Band 24 - Robot-Planet

 

Söhne der Erde

von S. U. Wiemer

ISBN: 9783832852139

© 2013 by readersplanet


 

 

Inhalt

I      4

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

 

I

Das rote Flackern der Warnlampen beschwor die Vision gigantischer Flammenwände.

Der Mann erinnerte sich. Erschöpfung verwischte das Bild vor seinen Augen. Er glaubte wieder, an den Felsen einer versunkenen Welt zu lehnen und in die wabernde Glut zu starren, unter einer blauen Kuppel, die er für den Himmel hielt und die in Wahrheit nur eine Halbkugel aus Mondstein in einem Museumssaal auf dem Mars gewesen war.

Rote Lichter... Gefahr...

»Druckabfall in Frachtraum zwei!«

Die Stimme ließ Charru von Mornag zusammenzucken.

Jäh wurde ihm wieder die Umgebung bewusst, das schwache Leuchten der Kontrollen, die Kanzel des Überlichtschiffs, das ziellos durch den Hyperraum raste. Maik Varesco sah ihn an. Noch vor kurzem waren sie erbitterte Feinde gewesen: der marsianische Pilot, treuer Diener seines Staates, und der schwarzhaarige Barbarenfürst, der sein Volk vor der Übermacht der Vereinigten Planeten zu retten versuchte. Jetzt schweißte die Gefahr sie zusammen. Sie wollten leben. Sie suchten den Weg zurück in ihr heimatliches Sonnensystem. Vergeblich bisher...

Charru fuhr herum.

Durch die offene Tür konnte er Dane Farrs angespanntes Profil in der Computerzentrale erkennen. Auch Farr war auf dem Mars geboren. Aber er diente dem Staat der Vereinigten Planeten mit seiner kalten, menschenfeindlichen Logik, seinem totalen Machtanspruch und seinem Zerrbild von Sicherheit und Ordnung schon lange nicht mehr. Er gehörte zu den Rebellen, die erbittert um ihr Lebensrecht auf dem fernen Merkur gekämpft hatten, zu den Freunden der letzten Terraner.

Als er die Kanzel betrat, glitzerten feine Schweißtropfen auf seiner Stirn.

»Der Bordrechner arbeitet wieder einwandfrei«, sagte er rau. »Frachtraum zwei wird abgeschottet. Aber die Raumgeister wissen, was in diesem fliegenden Sarg noch alles auseinanderbricht.«

Charru grub die Zähne in die Unterlippe. Das aufgeregte rote Flackern stach schmerzhaft in seine Augen. Druckabfall - das hieß ein Defekt an den Lebenserhaltungssystemen. Was würde als nächstes kommen? Versagen des Sauerstoffkreislaufs? Luftknappheit, Zusammenbruch der Energieversorgung - die Katastrophe?

Charru dachte an die Kriegsflotte, vor deren Angriff sie in den Hyperraum geflohen waren. Nicht die Flotte der Marsianer - auch das war knapp gewesen, aber es lag länger zurück. Danach hatte der versagende Überlichtantrieb die »Kadnos« zum Nottransit in den Normalraum gezwungen, irgendwo in der Tiefe der Galaxis, wo die Menschen in den Kampf zweier feindlicher Sternenvölker verwickelt wurden.

Eine fremde Rasse versuchte, sie unter ihre Herrschaft zu zwingen. In letzter Sekunde war ihnen die Flucht gelungen. Aber die Fremden hatten alles getan, um die »Kadnos X« zu zerstören, hatten vernichtende energetische Impulse gegen das Schiff geschleudert, Daten aus den Speichern der Computer gewischt, die empfindliche Technik gestört, bis sämtliche Anzeigen auf Instrumenten und Kontrollschirmen wie Signale eines kranken Hirns durcheinanderwirbelten.

Jetzt hatte sich die Lage normalisiert, aber niemand wusste, wie groß der Schaden wirklich war.

Marsianische Techniker und die Spezialisten unter den Merkur-Rebellen drangen im Augenblick in die stählernen Eingeweide des Schiffs vor, um die Systeme durchzuprüfen, weil sie dem Bordrechner nicht mehr trauten. Die Terraner waren in der Spielzeug-Welt unter dem Mondstein in einem Zustand künstlicher Barbarei gehalten worden und verstanden nur wenig von der Technik. Ein Teil von ihnen versuchte, in den Kabinen der »Kadnos« etwas Schlaf zu finden. Tun konnten sie im Moment ohnehin nichts, und sie wussten, dass ihre Wachsamkeit noch früh genug wieder gebraucht werden würde.

Charru fuhr sich mit der Hand über die Augen.

Neben ihm blickte sein Blutsbruder Camelo von Landre gebannt auf die Kontrollen. Das wilde Flackern erlosch, die Warnlampe - eine von drei Dutzend in dem schmalen Kontrollfeld - brannte gleichmäßig rot. Der Defekt bestand weiter, doch die Gefahr für die übrigen Sektoren des Frachtdecks war gebannt. Jetzt! Wie es in zwei Sekunden oder zwei Minuten aussehen mochte, konnte niemand vorhersagen.

»Jemand muss nachschauen«, murmelte Dane Farr. »Und dann brauchen wir hier oben volle Besatzung für den Fall eines Nottransits.«

Charru nickte und ließ sich auf einen der Andrucksitze fallen.

Die Bordkommunikation funktionierte. Auf dem Schirm erschien das schmale, blasse Uraniergesicht Jerome Crests. Der Kommandant der »Kadnos« konnte und wollte sich nicht damit abfinden, dass sein Schiff entführt worden war. Beharrlich verweigerte er jede Zusammenarbeit. Aber jetzt, an Bord des beschädigten, ohnehin unterbemannten Raumers, würde er sich wohl oder übel bequemen müssen. Charru war entschlossen, ihn notfalls zu zwingen.

»Kommen Sie in die Kanzel, Crest! Sofort!«

»Ich denke nicht daran«, widersprach der Uranier verbissen. »Ich akzeptiere keine Befehle von einem...«

»Sie werden kommen, oder ich schicke jemanden, der Sie an den Haaren hierher schleift. Verstanden?«

Der Monitor erlosch.

Charru tippte eine andere Kennung ein, mit zusammengepressten Zähnen. Er wusste, er hätte den hochmütigen Uranier diplomatischer behandeln sollen. Zum Teufel damit! Sie kämpften hier alle um ihr Leben, sie mussten zusammenarbeiten. Wenn Crest das nicht einsah, sollte er die Folgen tragen.

Diesmal zeigte der Schirm das erschöpfte Gesicht Mark Nords, des Anführers der Merkur-Siedler. Er war ein Bruder des Generalgouverneurs der Venus, ein hochqualifizierter Techniker und Wissenschaftler. Zwanzig Jahre in den Kerkern von Luna hatten seinen rebellischen Geist nicht brechen können.

»Ja, Charru?«

»Druckabfall in Frachtraum zwei. Der Sektor ist abgeschottet, aber...«

»Verdammt! Das sieht nach einem Defekt in den Lebenserhaltungssystemen aus.«

»Genau! Schick die beiden Marsianer in die Kanzel! Dane hält es für möglich, dass wir in den Normalraum zurückfallen müssen.«

»Was sagt der Computer?«

»Fehlregulierung am Schleusenschott der Frachtluke. Aber nachdem der Rechner nicht einmal in der Lage war, der Steuerautomatik Zielkoordinaten zu geben, möchte ich mich nicht gern darauf verlassen.«

»Dämliches Blechgehirn! Schaue ich eben selbst nach!«

»Darum wollte ich dich bitten. Denk daran, dass wir die Marsianer hier brauchen.«

»Verstanden.«

Der Schirm wurde dunkel. Charru wandte sich an Dane Farr, der eine Pilotenausbildung hatte und die »Kadnos« notfalls selbst fliegen konnte, auch wenn er nach der langen Gefangenschaft in den Luna-Bergwerken nicht auf dem neuesten Stand der technischen Entwicklung war.

»Was passiert, wenn die Lebenserhaltungssysteme total zusammenbrechen?« wollte Charru wissen.

Dane zuckte die Achseln. »Dann schalten sich die Notaggregate ein - falls der Computer gnädig gestimmt ist.«

»Notaggregate... Wie lange werden die uns weiterhelfen?«

»Achtundvierzig Stunden. Bis dahin müssen wir entweder den Schaden reparieren oder auf einem Planeten mit atembarer Atmosphäre landen.«

»Und wenn wir das nicht schaffen?«

»Dann würzen wir den Fruchtsaft aus den Automaten mit viel reinem Alkohol und machen uns noch ein paar schöne Stunden«, sagte Farr. Es klang absolut nicht lustig.

 

*

Die junge Frau spürte den kühlen Kunststoff der Andruckliege unter sich. Das Vibrieren der Triebwerke klang leise und fern. Die Kabine war dunkel, nur der Widerschein der Kommunikatortasten mischte sich mit dem rötlichen Glimmen der Notbeleuchtung. Aber Katalin von Thorn fand keinen Schlaf. Ihre Gedanken wanderten, schweiften, tasteten sich Glied um Glied zurück an der Kette der Erinnerung...

Sie war die einzige Frau an Bord der »Kadnos«! Sie hatte es so gewollt, hatte damals auf dem Merkur alles getan, damit die marsianischen Generäle sie für eine Rädelsführerin hielten. Nicht nur, weil sie Mark Nord liebte, den venusischen Rebellen. Auch um der Wahrheit willen. Schon in der Welt unter dem Mondstein war Katalin die Sprecherin der Tiefland-Frauen gewesen. Sie hatte nie gezögert, hatte nie geglaubt, dass die Sicherheit eines Sklavendaseins besser sei als der Kampf. Und jetzt, da der Kampf verloren war, hatte sie genau wie die Männer die Flucht ins Ungewisse der lebenslangen Gefangenschaft in einem Internierungslager vorgezogen.

Ihre bernsteinfarbenen Augen starrten zur weißen, kunststoffverkleideten Decke der Kabine.

Auch Katalin dachte an die Welt unter dem Mondstein zurück: jene gespenstische Spielzeugwelt, in der Menschen, mit wissenschaftlichen Mitteln zur Winzigkeit verkleinert, als wehrlose Versuchsobjekte vegetierten. Ihre Vorfahren waren von der Erde entführt worden, wo sich zweitausend Jahre nach der Großen Katastrophe wieder Leben regte. Damit sich eine solche Katastrophe niemals wiederholte, hatten die Marsianer unter dem Mondstein Krieg und Gewalt studiert, hatten ihre Versuchsobjekte manipuliert, hatten Naturkatastrophen, Hungersnöte und falsche Götter geschickt - nur damit im Namen der Forschung Blut vergossen wurde.

Und dann, als der Mondstein zerbrochen war und die Barbaren einen Weg in die Außenwelt gefunden hatten, jagten die Marsianer die Flüchtlinge wie wilde Tiere.

Katalin dachte an das uralte Raumschiff, mit dem sie zur Erde entkommen waren. Unterwegs, auf Luna, hatten sie die Rebellen um Mark Nord befreit, die in den Bergwerken Zwangsarbeit leisten mussten, nur weil sie auf dem Merkur in Freiheit leben wollten, statt als gehorsame Bürger eines menschenfeindlichen Staates. Sie kehrten auf den sonnennächsten Planeten zurück, den sie als Heimat betrachteten, die Barbaren erreichten die Erde. Aber inzwischen war Terra unbewohnbar geworden. Eine künstlich mit Kohlendioxyd angereicherte Atmosphäre verurteilte den blauen Planeten zum Hitzetod. Und die Flucht zum Merkur brachte nur einen Aufschub. Seite an Seite hatten Charru von Mornags Volk und die Rebellen gekämpft - und verloren.

Mit einem tiefen Atemzug richtete sich Katalin auf.

Mechanisch warf sie das lange blonde Haar auf den Rücken und strich über die weiße Tunika, die sie immer noch als ungewohnt und beengend empfand. Sie wusste, es war nicht gut, über die Vergangenheit zu grübeln. Aber sie konnte nicht anders - nicht hier in der Stille der Kabine, allein, zu erschöpft und überreizt, um zu schlafen. Die Erinnerung brannte, die Bilder waren klar und scharf wie mit Feuer gezeichnet. Die marsianische Kriegsflotte über Merkur… Der verzweifelte Kampf, der nicht einmal aussichtslos gewesen war… Und dann die Sprengung des unterirdischen Höhlensystems, wo die Rebellen Frauen, Kinder und alte Leute in Sicherheit gewähnt hatten; die Katastrophe, die sie zur Kapitulation zwang, weil sie nicht das Leben so vieler Wehrloser opfern konnten...

Es war der venusische Generalgouverneur Conal Nord gewesen, der verhindert hatte, dass der Kommandant der marsianischen Streitkräfte die Gefangenen kurzerhand liquidieren ließ.

Nords Bruder Mark gehörte zu den Rebellen. Seine Tochter Lara war zwar gegen ihren Willen auf den Mars in Sicherheit gebracht worden, aber sie hatte ein Kind von Charru und betrachtete sich als seine Frau. Der Generalgouverneur setzte durch, dass die Rädelsführer der Rebellen in Kadnos vor Gericht gestellt wurden, während man die anderen in ein Straflager auf dem fernen Uranus deportierte. Conal Nord hatte persönlich die Verteidigung der Angeklagten übernommen. Doch er konnte das Verhängnis nicht aufhalten.

Deportation auf einen der trostlosen Jupiter-Monde in acht Fällen.

Einweisung in eine psychiatrische Klinik für Mark Nord. Gegen Charru von Mornag, den man für besonders gefährlich hielt, das Todesurteil.

Und dann die letzte Chance, die ihnen Lara verschafft hatte. Sie selbst konnte nichts tun, weil ihr Vater sie überwachen ließ, aber es gelang ihr, die Hilfe eines jungen Wissenschaftlers zu gewinnen. Flüchtig fragte sich Katalin, aus welchen Gründen dieser Mann so viel riskiert haben mochte. Ihre Lippen pressten sich zusammen, als sie an die verzweifelte nächtliche Flucht dachte, den Überfall auf die »Kadnos X«, den Start, zu dem sie die marsianische Besatzung zwangen. Sie wollten zur Venus fliegen, weil sie wussten, dass Conal Nord sie nicht ausliefern würde und dass der venusische Rat loyal hinter dem Generalgouverneur stand. Niemand hatte damit gerechnet, dass Simon Jessardin, der Präsident der Vereinigten Planeten, eine Staffel der Kriegsflotte gegen die schwach armierte »Kadnos« schicken würde, um sie zu zerstören.

Den Menschen an Bord war nichts übriggeblieben, als blindlings in den Hyperraum zu fliehen.

Blindlings - denn die Marsianer nutzten den Überlichtantrieb grundsätzlich nur innerhalb des eigenen Sonnensystems. Sie glaubten, dass die interstellare Raumfahrt die Gefahr von Konflikten mit fremden Rassen heraufbeschwöre. Es gab keine fernen Ziele, deren Koordinaten die Flüchtlinge in den Steuercomputer hätten programmieren können. Und als sie in den Normalraum zurückfielen, fanden sie sich in einem unbekannten Teil der Galaxis wieder - außerstande, ihre eigene Position oder die des Sol-Systems zu bestimmen.

Katalin schauerte.

Der Gedanke, auf ewig im All verirrt zu sein, ließ sie jedes Mal von neuem innerlich zittern. Im Grunde hatten sie nur eine einzige Hoffnung: auf eine fremde Rasse zu stoßen, die fortgeschritten genug war, um ihnen zu helfen.

Mit einem tiefen Atemzug stand Katalin auf.

Sie wusste, dass sie so oder so nicht würde schlafen können. Dann war es schon besser, in der Funkstation neben der Kanzel zu sitzen und mit anzuhören, was geschah, statt abgeschnitten von den Ereignissen auf Nachrichten zu warten.

Die Kabinentür glitt auseinander, als Katalin darauf zuging.

Der stählerne Gang führte nach wenigen Metern auf einen der Hauptflure, wo sich Laufbänder automatisch in Bewegung setzten, sobald man darauf trat. Die »Kadnos X« war als Fracht- und Passagierschiff im Liniendienst zwischen Mars und Uranus eingesetzt worden und bot ein gewisses Maß an Bequemlichkeit. Sanitärzellen zum Beispiel, Massagestrahlen, ein Relax-Center, wo man unter Vibrationshelmen Entspannung finden konnte. Katalin massierte bei dem Gedanken unwillkürlich ihre Schläfen mit den Fingerkuppen. Die Aufregung der letzten Stunden hatte dumpfen Kopfschmerz hinterlassen. Katalin hegte ein tiefes Misstrauen gegen all die Drogen und Apparaturen, mit denen sich die Marsianer im Alltag zu stetem, komplikationslosem Wohlbefinden verhalfen. Die Idee, einen der Helme im Relax-Center auszuprobieren, verwarf die junge Frau sofort wieder. Nicht einmal Mark, Dane oder die anderen Merkur-Siedler taten es, obwohl sie mit diesen Dingen aufgewachsen waren.

Katalin wäre ohnehin nicht dazu gekommen, das Relax-Center aufzusuchen.

Sie hatte den kurzen Flur hinter sich gebracht und wollte gerade das Transportband betreten. Im nächsten Augenblick nahm sie, sehr fern, einen harten, peitschenden Knall wahr. Gleichzeitig hörte sie über sich ein scharfes Knistern wie von sprühenden Funken. Sie riss den Kopf hoch, doch noch ehe sie etwas erkennen konnte, erlosch die Beleuchtung.

Finsternis senkte sich herab.

Katalin blieb stehen, tastete instinktiv nach der kühlen Wand und kämpfte gegen die Angst, die sich als eiserner Ring um ihre Brust legte.

 

*

Fünf Minuten vorher hatten Mark Nord und Ken Jarel das mehrstöckige Maschinendeck erreicht, unter dem nur noch der Schwerkraft-Generator und die gigantischen Aggregate der Antriebe in ihren Stahlkammern schlummerten.

Hier unten gab es weder Transportschächte noch Laufbänder. Wenn sich in diesem Bereich Reparaturtrupps bewegten, hieß das normalerweise, dass die Notaggregate liefen, also Energie gespart werden musste. Andernfalls nämlich hätte der Computer die Hauptarbeit erledigt - und eine Situation, in der die Menschen dem Bordrechner nicht mehr über den Weg trauten, war von den Konstrukteuren der »Kadnos« nicht vorgesehen.

Mark und Ken kletterten eine altertümliche Eisenleiter hinunter.

Umlaufende Galerien markierten die verschiedenen Ebenen, durch schmale Stege mit dem säulenförmigen Energiespeicher verbunden, der das Herz der »Kadnos« bildete. Enge Revisionsflure zweigten wie Strahlen von den Galerien ab. Ken Jarel, der sich nächst Dane Farr und den Marsianern am besten mit der Technik des Schiffs auskannte, musterte aus zusammengekniffenen Augen die Leuchtfelder mit Zahlen und Symbolen.

»Druckregulation! Na also!« brummte er, während er sich in einen der Gänge zwängte.

In der quadratischen Stahlkammer an seinem Ende lag das stete, fast unhörbare Summen in der Luft, das die Arbeit elektronischer Geräte und den Fluss von Energie begleitete.

Mark wischte sich das lange blonde Haar aus der Stirn und sah sich um. Ken, dem der krause dunkle Schopf wie ein struppiger Heiligenschein um den Kopf stand, ging zielstrebig auf ein Pult zu, an dessen Kontrollleiste ein paar Lampen rot flackerten. Ansonsten mischte sich nur beruhigender grünlicher Widerschein mit dem fahlen Licht der Handlampe. Ken Jarel runzelte die Stirn, dann zuckte er die Achseln.

»Die Kontrollen sagen nur, was auch der Computer behauptet: Dass wir einen Defekt am Schleusenschott der Frachtluke zwei reparieren müssen. Wenn wir sichergehen wollen, dass uns kein weiterer Druckabfall ins Haus steht, bleibt uns nichts übrig, als die Deckplatte abzuschrauben und nachzusehen.«

»Worauf warten wir dann noch?« fragte Mark.

Ken Jarel klappte die weiße Folientasche auf, die er am Gürtel trug.

Nacheinander berührte er mit einem bestimmten Werkzeug ein halbes Dutzend Kontakte. Danach konnte er die graue Kunststoffplatte abheben, und das verwirrende, hochkomplizierte Innenleben des Aggregats lag vor ihm.

»Sieht doch ganz gut aus«, meinte Mark Nord.

Jarel verzog das Gesicht und griff nach einem Prüfgerät.

Er kam nicht mehr dazu, es einzusetzen. Etwas knisterte. Funken sprühten. Ken Jarel wich unwillkürlich zurück. Ein scharfes, durchdringendes Zischen erklang - und das war ein Geräusch, das auch Mark sofort alarmierte.

Beide Männer retteten sich instinktiv nach draußen in den schmalen Revisionsflur.

Der scharfe, peitschende Knall brachte sie dazu, sich dicht an die stählerne Wand zu pressen. Eine schnelle, kakophonische Folge von Geräuschen ließ Ken Jarel resignierend die Augen schließen. Zwei Atemzüge - dann sprengte ihnen der Krach einer Explosion fast die Trommelfelle.

Rauch wölkte auf.

Schlagartig erlosch das Licht, eine Alarmsirene begann zu jaulen. Immer noch sprühten Funken aus dem geöffneten Aggregat. Selbst in dem schmalen Flur war der rote, zuckende Widerschein zu sehen.

»Das war's«, krächzte Ken Jarel. »Totalzusammenbruch des Lebenserhaltungssystems!«

»Aber...«

»Reg dich nicht auf! Ganz blöd waren die Konstrukteure der »Kadnos« schließlich auch nicht.«

Natürlich nicht, dachte Mark.

Die Notaggregate! Der Bordrechner arbeitete halbwegs einwandfrei, hatte Dane Farr behauptet. Also musste in der nächsten Sekunde...

Ein dumpfes, orgelndes Dröhnen erschütterte die Stahlwände.

Von einer Sekunde zur anderen flammte die Beleuchtung wieder auf. Mark Nord atmete vorsichtig ein. Die Luft schmeckte nicht anders als vorher, enthielt offenbar immer noch den nötigen Anteil Sauerstoff. Von einem Druckabfall war auch nichts zu spüren. Die Notaggregate arbeiteten einwandfrei.

Achtundvierzig Stunden, dachte Mark.

Bis dahin mussten sie einen Schlamassel repariert haben, den sie im Moment nicht einmal annähernd überschauten. Oder sie mussten in den Normalraum zurücktauchen - und hoffen, dass sie weder in ein schwarzes Loch stürzten noch in die gefährliche Nähe einer Sonne gerieten, sondern einen erreichbaren Planeten mit atembarer Atmosphäre entdeckten.

Der blonde Venusier überzeugte sich durch einen Blick, dass die Explosion keinen Brand ausgelöst hatte. Das Feuer wäre zwar von der Automatik gelöscht worden, doch es hätte Sauerstoff verbraucht.

Jenen kleinen Vorrat an Sauerstoff, der ihnen nach dem Ausfall der Lebenserhaltungssysteme noch eine Galgenfrist verschaffte.

 

*

»Heiliger Andromeda-Nebel!« murmelte Dane Farr.

Charru und Camelo hielten den Atem an. Die Marsianer waren wie versteinert. Auch sie starrten in Mark Nords deutlich rußgeschwärztes Gesicht auf dem Monitor.

»Notaggregate arbeiten einwandfrei.« Der Venusier grinste schief, weil er wusste, dass das nur sehr bedingt eine gute Nachricht war. »Ken und ich versuchen, den Mist zu reparieren, aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass es klappt. Wir müssen den Transit riskieren, Dane! Und zwar sofort! Achtundvierzig Stunden sind lang. Wenn wir auch nur ein bisschen Glück haben, werden wir einen halbwegs brauchbaren Planeten erwischen.«

»Ich weiß«, sagte Farr.

Dabei sparte er sich den Hinweis, dass sie mehr als nur ein bisschen Glück brauchten. Sie waren auf den Rücktransit vorbereitet. Dane Farr glitt in den Kopilotensitz und warf Maik Varesco einen Blick zu.

»Antriebssysteme grün«, sagte der Marsianer durch die Zähne.

Grün, ja. Aber gespeist von der Reserveenergie für Notfälle.

Charru und Camelo schnallten sich ebenfalls an. Der schwarzhaarige Barbarenfürst sah zu Jerome Crest hinüber. Der Kommandant hatte den Platz des Navigators eingenommen, der bei der Entführung der »Kadnos« schon nicht mehr an Bord gewesen war. Crests Gesicht wirkte weiß wie frischgefallener Schnee. Er hatte nichts zu tun, außer wenn die Umstände das geplante Manöver in einen Nottransit verwandelten. Und dann würde er sich zusammenreißen. Er wollte genauso wenig sterben wie die anderen.

»Alarmkommunikation«, stieß Dane Farr durch die Zähne.

Camelo begriff sofort und drückte die Sensortaste.

Mit ruhiger Stimme forderte er die Menschen an Bord auf, sich sofort auf der nächsten erreichbaren Andruckliege festzuschnallen. Danach schaltete er auf die allgemeine Kommunikation um und rief die einzelnen Kabinen, da er nicht Gefahr laufen wollte, dass jemand die Anweisungen schlicht verschlief.

Nacheinander meldeten Gerinth, Karstein und Katalin, dass sie verstanden hatten.

Gillon von Tareth war mit Raul Madsen unterwegs, um sich so weit wie möglich in die Geheimnisse der Technik einweihen zu lassen. Die beiden meldeten sich nicht, doch der Befehl über die Alarmkommunikation konnte ihnen nicht entgangen sein. Camelo wischte sich den dünnen Schweißfilm von der Stirn und wechselte einen Blick mit Charru.

Sie wussten beide, dass die angespannte Ruhe in der Kanzel der Angst entsprang.

Der Transit würde nicht weniger gefährlich sein als der erste. Sie mussten den Hyperraum blind verlassen, ohne auch nur zu ahnen, wo sie herauskommen würden. Ein Vabanquespiel! Einmal war es geglückt. Jetzt, beim zweiten Mal, hatten sie alle das Gefühl, das Schicksal herauszufordern. Aber da ihnen keine Wahl blieb, schickten sich selbst Jerome Crest und die marsianischen Techniker ohne erkennbare Panik ins Unvermeidliche.

»Transit in dreißig Sekunden«, sagte Maik Varesco.