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Die Bibelstellen werden nach der überarbeiteten Fassung der „Elberfelder Übersetzung“ (Edition CSV Hückeswagen) angeführt.

2. Auflage 2014

© by Christliche Schriftenverbreitung, Hückeswagen, 1991
Umschlag: ideegrafik, Mittenaar
Satz und Layout: Christliche Schriftenverbreitung
E-Book: Verbreitung christlichen Glaubens e.V., www.vvcg.de

ISBN E-Book: 978-3-89287-559-8
ISBN Printversion: 978-3-89287-398-3

www.csv-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ein herrliches, ein gewaltiges Ereignis steht den Kindern Gottes bevor. Es wird ihr bisheriges Leben augenblicklich und total verändern. An einem Tag, der wie jeder andere begann, wird plötzlich und von den Menschen unerwartet der Herr Jesus kommen. Mit göttlicher Macht und in der Kraft Seiner Auferstehung wird Er die Seinen aus dieser Welt wegnehmen und sie zu Sich in die Herrlichkeit bringen, in das „Haus Seines Vaters“, das völlig außerhalb dieser Welt liegt. Und sind sie erst einmal an diesem wunderbaren Ort angekommen, werden sie für immer dort bleiben. Unbeschreibliche Glückseligkeit wird in Ewigkeit ihr Teil sein.

Die Menschen dieser Welt werden von den außergewöhnlichen Vorgängen selbst nichts wahrnehmen. Nur eines wird auch für sie unübersehbar, wenn auch unerklärbar, sein: Ungezählte Menschen, die mit ihnen hier auf der Erde gelebt haben, sind auf einmal nicht mehr auffindbar. Nicht, dass sie gestorben wären; nein, aber sie werden hier nicht mehr gefunden. Die Heilige Schrift indes gibt uns schon heute Aufschluss darüber, was dann mit ihnen geschehen sein wird: Diese Menschen haben das erlebt, wovon sie oft gesprochen hatten und worauf sie mit Ausharren gewartet haben – die Entrückung.

Aber es gibt noch ein anderes umwälzendes Geschehen, an dem die Gläubigen – allerdings zu einem späteren Zeitpunkt und von einem anderen Standpunkt aus – teilhaben werden: an der Erscheinung Christi in Macht und Herrlichkeit. Wenn Er aus dem Himmel herabkommen wird, um Seine Feinde auf der Erde zu vertilgen, dann werden sie mit Ihm aus dem Himmel hervortreten und Ihn auf Seinem Siegeszug begleiten. Und hat Christus im göttlichen Gericht Seine Feinde zertreten, wird Er hier auf der Erde Sein tausendjähriges Friedensreich aufrichten, zur Verherrlichung Gottes und zum Segen für die Menschen.

Nun ist es sehr wichtig, diese beiden Seiten des Kommens Christi voneinander zu unterscheiden (ohne sie allerdings voneinander zu trennen). Gott stellt uns in Seinem Wort wiederholt eine besondere Wahrheit oder Lehre vor, der eine andere Wahrheit gleichwertig gegenübersteht. Oder Er gibt uns verschiedene Seiten ein und derselben Wahrheit. Sie widersprechen sich natürlich nicht, aber sie ergänzen einander. Und um die ganze Wahrheit in dem bestimmten Punkt zu kennen und zu genießen, muss man beide Seiten beachten. Andernfalls besteht tatsächlich die Gefahr, dass man nicht nur diesen oder jenen Teil der Wahrheit Gottes, sondern den Genuss sowohl der einen als auch der anderen Seite verliert.

Ich mache das einmal an einem Beispiel deutlich. Wenn wir nicht mehr die Unterschiede zwischen dem Ratschluss Gottes mit Israel und dem Ratschluss Gottes mit der Versammlung, der Kirche, erkennen, kommen uns das Verständnis und der Genuss sowohl der einen wie auch der anderen Seite der Wahrheit abhanden. Denn wir werden dann nicht mehr klar verstehen, welche gesegneten Absichten Gott mit Seinem irdischen Volk vor alters, mit Israel, verfolgt. Noch weniger werden wir die ungleich höhere Zielsetzung Gottes für Sein himmlisches Volk, Seine Versammlung, erfassen.

Ist das tatsächlich so unheilvoll? Ja. Als Erstes verlieren wir nämlich den Genuss der uns geschenkten christlichen Stellung und Hoffnung. Unsere Segnungen in den himmlischen Örtern (Eph 1,3) werden auf dem (niedrigeren, weil irdischen) Niveau der Stellung Israels angesiedelt. Und wenn die christliche Stellung, wenn die Versammlung nichts anderes ist als eine „geistliche Fortsetzung Israels“, dann reiht uns das zwangsläufig in die irdische Szene, in die Welt ein. Das ist in der Tat unheilvoll! Aus Himmelsbürgern sind Erdenbürger geworden!

Doch wir verlieren noch etwas. Wir erkennen nicht mehr, dass Gott Seine schon im Alten Testament ausgesprochenen Verheißungen Israel gegenüber wahr machen wird. Deswegen hat Israel eine Zukunft.[1] Und wenn dieses Volk auch noch durch unvergleichliche Drangsale wird gehen müssen, am Ende wird Sich Christus inmitten eines Überrestes aus diesem Volk verherrlichen. Gott wird Seinen Sohn, den Erstgeborenen, noch einmal in den Erdkreis einführen. Dann werden Ihn nicht nur alle Engel Gottes anbeten, sondern Er wird auch hier auf der Erde ein Reich haben. Ein Zepter der Aufrichtigkeit wird das Zepter Seines Reiches sein (Heb 1,6–8). Freuen nicht auch wir uns darüber, dass unserem Herrn und Erlöser einmal hier, wo Er verworfen und verachtet wurde, jede Ihm zustehende Ehre zuteilwerden wird? Kann es uns kalt lassen, wenn dem Herrn Jesus die Herrschaft nicht nur über Israel, sondern über die ganze Erde anvertraut wird? Und überdies, wir werden Ihn bei allem, was Er tut, begleiten!

Wie wichtig ist es daher, unsere christliche und damit himmlische Stellung unterscheiden zu lernen von der irdischen Stellung Israels im kommenden Reich! Unsere Hoffnung ist auf den Himmel gerichtet, dort ist „unser Bürgertum“ (Phil 3,20).

Damit sind wir bereits wieder auf unseren Gegenstand zurückgekommen, der uns im Folgenden beschäftigen soll. Auch hier können wir von zwei Teilen oder zwei Seiten der göttlichen Wahrheit sprechen. Was uns das Wort Gottes über die Ankunft Christi sagt, können wir entweder der einen oder der anderen Seite zuordnen. Die beiden Seiten in Bezug auf das Wiederkommen des Herrn sind

Auch hier hat die Verquickung beider Wahrheiten viel Unsegen gebracht und dazu geführt, dass die tägliche Erwartung des Herrn Jesus zur Entrückung der Seinen in der Christenheit weitestgehend verloren ging. Man weiß wohl etwas über den so genannten „jüngsten Tag“, aber eine Entrückung von Gläubigen – gibt es das? Dabei ist gerade dieses Ereignis nach den Gedanken Gottes die eigentliche christliche Hoffnung. Jeden Augenblick kann sie in Erfüllung gehen.

Deswegen möchte ich mit dieser Arbeit in erster Linie versuchen, den gläubigen Leser anhand der Aussagen der Heiligen Schrift zu dieser überaus gesegneten Wahrheit und Erwartung hinzuführen. Wenn auch die andere Seite des Kommens des Herrn, Seine Erscheinung in Macht und Herrlichkeit, bei dieser Arbeit nicht im Vordergrund steht, so möchte ich doch auch darauf eingehen und die Unterschiede zwischen den beiden Aspekten des Kommens des Herrn aufzeigen. Nicht fehlen soll schließlich ein Blick in das prophetische Wort, um der Frage nachzugehen: In welcher Beziehung steht die Entrückung zu den prophetischen Ereignissen? Das wird die oft gestellte Frage klären helfen, ob die Kinder Gottes der Gnadenzeit durch die Drangsalszeit zu gehen haben. Bei alledem möchte ich versuchen, zu differenzieren, ohne zu trennen: das auseinanderzuhalten, was unterschieden werden muss, und trotzdem die große Linie im Auge zu behalten, die alles miteinander verbindet.

Schenke es uns der Herr, dass wir so die bestehenden Unterschiede der göttlichen Wahrheit wieder klarer zu erkennen vermögen! Es wäre auch die beste Voraussetzung dafür, mit größerer Hingabe und unmittelbarer Den aus den Himmeln zu erwarten, der gesagt hat: „Ich komme bald; halte fest, was du hast, damit niemand deine Krone nehme!“ (Off 3,11).


Fußnoten

[1] Vgl. Da bin Ich in ihrer Mitte, S. 21–66

1. Die Entrückung der Heiligen

„Ich komme wieder“

Wir kommen jetzt also auf diesen Gegenstand zu sprechen, den wir uns wunderbarer und herrlicher kaum vorstellen können: die Entrückung der Gläubigen.

Der Herr Jesus nimmt in der heutigen Zeit den Platz höchster Herrlichkeit ein. Aus Liebe zu uns hatte Er Sich einst bis zum Tod am Kreuz erniedrigt. Aber jetzt ist Er als Mensch mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt und sitzt zur Rechten Gottes, sitzt auf Seines Vaters Thron (Heb 1,13; 2,9; Off 3,21). Diesen Platz jedoch wird Er – wenigstens vorübergehend – verlassen. Warum? Er wird den Seinen, die in der Welt sind, entgegenkommen, um sie aus dieser Welt wegzunehmen und sie in Seine unmittelbare Gegenwart in der Herrlichkeit Gottes zu bringen. Das Zusammentreffen mit Ihm wird in der Luft stattfinden, und von dort aus wird Er sie in das Haus Seines Vaters führen. In das Haus Seines Vaters? Ja, gerade dorthin, wo der Vater und der Sohn und der Heilige Geist schon seit Ewigkeit wohnen.

Das Verlangen Christi

Schon vor Seinem Weggang aus dieser Welt hatte Er von diesem wunderbaren Ereignis gesprochen und gesagt:

„In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre,hätte ich es euch gesagt; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh 14,2–3).

Es ist Seine klar ausgedrückte Absicht, ja, Sein Verlangen, die Seinen, die Er mit Seinem Blut so teuer erlöst hat, dort zu haben, wo Er ist. Wie überaus beglückend sind diese Worte „zu mir nehmen“ und „wo ich bin“, Er sagt nicht: „in den Himmel nehmen“ oder: „damit ihr im Himmel seid“. Gewiss, dieses „Wo ich bin“ ist schließlich der Himmel; aber Er zeigt uns, dass die Seinen auf der Erde Seinen kostbaren Schatz bilden und dass Er Sich nach ihnen sehnt. Deswegen möchte Er sie ganz nahe bei Sich haben und das für alle Ewigkeit! Auch in Seinem Gebet an Seinen Vater in Johannes 17 bringt Er diesen Wunsch Seines Herzens zum Ausdruck: „Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen“ (V. 24). Welch ein unaussprechliches Glück, zu denen gehören zu dürfen, die der Vater Ihm gegeben hat! In Seinem Ratschluss gab Er sie Ihm, damit Er ihnen ewiges Leben gebe (V. 2). Und der Besitz des ewigen Lebens wiederum befähigt sie, Seine persönliche Herrlichkeit zu schauen. Wunderbare Gnade, die uns, den Gläubigen der Gnadenzeit, geschenkt sein wird! Lässt uns das nicht in Jubel ausbrechen?

Passend gemacht

Ohne Frage ist das Sühnungsblut Christi die Grundlage von allem Handeln Gottes in Gnade, die Grundlage für jede Segnung, die Er sündigen Menschen verleihen kann. Was immer Gott auch uns an Segnungen geschenkt hat oder schenken wird, alles ruht auf dem vollbrachten Erlösungswerk Christi, Seines Sohnes. Das wollen wir tief im Herzen behalten bei allem, was noch an Herrlichem vor uns kommen wird. Wir waren absolut verloren und hatten nichts anderes als das ewige Gericht im Feuersee verdient. Und wäre nicht Gott in Seiner Gnade ins Mittel getreten, wäre nicht Sein Sohn für uns in den Tod gegangen, so wären wir auch dahin gekommen. Ohne den Tod und die Auferstehung Jesu Christi besäßen wir nichts, gar nichts. Ja, der Apostel Paulus sagt uns, dass, wäre Christus (wohl gestorben, aber) nicht auferstanden, wir noch in unseren Sünden und die elendsten von allen Menschen wären (1. Kor 15,3–19).

Doch das Blut Jesu Christi reinigt uns von aller Sünde (1. Joh 1,7). In der Kraft dieses Blutes hat uns der Herr Jesus von unseren Sünden gewaschen und uns zu einem Königtum gemacht, zu Priestern Seinem Gott und Vater (Off 1,6). Und durch den Glauben an Sein Blut sind wir gerechtfertigt worden, umsonst und durch Gottes Gnade (Röm 3,24.25).

Aber wenn es um die Frage geht, was uns befähigt, am Erbe der Heiligen in dem Licht teilzuhaben (Kol 1,12) und in der Herrlichkeit Gottes zu weilen, dann spricht die Schrift nicht vom Blut Christi, sondern von dem ewigen Leben. Nur wenn wir die Natur Gottes besitzen, sind wir tatsächlich in der Lage, bei Gott zu wohnen und Seine Herrlichkeit zu sehen. Ein Kronprinz mag durchaus das Anrecht auf den Thron haben, aber er mag – weil er vielleicht noch unmündig ist – nicht fähig sein, dieses Anrecht anzutreten. Nun, der gläubige Christ hat beides. Durch das Blut Christi besitzt er das Anrecht auf die Herrlichkeit Gottes, und durch den Besitz des ewigen Lebens ist er passend oder fähig gemacht, Gott zu genießen und in Seiner Herrlichkeit zu sein. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3).

Der Herr selbst wird kommen

Doch kommen wir auf die Worte des Herrn in Johannes 14 zurück. Er hatte gesagt: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen.“ Bedenken wir indes: Noch war das Werk auf Golgatha, das als Voraussetzung dazu nötig war, nicht vollbracht. Infolgedessen war auch der Heilige Geist noch nicht gekommen (Joh 7,39), als der Herr diese kostbaren Verheißungsworte sprach. So konnte der Herr Seinen Jüngern auch noch nichts Näheres darüber mitteilen, auf welche Weise sich Seine Verheißung im Einzelnen erfüllen würde (Joh 16,12–14). Er hatte diese wunderbare Hoffnung in ihre Herzen gepflanzt, und das war im Grunde das Wichtigste. Und wüssten wir darüber nichts Weiteres, es wäre genug, uns ungetrübt zu freuen und uns fest auf die Zusage Seiner Wiederkunft zu stützen. So hat Er es gesagt, und so wird Er es tun.

Die Verlegenheit der Thessalonicher

Und doch hat es Ihm gefallen, uns weiteres Licht über diesen einzigartigen Vorgang zu schenken. Dazu benutzte Er den Apostel Paulus und unter anderem den Umstand, dass die Gläubigen in Thessalonich sich nur für kurze Zeit der mündlichen Belehrungen des Apostels hatten erfreuen können (Apg 17,1–9). Sie waren durch die Gnade Gottes dahin geführt worden, sich von den Götzenbildern zu Gott zu bekehren, um „dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten – Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn“ (1. Thes 1,9.10). Sie waren durch den Apostel Paulus mit der Wahrheit über die Wiederkunft Christi vertraut gemacht worden, offenbar aber mehr in einer allgemeinen Weise. Sie hatten zudem gelernt, dass einmal der Antichrist und „der Abfall“ kommen würden; aber auch, dass Christus schließlich vom Himmel herabkommen würde, um „den Gesetzlosen“ durch den Hauch Seines Mundes zu vernichten und hier auf der Erde Sein Reich zu errichten (2. Thes 2,1–12). „Erinnert ihr euch nicht, dass ich dies zu euch sagte, als ich noch bei euch war?“ (V. 5). Sie wussten also grundsätzlich um die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus (V. 1) und den Tag des Herrn (V. 2), besaßen aber noch keine genauen Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen beidem. Ja, sie wussten vermutlich nicht einmal, dass diese beiden Ereignisse oder Dinge nicht dasselbe bedeuten.

Nun war der Glaube dieser Jungbekehrten an die Wiederkunft Christi so innig und schlicht, so lebendig und gegenwartsbezogen, dass sie von einem Umstand überrascht wurden: Einige von ihren Mitgeschwistern waren inzwischen entschlafen, und der Herr war noch nicht gekommen! Was geschah nun mit diesen Entschlafenen? Würden sie nicht, wenn der Herr kam, des Segens Seiner Gegenwart verlustig gehen?

Der Apostel schreibt ihnen, dass sie, was die Entschlafenen betrifft, nicht länger unwissend sein sollten. Überhaupt hätten sie keinen Grund dazu, sich zu betrüben, wie das „die übrigen“ tun, „die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird auch Gott die durch Jesus Entschlafenen mit ihm bringen“ (1. Thes 4,13–14). Sie mochten die Einzelheiten darüber, wie das geschehen könnte, nicht kennen – und sie konnten sie noch gar nicht kennen. Dennoch hätten sie aus der Tatsache, dass der Herr Jesus gestorben und auferstanden war, den Glaubensschluss ziehen sollen, dass dann auch Gott die durch Jesus Entschlafenen bei Seiner Ankunft in Macht und Herrlichkeit mit Ihm bringen würde.

Sie würden keineswegs einen Verlust erleiden. Nein, wenn der Tag der Offenbarung Christi kam, würde Gott dafür sorgen, dass sie bei Ihm im Himmel sein und dann mit Ihm kommen würden. Wie bereits bemerkt, sie hätten daraus, dass der Herr Jesus gestorben und auferstanden war, folgern können und sollen, dass ihren Entschlafenen dasselbe geschehen würde, was ihrem Herrn geschehen war. So sehr hat uns Gott in Seinem Gnadenratschluss mit dem Herrn Jesus verbunden. Das können wir uns nicht tief genug ins Herz schreiben. Gott sieht uns in Christus, jetzt und immer. Dass wir uns doch dieser gesegneten Stellung mehr bewusst wären!

Es mag nämlich auch uns zuweilen so gehen, dass wir etwas aus Gottes Wort nicht verstehen. Vielleicht macht uns eine Schriftstelle Mühe, die gar unsere ewige Sicherheit in Christus infrage zu stellen scheint. Aber anstatt dann Zweifeln Raum zu geben, lasst vielmehr das Licht anderer, völlig klarer Schriftstellen auf unsere Probleme fallen! Und vor allen Dingen, lasst uns stets bedenken, dass wir durch die Gnade Gottes untrennbar mit Christus verbunden sind! Seine Stellung ist unsere Stellung. Wir mögen das eine oder andere noch nicht erkennen können, aber das bleibt: Gott sieht uns in Christus, und wir ehren Ihn und Seinen Sohn, wenn wir uns auch so sehen.

Eine neue Offenbarung

In den folgenden Versen fügt nun der Apostel Paulus eine völlig neue Offenbarung hinzu und gibt ihnen, wie uns, die fehlenden Bindeglieder – Einzelheiten, die klarmachen, dass der Herr Jesus zuerst für die Gläubigen kommen muss, um dann mit ihnen kommen zu können. Bisher hörten wir von einem Kommen des Herrn mit uns; jetzt kommt etwas anderes vor uns, das wir treffend mit dem Kommen des Herrn für uns umschreiben könnten:

„Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himme herabkommen,, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein“ (V. 15–17).

Wie erhaben und doch wie einfach ist das alles! Es wird eine Entrückung geben, die gestorbene wie lebende Heilige umfasst. Durch dieses Geschehnis werden sie dem Bereich dieser Erde völlig entrückt und in eine neue Welt versetzt werden. Diese neue Welt ist die Herrlichkeit Gottes. Heute rühmen wir uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes (Röm 5,2), dann wird sie Wirklichkeit für uns werden. Wunderbare Gnade!

Doch ehe wir uns mit den wichtigen Einzelheiten dieses Abschnittes beschäftigen, sei kurz auf den Ausdruck „sagen wir euch im Wort des Herrneingegangen. Er scheint sich nicht nur auf die Autorität zu beziehen, mit welcher der Apostel sprach; auch nicht nur auf einen Auftrag des Herrn, den er erfüllte. Noch weniger ist Grund dafür vorhanden anzunehmen, dass er nur ein Wort des Herrn zitiert, wie in Apostelgeschichte 20, Vers 35. Vielmehr handelt es sich offenkundig um die Übermittlung einer neuen Offenbarung, die ihm direkt vom Herrn gegeben worden war (vgl. Apg 18,9; Gal 1,12; Eph 3,3).

Das ist so unwichtig nicht. Wir lernen nämlich daraus, dass alles, was uns in den Evangelien an Ähnlichem mitgeteilt wird, nicht mit dem gleichgesetzt werden kann, was uns hier gesagt wird. Ich meine damit nicht die Andeutungen, die sich in den Worten des Herrn an Seine Jünger in Johannes 14, Verse 1–3, finden. Sondern ich denke an prophetische Stellen wie Matthäus 24, Vers 30 u.ä. Die Stelle aus Matthäus 24 zeigt zwar noch die größte Ähnlichkeit mit dem, was wir hier im ersten Thessalonicher-Brief haben, aber sie redet tatsächlich von etwas völlig anderem, nämlich von Seiner Erscheinung. Es wird uns zum Verständnis unseres Gegenstandes von großer Hilfe sein, wenn wir stets bedenken, dass alles, was uns an prophetischen Mitteilungen in den Evangelien gegeben wird, von dem zu unterscheiden ist, was uns hier der Apostel Paulus „im Wort des Herrn“ sagt. Wenden wir uns nun den einzelnen Belehrungen unseres Abschnittes aus 1. Thessalonicher 4 zu.

Wir, die Lebenden

Der Ausdruck „wir, die Lebenden, die übrig bleiben“ macht deutlich, dass die Gläubigen die Ankunft des Herrn Jesus in ihrer Zeit erwarteten. Sie waren durch Paulus offensichtlich in dieser Weise belehrt worden, den Herrn in jedem Augenblick zu erwarten. Aber nicht nur das, sondern der Apostel macht sich auch auf liebliche Weise mit ihnen in dieser Hoffnung eins und sagt: „wir“ – „wir, die Lebenden.“

Das darf auch unsere Haltung in der heutigen Zeit sein. Wenn der Herr wie im Fall des Petrus (Joh 21,18.19) nicht ausdrücklich eines der Seinen von etwas Gegenteiligem überzeugt, das heißt, ihm zeigt, dass er durch den Tod zu Ihm kommen soll, haben auch wir das köstliche Vorrecht, unmittelbar auf die Wiederkunft Christi zu warten und zu sagen: „Wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn.“

Wenn der Herr Jesus kommt, werden die Gläubigen – wie das schon damals bei den Thessalonichern der Fall war – aus zwei Gruppen bestehen, den Entschlafenen und den Lebenden. Der Apostel macht sich hier mit der zweiten Gruppe eins. Aber es gibt auch Stellen, an denen er sich mit der ersten Gruppe identifiziert, zum Beispiel in 2. Korinther 4, Vers 14. Im fünften Kapitel desselben Briefes, der übrigens nur etwa drei bis vier Jahre später geschrieben wurde als der erste Brief an die Thessalonicher, erwägt er beide Möglichkeiten, das Entkleidet-Werden und das Überkleidet-Werden,[1] und benutzt jeweils das Wort „wir“. Im Brief an die Philipper, der noch einmal etwa sieben Jahre später geschrieben wurde, spricht er offen von der Möglichkeit seines Todes (Kap. 1,21–24; 2,17). Und obwohl er der Möglichkeit ins Auge sieht, dass er die Ankunft des Herrn selbst nicht mehr erleben könnte, beschreibt er kurz darauf die charakteristische Haltung der Gläubigen in Bezug auf das Kommen des Herrn auf so liebliche Weise und verwendet dabei wieder das Wort „wir“: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“ (Kap. 3,20).

Es wird also neben der Gruppe der Entschlafenen die Gruppe der lebenden Gläubigen geben, die „übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn“. Sie werden nicht den Tod sehen, sondern die Ankunft des Herrn als Lebende erfahren. Und ich habe oft gedacht: So wenig ist das Sterben die Hoffnung des Christen, dass, wenn nur Christus bald genug kommt, niemand mehr von ihnen sterben wird. Das ist in der Tat eine gesegnete, eine lebendige Hoffnung (1. Pet 1,3)!

Was bedeutet der Ausdruck „Ankunft“?

Was den Ausdruck Ankunft des Herrn angeht, so können wir folgende „Regel“ im Neuen Testament beobachten: Wenn der Ausdruck ohne irgendeine Beifügung benutzt wird, die auf Offenbarung, Sichtbarwerden, Macht, Gericht, Verantwortlichkeit oder Belohnung schließen lässt, dann steht er mit dem Kommen des Herrn zur Entrückung der Gläubigen in Verbindung. Weist jedoch der Zusammenhang auf derartige Gedanken hin, dann handelt es sich ausnahmslos um die zweite Seite Seines Kommens, auf die wir noch näher zu sprechen kommen werden.

Mit Ankunft wird übrigens nicht das Kommen als solches, nicht der Vorgang des Kommens bezeichnet. Das ist vielmehr die Bedeutung, wenn von dem Kommen des Herrn in Johannes 14, Vers 3, und 1. Korinther 11, Vers 26, gesprochen wird. Ankunft dagegen beschreibt den Zustand, der dem aktiven Kommen folgt – die Gegenwart also (im Gegensatz zur Abwesenheit). Das ist die Bedeutung des griechischen Wortes parousia. Der Apostel Paulus benutzt diesen Ausdruck in genau diesem Sinn, wenn er sagt: „... nicht allein als in meiner Anwesenheit, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit“ (Phil 2,12). Ankunft des Herrn meint also das Gegenwärtigsein des Herrn, folgend auf Sein tatsächliches Kommen. Für die Auslegung der einen oder anderen Stelle ist die Beachtung dieser Feinheit wichtig, wie wir sogleich an einem Beispiel sehen werden.

Ich möchte an diesem Punkt einige Beispiele für Ankunft ohne und für Ankunft mit einschränkender Beifügung anführen. Das wird sicher zum besseren Verständnis der beiden Seiten des Kommens Christi beitragen können.

„Ankunft“ ohne Beifügungen

Das hervorragende Beispiel für Ankunft ohne Beifügung ist unser Vers in 1. Thessalonicher 4, den wir gerade betrachten:

„... wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn“ (V. 15).

Weder der Vers selbst noch der Zusammenhang lässt irgendwie auf Offenbarung, Gericht oder Verantwortlichkeit des Menschen schließen. Wir haben hier eindeutig den Aspekt des Kommens Christi zur Entrückung der Seinen.

Die bereits erwähnten Verse aus 2. Thessalonicher 2 zeigen uns ein weiteres Beispiel:

„Wir bitten euch aber, Brüder, wegen der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und unseres Versammeltwerdens zu ihm hin, dass ihr euch nicht schnell in der Gesinnung erschüttern noch erschrecken lasst, ..., als ob der Tag des Herrn da wäre“ (V. 1.2).

Ist das nicht bezeichnend? Hier wird die Ankunft unseres Herrn in Gegensatz gesetzt zum Tag des Herrn. Unmöglich anzunehmen, dass beide Dinge dasselbe sind, dass der Apostel wegen der einen Sache bittet, um zu zeigen, dass gerade diese Sache noch nicht da ist! Nein. Falsche Lehrer wollten den Gläubigen in Thessalonich einreden, der Tag des Herrn sei schon da. Doch der Apostel bittet sie wegen des Ereignisses, das noch vor diesem Tag eintreten muss, sich nicht erschüttern zu lassen. Schön auch zu sehen, wie im ersten Vers die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus mit unserem Versammeltwerden zu Ihm hin erklärt wird. Das gerade wird die Entrückung ausmachen: Wir werden zu Ihm hin versammelt werden.

„Jeder aber in seiner eigenen Ordnung: der Erstling, Christus; dann die, die des Christus sind bei seiner Ankunft; dann das Ende“ (1. Kor 15,23.24).

Auch hier wird Ankunft ohne jegliche Beifügung benutzt. Der Apostel beschreibt nicht die Ankunft des Herrn zum Gericht, sondern Seine Gegenwart, folgend auf das Kommen zur Entrückung der Heiligen. Christus ist der Erstling der Entschlafenen, mit Ihm hat die erste Auferstehung bereits begonnen. Dann wird die Auferstehung Seiner Familie folgen, derer, die des Christus sind bei Seiner Ankunft. Und hier ist es wichtig, die Bedeutung von Ankunft zu beachten: Da damit nicht direkt das Kommen des Herrn gemeint ist, sondern der Zustand, der ihm folgt, schließt diese Wendung auch die Auferstehung der beiden Gruppen der Märtyrer in Offenbarung 20, Vers 4, mit ein, mit denen die erste Auferstehung ihren Abschluss finden wird. Wir werden das in dem Abschnitt Die Auferstehung noch genauer sehen.

,,Ankunft“ mit Beifügungen

Kommen wir nun zu Beispielen, in denen der Zusammenhang auf Offenbarwerdung, Belohnung, Gericht usw. hinweist.

Im ersten Thessalonicherbrief wird wiederholt auf die Ankunft des Herrn in dem zweiten Aspekt hingewiesen:

„Denn wer ist unsere Hoffnung oder Freude oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus bei seiner Ankunft?“ (1. Thes 2,19).