Band 14 - Das verheißene Land

 

Söhne der Erde

von S. U. Wiemer

ISBN: 9783832852030

© 2013 by readersplanet

 

 

Inhalt

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

X

 

I

Um den verlassenen Raumhafen schienen sich die Ruinen von New York bis ins Unendliche hinzuziehen.

Eine tote Stadt zwischen Wüste und Meer. Trümmerfelder in der brennenden Sonne, stinkende Schutthalden, Kellerlöcher, in denen ein Heer von mutierten Ratten hauste. Doch die Männer, die als Wache in dem alten Raumschiff zurückgeblieben waren, wussten inzwischen, dass auch diese gespenstische Nekropolis von menschlichen Wesen bewohnt wurde.

Im Gefechtsstand der »Terra« lehnte Karstein, der blonde, bärtige Nordmann, neben dem Auslöser des Energiewerfers und blickte durch den Sichtschirm nach draußen.

Aufmerksam tastete sein Blick das weite, offene Areal ab, den vielfach geborstenen Betonboden, die wenigen unversehrten Gebäude, die den Untergang der Stadt vor mehr als zweitausend Jahren überdauert hatten. Aber vor Karsteins Augen stand noch ein anderes Bild. Das Bild einer grünen Oase am Meer. Wälder, wogendes Gras, ein Fluss, der in eine strandgesäumte Bucht mündete. Und braunhäutige, friedliche Menschen, die den Söhnen der Erde ihre Gastfreundschaft angeboten hatten und bereit waren, einträchtig mit ihnen zusammenzuleben.

Karstein lächelte und sah sich nach dem schlanken jungen Mann um, der am zweiten Energiewerfer stand.

Jerle Gordal hatte das grüne Land am Meer noch nicht gesehen und fieberte vor Ungeduld. Zwei weitere Männer ruhten in den Passagierkabinen aus, bevor sie ihre Wache übernahmen. Karstein wusste, dass es ihnen schwer fiel, Schlaf zu finden. Hinter den Terranern lag eine Zeit des Kampfes, der immer neuen Flucht, der erbarmungslosen Verfolgung, oft genug der fast völligen Hoffnungslosigkeit. Mit ihrem uralten Raumschiff hatten sie den Mars verlassen, waren der Kriegsflotte der Vereinigten Planeten entkommen, hatten endlich die Erde erreicht, von der ihre Vorfahren stammten. Jetzt lag das Ziel aller Hoffnungen, das Land der Verheißung zum Greifen nahe, und es gab kaum jemanden, den die glückliche Erregung nicht wie ein Fieber gepackt hätte.

Mehr als hundert Menschen zogen durch die Wüste auf dem Weg in ihre neue Heimat.

Wenige waren zurückgeblieben. Die vier Männer, die das Schiff bewachten - und die Priester aus der versunkenen Spielzeugwelt unter dem Mondstein mit einer Handvoll unbelehrbarer Gefolgsleute.

»Hast du Bar Nergal schon irgendwo gesehen?« fragte Jerle über die Schulter.

Karstein schüttelte den Kopf. Die Vision der grünen Oase versank, machte der Erinnerung an das fahle Greisengesicht des Oberpriesters Platz, den dürren Körper in der zerfetzten roten Robe, die fanatisch glühenden Augen. Bar Nergal und die Seinen hatten sich in den Ruinen verkrochen. Und sie waren schon wieder dabei, sich zu Herrschern aufzuschwingen, denn die fremdartigen Wesen der toten Stadt betrachteten sie als Götter.

Karstein kniff die grauen Augen zusammen und spähte zu dem langgestreckten Kunststoffklotz hinüber, der den Priestern als vorläufige Unterkunft diente.

»Eh!« brummte er. »Ich glaube, da tut sich was.«

Jerle trat neben ihn.

Gespannt beobachteten sie, wie sich die Tür des fast unbeschädigten Gebäudes öffnete. Eine Gestalt glitt ins Freie. Eine schmale, hellhaarige Gestalt in einer Kutte, die nur noch aus Fetzen bestand.

»Kaleth«, stellte Karstein fest. »Einer der Akolythen«.

»Ob er Angst vor Bar Nergals neuen Verbündeten bekommen hat?« fragte Jerle gedehnt.

Karstein zuckte die breiten Schultern.

Tatsächlich sah es so aus, als wolle sich der junge Akolyth heimlich davonmachen. Gehetzt schaute er sich um. Sein Blick sog sich an dem schlanken, silbrigen Zylinder der »Terra« fest, während er geduckt vor Furcht über den staubigen Betonboden schlich.

Er kam nicht weit.

Schon nach drei, vier Schritten zuckte er zusammen, von einem Laut alarmiert, den die Terraner nicht hören konnten. Aber dafür sahen sie, wie es jäh zwischen den Ruinen ringsum lebendig wurde. Graue, huschende Schatten. Von überall tauchten sie auf, scheinbar aus dem Nichts, größer als Wölfe und genauso gefährlich.

Ratten!

Mutierte Ratten. Blutgierige Bestien, die den wilden, kriegerischen Bewohnerinnen der toten Stadt aufs Wort gehorchten.

Das Gesicht des Akolythen verzerrte sich wie in einem stummen Schrei.

Verzweifelt warf er sich herum, stolperte, verlor fast das Gleichgewicht und fing sich wieder. Taumelnd vor Entsetzen rannte er auf das ehemalige Lagerhaus zu und schloss mit fliegenden Händen die Tür, während sich die monströsen Wächter langsam wieder in ihre Löcher zurückzogen.

»Der zumindest hat inzwischen begriffen, dass er in eine Falle gegangen ist«, brummte der Nordmann mit einer Mischung aus Grimm und Mitgefühl.

Jerle nickte nur.

Als er sich wieder dem zweiten Energiewerfer zuwandte, spürte er ein kühles Prickeln über seinen Rücken rinnen.

 

*

»Es ist schön! Es ist wunderschön!«

Jarlon von Mornags Stimme zitterte. Leicht schwankend stand er neben dem silbernen Beiboot der »Terra«, verletzt, von Strapazen gezeichnet, und schien kaum zu merken, dass der weißhaarige Gerinth ihn stützte. Mit weiten Augen nahm der junge Mann den Anblick in sich auf: die Felder, das wogende Gras, die schattigen Waldsäume, den Fluss und die Klippen. In Jarlons Erinnerung brannte immer noch das Bild Schaolis, des Mädchens, das er geliebt hatte und das von den Ratten der toten Stadt zerrissen worden war. Aber nicht einmal er konnte sich der tiefen, euphorischen Erregung dieser Minuten entziehen.

Mit leuchtenden Augen wandte er sich seinem Bruder zu.

Charru von Mornag lächelte, als er den Arm um die Schultern des Jüngeren legte. Jarlon atmete tief durch. Gemeinsam blickten sie der Gruppe schlanker, dunkelhäutiger Menschen entgegen, die sich feierlich und gemessen von dem kleinen Dorf her näherten.

Fürst Yarsol kam, um die Freunde seines Volkes zu begrüßen.

Begleitet von seiner Tochter Yessa und seinem jüngsten Sohn Yannay schritt er an der Spitze. Ein hochgewachsener, stolzer Mann, in einen schwarzen Umhang gekleidet, das ebenmäßige Gesicht von langem silbergrauem Haar umgeben.

Noch war der größte Teil der Terraner in der Wüste unterwegs.

Aber das erste Beiboot, das schon wieder zurückflog, hatte drei Verletzte abgesetzt, denen man den Fußmarsch nicht zumuten wollte. Und unter ihnen befand sich ein schlanker Junge mit klaren blaugrünen Augen, dem schwarzen Haar und der tiefbraunen Haut der Fischer.

Fürst Yarsol blieb ruckartig stehen.

Seine Augen weiteten sich. Sekundenlang verharrte er reglos, ungläubig, dann brach ein erstickter Laut über seine Lippen.

»Yurrai! Mein Sohn! Du lebst!«

Lange hielt er den erschöpften, zerschundenen jungen Mann in den Armen.

Gestern war er von den Herrinnen der Ratten entführt worden, um ihrer Königin als Sklave zu dienen. Die Terraner hatten versprochen, ihm zu helfen, wenn sie konnten. Und sie hatten nicht nur Yurrai befreit, sie hatten auch Yarsols ältesten Sohn gefunden: Yattur, der vor mehr als einem Jahr vom gleichen Schicksal getroffen worden war und jetzt an der Seite seines Bruders Yabu mit den Söhnen der Erde zurückkam.

Als das zweite Beiboot Minuten später wieder landete, waren die beiden jungen Fischer die ersten, die aus der Luke kletterten.

Yarsol traten Tränen in die Augen. Mehr als ein Jahr hatte er seinen ältesten Sohn nicht gesehen und den Jüngeren ebenfalls verloren geglaubt. Denn nie zuvor war einer der Sklaven zurückgekommen, den die wilden Frauen der Totenstadt entführten. Langsam trat der grauhaarige alte Mann auf Charru zu.

»Ich wusste, dass es ein glücklicher Tag war, als dein Volk mit dem meinen zusammentraf«, sagte er. »Ich wusste, dass wir die Sprache der Götter nicht umsonst erlernt, dass wir nicht umsonst gewartet hatten. Seid willkommen in unserem Land! Was wir tun können, um euch zu helfen, das wird geschehen.«

»Und was wir für euch tun können, wird ebenfalls geschehen. Ich verspreche dir, dass ihr eure Gastfreundschaft nicht bereuen werdet, Yarsol.«

Schweigend reichten sie sich die Hand - eine Geste, die das Bündnis besiegelte.

Diesmal spürte Charru nicht einmal den Stich der Bitterkeit, die ihn sonst überkam, wenn er von der »Sprache der Götter« hörte. Überall auf der Erde gab es Menschen, manchmal nur einzelne Auserwählte, die diese Sprache verstanden. Die Sprache der Vereinigten Planeten, gelehrt von marsianischen Wissenschaftlern, die in unregelmäßigen Abständen Forschungsexpeditionen hierher unternommen hatten. Von den neuen Rassen, die zweitausend Jahre nach der Großen Katastrophe wieder auf Terra lebten, wurden sie als Götter verehrt, Götter, die Experimente betrieben, unverständliche Gesetze erließen, Menschen als Versuchsobjekte benutzten. Die Katzenfrauen aus der toten Stadt verbreiteten mit ihren Ratten Furcht und Schrecken - weil die Götter es so wollten. Yarsols Volk hatte die Sprache der Götter erlernt und auf ihre Rückkehr gewartet, um sie zu bitten, endlich wieder Frieden herzustellen. Inzwischen wussten die Fischer, dass es keine allmächtigen Wesen waren, die von den Sternen kamen. Und eines Tages würden es vielleicht auch die Bewohner der Ruinenstadt begreifen, die jetzt Bar Nergal und die Priester anbeteten.

Eine knappe Stunde dauerte es, dann hatten mit Hilfe der beiden Beiboote auch die letzten Passagiere der »Terra« die Oase am Meer erreicht.

Auf dem Platz in der Mitte des Dorfes brannten Feuer, wurde für den Abend ein Fest vorbereitet. Die Fischer ließen sich nur mit Mühe davon abbringen, den Gästen ihre Hütten zu räumen. Die Terraner benötigten nicht viel. Unter dem Mondstein, jener gespenstischen Spielzeugwelt im Museum von Kadnos, war ihr Leben einfach, manchmal grausam hart gewesen. Eine provisorische Unterkunft aus dem Material, das sie aus dem Schiff mitgebracht hatten, ließ sich rasch errichten. Für die Verletzten, die Ruhe und Pflege brauchten, genügte ein einziger Raum. Konan litt immer noch unter den schweren Laser-Verbrennungen, die er sich auf dem Mars bei dem Versuch zugezogen hatte, die von der Vollzugspolizei bewachte »Terra« im Sturm zu erobern. Jarlon war von mutierten Ratten angegriffen worden und schwerer verletzt, als er wahrhaben wollte. Jetzt streifte er noch, auf Ereins Schulter gestützt, mit den anderen herum, ließ sich von Yabu und Yurrai den Fluss, die Hütten und die beiden Segelschiffe in der Bucht zeigen. Aber Lara Nord hatte bereits prophezeit, dass er das bestimmt nicht bis zum Abend durchhalten würde.

Die junge Venusierin lehnte reglos an einem Baumstamm, Folienbeutel mit medizinischer und wissenschaftlicher Ausrüstung um sich verstreut. Sie sah in die Runde, als wolle sie das Bild des grünen Landes tief in sich hineintrinken.

Charru verharrte einen Moment, als sein Blick auf sie fiel. Forschend betrachtete er das schmale, klar gezeichnete Gesicht unter der blonden Helmfrisur. Die marsianische Wüstensonne hatte dieses Gesicht gebräunt. Das Haar fiel ihr länger und heller gebleicht in die Stirn, und in den braunen Augen mit den grünlichen Sprenkeln lag ein neuer Ausdruck, weit entfernt von kühlem wissenschaftlichem Interesse. Sie glich nicht mehr der Tochter Conal Nords, des Generalgouverneurs der Venus, die an der Universität von Kadnos studiert und als Ärztin und Biochemikerin in den Staatlichen Zuchtanstalten des Mars gearbeitet hatte. Charru lächelte, von einem plötzlichen, befreienden Gefühl der Erleichterung erfüllt. Es hatte immer wieder Augenblicke gegeben, in denen er sich fragte, ob Lara wirklich gewusst hatte, was sie tat, als sie ihm folgte, ob sie den Entschluss, ihre Welt, ihre gesicherte Zukunft, ihr ganzes bisheriges Leben aufzugeben, nicht eines Tages bereuen würde. Aber jetzt, als er sie dort stehen sah, genauso erregt wie alle anderen, genauso glücklich und überwältigt, verschwanden seine Zweifel.

»Charru?«

Es war Gillons Stimme, die seine Gedanken unterbrach.

Er wandte sich um. Der breitschultrige rothaarige Tiefland-Krieger war ein Stück in die Felsen geklettert, zu einem Platz, von dem er den größten Teil der Oase zwischen Wüste und Meer überblicken konnte. Seine grünen Augen hatten sich zusammengekniffen. Seit dem Tod seines Vaters in der letzten Schlacht gegen das Priesterheer unter dem Mondstein führte er die Tareth-Sippen: ein kräftiger, ruhiger Mann mit einem kühlen Geist, den nichts so leicht erschüttern konnte.

Charru lächelte, als er zu ihm hinaufturnte.

»Du machst dir Sorgen, Gillon? Über die Marsianer?«

»Machst du dir keine Sorgen?«

»Nicht jetzt!« Es war nur die halbe Wahrheit, aber Charru bemühte sich, daran zu glauben.

»Ich denke ohnehin mehr an die Priester«, sagte Gillon verbissen. »Wir hätten sie auf dem Mars lassen sollen.«

»Sie wollten mitkommen. Wir hatten kein Recht, sie zurückzulassen, sie waren genauso Opfer wie wir. Und was können sie uns jetzt noch anhaben?«

Charru schwieg.

Er hätte die tote Stadt mit ihren Ratten gern vergessen. Genauso wie die Wesen, die in den Kellerlöchern hausten: ein wildes, kaum menschliches Volk, seit Jahrhunderten der Degeneration anheimgefallen. Nur ihre Königin, die sich Charilan-Chi nannte, war von normaler menschlicher Gestalt. Und sie musste es gewesen sein, die ein paar marsianische Wissenschaftler bei einer ihrer Forschungsexpeditionen auf den Gedanken gebracht hatte, ein makabres Experiment zu beginnen.

Offenbar wollten sie beobachten, ob die Wesen der toten Stadt fähig waren, sich wieder höher zu entwickeln.

Als »Götter« von den Sternen hatten sie ein ganzes Volk unfruchtbar gemacht, hatten nur der Königin erlaubt, sich fortzupflanzen, hatten bestimmt, dass die Väter ihrer Kinder anderen Völkern entstammen und von unterschiedlichem Blut sein mussten. Dass Charilan-Chi die Männer ihres eigenen Volkes umbringen ließ, mochten die Marsianer nicht gewollt haben. Aber gewollt hatten sie jenen gespenstischen Bienenstaat. Und die grausamen Kriegszüge, bei denen die Katzenfrauen jedes Jahr einen neuen Sklaven für ihre Königin entführten, hätten sie voraussehen müssen.

Auch die Menschen aus den Ruinen hatten an die Wiederkehr der Götter geglaubt, als die »Terra« auf dem ehemaligen Raumhafen von New York landete.

Es war Zufall gewesen, dass ihnen ausgerechnet Bar Nergal als erster über den Weg lief. Der machtbesessene, von Hass gegen die Tiefland-Krieger erfüllte Oberpriester dachte nicht daran, den Irrtum aufzuklären. Er genoss die göttliche Verehrung, die man ihm entgegenbrachte, und jetzt war er dabei, sich zum Herrscher der toten Stadt aufzuschwingen.

Charru presste die Lippen zusammen.

»Gegen die Ratten können wir uns wehren«, sagte er hart. »Und das Schiff ist ohnehin nicht gefährdet, da es über Energiewerfer verfügt. Nein, Gillon, die Priester können uns nichts mehr anhaben.«

Der rotschopfige Tarether nickte nur und warf mit einem tiefen Aufatmen das Haar zurück.

»Du hast recht«, sagte er knapp. »Lassen wir die Priester getrost in ihrem Müll wühlen.«

Sie ahnten beide nicht, dass in den Ruinen der toten Stadt noch eine andere, weit schlimmere Gefahr lauerte.

 

*

Die kosmische Katastrophe hatte der Venus ein angenehmeres Klima beschert als dem Mars mit seinen roten Wüsten, der spärlichen Vegetation und den Gebieten überkuppelten Kulturlandes, wo natürliche Nahrungsmittel ausschließlich zu Forschungszwecken angebaut wurden.

Mit seinen weißen Kuppeln und Türmen, den breiten Gleiterbahnen und dem schimmernden Netz der Transportröhren unterschied sich das venusische Indri wenig von Kadnos. Aber die Hauptstadt des Mars - und zugleich der Vereinigten Planeten - lag inmitten von Wüste und schroffen Felsen an einem schwarzen Kanal, während Indri von grünen Hügeln und Gärten umgeben wurde. Eine Umgebung, die selbst auf das nüchterne, zweckmäßige, sonst überall gleiche Areal des Raumhafens abfärbte.

Der Mann, der die »Kadnos III« unmittelbar nach der Landung unter Umgehung aller Formalitäten verließ, wurde sofort von einem Verwaltungsgleiter mit Sichtschutzfilter-Kuppel aufgenommen.

Der Name des Mannes stand nicht in den Passagierlisten. Außer ihm selbst gab es nur noch drei Personen, die über seinen Besuch auf der Venus informiert waren. Einmal sein Stellvertreter in Kadnos. Zum anderen der Kommandant des schweren Überlichtraumers, bei dem später eine Droge die entsprechende Erinnerung löschen würde. Der dritte Eingeweihte fuhr den Verwaltungsgleiter.

Dass der Präsident der Vereinigten Planeten persönlich, inkognito und zu einem ausdrücklich als privat gekennzeichneten Gespräch auf der Venus erschien, war mehr als ungewöhnlich. Conal Nord, der Gouverneur der Venus und Generalbevollmächtigter des Rates der Vereinigten Planeten, glaubte, fürchtete, den Grund zu kennen. Nords Tochter befand sich auf der Erde bei den geflohenen Barbaren aus der Mondstein-Welt. Sein Bruder, zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, war nach dem Fiasko auf Luna wahrscheinlich mit seinen Gefährten zum Merkur entkommen. Die langjährige Freundschaft, die Conal Nord und Simon Jessardin verband, konnte den Präsidenten nicht daran hindern, seine Pflicht zu tun, die darin bestand, für die Liquidierung beider Gruppen zu sorgen. Aber falls er Erfolg gehabt hatte, war es gut möglich, dass er es nicht dem Sichtgerät eines Informators überlassen wollte, Conal Nord mit der Wahrheit zu konfrontieren.

»Es ist schön hier«, sagte Jessardin mit einem Blick über die grünen Hügel, zwischen denen ihr Ziel lag: das Privathaus des Gouverneurs.

Nords Kopf ruckte herum. »Simon - Sie wissen sehr gut, dass es überflüssig ist, mir irgendeine Information schonend beibringen zu wollen.«

Der Präsident runzelte flüchtig die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. Das Licht, das durch die Gleiterkuppel fiel, ließ sein kurzgeschorenes silbernes Haar glänzen.

»Nein, Conal, ich versuche nicht, Ihnen etwas schonend beizubringen. Es tut mir leid, wenn Sie die Ankündigung meines Besuches missverstanden haben.«

»Also keine - Erfolgsmeldung?«

Das Wort klang zynisch. Jessardin blickte durch die Kuppel.

»Nein, Conal. Außerdem wissen Sie sehr wohl, dass jede Aktion von Militär oder Vollzug der Sanktionierung durch den Rat bedarf, außer in einer Lage, die einen Dringlichkeitsbeschluss erfordert. Ich führe keinen Privatkrieg gegen die Barbaren aus der Mondstein-Welt.«

Nord fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Entschuldigen Sie, Simon. Die Ereignisse der letzten Zeit haben uns wohl alle etwas mitgenommen. Lassen Sie mich also direkt fragen, warum Sie hier sind.«

Der Präsident lehnte sich zurück. Seine Schultern strafften sich unmerklich.

»Aus dem Grund, den ich Ihnen genannt habe«, sagte er ruhig. »Um ein privates Gespräch zu führen, bei einer Begegnung, die offiziell nicht bekannt werden wird. Und um auf dieser Basis vielleicht Wege zu finden, eine Entwicklung aufzuhalten, die sich für die gesamte Föderation der Vereinigten Planeten verhängnisvoll auswirken dürfte.«

II

Nur wenig Tageslicht fiel in das langgestreckte, fast unversehrte Gebäude am Rande des Raumhafens.

Im ungewissen Halbdämmer erinnerte Bar Nergals fahles Gesicht mit dem kahlen Schädel und den tiefliegenden Augen an einen Totenkopf. Strichdünne Lippen pressten sich zusammen, über den Knochen schien die Haut wie altes Pergament zu spannen. Ein paar Sekunden blieb der Oberpriester aufrecht stehen und starrte zu einer der hochliegenden Fensterluken, hinter denen weit entfernt die Umrisse der »Terra I« zu erkennen waren.

Bar Nergals Nasenflügel bebten, als er scharf die Luft einzog. Ruckartig wandte er sich ab, raffte seine lange blutrote Robe und schritt zur anderen Seite des Raums hinüber.

»Shamala!« rief er scharf.

Der Priester fuhr erschrocken zusammen. Er stand an einer Stelle, wo ein schmaler Riss durch die Wand lief und den Blick auf einen Teil des Raumhafens und die gespenstische Trümmerlandschaft freigab.

»Erhabener?«

»Halt Wache, Shamala! Ich erwarte den Besuch unserer Untertanen.«

Das Zögern vor dem letzten Wort war kaum spürbar; für Bar Nergal hatte es stets nur Menschen gegeben, die entweder seine Untertanen oder seine Feinde waren. »Benachrichtige mich, wenn Charilan-Chis Abordnung erscheint!« befahl er. »Und lass es dir nicht einfallen, dich wie der Feigling zu benehmen, der du bist, oder ich werde dich lehren, dass du mich mehr zu fürchten hast als die Ratten.«

»Ja, Erhabener!«

Der Priester verneigte sich.

Bar Nergal sah die Furcht in seinen Augen und spürte jähen Triumph. Bald würde es wieder so sein wie früher, wie in der Welt unter dem Mondstein, bald würden sie alle vergessen haben, dass es so etwas wie Auflehnung überhaupt gab. Früher hatten sie sich unter der Angst geduckt, als Opfer der schrecklichen schwarzen Götter zu enden. Aber die Drohung, blutgierigen mutierten Ratten vorgeworfen zu werden, war genauso schrecklich.

Fast von selbst fanden Bar Nergals Finger den Kontakt an der langen Wand, der die Falltür in einem Winkel des Raums öffnete.

Eine unauffällige Tür, die sich kaum von dem staubigen Boden abhob. Niemand hatte sie entdeckt, bis Zai-Caroc zufällig den Kontakt mit dem weiten Ärmel seiner Kutte streifte. Die Tiefland-Krieger ahnten nichts von den verborgenen Kellern unter den Ruinen um den Raumhafen, ahnten nichts von dem tödlichen Vermächtnis der alten Erde, das dort unten die Zeit überdauert hatte.

Bar Nergals Augen glitzerten wie schwarze Lava, als er die lange Wendeltreppe hinunterstieg.

Licht brannte in den unterirdischen Gewölben. Nicht nur der fahle Schimmer der Handlampe aus der »Terra«, sondern auch der unruhige Widerschein von Fackeln, die Charilan-Chis Volk ihnen überlassen hatte. Was diese Wesen besaßen, brachten sie offenbar mit Freuden als Geschenk für die »Götter« dar. Halbmenschen nannte Bar Nergal sie bei sich. In seinen Augen waren sie nicht viel mehr als Tiere. Alle außer der Königin und ihren Nachkommen - und auch in ihnen sah der Oberpriester nur Marionetten, die er benutzen wollte.

Undeutlich hörte er Schritte und Stimmen in der Nähe.

Es war nur eine kleine Gruppe, die sich ihm angeschlossen hatte, aus panischer Angst vor der Rache der Marsianer, die zweifellos die »Terra« vernichten und jeden töten würden, der dem Fürsten von Mornag folgte. Das jedenfalls war das Schreckgespenst, das ihnen Bar Nergal wieder und wieder vor Augen führte. Viele hatten sich der Einflüsterung widersetzt. Frauen, die sich eine Zukunft ohne Sklaverei für ihre Kinder wünschten, Männer, die begriffen hatten, was es heißt, frei zu sein - sogar einige Akolythen, denen eine Gefahr, gegen die man kämpfen konnte, immer noch lieber war als die Furcht vor dem Terror der Priester. Aber es gab auch Menschen, in denen diese Furcht zu tief steckte, um sich aus dem unsichtbaren Würgegriff zu lösen. Und solche, die in der Welt unter dem Mondstein in Bar Nergals Namen Macht ausgeübt hatten und diese Macht wieder spüren wollten. So wie Zai-Caroc und Shamala, Beliar oder der bärtige Jar-Marlod, vor denen alle zitterten, die unter ihnen standen.

Jetzt hatte der Oberpriester ihnen befohlen, das riesige unterirdische Waffenarsenal zu untersuchen.

Denn es mussten Waffen sein, dessen war Bar Nergal sicher. Unbekannte Waffen - doch selbst an den fremdartigsten Geräten ließen sich Formen erkennen, die der Funktion folgten und den Zweck verrieten.

Einige erinnerten deutlich an die marsianischen Lasergewehre, auch wenn sie sich nicht rührten, wenn man den ganz ähnlich geformten Abzugshebel drückte. Eine Batterie kurzer, auf kleine Fahrzeuge montierter Rohrstücke mit gewölbten Metallgittern hielt Bar Nergal für irgendeine Art von Strahlenwaffen. Selbst die Bomben, in einem abgeteilten Bunker gelagert, kamen ihm vage bekannt vor. Ähnliches hatte er auf dem Mars, von Robotsonden abgeworfen, als tödlichen Regen herabfallen sehen.

Langsam durchschritt er den langgestreckten großen Raum und warf einen Blick zu der Wendeltreppe, die in das größere, noch tiefer gelegene Gewölbe mit den fremdartigen Fluggeräten führte.

Sie zu untersuchen, war sinnlos, das sah selbst der Oberpriester ein. Seine funkelnden Augen wanderten.

»Zai-Caroc!« rief er. »Beliar!«

»Hier, Herr!«

Er fand sie vor einer Reihe schlanker, zylindrischer Körper, die fast bis zur Decke ragten und nichts glichen, was Bar Nergal je gesehen hatte.