Band 11 - Die Katakomben von Luna

 

 

Söhne der Erde

von S. U. Wiemer

ISBN: 9783832852009

© 2013 by readersplanet


 

Inhalt

I      4

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

 

I

Ein schimmernder Pfeil in der Leere des Alls...

Zweitausend Jahre nach ihrem letzten Flug raste die »Terra« wieder durch die abgründige Schwärze zwischen den Sternen. Licht glomm in der Pilotenkanzel, deren Sichtschirme sich der Unendlichkeit öffneten. Schwaches Licht von der Instrumentenbeleuchtung, das auf die schlanke, muskulöse Gestalt des Piloten fiel, die nackte Haut seines Oberkörpers wie Bronze glänzen ließ und in glitzernden Reflexen über den Griff des Schwertes an seinem Gürtel tanzte.

Charru von Mornags Blick verlor sich sekundenlang in der grenzenlosen Weite.

Der Mars lag hinter ihnen: eine rötliche Kugel, von seinen Monden wie von zwei Perlen umkreist. Einen endlosen, verzweifelten Kampf hatten sie hinter sich gelassen, drohende Sklaverei, eine Welt voll mörderischer Waffen, die im Namen von Vernunft und Ordnung vernichteten - und vor ihnen die Erde.

Die Erde, die ihre Heimat war.

Der fremde, zerstörte Planet, von dem die Wissenschaftler des Mars ihre Vorfahren entführt hatten, um sie zu studieren. Mehr als hundert Menschen in einem uralten Schiff waren unterwegs, um den Weg zurück zu finden. Barbaren eines längst versunkenen Zeitalters, entflohen aus einer grausamen Spielzeugwelt, einem Menschenzoo. Und doch war es ihnen gelungen, mit der »Terra« den Mars zu verlassen und aufzubrechen zu den Sternen...

Mit einem tiefen Atemzug warf Charru das schulterlange schwarze Haar zurück.

Die taumelnde Erleichterung nach dem Start, die Erschöpfung der ersten Stunden - das alles hatte ihn vergessen lassen, wie lang der Weg noch war. Lang und voller Gefahren. Der blaue Planet, den ein erdumspannender Atomkrieg zum Zentrum einer kosmischen Katastrophe gemacht hatte, trug wieder Leben, aber andere Arten von Leben, als die letzten Terraner sie kannten. Und der Mars, dessen erbarmungslosem Machtanspruch sie entronnen waren, beherrschte mit seiner Raumflotte das Sonnensystem, konnte Schiffe aufbieten, die der alten »Terra« weit überlegen waren.

Charru fuhr zusammen, als vor ihm auf dem Kontrollpult das rote Signal des Kommunikators flackerte. Mechanisch drückte er die Sensortaste. Einer der Monitore wurde hell, und auf dem Schirm erschien das Gesicht seines Blutsbruders Camelo von Landre.

Camelo, der Sänger. Der Mann, der in jener versunkenen Welt unter dem Mondstein Panflöten geschnitzt und Balladen zu den Klängen seiner kleinen Grasharfe gesungen hatte. Jetzt wirkte das Gesicht unter dem langen, welligen Haar blass und hart, und in seiner dunklen, melodischen Stimme schwang ein rauer Unterton.

»Beryl hat im Kontrolldeck ein paar fliegende Objekte auf dem Schirm«, meldete er. Und nach einer Pause: »Fremde Raumschiffe, glaubt er.«

Marsianische Schiffe, dachte Charru bitter.

Kampfschiffe der Vereinigten Planeten, dieses perfekten, übermächtigen Staatswesens, das niemanden entkommen ließ, der sich der Diktatur seiner unmenschlichen Logik nicht beugte. Charrus Magenmuskeln zogen sich zusammen. Er drehte sich halb auf dem Sitz und schaltete den großen Bildschirm ein, der auch hier in der Kanzel sichtbar machte, was hinter der »Terra« vorging. Noch erfasste nur das Bordradar die unbekannten Objekte. Vielleicht waren es gar keine Schiffe. Vielleicht...

Sinnlos, darüber zu grübeln.

Charrus Stimme klirrte: »Lass den Gefechtsstand besetzen, Camelo! Je zwei Mann an die Energiewerfer! Wir sind nicht wehrlos.«

Waren sie das wirklich nicht?

Auf dem Mars hatten sie es geschafft, mit den Energiewerfern eine anrückende Armee in Schach zu halten - aber was besagte das schon? Die Kampfschiffe der Vereinigten Planeten mussten der uralten »Terra« einfach überlegen sein. Charru biss die Zähne so hart zusammen, dass seine Kiefermuskeln schmerzten. Hundert Menschen... Männer, Frauen und Kinder, die auf dem Mars die Hölle erlebt hatten... Menschen, die nichts weiter wollten, als irgendwo in Frieden und Freiheit zu leben...

Surrend glitt die Kanzeltür auf.

Charru nickte den Männern zu, die den Raum betraten. Gerinth, der weißhaarige Älteste der Tieflandstämme. Camelo von Landre; Karstein, der bärtige Nordmann, Gillon von Tareth und der drahtige, hellhaarige Beryl von Schun. Lara Nord kam als letzte: eine schlanke Gestalt in kurzer hellgrüner Tunika, mit blondem, helmartig geschnittenem Haar und Zügen, deren klare, eigenwillige Schönheit für die Augen der Terraner fremdartig wirkte. Sie war Bürgerin der Vereinigten Planeten, Tochter des Generalgouverneurs der Venus; sie hatte sich dafür entschieden, an Charrus Seite das Leben der Barbaren zu teilen. Hinter ihr lag die umfassende Ausbildung, die ihr Staat seiner zukünftigen Führungsschicht angedeihen ließ. Sie war Ärztin, aber sie verfügte auch auf anderen Gebieten über umfassendes Wissen. Mehr Wissen, als es sich die Terraner in der kurzen Zeit hatten aneignen können, in der sie fast ständig um ihr nacktes Überleben kämpfen mussten.

Lara wurde bleich bis in die Lippen, als sie die drei kleinen Punkte auf dem Schirm erkannte.

Charru hatte ihr nur einen kurzen Blick zugeworfen und starrte ebenfalls auf die beweglichen Flecken. Sie kamen rasch näher, wurden zu Umrissen, winzigen, schimmernden Dreiecken, deren Spitzen auf die »Terra« zielten. Wie funkelndes Spielzeug wirkten sie aus der Ferne. Spielzeug, das hundertfachen Tod mit sich trug.

»Robot-Jäger«, sagte Lara tonlos.

Charrus Kopf ruckte herum. »Und was heißt das?«

»Unbemannte Kampfschiffe.« Lara schluckte krampfhaft. »Sie sind für den Fall eines Angriffs irgendeiner fremden Rasse aus dem All entwickelt worden. Dafür konstruiert, feindliche Raumschiffe zu zerstören. Schiffe mit viel stärkeren Waffen als unsere Energiewerfer.«

Stille folgte ihren Worten. Eine jähe, lastende Stille.

Das Gespenst der Vernichtung, dem sie so oft nur um Haaresbreite entronnen waren, hatte sie eingeholt.

 

*

Schwarze Schatten lagen über der zerklüfteten Kraterlandschaft von Luna.

Irgendwo summten und dröhnten Maschinen. Bohrtürme ragten wie ein dunkles Filigran in den Sternenhimmel, sehr fern schimmerte die Lichtglocke über Lunaport wie eine weiße Nebelbank.

Der Mann, der sich in den Schatten eines Felsblocks duckte, atmete tief die kalte, dünne Luft ein.

Er durfte sich hier nicht aufhalten, und er wusste, was ihn erwartete, wenn er sich erwischen ließ. Das Frösteln zwischen seinen Schulterblättern rührte nicht nur von der Kälte her. Vorsichtig richtete er sich auf, betrachtete dabei sekundenlang die düstere blaue Kugel, um die seine Welt kreiste. Sein Blick wanderte weiter, bis er jenen anderen, ungleich ferneren Punkt am Himmel fand: winzig, kalt funkelnd und unerreichbar. Dort oben, Millionen Kilometer entfernt, gab es blühende Gärten, grüne Hügel und Wälder. Der Mann biss die Zähne zusammen und schüttelte die Erinnerung ab. Er wusste, dass er die Venus nie wieder aus der Nähe sehen würde.

Rasch glitt er weiter, hielt sich im Schutz einer niedrigen Kraterwand und bemühte sich, den schwarzen Staub so wenig wie möglich aufzuwirbeln. Ein paar Minuten später blieb er stehen und lauschte. Von den Steinbrüchen klangen metallische Geräusche und ein periodisches Zischen herüber. Robotbohrer, die mit Laserstrahlen Sprenglöcher in die Felsen brannten und die Vorarbeit für die Menschen leisteten, die mit Muskelkraft auskommen mussten. Ein lächerlicher Anachronismus, aber notwendig aus der Sicht der Bewacher. In den Händen der Häftlinge, die hier Zwangsarbeit leisteten, hätten sich Werkzeuge wie Bohr-Laser unweigerlich in Waffen, technische Hilfsmittel in die Herausforderung zur Sabotage verwandelt.

»Mark?« flüsterte eine fast unhörbare Stimme.

Mark Nord richtete sich auf. Vor ihm schälte sich eine hochgewachsene Gestalt aus der Dunkelheit. Der Mann trug die hellgraue Uniform des Hilfspersonals. Er hatte eine dunkle Decke wie ein Cape umgehängt, um sich nicht zu verraten.

»Hier, Ragart! Ronnie lässt grüßen.«

»Geht's ihm besser?«

»Er schafft es schon. Hast du die Dinger loseisen können?«

»Du bist verrückt, Mark. Wenn sie dich schnappen, kommst du nie mehr aus der Psycho-Zelle heraus, dann...«

»Hast du die Dinger?«

»Ja doch. Das war nicht schwer. Wer interessiert sich schon für leere Konzentratwürfel-Packungen?«

Niemand - außer er bastelt Bomben, dachte Mark sarkastisch.

Die leeren Konzentratwürfel-Packungen bestanden aus festem, brauchbarem Plastik-Material. Und Mark Nord und seine Freunde bastelten seit langem Bomben, auch wenn sie den Sprengstoff nur grammweise abzweigen konnten. Ragarts Hilfe verdankten sie der Tatsache, dass sein Schwager eine lebenslange Strafe auf Luna verbüßte. Er war krank. Krankheit bei einem Lebenslänglichen hieß normalerweise Liquidation. Mark und seine Freunde hatten es bis jetzt geschafft, den Mann zu schützen, seine Arbeit mit zu übernehmen und die Wachen über seinen Zustand zu täuschen. Sie hätten es so oder so getan. Aber das konnte Ragart nicht wissen.

»Ich muss euch die Dinger einzeln in den Schacht werfen«, murmelte er. »Verdammt, ich hab' keine Zeit mehr...«

»Irgendwelche Neuigkeiten?«

»Nächstes Mal! Seid vorsichtig!«

Rasch wandte Ragart sich ab.

Mark tauchte wieder in den Schatten der Kraterwand und schlich den Weg zurück, den er gekommen war. Noch einmal suchten seine Augen die Venus am Himmel. Merkur konnte man nicht sehen, und das war gut so. Die Erinnerung an diesen wilden, höllischen, herrlichen Planeten brannte immer noch wie Feuer.

Keuchend rollte Mark Nord den Stein beiseite, der das geheime Schlupfloch im Boden verbarg.

An der Unterseite des Brockens war ein Metallring mit einem Seil befestigt. Mark hangelte sich nach unten, dabei zerrte sein Gewicht den schrägliegenden Block wieder über die Öffnung. Eine Frage der Statik, keine Schwierigkeit für einen Mann, der an der Universität von Kadnos eine umfassende wissenschaftlich-technische Ausbildung erhalten hatte. Nur die Zahlen für die entsprechenden Berechnungen hatte er nicht in einen Computer einspeisen können, sondern mit dem Fingernagel in den allgegenwärtigen schwarzen Staub geritzt.

Die Handlampe, die er einschaltete, bestand aus zweckentfremdeten Gebrauchsgegenständen, von deren vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten sich die marsianischen Wachen nichts träumen ließen.

Der stillgelegte Stollen zog sich endlos hin. Mark ging schnell, machte in regelmäßigen Abständen einen Schritt über die Metallträger des abmontierten Förderbandes. Auch diese Träger, dachte er, würden sie vielleicht eines Tages gebrauchen können. Und wenn auch nur, um damit zuzuschlagen.

Eines Tages...

Die Hoffnung von Jahren schwang in diesem Gedanken mit. Hoffnung, die in einem Augenblick erwacht war, als fünfzehn Jahre Luna selbst die zähen Merkur-Siedler fast zerbrochen hatten. Damals war es ihnen durch Zufall gelungen, ein Schlupfloch aus dem unterirdischen Kerker zu finden. Damals hatten sie anfangen können zu handeln und zu planen...

Mark Nord blieb in der höhlenartigen Erweiterung des Stollens stehen, die durch einen Sprengunfall entstanden war.

Bei dem Unglück war auch einer der Belüftungsschächte zerstört worden. Da der Stollen stillgelegt werden sollte, hatte man ihn nicht repariert - und den Verbindungsschacht in dem Zellentrakt vergessen. Mark erinnerte sich deutlich an die lebensgefährlichen Aufräumungsarbeiten, bei denen ihnen jeden Moment im wahrsten Sinne des Wortes die Decke auf den Kopf zu fallen drohte. Und er erinnerte sich, dass er sehr viele Zahlen und Formeln in den Staub gekritzelt hatte, bis er wusste, dass ein bestimmtes Loch in der Wand in die Freiheit - die relative Freiheit - führte.

Rasch verbarg er die Lampe unter ein paar Steinen und schob sich wie eine Schlange in die schwarze, viereckige Öffnung.

Licht sickerte durch das Gitter der Abdeckung. Mark lauschte sekundenlang, dann schob er die Finger in das Drahtgeflecht und drückte die Platte nach innen. Sekunden später sprang er auf den glatten grauen Baustoff-Boden, befestigte das Gitter wieder und beeilte sich, die schmale Belüftungsnische zu verlassen.

Die unterirdische Anlage bestand aus schachbrettartigen Gängen in einem Dutzend Ebenen, trostlosen Zellen, ebenso trostlosen Versorgungszentren, Wachtrakten und Straftrakten. Außerhalb des Straftraktes waren nicht einmal die Türen verschlossen. Es gab keinen Weg nach draußen, den die Wachen nicht hundertprozentig kontrollieren konnten. Die mit Schockstrahlern bewaffneten Streifen hatten nichts zu befürchten. Das Schlimmste, was sich gelegentlich an Zwischenfällen ergab, war die Notwendigkeit, einen Tobsüchtigen zu betäuben, den die Hölle der Strafkolonie um den Verstand gebracht hatte.

Mark Nord hastete durch das Netz der Flure.

Später wusste er nicht mehr, ob seine Aufmerksamkeit für ein paar Sekunden nachgelassen oder ob er einfach Pech gehabt hatte. Die Schritte der Wachpatrouille hörte er erst, als sie um die Ecke bog. Und da traf schon die harte, befehlende Stimme seinen Rücken.

»Halt! Stehenbleiben!«

Mark blieb stehen.

Es lief auf das gleiche hinaus, ob er auf eigenen Beinen in den Straftrakt marschierte oder bewusstlos hinübergeschleppt wurde. Gegen die Betäubungs-Schocker gab es keine Abwehr. Man würde ihn in einer der gefürchteten Psycho-Zellen anschnallen, ihm ein Halluzinogen injizieren und ihn auf einen Horror-Trip schicken - zwei Stunden oder zwei Tage, je nach Laune.

Eine Faust zerrte Mark herum, der Lichtfinger der Speziallampe leuchtete auf seinen Unterarm und machte die ID-Nummer sichtbar. Das Gesicht des Wachmannes blieb unbewegt.

»Was haben Sie außerhalb der Kommunikations-Zeit hier draußen zu suchen?« fragte er.

Mark schluckte die Antwort, die er gern gegeben hätte. Er wollte nicht mehr Zeit und Kraft verlieren als nötig - nicht jetzt.

»Langeweile«, sagte er vage.

Der Wachmann verzog die Lippen.

»Vorwärts«, befahl er grob. »Die Langeweile werden wir dir in der Psycho-Zelle schon austreiben.«

 

*

Unaufhaltsam rasten die Robot-Jäger durch den Raum: drei lautlose, silbrige Schatten, jeder beladen mit seiner Fracht tödlicher Raketen, die ihr Ziel aus sicherer Entfernung finden konnten.

Hinter ihnen, sehr fern in der Schwärze des Vakuums, glitt das kleine Beobachtungs-Boot mit der gleichen Geschwindigkeit dahin. Fast unbeweglich hingen die drei Punkte auf dem feinen Raster des Ortungsschirms. Der Pilot kontrollierte routinemäßig seine Instrumente. Neben ihm sprach der Co-Pilot mit gleichmütiger Stimme seine Beobachtungen ins Micro des Funkgerätes, das seine Worte direkt in die Basis auf dem Mars übertrug.

Auf dem Schirm in der Pilotenkanzel der »Terra 1« hatten die Verfolger die Form spitznasiger, leicht abgeflachter Kegel angenommen.

Sie waren in Sichtweite. Bis sie auf Raketenschussweite herankamen, konnten nur noch Minuten vergehen. Und keine Chance, sie mit den Energiewerfern abzuwehren! Charru ballte die Fäuste und kämpfte gegen eine jähe Woge von heißer, verzweifelter Wut, die er nur mühsam beherrschen konnte.

»Unbemannte Kampfschiffe«, wiederholte er gepresst. »Das heißt doch, sie werden ferngesteuert und man kann ihnen ausweichen, oder? Wenn wir auf Handsteuerung schalten...«

Lara schüttelte den Kopf. »Sie sind zu nah, Charru. Sobald sie das Objekt im Bereich der Ortungsstrahlen haben, steuern sie sich selbst. Oder vielmehr der Computer steuert sie. Genau wie die Raketen. Sie finden automatisch ihr Ziel.«

Ihre Stimme klang hell und spröde vor Furcht.

Die Männer starrten wie gebannt auf die tödlichen silbernen Pfeile. Unter ihnen im Rumpf des Schiffes schlossen sich Fäuste um die Steuerhebel der Energiewerfer, jede Sekunde bereit zu handeln - eine sinnlose Bereitschaft. Charru fragte sich, ob die Menschen auf den Passagierdecks ahnten, was auf sie zukam.

Die Männer im Kontrolldeck wussten es. Shaara wusste es ebenfalls: sie versuchte verzweifelt und vergeblich, dem Computer eine Antwort, einen Ausweg zu entlocken. Es gab keine Lösung. Die »Terra« war zweitausend Jahre alt. Sie konnte nicht gegen die Kampfschiffe der Vereinigten Planeten bestehen.

Charru spürte den scharfen Schmerz, als er sich die Fingernägel in die Handballen bohrte.

Alles in ihm bäumte sich auf, rebellierte gegen die kalte, unabweisbare Wahrheit. Es konnte nicht zu Ende sein! Nicht jetzt! Nicht so kurz vor dem Ziel, für das all die Menschen gekämpft und gelitten hatten, das mit so viel Blut und Tränen bezahlt worden war

Camelo warf mit einer heftigen Bewegung den Kopf herum.

Seine Augen brannten. Auch er hatte die Fäuste geballt, dass die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten.

»Ktaramon!« stieß er hervor. »Die Herren der Zeit! Haben sie nicht versprochen, uns noch einmal zu helfen, wenn wir den Mars verlassen?«

»Glaubst du an Wunder?« fragte Karstein rau.

»Sie haben es versprochen!« Charrus Stimme klang erstickt. Er wusste, dass er sich an einen Strohhalm klammerte. »Und sie haben Waffen, auch sie...« Er stockte abrupt und biss die Zähne zusammen. »Wir könnten versuchen, mit Handsteuerung auf Gegenkurs zu gehen«, sagte er. »Wenn wir ganz plötzlich zwischen den Schiffen auftauchen, sie überraschen...«

»Ein Elektronengehirn kann man nicht überraschen«, flüsterte Lara.

»Aber wir können die Raketen zerstören, die sie abfeuern, wir...«

»Sie haben einen Schutzschirm. Nur ein Schockfeld könnte sie aufhalten.«

»Schalt um auf Handsteuerung, Beryl!« sagte Charru durch die Zähne. »Camelo, gib über Lautsprecher durch, dass sich alle anschnallen! Wir müssen es wenigstens versuchen.«

»Charru!«

Camelos Stimme klang atemlos. Für einen kurzen Moment hatte Charru den Blick von dem Schirm abgewandt. Jetzt schaute er wieder hin, die Augen zusammengekniffen - und begriff, was der andere meinte.

Dort, wo die drei silbrigen Robot-Jäger durch die Dunkelheit rasten, verstärkte sich plötzlich das leichte Flimmern des Bildes.

Es war, als lege sich ein durchsichtiger Schleier vor die tödliche Formation, ein feiner Nebel, in den die Jäger jeden Moment hineinstoßen mussten. Charru hielt den Atem an. Jetzt!

Ein roter Funke entstand, wo der erste Robot-Jäger die flimmernde Zone berührte.

Sekundenlang sah es aus, als hülle sich das Schiff in einen Feuermantel. Es trudelte, wurde aus dem Kurs geworfen, und im nächsten Augenblick platzte es in einem Funkenregen auseinander.

Einen Lidschlag später die zweite Explosion.

Und die dritte, gespenstisch in ihrer Lautlosigkeit! Glühende Trümmer flogen nach allen Seiten, das seltsame Flimmern auf dem Schirm leuchtete heller auf und erlosch dann schlagartig.

Hinter der »Terra« lag nur noch der leere, schwarze Weltraum.

 

 

II

Im Büro des Präsidenten der Vereinigten Planeten verbreiteten die Leuchtwände kühle Helligkeit.

Simon Jessardin saß hinter seinem Schreibtisch: ein großer, schlanker Mann, dessen kurzgeschorenes Haar den gleichen Silberton hatte wie der enganliegende einteilige Anzug. Das scharfgeschnittene Gesicht mit den aristokratischen Zügen und den kühlen grauen Augen wirkte unbewegt. Genauso unbewegt wie die harmonischen, eher weichen Züge seines Gegenübers.

Conal Nord trug eine schlichte graue Tunika, dazu die Amtskette, die ihn als Gouverneur der Venus und Generalbevollmächtigten des Rats der Vereinigten Planeten auswies. In letzter Zeit hatte er seinen Heimatplaneten allerdings selten gesehen. Die Entwicklung eines eigenen Projekts Mondstein für die Venus war der ursprüngliche Anlass des Staatsbesuchs auf dem Mars gewesen.

Dann war der Mondstein im Museum der Universität von Kadnos zerstört worden. Die Barbaren, die dort - mit wissenschaftlichen Mitteln zur Winzigkeit verkleinert - in einer Miniatur-Welt lebten, konnten ausbrechen. Die Dinge eskalierten, nahmen einen Verlauf, der den Venusier unerbittlich in seinen Sog gezogen hatte.

Zurückgekommen war er seiner Tochter wegen.

Der Zufall hatte sie mit Charru von Mornag zusammengeführt, in jener Nacht, als die Terraner in die staatlichen Zuchtanstalten der Garrathon-Berge einbrachen, weil sie dringend frische Lebensmittel für ihre Kranken brauchten. Lara war freiwillig mit ihnen zum Wrack der alten »Terra« gegangen. Aus medizinischem Interesse - das hatte sie jedenfalls damals behauptet. Ihr Vater wusste es besser. Lara war bei dieser ersten Begegnung in einen Bannkreis geraten, aus dem sie nie wieder herausgefunden hatte. In den Bannkreis eines zwanzigjährigen Barbarenfürsten, der einer anderen Welt und einem anderen Zeitalter angehörte, der nichts besaß außer seinem Schwert, seinem Mut, seinem Willen - und jener unbezwinglichen Überzeugungskraft, mit der er für das Lebensrecht seines Volkes kämpfte und selbst Menschen wie den Raumhafen-Kommandanten Helder Kerr an ihren Prinzipien irre werden ließ.

Kerr hatte den Barbaren geholfen, die »Terra« instand zu setzen, hatte zwei von ihnen zu Piloten ausgebildet - und am Ende mit dem Leben dafür bezahlt.

Und jetzt würde Lara sterben.

Zusammen mit Charru von Mornag, den sie liebte, zusammen mit all den anderen. Simon Jessardin hatte entschieden, der Rat würde die Entscheidung sanktionieren. Die Terraner waren das lebendige Erbe der alten Erde. Die Wissenschaftler hatten unter dem Mondstein die irdischen Verhältnisse studiert, die Mechanismen von Krieg und Gewalt, die damals zu der großen Katastrophe geführt hatten. Ihre Forschungen dienten dem Frieden, sollten es ermöglichen, in der Geschichte der neuen Menschheit den Anfängen zu wehren. Und der Erfolg ihrer Experimente war nur zu perfekt: ein wildes, unbeugsames Volk, Menschen, die nicht atmen konnten in einer Welt blinden Gehorsams, Träger einer Fackel, die nur zu leicht einen neuen Weltbrand entfachen mochte.

Simon Jessardin war nicht bereit, diese Menschen, die dem wohlgeordneten Staatswesen der Vereinigten Planeten ihren Anspruch auf Freiheit entgegensetzten, irgendwo im Sonnensystem zu dulden.

Er hätte auch sein Leben geopfert, als die Barbaren ihn als Geisel entführten, um den Start der »Terra« zu erzwingen. Es war Conal Nord gewesen, der seinen ganzen Einfluss in die Waagschale warf, um den Sicherheits-Ausschuss zum Nachgeben zu bewegen. Jetzt raste die »Terra« durch den Raum, mit mehr als hundert Männern, Frauen und Kindern an Bord. Aber Simon Jessardin hatte keine Sekunde gezögert, den Einsatzbefehl für eine Jagd-Staffel der marsianischen Kriegsflotte zu geben.

Drei Robot-Schiffe, gegen die eine alte Ionen-Rakete nicht die Spur einer Chance hatte.

Der Befehl war im Wege der Sofort-Verordnung erfolgt, also ohne Ratsentscheidung. Jessardin wollte vollendete Tatsachen schaffen. Tatsachen, die alle Probleme endgültig lösten und die Conal Nord keinen Grund mehr lassen würden, einen Bruch zwischen Venus und Mars herbeizuführen und die Einheit der Föderation zu sprengen.

Nords Gedanken stockten, als der Monitor der Fern-Kommunikation aufflammte.

Ein bleiches Gesicht über der schwarzen Uniform von Vollzug und Militär füllte den Schirm aus. Trotz der großen Entfernung - die Kriegsflotte war in der Nähe des nördlichen Pols stationiert - ließ sich das erschrockene Flackern in den Augen des Mannes erkennen. Simon Jessardin zog seine silbernen Brauen zusammen und tippte auf die Sensortaste.

»Ja?« fragte er gespannt.

»Pol-Basis an den Präsidenten der Vereinigten Planeten! Soeben Meldung von Beobachtungsboot Flying Eye C. Drei Robot-Kampfschiffe infolge nicht identifizierbarer Einwirkung vernichtet.«

Jessardin fuhr zusammen.