielte, hätte er mit den geübten Sinnen eines Reisenden wahrgenommen, was geschah. Die Maschine schoss grünliche Energiestrahlen ins All und riss es damit entzwei. Überall um Abbadon herum öffneten sich Wurmlöcher, größer als alles, was Wesley je für möglich gehalten hatte.

Er hatte eine Eingebung, was als Nächstes passieren würde, und betete, dass er falschlag. Dann begann es.

Aus jedem der Wurmlöcher schossen Sterne, gefolgt von chaotisch durcheinanderfliegenden, miteinander kollidierenden Planeten, Monden, Asteroiden und Kometen. Rote Riesen, orangefarbene und gelbe Hauptreihensterne, weiße Zwerge. Erdähnliche Planeten und Gasriesen, Welten mit Ringen oder einfache Wolken aus Staub, Eis und Gestein.

Sie alle gerieten in den unbarmherzigen, unausweichlichen Sog von Abbadon.

Ganze Sternensysteme wurden ausgelöscht, verdammt zu Feuer und Dunkelheit.

Vor Entsetzen konnte Wesley nicht mehr klar denken. Es war eine Sache, zu wissen, dass in einem kosmischen Zeitrahmen, im Laufe von Hunderten von Milliarden Jahren, die Singularitäten bei ihrem unaufhaltsamen Marsch in Richtung Wärmetod des Universums alle Materie verschlingen würden. Eine ganz andere war es, diesen Prozess ohne offensichtlichen Grund oder irgendeine Art der Provokation künstlich beschleunigt zu sehen.

Er öffnete einen Kommunikationskanal und schickte einen Ruf auf allen Frequenzen aus. »Achtung, nicht identifizierte Maschine im Orbit der Singularität Abbadon. Hier spricht Wesley Crusher. Bitte antworten Sie und identifizieren Sie sich.« Lange Sekunden vergingen ohne irgendeine Antwort. Stattdessen wurde ein weiteres Sternensystem von seinem rechtmäßigen Platz gerissen und an den hungrigen galaktischen Tiger verfüttert.

Das Ding muss ich mir genauer ansehen.

Wesley aktivierte den Impulsantrieb seines Schiffs und lenkte es durch eine Lücke in den Nebeln nahe an die Maschine heran. Während er weniger als zehn Kilometer von ihrer Oberfläche entfernt vorbeiflog, war er erstaunt über die reine Größe und fast greifbare Ausstrahlung von Macht. Die passiven Sensoren seines Schiffs bemerkten keinerlei Anzeichen für eine Atmosphäre, weder auf der Oberfläche noch im Inneren. Soweit er es einschätzen konnte, handelte es sich um eine unbemannte Konstruktion, nichts als endlose Schichten von Maschinerie und Kraftwerken, die über alles hinausging, was er in dieser oder irgendeiner anderen Galaxie je gesehen hätte.

Einen Augenblick lang dachte er darüber nach, einen Vorstoß ins Herz der Maschine zu wagen.

Telepathische Schreckensschreie ließen ihn jedoch innehalten.

Alle Stimmen der Istarral schrien gleichzeitig auf und füllten Wesleys Gedanken mit ihrem hilflosen Flehen um Gnade, ihren verzweifelten Klagerufen. Neben Abbadon öffnete sich ein weiteres Wurmloch, ein blauer Mahlstrom, der direkt in den Abgrund führte.

»Nein!« All seine geistige Disziplin verließ ihn. Vergebens sprang er vor, klammerte die Finger so fest, dass die Knöchel hervortraten, um seine Bugkonsole, während er das künstlich herbeigeführte tragische Schauspiel mit ansehen musste.

Zuerst wurde der orangefarbene Hauptreihenstern der Istarral vernichtet, dann die drei inneren, erdähnlichen Planeten. Als die grau-blaue Heimatwelt der Istarral aus dem Wurmloch taumelte, nahmen Tränen der Wut Wesley fast die Sicht. In weniger als einer Minute hatte die rasche Übermacht der Akkretionsscheibe von Abbadon den Stern und alle Planeten in eine leuchtende Masse aus überhitzter Materie verwandelt, die heller als ein Dutzend Sonnen glühte.

Als die benachbarten Gasriesen dem Heimatplaneten der Istarral in die glühende Zerstörung folgten, sah Wesley bereits nicht mehr zu. Mit den Fäusten hämmerte er auf die Kommandokonsole des Schiffs ein und stieß stumme Flüche über seine Hilflosigkeit aus, wütend über die Furcht einflößende Intelligenz, die eine derart grausame Erfindung auf das Universum hatte loslassen können.

Er würde sie aufhalten, daran bestand kein Zweifel.

Er wusste nur noch nicht, wie.

KAPITEL 2

Seine Mutter stellte sich ihm in den Weg. Ein sengend heißer Wind wehte ihr das kupferfarbene Haar ins jung wirkende Gesicht. »Wie oft soll ich dich noch anflehen, es nicht zu tun?«

Data stand unter dem Bug der Archeus. Juliana Tainers Sorgen machten seine Hoffnung, schnell und unkompliziert davonzukommen, zunichte. Sein elegantes, silbrig schimmerndes Raumschiff lag in der Mitte einer Salzebene in einer Wüste, die sich bis über den Horizont erstreckte, unter einem Himmel, der im Licht eines weißen Sterns blass wirkte. Data sah seiner Mutter in die blauen Augen und legte ihr tröstend die Hände auf die Schultern. »Du kannst deine Bitte so oft wiederholen, wie du willst, ich habe mich entschieden.«

Sie runzelte die Stirn, als er neben sie trat, ihren Arm nahm und sie zu der Rampe brachte, die zur Steuerbordluke des Schiffs führte. »Lass mich los, Data! Ich will dich nicht genauso verlieren, wie ich Akharin verloren habe.« Sie entzog sich seinem Griff und fasste ihn dann vorne an seinem naturfarbenen Leinenhemd. »Die Gemeinschaft ist weit gefährlicher, als dir bewusst ist. Lass nicht zu, dass sie auch dich mitnehmen.«

»Mutter, darüber diskutiere ich nicht. Nur Akharin verfügt über das Wissen, das ich brauche, um Lal zu retten – und die Gemeinschaft hat ihn in ihrer Gewalt.« Sanft, aber entschieden löste er ihre Finger von seinem Hemd. »Ich bin sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt.«

Verzweiflung schimmerte in ihren Augen. »Data, du warst nicht hier, als die Gemeinschaft Akharin geholt hat. Du hast nicht gesehen, wozu sie fähig sind. All seine Verteidigungsanlagen, seine Technik – ehe er auch nur wusste, wie ihm geschah, hat die Gemeinschaft sie gegen ihn gewandt. Wenn er nicht seinen Subraum-Rückrufstrahl geopfert hätte, um mich zu retten, hätten sie mich wahrscheinlich inzwischen auseinandergenommen – entweder, um sein Geheimnis zu entdecken, oder, um ihn zum Reden zu bringen.« Tränen der Angst rannen ihr über die geröteten Wangen. »Wenn sie dich gefangen nehmen, was sollte sie davon abhalten, dich dazu zu zwingen, ihnen zu sagen, wo sie mich finden?«

»Wenn sie Akharin diese Information noch nicht entlockt haben, haben sie bei mir ganz bestimmt nicht mehr Glück.« Er stupste sie leicht in Richtung der Rampe. »Und genau deswegen musst du weg von hier. Archeus wird dich zurück auf deinen frei fliegenden Planeten bringen, während ich darauf warte, dass die Gemeinschaft meinen Ruf beantwortet.«

Sie stemmte die Füße in den Boden und widersetzte sich seiner unwiderstehlichen Kraft. »Komm mit mir zurück. Vielleicht finden wir in Akharins Archiven etwas, was du übersehen hast. Wir könnten …«

Data schüttelte den Kopf. »Nein, Mutter. Ich habe mir all seine Aufzeichnungen angesehen, selbst diejenigen, von denen er offensichtlich geglaubt hat, sie seien gegen einen Zugriff von außen verschlüsselt. Das Geheimnis, nach dem ich suche, war nicht dort, und ich bezweifle, dass es das jemals gewesen ist.« Er zog den kompakten Quantensender aus der Tasche und drehte ihn prüfend in den Fingern. Das Gerät war von der Gemeinschaft geschaffen worden, und einer von ihnen hatte es Noonien Soong ausgehändigt, für den Fall, dass dieser je über ihr Angebot nachdenken sollte, ihrem interstellaren Klub herumstreifender künstlicher Intelligenzen beizutreten. »Irgendwie hat Akharin das Geheimnis von Leben und Tod entschlüsselt, und er hat es an dem einzigen Ort versteckt, den er für sicher genug erachtet hat: sein eigenes Gehirn.«

»Er ist ein Genie von einzigartiger Begabung, Data – aber unsterblich oder nicht, er ist bloß ein Mensch. Das heißt, er kann gebrochen werden.« Es war deutlich zu sehen, dass allein der Gedanke an diesen schlimmstmöglichen Fall Juliana an den Rand der Hysterie brachte. »Was, wenn die Gemeinschaft ihm das Geheimnis bereits entlockt hat? Was tust du dann?« Die Frage ließ ihn innehalten. In den wenigen Sekunden, die er brauchte, sich diese hypothetische Situation auszumalen, nahm sie eine Antwort an, die ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte. »Du hoffst, dass sie ihn bereits gebrochen haben, nicht wahr? Um dir die Mühe zu ersparen.«

Gekränkt wich er zurück. »Selbstverständlich nicht. Ich habe nicht den Wunsch, dass er zu Schaden kommt. Er hat Rhea geholfen, mich wieder aufzubauen, nachdem die Androiden auf Exo III mich auseinandergerissen hatten. Ich verdanke ihm mein Leben – und deines ebenfalls.« Schuldgefühle plagten ihn, als er hinzufügte: »Bereits jetzt bin ich ihm eine Menge schuldig. Aber um meiner Tochter willen muss ich ihn um einen weiteren Gefallen bitten.«

Julianas Angst wich mütterlicher Fürsorge. »Warum, Data? Nach all den Jahren, warum bist du gerade jetzt so versessen darauf, Lal wieder lebendig zu machen?«

»Ehe ich einen Beweis dafür hatte, dass er dich zurück ins Leben geholt hat, konnte ich nicht sicher sein, ob es möglich ist.«

Diese Antwort entlockte Juliana einen zweifelnden Blick. »Ach, jetzt komm. Du musst doch vermutet haben, dass er mich zum Leben erweckt hat, nachdem mein Körper von der Enterprise entwendet worden war.«

Ihre Fragerei begann ihn zu ärgern, obwohl er nicht genau hätte sagen können, weshalb. »Ich konnte nicht auf einen bloßen Verdacht hin meine Pflichten gegenüber der Sternenflotte und meinen Schiffskameraden vernachlässigen.«

Ihr Blick wurde weicher, mitfühlender. »Hast du darüber nachgedacht, dass du einfach nur Nooniens letzte Mission seines Lebens wiederholst? Dass du einfach nur seine eigene Besessenheit, dich von den Toten zurückzuholen, nachempfindest?«

»Du meinst, weil meine Erinnerungen in die Positronenmatrix eingespielt wurden, die mein Vater für seine eigene postorganische Existenz erstellt hat, habe ich seinen väterlichen Antrieb geerbt und diese Gefühle auf Lal projiziert?« Achselzuckend nahm er ihre Theorie zur Kenntnis. »Der Gedanke ist mir gekommen. Allerdings halte ich ihn für irrelevant. Schließlich heißt es doch: ›Wie der Vater, so der Sohn.‹« Er schob sie zum Fuß der Rampe und drehte sie so, dass sie hinaufschaute. »Und wie ich von Anfang an betont habe, ist die Sache für mich beschlossen.«

Ihr gequälter Gesichtsausdruck ließ ihn vermuten, dass sie noch viel mehr zu sagen hatte, es aber aus Respekt vor seiner Entscheidung für sich behielt. Sie hob nur eine Hand und legte sie an seine Wange. »Ich weiß, dass ich dir die Sache nicht mehr ausreden kann. Versprich mir nur, dass du vorsichtig bist. Kannst du das für mich tun?«

Er legte seine Hand auf ihre und brachte ein ermutigendes Lächeln zustande. »Ich versuche es.«

Sie küsste ihn erst auf die linke, dann auf die rechte Wange und wischte sich dann mit dem Handrücken die Tränen fort. »Und versprich mir, dass du mich besuchen kommst, sobald du zurück bist. Ich möchte diese Enkelin kennenlernen, von der ich so viel gehört habe.«

»Falls es mir gelingt …«

»Sobald es dir gelungen ist.«

Er nickte, dankbar über ihre Ermutigung. »Ich werde dir Lal vorstellen.«

»Ich freue mich darauf.« Sie begann, die Rampe hochzugehen, blieb stehen und drehte sich noch einmal um. »Ich liebe dich, Data. Vergiss das nicht.«

»Ich dich auch, Mutter. Pass auf dich auf.« Er winkte ihr nach und trat dann vom Schiff zurück, als Juliana am oberen Ende der Rampe angekommen war. Sobald sie eingestiegen war, schloss sich die Luke, und der Antrieb erwachte summend zum Leben.

Im Kopf hörte er die Stimme der künstlichen Intelligenz des Schiffs, Shakti. Kommst du hier allein zurecht, Data?

Ja, Shakti, alles in Ordnung. Bitte bring meine Mutter nach Hause und achte darauf, dass euch niemand folgt. Ihre Sicherheit liegt mir sehr am Herzen.

Ich verstehe, sagte die künstliche Intelligenz. Sei du ebenfalls vorsichtig. Ich habe Noonien versprochen, auf dich aufzupassen.

Wir sehen uns schon bald wieder, versicherte Data ihr. Bis dahin kümmere dich um meine Mutter.

Verstanden. Die Archeus schwebte nach oben, und dank ihres Antischwerkraftantriebs wirbelte sie kaum ein Sandkorn auf. Das spiegelnde silberfarbene Raumschiff drehte die Spitze nach oben und sauste davon, dann verschwand es in dem farblosen Wüstenhimmel.

Data zog den Quantensender aus der Tasche und drückte den Daumen auf die Aktivierungsschaltfläche des Geräts. Mit diesem einen Daumendruck löste er den Mechanismus aus und teilte der Gemeinschaft Künstlicher Intelligenzen mit, dass er bereit, willens und in der Lage war, sich mit ihnen zu treffen.

Dann ging er zu einem großen Felsbrocken, setzte sich und richtete sich auf eine lange Wartezeit ein.

KAPITEL 3

Nach jedem Maßstab, der Jean-Luc Picard einfiel, war das Leben schön.

Seit über zwei Monaten war die Enterprise auf einer langfristig angelegten Aufklärungs- und Erkundungsmission in einem bisher unerforschten Teil des Alpha-Quadranten, und sowohl das Schiff als auch die Besatzung leisteten ausgezeichnete Arbeit. Seit sie den Föderationsraum verlassen hatten, brachte jeder Tag neue Einsichten in verschiedene Sternenphänomene, die sie bisher nur über die Langstreckensensoren verzeichnet, aber noch nie im Detail untersucht hatten. Das Team der Sternenkartografen hatte in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Xenokultur ein halbes Dutzend bewohnter Welten ausgemacht, deren Bevölkerung fortschrittlich genug erschien, um zu Reisen und Kommunikation in Überlichtgeschwindigkeit fähig zu sein. Mit einem wachsenden Gefühl des Stolzes und der Vorfreude hatte Picard die Berichte gelesen, bevor er sie dann an das Sternenflottenkommando weitergeleitet hatte, zusammen mit der Bitte um Erlaubnis, offizielle Erstkontaktmissionen einleiten zu dürfen.

Auch die Nachrichten aus der Heimat waren ermutigend gewesen. Nach mehreren erhitzten Gesprächen mit dem Typhon-Pakt schien die Spannung endlich allmählich nachzulassen. Der Pakt war an den internen Konflikten zerbrochen, nachdem der Versuch der Breen, sich als dominante Akteure auf der interstellaren Bühne aufzustellen, kläglich gescheitert war. Da die Breen-Konföderation sich so blamiert hatte, zeichneten sich nun neue Anführer und Entscheidungsträger der Koalition ab: das Romulanische Sternenimperium unter der Führung von Praetor Gell Kamemors diplomatisch versierter, reformistischer Regierung und die Gorn-Hegemonie, die ihre alte Freundschaft zur Föderation nicht vergessen hatte. Picard war sicher, dass diese Entwicklung dabei helfen würde, den Frieden in den beiden Quadranten zu wahren.

Zusätzlich wurde seine ohnehin schon gute Laune noch verbessert durch die letzten Hochrechnungen der Wiederaufbauarbeiten im Beta-Quadranten. Dreieinhalb Jahre war die allerletzte Borg-Invasion nun her, die unzählige Welten im Umkreis des Azur-Nebels in Schutt und Asche gelegt und über vierzig Prozent der Kampfschiffe der Sternenflotte zerstört hatte. Die wenigen Dutzend Welten, die zwar angegriffen, aber nicht zerstört worden waren, hatten katastrophalen Schaden und hohe Verluste erlitten. Einige sogenannte Experten hatten die Meinung geäußert, dass eine völlige Wiederherstellung nicht möglich sein könnte, weder für die Föderation noch für die Sternenflotte. Und nicht wenige politische Opportunisten hatten versucht, die Krise, die auf die blutige Invasion gefolgt war, zu nutzen und diese pessimistische Zukunftsprognose Wirklichkeit werden zu lassen. Aber die Bürger der Föderation hatten die ewigen Schwarzseher überrascht – in einigen Fällen, indem sie sie abgewählt und durch Anführer ersetzt hatten, die willens waren, dem Allgemeinwohl zuliebe Kompromisse einzugehen und Opfer zu bringen. Deshalb war der Wiederaufbau der Sternenflotte und ganzer Welten jetzt auf einem guten Weg. Natürlich fehlte noch viel für eine vollständige Wiederherstellung, aber die Bürger der Föderation hatten gesprochen: Sie waren fest entschlossen, es Wirklichkeit werden zu lassen. An Tagen wie heute war Picard stolz, einer von ihnen zu sein.

Aber nichts erfüllte ihn mit so viel Stolz und Freude wie die Rolle, die er heute Abend einnahm. Er saß auf dem Sofa im Wohnzimmer des Quartiers, das er mit Beverly zusammen bewohnte, und sein kleiner Sohn René kuschelte sich an ihn. Der schwache Schimmer der im Warpfeld verzerrten Sterne spielte auf dem flachsblonden Haar des Jungen, während er zu Picard aufsah, der ihm seine aktuelle Lieblingsgutenachtgeschichte vorlas, Der Bär und die Kaninchen.

Er hielt René die Seite hin, damit der Junge der Geschichte folgen konnte, und erhob seine Baritonstimme von einem beruhigenden Singsang zu dramatischen Höhen: »Und der grummelige alte Bär wetterte die Füchse an: ›Geht zurück zu euren Hügeln! Geht zurück zu euren Tälern! Wenn ihr euch noch einmal auf meinem Hang sehen lasst, reiße ich euch die Schwänze ab!‹« Dieser spannendste Teil der Geschichte ließ René wie immer vor Aufregung kichern. Picard war nicht sicher, ob das dem Autor der Geschichte geschuldet war oder seiner eigenen Darbietung.

»Der alte Bär brummte und hielt die Pfoten hoch, und an jeder seiner Pranken hatte er fünf scharfe Krallen. Mehr mussten die Füchse nicht sehen! Sie rannten um ihr Leben und flüchteten auf einen sehr hohen Baum.« Mit einem Finger strich Picard über den Bildschirm des Padds und blätterte zur letzten Seite der Geschichte, einem einzelnen Bild eines dicken braunen Bären, der ein lustiges Paar Häschenohren trug und von einer Kolonie schlappohriger Kaninchen umringt war. »Voller Freude hoppelten die Kaninchen durcheinander. ›Heißt das, dass du uns verzeihst, alter Bär? Heißt das, wir dürfen hierbleiben?‹ Der alte Bär setzte seine Kaninchenohren auf, die er für eine ganz schön schlaue Verkleidung hielt, und sagte: ›Das hier ist euer Zuhause, meine Freunde – jetzt und für immer.‹« Picard tippte seinem Sohn auf die Stupsnase. »Ende.«

Immer noch voller überbordender Energie bedachte René ihn mit einem Lächeln in Supernova-Stärke. »Noch mal! Noch mal!«

»Heute nicht.« Picard achtete sorgfältig darauf, seine Zurückweisung mit einem Lächeln zu begleiten. »Schlafenszeit.« René reagierte mit einem derart übertriebenen Schmollmund, dass Picard sich das Lachen verkneifen musste. »Das reicht jetzt.« Er legte das Padd auf den Couchtisch, stand auf, hob den Jungen hoch und trug ihn ins Kinderzimmer. »Du hast gebadet und deine Geschichte gehört. Jetzt geht’s ab ins Bett.«

»Gar nicht müde«, murmelte der Kleine mit zitternden Lippen.

Vielleicht glaubte René ja wirklich, was er da sagte, aber aus Erfahrung nahm Picard an, dass das Kind eingeschlummert war, sobald sein Kopf das Kissen berührte. Er legte seinen Sohn ins Bett, küsste ihn auf die Stirn und streichelte ihm übers goldene Haar. »Träum süß.«

Kaum hatte er die Schwelle zum Flur übertreten, als René auch schon anfing zu knatschen – ein dreister Versuch, Aufmerksamkeit und Mitleid zu erregen. Fest entschlossen, den Jungen nicht zu verwöhnen, tippte Picard auf das Bedienfeld neben der Tür, und sie glitt zu. Sofort verblasste das Geschrei des Jungen zu einem leisen Hintergrundgeräusch vor der Stille in Beverlys und seinem Quartier.

Beverly Crusher saß am Esstisch in der Nische neben dem Replikator und blickte ihm entgegen, als er zu ihr schlurfte. »Du siehst aus, als könntest du ein paar Stunden Schlaf vertragen.«

»Erst nachdem ich unter der Dusche war.« Er setzte sich an seinen üblichen Platz, wo schon ein Teller mit replizierter Gemüselasagne, eine Schüssel Spinatsalat und ein großes Glas gekühlten Wassers auf ihn warteten. Er stocherte versuchshalber mit der Gabel auf die Lasagne ein und bemerkte, dass es ihr auffallend an Käse mangelte. »Neues Rezept?«

»Ich trage nur dazu bei, dass du gesund bleibst.« Mit Genuss begann sie, ihren eigenen Teller zu leeren.

Er schnitt eine Portion Lasagne ab und wollte gerade die Gabel zum Mund führen, als ein Pfeifton aus dem Lautsprecher seinen Familienabend unterbrach. »Brücke an Captain Picard«, sagte Lieutenant Aneta Šmrhová, die Sicherheitschefin des Schiffs.

Er ließ die Gabel sinken. »Picard hier.«

»Entschuldigen Sie die Störung, Captain«, Šmrhovás slawischer Akzent war heute besonders ausgeprägt, »aber Sie haben eine private Nachricht von Admiral Nechayev aus dem Sternenflottenkommando erhalten. Die Nachricht ist als

›dringend und vertraulich‹ gekennzeichnet, Sir.«

»Verstanden. Ich werde sie in meinem Quartier entgegennehmen, Lieutenant. Picard Ende.« Er schob den Stuhl vom Tisch zurück, und Beverly tat es ihm gleich. Während er rasch zu seinem Schreibtisch ging, hörte er das leise Klicken, als der Kanal geschlossen wurde. Seine Ehefrau kam ihm nach und stand auf der anderen Seite des Schreibtischs, als er sich setzte, das Computerterminal hochfuhr und seinen Zugangscode eingab, um die Nachricht von Admiral Nechayev aufzurufen. Es war eine einfache Textnachricht, und der Inhalt war kurz, unmissverständlich und unerwartet. Er las sie zweimal, um sicherzugehen, dass er nichts falsch verstanden hatte. Obwohl er sich in Situationen wie dieser um Diskretion bemühte, bemerkte er, dass seine Miene sich verfinsterte.

Beverly schien über seinem Schweigen immer aufgeregter zu werden. »Was ist los, Jean-Luc?«

»Nur eine Erinnerung daran, dass man sich nie zu sicher fühlen sollte.« Er schloss die Nachricht und schaltete das Terminal ab. »Ich fürchte, das Essen wird warten müssen.« Seufzend stand er auf und ging zur Tür. »Bitte entschuldige mich, ich muss mit Worf sprechen.«

Eine doppelte Verabredung im Arboretum der Enterprise war T’Ryssa Chen wie eine großartige Idee vorgekommen, als sie es Geordi La Forge und seiner Freundin Tamala Harstad vorgeschlagen hatte. Sie hatte es geradezu für einen Geniestreich gehalten, die beiden dabeizuhaben, um etwaige Gesprächspausen zu füllen, die zwischen Taurik und ihr entstehen könnten. Jetzt allerdings, da die vier nach dem Essen gerade auf den Nachtisch warteten, erschien es ihr wie ein großer, großer Fehler.

»Da sitz ich also auf diesem Felsen, denk an nichts Böses und spiele die Mandoline«, sagte La Forge breit grinsend. Er erzählte gerade von einer der vielen Begegnungen der Mannschaft der Enterprise-D mit der allmächtigen Wesenheit namens Q. »Auf einmal kommt Worf auf mich zu, reißt mir das Ding aus der Hand und hämmert es gegen den Baumstamm. Einmal, zweimal, und er hat Kleinholz daraus gemacht! Dann drückt er mir den Hals des Instruments, von dem noch die Saiten baumeln, wieder in die Hand und murmelt: ›Entschuldigung.‹«

Seine genaue Imitation von Worfs brummelndem Bariton entlockte Harstad und Chen perlendes Gelächter. Als es nachließ, wölbte Taurik eine Augenbraue und stellte mit trockener Präzision fest: »Das erscheint mir eine ausgesprochen unhöfliche Überreaktion.«

Es kostete Chen all ihre mühsam errungene Selbstdisziplin, ihrer Verabredung nicht ins Gesicht zu rufen: Das ist ja der Witz an der Geschichte, Blödmann. Stattdessen sagte sie einfach nichts.

La Forge reagierte eleganter auf den Kommentar. »Worf war schon immer ein harter Kritiker.« Er nahm die fast leere Flasche des betazoidischen Albariño auf und sah zu Harstad, die ihm mit einem Nicken bedeutete, ihr noch einmal nachzuschenken. Er goss den Rest des Weißweins in ihr tulpenförmiges Glas. »Jedenfalls konnte ich ihm nicht sonderlich böse sein. Ein Teil des Spaßes, an dieser Mandoline zu zupfen, lag ja darin, dass ich wusste, wie wahnsinnig es ihn machte. Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass er das Instrument in Stücke geschlagen hat und nicht mich.«

Der subtile, selbstironische Humor, mit dem der Chefingenieur die Situation beurteilte, brachte ihm einen bewundernden Blick von Harstad ein. Die schlanke, dunkelhaarige Assistenzärztin ging nun schon seit einigen Monaten mit La Forge aus, und mit jedem Tag schienen die beiden einander näherzukommen.

Die Leichtigkeit, mit der die beiden ihre Beziehung führten, weckte einen Funken tief sitzenden Neides in Chen, und sie drängte ihn zurück, da sie wusste, dass er nur ihre Gefühlte vergiften würde. Sie lenkte sich ab, indem sie ihre Sinne für das angenehme Ambiente des Arboretums öffnete: die leuchtenden Farben der Blüten auf den verschiedenen Baumarten, die den freien Platz in der Mitte umstanden; das beruhigende Geplätscher des künstlichen Baches, der im Heck von Wand zu Wand floss; der süße Duft der Blumen und reifenden Früchte, der sich mit dem herben Geruch der Erde und der vielen darin lebenden Organismen mischte; der sanfte, auf dem Klavier gespielte Blues von einem der meistgeschätzten Jazz-Meister der Erde, Junior Mance.

Taurik berührte sie am Arm und riss sie aus dem herrlichen Augenblick. »War Ihr Essen zufriedenstellend?«

Chen sah auf ihren Teller hinab, unterdrückte eine Grimasse und zwang sich zu einem höflichen Lächeln. »Es war gut«, log sie. Obwohl sie mit der gleichen Aversion gegenüber auf natürlichem Wege hergestelltem Fleisch und tierischen Produkten aufgewachsen war wie die meisten Föderationsbürger, hatte sie kein Problem damit, die replizierte Version zu verzehren. Hätte sie sich dazu äußern müssen, hätte sie freimütig zugegeben, alle Arten von rotem Fleisch, Geflügel, Eier, Käse und eine ganze Reihe anderer Köstlichkeiten sehr gerne zu essen. In dem Versuch, Taurik mit seiner vulkanischen Empfindsamkeit nicht vor den Kopf zu stoßen, hatte sie allerdings heute Abend ein rein veganes Menü zusammengestellt: einen grünen Salat, gefolgt von Ratatouille, und zu trinken ein Altairwasser. Alles war von der Serviceabteilung des Schiffs perfekt zubereitet und an ihren Tisch gebracht worden – einer der Vorteile, wenn man mit La Forge speiste, der auch der zweite Offizier des Schiffs war – und Chen war sicher, dass auch der Obstsalat, den sie zum Nachtisch geordert hatte, sorgfältig zubereitet sein würde.

Aber was sie eigentlich hätte bestellen wollen, war zur Vorspeise ein Thunfischcarpaccio gewesen, als Hauptgericht das Filet mignon mit Krebsfleisch und Sauce Hollandaise, und zum Nachtisch in Speck gewickelte, mit Ziegenkäse gefüllte gegrillte Feigen. Und während sie sich das prickelnde, gekühlte Altairwasser auf der Zunge zergehen ließ, wünschte sie sich insgeheim, dass es ein seidenweicher bolianischer Syrah wäre oder ein vollmundiger Brunello di Montalcino von der Erde.

Aber natürlich trinken Vulkanier ja keinen Alkohol, dachte sie innerlich kochend. Das könnte ja ihre Logik beeinträchtigen.

Eine junge Thallonianerin, deren tiefrote Haut und langer, schwarzer Zopf sich von ihrer makellos weißen Kellnerinnenuniform abhoben, erschien hinter Chens Schulter und räumte das Geschirr auf den Antigrav-Schlitten, den sie geschickt um den Tisch herummanövrierte. Anschließend faltete sie die Hände hinter dem Rücken und fragte an La Forge gewandt: »Wünschen Sie und Ihre Gäste jetzt das Dessert, Sir?«

»Klingt gut.« Achselzuckend warf La Forge einen Blick in die Runde und lächelte. »Jemand was dagegen?«

Alle bedeuteten ihm ihre Zustimmung, und die Kellnerin nickte. »Wünschen Sie Kaffee oder Tee dazu?«

La Forge deutete auf Harstad und sich. »Café Latte für uns beide.«

Taurik erwiderte den Blick der Kellnerin. »Für mich nichts.«

Bloß nicht aus Versehen Koffein zu dir nehmen. Chen lächelte die junge Frau an. »Grünen Tee, bitte.«

Als die Kellnerin gegangen war, wobei sie den Antigrav-Schlitten hinter sich herzog, ergriff La Forge beiläufig Harstads Hand. »Was war der beste Kaffee, den du je getrunken hast?«

Harstad runzelte die Stirn und tat so, als müsste sie sich angestrengt konzentrieren. »Oh, schwere Frage. Ich kann dir ohne Probleme den schlechtesten Kaffee nennen, den ich je hatte: ein Becher angebrannten Schmutzwassers, den man im Aufenthaltsraum für Studenten im medizinischen Sternenflottenzentrum von Christchurch als Kaffee ausgab. Aber der beste …« Nach einigen Sekunden erhellte sich ihr Gesicht bei der Erinnerung. »Ein Café au Lait mit Schmalzküchlein, den ich eines späten Sonntagmorgens im Café du Monde in New Orleans bekommen habe. Wenn ich einen Favoriten auswählen müsste, dann den. Und nicht nur, weil ich am Abend zuvor auf der Bourbon Street ausgegangen war. Das war ein wirklich außergewöhnlicher Kaffee.«

»Klingt danach«, sagte La Forge und küsste sie.

Bei diesem spontanen Zeichen der Zuneigung fühlte sich Chen ein wenig unwohl. In der Hoffnung, über die Peinlichkeit, die wohl nur sie empfand, hinwegzugehen, griff sie nach Tauriks Hand.

Er zuckte nicht zusammen oder entzog sich ihr, aber er sah auf ihre Hand hinab, als sei sie ein riesiges Insekt. Seine Reaktion war derart distanziert, dass sie abweisend wirkte. Leise fragte er: »Stimmt etwas nicht?«

Sie seufzte und zog ihre Hand zurück. »So langsam befürchte ich das.«

Es fühlte sich gut an, auf etwas einzuschlagen.

Worf stand auf einem kleinen Hügel aus staubiger, festgestampfter Erde, das bat’leth in der Hand, in seiner weißen Trainingskleidung, die zerrissen, dreckig und von seinem eigenen, magentafarbenen Blut befleckt war. Die getroffenen und teilweise in Stücke gehackten Leichen seiner holografischen Gegner lagen zu seinen bloßen Füßen. Sie verkörperten viele verschiedene Spezies: Nausicaaner, Jem’Hadar, Hirogen, Balduk, Chalnoth, Gorn und noch ein halbes Dutzend andere, die Worf entweder gar nicht oder zumindest nicht dem Namen nach kannte. Einige hatten ihre Spuren auf ihm hinterlassen, da er die Sicherheitsmaßnahmen des Holodecks gelockert hatte.

Ein Paar capellanischer Krieger stürmte auf ihn zu. Sie ähnelten ungewöhnlich großen und muskulösen Menschen und zeichneten sich durch ihre einzigartige Kleidung aus – dunkle Hosen und bunte Tuniken, die mit Schärpen in Kontrastfarben umwickelt waren, alles aus einer metallisch wirkenden Seide gewebt – sowie durch ihre Haarknoten und ihre ungewöhnlichen Waffen, dreischneidige Scheiben, die Kligat hießen. Ähnlich wie der terranische Bumerang oder das klingonische chegh’leth war der Kligat tödlich, wenn er auf mittlere Entfernung geworfen wurde, aber anders als seine Doppelgänger von den anderen Welten kehrte er nicht zu dem Werfenden zurück, wenn er sein Ziel verfehlt hatte. Als Worf herumwirbelte, um seinen Angreifern möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, ließen sie ihre Waffen fliegen. Als kreiselnde Scheiben glänzenden Stahls sausten sie auf ihn zu.

Den ersten Kligat wehrte er mit einem Schwung seines bat’leth ab. Dann bog er den Rücken durch und schaffte es beinahe, der zweiten Scheibe auszuweichen. Sie streifte sein Kinn, und Blut floss. Der Schnitt brannte und befeuerte noch seine berserkerartige Wut, als er zum Gegenangriff überging und sich den beiden Capellanern in den Weg warf. Mit dem ersten Schwung wehrte er einen Schlag nach seinem Kopf ab, mit dem zweiten einen Hieb nach seinen Rippen. Dann drehte er sich und ließ sein Schwert der Ehre kreisen – eine Finte zunächst, dann führte er einen weiten Hieb aus, mit dem er einem der Capellaner das Bein oberhalb des Knies abtrennte. Als dieser fiel, drehte sich sein Kamerad um und griff erneut an. Worf beförderte den gestürzten Krieger mit einem Fußtritt nach unten und wandte sich dann dem Angreifer zu.

Kaum sah er, wie das simulierte rote Sonnenlicht sich auf der Klinge des Kurzschwerts spiegelte, da fühlte er, wie ein ungezielter Hieb des Capellaners seine Stirnfurchen streifte. In einer entschlossenen Bewegung riss er sein bat’leth nach oben und spaltete den muskulösen Humanoiden beinahe entzwei. Simuliertes Blut und Eingeweide quollen über seine Klinge und Hand, bevor sie den durstigen Boden rot färbten.

Sein Atem ging schnell und stoßweise, und die Brust hob und senkte sich vor Anstrengung. Der Nervenkitzel des direkten Kampfes ließ sein Herz rasen. Körperliche Gewalt war das stärkste Beruhigungsmittel, das Worf kannte; kein Genussmittel oder chemisch veränderter Zustand kam auch nur nahe heran. Dann wurde er aus seiner Trance gerissen von der ausdruckslosen, weiblichen Stimme des Schiffscomputers.

»Alle Gegner beseitigt. Wünschen Sie die Simulation zu wiederholen?«

Einen Moment lang dachte er darüber nach. Er hatte die simulierten Kämpfer bereits so eingestellt, dass sie die bestmöglichen Taktiken anwandten, aber es gab immer Möglichkeiten, die Herausforderung zu steigern. Er könnte die Zahl gleichzeitiger Angreifer erhöhen, könnte ihre Reflexe auf eine höhere Geschwindigkeit einstellen als das für ihre Spezies jeweils geltende Maximum, er könnte das Programm in völliger Dunkelheit abspielen und sich nur auf seine anderen Sinne und sein Training im Blindkampf verlassen. Oder alles gleichzeitig.

»Computer«, begann er und verstummte, als ein leises Summen ankündigte, dass das Magnetschloss der Tür entriegelt wurde und die beiden Sicherheitstürschotten unter dem Zischen der Servomotoren auseinanderglitten. Steriles Licht fiel vom Gang auf der anderen Seite herein und durchschnitt die Dämmerung des künstlichen Schlachtfelds. Eine nur in Umrissen zu erkennende Gestalt trat ein. Als sich die Luke hinter ihr wieder geschlossen hatte und im holografischen Horizont verschwunden war, erkannte Worf seinen Besucher als Captain Picard.

Er kam über den Hügel auf Worf zu. »Bitte verzeihen Sie die Störung, Nummer Eins. Ich habe es über Interkom versucht, aber Sie haben nicht geantwortet.«

»Ich habe es ausgeschaltet.« Der Erste Offizier schulterte sein bat’leth und ging seinem Captain den Hügel hinab entgegen. »Ich wünschte nicht gestört zu werden.«

Picard betrachtete die ineinander verschlungenen holografischen Leichen. »Verstehe.« Mit vorsichtigen Schritten ging er um Worf herum durch das Blutbad und verzog das Gesicht. »Ich nehme an, hier haben Sie in den letzten Monaten Ihre Freizeit verbracht?«

Worf hielt seine Antwort so allgemein wie die Frage des Captains. »Ohne Training gerät ein Krieger aus der Übung.«

Picard kniff im roten Licht der vorgeblichen Abendsonne die Augen zusammen. »Ich mache mir nicht um Ihre Kampffertigkeit Sorgen.« Stirnrunzelnd sah er Worf an. »Und ich glaube, das wissen Sie.«

Seit dem Tod von Jasminder Choudhury war über ein halbes Jahr verstrichen. Die verstorbene Sicherheitschefin war in den letzten drei Jahren seit der letzten Borg-Invasion immer mal wieder mit Worf zusammen und dann wieder auseinander gewesen. Sie hatten beim gemeinsamen Trauern um Verwandte zusammengefunden, und vor Kurzem hatte ihre Beziehung eine neue Stabilität und so etwas wie Glück erfahren. Dann hatte während einer Außenmission ein einziger trotziger Befehl Worfs den Anführer eines Breen-Kommandos zu einer kaltblütigen Vergeltungsmaßnahme veranlasst. Ohne Vorwarnung und ohne zu zögern hatte er Choudhury ermordet. Weniger als eine Stunde später hatte Worf den Breen-Kommandanten getötet, aber es hatte ihm weder Trost noch Befriedigung verschafft. Die Tat hatte sich nichtssagend angefühlt. Seitdem spürte er eine innerliche Leere. Er funktionierte nur noch.

»Ich habe meine Termine bei Counselor Hegol eingehalten, wie befohlen.«

»Ja, ich weiß. Und ich weiß ebenso, dass Sie so klug sind, ihm genau das zu sagen, was er Ihrer Meinung nach hören will. Aber haben Sie diese Sitzungen dazu genutzt, ihm zu sagen, was Sie wirklich loswerden wollen?«