Zu diesem Buch

»Mord im Europa-Park!«

Eine Zeitungsmeldung bringt Abwechslung in die schwülen Sommertage der Ahnenforscherin Maren Mainhardt, die ihre Ferien aus Geldmangel zu Hause in der Karlsruher Südstadt verbringen muss.

Doch schon am nächsten Tag vergeht ihr das Lachen: Kommissarin Elfie Kohlschröter steht vor ihrer Tür. Denn Maren kannte das Mordopfer, die reiche Autohaus-Erbin Marlene Burk: Der Südwestrundfunk hatte sie einst beauftragt, Familiendokumente der Burks zu überprüfen. Der Anlass war eine Fernsehdokumentation über ein hundert Jahre zurückliegendes Schiffsunglück in New York, bei dem über 1000 deutsche Einwanderer ihr Leben verloren. In dem Film waren Interviews mit Nachfahren einiger Überlebender gezeigt worden − unter ihnen Marlene Burk, deren Großvater die Todesfahrt miterlebte.

Maren beginnt nun erneut zu recherchieren − nicht nur aus Langeweile. Zu gern möchte sie Elfies Freiburger Kollegen imponieren, dem dunklen, schweigsamen Melchior Oberst. Doch dieser schenkt ihr erst Gehör, als ein zweiter Mord geschieht. Die Tote ist die Schwester von Marlene Burk, und beide Opfer wurden im Badewasser gefunden ...

Marens Ermittlungen führen sie in den Europa-Park Rust und nach Baden-Baden, wo sie auf Dominik Burk trifft, den charmanten Bruder der Ermordeten. Spielt er ein doppeltes Spiel? Oder ist der Mörder einer der jungen Mitarbeiter aus dem Vergnügungspark, deren Zuneigung sich die reichen Burk-Schwestern erkauften?

Gegen alle Widerstände hält Maren an ihrer Theorie fest: Es muss einen Zusammenhang zwischen den Morden und der damaligen Schiffskatastrophe geben! Doch kurz darauf liegt der Einzige, der ihr glaubte, tot im Europa-Park.Maren will schon aufgeben, da entdeckt sie durch Zufall den entscheidenden Hinweis. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt − auf Leben und Tod. Denn die Polizei glaubt ihr nicht, und der Mörder ist ihr schon dicht auf den Fersen ...

Die Autorin

Eva Klingler, geboren 1955, ist Journalistin und Autorin. Sie arbeitete als Redakteurin beim SWR und für verschiedene Tageszeitungen und veröffentlichte bisher zahlreiche Romane und Krimis.

2005 erschien ihr erster badischer Krimi „Erbsünde“; seither hat sie in dieser Reihe fünf weitere Fälle der Ahnenforscherin Maren Mainhardt veröffentlicht: „Blutrache“, „Kreuzwege“, „Blaublut“, „Weißgold“ und „Hassliebe“. 

6. Kapitel

Elfie war »absolutely not amused«, und ihr Blick musterte mich extrastreng.

»Maren, vielen Dank für alles, ja? Du hast also deine Unterhaltung mit Herrn Oberst gehabt, und du hast ihm alles gesagt, was du weißt, so wie es sich gehört. Damit ist die Sache jetzt für dich erledigt! Vielen Dank.«

So oft hatte mir der Staat noch nie gedankt.

Seit meinem Besuch in Freiburg waren zwei Tage vergangen. Melchior hatte Elfie offensichtlich unverzüglich informiert, und daraufhin hatte sie sich dazu durchgerungen, mich anzurufen.

Wir saßen im Wolfbräu. Drinnen, weil es draußen so schwül war. Sie hatte nicht viel Zeit, und die Stimmung war schlecht.

»Elfie, es war nicht meine Idee − Herr Oberst hat mich nach Freiburg zitiert. Und da du die Geschichte bereits kennst, weißt du auch, dass er dennoch nicht an einen Zusammenhang mit der General Slocum glaubt. Was mich nicht daran hindern wird, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Nach allem, was ich über den zweiten Mord weiß ...«

»Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, warum beide Schwestern getötet wurden. Reiche Familien haben Feinde. Manchmal reicht schon die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters. Er versteht die Welt nicht mehr, fühlt sich ungerecht behandelt, dreht durch. Vielleicht sucht er zuerst das Gespräch, wird ausgelacht, und dann kommt eins zum anderen.«

»Warum würde ein solcher Mitarbeiter eigens in den Europa-Park nach Rust fahren? Würde er sie nicht lieber in der Firma umbringen? Ganz abgesehen von der Badewannen-Geschichte! Diese Morde wurden inszeniert! Und jemand, der einfach nur verzweifelt ist, plant nicht lange.«

Elfie funkelte mich an. »Du bist keine Psychologin! Der Mörder kann ein ganz biederer Mensch sein, der sich jahrelang in der Nähe der Burks aufgehalten hat, ohne jemals aufzufallen. Aber der böse Plan ist schon lange in ihm gereift. Er ist einsam, liest viel, schaut viel Fernsehen, hat sich in Gedanken schon tausend Mal ausgemalt, wie es sein könnte, wenn er alle die Menschen, die an seinem Elend schuld sind ...«

»Elfie, für Hirngespinste bin doch sonst ich zuständig!« Ich versuchte, ihr ein Lächeln zu entlocken − was gründlich misslang −, und fuhr beschwörend fort: »Sag, was schadet es, wenn ich mich weiter umsehe? Je mehr Spuren verfolgt werden, umso größer die Chance, dass der Mörder rechtzeitig gefunden wird! Denn in jedem Fall ist der Bruder auch gefährdet, meinst du nicht?«

Elfie versenkte ihr Gesicht im Mineralwasserglas. »Darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen! Er wird den Schutz bekommen, der ihm zusteht! Falls er ihn überhaupt wünscht.«

»Hoffentlich! Bei drei Morden bekommt dein Herr Melchior Besuch vom Stern, dem Spiegel und der Bildzeitung!«

»Letztere war sowieso schon da. Und das Fernsehen. Und ich weiß nicht wer. Es herrscht tatsächlich ein gewisser Druck in der Sonderkommission. Man hat sogar einen Profiler beauftragt.« Elfie sah mich finster an. »Ein Top-Mann aus Köln. Er arbeitet daran, die Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern, den Tatorten und möglichen anderen Fällen in der Grenzregion herauszufinden. Vergessen wir nicht − Freiburg ist Dreiländereck! Und leider hat man bei einem Mitarbeiter des Parks, einem jungen Engländer, eine Vorstrafe wegen Drogenhandels entdeckt. Und er kannte die Schwestern − ganz gut. Du siehst also, es gibt für dich hier keinen Ansatzpunkt.«

»Ich brauche keinen Profiler. Ich bin Profi im Erforschen von Familiengeschichten ...«

Elfie versuchte es mit einer neuen Strategie: »Maren, ich kenne Herrn Oberst besser als du. Er mag dich nach Freiburg eingeladen haben − aber das heißt ganz sicher nicht, dass er dich in irgendeiner Weise an den Ermittlungen beteiligen will.«

»Das habe ich mir fast gedacht«, warf ich ein, »aber ich warte diesbezüglich nicht auf seine Erlaubnis.«

»Das solltest du aber besser tun. Melchior − Oberst mag es nicht, wenn man ihm ins Handwerk pfuscht. Vielleicht hat er sich dir gegenüber zuvorkommend verhalten, immerhin ist er ein sehr korrekter Mensch. Aber glaub mir, wenn du dich weiter grundlos in Dinge einmischst, die mit den Morden zu tun haben, dann musst du dich nicht wundern, wenn er sehr ungehalten reagiert. Er ist ein Profi − ein besonders guter dazu −, und er kann ausgezeichnet im Team arbeiten, sofern es der Aufklärung eines Falles dient. Aber im Grunde ist er ein Einzelkämpfer. Denk ja nicht, er wird eine Hobbydetektivin neben sich dulden, die abenteuerliche Theorien verfolgt!«

Ich starrte sie wütend an. Aber bevor ich etwas erwidern konnte, sprach Elfie schon weiter, wild entschlossen, jetzt endlich das unliebsame Thema zu wechseln: »Was macht eigentlich die Katze von deinem Freund Matthias?«

»Herbert? Heute Nacht ist er zu mir ins Schlafzimmer gekommen und hat alle Schränke aufgemacht, bevor er erschöpft am Fußende meines Bettes eingeschlafen ist!«

»Ich würde keine Katze in meinem Bett haben wollen!« »Wen würdest du denn in deinem Bett haben wollen?«, fragte ich aggressiv, »den tiefgründigen Melchior Oberst?«

Sie sah mich kalt an. »Sei nicht kindisch, Maren. Herr Oberst ist ein Kollege, ein sehr fähiger Kollege, von dem ich noch viel lernen kann!«

»Da bin ich sicher!«

Der Abend endete unfreundlich.

Ich beneidete Elfie um ihre Selbstbeherrschung. Vor allem aber beneidete ich sie um den Zugang zu allen polizeidienstlichen Informationen, während ich ohne ernstzunehmende Beschäftigung den schwülen Sommer ertragen musste.

Also flüchtete ich mich zu Theo, der mich immer toll fand, egal was ich tat − und ganz gleich, wie verschwitzt ich aussah. Solche Menschen sind nicht mit Gold aufzuwiegen, dachte ich in Erinnerung an Consuelas Karten.

Theo war noch in seinem Laden. Wo auch sonst? Er hatte eine Kiste mit einigermaßen gut erhaltenen Kochbüchern geschenkt bekommen und sah sie jetzt durch. »Bei Kochbüchern muss man immer mit Saucenresten rechnen!«

»Was du nicht sagst!«

»Hier ist eins für dich!« Er reichte mir einen großen Band. »Amerikanische Küche! Da findest bestimmt was über die deutsche Esskultur in Amerika!«

»Ich entwickele mich noch zur Spezialistin für alles Deutsche in New York, und dabei war ich noch nicht einmal selbst dort! Und so wie die Dinge stehen, werde ich niemals hinkommen.« Ich seufzte.

Theo zuckte die Achseln. Ihm war so etwas egal. Seine Welt war hier, in diesem muffigen kleinen Zimmer, voll gestopft mit Abbildungen der großen Welt. Mit ihnen würde er leben und mit ihnen würde er sterben.

Deprimiert ging ich nach Hause. Ich fühlte mich einsam. Ein Gefühl, das ich übrigens mit Herbert teilte, der zu einer winzigen pelzigen Schnecke zusammengerollt auf dem kühlen Küchenboden lag und mich aus zwei grünlichen Augenschlitzen böse ansah.

»Komm, wir machen uns was zu essen, Herbert, und dann dröhnen wir uns mit Fernsehen voll!«

Herbert trottete hinter mir her in die Küche und sah mir griesgrämig zu, wie ich Auberginen briet, klein hackte, mit Knoblauch und Tomaten vermischte. »Das macht Arbeit, schmeckt aber hinterher sehr gut. Und ist preiswert!«

Herbert wandte sich desinteressiert ab. Er hatte diesbezüglich durchaus Ähnlichkeit mit einem Ehemann.

Wir zappten uns durch die Programme. Überall schienen sich Paare zu küssen oder Politiker zu streiten. Es herrschte ein merkwürdiger Wahlkampf in Deutschland − mit durchweg deplatziert wirkenden Kandidaten. Ein müde wirkender Schröder kämpfte ums Überleben, doch manchmal schien es, als sei es ihm gar nicht mehr wichtig. Er hatte schon zweimal gekämpft, jedes Mal ging es um alles oder nichts. Hatte man da nicht irgendwann genug?

Ich hatte auch schon oft gekämpft − immer wieder, von unsinniger Hoffnung angetrieben, hatte ich mich auf die Liebe gestürzt und jedes Mal verloren. Selbst wenn ich zunächst gewonnen hatte.

Selbstmitleid legte sich wie ein grauer Mantel über mich. In trüber Stimmung kraulte ich Herberts zarte Ohren.

Beim Weiterschalten geriet ich zu R.TV, dem Sender für Karlsruhe und die Region. Ich ließ das übliche »Küchenstudio« über mich ergehen, lauschte den unbeholfen vorgetragenen Reportagen von Studenten aus der Welt der Universität und fühlte neue Bitterkeit aufsteigen, dass diese Zeit unwiederbringlich vorüber war − mit all ihren Chancen, die man hätte ergreifen können und nicht ergriffen hatte.

Es folgten die Nachrichten aus der Region: Straßenfeste, Konzerte. Ein Interview mit dem Bauleiter des neuen ECE-Centers, der uns allen versicherte, der Bau werde rechtzeitig fertig, so dass wir schon im Herbst unser Geld dort loswerden konnten.

Schließlich tauchte die bekannte Fassade von Brenner's Parkhotel auf dem Bildschirm auf: »Zu der Messe Luxuskarossen der Welt, die derzeit in Baden-Baden stattfindet, ist auch Dominik Burk, Besitzer des Burk-Auto-Imperiums gekommen, der erst kürzlich auf tragische Weise seine beiden Schwestern verlor.«

Ich richtete mich auf und starrte wie gebannt auf den Nachrichtensprecher. Der Chef von Brenner's, so erfuhr ich, sei froh, dass sich dieser bedeutende mittelständische Unternehmer entschlossen habe, eine Woche lang in der herrlichen Atmosphäre der Lichtentaler Allee zu entspannen. »Unsere gute Stube blickt auf eine mehr als 130-jährige Geschichte zurück. Unter ihren Bäumen haben schon viele Menschen Ruhe gefunden − unter ihnen Fürst Otto von Bismarck, Henry Ford und Walt Disney«, so wurde der Hoteldirektor zitiert.

Am Ende sah man Dominik Burk, einen großen, schlanken, elegant wirkenden Mann, wie er das Brenner's verließ, ohne sich im Geringsten um die Kamera zu scheren.

Ich blickte auf den Bildschirm. Andere Worte, andere Bilder folgten. Meine Gedanken wanderten.

»Herbert!«, sagte ich, »was hältst du davon, wenn dich Ana morgen noch einmal betreut?«

Nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen hielt er nichts davon, aber da er nur ein Leih-Kater war, musste ich später nicht mit seinen frühkindlichen Traumata leben, die zweifelsohne in der Pubertät zum Tragen kämen. Ich konnte ihn also bedenkenlos abschieben.

Ich würde morgen nach Baden-Baden fahren.

* * * * * * * * * *

Zu Baden-Baden hatte ich als überzeugte Karlsruher Südstädterin ein zwiespältiges Verhältnis. Es war ein bisschen so, als ging man zu Hause von seiner Mutter weg, um eine elegante Tante zu besuchen − eine, die es geschafft hatte.

»Aber benimm dich anständig!«, gab mir die Südstadt mit. Sie trat allerdings in Gestalt von Matthias auf den Plan, den ich noch schnell besuchte, bevor ich über Ettlingen in die Kurstadt fuhr. Er lag inzwischen mit einem älteren Türken zusammen, der ein Schachbrett auf seinem mobilen Esstisch aufgebaut hatte und unverständliche Laute murmelte, während er Kombinationen ausprobierte.

»Hol mich hier raus!«, wisperte Matthias, »Er spielt Tag und Nacht nur Schach! Wie ein Besessener. Dabei sah er zuerst aus wie ein ganz normaler Mensch.«

»Besessene sehen immer aus wie normale Menschen!«

»Wann komm ich hier raus?«

»Sicher bald. Herbert geht es gut. Er fragt nie nach dir!«

»Das ist ja das Schöne an Katzen!«, strahlte Matthias in unbeirrbarer Vaterliebe, »Dass sie so unabhängig sind. − Und du willst tatsächlich nach Baden-Baden? Den Bruder warnen, dass er auch bald ermordet wird? Ich denke, das weiß er bereits.« Matthias grinste schief. Machte er sich etwa Sorgen? In ernsterem Ton fuhr er fort: »Maren, mittlerweile glaube ich, du solltest das doch lieber lassen. Nicht, dass du noch in die Schusslinie gerätst! Aber ich habe mir etwas anderes überlegt: Du könntest dir den Film noch einmal anschauen!«

»Welchen Film?«

»Den Film über den Untergang dieses Schiffes. Wenn du sowieso in Baden-Baden bist, könntest du das hervorragend und zugleich preiswert kombinieren! Mein Gott, wenn ich daran denke, dass du die ganze Fahrerei nicht mal steuerlich absetzen kannst!«

»Keine schlechte Idee. Vielleicht solltest du öfters den ganzen Tag im Bett verbringen! Vielleicht können nur entweder dein Geist oder dein Körper arbeiten! Aber was den Film betrifft − ich müsste Frau Höflich nicht nur anrufen, sondern auch dazu bringen, ihn mir zu zeigen. Und leider entspricht ihr Name nicht ihren charakterlichen Eigenschaften.«

»Versuch es!«, antwortete Matthias und wedelte mich zur Tür.

»Nun geh dahin! Ich muss jetzt schlafen. Ich fühle mich sehr matt!«

Der Kopf des Türken schnellte herum. »Matt?«, fragte er.

Leise zog ich die Tür hinter mir zu. Vielleicht war das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

* * * * * * * * * *

In Baden-Baden fand ich einen Parkplatz in der Nähe der Tennisplätze in der Allee. Ein dezentes Plopp begleitete meinen Versuch, Frau Höflich mit meinem Handy im SWR zu erreichen. Ohne Erfolg: In drei Sprachen wurde ich gebeten, es später noch einmal zu versuchen.

Ich genoss den kurzen Weg zum Brenner's Parkhotel. Die uralten Bäume spendeten Schatten und frische Luft, der Rasen der Allee verband Bänke, kleine Wege, Statuen, Rosensträucher und romantische Sitzecken miteinander. Kleine Hunde jagten umher, ältere Damen sahen ihnen mit gutmütigem Lächeln zu. Ein Brautpaar ließ sich vor einer halbnackten Frauenstatue fotografieren. Das Leben floss gemächlich dahin. Man kam hierher, um zu genießen. Vor dem Eingang von Brenner's waren ein paar edle Luxuskarossen aufgebaut, in deren blankem Chrom sich die gegenüberliegende Fassade spiegelte.

Die Natur hat mir ein paar seltsame Dinge mitgegeben. Ich fürchte mich vor Tunnels, Seilbahnen, auf der Autobahn heranrasenden Lastern und manchmal vor großen Hunden. Aber ich fürchtete mich nicht davor, an die edel gestaltete Rezeption von Brenner's Parkhotel zu gehen, vorbei an plaudernden Damen, deren Unterwäsche vermutlich mehr gekostet hatte als der Inhalt meines gesamten Kleiderschrankes.

Kühl und geschäftsmäßig fragte ich nach Dominik Burk.

»Einen Moment bitte!« Der Mann an der Rezeption warf einen Blick auf den Computer. »Ist nicht auf seinem Zimmer. Sie können Herrn Direktor Burk eine Nachricht hinterlegen!«

»Herr Burk ist im Garten und trinkt seinen Kaffee!«, mischte sich eine uniformierte, professionell aussehende Kollegin vom Nachbarcomputer ein. Sie händigte einem jungen Inder einen Schlüssel aus und drückte gleichzeitig schon beim ersten Läuten einen Knopf an ihrer Telefonanlage. »Guten Tag, Brenner's Park Hotel und Spa, Baden-Baden. Mein Name ist Melanie Taufburger-Schmiederer, was kann ich für Sie tun?«

Meine Güte. Für meine Handykarte wäre es tödlich, solche langen Begrüßungsformeln ertragen zu müssen. Hotels sollten nur Mitarbeiter mit kurzen Namen einstellen.

»Danke!«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.

»Moment!«, rief mir der Mann von der Rezepzion nach, »Ich werde Herrn Burk erst fragen, ob es ihm recht ist, Besuch zu empfangen. Eigentlich möchte er im Moment aus persönlichen Gründen nicht angesprochen werden!«

»Und genau wegen dieser persönlichen Gründe würde ich ihn gerne treffen!«, bemerkte ich selbstbewusst.

Der Mann nahm das ausdruckslos zur Kenntnis. »Wenn Sie mir bitte Ihre Visitenkarte geben möchten ...?«

»Das wird nicht nötig sein. Sagen Sie ihm, es geht um die General Slocum!«

»Um den General Slocum.« Beinahe stand er stramm, der Rezeptionist. Der Hauptmann von Köpenick ist mitten unter uns. »Und Ihr Name?«

»Maren Mainhardt!«

Der Mann verschwand durch ein Café Richtung Terrasse. Ich schlenderte zu den Schmuckvitrinen, die in der Hotelhalle aufgebaut waren, und fragte mich nicht zum ersten Mal, wer diesen Schmuck bezahlen konnte. Und warum hatte Mariannes Mörder ihren Schmuck nicht angerührt?

Zwei junge Mädchen, die von Beruf wohl Töchter waren, hatten sich vor einem Schaukasten mit modernen Schmuckstücken zusammengefunden und deuteten begeistert auf eine Brosche in Gestalt eines New Yorker Hochhauses. Die Fenster waren kleine Brillis, die keck funkelten. New York schien sich wie ein roter Faden durch diesen Fall zu ziehen.

Der Hotelportier betrat wieder die Bühne. »Herr Burk lässt bitten!«, verkündete er würdevoll, doch mit einem Anflug von Enttäuschung. Ich hätte beinahe wetten können, dass es ihm − rein beruflich gesehen − lieber gewesen wäre, er hätte mir eine abschlägige Antwort geben können. Vielleicht lernten sie höfliches Bedauern in Spezialseminaren: »Tut mir, leid, Madame, aber Herr Burk möchte nicht gestört werden. Wenden Sie sich doch bitte an sein Sekretariat! Und wenn ich Sie jetzt bitte hinausbegleiten darf ...«

Dominik Burk saß auf der Sonnenterasse des Hotels. Ich erkannte ihn sofort wieder, obwohl ich ihn in den Nachrichten nur ganz kurz gesehen hatte. Gelbe Sonnenschirme spendeten warmes Licht. Hinter den Tischen, die zum Teil im Garten standen, erstreckten sich die gepflegten, weitläufigen Grünanlagen des Hotels bis hinunter an die zahme, zu dieser Jahreszeit wasserarme Oos. Rechts sah man die prachtvollen Anbauten des Hotels, in denen sich wohl das Schwimmbad und die üblichen Wellness-Angebote verbargen.

Als ich näher kam, zog ich unwillkürlich den Bauch ein und bemühte mich um ein attraktives Lächeln. Denn Dominik Burk sah umwerfend aus. Er war groß und schlank, man sah ihm Tennis und Ski deutlich an. Das hellblonde, glatte Haar fiel ihm ein wenig draufgängerisch ins Gesicht, er war braun gebrannt und hatte leuchtend blaue Augen. Er sah aus wie ein amerikanischer Sonnyboy auf Urlaub in Deutschland.

»Herr Burk?«

Er strahlte mich an. »Und Ihr Name war ...«

»Mainhardt. Maren Mainhardt. Ich bin froh, dass ich Sie getroffen habe!«

Wie hörte sich denn das an? »Ich meine, nachdem ich ... beschlossen hatte, mit Ihnen zu sprechen, hatte ich Glück, dass Sie hier ...«

Er lächelte erfreut. Sein Blick war freundlich und offen. Kein bisschen ironisch. Er hatte etwas Unkompliziertes, Jungenhaftes an sich. Ich konnte wetten, er wusste nicht einmal, wie attraktiv er war.

Ein Sonnyboy. Harmlos? Möglicherweise. Einem Impuls gehorchend verglich ich ihn mit Melchior Oberst. Wenn man bei Melchior einen stillen See mit tiefem, dunklem Grund vermutete, plätscherte bei Dominik Burk ein heiteres, sonnenüberflutetes Bächlein, Libellen surrten darüber und eine Seerose amüsierte sich mit einem Schmetterling.

Herr Burk wies auf einen Stuhl. »Sehr erfreut. Nehmen Sie doch kurz Platz, Frau Mainhardt. Ich habe allerdings leider nicht viel Zeit, nur eine halbe Stunde, denn wir haben dann einen Pressetermin vor dem Neuen Schloss mit unseren neuen Autos ...«

Wie auf ein Stichwort näherten sich uns zwei Leute, ein Mann und eine Frau, vermutlich Mitarbeiter seines Autohauses.

Dominik Burk stellte sie vor: »Anke Abel und Patrick Lord. Herr Lord ist einer unserer amerikanischen Mitarbeiter, und Frau Abel sorgt dafür, dass unsere Autos immer voll getankt sind und glänzen, also sich in bestem Zustand präsentieren.« Beide Mitarbeiter präsentierten sich ebenfalls in bestem Zustand und nickten mir höflich zu.

Burk unterschrieb irgendwas, und das Paar, das im Privatleben sicher keins war, ging wieder, nachdem beide unisono Kaffee abgelehnt hatten. Ich sah ihnen nach. Und war wieder einmal froh, dass ich die Freiberuflichkeit gewählt hatte. Sicher − es ist stressig, nicht zu wissen, wieviel man im nächsten Monat verdienen wird, aber es ist auch anstrengend, einen Chef zu haben − mag er noch so sympathisch sein. Auch bei den beiden Burk-Angestellten glaubte ich trotz der freundlichen Fassade eine gewisse Anspannung wahrgenommen zu haben.

Herr Lord war ein netter Rothaariger und Frau Abel eine hochgewachsene, attraktive Frau Anfang dreißig, schlank, aber mit einer ziemlich kurvigen Figur. Alles an ihr schien braun zu sein: braunes Haar, braune Augen, ein herzförmiger, braunrot geschminkter Mund und makellose Haut in einem matten Hellbraun wie Milch mit einem Schuss Kaffee. Nur an dem wissenden Ausdruck in ihren Augen sowie an ein paar ersten Fältchen neben ihrem Mund sah man, dass sie kein junges Mädchen mehr war.

Burk sah den beiden mit einem eigenartigen Blick nach. In diesem Blick lag eine gewisse Befriedigung und − Stolz. Stolz auf seine Firma? Die ihm jetzt ganz alleine gehörte?

Es schoss mir durch den Kopf, dass sehr viele Morde unaufgeklärt blieben. Und irgendwo hatte ich gelesen, dass die meisten Opfer ihre Mörder kennen. Hatte Burk seine Schwestern getötet oder töten lassen? Ihm hätten sie die Tür geöffnet, vielleicht sogar ihren Safe. Er hätte es nicht nötig gehabt, etwas daraus zu stehlen ... Ich verscheuchte diese absurden Gedanken, die wahrscheinlich auch schon Melchiors Hirn gekreuzt hatten.

»Darf ich fragen, was Sie eigentlich hierher führt? Wer sind Sie?«

Eine Bedienung brachte zwei stilvolle Mineralwasserfläschchen nebst Glas und baute sie so diskret vor uns auf, dass es in seiner Perfektion schon beinahe aufdringlich wirkte.

Wie sollte ich vorgehen? Ich forschte in seinen schönen blauen Augen. Dominik Burk gefiel mir, er gefiel mir sogar gut. Aber mit den Waffen einer Frau würde ich bei ihm nicht weit kommen − er war sicher ganz andere Frauen gewohnt, langbeinige Luxusschönheiten, die ihn seines Geldes wegen umschwärmten.

Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. »Ich habe von den Morden an Ihren Schwestern erfahren.«

Er zuckte die Achseln. »Wer hat nicht davon gehört? Die Sensation in Süddeutschland dieser Tage. Schon morgens läutet es bei uns an der Tür. Die Leute kommen zu uns ins Geschäft, um mich anzustarren, nicht unsere Autos.« Er brachte es fertig, treuherzig zu lächeln, obwohl das Thema eigentlich alles andere als lustig war.

»Aber ich möchte nicht ... Sagen Sie, sind Sie Journalistin? Vom Fernsehen?«

»Nein, aber ich hatte mit Ihrer Schwester zu tun. Letztes Jahr. Für die Reportage über die General Slocum! Ich war mit den Recherchen befasst.«

Er machte eine abwehrende Geste wie ein beleidigtes Kind. »Ach, die Sache mit der Slocum! Davon will ich eigentlich gar nichts mehr wissen. Das war alles schon schlimm genug ... Da konnte ich Marlene wirklich nicht verstehen.«

»War da etwas mit der Slocum?«

»Wie meinen Sie das? − Nein, es war nur so: Meine Schwester wurde von der Redaktion angesprochen, und sie hat sich bereit erklärt, in dem Film mitzumachen, obwohl es sie einige Überwindung gekostet hat. Ich habe ihr angeboten, das zu übernehmen − Publicity ist immer gut, das steigert das Geschäft −, aber sie wollte nicht. Ich nehme an, ihre Eitelkeit hat gesiegt.« Er lächelte leicht. »Marlene stand gern im Mittelpunkt. Wahrscheinlich konnte sie der Versuchung, im Fernsehen ausgestrahlt zu werden, nicht widerstehen.«

»Aber warum sollte sie denn nicht in dem Film mitmachen? Ich meine, damals konnte doch keiner wissen ...« Ich stockte und war froh, als er mich unterbrach: »Ich hielt es für keine gute Idee, dass sie mit diesem alten Schiffsunglück konfrontiert wurde. Denn Sie müssen wissen: Marlene mochte keine Schifffahrten. Sie hatte Angst vor dem Wasser. Auch Marianne war übrigens wasserscheu.«

Angst vor dem Wasser? Ich horchte auf. Und musste an ihren Tod denken − im Badewasser! Wie schrecklich! Ich vermied es, Dominik anzuschauen.

»Sie war irgendwann mal bei einer Wahrsagerin. Nachdem es mit der Partnerschaft und überhaupt mit den Männern nicht so lief ... na ja, Sie können es sich denken ...«

Wieso konnte ich mir das denken? Sah man mir etwa an, dass es auch bei mir mit den Männern nicht so recht lief? »Nein. Aber − von welcher Ihrer Schwestern sprechen Sie jetzt?«

»Marlene. Die glaubte an solche Sachen. Marianne war etwas realistischer. Jedenfalls soll dieses alte Zigeunerweib in ihre verlogenen Karten geschaut und gesagt haben: Das alte Schiff bringt dir den Tod!« Dominik schnaubte verächtlich. »Danach hat Marlene nie wieder eine Kreuzfahrt gemacht. Sie wusste ja nicht genau, ob das Schiff, mit dem sie fuhr, alt oder neu war. Idiotisch war das. Aber gut − es war ihre eigene Entscheidung. Und dann kam diese Journalistin mit der Fernseh-Geschichte über das alte Schiffsunglück daher, und Marlene bekam einen riesigen Schreck. Die Sache machte sie furchtbar nervös, sie überlegte hin und her, aber schließlich entschied sie sich, mitzumachen. Ich wollte es ihr ausreden − ohne Erfolg. Dabei war sie so verkrampft, dass sie in dem Beitrag nicht einmal das Autohaus Burk erwähnt hat! Von wegen Publicity!«

Er seufzte. »Aber immerhin: Die Karten der alten Hexe hatten tatsächlich Unrecht. Es war keine Schiffsreise, sondern leider der Lebenswandel meiner armen Schwester, der sie in Gefahr gebracht hat.«

»Glauben Sie?« Er nickte düster. »Es müssen diese jungen Männer aus dem Park gewesen sein, mit denen sich Marlene abgegeben hat.«

»Aber ihre zweite Schwester, hatte sie denn auch ...?«

»Sie haben Recht: Marianne war anders. Aber auch sie hatte durch unsere Schwester einige Bekanntschaften unter der Belegschaft des Europa-Parks ... Es ist schrecklich. Schauen Sie, es gibt doch Mittel und Wege, einen ordentlichen Mann aus unseren Kreisen kennen zu lernen. Wir hätten bei einer seriösen Agentur suchen lassen können, oder eine Annonce im Ärzteblatt aufgeben, so etwas in dieser Art! Machen doch andere auch, ist doch keine Schande.«

Ich stieß einen Seufzer aus. Männer und Frauen! Marlene Burk war geschieden, enttäuscht, in ihrer Eitelkeit gekränkt. Das Letzte, was sie vermutlich wollte, war, dass ihr leichtlebiger Bruder einen zur Familie passenden Mann im Ärzteblatt für sie suchte. Vielleicht hatte sie sich beweisen wollen, dass sie noch attraktiv war − ganz sicher aber hatte sie nicht an einen alternden Arzt verschachert werden wollen, der sie neben seine Tennispokale stellte.

»Haben Sie der Polizei von dieser Sache erzählt?«

»Von ihrem Lebenswandel? Leider war er kein Geheimnis ...« Dominik Burk lächelte unwillig.

Ich unterdrückte meine Ungeduld. »Nein, ich meine die Geschichte mit dem Schiff!«

»Ja«, antwortete er freimütig, »aber ich denke nicht, dass es den Kommissar besonders interessiert hat. Verständlich − Wahrsagerei hat mit polizeilichen Fakten schließlich nicht sehr viel zu tun. Ihre Angst vor dem Wasser allerdings ...«

Ich schwieg taktvoll und nahm an, dass er genau wie ich an die Badewannen-Inszenierung dachte. Der Gedanke war schon für mich grauenhaft − wie mochte es da ihm erst gehen, der beide Schwestern verloren hatte?

Allerdings konnte ich mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Dominik nicht gerade am Boden zerstört schien. Sofort schalt ich mich ungerecht. Ich kannte ihn schließlich kaum. Vielleicht verbarg er seine wahren Gefühle hinter einem Anschein oberflächlicher Leichtlebigkeit.

Nach einer Weile fragte ich vorsichtig: »Was wissen Sie selbst denn von der Slocum?«

Er setzte sein Glas ab. Sein gut geschnittenes Gesicht zeigte jetzt einen kindlich-trotzigen Ausdruck. »Es tut mir leid, Frau Mainhardt, aber ich habe keine Zeit mehr.« Sein Blick wanderte hinüber zum Hotel. Dort stand Anke Abel und winkte ihm diskret zu. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein schickes blau-graues Kostüm, das ihr ausgezeichnet stand, in dem sie aber dennoch seltsam verkleidet wirkte. Ich hätte sie mir gut in der Natur vorstellen können − auf einem Pferd oder beim Schwimmen in einem Bergsee. Sie wirkte natürlich und sympathisch. Vermutlich war sie ohne Schminke noch attraktiver als mit Make-up.

Dem rothaarigen Patrick, der nun hinter ihr hervortrat, schien ein optimistisches, verkaufsförderndes Lächeln angeboren. Die Sozialdemokraten sollten ihn als Wahlkampfhelfer engagieren.

Dominik gönnte mir ein freundliches Abschiedslächeln. »Wir haben jetzt eine Präsentation mit kleiner Vertreterkonferenz. Aber es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen. Hören Sie ...«, er blickte mir direkt in die Augen, »Gehen wir doch mal zusammen essen!«

Er musste sehr in Eile sein, sonst wären diese Worte bestimmt nicht gefallen. Trotzdem begann mein Herz schneller zu schlagen.

Ich wollte gerade charmant entgegnen, dass ich für den Abend nichts Elegantes zum Anziehen dabei hätte, als die ernüchternden Worte fielen: »Lassen Sie uns morgen Mittag zusammen essen, ja? Um zwölf hier im Hotel!«

Er stand auf. Sein Anzug war trotz der Hitze kein bisschen verknittert, stellte ich fest − und er roch nach teurem Rasierwasser. Ein herzliches Lächeln, ein letzter Blick aus seinen tiefblauen Augen, und weg war er.

Ich blieb nachdenklich zurück. Noch eine Wahrsagerin! Mir schien allmählich, dies hier war kein Fall für meine rationale Elfie und ihren nüchternen, melancholischen Kollegen. Was der wohl dazu gesagt hatte?

Bei dem Gedanken stutzte ich. Melchior Oberst − in unserem Gespräch hatte er mir nichts von der Angst der Burk-Schwestern vor dem Wasser erzählt! Und ebenso wenig vom Schicksalsspruch der Zigeunerin! Ich spürte, wie die Wut in mir aufstieg. Natürlich, er hatte mir nur die Dinge erzählt, die sowieso früher oder später in der Zeitung stehen würden! Aber mir hatte er alles entlockt, was ich wusste. Um mich anschließend für nutzlos zu erklären und wieder heimzuschicken: »Danke, Maren!« Von wegen Teamarbeit! Ich konnte mir meine Informationen ebenso gut selbst beschaffen.

Der Kellner räumte den Tisch ab, warf mir einen schrägen Blick zu und ließ mich alleine auf dem Rasen stehen.

Morgen noch einmal nach Baden-Baden? Das Babysitting für Herbert wurde allmählich kostspielig. Und der erneute Handy-Anruf bei Hannelore Höflich ... Ich betete, dass meine Prepaid-Karte noch dieses eine Gespräch dulden würde.

Diesmal war sie glücklicherweise gleich selbst dran. Ich wagte nicht, sie zu bitten, mich auf dem Handy zurückzurufen, obwohl ihre Anrufe vom Sender bezahlt wurden und meiner von mir selbst.

Aber ich wollte ja etwas von ihr − und das war auch so schon schwer genug. »Frau Höflich, ich hätte mal eine große Bitte ...«

»Ich kann es mir denken«, tropfte es unfreundlich wie immer von ihren Lippen ins Telefon hinein, »Sie wollen sich natürlich den Film noch einmal ansehen, nicht wahr?«

»Nun, wenn Sie mich so fragen − ja!«

»Nicht nur Sie zählen zwei und zwei zusammen!«, erklärte sie barsch, »Ich habe ihn mir nämlich auch noch mal aus dem Archiv kommen lassen. Aber es ist nichts drauf! Das kann ich Ihnen versichern.«

»Dürfte ich ihn trotzdem noch mal anschauen? Ich bin zufällig in Baden-Baden, und ich ... Ich meine, Sie brauchen sich nicht um mich zu kümmern!«

Ich widerstand der Versuchung, »bitte« zu sagen, nur knapp, aber ich widerstand ihr − denn so sehr ich auf ihre Unterstützung hoffte: Alles hat seine Grenzen.

»Glauben Sie, das ist möglich, dass man einfach so im Sender herumläuft und sich archivierte Filme ansieht? Und es ist Nachmittag. Hier arbeitet kaum noch einer.«

Mein Handy-Guthaben würde bald aufgebraucht sein. »Wahrscheinlich nicht. Trotzdem ... wenn wir irgendetwas herausfinden − denken Sie nur daran, welche Bedeutung Ihr Film dadurch erringen würde! Vielleicht würde er einen Preis gewinnen ...«

Jetzt hatte ich den Knopf gefunden, den man drücken musste, um Hannelore Höflichs unhöflicher Seele beizukommen.

»Na gut. Kommen Sie. Aber gleich! Ich habe nicht ewig und drei Tage Zeit!«

Trotz aller angeblichen Sparzwänge präsentierte sich der Südwestrundfunk sehr nobel, zumindest in seinem modernen, großzügig geschnittenen Eingangsbereich mit Pforte und Sesseln für wartende Besucher. Es herrschte jetzt am Nachmittag nur noch mäßiges Treiben. Die Kantine schien bereits geschlossen, doch ich wusste von einem früheren Besuch, dass es noch ein Restaurant gab, welches auch denen etwas bot, die abends noch arbeiten mussten − wie die Orchesterleute, die Beleuchter, die Nachrichtenredakteure ... Hannelore Höflich, unverändert anzusehen, erwartete mich bereits, auf einem der Besuchersessel thronend.

»Endlich!«, sagte sie zur Begrüßung. »Eigentlich ist das nicht üblich. Wenn mein Chef davon Wind kriegt, habe ich Ärger. Einen Film aus dem Archiv raussuchen lassen und abspielen, das muss mit einer Kostenstelle angegeben werden. Die Kostenstelle geht auf meine Redaktion. Wir sind sowieso knapp dran!«

Wir kletterten zwei Treppen hinauf. An den kahlen Wänden hingen ein paar Bilder von früheren Erfolgsproduktionen des Senders, die meisten in schwarz-weiß. Hannelore sprach nicht mit mir und machte sich auch nicht die Mühe, mir den Weg zu erklären.

»Warten Sie hier!«, befahl sie endlich. Dann verschwand sie in einem Büro, kam nach einiger Zeit heraus und wieder musste ich ihr folgen, bis mir der Wegweiser »FS-Archive« unser Ziel vor Augen hielt.

Ich durfte in ein kleines Büro eintreten, in dem ein Schreibtisch, zwei Stühle, ein Telefon, ein Computer und ein Fernsehgerät mit Video und DVD-Spieler standen. »Ich komme gleich wieder!«

Und tatsächlich: Ich hatte mich kaum hingesetzt und angefangen, über meine Begegnung mit Dominik Burk nachzudenken, als sie bereits wieder vor mir stand und den Fernseher einschaltete. Sie setzte sich neben mich, warf mir einen kurzen Blick zu und meinte: »Es gibt nichts Ungewöhnliches in dem Film. Und Ihnen wird auch nichts auffallen!«

Der Dokumentarfilm war wirklich interessant. Ich fand ihn genauso spannend wie damals. Man konnte ihn ohne Probleme mehrmals anschauen, und sei es auch nur wegen der Aufnahmen von New York. Vom alten New York. Woody Allen hatte schon Recht: Filme über diese Stadt sollte man in schwarz-weiß drehen.

Im Film sah man zwei sprechende und dabei gestikulierende amerikanische Nachkommen von Slocum-Opfern durch das Viertel laufen, das einst Kleindeutschland gewesen war und das jetzt aussah wie jedes andere Viertel in New York. Backsteinhäuser, dazwischen modernere Hochhausbauten, Autos und tausend kleine Läden.

Sie berichteten das, was ich bereits wusste: Wie sehr sich alle Gemeindemitglieder auf die Fahrt gefreut hatten. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Männer ja alle gearbeitet, deshalb waren nur ein paar halbwüchsige Jungen, sonst aber überwiegend Frauen und Kinder auf dem Schiff gewesen. Es wurden alte Fotografien eingeblendet. Einige Passagiere posierten mit unschuldiger Freude für die Fotografen. Ich sah zwei Kinder auf dem Arm von Frauen, die nach heutigen Maßstäben aussahen wie die Omas, aber wahrscheinlich die Mütter waren. Zwei Teenager, anscheinend Zwillinge, hatten sich keck aufgeputzt und winkten kichernd in die Kamera. Hinter ihnen stand ein junger Mann, der sie gleichmütig ansah; vielleicht waren es seine Schwestern, die er zum Schiff begleitet hatte. Abschiedsszenen.

Noch einmal die Mädchen, eine alte Frau am Stock, begleitet wohl von ihrer schwangeren Tochter, wieder der junge Mann. Dann Szenen vom Schiff, während es ablegte und alle an Bord fröhlich winkten. Der Text − nicht von Hannelore Höflich gesprochen, sondern von einem professionellen Sprecher mit sonorer Stimme − beschrieb den Fortgang der Tragödie. Ein wahrscheinlich weggeworfenes Streichholz, der schlechte Zustand des Schiffs. Ausführlich wurden die unkoordinierten Rettungsaktionen und die unbrauchbare Ausrüstung geschildert. Der East River, die Krankeninsel − North Brother Island, wo das Schiff nach seiner Todesfahrt gestrandet war ...

Dann das Viertel heute. Noch einmal ein Blick auf das atemberaubende New York. Ein Meer von Gesichtern. Schließlich kamen die Interviews: Zuerst Adella Witherspoon, die Zeitzeugin, die inzwischen schon tot war, dann eine betagte Dame, unter deren Bild ich die Aufschrift »Regina Gehlen, Tochter einer Überlebenden« las, und zuletzt − eigentlich unbedeutend − Marlene Burk.

Sie trug eine cremefarbene Bluse aus schimmerndem Stoff und zeigte viel Dekolleté. Zwischen ihren Brüsten schimmerte es bunt hervor − ein reich verzierter, kreuzförmiger Anhänger, besetzt mit bunten Steinen ...

»Entschuldigen Sie«, sagte ich zu Hannelore Höflich«, können Sie mal kurz den Film anhalten?« »Was wollen Sie denn?«, entgegnete sie griesgrämig, drückte aber gnädig die Stopp-Taste. »Ich will hier nicht bis Übermorgen sitzen!«

Ich betrachtete das Standbild. Tatsächlich: Marlene Burk trug die Kette, die ich auf Melchior Obersts Beweisfotos gesehen hatte! Die ihre Schwester Marianne getragen hatte, als sie starb. Hatten die Schwestern den gleichen Schmuck? Oder hatte sich Marlene das gute Stück für ihren Fernseh-Auftritt ausgeliehen? Bei Schwestern, die sich angeblich sogar den Liebhaber teilten, war das ja nicht weiter verwunderlich ... Einen besonders erlesenen Geschmack schienen beide nicht besessen zu haben. Das Glitzern und Funkeln an Marlenes schlankem, nicht mehr ganz faltenfreien Hals wirkte überladen.

Zur hellen Seidenbluse passte das Schmuckstück immerhin besser als zum hochgeschlossenen China-Kleid.

»Haben Sie genug gesehen?«, ertönte Hannelore Höflichs Stimme unwirsch. Ich nickte, und als Marlene Burk zu sprechen begann, konzentrierte mich genau auf jedes ihrer Worte.

»Ja, wir sind Nachfahren von Überlebenden!«, sagte sie etwas vage in die Kamera, mit der sie keinen Flirt zu haben schien. »Mein Großvater war noch sehr jung, als er auf dem Schiff war. Es wäre schrecklich gewesen, wenn ein so junges Leben zerstört worden wäre. Es waren nicht viele Männer auf dem Schiff. Er hatte ganz einfach Glück! 1904 konnte kaum jemand schwimmen, aber er war sehr sportlich. Nein, ich habe ihn nicht persönlich gekannt ... Bei uns in der Familie wurde nicht oft von der Tragödie gesprochen. Man hatte so viele Freunde verloren! Grandpa wollte danach nicht mehr in dem alten Viertel wohnen. Meine Großeltern wollten vergessen, woanders ganz neu anfangen.«

»Sie spricht von ihren Großeltern«, sagte ich langsam, »aber es war nur ihr Großvater auf dem Schiff!« Und ganz sicher, dachte ich im Stillen, hatte er nicht seine Verlobte dabei. Er war damals noch keine zwanzig Jahre alt gewesen, das hatte ich kürzlich erst in meinen Unterlagen nachgelesen.

»Sonderbar genug, dass er nicht bei der Arbeit war!«, unterbrach Hannelore Höflich meinen Gedankenstrom, »Damals in New York, im deutschen Arbeiterviertel, da hat man in der Regel hart gearbeitet und ist nicht mit Ausflugsschiffen herumgefahren!« Beinahe ahnte ich, welche Partei Hannelore bei der anstehenden Wahl ankreuzen würde.

»Vielleicht hatte er keine Arbeit!«, meinte ich. »Oder er wollte nicht arbeiten. Vielleicht hatte er andere Dinge im Kopf!«

Ich dachte an den jungen Mann im Film, dem die unschuldige Schönheit der beiden jungen Dinger in ihren Festtagskleidern sichtlich gleichgültig gewesen war.

* * * * * * * * * *

Ich gondelte ganz langsam zurück nach Karlsruhe. Ein Dorf reihte sich an das nächste. Wenn es so weiter ging, würden Karlsruhe und Baden-Baden bald eine Stadt sein.

»Konnte man Ihren Film nur im Sendegebiet des Südwestrundfunks sehen?«, hatte ich eine nunmehr friedlicher gestimmte Hannelore Höflich noch gefragt, bevor ich mich zum Gehen gewandt hatte.

»Nein, mit den heutigen Übertragungstechniken kann man natürlich unsere Beiträge in der ganzen Republik empfangen!«, erklärte sie beleidigt. »Wir haben Zuschauerschreiben aus ganz Deutschland bekommen!«

»Kann man die vielleicht mal lesen?«

Sie hatte mich kühl gemustert. »Nein. Das dürfte ich Ihnen aus Datenschutzgründen nicht erlauben. Und sie sind derzeit sowieso bei diesem Kommissar aus Freiburg − ein interessanter Mann!«

Ich brauchte nicht lange zu überlegen, wen sie damit meinte. Ich war ganz offenbar nicht die einzige, die ihn interessant fand. Sehr aufschlussreich war aber auch die Tatsache, dass Melchior Oberst, der doch angeblich nicht an meine Theorie glaubte, offenbar Unterlagen sichtete, die mit dem Slocum-Film zu tun hatten.

»Hat er sie angefordert?«

»Aber ja. Hat er.« Sie schien kein bisschen erstaunt zu sein.

Nach der gediegen-vornehmen Atmosphäre von Brenner's Parkhotel und dem ziemlich unfreundlichen Empfang beim SWR genoss ich die heimelige und vertraute Atmosphäre in meinem Wolfbräu.

Die hübsche georgische Bedienung war eigentlich eine hängen gebliebene Studentin. Leider konnte ich ihren Namen nicht behalten. Sie hatte mir erklärt, es gebe praktisch nur zwei Endungen für Nachnamen in ihrem Land, »-schwili« und »-nadse«. Schwili und Nadse war kein Problem, aber das, was davor kam, konnte ich mir nicht recht merken. Da auch ihr Vorname ziemlich kompliziert klang, nannten sie alle einfach Marija.

»Pizza und grüner Salat«, bestellte ich.

»Kriegst du!«, antwortete sie fröhlich. Sie hatte etwas von einem Kobold an sich. »Wo warst du heute?«

»In Baden-Baden!«

»Oh, feine Leute!«

»Ja, feine Leute.«

»Und reiche Leute. Ich war mal dort, aber ich war nur, wie sagt man, Zuschauerin beim Reichtum.« Marija war ein kluges Mädchen. Im Grunde hatte ich mich genauso gefühlt, aber es hatte mich nicht gestört.

»Und hat dir das etwas ausgemacht?«, fragte ich sie.

Sie dachte mit gerunzelter Stirn nach. Ihre schönen, fremdartigen Augen blitzten. »Ja. Es sind auch Russen da. Reiche Russen, die unser Land ausgeplündert haben und noch immer ausplündern. Das hat mich schon ziemlich wütend gemacht! Ich finde es schwer, dem Reichtum zuzu ...«, sie geriet ein wenig ins Suchen nach Wörtern, »zuzusehen, der unrechtmäßig erworben ist!«

»Marija, die Spaghetti!«, erklang es von der Theke. »Komme!«

Sie hatte Recht. Ich knabberte an meiner Pizza. Dann ging ich nach Hause. Ana und Herbert schauten gemeinsam Fernsehen. Mit aufgerissenen Augen verfolgte Herbert eine Verbrecherjagd in einer Tiefgarage. Ich wusste genau, dass es Ana zu Hause nicht gestattet war, solche Filme zu sehen. »Mann ...«, nölte sie, »wenn es nach Mama ginge, dürfte ich nur ihre doofen Heimatstücke gucken! Ich will doch nicht in ihre Fußspuren treten!«

»Es heißt Fußstapfen. Und so schlecht wäre das nicht. Das Geschäft deiner Mutter läuft gut, und früher haben die Leute immer das gemacht, womit ihre Eltern Geld verdient hatten! Das war so üblich.«

»Echt?«, fragte sie wenig begeistert von ihren eigenen Zukunftsaussichten.

»Ja. Zumindest in Deutschland. Bestimmt noch bis ins letzte Jahrhundert. Ein Bäckersohn ist Bäcker geworden und ein ...«

»Ich hab's schon verstanden. Aber warum?«

»Ganz früher musste man in eine Zunft aufgenommen werden, und das Zunftrecht ging vom Vater auf den Sohn über. Wenn ich mich recht erinnere, konnte es sogar auf die Tochter übertragen werden. Und das im Mittelalter! Und ein ganz neues Gewerbe anzufangen, das kostet Geld. Startkapital nennt man das. Und das hat nicht jeder.«

»Echt?«, fragte sie wieder. Ich gab ihr das Geld und warf sie raus. Herbert sah mich böse an. 

Nachdenklich ging ich in die Küche. Irgendwie hatte ich den Eindruck, ich hätte gerade eben etwas Wichtiges gesagt. Ich lief in jenes Winkelchen, das ich gerne vor mir selbst und anderen als Arbeitszimmer bezeichne, und suchte ein weiteres Mal die Unterlagen der Burk-Familie von damals zusammen.

Hans Lang, der Urgroßvater der Burks, hatte als Beruf bei der Registrierungsbehörde »Zimmermann« angegeben. Carpenter. Unskilled. Ungelernt.

Zimmermann war im New York der damaligen Zeit ein ziemlich dehnbarer Begriff gewesen, denn irgendetwas hatte es auf den zahllosen Baustellen der Stadt immer zu tun gegeben. Genauso gut konnte er nur Steine geschleppt haben.

Carpenter. Charpentier. Marlenes falscher Name für das Hotel in Rust! Wahrscheinlich hatte sie gewusst, dass der Uropa Zimmermann gewesen war − und dass auch ihr Opa ursprünglich diesen Beruf gelernt hatte.

Später hatte Jack Lang eine eigene Autowerkstatt und einen Autoladen eröffnet. Ein hübscher Sprung, sollte man meinen.

Plötzlich fühlte ich mich erschöpft. Und hatte Lust auf mehr als nur ein Glas Rotwein. Doch wenn ich an morgen dachte ... ich wollte ausgeschlafen sein für das Treffen mit Dominik Burk. Ich musste mich darauf konzentrieren, ihm weitere Informationen zu entlocken. Und außerdem wollte ich so gut wie möglich aussehen ...

Im Bett blätterte ich noch in Theos Kochbuch und befriedigte damit zumindest ein fleischliches Bedürfnis. Würste und Sauerkraut! Das hatten die deutschen Siedler kulinarisch gesehen nach Amerika gebracht. Vor allem dort, wo sie sich besonders gern niedergelassen hatten − im Mittleren Westen nämlich − mochte man die kräftige Kost geschätzt haben. Etliche der deutschen Auswanderer waren heute als die »Amish People« bekannt. Sie und die Mennoniten, ausgewandert aus dem Rheintal im 17. Jahrhundert auf der Suche nach Religionsfreiheit, prägten das Bild des gottesfürchtigen, knorrigen Deutschen. Sie lebten heute noch im Mittleren Westen, am Delaware, waren bekanntermaßen sehr fromm und liebten den deutschen Dialekt und die bodenständige Küche. Lustig fand ich das abgedruckte Rezept im Buch, »Schnitz und Knepp«: ein Schinkentopf mit Äpfeln und Klößchen. Wenn ich mir das morgen bestellen würde im feinen Baden-Baden: Schnitz und Knepp!

Die heutigen Amerikaner, so las ich in dem Buch, wussten kaum noch, dass sie uns ihr Roggenbrot, ihr Bier und ihren Streuselkuchen verdankten. Die Deutschen aßen überwiegend Deftiges: Sie schlachteten und machten Käse, formten Knödel und stärkten sich an Eiernudeln. Doch die meisten »Krauts« hatten sich drüben rasch assimiliert. Heute − so das Buch nüchtern − gab es keine traditionelle deutsche Küche mehr in Amerika. Nur die Wurst, die machten die Deutschen einfach immer noch viel besser als die Amis.

Während mir die Augen zufielen, dachte ich daran, dass die Burks gewiss nicht aus dem frommem Holz der Amish People geschnitzt waren. Und wegen der Wurst waren sie bestimmt nicht nach Deutschland zurückgegangen.

Sondern, um auf geerbtem Boden ein Autohaus zu gründen und mit ihrem amerikanischen Geld auf dem Fundament einer bestehenden Firma ihr Imperium zu errichten. Waren sie dafür aus dem gelobten Land nach Deutschland zurückgekehrt?

* * * * * * * * * *

Das Leben lehrt uns verschiedene Lektionen. Eine davon ist, dass viele wunderbare Dinge beim zweiten Mal nicht mehr so wunderbar sind und bei häufiger Wiederholung sogar lästig werden. All jene, die die ersten Wochen mit ihrem neuen Liebhaber nicht aus dem Bett kommen und deren Sexleben dann nach nur drei Monaten im grauen Durchschnittseinerlei versank, wissen, wovon ich rede.

Beim zweiten Mal erschien mir auch Brenner's Parkhotel bei weitem nicht mehr so imposant wie beim ersten Besuch, und der Portier ließ mich ohne Gesichtskontrolle passieren, was mich fast enttäuschte.

»Herr Burk erwartet mich!«, tropfte es deshalb kühl von meinen Lippen, um wenigstens den Saum vom Mantel des Triumphs zu erhaschen.

Dominik Burk sah allerdings noch genauso gut aus wie am Tag zuvor. Er hielt ein Handy in der beschäftigten Managerhand und gab zugleich Anweisungen an seine beiden Angestellten, die neben ihm standen. Anke Abel schrieb mit. Ihr Gesicht war ernst und konzentriert. Sie war wirklich hübsch. An dem Blick, mit dem ihr Kollege Patrick sie ansah, merkte ich, dass auch er es schon gemerkt hatte.

»Frau Mainhardt? Wie schön, dass Sie gekommen sind!« Dominik Burk trat lächelnd auf mich zu und reichte mir eine schlanke lange Hand. Ich sah in seine tiefblauen Augen und spürte plötzlich Phantasien in mir aufsteigen, die garantiert nichts mit diesem Mordfall zu tun hatten. Reiß dich zusammen, Maren, ermahnte ich mich im Stillen, es kann ja wohl nicht sein, dass du dir für den Rest deines Lebens deine Liebhaber aus dem Kreis derer auswählst, die mit einem Mordfall in Verbindung stehen!

»Bitte entschuldigen Sie mich noch einen kleinen Moment. Wir sind gleich soweit. Nehmen Sie doch kurz Platz!«

Ich nahm Platz. Beobachtete ihn, wie er locker scherzte und leichthin delegierte. Die Rolex an seinem gebräunten Arm blitzte.

Matthias würde etwas dafür geben, ihn in seiner Kundenkartei zu haben.