Inhaltsverzeichnis


E-Book 1: Alle Herzen schlagen für Leon Laurin

E-Book 2: Schutzengel Dr. Antonia Kayser

E-Book 3: Er war sich keiner Schuld bewußt

E-Book 4: Zufall? Es war Schicksal!

E-Book 5: Schönheitschirurg Prof. Dr. Murmann

E-Book 6: Jung verheiratet – aber nicht glücklich

E-Book 7: Rettet meine Frau

E-Book 8: Einmal wollte ich mich von dir trennen

E-Book 9: Tapferes kleines Waisenkind

E-Book 10: Nie gebe ich meinen Namen preis


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Dr. Laurin -1-


Alle Herzen schlagen für Leon Laurin


Ein engagierter Arzt und sein Team sind immer für die Patientin da


Roman von Patricia Vandenberg 

 

Dr. Leon Laurin schrieb gerade ein Rezept für eine Patientin aus, als es passierte. Seine Sprechstundenhilfe Karin hatte zufällig am Fenster gestanden, als die Bremsen kreischten und einige Passanten erschrocken aufschrien.

»Eine Frau!« rief sie aufgeregt, »Herr Doktor, sie wäre fast überfahren worden!«

Dr. Laurin überlegte nicht lange, er handelte. Er stürzte hinaus auf die Straße und bahnte sich einen Weg durch die Neugierigen, die ihm bereitwillig Platz machten, als sie seinen weißen Arztkittel bemerkten.

Schreckensbleich stieg der Fahrer des Lieferwagens, der kurz vor der Frau stand, aus.

»Ich habe keine Schuld«, ächzte er. »Sie ist einfach zusammengeklappt!«

Er hatte sie nicht einmal gestreift, dennoch lag sie in einer Blutlache, die sich rasch ausbreitete. Neben ihr stand ein Kind und begann jämmerlich zu weinen.

»Steh doch auf, Mami, steh auf. Du wolltest doch zum Doktor.«

Sie war auf dem Weg zu mir, wußte Dr. Leon Laurin sofort, aber er kannte sie nicht. Die junge Frau war schwanger, wohl schon im sechsten und siebenten Monat, und die Blutlache rührte nicht von einer Verletzung her.

Diese Frau befand sich in höchster Lebensgefahr. Das erkannte der junge, aber schon sehr erfahrene Allgemeinmediziner und Gynäkologe sofort. Es mußte schnellstens gehandelt werden.

Dr. Laurin hörte Karins Stimme hinter sich. »Die Trage«, rief er ihr zu. »Rasch, beeilen Sie sich!«

Und wie sie sich beeilte, die immer so tüchtige Karin. Gleich darauf kamen sie und Ilka Rohde, die Praxishilfe, mit der Trage.

Behutsam wurde die junge Frau darauf gebettet, und dann mit Hilfe einer der Passanten in die Praxis des Arztes getragen.

»Kliniken anrufen«, sagte Dr. Laurin im Befehlston. »Hoffentlich ist ein Operationssaal frei.«

Das Kind, ein etwa vierjähriges Mädchen, begann noch jämmerlicher zu weinen.

»Kann denn niemand das Kind beruhigen?« sagte Dr. Laurin energisch.

Was mit dem Kind geschah, darum konnte er sich augenblicklich nicht kümmern. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Frau, deren Leben an einem hauchdünnen Faden hing. Dazu bedurfte es keiner großen Untersuchung. Blutungen in diesem Stadium der Schwangerschaft bedeuteten immer allerhöchste Gefahr!

Von der Straße her tönte das Martinshorn der Funkstreife, die jemand herbeigerufen hatte. Wenig später erschien ein Polizist in der Praxis, der ein Protokoll aufnehmen wollte.

»Sie haben Nerven!« fauchte ihn Dr. Laurin an. »Wir brauchen einen Operationssaal, nichts weiter. – Karin, was ist los?«

»Alles besetzt«, stöhnte sie verzweifelt. »Dr. Riemann sagt, wir sollen es in der Prof.-Kayser-Klinik versuchen.«

Der Name dieser Privatklinik war Leon Laurin bekannt, aber nur einen Augenblick dachte er, daß es wohl ein seltsamer Zufall wäre, wenn er ausgerechnet dort mit der Patientin landen würde.

»Versuchen Sie es. Ich will dann selbst den Chefarzt sprechen.«

Er tat es, und wenig später stand auch die Ambulanz bereit. Der Krankenwagen raste dem Funkstreifenwagen nach zur Prof.-Kayser-Klinik.

Dr. Leon Laurin schwang sich hinter das Steuer seines Wagens und jagte in halsbrecherischem Tempo die breite Alleestraße entlang.

Der junge Arzt wußte: Ihm stand ein Wettlauf mit dem Tod bevor!


*


»Ein verrücktes Mannsbild«, meinte Antonia Kayser kopfschüttelnd zu ihrem Onkel, als der Sportwagen an ihnen vorbeisauste. »Ein Draufgänger nicht nur bei Frauen.«

Er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Du kennst den Fahrer?«

»Mein ›lieber‹ Kollege, der Allgemeinmediziner und Gynäkologe Dr. Leon Laurin«, erwiderte sie spöttisch.

»Hast du die Sirenen gehört? Vielleicht ist ein Unfall passiert. Es mag sein, daß er es deshalb so eilig hat«, stellte Bert Kayser nachsichtig fest. »Schau, vor eurem Haus muß etwas los gewesen sein. Ich habe was gegen sensationslustige Menschen, Antonia. Ich verziehe mich lieber gleich.«

»Nett, daß du mich hergebracht hast. Danke, Onkel Bert.«

»Bis heute abend ist dein Wagen bestimmt in Ordnung. Ich werde schon dafür sorgen.«

»Ich komme dann noch zu euch. Du bist wirklich der beste Onkel der Welt!«

Dann eilte Antonia auf das Haus zu, in dem sich ihre Praxis befand. Aufgeregt diskutierten die herumstehenden Menschen immer noch. Zwei Polizeibeamte stellten dem Fahrer des Lieferwagens Fragen.

Antonia hielt sich nicht auf. Was geschehen war, würde sie schon noch zeitig genug erfahren. Sie hörte das jammervolle Weinen eines Kindes, das immer wieder rief: »Ich will zu meiner Mami! Was ist mit meiner Mami?«

Die junge Ärztin konnte sich denken, daß das Weinen des Kindes mit dem Unglück in Zusammenhang stehen mußte. Sie eilte in Dr. Laurins Praxis, wo Karin und Ilka Rohde sich vergeblich bemühten, das kleine Mädchen zu beruhigen.

Erleichtert atmete Karin auf, als sie Antonia bemerkte. »Ein Glück, Fräulein Doktor, daß Sie kommen! Das Kind muß einen Schock haben. Dr. Laurin bringt die Mutter zur Klinik – zur Prof.-Kayser-Klinik«, fügte sie leise hinzu. »Ein schlimmer Fall.«

Ilka warf Antonia einen gehässigen Blick zu, als diese behutsam und liebevoll auf das Kind einsprach, das darauf tatsächlich ruhiger wurde.

»Wie heißt du denn?« fragte die Ärztin.

»Sabine«, erwiderte das Kind. »Ich will zu meiner Mami!«

»Ich werde die Kleine mit zu mir hinaufnehmen«, sagte Antonia freundlich. »Es ist Ihnen doch recht? Hat man den Vater schon benachrichtigt?«

»Daran hatte in der Aufregung niemand gedacht. Man wußte nicht einmal den Namen der Patientin. Eine zerknautschte Handtasche hatte sie bei sich gehabt, aber in ihr befand sich nur eine schmale Geldbörse mit einem Zwanzigeuroschein, jedoch keinerlei Ausweispapiere.

»Wie heißt du denn weiter, Sabine?« fragte Antonia Kayser das kleine Mädchen.

»Nur Sabine«, erwiderte es stockend.

»Und wie heißt dein Vati?«

Trotzig schob die Kleine ihre Unterlippe vor. »Papa ist fort. Papa ist böse!« stieß sie hervor.

Guter Gott, auch noch solche Probleme, dachte Antonia.

»Benachrichtigen Sie mich bitte, wenn Dr. Laurin zurück ist«, sagte Antonia Kayser zu Sprechstundenhilfe Karin. »Ich werde mit ihm sprechen müssen.«

Ihr Tonfall verriet, daß sie das sehr gern umgangen hätte, aber in diesem Fall würde es sich nicht mehr vermeiden lassen.


*


Im Operationssaal der Prof.-Kayser-Klinik war alles für den Eingriff vorbereitet. Der Chef der Klinik hatte es persönlich veranlaßt.

Professor Dr. Joachim Kayser – Dr. Antonia Kayser – überlegte Leon Laurin, während er sich wusch. In welchem Verhältnis standen sie zueinander?

Die Schwester brachte den sterilen Kittel, Schürze und Mundschutz und streifte ihm die Handschuhe über.

»Ist die Blutgruppe bereits festgestellt?« fragte Leon Laurin kurz.

Sie nickte. »AB, Rhesusfaktor positiv. Es ist alles zur Transfusion bereit. In solcher Hektik wird bei uns nicht oft gearbeitet.«

Ich bringe die Pläne einer Privatklinik durcheinander, dachte Dr. Laurin ironisch, aber dann war er schon auf dem Weg zu der unbekannten Patientin.

Sie lag bereits auf dem Operationstisch, neben sich ein fahrbares Gestell, an dem zwei Behälter hingen, einer mit Traubenzucker und Kochsalzlösung, der andere mit Blutplasma gefüllt. Beides wurde intravenös injiziert.

Ein junger Arzt, der Anästhesist der Prof.-Kayser-Klinik, kontrollierte laufend den Blutdruck der Patientin. Präzise erteilte er Dr. Laurin Auskunft. »Bei der Einlieferung hatte sie achtzig zu dreißig, jetzt ist der Druck auf neunzig zu sechzig gestiegen.«

»Danke. Es wird wohl eine zweite Transfusion nötig sein.«

»Alles bereit, aber dennoch wohl ein ziemlich hoffnungsloser Fall«, kam die Erwiderung.

Das brauchte Dr. Laurin niemand zu sagen. Ein solch schwerer Fall und dann auf die Hilfe ihm völlig fremder Ärzte angewiesen zu sein, die ihn womöglich als einen lästigen Eindringling betrachteten, war problematisch.

Daß er Dr. Laurin als Eindringling empfand, verriet jedenfalls die Miene Dr. Rudolf Hausners. Der Assistenzarzt Professor Kaysers begrüßte den Arzt mit frostiger Miene. Ihm gefiel es gar nicht, daß ein unbekannter Kollege hier eindrang, und noch mehr ärgerte es ihn, daß er ihm assistieren sollte. Aber das war eine Anordnung des Chefs.

»Die Anamnese?« fragte der Assistenzarzt, während Dr. Laurin mit wachsamen Blick das von der Operationsschwester bereitgelegte Instrumentarium überflog.

Dr. Leon Laurin zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ich sehe die Patientin heute zum ersten Mal. Sie ist auf der Straße zusammengebrochen. Möglicherweise war sie auf dem Weg zu mir, denn es geschah direkt vor meiner Praxis. Diagnose: Blutsturz Anfang des siebenten Monats. Hoffentlich ist sie noch zu retten.«

Dr. Hausner runzelte unwillig die Stirn. Er verübelte es seinem Chef sehr, daß er seine Klinik für einen so aussichtslosen Fall zur Verfügung gestellt hatte.

»Name der Patientin?« fragte er weiter.

»Vorläufig noch unbekannt.« Dr. Laurins Stimme klang ungeduldig. »Es geht um ein Menschenleben, Herr Kollege. Da interessiert mich der Name nicht.«

Dr. Hausner schluckte. Ihm wurde diese Geschichte immer unangenehmer. Eine namenlose Patientin, der man kaum eine Chance geben konnte, ein fremder Arzt, der ausgesprochen gut aussah, und das in der Prof.-Kayser-Klinik! Wie konnte der Chef das nur zulassen? Doch nun gab es kein Zurück mehr!

Der Anästhesist nahm seinen Platz am Kopfende des OP-Tisches ein und machte sich an den Instrumenten zu schaffen. Er regulierte die Sauerstoff- und Narkosemittelzufuhr und kontrollierte noch einmal den Blutdruck.

»Ich werde ihr nur eine leichte Narkose geben, damit der Kreislauf nicht kollabiert«, sagte er ruhig.

Dr. Laurin nickte.

Die OP-Schwester hatte Dr. Hausner inzwischen ein mit Jod gefülltes Gefäß und eine lange Zange mit einem Mulltupfer gereicht. Er tauchte ihn ein und bepinselte damit das Operationsfeld. Der übrige Teil des Körpers wurde durch grüne Tücher abgedeckt.

Das Operationsteam der Prof.-Kayser-Klinik war gut aufeinander eingespielt. Es ging alles sehr rasch, ohne viel Worte. Jeder Handgriff saß.

»Kann ich anfangen?« fragte Dr. Laurin.

Hausner nickte verdrossen. Er hielt diesen Eingriff für vollkommen sinnlos. Für ihn war diese Frau schon abgeschrieben. Ein solches Risiko, das seine Karriere gefährden konnte, wäre er niemals eingegangen.

»Bitte, Herr Kollege«, sagte er spöttisch.

Leon Laurin zog es vor, diesen Ton zu überhören. Er streckte die Hand aus. Die Schwester reichte ihm das Skalpell.

»Ich öffne die Bauchhöhle.«

Er setzte einen langen Schnitt von oben nach unten. Mit großen Haken spreizte Dr. Hausner die Wundränder auseinander. Blut quoll heraus und wurde von der Schwester abgetupft, bis Dr. Laurin die Arterien abgeklemmt hatte.

Er operierte mit nachtwandlerischer Sicherheit, schnell und präzise. Die Bauchhöhle der Patientin war mit Blut gefüllt. Es mußte abgesaugt werden, doch es quoll sofort neues nach.

»Blutdruck sinkt«, meldete der Anästhesist. »Ich gebe mehr Sauerstoff.«

Leon Laurin trat der Schweiß auf die Stirn. »Coramin injizieren, einen Kubikzentimeter, rasch. Ich fürchte, ich muß die Gebärmutter entfernen. Die Blutung kommt nicht zum Stillstand.«

»Uterus-Amputation ohne Einwilligung der Patientin? Sind Sie wahnsinnig?« fragte Dr. Hausner entsetzt. »Das können Sie nicht machen!«

»Kann sie die Einwilligung geben?« fragte Leon Laurin sarkastisch.

»Dann muß der Mann sie geben!« zischte Hausner.

»Schaffen Sie ihn her«, konterte Dr. Laurin.

»Sie werden in Teufels Küche kommen und die Klinik in Verruf bringen.«

»Das können wir später erörtern, jetzt tue ich, was ich für richtig halte.«

Dr. Laurins Stimme klang sehr energisch.

»Aber nicht in der Prof.-Kayser-Klinik«, beharrte Hausner. »Ich dulde es nicht.«

»Sind Sie der Chefarzt?« fragte Dr. Laurin gereizt.

»Ich vertrete ihn. Sie können das Entgegenkommen Professor Kaysers nicht so selbstherrlich und unverantwortlich ausnutzen.«

»Über Selbstherrlichkeit und Unverantwortlichkeit streiten wir nachher«, sagte Leon Laurin ungerührt.

»Sollten wir nicht den Herrn Professor hinzuziehen?« mischte sich nun die Operationsschwester ein, deren langjährige Zugehörigkeit zur Klinik eine eigene Meinung rechtfertigte.

»Wir können keine Zeit mehr verlieren. Ich nehme die Uterus-Amputation auf meine Kappe. Für die Folgen trage ich selbst die Verantwortung. Ich sage das unter Zeugen.«

Dr. Laurins Gesicht war wie eine Maske, als er die Operation zu Ende führte. Er wußte, was für ihn auf dem Spiel stand. Er hatte für eine fremde, namenlose Frau alles riskiert, was er sich mühsam erarbeitet hatte.

Eine halbe Stunde später war alles vorüber. Die radikale Entfernung der Gebärmutter hatte die lebensbedrohende Blutung zum Stillstand gebracht.

Das Kind war tot. Es war schon tot gewesen, bevor man die Operation begonnen hatte. Aber die Patientin lebte. Sie hatte den Eingriff überstanden, und das war zunächst das Wichtigste.

Erschöpft und völlig ausgelaugt verließ Leon Laurin den Operationssaal. Er brauchte jetzt Ruhe, nur Ruhe!

Seine Hände zitterten, als er die Handschuhe abstreifte und in den Behälter warf.


*


Professor Kayser ließ den jungen Arzt zu sich bitten. Er war so entgegenkommend gewesen, ihm vorher eine Ruhepause zu gönnen.

Nun empfing er Leon Laurin im Chefarztzimmer, das recht nüchtern eingerichtet war. Nüchtern wirkte auch der große, schlanke Mann mit dem dichten graumelierten Haar. Sein markantes Gesicht mit dem ausgeprägten Kinn und den klugen tiefliegenden Augen verriet große Willensstärke.

Leon war von dieser imponierenden Erscheinung beeindruckt, ohne sich jedoch eingeschüchtert zu fühlen. Er bedankte sich zunächst für das Entgegenkommen, das ihm in der Klinik zuteil geworden war.

Professor Kayser beobachtete ihn aufmerksam, als Dr. Laurin dann ausführlich über den Verlauf der Operation berichtete.

Seine Miene verdüsterte sich. »Hm – eine Uterus-Amputation ohne Einwilligung der Patientin kann schlimme Folgen haben. Wir haben das bisher noch nicht praktiziert an meiner Klinik. Hoffentlich sind Sie sich über die eventuellen Folgen im klaren, Herr Laurin.«

»Selbstverständlich. Es war jedoch die einzige Möglichkeit, das Leben der Frau zu retten. Das wird wohl jeder bestätigen können, der bei dieser Operation zugegen war.«

»Dr. Hausner wäre ein solches Risiko nicht eingegangen«, bemerkte Professor Kayser, aber sein Tonfall verriet eine gewisse Anerkennung für den jungen Arzt, der seinem prüfenden Blick nicht auswich.

»Daß die Frau überlebt hat, können Sie als Erfolg verbuchen. In meiner langen Praxis ist mir noch kein Fall bekanntgeworden, der positiv verlief.«

»Es würde mich interessieren, welcher Kollege die Frau behandelt hat. Soweit hätte es gar nicht kommen dürfen«, meinte Dr. Laurin.

»Vielleicht gar keiner. Leider kommt es ja immer wieder vor, daß werdende Mütter zu nachlässig sind, um sich regelmäßigen Untersuchungen zu unterziehen.«

Dr. Laurin runzelte die Stirn.

Natürlich passierte das auch heutzutage noch, vor allem auf dem Lande. Doch in diesem besonderen Fall glaubte er nicht daran. Nach seiner Diagnose mußte die Frau schon sehr lange Beschwerden gehabt haben. Da suchte man doch einen Arzt auf!

»Wir werden es erfahren, wenn sie aus der Narkose aufwacht«, meinte er. Wenn sie überhaupt aufwacht, setzte er still für sich hinzu. »Jetzt müssen die Angehörigen benachrichtigt werden. Erlauben Sie bitte, daß ich kurz in meiner Praxis anrufe? Vielleicht hat man den Namen der Patientin mittlerweile doch erfahren.«

»Selbstverständlich. Bedienen Sie sich.« Professor Kayser deutete auf den Apparat.

Während Leon Laurin telefonierte, gab sich Professor Kayser seinen Gedanken hin. Nicht nur der Arzt, sondern auch der Mensch Leon Laurin interessierte ihn. Er hatte schon einiges von ihm gehört, ohne ihn jedoch bisher persönlich zu kennen. Zweifellos sah er blendend aus, viel zu gut für einen tüchtigen Arzt, wie er für sich vermerkte.

Aber er sollte auch außerordentlich fähig sein, und das hatte er in diesem speziellen Fall bewiesen. Uterus-Amputation im siebenten Monat bei einer halbverbluteten Patientin, das war ein harter Brocken für einen Chirurgen und setzte außergewöhnliches Können voraus.


*


Die treue Seele Karin hatte ungeduldig auf Dr. Laurins Anruf gewartet. Sie war beruhigt, daß die Patientin die Operation lebend überstanden hatte, aber ihren Namen hatte sie bisher auch nicht in Erfahrung bringen können, berichtete sie. Das Kind wüßte nur seinen Vornamen. Es sei schon die ganze Zeit bei Fräulein Kayser. Ihr wäre es gelungen, die Kleine zu beruhigen.

Leon gab diese Nachricht an Professor Kayser weiter und beobachtete ihn dabei scharf.

»Nun, meine Tochter versteht es, mit Kindern umzugehen«, erklärte dieser dann. »Sie ist zwar praktische Ärztin, aber der Pädiatrie stark zugewandt. Eltern haben Vertrauen zu ihr, und viele ihrer Patienten sind Kinder. Deshalb hat sie sich auch dagegen entschieden, an meiner Klinik zu arbeiten. – Sie haben Ihre Praxis im selben Haus. Nun, dann kennen Sie Antonia wohl näher?«

Das mußte Leon Laurin zu seinem Bedauern verneinen. Ihn interessierte Antonia Kayser schon vom ersten Sehen an, aber sie war so reserviert, daß er bisher noch keine Gelegenheit gefunden hatte, mehr als einen flüchtigen Gruß mit ihr zu wechseln.

Eine sehr zurückhaltende junge Frau – dazu ein recht schwieriger Vater, der anscheinend mit ihrer Berufswahl nicht einverstanden war, da konnte es schon zu Komplikationen kommen.

»Erstaunlich, daß Ihre Tochter schon ihre Approbation hat«, bemerkte er beiläufig und in der Hoffnung, doch noch etwas mehr über Antonia Kayser zu erfahren. »Sie ist doch noch sehr jung.«

»Ja, das ist sie«, erwiderte Joachim Kayser sehr zurückhaltend und gab ihm zu verstehen, daß er über seine Tochter nicht zu sprechen wünschte. »Sie werden ja heute sicher noch einmal nach der Patientin sehen und mich auf dem laufenden halten«, bemerkte Professor Kayser zum Abschied. »Bis dahin werde ich mich selbst um sie kümmern.«

Dafür bedankte sich Leon besonders. Er fand es großartig, daß dieser bekannte Arzt ihm so entgegenkam, obgleich er ihm doch wahrhaftig Scherereien bereitete.

Aber er fand es auch großartig, daß Antonia Kayser sich nicht von ihrem Vater abhängig gemacht hatte und selbständig war.

Als er noch einen Blick auf die moderne, großzügig angelegte Klinik warf, zollte er ihr dafür doppelten Respekt. Bis zum heutigen Tag hatte er in ihr vor allem ein sehr bezauberndes weibliches Wesen gesehen, jetzt wußte er, daß sie auch Charakter hatte.


*


Das konnte man allerdings sagen. Antonia Kayser hatte nicht nur Charakter, sie hatte auch die Willensstärke ihres Vaters geerbt.

Sie wollte nicht nur die Tochter des Professors sein. Sie wollte anderen und auch sich selbst beweisen, daß sie auf eigenen Füßen stehen konnte.

Die Einrichtung einer eigenen Praxis hatte ihr ihr Onkel, der Unternehmer Bert Kayser, ermöglicht, der seine Nichte über alles liebte, da seine glückliche Ehe kinderlos geblieben war.

Seit zwei Monaten übte Antonia ihre Praxis aus. Die Arbeit hatte sich langsam angelassen, aber damit hatte sie gerechnet. Bei Dr. Borchert, dem Zahnarzt im oberen Stockwerk, war es auch nicht anders. Nur Dr. Laurins Wartezimmer war von Anfang an voll gewesen. Ihm waren seine Patientinnen gefolgt.

Immer wenn sie an Dr. Laurin dachte, wurde es Antonia unbehaglich zumute. Was ging es sie eigentlich an, daß er wenigstens ein halbes Dutzend Freundinnen zu haben schien?

Gar nichts, machte sie sich klar. Sie aber würde sich jedenfalls nicht vor seinen Triumphwagen spannen lassen!

Aber hatte er das eigentlich schon versucht? Nur recht merkwürdig hatte er sie ein paarmal angeschaut – und sonst nichts. Es hatte sie gar nicht zu stören, daß es mal eine schwarzhaarige junge Dame, mal eine Blonde, dann wieder eine mit roten Haaren war, die ihn abholte oder zur Praxis begleitete.

Anfangs hatte sie eben viel zuviel Zeit gehabt, zum Fenster hinauszuschauen. Jetzt war das anders. Jetzt hatte sie sogar schon eine Sprechstundenhilfe.

Mit Steffi hatte sie einen guten Griff getan. Sie war jung, natürlich und meistens gut gelaunt, wenn sie nicht gerade mit ihrem Verlobten Johannes Krach gehabt hatte.

Vor allem aber verstand sie es meisterhaft, mit Kindern umzugehen, was sie auch jetzt bei der kleinen Sabine bewies, die sie betreute, während Antonia ein paar dringende Krankenbesuche machen mußte.

Für Sabine war das Wartezimmer, das Antonia für ihre kleinen Patientinnen eingerichtet hatte, ein Paradies. Verwöhnt war sie gewiß nicht, denn die Spielsachen begeisterten sie so sehr, daß sie eine Zeitlang sogar ihre kranke Mami vergaß. Sie war ein artiges Kind, sorgfältig gekleidet und niedlich mit ihrem blonden Lockenhaar.

Als Antonia die Praxis verließ, spielte sie mit dem Kaufladen, den die junge Ärztin aus ihrem eigenen Besitz mit hierhergebracht hatte. Als Antonia gegen sechs Uhr zurückkam, saß Dr. Laurin in ihrem Wartezimmer, die kleine Sabine auf dem Schoß.

Überrascht schaute Antonia auf dieses Bild. Sie hatte ihm nicht zugetraut, daß er überhaupt mit Kindern umzugehen verstand, aber Sabine schien sich sehr gut mit ihm zu verstehen.

Nun setzte er die Kleine auf einen Hocker und erhob sich mit einer knappen, höflichen Verbeugung.

»Guten Abend, Kollegin«, begrüßte er sie. »Ich habe Ihre Sprechstundenhilfe heimgeschickt, der Verlobte wartete. Hoffentlich war Ihnen das recht.«

»Nett, daß Sie sich der Kleinen angenommen haben«, bemerkte Antonia, sehr bemüht, ihrer Stimme einen unpersönlichen Klang zu geben.

Sein Lächeln war umwerfend. In seinen Augen tanzten kleine goldene Flämmchen. Zu ihrem Ärger fühlte die junge Ärztin, daß ihr die Röte in die Wangen schoß.

»Ich muß mich herzlich bei Ihnen bedanken, daß Sie sich des Kindes angenommen haben«, sagte er.

»Nicht der Rede wert. Es ist doch selbstverständlich. Die Frage ist nur, was mit dem Kind jetzt geschehen soll. Darf ich mich erkundigen, wie die Geschichte ausgegangen ist?«

Sie umschrieb es absichtlich, um das Kind nicht aufmerksam zu machen, aber Sabine widmete sich schon wieder dem Kaufladen.

»Bleibst du mal einen Augenblick allein, kleines Fräulein?« sagte Dr. Laurin zu ihr. »Ich muß etwas Wichtiges mit dem Fräulein Doktor besprechen. Spiel schön. Wir sind gleich wieder da.«

»Kinder hören meistens gerade das, was sie nicht hören sollen«, fuhr er fort, als sie in Antonias Sprechzimmer gegangen waren. »Ein sehr ernster Fall. Ich habe die Frau übrigens in der Prof.-Kayser-Klinik operiert.«

»Ich habe es bereits gehört«, erwiderte sie steif. »Was war es?«

Er erklärte es ihr, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.

»Das haben Sie riskiert?« fragte sie atemlos. »Und mein Vater hat es zugelassen?«

»Ich habe ihn nicht gefragt. Die Verantwortung trage ich allein.«

»Nun, dann werden Sie wohl dort Hausverbot bekommen.«

»Das glaube ich nicht. Professor Kayser erwartet meinen Besuch heute noch einmal. Er kümmert sich auch um die Patientin.«

Sie sah ihn an, als käme er von einem anderen Stern. »Das darf doch nicht wahr sein!« murmelte sie.

»Er hat großes Entgegenkommen gezeigt. Ich bin sehr dankbar. Schließlich bin ich ja für ihn ein gänzlich Fremder.«

»Wie geht es der Patientin?« fragte sie leise.

»Schlecht, ja, ich will mir keine Illusionen machen. Ich muß fürchten, Ihrem Vater einige Schwierigkeiten durch diese Sache zu bereiten, was ich sehr bedauere.«

»Er wird es überleben. Sie haben getan, was Sie konnten. Sie sind Ihrem Gewissen gefolgt, und niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen.«

»Weiß man’s?« meinte er unbestimmt. »Aber ich bedanke mich für Ihre Worte.«

Wieder errötete sie bis unter die Haarwurzeln. Er muß mich für eine richtige dumme Gans halten, dachte sie.

Sie ist bezaubernd, dachte er. Wenn jetzt das Kind nicht wäre, könnte ich unsere Bekanntschaft endlich vertiefen.

»Tja, wenn sich niemand meldet, der zu dem Kind gehört, werde ich es wohl besser mitnehmen.«

»Wohin denn?« fragte Antonia rasch. Etwas zu rasch, denn der quälende Gedanke, daß er verheiratet sein könnte, nahm sie augenblicklich gefangen.

»Zu meiner Tante«, entgegnete er mit seinem bezwingenden Lächeln. »In einem Junggesellenhaushalt wäre Sabine ja schlecht aufgehoben. Außerdem muß ich noch mal in die Klinik, und wer weiß, wie lange das dauert.«

Ich könnte sie eigentlich mit zu Tante Monika nehmen, überlegte Antonia rasch, aber dann verwarf sie die Idee doch wieder. Es könnte bei Dr. Laurin den Anschein erwecken, daß sie sich bei ihm einschmeicheln wollte.

»Meine Tante ist sehr nett und kinderlieb«, erklärte Leon beiläufig.

Dann ging er hinüber ins Wartezimmer. »Na, mein kleines Fräulein, wie ist es? Wirst du mich begleiten?« fragte er die Kleine freundlich.

»Wohin denn?«

»Zu einer netten Tante – oder willst du lieber zu deinem Papi? Kannst du uns sagen, wo ihr wohnt?«

Sie hob ängstlich abwehrend die Hände. »Nicht zu Papa. Er ist böse. Ganz böse war er mit Mami. Ich will lieber zu einer Tante, wenn ich nicht zu Mami darf.«

Leon und Antonia tauschten einen vielsagenden Blick.

»Für heute ist sie gut untergebracht«, sagte Leon. »Morgen werden wir weitersehen. Ich freue mich, daß wir uns nun doch etwas nähergekommen sind, Frau Kollegin.«

Antonias Gesicht verschloß sich.

Selbst die kleine Sabine konnte dem Charme dieses Mannes scheinbar nicht widerstehen, denn vertrauensvoll legte sie ihre kleine Hand in die seine. »Besuchen wir die Tante Doktor morgen wieder?« fragte sie. »Hier ist es nämlich auch schön.«

Antonia spürte ihr Herz schneller schlagen. Es würde künftig wohl nicht mehr möglich sein, Dr. Laurin aus dem Wege zu gehen. Dieser Tag verband sie irgendwie, aber dennoch lehnte sich alles in ihr dagegen auf, sich so von ihm beeindrucken zu lassen.

Von ihrem Fenster aus blickte sie ihnen nach. Sie sah, wie Leon mit dem Kind auf seinen Wagen zuging, wie er die Tür aufschloß und die Kleine ein bißchen ungeschickt, aber behutsam auf den Sitz hob. Es war irgendwie rührend.

Wie nett er sein kann, ging es Antonia durch den Sinn.

Im gleichen Augenblick hielt ein gepflegter Mittelklassewagen neben Dr. Laurins Wagen, und eine hübsche, sehr elegant gekleidete junge Dame stieg aus. Dichtes dunkles Haar fiel ihr bis auf die Schultern.

Sie eilte auf Dr. Laurin zu, sprach auf ihn ein und beugte sich zu dem Kind hinab. Er zuckte die Schultern, sagte etwas und küßte sie auf die Wange

Antonia trat rasch vom Fenster zurück. Wieder ein neues Gesicht! Es gab ihr einen schmerzhaften Stich. Dieser Casanova, dachte sie erbittert. Deshalb will er Sabine bei seiner Tante abgeben. Er hat eine Verabredung, und da ist ihm die Kleine im Wege.

In ihrer eifersüchtigen Regung – aber weit entfernt, sich diese einzugestehen – war sie bereit, nur das Schlechteste von ihm zu denken. Gut und schön, er mochte ein ausgezeichneter und talentierter Arzt sein, als Mann jedoch war er für sie indiskutabel. Und das wollte sie ihm künftig auch sehr deutlich zeigen!


*


Wäre Antonia nicht so schnell vom Fenster zurückgetreten, hätte sie bemerken können, daß Sabine nach einem kurzen Wortwechsel in das rote Auto einstieg.

»Das ist meine Schwester, Sabine«, sprach Leon Laurin begütigend auf das Kind ein. »Sie wird dich zu einer lieben Tante bringen, und ich kann dann schnell zu deiner Mami fahren. Du willst doch, daß sie bald gesund wird, nicht wahr?«

Das wollte Sabine ganz sicher, und die junge Dame war auch so nett, daß sich das Kind gern bereit erklärte, mit ihr zu fahren.

»Sag Tante Teresa schöne Grüße, und ich erkläre ihr später alles, Sandra«, sagte Leon zu seiner Schwester. »Du bist gerade im richtigen Augenblick gekommen. Es ist schon ziemlich spät geworden, und ich möchte mir Professor Kaysers Wohlwollen nicht verscherzen.«

Das Anliegen, das Sandra Brink an ihren Bruder hatte, mußte sie sich für später aufheben. Nun, sie würden sich sicher bei Tante Teresa treffen. Ihr Mann, der vielbeschäftigte Kriminalkommissar, war selten zu Hause.

Dr. Leon Laurin fuhr wieder zur Prof.-Kayser-Klinik. Diesmal nicht so rasant wie am Vormittag. Seine Gedanken kreisten nicht nur um die namenlose Patientin, das Kind und den dramatischen Vorfall, sondern auch um Antonia Kayser und ihren Vater. Das Verhältnis der beiden schien getrübt zu sein.

Professor Kayser erwartete den jungen Arzt bereits. Seine Miene war nicht mehr so düster wie bei ihrer ersten Unterredung.

»Sie haben ein geradezu unverschämtes Glück, Kollege«, sagte er. »Die Patientin ist widerstandsfähiger, als anzunehmen war. Unglaublich, was ein Mensch alles aushalten kann. Sie ist sogar schon kurz zu sich gekommen.«

Ihren Namen wußten sie allerdings noch immer nicht, und so beschloß Leon Laurin, noch einige Zeit an dem Bett der jungen Frau zu wachen.

Währenddessen fuhr Antonia, bewegt von den widersprüchlichsten Empfindungen zu Bert Kayser und seiner Frau Monika, von denen sie schon sehnlichst erwartet wurde.

»Man hält dich anscheinend schon ganz schön in Trab«, stellte Bert Kayser fest und schaute besorgt in ihr abgespanntes Gesicht. »Manchmal mache ich mir Vorwürfe, daß ich deinen Plan so unterstützt habe, Kind.«

»Es läuft recht gut, Onkel Bert.« Antonia lächelte und entnahm ihrer Handtasche einen Scheck. »Die erste Rate! Es stärkt mein Selbstbewußtsein, daß ich sie pünktlich zahlen kann.«

Der Unternehmer Kayser seufzte schwer. »Dein Dickschädel, mein liebes Mädchen, steht dem deines Vaters in nichts nach. Warum kannst du nicht mal ein Geschenk annehmen?«

»Ich will mich auch ohne finanzielle Hilfe durchbeißen, sonst wird Papa niemals einsehen, daß ich erwachsen bin und mein Entschluß, Ärztin zu werden, mehr als eine Laune ist. Ich bin ja so froh, daß jetzt alles gut läuft. Wenn ich Schiffbruch erlitten hätte, hätte sich Papa ins Fäustchen gelacht.«

»So darfst du es nun auch wieder nicht sehen, Kleines«, meinte Bert einlenkend. »Er kann seine Gefühle nur nicht so zeigen. Das konnte er noch nie, aber er hängt an dir, dessen kannst du sicher sein.«

»Dann sollte er auch Verständnis für mich zeigen und vor allem nicht den blödsinnigen Gedanken hegen, daß ich diesen faden Hausner heirate.«

»Da muß ich Antonia beipflichten«, mischte sich Monika ein.

Nachdenklich betrachtete Bert Kayser seine Nichte. War dieser Dr. Hausner der eigentliche Grund, daß sie sich selbständig gemacht hatte? In diesem Punkt konnte er seinen Bruder auch nicht verstehen, aber der Professor hatte sich partout eingeredet, daß aus den beiden einmal ein Paar werden würde, und dabei paßten sie wirklich nicht zusammen!

So hatte jeder von ihnen an diesem Abend reichlich Gelegenheit, seinen Gedanken nachzuhängen. Auch Professor Joachim Kayser, der sich von Gerda, dem guten, treuen Hausgeist, wieder allerlei anhören mußte. Sie konnte sich schon erlauben, ein offenes Wort zu sagen. Sie hatte Antonia von Kindheit an umsorgt und war durchaus nicht damit einverstanden, daß Vater und Tochter sich bereits seit Monaten geflissentlich aus dem Wege gingen.

Wäre Gerda nicht gewesen, hätte Antonia sich schon längst eine eigene Wohnung gesucht, aber das konnte sie der treuen alten Frau nicht antun.


*


Wie Bert Kayser es versprochen hatte, stand Antonias kleines olivgrünes Auto am Abend bereit. Es waren nur die Bremsen nachzustellen gewesen. Der Wagen war ein Geschenk ihres Vaters zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Ein halbes Jahr lag das zurück. Damals war noch alles in Ordnung gewesen zwischen Vater und Tochter. Die Spannungen waren erst aufgetreten, als Antonia ihrem Vater klipp und klar gesagt hatte, daß sie nicht daran dachte, Assistentin bei ihm zu werden, sondern lieber als Ärztin praktizieren wollte.

Als sie nun mit ihrem Wagen vor der elterlichen Villa vorfuhr, kam Gerda schon aus der Tür.

»Die Luft ist rein, Kindchen. Der Chef ist noch mal in die Klinik gefahren.«

Er muß schon sehr an diesem Fall interessiert sein, überlegte Antonia, denn es kam selten vor, daß ihr Vater zu so später Stunde noch in der Klinik war.

»Heute ist er ganz verändert«, berichtete Gerda. »Da hat doch vorhin ein Dr. Laurin angerufen, und gleich ist er gesprungen. Ist das eigentlich der Dr. Laurin, der im selben Haus wie du seine Praxis hat?«

»Ja, es ist dieser Dr. Laurin«, erwiderte Antonia leicht genervt. Wie oft würde sie den Namen heute noch hören müssen?

»Was möchtest du essen, Kindchen?« erkundigte sich Gerda fürsorglich.

»Ich habe schon bei Onkel Bert und Tante Monika gegessen.«

»Aber eine Schokoladenspeise magst du doch noch?«

Antonia konnte es ihr nicht abschlagen, obgleich sie gar keinen Appetit hatte.

Wenn diese namenlose Frau nun doch noch stirbt, ging es ihr immer wieder durch den Sinn, dann bekommt Leon Laurin bestimmt große Schwierigkeiten. Ob sie sich mal in der Klinik erkundigte? Es kostete sie zwar große Überwindung, aber ihre Anteilnahme siegte. Sie aß die Schokoladenspeise, lobte Gerda, wie diese es erwartete, und erklärte dann: »Ich schaue noch mal in die Klinik.«

Das war schon seit Monaten nicht passiert, und Gerda war maßlos erstaunt.

»Es ist ein ganz schwieriger Fall. Er interessiert mich sehr«, erklärte Antonia kurz.

Gerda konnte es nur recht sein, wenn sich das Verhältnis zwischen Vater und Tochter wieder besserte. Sie lebte in ständiger Angst, daß Antonia eines Tages tatsächlich ihre Koffer packen und die Villa verlassen würde.

Als die junge Frau dann wenig später die Klinik betrat, sah Schwester Marie überrascht auf. »Fräulein Doktor. Wie schön, daß Sie sich auch mal wieder sehen lassen! Was macht die Praxis?«

»Ich bin zufrieden. Und wie geht es Dr. Laurins Patientin? Weiß man jetzt schon, wer sie ist? Es interessiert mich des Kindes wegen.«

Schwester Marie zuckte traurig mit den Schultern. »Das Kind konnte nicht gerettet werden«, murmelte sie.

»Ich meine die kleine Sabine, die Tochter der Patientin. Wir haben sie heute betreut.« Aber das konnte Schwester Marie natürlich nicht wissen.

Da kam Professor Kayser. Staunend sah er seine Tochter an. »Du hier, Antonia?«

Eine Verlegenheitspause entstand.

»Wolltest du Dr. Laurin sprechen?« fragte er dann. »Er ist vor einer Viertelstunde gegangen. Aber er kommt später noch einmal wieder.«

»Mich interessiert nur das Befinden der Patientin«, erklärte Antonia zurückhaltend. »Wird es Schwierigkeiten geben?«

Sie traten hinaus in die Nacht.

»Wir werden sie schon durchbringen. Dieser Laurin hat ein Meisterstück vollbracht. Er wird einmal Karriere machen. Solch einen Arzt müßte ich an der Klinik haben.«

Antonia warf ihrem Vater einen spöttischen Blick zu. »Du hast doch deinen ausgezeichneten Dr. Hausner.«

Seine Augenbrauen hoben sich. »Er ist ein guter und zuverlässiger Arzt«, erwiderte er. »Aber Laurin ist ein Genie.«

Das hatte Antonia nicht erwartet. »Du bist doch sonst nicht so enthusiastisch«, meinte sie.

»Das ist kein Enthusiasmus, sondern eine Feststellung. Hast du was gegen ihn?«

»Durchaus nicht. Ich hege keinen Zweifel an seinen ärztlichen Qualitäten, aber mich interessiert vor allem das Schicksal der Frau und ihres Kindes.«

»Wo ist die Kleine untergebracht worden?«

»Soviel ich weiß, bei Dr. Laurins Tante«, erwiderte sie.

»Bei seiner Tante«, wiederholte er mit einer so seltsamen Betonung, daß Antonia aufhorchte.

Dann hatten sie auch schon die Villa Kayser erreicht, sagten sich kurz gute Nacht und verschwanden in ihren Zimmern, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.


*


Antonia traf Dr. Laurin am nächsten Mittag. Sie wollte gerade zum Essen nach Hause fahren, als er aus seiner Praxis kam. 

Er sah blaß und übernächtigt aus. Wahrscheinlich hat er die Nacht noch mit seiner attraktiven Freundin verbummelt, dachte Antonia bei sich und wollte rasch an ihm vorbeigehen.

»Darf ich Sie einen Augenblick aufhalten?« fragte er mit müder, rauher Stimme.

Ein seltsames, rätselhaftes Geschöpf war diese junge Ärztin schon. Gestern hatte er geglaubt, daß sie sich nähergekommen seien, heute stand wieder eine Mauer zwischen ihnen.

Antonia besann sich darauf, daß er wahrscheinlich Anteilnahme am Geschick des Kindes erwartete, und fragte nach Sabine.

»Sie fühlt sich ganz wohl bei Tante Teresa«, erwiderte er mit einem Anflug seines jungenhaften Charmes, der heute aber nicht ganz so bestechend wirkte. »Ihrer Mutter geht es jetzt auch etwas besser. In der Nacht kam sie zu sich, und ich erfuhr endlich ihren Namen.«

»Waren Sie etwa die ganze Nacht in der Klinik?« fragte sie rasch. 

Als er nickte, schämte sie sich, daß sie ihn so ungerecht des Bummels verdächtigt hatte. Sie wurde etwas aufgeschlossener. »Erzählen Sie«, bat sie.

»Wollen Sie nicht zu mir hereinkommen? Dann brauchen wir uns nicht im Treppenhaus zu unterhalten«, murmelte er. »Vielleicht hat meine Sprechstundenhilfe Karin inzwischen auch schon Herrn Schütte erreichen können. Die Frau lebt seit ein paar Monaten von ihrem Mann getrennt, aber das spielt jetzt keine Rolle. Er muß für das Kind sorgen.«

Sie folgte ihm in seine Praxis. Karin hatte das Telefon am Ohr, IIka war nicht zu sehen, was Antonia irgendwie erleichterte. Sie konnte es sich nicht erklären, aber dieses junge Mädchen schien etwas gegen sie zu haben. Und ihr war sie auch nicht sympathisch. Karin dagegen sehr.

»Ist dort die Pharma AG?« fragte Karin und nickte Dr. Laurin dann zu. »Jetzt scheint er endlich da zu sein«, brummelte sie. »Ja, hier Praxis Dr. Laurin. Ich möchte bitte Herrn Peter Schütte sprechen.«

Dann reichte sie Dr. Laurin den Hörer herüber. Er bedeutete Antonia mit einer Handbewegung, daß sie doch Platz nehmen möchte. Karin rückte ihr einen Stuhl zurecht und verließ das Zimmer.

»Hier Dr. Laurin«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Guten Tag, Herr Schütte. Ich habe leider eine traurige Nachricht für Sie. Ihre Frau ist gestern operiert worden. Sie liegt in der Prof.-Kayser-Klinik. Wann kann ich Sie sprechen?«

Antonia konnte ja nicht hören, was der andere sagte, aber sie hatte nicht geglaubt, daß Dr. Laurins Stimme so hart und eisig klingen könnte, als er erwiderte: »Ihre Argumente interessieren mich nicht. Ihre Tochter Sabine ist jetzt allein. Es ist Ihre Pflicht, sich um das Kind zu kümmern. Wenn Sie Unannehmlichkeiten vermeiden wollen, bemühen Sie sich bitte sofort in meine Praxis, sonst zwingen Sie mich zu anderen Maßnahmen.«

Er lauschte noch eine Weile der anderen Stimme, dann sagte er: »Ich erwarte Sie, das ist mein letztes Wort!« Dann knallte er den Hörer auf.

»Unglaublich, daß es solche Männer gibt«, ereiferte er sich. »Es interessiere ihn nicht, sagte er mir. Er lebe von seiner Frau getrennt. Sie hätte es selbst so gewollt. – Gefühle und Anstand sind wohl ein Fremdwort für diesen Kerl! Entschuldigen Sie, daß ich so aggressiv wurde, aber da könnte man ja aus der Haut fahren«, wandte er sich an Antonia.

Sie sah ihn gedankenvoll an. Wieviel Widersprüchliches war in ihm? Gefühle schienen ihm jedenfalls nicht fremd zu sein, das hatte er gestern bei Sabine bewiesen. Ob er auch an alle seine Freundinnen Gefühle verschwendete?

»Mein Gott, diese arme kleine Frau kann einem leid tun. In einer solchen Situation von einem Mann im Stich gelassen zu werden, ist schon mehr als ekelhaft. Nein, man dürfte ihm das Kind gar nicht anvertrauen. Ich werde eine andere Lösung suchen.«

Eine warme Welle der Sympathie durchflutete Antonia. Mochte er noch so viele Frauengeschichten haben, Herz besaß er jedenfalls.

»Werden Sie mich unterrichten, wie das Gespräch mit diesem Herrn Schütte verlaufen ist?« fragte sie.

»Aber gern. Vielleicht darf ich Sie einmal zum Essen einladen, damit wir uns unter angenehmeren Umständen unterhalten können?«

»Wenn es sich einrichten läßt«, stimmte sie gegen ihren Willen zu.

Er blickte tief in ihre schönen, leicht schräg stehenden Augen und hielt ihre Hand etwas länger fest, als nötig gewesen wäre.

»Ich werde es bestimmt einrichten können«, erwiderte er, und seine Stimme klang plötzlich so warm wie nie zuvor.

Rasch entzog ihm Antonia ihre Hand und ging zur Tür. »Auf Wiedersehen, Karin«, rief sie mit heiserer Stimme. »Auf Wiedersehen, Herr Dr. Laurin.«

Leon öffnete ihr die Tür… und wich einen Schritt zurück, denn vor ihm stand eine große, schlanke Blondine.

»Mona!« stieß er überrascht hervor.

»Guten Tag, mein Schatz«, sagte sie, einen boshaften Blick auf Antonia werfend. »Ich hatte gerade in der Nähe zu tun, da wollte ich mal bei dir vorbeischauen. Ich komme doch nicht ungelegen?«

Antonia eilte davon, ohne sich noch einmal umzublicken. Mein Schatz – gellte es in ihren Ohren, und ihr wurde ganz schwindlig. Gestern küßte er eine schwarzhaarige Schönheit, heute titulierte ihn eine Blondine ›mein Schatz‹. Und eben noch hatte er sie angesehen, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt, die ihn interessieren könnte. Was war das nur für ein Mann?

Sie mußte schlucken, und plötzlich brannten ihre Augen von ungeweinten Tränen.


*


»Ich habe keine Zeit, Mona«, sagte Leon Laurin abweisend zu der unerwarteten Besucherin. »Ich erwarte einen dringenden Besuch.«

»Du hattest in den letzten Wochen sehr selten Zeit, Leon, wie ich leider feststellen mußte«, erklärte sie höhnisch. »Wer war denn die niedliche Kleine? Dein neuester Flirt?«

»Das war Fräulein Dr. Kayser«, erwiderte Leon kühl. »Ich habe beruflich mit ihr zu tun. Und wenn jemand nicht flirtet, dann sie.«

»Das tut dir wohl sehr leid.«

Mona Klein kicherte. »Ich kenne dich doch, Leon.«

»Laß bitte diese Anspielungen«, fuhr er sie an. »Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß ich einen ernsthaften Beruf habe und mich nicht an die Leinen legen lasse. Du lebst dein Leben und fühlst dich doch ganz wohl dabei.«

Ihr schöner Mund verzog sich schmollend. »Es gab einmal eine Zeit, in der es anders war, Leon, Darling«, seufzte sie. »Sie liegt noch gar nicht lange zurück.«

Sie schenkte ihm ihr betörendstes Lächeln, aber es ließ ihn kalt, denn unentwegt beschäftigte ihn der Gedanke, was Antonia Kayser darüber dachte, daß Mona ihn mit ›mein Schatz‹ angeredet hatte. Es war bei Mona nichts Besonderes. Sie nannte viele Männer so.

»Du vernachlässigst mich sehr, Leon«, flüsterte sie.

Da machte sich Karin bemerkbar. Sie hatte einen Instinkt dafür, wann sie in Erscheinung treten mußte.

»Sie müssen jetzt etwas essen, Herr Doktor«, erklärte sie kategorisch. »Herr Schütte wird gleich kommen – und nachher geht es dann weiter mit der Sprechstunde.«

»Dieser alte Drachen! Wie du sie nur ertragen kannst.« Monas Augen funkelten. »Kommst du heute abend, Leon? Sag ja, sonst wirst du mich überhaupt nicht los.«

Es klang tatsächlich wie eine Drohung, und so stimmte er zu.

»Wir werden es uns gemütlich machen, Lieber«, meinte sie mit einem vielversprechenden Augenaufschlag.

»Uff«, stöhnte er, als sie endlich verschwunden war. »Wissen Sie ein Rezept, wie man solche Frauen los wird, Karin?«

»Indem man sich gar nicht erst mit ihnen einläßt«, erwiderte sie.

»Recht haben Sie. Schimpfen Sie nur ordentlich mit mir. Den Sturm- und Drangjahren bin ich eigentlich entwachsen.«

»Hoffentlich«, murmelte sie.


*


Leon Laurin hatte sich vorgenommen, Peter Schütte ganz sachlich zu begegnen. Es fiel ihm jedoch schwer, denn das ausdruckslose Gesicht des Mannes verriet nicht die geringste Gefühlsregung, als er von dem tragischen Unglück seiner Frau erfuhr.

»Ich habe das Kind nicht gewollt«, erklärte er kalt. »Ich verdiene nicht soviel, daß ich mir zwei Kinder leisten kann.«

»Nun haben Sie nur ein Kind und werden auch nie mehr ein zweites bekommen«, erwiderte Leon Laurin eisig. »Wenn das also der einzige Grund war, daß Sie Ihre Frau verlassen haben…«

Peter Schütte schwieg und betrachtete den Arzt kühl.

»Ich mußte die Gebärmutter amputieren, um das Leben Ihrer Frau zu retten.«

»Hat sie dazu ihre Einwilligung gegeben?« fragte der andere wachsam.

»Das war nicht möglich. Ihre Frau war bewußtlos und schwebte in Lebensgefahr. Das tut sie übrigens immer noch.«

Peter Schütte überlegte einige Sekunden. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

»Soviel mir bekannt ist, muß die Einwilligung der Frau oder des Mannes vorliegen, wenn solch ein Eingriff gemacht wird«, stellte er fest.

»Wir wußten Ihren Namen nicht. Wir hätten Sie nicht verständigen können. Begreifen Sie nicht, daß es eine lebensbedrohliche Situation war?«

»Das mag schon sein«, erklärte Peter Schütte bedächtig, »aber ich glaube nicht, daß meine Frau einverstanden gewesen wäre. Sie war versessen auf ein zweites Kind. Darum hatten wir ja dauernd Differenzen. Christa wollte nicht einsehen, daß eins genug ist. Ich frage mich nur, ob Sie Ihre Kompetenzen nicht überschritten haben, Herr Doktor!«

Das klang drohend. Dumm war der Mann nicht. Leon zwang sich energisch zur Ruhe.

»Was wollen Sie eigentlich? Wenn Ihre Frau mit dem Leben davonkommt, können wir von Glück sagen. Mir geht es jetzt darum, daß Sie Ihre Vaterpflichten wahrnehmen. Außerdem sollte Ihnen der Zustand Ihrer Frau nicht gleichgültig sein.«

»Oh, er ist mir durchaus nicht gleichgültig«, kam die überraschende Erwiderung. »Selbstverständlich werde ich mich um Christa und das Kind kümmern. Ich könnte mir aber vorstellen, daß es für meine Frau ein entsetzlicher Schock ist, wenn sie erfährt, daß sie nie mehr ein Kind bekommen kann, Herr Dr. Laurin.«

»Ihre Frau wäre nicht mehr am Leben, wenn ich diese Operation nicht gewagt hätte. Begreifen Sie das noch immer nicht?« begehrte Leon Laurin auf.

»Das beurteilen Sie von Ihrem Standpunkt aus, doch ich werde diese Angelegenheit nicht so einfach auf sich beruhen lassen. Das wird mir wohl gestattet sein.«

»Das liegt in Ihrem Ermessen, Herr Schütte«, erklärte Leon knapp. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen.«

Peter Schütte erhob sich. »Ich fahre jetzt in die Klinik. Prof.-Kayser-Klinik, sagten Sie doch?«

»Ganz richtig. Und Ihre Tochter habe ich bei einer Freundin, Frau Leppin, untergebracht. Hier ist die Karte.«

Es ist ungerecht dem Kind gegenüber, sagte sich der junge Arzt nachträglich, aber kalter Zorn gegen diesen Mann hatte ihn gepackt. Irgendwie hatte er sich Luft verschaffen müssen. Sollte dieses arme Kind nun dafür büßen? Wie konnte er Sabine helfen? Noch wußte er es nicht.


*


»Tut mir leid, Herr Schütte, in Herrn Dr. Laurins Abwesenheit möchte ich mit Ihnen über die Vorgänge nicht sprechen«, erklärte Professor Kayser ruhig. »Einen Besuch bei Ihrer Gattin kann ich auch erst gestatten, wenn sie außer Lebensgefahr ist.«

Peter Schütte kniff die Augen zusammen. »Die Ärzte stecken doch alle unter einer Decke«, stieß er wütend hervor. »Jeder deckt den anderen.«

Der Professor richtete sich auf. »Ich verbitte mir diese Anspielungen«, erwiderte er scharf. »Vielleicht fragen Sie sich einmal, was Sie versäumt haben. Es ist Ihnen wohl noch immer nicht klar, daß Ihre Frau jetzt tot wäre, wenn Dr. Laurin nicht operiert hätte! Meine Zeit ist begrenzt. Fragen Sie morgen wieder nach.«

Er hielt es für reine Zeitverschwendung, sich mit diesem Mann zu unterhalten, aber er war sich doch im klaren, daß von ihm Gefahr drohte. Für ihn und für Dr. Laurin!

Dr. Hausner schien diese Ansicht zu teilen, allerdings recht einseitig.

»Dieser Laurin hat uns eine schöne Suppe eingebrockt«, meinte er, als der Chefarzt ihn rufen ließ.

Aus schmalen Augen sah ihn Professor Kayser an. »Ihnen doch wohl nicht«, stellte er fest. »Als Chef der Klinik bin ich verantwortlich, als Operateur Dr. Laurin. Er ist Manns genug, sich selbst zu rechtfertigen. Ich finde es einfach widerwärtig, wenn solch eine Ratte wie Schütte aus dem Bau kriecht.«