Über das Buch:
Die Amisch-Trilogie: Die Geschichte der Katie Lapp, die ihren Weg finden muss, hin- und hergeworfen zwischen liebgewordenen Traditionen in einer Amisch-Gemeinschaft und der unbarmherzigen Wirklichkeit.

Band 3

Aus einer kargen Amisch-Kate in die feudale Villa ihrer Mutter, doch Katie kann das angenehme Leben nicht recht genießen. Immer stärker brennt die Sehnsucht in ihr nach ihrer Amisch-Familie, ihren Freunden und dem Frieden, der im Haus ihrer Zieheltern regierte.

Doch auch die Lieben, die sie zurückließ, können die junge Frau nicht vergessen. Wie zum Beispiel Daniel Fischer, der sich aufmacht, seine erste und einzige Liebe zu finden.

Er ist allerdings nicht der Einzige, der so für sie empfindet ...

Und wieder steht Katie an einem Scheideweg ihres Lebens.

Über die Autorin:
Beverly Lewis wurde im Herzen des Amisch-Landes in Lancaster, Pennsylvania, geboren . Sie hat 3 erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann Dave in Colorado/USA. Ihr Wissen über die Amischen hat sie von ihrer Großmutter, die in einer Mennoniten-Gemeinde alter Ordnung aufwuchs.

7

In Hickory Hollow sehen alle Amischfrauen gleich aus, erinnerte sich Katherine, als sie am zweiten Tag hintereinander eingeschneit waren. Sie saß in der gemütlichen Bibliothek am Feuer und las weiter in Lauras Lieblingsroman. Die Ähnlichkeiten zwischen ihr selbst und Elnora Comstock, einem Mädchen, das Motten fing, um sein Schulgeld bezahlen zu können, fesselten sie. Elnora, eine junge Frau, die in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts in Indiana aufgewachsen war, lebte nach der „Goldenen Regel“, liebte die Natur und wünschte sich nichts sehnlicher, als von ihrer Mutter geliebt zu werden.

Seufzend konnte Katherine das schlichte braune Kleid fast an ihren Knöcheln fühlen, als sie den mitreißenden Bericht von Elnoras erstem Tag an der höheren Schule verfolgte, wie sie von spöttischen und höhnischen Bemerkungen begleitet, das Klassenzimmer betrat. Sie wusste genau, wie sich dieses liebe Mädchen aus „der alten Zeit“ gefühlt haben musste. Katherine hatte das Gleiche erlebt, besonders dann, wenn sie in Central Market oder in Roots – Orte, an denen amische Bauern und andere Händler ihre Waren verkauften – etwas zu besorgen hatte.

Die Leute, vor allem die Touristen, gafften gern. Sie erinnerte sich lebhaft an ihre Abscheu, wenn sie das Objekt von Spott und Hohn war, auch wenn sie nie ein Wort darüber fallen ließ. Alle schlichten Frauen zogen die Aufmerksamkeit der Fremden auf sich – damit, wie sie ihre Haare auf dem Hinterkopf zu strengen Knoten zusammenbanden, durch ihre schmucklose Kleidung, die obligatorische Kopfbedeckung. Dass sie genauso aussah wie jede andere Frau in Hickory Hollow, hatte in ihr ein Gefühl der Leere erzeugt. Aber im Alter von dreizehn Jahren, als ihre beste Freundin anfing, von Tag zu Tag rundlicher und fülliger zu werden, war Katherine immer noch schlank und dünn geblieben. Manchmal hatte sie Maria und die anderen Mädchen in ihrer Schulklasse betrachtet und war dankbar gewesen, dass sie nicht deren Figur hatte. Selbst die Form und Größe ihrer Schatten im Sommer beim Baden war für sie ein Grund zur Freude, denn nur in ihnen konnte sie manchmal ihre eigene Individualität wahrnehmen, wenn auch sehr unvollständig.

* * *

„Puh, ist das kalt draußen!“ Marias Mutter kam ins Haus. Sie hatte eine Ladung Feuerholz auf den Armen.

Montag war Waschtag, und Maria hätte sich beinahe die Finger abgefroren, als sie die Wäsche auf der Veranda aufgehängt hatte. „Ich kann mich an keinen Januar erinnern, der so kalt gewesen ist“, sagte sie und trat an den Ofen, um zu helfen, Holzscheite in das Feuer zu schieben.

„Zu diesem Schluss kommen wir jeden Winter. Aber es ist wirklich so eiskalt, dass man überhaupt nicht mehr richtig warm wird“, sagte Rachel, während sie zur Spüle ging, um sich die Hände zu waschen.

Maria ging wieder an ihre Arbeit und bereitete alles zum Brotbacken und was sonst noch zu tun war, vor. „Nächsten Sonntag wird das Haus voll sein“, bemerkte sie bei dem Gedanken, dass die Familie Stoltzfus dieses Mal an der Reihe wäre, ihr Haus für den Predigtgottesdienst zu öffnen. Bischof Johannes würde mit seinen fünf Kindern kommen und im Wohnzimmer des Hauses stehen, die Heilige Schrift aufschlagen und ganze Kapitel daraus vorlesen.

„Es kommt nicht mehr allzu oft vor, dass wir den Gottesdienst hier bei uns im Haus haben“, fügte Rachel hinzu. „Der Bezirk ist so groß geworden, dass er schon fast aus den Nähten platzt.“

Maria lachte. „Die Nähte verlaufen vom Weaver’s Creek bis zur Bundesstraße hinauf.“

„Ja, es wird nicht mehr lange dauern, bis Prediger Yoder uns auffordern wird, uns zu teilen, schätze ich. Dann wird ein neuer Bezirk entstehen.“

Maria war überrascht, das zu hören. „Ist das dein Ernst? So viele Amisch sind wir?“

Ihre Mutter nickte und ging zur Speisekammer, um Mehl und Zucker zu holen. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Ältestenrat einberufen wird. Dann werden die nötigen Entscheidungen getroffen.“

Maria behielt ihre Gedanken für sich. Wenn sie ehrlich sein wollte, war sie sehr froh, das zu hören. Sie konnte nur hoffen, dass die Amisch irgendwie die Erlaubnis bekämen, wieder mit Katie zu sprechen, falls das gebannte Mädchen nach Hickory Hollow zurückkehren sollte. Aber wenn nicht ... und wenn die Familie Samuel Lapp unter den Familien sein sollte, die in einen anderen Gemeindebezirk eingeteilt wurden, dann könnte es gut sein, dass der Prediger dieser Gruppe – er würde durch das Los gewählt – sich in dieser Frage mit dem neuen Bischof einigen könnte. Natürlich hatte sie die Absicht, selbst mit Bischof Johannes über dieses Thema zu sprechen ... eines Tages. Aber von den Frauen wurde erwartet, dass sie sich nicht in Gemeindeangelegenheiten einmischten. Und schließlich wollte sie die aufkeimende Beziehung zu Johannes Beiler auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Nichts – fast nichts – war es wert zu riskieren, dass Johannes Beiler das Interesse an ihr verlor.

* * *

Katherine legte ein Lesezeichen auf die Seite des Buches, das sie gerade las, klappte es zu und legte es auf den Teetisch vor ihrem Sessel. Sie ging zu dem großen Fenster und schaute hinaus. Der Schnee fiel so schnell und dicht wie aus einer nicht versiegenden Quelle, dass ihr fast schwindelig wurde. Sie lehnte ein Knie auf das niedrige Fenstersims und hielt das Bild, das sich ihr bot, in ihrem Gedächtnis fest: der weite Rasen, die bizarren Bäume im Osten. Dieses Grundstück war einer der schönsten Flecken auf Erden. Wie das alles in ihren Besitz gekommen war, konnte sie kaum begreifen. Aber trotzdem war es so.

Da stand sie nun, in ihrem eigenen gemütlichen Haus, eingeschneit und von meterhohen Regalen mit faszinierenden Büchern, flackernden Kerzen und einem knisternden Feuer umgeben. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie, sah man einmal von den hübschen Möbeln, Teppichen, Vorhängen und Wandbehängen ab, genauso gut in Samuel Lapps Haus in Hickory Hollow stehen und den Nachmittag ohne den Luxus von Strom oder elektrischer Heizung hätte genießen können.

„Was siehst du, wenn du in deine Zukunft schaust?“

Daniel hatte ihr diese Frage gestellt, als sie noch sehr jung gewesen waren, irgendwann im Sommer, als sie beide barfüßig eine staubige Straße entlangliefen und einem ausgerissenen Pony in der glühenden Hitze nachjagten. „Hundstage“ hatten sie die heißesten Wochen im Juli und August immer genannt.

Im folgenden Winter hatte er ihr dieselbe Frage noch einmal gestellt, als sie in der Schulpause draußen spielten. Natürlich hatte sie keine Ahnung gehabt, was er ihr damit wirklich hatte sagen wollen, und sie hatte dabei unbeirrt den Schnee weiter zu einer runden Kugel geformt.

Sie erinnerte sich an die Tage, als wäre es erst gestern gewesen: Der Schnee war um sie herum gefallen und hatte sich in Minutenschnelle immer höher auf den Stufen, die in das Schulhaus mit dem einzigen Klassenzimmer führten, aufgetürmt. Der erste richtige Schneesturm in ihrem Leben!

Sie erinnerte sich an die schweren alten Stiefel, die sie getragen hatte, an den riesigen Schneemann, den sie und Daniel angefangen hatten miteinander zu bauen. Aber sie hatten viel Hilfe von ihren Vettern und amischen Freunden bekommen, bis der Schneemann dastand und sie mit seinen Augen aus Oliven aus einer Pausenbrottüte fröhlich ansah. Der nach oben gebogene Mund hatte aus zerbrochenen Karottenstückchen bestanden, erinnerte sie sich, und der schwarze Filzhut hatte dem jungen Daniel gehört.

Er war ein paar Schritte zurückgetreten, um das dicke Geschöpf zu begutachten, und hatte dann hellauf in die frostige Luft gelacht. Er hatte so sehr gelacht, wie sie ihn noch nie lachen gesehen hatte. Sein Lachen kam aus voller Tiefe, und sein Gesicht war krebsrot angelaufen. Sie hatte angefangen, ihn zu jagen und hatte ihn schließlich angebettelt, er solle sich doch von ihr fangen lassen. Das tat er. Ohne Vorwarnung drehte er sich um und blieb im Schnee stehen.

Sie rannte gegen ihn ... mit voller Wucht und landete an seiner starken Brust, aber nur, weil der Schnee so glatt war, dass sie wirklich nicht bremsen konnte.

Katherine musste lächeln. Sie konnte seine Augen sehen. Sie waren so blau wie Heidelbeeren und glänzten so hell, als habe er sich riesig darüber gefreut, dass sie nicht rechtzeitig stehen bleiben konnte und ihn fast umgerannt hätte, und wahrscheinlich hatte er sich auch gefreut, dass sie deswegen ganz rot angelaufen war.

Sie trat vom Fenster zurück und wünschte sich, diese Jugenderinnerungen würden verblassen. Sie hoffte, sie würden aufhören und die Richtigkeit ihrer Entscheidung, Daniel fortzuschicken, nicht in Frage stellen.

Garrett Smith kam in diesem Augenblick in die Bibliothek und stellte ein rundes Silbertablett auf den niedrigen Tisch neben dem Kamin. „Der Tee ist fertig“, sagte er mit einer Verbeugung. „Selig hat Ihre Lieblingskekse gebacken.“

Sie wusste, was es war, ohne nachzusehen. „Bitte richten Sie Selig meinen herzlichsten Dank aus.“

Garrett blieb stehen und wartete, bis sie ihn entließe. Sie schlenderte zu den vier Sesseln, die um einen breiten ovalen Tisch in der Mitte eines großen Teppichs standen. „Ich habe gerade überlegt“, begann sie. „Könnten Sie ... würden Sie mit mir eine Partie spielen?“

Seine Augen wurden ganz groß. Ein unsicheres Lächeln zog über sein Gesicht. „Miss?“

„Dame“, sagte sie. „Spielen Sie eine Partie Dame mit mir?“

Er nickte und verbeugte sich erneut. „Zu Ihren Diensten, Miss Katherine.“

Sie war des höflichen, formellen Gesprächstones müde und schüttelte den Kopf. „Ich nenne Sie nicht ‚Sir‘, wenn Sie mir versprechen, mich nicht mehr ‚Miss‘ zu nennen. Was halten Sie davon?“

Er nickte. Seine Wangen wurden im Feuerschein ganz rot.

„Und außerdem könnten wir dieses ganze formelle Gerede abstellen. Ich bekomme schon richtig Kopfschmerzen davon ... ganz ehrlich.“

„Wie Sie wünschen“, sagte er, ihren Wunsch vergessend.

„Versuchen Sie es doch einmal mit ‚Gute Idee‘.“ Sie schaute ihn forschend an. Er verzog keine Miene. „Und achten Sie darauf, dass es richtig ‚guut‘ klingt ... ja?“

Er trat von einem Bein auf das andere. Dann nickte er. „Also schön.“

„Also guut“, verbesserte sie ihn.

„Guut“, kam das Echo. Damit goss der junge Mann eine Tasse Tee ein und gab ein paar Tropfen Milch in die Porzellantasse. „Zucker?“

„Immer.“

Ein Tisch wurde herausgeholt und vor dem Feuer aufgestellt, damit die Flammen das Damebrett beleuchteten.

„Sie fangen an“, sagte sie, als sie einander gegenübersaßen.

„Wie Sie wünschen.“

„Nein ... nein.“ Sie drohte ihm im Scherz mit dem Finger.

„Ah, ja. Sehr guut.“

Sie beugte sich vor und schaute ihn aufmerksam an. „Das wird ein richtig gutes Spiel. Nicht wahr?“

„Ja, richtig guut“, sagte er und überraschte sie mit seiner amischen Aussprache.

* * *

Katherine besiegte Garrett bei dem Damespiel – in allen drei Partien. Dann rief sie Rosie. „Haben wir irgendwo im Haus Laternen?“

„In den Garagen vielleicht“, antwortete Rosie. „Möchten Sie gern eine für Ihr Zimmer?“

Sie stand auf und trat an den Kamin. „Ich finde, wir könnten heute Abend doch alle gemeinsam hier zu Abend essen. Aber ohne Laternen wird es ziemlich dunkel sein.“

„Zumindest bräuchten wir noch ein paar Kerzen“, schlug Rosie vor. „Im ganzen Bezirk ist der Strom ausgefallen. Heute Abend haben wir vielleicht überhaupt keinen Strom.“

Katherine winkte beruhigt ab. „Ich denke, darauf können wir uns einstellen.“ Sie drehte den Rücken zum Feuer. „Es könnte richtig lustig werden.“

Rosie legte den Kopf zur Seite. „Vielleicht können Sie uns zeigen, wie wir es genießen können.“

Sie wusste, dass das Hausmädchen auf Katherines Kindheit anspielte – in der ihr alle modernen Annehmlichkeiten gefehlt hatten. „Ich habe eine Idee. Nach dem Abendessen erzählen wir einander Geschichten.“

Rosie schmunzelte vergnügt und ging jemanden suchen, der eine Laterne auftreiben sollte.

„Danke“, rief sie ihrer Freundin und Angestellten nach. Dann flüsterte Katherine leise: „Das wird ein richtig guter Abend werden.“ Sie hoffte es von ganzem Herzen.

Sie würde versuchen, den Abend zu genießen, während sie in der Bibliothek gemeinsam mit ihren neuen Freunden zu Abend essen und sich vor dem knisternden Kamin Geschichten erzählen würden. Trotzdem war es, so sehr sie es auch versuchte, unmöglich, den Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, dass Daniel am Leben war ... dass er die ganze Zeit am Leben gewesen war.

8

Der Postbote setzte vor dem Briefkasten der Familie Stoltzfus seinen kleinen weißen Wagen in eine Schneewehe. Marias Vater lief hinaus, um ihm zu helfen. Maria beobachtete die Situation von ihrem Zimmerfenster aus.

Der Tag hatte mit einer hellen Morgendämmerung und der Hoffnung auf viel Sonnenschein begonnen, aber bald zogen graue Wolken über Hickory Hollow und brachten erneut viel Schnee mit sich.

Maria musste lachen, als sie ihren Vater sah, wie er schob und schnaufte, während der Postbote den Motor des kleinen Lastwagens laut aufheulen ließ und die Räder durchdrehten. Wenn der Mann amisch wäre, könnte er ein Pferd vor einen Schlitten spannen und ungehindert seine Arbeit verrichten und die Post bedenkenlos austragen, genauso wie ihr Papa sie und ihre älteren Brüder früher an den schlimmsten Wintertagen zur Schule gebracht hatte. Natürlich ließen sich diese Engländer von niemandem sagen, wie sie ihre Post verteilen sollten. Sie schüttelte den Kopf und dachte, dass einen Menschen nichts sicherer im Schnee versumpfen ließe als richtig moderne Wagenräder. Ganz gewiss.

Sie setzte sich ans Fenster und versank in Tagträume um ihre nächste Verabredung mit Johannes Beiler. Wann würde er sie einladen, wieder mit ihm irgendwohin zu fahren? Vielleicht würde er sie nach dem Gottesdienst ansprechen und sie zu einem weiteren Ausflug in seiner Familienkutsche einladen. Vielleicht auch schon früher. Sie hoffte es, denn es erschien ihr so ganz und gar richtig, mit dem Bischof zusammen zu sein ... als wäre es göttliche Vorsehung, von der er so oft predigte. Die Zeit mit Johannes Beiler war genau so, wie sie sich das immer ausgemalt hatte – damals, als er noch nicht frei gewesen war und sie nicht von ihm hatte träumen dürfen. Damals, als er mit Katie Lapp verlobt gewesen war.

„Die Post ist da!“, rief Abe Stoltzfus zu ihr die Treppe hinauf. „Es ist ein Brief für dich dabei, Maria.“

Für mich? Sie lief eilig die Treppe hinab. „Von wem ist er?“

„Schwer zu sagen. Sieht nach einem Stempel aus New York aus.“ Er kniff die Augen zusammen, als er den Absender las. „Kennst du jemanden mit Namen Taylor? Eine Mrs Rosie Taylor.“

Sie schüttelte den Kopf. „Noch nie von einer Frau mit diesem Namen gehört.“ Aber sie konnte es trotzdem nicht erwarten, den Brief zu lesen, und eilte in die Küche, wo sie ein scharfes Messer fand und den Umschlag aufschlitzte.

Sie setzte sich neben den Holzofen in den Schaukelstuhl ihres Vaters und begann zu lesen:

Samstag, 17. Januar

Liebe Maria,
obwohl ich Ihnen noch nie begegnet bin, habe ich gehört, dass Sie eine nette und treue Freundin sind, und dass Sie die Natur dieses Briefes gewiss verstehen werden.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass es eine junge Frau gibt, die Sie kennen, zu der Sie aber keinen Kontakt mehr haben dürfen. Ich spreche von Katherine Mayfield, die früher Katie Lapp hieß. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich von Dingen wie dem amischen Kirchenbann keine Ahnung habe. Ich möchte auch nicht neugierig sein. Der Grund, warum ich Ihnen heute schreibe, ist Ihre Freundin Katherine, die Sie nicht in Schwierigkeiten bringen will. Vielmehr sollen Sie wissen, dass sie Sie sehr vermisst und die vielen Male, die Sie in der Vergangenheit freundlich zu ihr waren, nicht vergessen hat. Sie macht sich auch Sorgen um Rebekka Lapp, die Frau, die sie erzogen hat. Sie hofft, dass Sie ihr die Nachricht überbringen können, dass Katherine auch ihre Mutter sehr liebt und vermisst.
Sie käme nicht auf den Gedanken, Ihnen direkt zu schreiben, auch wenn sie sich sehr freuen würde, wenn so etwas erlaubt würde. Katherine ist sich nicht sicher, was diese Art der Korrespondenz betrifft – ob Ihr Bischof diese Weise, mit Ihrer lieben Freundin zu sprechen, erlauben würde oder nicht.
Im Namen von Katherine Mayfield
(ehemals Katie Lapp)
Mrs Rosie Taylor

Maria faltete den Brief zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. Sie hoffte, ihr Vater würde nicht ausgerechnet in diesem Augenblick in die Küche kommen und sehen, dass sie kaum Luft bekam und dass ihre Finger zitterten. Sie drückte den Brief an ihr Herz und hielt ihn fest. Sie wünschte von ganzem Herzen, dass sie dieser einfühlsamen Frau, Mrs Rosie Taylor, die ihr diese Nachricht geschrieben hatte und dabei sowohl auf Katies als auch auf ihre Gefühle Rücksicht genommen hatte, einen Antwortbrief schreiben könnte. Was für eine wunderbar gute Dame das sein musste.

Dann lehnte sie sich in dem Schaukelstuhl zurück und war dankbar, dass die liebe Katie einen so netten Menschen gefunden hatte, auch wenn Rosie mit ziemlicher Sicherheit eine Engländerin war. Maria hätte den ganzen Tag damit verbringen können, über Katie nachzusinnen und sie schrecklich zu vermissen und zu wünschen, sie wäre nie aus Hickory Hollow fortgegangen, aber auf sie wartete Arbeit, die erledigt werden musste. Also ging sie mit ihrer Mutter und Großmutter Ruth – der Mutter ihres Vaters – daran, Vaters Arbeitshosen zu flicken.

Sie saßen um den Küchentisch und erzählten Geschichten. Nach einer Weile begann Maria, Socken zu stopfen, und musste daran denken, wie gern sie das Gleiche eines Tages für Bischof Johannes und für seine Kinder tun würde. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis sie eine echte Liebe für die ganze Familie empfände.

„Abe sagte etwas von einem Brief, der irgendwo in New York abgestempelt wurde“, sagte Großmutter Ruth und blickte von ihrer Näharbeit auf.

Rachel wartete nicht, bis Maria etwas dazu sagte. „Ist das nicht dort, wohin Samuel Lapps Tochter gefahren ist? Ich glaube, Rebekka hat so etwas gesagt.“

Maria wollte vor ihrer Familie kein Geheimnis darum machen. Aber trotzdem wollte sie den Brief niemandem zeigen, denn er war sehr kostbar für sie. „Der Stempel ist aus Canandaigua, einer Stadt irgendwo im Bundesstaat New York“, brachte sie zustande.

„Ja, und wen kennst du da oben?“, wollte Großmutter Ruth sofort wissen.

Warum musste diese Frau nur immer alles so genau wissen! Maria wünschte, sie hätte den Brief geheim halten können, wenigstens für einen oder zwei Tage. Wenn sie dann etwas zu sagen hätte, wäre es allein ihre Idee.

„Maria?“ Jetzt fragte ihre Mutter nach und klang nicht so, als würde sie locker lassen.

„Eine Frau namens Rosie Taylor hat mir geschrieben“, antwortete sie mit einem Seufzen.

„Rosie?“ Großmutter Ruth steckte ihre Nadel in eine Spule mit weißem Zwirn und kratzte sich durch ihre Haube hindurch den Kopf. „Ich kenne keine Rosie in New York. Du, Rachel?“

Maria überlegte, ob sie einfach mit der ganzen Wahrheit herausrücken und alles über Katie erzählen sollte ... und über sich selbst. Denn wenn die Amisch herausfanden, dass Samuel Lapps gebannte Tochter eine Fremde benutzte, noch dazu eine Engländerin, um jemandem aus ihrer Mitte eine Nachricht zukommen zu lassen, dann war vorauszusehen, was für ein Aufhebens darum gemacht würde.

Beide Frauen hielten in ihrer Näharbeit inne und schauten zu ihr herüber.

„Ach, ich kenne auch keine Rosie da oben“, sagte sie schließlich.

„Ja, wenn das so ist ...“ Großmutter Ruth nahm wieder ihre Nadel und den losen Flicken und wandte sich erneut ihrer Arbeit zu.

„Ja, dann ...“ Mama tat das Gleiche.

Maria seufzte leise, um die Sache nicht erneut zu thematisieren. Sie war ehrlich erleichtert, dass die Angelegenheit so abrupt fallen gelassen wurde.

* * *

„Ihnen fällt schlicht und ergreifend die Decke auf den Kopf. Das ist alles“, sagte Rosie. „Das lässt sich leicht beheben.“

Katherine war sich nicht so sicher. „Haben Sie denn heute schon aus dem Fenster geschaut? Es liegt immer noch meterhoher Schnee. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, jetzt schon aus dem Haus zu gehen.“

Rosie schüttelte den Kopf. „Die Straßenräumdienste sind in vollem Einsatz. Schon den ganzen Morgen.“

„Sie meinen also, Theodore könnte sich wieder auf die Straße wagen?“

Rosie setzte ihre Arbeit fort, in dem Wohnzimmer unmittelbar neben Katherines Schlafzimmer Staub zu wischen und aufzuräumen. „Ich habe noch nie einen besseren Chauffeur als Theodore Williams gesehen. Sie können sich glücklich preisen, dass er geblieben ist.“

Diese Bemerkung weckte Katherines Neugier. „Was wollen Sie damit sagen? Dachte er daran, sich zur Ruhe zu setzen?“

„Ja, als Laura so schwer krank wurde und zu befürchten war, dass sie sterben würde, spielte er mit dem Gedanken, seine Berufstätigkeit nach ihrem Tod zu beenden.“

„Wirklich?“

Rosie nickte. „Ja, er dachte daran, aufzuhören und Rochester, dem Juniorchauffeur, die Arbeit zu überlassen, aber Sie wissen ja, was aus ihm geworden ist.“

Katherine ging durch das Zimmer und wünschte, sie wäre diejenige, die sauber machte. Es mutete sie immer noch seltsam an, bezahlte Hilfen im Haus zu haben, die alle Arbeiten verrichteten und Dinge aufräumten, die sie durcheinander gebracht hatte. „Ich vermisse Rochester nicht besonders“, gestand sie. „Aber andererseits kannte ich ihn kaum.“

„Der junge Mann müsste unter anderem einige Lektionen in puncto Etikette lernen“, sagte Rosie und hob eine Vase hoch, um den Sofatisch zu polieren. „Es würde mich nicht überraschen, wenn er sich einen anderen Beruf gesucht hätte, nachdem Mr Bennett ihn entließ.“

„Oh ... warum denn das?“

„Er schien einfach nicht hierher zu passen. Meiner Meinung nach war Rochester nicht dafür geschaffen, Angehörige der gesellschaftlichen Oberschicht zu chauffieren.“

Katherine wurde plötzlich unsicher. „Sie meinen, vornehme Leute wie Dylan und Laura Bennett?“

Rosie hielt mit dem Staubwischen inne. „Oh, meine Güte, nein ... ich wollte damit nicht das sagen, was Sie jetzt denken müssen. Sie gehören natürlich auch dazu. Sie sind eine vornehme junge Dame. Das sehe ich an der Art, wie Sie schöne Dinge genießen können.“

Rosie gab sich die größte Mühe, ihre unbedachte Bemerkung zu überspielen. „Aber ich wurde schlicht erzogen ... amisch“, sagte Katherine. „Ich bin wirklich niemand aus der Oberschicht.“

„Oh, doch, aber natürlich sind Sie das“, beharrte Rosie. „Und Sie werden staunen, wie schnell Ihre antiquierte Lebensweise ... und wahrscheinlich auch Ihr rückständiges Denken anfangen werden, von Ihnen abzufallen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Sie werden schon sehen.“

Je länger ihr Hausmädchen redete, umso weniger war sich Katherine sicher, wie sie sich selbst sehen sollte: englisch oder doch nicht ganz englisch.

Rosie sprach weiter. „Sehen Sie doch nur, wie Ihr Freund – wohlgemerkt ein Künstler – von Ihnen angetan ist. Justin Wirth hat bestimmt Ihre aristokratischen Wurzeln erkannt – den vornehmen Hintergrund Ihrer Mutter.“

Bei dieser ungeschickten Äußerung begann Katherine zu zittern. Sie verdrängte Rosies Bemerkung und hoffte, das Interesse, das Justin hatte, habe mehr mit ihr selbst als mit ihrer vornehmen Herkunft zu tun. Höflich entschuldigte sie sich und begab sich auf die Suche nach Theodore Williams.

Sie fand ihn vor der Haustür, wo er die Stufen hinter dem Haus kehrte. Den schwersten Teil des Schneeräumens – die weißen Massen wegzuschaufeln – hatte er bereits erledigt. „Guten Tag“, rief sie ihm von der breiten Veranda aus zu.

Er zog seinen Hut ab und grinste. „Welch eine nette Abwechslung von dem Sturm.“ Er hielt inne und schaute zum Himmel hinauf.

Sie folgte seinem Blick, atmete die kalte Luft ein und schaute zu den Wolken auf, die an einem immer noch nicht ganz klaren Himmel hingen. Der Höhenzug in der Ferne zeigte sich nur als graublauer Streifen am Horizont.

„Sind die Straßen schon wieder frei?“, fragte sie zögernd.

Er nickte. „Wohin darf ich Sie fahren?“

Sie hatte noch keiner Menschenseele von ihren Plänen erzählt, aber sie konnte es nicht erwarten, eine ehrenamtliche Aufgabe zu finden. „Wie wäre es mit dem Hospiz in der Stadt ... wo Schwester Natalie arbeitet?“, fragte sie.

„Oh, das Canandaigua-Hospiz?“

„Ja, dorthin möchte ich gern fahren.“ Sie war voller Zuversicht und hoffte, die fröhliche Krankenschwester wieder zu sehen, die Laura in der kritischsten Phase ihrer Krankheit persönlich gepflegt hatte.

Theodore stützte sich auf den Besen. „Wann wollen Sie losfahren?“

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie war es immer noch nicht gewohnt, Schmuck zu tragen, und dann auch noch eine richtig vornehme, mit Edelsteinen besetzte Uhr! „In einer Stunde? Ist das zu früh?“

„Absolut nicht. Ich komme mit dem Auto pünktlich um fünfzehn Uhr zum Haupteingang.“

„Danke, Theodore. Ich werde fertig sein.“ Sie drehte sich um, um wieder ins Haus zu gehen. Dabei wäre sie beinahe mit Rosie zusammengestoßen, die vor der Küche, in der Nähe des Butlerbüros, auf sie wartete.

„Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?“, fragte Rosie mit angespannter Miene und besorgtem Blick.

„Worum geht es?“

„Ich fürchte, ich könnte Sie vielleicht beleidigt haben, Katherine. Ich habe überhaupt nicht nachgedacht, als ich über Ihre ... Vergangenheit sprach.“

„Bitte, machen Sie sich darüber keine Gedanken.“ Katherine verstand, was das Hausmädchen versuchte, zwischen ihnen zu bereinigen. Bei genauerem Nachdenken hatte sie fast damit gerechnet, dass Rosie ihre Bemerkungen im Wohnzimmer bereuen würde. „Sie haben mir nichts als Gutes erwiesen, seit ich hier bin. Sie müssen sich bei mir nicht entschuldigen.“

Rosies Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. „Es ist ein Vergnügen, für Sie zu arbeiten, Miss ...“

„Nur Katherine.“

Rosie schaute Katherine in die Augen. „Das gefällt mir so an Ihnen. Sie sind so ein natürlicher Mensch ... überhaupt nicht eingebildet.“

Sie nickte. „Dann bleiben wir dabei, ja?“

Rosie musste schmunzeln. „Ja, gern.“

Ohne weitere Diskussionen entschuldigte sich Katherine wieder und eilte an der Küche vorbei zu dem schmalen Gang zum Hauptgang des Hauses und in ihre Privaträume.

* * *

„In der Innenstadt waren die Straßen gut geräumt und gestreut“, erklärte Theodore, der konzentriert auf dem Fahrersitz saß, während Katherine auf der Rückbank auf der rechten Seite Platz genommen hatte.

Sie beobachtete mehrere Leute, die schwere Mäntel, Hüte oder Schals, Stiefel und Handschuhe trugen. Durch die getönten Scheiben der Limousine betrachtete sie die Passanten genauer, von denen einige an Ampeln warteten, bevor sie die Straße überquerten.

Etliche waren zweifellos unterwegs, um Geld von der Bank zu holen, andere, um auf der Post etwas zu erledigen. Wieder andere waren wohl unterwegs, um frische Luft zu schnappen, nachdem sie zwei ganze Tage lang nicht aus dem Haus hatten gehen können. Reklameleuchten funkelten in Schaufenstern, und sie dachte daran, wie sehr die Engländer ohne Strom leiden würden. Ihre Welt würde bei einer solchen Notlage zweifellos zusammenbrechen. Aber wenn sie ehrlich war, hatte sie den Ausfall der elektrischen Beleuchtung genossen. Das war für sie eine günstige Gelegenheit gewesen, Feuerholz zum Heizen und Kochen in der Mayfield-Villa zu verwenden. Während sie darüber nachdachte, fragte sie sich, was ihre Angestellten wohl davon hielten, wenn sie hin und wieder absichtlich die Lichter ausschalteten und Kerzen und Laternen in der Villa benutzten. Etwas, über das es sich nachzudenken lohnte ...

* * *

Natalie Judahs Miene erhellte sich, als sie Katherine erblickte. „Oh, hallo. Schön, Sie wiederzusehen.“

Sie lächelte die Krankenschwester an. „Es ist auch schön, Sie zu sehen.“

„Sie sehen gut aus“, sagte Natalie und reichte Katherine die Hand.

„Danke.“ Katherine blickte sich in dem Aufenthaltsraum um. Die Wände waren mit üppigen grünen Pflanzen geschmückt, und in der einen Ecke des Raumes flogen in einem Käfig bunte Vögel herum. Welch eine friedliche Umgebung für einen todkranken Patienten. „Ich kann den Frieden in diesem Raum richtig spüren“, sagte sie.

Natalie sah in ihrem hellblauen Pullover und ihrer cremefarbenen Hose so natürlich und entspannt aus, dass Katherine erst jetzt auffiel, dass sie Lauras Krankenschwester noch nie in Straßenkleidung gesehen hatte. Schwester Natalie musste Katherines Blick auf ihre Kleidung bemerkt haben. „Die leitende Schwester und alle Mitarbeiter tragen hier im Hospiz normale Kleidung“, erklärte sie. „Das ist eine unserer Möglichkeiten, leichter einen Bezug zu unseren Patienten herzustellen.“

„Wie viele Patienten haben Sie hier?“

„Wir haben zur Zeit eine Station mit zwölf Betten, könnten aber noch zehn mehr versorgen, wenn wir den Platz dafür hätten.“ Natalie erzählte weiter, dass das Hospiz in der Stadt hohes Ansehen genoss. „Wir sind schon seit vielen Jahren hier, und das Gebäude platzt sprichwörtlich aus allen Nähten.“

Katherine hörte aufmerksam zu, da sie kein Wort der Krankenschwester verpassen wollte. „Haben Sie auch Musik im Hospiz?“, fragte sie und musste an ihre Gitarre denken.

„Wir haben eine tragbare Anlage, die von Zimmer zu Zimmer gerollt werden kann. Einmal in der Woche kommen ein Flöten- und ein Harfenspieler und unterhalten unsere Patienten. Musik ist eine gute Therapie, auch für die Mitarbeiter“, sagte Natalie mit einem Lächeln. „Ja, wir freuen uns über alle ehrenamtlichen Helfer, die musikalisch begabt sind. Soll ich Sie einmal durch das Haus führen?“

„Ja, das würde mich sehr interessieren.“

Obwohl sie nicht danach fragte, eines der Zimmer zu sehen, in denen die Krankenhausbetten und persönlichen Dinge der Patienten untergebracht waren, genoss Katherine die Führung durch die Gemeinschaftsräume. Gemütliche Tische förderten Gespräche und die Gemeinschaft für alle, die dazu noch in der Lage waren. Am meisten faszinierte sie das riesige Aquarium mit den zahlreichen bunten Fischen.

Am Ende des Rundgangs kam sie zu dem Schluss, dass ein solches Hospiz ein guter, friedlicher Ort war, um den letzten Tagen auf dieser Erde entgegenzusehen. Weiter unten auf dem Gang erblickte Katherine überrascht einen kleinen Jungen, der abgezehrt und blass in einem Rollstuhl saß. Er konnte nicht älter als acht oder neun sein, und etwas an ihm erinnerte sie an Levi Beiler, Bischof Johannes’ Sohn in Hickory Hollow. Sie empfand tiefes Mitgefühl für das Kind ... für alle Patienten, und sie würde ihre Zeit und ihre Dienste nur zu gern anbieten.

Am Ende des kurzen Rundgangs fragte sie, ob Natalie Zeit habe, um mit ihr über ein ehrenamtliches Engagement zu sprechen. „Ich wäre sehr interessiert daran.“

„Natürlich. Kommen Sie mit.“ Schwester Natalie ging mit ihr in ein kleines Zimmer, in dem mehrere Schwesternhelferinnen saßen und Kaffee tranken. „Möchten Sie etwas zu trinken?“

„Ein Glas Wasser wäre nicht schlecht.“

Natalie ließ das Wasser erst eine Weile laufen, bevor sie ein sauberes Glas unter den Wasserhahn hielt. „Wie geht es Ihnen, Katherine ... seit Lauras Tod?“

„Es war natürlich nicht leicht, ein Familienmitglied zu verlieren, auch wenn ich meine leibliche Mutter kaum kannte.“ Sie besann sich und nahm Haltung an. „Wie geht es Ihnen?

„Oh, ich habe viel zu tun, wie immer. Ich bin zur Zeit ständig unterwegs.“ Natalie reichte ihr das Glas Wasser. Dann deutete sie auf einen leeren Tisch in der Mitte des Raumes.

Katherine setzte sich und trank einen Schluck. Sie wusste, wie es war, wenn man so viel zu tun hatte ... und abends vollkommen erschöpft von der Arbeit des Tages nur noch müde ins Bett fiel. Sie war damit aufgewachsen, fast genauso müde aufzustehen, wie sie ins Bett gegangen war. Aber diese Tage lagen jetzt weit zurück.

„Ich könnte mir vorstellen, Ihnen bei Ihren jüngeren Patienten zu helfen“, schlug sie vor.

Natalie wirkte sehr erfreut. „Freiwillige Mitarbeiter sind immer willkommen. Wir bieten ein zweiwöchiges Schulungsprogramm an. Außerdem sind ein Gespräch und Bewerbungsunterlagen erforderlich.“

„Ich will alles tun, was nötig ist, um Ihnen zu helfen.“

Natalie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. „Wir sind im Augenblick knapp an Personal. Wir können das Bewerbungsgespräch also gern auch jetzt gleich führen.“

„Danke. Das bedeutet mir wirklich sehr viel.“ Katherine fühlte sich plötzlich unsicher. Sie spürte einen Kloß in ihrer Kehle.

„Geht es Ihnen gut?“ Natalie zog die Augen zusammen und legte ihre Hand auf die von Katherine.

„Ich freue mich darauf, wieder aus dem Haus und unter Menschen zu kommen“, gestand Katherine. „So groß die Villa auch ist, ist sie doch manchmal sehr einengend. Ich weiß nicht, wie ich es richtig beschreiben soll.“

Natalie schien sie zu verstehen. „Ja ... ich glaube, das kann ich mir vorstellen.“

„Ich habe auch daran gedacht, einen Patchwork-Kurs anzubieten. Ich will in der Bibliothek Stepprahmen aufstellen. Kennen Sie vielleicht jemanden, der daran Interesse haben könnte?“

Natalies Augen wurden groß. „Ist das Ihr Ernst? Sie wollen einen Kurs für traditionelle amische Patchworkdecken anbieten?“

„Wir könnten mit dem bekannten Neuner-Patch anfangen und uns dann zu einem meiner Lieblingsmuster vorarbeiten – dem ,Vogel-Muster‘“, erwiderte sie. Ihre eigene Aufregung wuchs, als sie Natalies Gesicht beobachtete.

„Zählen Sie mich gleich zu den Teilnehmern. Wann fangen wir an?“

„Von mir aus sofort. Sobald ich einen Rahmen auftreiben kann oder jemanden finde, der mir einen baut.“

Natalie blies über ihren Kaffee. „Ich weiß von mehreren amischen Siedlungen in und um Canandaigua. Jemand aus unserem Spenderkreis könnte wissen, wer so etwas macht.“

„Wirklich?“

„Ja, unbedingt. Wir haben handgemachte Decken im Hospiz – einige sind von Amischfrauen hergestellt, glaube ich. Sie hängen in den Patientenzimmern an den Wänden.“

Katherine wäre nie auf den Gedanken gekommen, eine Decke an die Wand zu hängen, aber sie konnte verstehen, warum die Engländer auf solche Ideen kamen. „Was für eine nette Dekoration.“

„Aber gewiss. Die Decken sind warm und fröhlich; oft erzählen sie eine Geschichte. Wir haben sogar einige, bei denen die Namen der Schöpferinnen auf den einzelnen Quadraten eingenäht sind ... wirklich hübsch.“

Sie unterhielten sich noch weiter über Katherines Idee, einen Anfängerkurs für Patchwork-Steppen in der Mayfield-Villa anzubieten. Natalies Reaktion war so überraschend positiv, dass Katherine ermutigt wurde zu handeln. Zusammen mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Hospiz würde der Patchworkkurs ihr helfen, die quälenden Gedanken an Daniel zu vertreiben. Was für ein wunderbar guter Plan das war.

Auf der Rückfahrt verlangsamte Theodore die Limousine vor dem Postamt und wartete, bis die Ampel auf Grün umschaltete. Während sie zuschaute, wie die Leute hinein- und herausströmten, um ihre Briefe und Pakete abzugeben, wanderten ihre Gedanken zu dem Brief, den sie und Rosie für Maria verfasst hatten. Sie fragte sich, ob er wohl schon in Hickory Hollow angekommen sei.

Sie konnte nur hoffen, dass ihre Freundin aus dem Brief all die Liebe heraushörte, mit der sie ihn ihr geschickt hatte, und dass der Brief einem Menschen, der ihr so lieb war, keine Probleme bringen würde.