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Nr. 2874

 

Thez

 

Atlan am See der Fauthen – Perry Rhodan kämpft um das Überleben des Solsystems

 

Wim Vandemaan

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1. Die Jenzeitigen Lande: Am See der Fauthen

2. Solsystem: Überleben

3. Die Jenzeitigen Lande: Die Fahrt auf dem Nachen

4. Solsystem: Täuschung

5. Die Jenzeitigen Lande: »Und ES?«

6. Solsystem: Totenuhr

7. Die Jenzeitigen Lande: Die Gesamtheit der Zeiten

8. Solsystem: Dieses eine Mal

9. Die Jenzeitigen Lande: Scherung

10. Solsystem: Wahre Stärke ist anders

Epilog

Leserkontaktseite

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Auf der Erde ist das Jahr 1519 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) angebrochen – womöglich das letzte für die Erde und ihre Sonne. Die »Perforationszone«, ein hyperphysikalisches Phänomen, rast durch die Galaxis auf Sol zu und wird bei ihrem Zusammentreffen das ganze Sonnensystem auslöschen.

Außerdem warten vor dem Kristallschirm, der das Solsystem bislang vor allen Gefahren bewahren konnte, Abertausende Kriegsschiffe der Tiuphoren. Deren schlimmste Waffe sind die Indoktrinatoren, die sich jeder Technologie bemächtigen und sie gegen ihre Erschaffer wenden können.

Während Perry Rhodan den Abwehrkampf des Solsystems gegen die Tiuphoren organisiert, ist der Arkonide Atlan an einem Ort jenseits aller Zeiten: Von den Jenzeitigen Landen aus haben in den vergangenen Jahren die Atopischen Richter die politische Oberhoheit in der Milchstraße beansprucht. Sie pochen auf ihre Kenntnis der Zukunft, die ohne ihr Eintreffen in den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis münden würde. Dass die Bewohner der Milchstraße mit diesem Vorgehen nicht einverstanden sind, scheint sie nicht anzufechten.

Atlan versucht nun mit jener Macht zu sprechen, die das Atopische Tribunal hervorgebracht hat: THEZ ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide reist auf den See der Fauthen.

Julian Tifflor – Der Atope ist in der Gegenwart und in den Jenzeitigen Landen aktiv.

Perry Rhodan – Der Terraner kämpft einen verlorenen Kampf.

Gucky – Der Mausbiber trinkt gerne in Gesellschaft seinen Karottensaft.

Hekéner Sharoun – Der Ferrone wird von Rhodan zu seinem Nachfolger erkoren.

Prolog

 

Die Sonne hat das Leben gebracht, dachte Perry Rhodan, und nun bringt sie den Tod.

Sol stand riesig am Himmel, ein aufgeblähtes Monstrum. Die wenigen Wolken über Terrania leuchteten glutrot, als tastete die Sonne bereits nach ihnen, um sie zu verschlingen.

Das war Einbildung, selbstverständlich – eine optische Täuschung. Aber Sol würde Terra und sämtliche Planeten des Systems trotzdem bald vernichten. Falls die Tiuphoren ihr nicht zuvorkamen.

Rhodan saß an einem Ort, zu dem der Zugang normalerweise verboten war, sogar für ihn. Er fühlte Metall am Rücken – Metall, das sein Leben verändert hatte und das jedes einzelnen Menschen. In dieser primitiven Rakete war er zum Mond geflogen, und alles hatte begonnen: Die Menschheit stieß in den Weltraum vor und traf auf die Arkoniden.

Das STARDUST-Memorial stand auf dem nach einem Angriff wiederhergestellten Marmorfelsen und blieb unbeeindruckt vom Wandel der Zeiten und von allen Gefahren. Dieses Stück Technologie hatte Jahrtausende überdauert. Wer wusste, wie lange noch. Aktuell umgab eine Schicht Securischaum die STARDUST, die die Rakete schützen sollte; so dünn, dass Rhodan sogar das Metall hatte fühlen können.

Perry Rhodan stand auf, drehte sich um und legte die flache Hand auf die Raketenhülle, erwärmt von der Sonne. Die Finger zitterten ein wenig.

Im nahe gelegenen Zoo kreischten Affen. Weil es keine Menschen mehr gab, die sich um sie kümmern konnten, wurden sie von Robotwärtern versorgt; andere Tiere hatte man freigelassen, in der Hoffnung, dass sie auf sich gestellt überlebten. Falls es künftig weiterhin einen Planeten geben würde, der ihnen Heimat bot.

Von seinem erhöhten Standort aus ließ Rhodan den Blick schweifen, in den Gobi-Park ringsum. Er schloss die Augen und glaubte, jene karge Wüste vor sich zu sehen, in der er die STARDUST damals beim Rückflug gelandet hatte. Welch ein Unterschied zu dem nun vor Leben überquellenden Ort namens Terrania.

Es gab allerdings nirgends in der Umgebung mehr intelligentes Leben außer ihm – nur Pflanzen und Tiere. Die Bevölkerung hatte Terrania verlassen, war evakuiert worden ... genau wie jede Stadt, jedes Dorf der Erde und alle anderen Planeten des Solsystems verwaist waren.

Da war nur noch er.

Fast.

Er dachte an das Treffen, das ihm bevorstand, und kaum setzte sich dieser Gedanke in seinem Kopf fest, ließ er sich nicht mehr vertreiben.

Er konnte genauso gut aufbrechen; er hatte sich einen Augenblick für sich selbst gewünscht an diesem Ort, in Frieden, um nachzudenken. Um mit der Vergangenheit abzuschließen.

Ich hatte ein langes Leben, und wenn es heute endet, soll es so sein.

Perry Rhodan warf einen Blick zurück, zur STARDUST. Vielleicht hätte sie gerettet und abtransportiert werden sollen.

Aber warum?, fragte er sich. Sie war nur ein lebloses Stück Technologie. Ein Ding.

Und sie weckte trotzdem lebhafte Erinnerungen.

Erinnerungen, die Rhodan momentan nicht zulassen wollte. Er durfte nicht in der Vergangenheit versinken, die so viel bereithielt. So viel Freude. So viele Emotionen. So viel Wunder. So vieles, das es wert wäre, sich ins Gedächtnis zu rufen.

Der Terraner schloss kurz die Augen und ging los, immer schneller. Bald lief er, rannte, bis die Beine schmerzten; weil er wusste, dass niemand ihn hören konnte, schrie er.

Nicht wegen sich selbst und dem, was ihm bevorstand.

Sondern wegen Terra.

1.

Die Jenzeitigen Lande:

Am See der Fauthen

 

Die Tür der Fahrstuhlkabine hatte sich geöffnet. Das Ziel ihrer Fahrt war erreicht: der Atopische Proximus des Turms.

An diesem äußersten Ort der Finalen Stadt sollte Atlan mit Thez sprechen können.

Die Finale Stadt, deren Abschluss der Turm bildete, war nicht für Menschen erbaut; ihre Fremdheit hatte etwas Belastendes, ja sogar Demütigendes, wie die Felslandschaft eines Hochgebirges Demut auslösen konnte, die Zone jenseits der Baumgrenze, wo nur noch Stein und Eis war und die Luft dünn.

In jungen Jahren hätte Atlan auf eine Zumutung wie die Finale Stadt vielleicht mit Wut und Zorn reagiert, vielleicht sogar mit dem Wunsch, sie zu zerstören und damit aus der Welt zu schaffen.

Aber an diesem Ort, jenseits aller Orte und aller Zeiten, in den Jenzeitigen Landen, erbitterte ihn die Tatsache dieser Stadt nicht. Wenn er tiefer in sich lauschte, spürte er stattdessen Trost. Wie verquer, verrückt, wie empörend auch immer die Verhältnisse in der Finalen Stadt gewesen waren, sie hatte doch Leben geborgen, sie war Bastion und Fanal zugleich.

Selbst in der letzten Einöde jenseits der Raumzeit hatte das Leben sich eine Zuflucht geschaffen, hatte überlebt.

Vor ihnen lag der See der Fauthen. Der See war golden, hingegossen unter einen leeren schwarzen Himmel. Dort stand kein Gestirn; von dort kam kein Licht. Dort war nichts. Atlan hatte das durchaus unangenehme Gefühl, als saugte sich der leere Himmel an seiner Netzhaut fest und wollte sie austrinken. Er wandte den Blick ab und schaute auf den See.

Das Gewässer leuchtete aus sich selbst. Sein leichter Wellengang verwunderte Atlan. Es ging kein Wind. Überhaupt stimmte etwas mit diesen Wellen nicht.

Sie schlagen nicht ans Ufer, erkannte sein Extrasinn. Tatsächlich strichen diese Wogen seitwärts und im Uhrzeigersinn am Ufer entlang.

Dennoch war im Kies, der das Ufer bedeckte, bei jedem Vorübergehen der Wellen ein leichtes Rauschen und steinernes Knirschen zu hören.

Regelmäßig wie Atemzüge, dachte Atlan.

Tifflor strich sich durch das weiße, kurz geschnittene Haar und rückte seine Brille zurecht, ein schlichtes Gestell mit runden Fassungen und leicht getönten Gläsern. Er machte eine einladende Geste. »Wollen wir gehen?«

Atlan nickte, zögerte aber noch. Er warf einen Blick auf Oluphade Vierhand. Der Liftboy ähnelte entfernt einem Menschen; die kupferfarbene Haut und seine beiden aufgeteilten Hände, vor allem aber die Augenhöhlen, in denen ein rußiger Dampf wallte, widerriefen diesen ersten Eindruck.

»Ich wünsche«, sagte der Liftboy mit seiner knabenhaft reinen Stimme, »eine fernerhin gute Reise.«

»Danke«, sagte Atlan. Wieder machte ihn der Akzent nachdenklich, mit dem Vierhand Taukom sprach. Der Tonfall erinnerte Atlan an das Akonische.

Zu seiner Überraschung umarmte Tifflor den Liftboy kurz, aber herzlich. Die insgesamt zwölf Finger Vierhands klopften dem Atopen einen Rhythmus auf die Schultern, wie eine geheime Botschaft.

Bemerke ich da beginnenden Verfolgungswahn? erkundigte sich der Extrasinn mit falscher Fürsorge.

Sie traten hinaus. Die Kabinentür schloss sich hinter ihnen. Oluphade Vierhand blieb zurück.

Langsam gingen Atlan und der Atope Tifflor in Richtung See. Dessen Oberfläche schien trotz der Wellen geradezu beängstigend glatt. Der Arkonide vermied es, in den Himmel zu sehen. Er versuchte die Größe des Sees abzuschätzen, aber ihm fehlten alle Vergleichspunkte. Das Gewässer erstreckte sich nach links, nach rechts, so weit das Auge reichte. Atlan vermochte auch kein gegenüberliegendes Ufer zu entdecken.

Dazu müsste ein solches gegenüberliegende Ufer existieren, sinnierte der Extrasinn.

Dieser See ist ein Meer, dachte Atlan. Das Gegenbild zum Urmeer, von dem uralte Mythen sprechen.

Atlan schaute sich um. Nirgends war ein Gebäude zu sehen. Auch der Aufbau, in den die Fahrstuhlkabine eingefahren sein musste, war verschwunden. Endgültig gestrandet, dachte er. Er prüfte seine Gefühle. Hatte er Angst? Keineswegs. Tatsächlich empfand er sich als geborgen, ohne zu wissen warum. Hatte er denn mit dem Auftritt eines Gegners gerechnet? Mit einem weiteren Bacctou? Hätte der Matan Zugriff auf diesen Ort?

Ich bezweifle es, kommentierte der Extrasinn. Du würdest einen handgreiflichen Kampf diesem leeren Ort vorziehen, nicht wahr?

Atlan nickte unmerklich.

Ohne Feind, ohne Mittel, eine Auseinandersetzung zu erzwingen – das gefällt dir nicht.

Ganz und gar nicht.

So auf dich gestellt zu sein. Wie zermürbend.

Nichts als Warten.

Bemerkst du Narr nicht, dass genau dies dein Kampf ist? Er könnte dich Jahre warten lassen. Jahrtausende. Ist das nicht die schärfste Waffe von allen?

Am Horizont schien sich das flüssige Gold des Sees zu verdichten, auf eine Weise zu intensivieren, die Atlan nicht mit dem Verstand fassen konnte.

Vergeude deine Kraft nicht, deine Konzentrationsfähigkeit, bemerkte der Extrasinn. Dies ist kein Ort für Menschen.

Dennoch bin ich hier, dachte Atlan.

Womöglich.

Etwa nicht? Und wenn du recht hättest: Wo, wenn nicht hier, wäre ich in Wirklichkeit?

In der Wirklichkeit, sagte der Logiksektor.

Atlan unterdrückte ein Lachen.

»Selbstgespräch beendet?«, hörte er Julian Tifflor.

Atlan nickte.

»Wozu hat dir dein Extrasinn geraten?«

»Zu nichts. Er hat kapituliert.«

»Hm«, machte Tifflor. »Kapituliert? Vor wem? Wir sind doch nicht im Gefecht.«

»Das liegt wohl im Auge des Betrachters«, sagte Atlan. »Immerhin bin ich hier, um mit Thez zu verhandeln, seiner transkosmokratischen Unerreichbarkeit. Mit jener Kreatur, die unsägliches Leid über die Milchstraße gebracht hat. Und wohl nicht nur über die Milchstraße.«

»Unsägliches Leid«, wiederholte Tifflor. »Wäre es dir ein Trost zu wissen, dass es viele Universen gibt ohne jedes Leben, also ohne jedes Leid? Welten, in denen Materie entsteht, aber nichts und niemand zusieht, wie die Sterne aufgehen und leuchten und niederbrennen, Billiarden von ihnen, kommentarlos, unbekümmert und ohne einen einzigen Augenblick?«

Atlan schüttelte verärgert den Kopf. »Warum sollte mich das trösten? Als das Atopische Tribunal über die Galaxis kam, ermordete es einige Tausend terranische Raumfahrer. Ich hätte nicht gedacht, dich je auf der Seite der Mörder zu sehen.«

»Sagt ein Schlachtenlenker, der unzählbar oft den Befehl gegeben hat, das Feuer zu eröffnen? Und natürlich immer nur auf Raumschiffe, die ausschließlich zutiefst verbrecherische Individuen an Bord gehabt haben?«

»Das war im Krieg«, verteidigte sich Atlan.

Tifflor seufzte. »Im Krieg, der ja alles rechtfertigt.«

»Das wollen wir anderen Tribunalen überlassen«, sagte Atlan. Er wies über den See. »Was tun wir hier?«

»Wir warten«, sagte Tifflor.

»Eine anspruchsvolle Tätigkeit«, spöttelte Atlan. »Zumal am Ende der Zeit.«

»Es gab eine Zeit«, sagte Tifflor, »da hing das Überleben unserer Art von der Fähigkeit zu warten ab. Warten darauf, dass sich das Mammut endlich in unsere frisch gegrabene Grube bequemte. Dass der Regen kam oder dass er endete. Dass die Äpfel reiften oder das Korn. Diese Epoche ist ziemlich in Vergessenheit geraten, seit die Menschen dem Regen befehlen und dem Wind und dem Korn genetische Anweisungen geben können, wann es gefälligst zu reifen hat. Die Menschen, die mächtigen Herren der Zeit.«

Atlan setzte sich ans Ufer. Flüchtig bemerkte er, dass die Kieselsteine von großer Ebenmäßigkeit waren, weiße, glatt geschliffene Ovale. »Und ich bekomme jetzt eine Lektion, dass wir die Zeit nicht so gut beherrschen, wie wir es in unserem Hochmut wähnen?«

Tifflor setzte sich neben ihn. »Ach was«, sagte er. »Eine Lektion? Wer redet denn davon?« Er umschlang die Knie mit den Armen und sah mit einem Mal sehr jugendlich aus. Long Island kam Atlan in den Sinn. Ein Junge, der am Strand von Long Island sitzt und auf den Atlantik hinausschaut.

An wie vielen Stränden wie vieler Welten hatte dieser Mann gesessen? Wie viele Sonnen hatte er untergehen sehen in wie vielen Meeren?

Plötzlich kam Atlan sich jung vor. Ein Gefühl, das einem Zehntausendjährigen nicht mehr sehr vertraut ist. »Worauf warten wir?«

»Wir warten auf Glossberc. Unseren Fährmann.«

»Der uns wohin bringen wird? Zu Thez?«

»So nahe an Thez heran wie möglich.«

»Da bin ich gespannt.«

Tifflor schaute über den See der Fauthen. »Das solltet du vielleicht nicht sein. In gewisser Weise existiert Thez ja nicht mehr. Er ist verblichen.«

»Was heißt das?«

»Du wirst es erleben.«

Atlan fuhr mit der Hand über die Kiesel. Sie fühlten sich warm an, als hätten sie lange in der Sonne gelegen.

Nur dass an diesem Ort keine Sonne schien.

Atlan nahm einen der Kiesel zwischen Daumen und Zeigefinger: glatt wie eine Perle, aber von einem einheitlichen Weiß, wie gepresstes Sternenlicht.

Die Wärme kommt von innen, meldete sein Logiksektor. Etwas arbeitet in diesem Gebilde.

Atlan streckte die Hand aus und hielt Tifflor sein Fundstück hin. »Was ist das?«

»Oh, das«, sagte Tifflor. Er fuhr mit einem Fuß durch die anderen Kieselsteine, die sich am Ufer des Sees auf einem Streifen häuften, der vielleicht zehn Meter breit war und sich sicherlich endlos nach beiden Seiten erstreckte. »Das sind die Technomorphyten. Die letzten Überlebenden aus der Epoche der geborenen Maschinen, die eine Brücke bildeten von der Ära der Letztlebenden zur Pracht und Herrlichkeit der Polybiogenen Zivilisationen.«

Atlan hob fragend die Augenbrauen, Tifflor zuckte bedauernd die Achseln. »Über beide kann ich dir wenig sagen; sie sind raumzeitliches Sperrgebiet für das Atopische Tribunal.«

Für einen flüchtigen Moment meinte Atlan, einen Ruf aus dem Gebilde zu vernehmen. Hatte er sich getäuscht? Wollte der Technomorphyt aus seiner Hand fort, zurück zu der Masse der Seinen? »Kommunizieren die Technomorphyten miteinander?«

»Oh ja. Sie simulieren ÜBSEF-Konstanten mit paranormalen Mustern, die der T-Klasse ähneln.«

»Heißt das: Sie sind Telepathen?«

Tifflor wiegte den Kopf. »Mehr oder weniger.«

Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine gespannte Freude – wie bei einem Vater, der seinem Sohn ein Weihnachtsgeschenk überreicht, festlich verpackt, und nun darauf wartet, dass die Papierfetzen fliegen und Söhnchen über das neue Spielzeug jauchzt.

»Sehr beeindruckend«, sagte Atlan.

»Denk dir eine Maschine!«, forderte Tifflor ihn auf.

Atlan überlegte kurz – und bemerkte gleich darauf, dass der Technomorphyt sich zwischen seinen Fingern veränderte. Er legte sich das Gebilde in die Handfläche und schaute zu.

Der Technomorphyt stülpte sich da ein, dort aus, wuchs, nahm Gestalt an. Augenblicke später lag auf Atlans Hand eine winzige Lokomotive – eine US-amerikanische Norfolk & Western 1218 mit Schlepptender. Atlan entdeckte den Dampfdom und die Rauchkammer, die Steuerstangen und den Aschkasten, Schleppradsatz und Radsatzlager, Treib- und Kuppelradsätze, das Blattfederpaket, sogar die Dampfpfeife. Langsam kam die zierliche Maschine in Fahrt, arbeitete sich seinen Handballen hinauf.

Atlan roch den Duft von Feuer, Qualm, Öl und heißem Eisen. »Voll funktionstüchtig, wie ich vermute?«

»Sowieso«, sagte Tifflor. »Wenn du ihm etwas Zeit lässt, Umgebungsenergie aufzunehmen und ein paar Moleküle aufzuschnappen, kannst du die Lok auch in Originalgröße haben.«

Atlan dachte konzentriert an eine alte Lightning-Jet, und die Lok verwandelte sich in das getreue, wenn auch miniaturisierte Abbild des Raumjägers, der gleich darauf von Atlans Hand abhob und mit zunehmender Geschwindigkeit über den Strand schoss.

»Schönes Spielzeug«, lobte Atlan. »Welche Grenzen sind ihm gesetzt?«

»Ich wüsste von keiner.«

Atlan streckte die Hand aus; der Raumjäger flog eine weite Kurve, kehrte um landete auf seiner Hand. Atlan lächelte. Dann dachte er den Technomorphyten erneut um. Das Gebilde unterlief eine weitere Metamorphose, nahm an Größe zu, und bald hielt der Arkonide ein vage bumerangförmiges, sorgfältig verziertes Gebilde in der Hand.

»Was ist das?«, fragte Tifflor.

»Eine Radschlosspistole aus dem 16. Jahrhundert. Ein Vorderlader, komplett mit einem Behälter für fünf Patronen, die in diesem Fall aus Pulver und einer in Leder gewickelten Kugel bestehen, nebst dem Schlüssel, den es braucht, um den Radschlossmechanismus aufzuziehen.«

»Klingt kompliziert«, sagte Tifflor.

»Ist es auch«, sagte Atlan. Er lud die Waffe, zog sie auf und feuerte. Der Schuss hallte weit über den See; ein Echo kam nicht zurück. Atlan legte die Waffe auf den Strand ab, wo sie schrumpfte und sich in einen perlenförmigen Technomorphyten zurückverwandelte.

Während er dem Prozess zusah, schob er sich auf der Seite, die Tifflor abgewandt war, beiläufig mit dem Daumen einen anderen Technomorphyten in die Tasche seiner Montur.

»Sind diese Geräte fortgeschrittene Baureihen des Technogeflechtes, wie mein Extrasinn annimmt?«

»Ich würde eher von Nachfahren sprechen«, sagte Tifflor.

»Witzige Maschinchen.«

Tifflor seufzte leise. »Maschinchen? Erinnerst du dich: Wie viele Welten gehörten zum Großen Imperium? 50.000?«

»Mal mehr, mal weniger.«

»In einer Galaxis von etwa 400 Milliarden Sonnen und zwei Billionen Planeten.«

»Wir waren nicht nichts«, sagte Atlan. »Wir haben das Menschenmögliche getan. Du warst Botschafter auf Arkon, Julian.«

»Ich war gerne dort.« Er lächelte Atlan an. »Du hast ja recht. Wir waren nie nichts.« Er wies auf die Masse der Technomorphyten. »Jedes von ihnen ist in sich ein Gebilde, komplexer als das Kristallimperium je war. Jedes ist stark und ergiebig. Wenn es das wollte, überstiege seine Feuerkraft die Feuerkraft aller Schiffe der Arkoniden zu Zeiten des Großen Imperiums um das Milliardenfache. Jedes Einzelne ist so erfüllt von elementaren, komplexen und metakomplexen ÜBSEF-Konstanten, dass im Vergleich damit die Gesamtbevölkerung des Arkonidenreichs wie ein Hauch erscheinen würde. Jedes von ihnen ist viele Millionen Jahre alt. Jedes.« Er wies über den endlos langen Strand mit der unzählbaren Menge der Technomorphyten. »Und es sind ihrer nicht wenige.«

Atlan klatschte ironisch Beifall. »Imponierende Show. Und was tun sie hier?«

»Sie warten«, sagte Tifflor.

»Worauf?«

»Sie warten auf Thez«, sagte Tifflor. »Sie finden ihre Erfüllung darin. Sie sind glücklich.«

»Solange, bis Thez denn kommt«, sagte Atlan.

»Was nie geschehen wird.«

»Und so leben sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage«, schloss Atlan spöttisch. Er schüttelte langsam den Kopf. »Julian, was ist das für eine Welt? Wie kannst du hier leben wollen?«

Tifflor sah über den See der Fauthen hinaus. Unverhofft hingen unter dem leeren Himmel nun dunkle, blaugraue Kumulonimbus-Wolken, Millionen Tonnen schwer; ein jähes Geflecht von grellen Blitzen erhellte die Wolkenfront. Regenschleier stürzten aus dem Gewölk, aber kein Tropfen erreichte den See. Von den unerklärlichen Wellen abgesehen, blieb dessen Oberfläche spiegelglatt. Schon war das Gewitter vorüber; Nebelspiele zogen aufwärts, als ragte dort ein unsichtbares Gebirge auf, dessen Felsenflanke die Schwaden hinauftrieben.

Dann war alles vorbei. Der Himmel war wieder von einer blinden Leere.

Atlan seufzte. Ein Wetter im Wimpernschlag. Würde Tifflor ihm gleich erzählen, dass auch die Wolken keine Wolken gewesen waren, sondern spätes Leben, späteste Zivilisation, Runen aus Rauch? Gingen in dieser Welt Geister um, weil sie ein Fluchtpunkt von Zivilisationen war, die Gespenster erschaffen konnten?

Tifflor stand auf und sagte: »Als ich zum ersten Mal am See gewesen bin, habe ich sie auch nicht sehen können.«

»Wen?«

»Die Fauthen«, sagte Tifflor und wies über den See. »Allmählich sollten sie dir klarer werden.«

Auch Atlan erhob sich und starrte den See an. Tifflor hatte recht: Dort waren die Fauthen. Wie auf Lotosblüten gepflanzt, trieben sie auf dem goldenen Wasserspiegel. Manche drehten sich langsam; manche hatten den Kopf in den Nacken gelegt und schauten in das leere Firmament; andere tauchten das Gesicht in die goldene Flüssigkeit. Einzelne Beine, Füße ragten aus dem See, bewegten sich, als spazierten sie über den Himmel; einzelne Arme reckten sich, Hände schöpften von dem flüssigen Gold und speisten vorübertreibende Münder.

»Wann sind sie angekommen?«, fragte Atlan.

Tifflor lachte leise. »Sie sind immerzu hier. Die Fauthen sind die Erscheinungsform der Vögte in den Jenzeitigen Landen. Sie sammeln sich immer schon auf dem See. Wir sollten fragen: Wann bist du angekommen?«

Atlan beschirmte die Augen mit der Hand. »Wie viele sind es?«

»Niemand kann sie zählen. Nicht einmal die Tolocesten könnten es. Manche sind einig in der Zeit, andere spiegeln sich, andere sind bloßer Vorschein. Du weißt schon.«

»Wie sollte ich nicht?«, spottete Atlan. »Woraus besteht dieser See eigentlich? Diese Flüssigkeit ist doch wohl kein Wasser, nicht wahr?«

Tifflor tippte Atlan kurz an die Schulter, dorthin, wo der Zellaktivator implantiert lag. »Stell dir vor, dass du einen Tropfen davon in dir trägst.«

»Der See besteht aus Vitalenergie?«

»Aus Vitalenergie in einem besonderen Aggregatzustand. Vitalliquor.«

Atlan nickte. Die vielen Informationen halfen ihm nicht, im Gegenteil: Er drohte, sich in ihnen zu verlieren. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. »Wann kommt dieser Glossberc?«

»Er ist unterwegs«, sagte Tifflor. »Mit seinem Nachen.«

»Ernsthaft? Wie seinerzeit Charon, im Schifferkittel und mit einem Fährmannsstab?«

Tifflor nickte ernsthaft. »Genau so. Dir zu Ehren.«

»Bevor er kommt und mich in diese letztmögliche Nähe zu deinem Dienstherren bringt, sag mir bitte, Julian, was ich über Thez noch wissen muss.«

Tifflor trat näher ans Ufer, ging in die Hocke und tauchte eine Hand in die Flüssigkeit. Mit der anderen winkte er Atlan heran.

 

*

 

Während Atlan neben Tifflor stand und in den See schaute, entdeckte er darin eine Szene von holographischer Genauigkeit. Er sah eine fremdartige Landschaft, felsig und zerklüftet; da war ein Teich oder Tümpel. Die Oberfläche warf mal kleinere, mal größere Blasen. Das steinige Ufer war gesäumt von dürren Bäumen oder Büschen, die schlauchähnliche, tiefviolette Blätter in die Flüssigkeit tunkten. Nie gesehene Tiere ästen von den Gewächsen. Knapp über dem Land stand eine untergehende, düsterrote Sonne, die merkwürdigerweise an ihrem unteren Pol tropfenförmig verlängert schien.

Eine blutige Laterne, kam es Atlan in den Sinn. In der Flüssigkeit, die den Tümpel ausmachte, spiegelte sich ein Mond wie eine Scheibe aus beschlagenem Kupfer.

Am Ufer entdeckte er ein Lebewesen, grau und wuchtig wie die unbehauenen Felsen der Umgebung, der Schädel eine unförmige Masse; das Geschöpf stand auf einem stämmigen Bein; zwei weitere Beine, dünn und sehnig, hielt es angewinkelt. Knapp oberhalb einer Hüfte wuchsen ihm knochige Arme, deren einer in einer siebenfingrigen Hand endete. Zwischen den sieben Fingern der anderen Hand hingen feine Netze aus Horn. Die andere Hand wies drei Finger auf, daumendick und kräftig.

Sein Auge,