Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

 

von

Malte Wietfeld

 

 

kein Alternativtext verfügbar

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Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

 

Herausgegeben von

Prof. Dr. Mark Deiters, Münster

Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen

Prof. Dr. Mark Zöller, Trier

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Zugl.: Bielefeld Univ., Rechtswissenschaftliche Fakultät, Diss. 2015

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Inhaltsverzeichnis

  

 Vorwort

 

Teil 1Einleitung und Gang der Untersuchung

 A.Einführende Bemerkungen

 B.Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen

Teil 2Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin

 A.Methodische Grundlagen

  I.Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken

  II.Begriff der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens

  III.Fazit zu den methodischen Grundlagen

 B.Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten

  I.Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft

  II.Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft

   1.Nötigungsherrschaft

   2.Irrtumsherrschaft

   3.Organisationsherrschaft

  III.Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft

 C.Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen

 D.Fazit zu den Kernthesen der Tatherrschaftslehre im Sinne Roxins

Teil 3Neueste Kritik an der Tatherrschaftslehre

 A.Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters

 B.Willensherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des mittelbaren Täters

  I.Das Kriterium der Irrtumsherrschaft

  II.Das Kriterium der Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate

 C.Die funktionelle Tatherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des Mittäters

 D.Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

 E.Fehlende normative Begründung des Tatherrschaftsbegriffs

 F.Kritik an der Herleitung von Mittäterschaft im Rahmen der Tatherrschaftslehre

 G.Verlust des objektiven Tatbezuges der Tatherrschaftslehre

 H.Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

  I.Tatherrschaft bei „Verursachungsdelikten“

 J.Zirkelschluss der Tatherrschaftslehre

 K.Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

 L.Fazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

Teil 4Grundsätzliches zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung

Teil 5Der Deliktscharakter des § 370 Abs. 1 AO

 A.§ 370 Abs. 1 AO als reines Pflichtdelikt

 B.§ 370 Abs. 1 AO als reines Allgemeindelikt

 C.Stellungnahme

  I.Interpretation als reines Pflichtdelikt

  II.Interpretation als reines Allgemeindelikt

  III.Fazit zum Deliktscharakter des § 370 Abs. 1 AO

Teil 6Täterschaft und Tatbeherrschung im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

 A.Täterwille

 B.Tatherrschaftslehre

 C.Pflichtdeliktslehre

 D.Differenzierung nach der Art der Pflicht

 E.Stellungnahme

  I.Einwände gegen das Kriterium des Täterwillens

  II.Einwände gegen die Differenzierung nach der Art der Garantenpflicht

  III.Einwände gegen das Kriterium der Tatherrschaft

   1.Grundsätzliche Teilnahme des Unterlassenden bei aktivem Handeln eines anderen

   2.Annahme von Tatherrschaft aufgrund von Verhinderungsmacht

    a)Grundsätzliche Einwände

    b)Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme

     aa)Bedürfnis für Unterscheidung

     bb)Unterscheidbarkeit

   3.Fazit zur Tatherrschaft aufgrund von Verhinderungsmacht

  IV.Argumente für ein Abstellen auf die Pflichtdeliktslehre

 F.Fazit zur Täterschaft und Tabeherrschung im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

Teil 7Tatherrschaft bei der unmittelbaren Täterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB)

 A.Tatbestandshandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

  I.Kommunikationstheoretische Vornahme der Tatbestandshandlung

   1.Ausdrückliche Angaben

   2.Konkludente Angaben

    a)Konkludente Angaben durch sozialtypisches Verhalten

    b)Konkludente Angaben durch schlüssiges Miterklären von Tatsachen

  II.Zwischenfazit zur Tatbestandshandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

 B.Sinnerfassende Betrachtung der Tatbestandshandlung innerhalb typischer Fallkonstellationen

  I.Ausdrückliche Angaben unter Anwesenden

  II.Ausdrückliche Angaben unter Abwesenden

  III.Konkludente Angaben unter Anwesenden

  IV.Konkludente Angaben unter Abwesenden

  V.Fazit zu der Analyse typischer Fallkonstellationen

 C.Kritische Würdigung des Kriteriums der Handlungsherrschaft im Hinblick auf unmittelbare Täterschaft bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

  I.Vorwurf der Konkretisierungsbedürftigkeit der Definition von Handlungsherrschaft

  II.Vorwurf des Verlusts des objektiven Tatbezugs

  III.Vorwurf der Missachtung der Relativität des Tatherrschaftsbegriffes

  IV.Vorwurf der Zirkelschlüssigkeit der Tatherrschaftslehre

  V.Vorwurf mangelnder normativer Begründung des Tatherrschaftsbegriffs

  VI.Normative Herleitung von Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

   1.Parallele zu Urkundsdelikten

   2.Unterschiede in der Tatbestandskonzeption von § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB und § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

   3.Übertragung der Grundsätze des Herstellers einer unechten Urkunde auf die Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung

    a)Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Grundsätze über die Abgabe einer Willenserklärung auf die Steuerhinterziehung

    b)Zwischenfazit und Konsequenz für die Tatherrschaftslehre

    c)Einwände gegen die Übertragbarkeit der Grundsätze über die zivilrechtliche Abgabe einer Willenserklärung

 D.Fazit zur Tatherrschaft bei der unmittelbaren Täterschaft gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB

Teil 8Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft (§§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)

 A.Nötigungsherrschaft

 B.Irrtumsherrschaft

  I.Kritische Würdigung des Tatherrschaftsprinzips „Irrtumsherrschaft“ bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

   1.Finale Überdetermination des Kausalverlaufs als Kriterium der Irrtumsherrschaft

   2.Die Kritik an der finalen Überdetermination des Kausalverlaufes als Tatherrschaftskriterium

   3.Mittelbare Täterschaft und „Irrtumsherrschaft“ in der Rechtsprechung zur Parteispendenaffäre

    a)Kein sicherer Eintritt des Taterfolges

    b)Erforderliches Mitwirken des potentiellen Tatmittlers

    c)Mangelnder unmittelbarer Einfluss der Hintermänner

    d)Zwischenfazit im Bezug auf die Rechtsprechung zur Parteispendenaffäre

  II.Fazit zum Tatherrschaftskriterium der Irrtumsherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

 C.Organisationsherrschaft

  I.Der Ansatz Roxins

  II.Der Ansatz der Rechtsprechung

  III.Schaffen und Ausnutzen von Rahmenbedingungen, die regelhafte Abläufe auslösen als neues Tatherrschaftskriterium

  IV.Kritische Würdigung des Tatherrschaftskriteriums „Schaffen und Ausnutzen von Rahmenbedingungen, die regelhafte Abläufe auslösen“

  V.Tatherrschaft aufgrund sozialer Machtstrukturen

   1.Nachweis der sozialen Machtverteilung

   2.Abgrenzung zur Anstiftung

   3.Kein objektiver Tatbestandsbezug

   4.Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Träger von sozialer Macht

  VI.Zwischenfazit zur Tatherrschaft im Rahmen von Organisationsstrukturen

 D.Fazit zur Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

Teil 9Tatherrschaft bei der Mittäterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB)

 A.Gemeinsamer Tatplan

  I.Sukzessive Mittäterschaft zwischen Tatvollendung und Tatbeendigung im Rahmen der Steuerhinterziehung

   1.Veranlagungssteuern

   2.Fälligkeitssteuern

   3.Zwischenfazit zur sukzessiven Mittäterschaft

  II.Gemeinsamer Tatplan und Mittäterexzess

  III.Zwischenfazit zum gemeinsamen Tatplan

 B.Gemeinsame Ausführung

  I.Mitwirkung im Ausführungsstadium

   1.Tatbestandsgelöstes Verständnis der Anforderungen an den objektiven Tatbeitrag

   2.Tatbestandsbezogenes Verständnis der Anforderungen an den wesentlichen Tatbeitrag

   3.Stellungnahme

    a)Wortlaut

    b)Vermeidung von Abgrenzungsproblemen

    c)Fehlende dogmatische Anknüpfung

   4.Zwischenfazit zur Mitwirkung im Ausführungsstadium

  II.Erheblichkeit des Tatbeitrages im Ausführungsstadium

   1.Beiträge mit konkretem Bezug zum objektiven Tatbestand

   2.Beiträge ohne konkreten Bezug zum objektiven Tatbestand

   3.Zwischenfazit zur Erheblichkeit des Tatbeitrages

   4.Inhaltliche Anforderungen an einen solchen Tatbeitrag

    a)Getrennte Erklärungen

    b)Gemeinsame Erklärungen

    c)Schlussfolgerungen

     aa)Grundsätzliches

     bb)Eigene Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen

     cc)Potentielle Eignung zur Vorlage bei einer der in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO genannten Stellen

   5.Folgefragen aus den inhaltlichen Anforderungen an einen solchen Tatbeitrag

  III.Wechselseitige Zurechnung von Tatbeiträgen als Rechtsfolge gemeinsamer Tatausführung

   1.Zurechnung unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen

    a)Gemeinsamer, auf eine Steuerverkürzung gerichteter Tatplan

    b)Gemeinsame, auf eine Steuerverkürzung ausgerichtete Tatausführung

   2.Fazit zur wechselseitigen Zurechnung von Tatbeiträgen

  IV.Zwischenfazit zur gemeinsamen Tatausführung

 C.Einwände gegen das Tatherrschaftskriterium der funktionellen Tatherrschaft

  I.Einwände gegen das Kriterium des wesentlichen Tatbeitrages

   1.Wesentlicher Tatbeitrag und Kausalität

   2.Wesentlicher Tatbeitrag und das „positive Element“ der Mittäterschaft

   3.Anforderungen an die Bestimmtheit des Täterbegriffes

   4.Zwischenfazit zu der Kritik an dem Kriterium des wesentlichen Tatbeitrages

  II.Einwände gegen den Verzicht einer Kausalbeziehung zwischen wesentlichem Tatbeitrag und tatbestandlichem Erfolg

   1.Äquivalenztheorie und Lehre von den gesetzmäßigen Bedingungen

   2.Statistisches beziehungsweise auf Wahrscheinlichkeitsaussagen abstellendes Kausalitätsverständnis

   3.Kausalität des mittäterschaftlichen Tatbeitrages als zwingende Voraussetzung funktioneller Tatherrschaft?

   4.Zwischenfazit zu den Einwänden gegen den Verzicht auf eine Kausalbeziehung

  III.Zwischenfazit zu den Einwänden gegen das Kriterium der funktionellen Tatherrschaft

  IV.Einwände gegen den unmittelbaren Rückschluss von funktioneller Tatherrschaft auf Mittäterschaft

   1.Positive funktionelle Tatherrschaft

   2.Negative funktionelle Tatherrschaft

    a)Klärung des Begriffs der „negativen“ funktionellen Tatherrschaft

    b)Negative funktionelle Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung

     aa)Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht

      (1)Der einzelne Tatbeitrag als Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht

      (2)Die gesamte Tatbestandsverwirklichung als Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht

      (3)Zwischenfazit zum Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht

     bb)Zwischenfazit zur negativen Hemmungsmacht

     cc)Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme

    c)Fazit zur Tatbeherrschung aufgrund negativer Hemmungsmacht

   3.Fazit zur negativen funktionellen Tatherrschaft

  V.Wechselseitige Zurechnung von Tatbeiträgen als Abgrenzungskriterium

 D.Fazit zur funktionellen Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

 E.Fazit zur Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB

  I.Gemeinsamer Tatplan

  II.Gemeinsame Tatausführung

Teil 10Die wesentlichen Ergebnisse

 Literaturverzeichnis

 Stichwortverzeichnis

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung erfolgte eine geringfügige Überarbeitung. Rechtsprechung und Literatur sind bis August 2015 berücksichtigt.

Mein besonders herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Andreas Ransiek, der die Arbeit angeregt und durch seine fortwährende Gesprächsbereitschaft in hervorragender Weise betreut hat. Für die Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Professor Dr. Stephan Barton, dem ich zudem ganz herzlich für die vielen angenehmen und lehrreichen Jahre, die ich während meines Studiums und Referendariats als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbringen durfte, danken möchte. Herrn Professor Dr. Michael Lindemann danke ich für seine Bereitschaft, im Prüfungsausschuss den Vorsitz zu übernehmen.

Wesentliche Teile dieser Arbeit sind während meiner ersten Berufsjahre als Rechtsanwalt bei der Herforder Kanzlei LTS Rechtsanwälte · Wirtschaftsprüfer · Steuerberater entstanden. Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen dortigen Kollegen, allen voran Herrn RA/WP/StB Dr. Stefan Hoischen, Herrn RA/StB Christian Hörster und Herrn RA/StB Hans-Achim Ernst bedanken, die mich in besonderer Weise gefördert und mir den notwendigen Freiraum für das Erstellen der Arbeit gegeben haben.

Dank gebührt darüber hinaus Frau Professorin Dr. Sudabeh Kamanabrou und Herrn Professor Dr. Ralf Krack, die das Entstehen der Arbeit immer mit Interesse begleitet und mich in vielerlei Hinsicht – von der Aufnahme in die tägliche Mensarunde bis zu angeregten inhaltlichen Diskussionen – unterstützt haben.

Der Entstehungsprozess einer solchen Arbeit wird naturgemäß von Höhen und Tiefen begleitet. Den Menschen in meiner engsten Umgebung, die sich während der Höhen mit mir gefreut und die mich in Tiefen aufgerichtet haben, widme ich dieses Buch – meiner Familie. Meiner Frau, Dr. Anne Christin Wietfeld, ohne deren ständige Gesprächsbereitschaft, deren steten Rückhalt und deren Eifer, auch jedes kleinste Formatierungsproblem in den Griff zu bekommen, die Arbeit wohl niemals entstanden wäre, meinem Sohn Jonathan, meinen Eltern Norbert und Rita Wietfeld, meiner Schwester Frauke Wietfeld sowie allen Bunten, Empties und Elbaums. Euch allen habe ich mehr zu verdanken, als ich hier ausdrücken kann.

Schließlich danke ich Herrn Professor Dr. Mark Deiters, Herrn Professor Dr. Thomas Rotsch und Herrn Professor Dr. Mark A. Zöller für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Schriftenreihe.

Bielefeld, im August 2015        Malte Wietfeld

 

 

 

 

 

Für meine Familie

Teil 1 Einleitung und Gang der Untersuchung

Inhaltsverzeichnis

A.Einführende Bemerkungen

B.Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen

A. Einführende Bemerkungen

1

Am 12.12.2012 durchsuchten auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 500 Beamte des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und der Steuerfahndung die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt. Grund für die Durchsuchung war der dringende Tatverdacht des Umsatzsteuerbetruges in Millionenhöhe im Zusammenhang mit Luftverschmutzungsrechten. Im Fokus der Ermittlungsbehörden stand unter anderem der zu diesem Zeitpunkt amtierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank. Ins Visier der Ermittlungsbehörden war er geraten, weil die Umsatzsteuererklärung der Deutschen Bank für das Jahr 2009 seine Unterschrift trug. Die Geschäfte, die im Zusammenhang mit den Luftverschmutzungsrechten getätigt wurden, fielen allerdings nicht in seinen Zuständigkeitsbereich und er wäre im Normalfall auch nicht für die Unterschrift der Umsatzsteuerklärung zuständig gewesen. Einzig, weil das eigentlich zuständige Vorstandsmitglied am Tag der Ausfertigung der Umsatzsteuererklärung nicht zugegen war, unterschrieb er an seiner statt.[1]

Mit diesem Beispiel ist zwar noch nichts Wesentliches über das Kernthema dieser Arbeit – die Tatherrschaft im Rahmen von Steuerhinterziehungen – gesagt. Es illustriert aber einen wesentlichen Aspekt des Problems, Täterschaft im modernen Wirtschaftsstrafrecht zu bestimmen: Arbeitsabläufe werden innerhalb von Wirtschaftsunternehmen in zunehmenden Maße dezentralisiert. Das Bild des Unternehmenspatriarchen, der alle Fäden in der Hand hält und über dessen Schreibtisch alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen laufen, gehört zunehmend der Vergangenheit an. Verantwortung wird dagegen immer mehr auf verschiedene Schultern verteilt, wobei jedoch in vielen Fällen – so steht es zu vermuten – der Umstand unbeachtet gelassen wird, dass rechtliche Haftungstatbestände keine Rücksicht auf interne Geschäftsverteilungspläne nehmen.

Die von dem Steuerberater eines mittelständischen Unternehmens erstellte und von dessen Geschäftsführer ungelesen unterschriebene Steuererklärung scheint heute ebenso zum Alltag zu gehören, wie die einleitend erwähnte Umsatzsteuererklärung in Millionenhöhe, die, so hat es den Anschein, „zwischen Tür und Angel“ unterschrieben und damit autorisiert wird. Hierbei scheint jedoch allzu häufig unberücksichtigt gelassen zu werden, dass – bereits dem Rechtsempfinden nach – durch eine eigenhändige Unterschrift nach außen hin eine persönliche Garantie für die unterzeichneten Inhalte übernommen wird. Diese Entwicklung dürfte einem immer schnelllebigeren Wirtschaftsleben geschuldet sein. Das Strafrecht hat indes die Aufgabe, fortwährend mit derartigen Entwicklungen Schritt zu halten. Idealerweise kann es die Strafbarkeit eines Ladendiebes anhand derselben Kriterien bestimmen wie diejenige der Mitglieder eines europaweit tätigen Umsatzsteuerkarussells.

Nicht nur im Bereich der Steuerhinterziehung besteht diesbezüglich heute zwischen Wissenschaft[2] und Rechtsprechung[3] ein weitreichender Konsens, dass es für die Bestimmung von Täterschaft auf die Tatherrschaft oder jedenfalls „den Willen zur Tatherrschaft“ ankommen soll. Der vorliegenden Arbeit liegt die Frage zugrunde, ob das Kriterium der Tatherrschaft tatsächlich dazu geeignet ist, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. In der als „Badewannenfall“ berühmt gewordenen Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1940[4] war noch unmittelbar einleuchtend, dass die junge Frau, die das unehelich geborene Kind ihrer Schwester direkt nach der Geburt und ohne eigenes Tatinteresse in der Badewanne ertränkte, aufgrund der vollständig eigenhändigen Tatverwirklichung – und damit vollständig eigenen Herrschaft über den Tatverlauf – nicht lediglich als Teilnehmerin angesehen werden konnte, sondern als Täterin hätte verurteilt werden müssen. Dieser Fall verdeutlicht somit nachdrücklich die Vorzüge der Tatherrschaftslehre, die dem objektiven Tatverlauf einen hohen Stellenwert zubilligt. Im Zuge der oben beschriebenen Dezentralisierung von Arbeitsabläufen in Unternehmen verschwinden derart klare Grenzen zwischen eigenhändiger Tatverwirklichung und originärer Tatverantwortung jedoch in zunehmendem Maße. Wer ist beispielsweise verantwortlich, wenn ein Bote, in Kenntnis der darin enthaltenen unrichtigen Angaben, die Steuererklärung seines Vorgesetzen an das Finanzamt übermittelt?[5] Das Rechtsempfinden wird jedenfalls auch – womöglich aber auch ausschließlich – den Vorgesetzten als Verantwortlichen nennen. Aber hatte er in diesem Fall in irgendeiner Form Herrschaft über das zur Tatbestandsverwirklichung führende Geschehen? Hatte er eine wie auch immer geartete (Tat-)Herrschaft?

Die besondere Bedeutung des Kriteriums der Tatherrschaft im Zusammenhang mit derartigen Fragen zeigt sich an dem Umstand, dass sich Rechtsprechung und Wissenschaft bei der Bestimmung von Täterschaft sowie der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zwischenzeitlich ein gutes Stück aufeinander zu bewegt haben. Die Rechtsprechung trägt ihrem ursprünglich rein subjektiv geprägten Ansatz heute durch eine Bestimmung des Täterwillens anhand einer wertenden Gesamtschau verschiedener subjektiver und objektiver Kriterien Rechnung. Die Ergebnisse dieser wertenden Gesamtschau hängen dabei „unter anderem von dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft ab“.[6] Insoweit wird von einer „normativen Kombinationstheorie“ gesprochen.[7] Vor diesem Hintergrund kann durchaus von einer gewissen Hinwendung der Rechtsprechung zur Tatherrschaftslehre gesprochen werden.[8]

Anmerkungen

[1]

S. www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bank-fitschen-wird-trotz-ermittlungen-nicht-zuruecktreten-a-872598.html (letzter Aufruf: 3.1.2014).

[2]

Siehe etwa Joecks F/G/J Steuerstrafrecht § 369 Rn. 73; Klein/Jäger AO, § 370 Rn. 212; MünchKommStGB/Schmitz/Wulf § 370 AO, Rn. 381; Kummer W/J HB des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 20. Kap. Rn. 22; Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 98 f.; Hadamitzky/Senge E/K Strafrechtliche Nebengesetze, § 370 AO Rn. 80, Sieja DStR 2012, 991 (992).

[3]

Siehe etwa BGH v. 9.4.2013, 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1179); v. 7.11.2006, 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345; v. 30.6.2005, 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 f. (45); v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56 f. (56); v. 15.1.1991, 5 StR 492/90, BGHSt. 37, 289 (291).

[4]

RGH v. 19.2.1940, III D 69/40, RGHSt 74, 84 ff.; siehe dazu auch Johannsen Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung, S. 76 ff.

[5]

Siehe dazu Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 107.2.

[6]

Siehe etwa BGH v. 9.4.2013, 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1179); v. 7.11.2006, 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345; v. 30.6.2005, 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 f. (45); v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56 f. (56); v. 15.1.1991, 5 StR 492/90, BGHSt. 37, 289 (291).

[7]

Siehe nur Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 22.

[8]

Rotsch NStZ 2005, 13 (16 f.).

B. Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen

2

Mit den vorstehenden Ausführungen ist der Rahmen für die vorliegende Arbeit abgesteckt. Es geht mithin um eine Analyse des Kriteriums der Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Hieraus leitet sich zwangsläufig die Folgefrage ab, wie genau „die Tatherrschaft“ zu definieren ist. Aus dem Kriterium der Tatherrschaft haben sich eine Reihe von Theorien und Meinungen herausgebildet, die zwar sämtlich die Herrschaft über das Geschehen als gemeinsame Basis für die dogmatische Herleitung von Täterschaft, sowie die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme haben, sich in ihrer genauen Ausgestaltung jedoch – zum Teil erheblich – voneinander unterscheiden. Nur beispielhaft[1] erwähnt seien hier etwa die Theorie von der „funktional-sozialen“ Tatherrschaft[2], sowie die Theorie der „objektiven“ Tatherrschaft[3]. Nach der funktional-sozialen Tatherrschaft kommt es für die Bestimmung von Täterschaft stets auf eine wertende Betrachtung des Geschehens an. Unabhängig von einem bestimmten real-körperlichen Verhalten gehe es stets um die Frage, wem der tatbestandsmäßige Erfolg als sein Werk zuzurechnen sei. Dies gelte gleichermaßen für unmittelbare-, mittelbare- und Mittäterschaft.[4] Anders bei der Theorie von der objektiven Tatherrschaft. Diese Theorie tritt umfassend von einem subjektiv geprägten Täterbegriff ab und verlagert sich stattdessen vollständig ins Objektive. Täter und damit Tatherr könne nur eine Person sein, die selbst – durch eigenes Verhalten – einen Teil des objektiven Tatbestands der jeweils in Rede stehenden Strafnorm verwirklicht habe.[5] Dies habe insbesondere Auswirkungen auf die Mittäterschaft. Jeder Mittäter müsse dort durch eigenes Verhalten einen Teil des objektiven Tatbestands verwirklichen, um Tatherrschaft zu haben und deshalb Mittäter zu sein.[6] Allein diese kurzen Schilderungen verdeutlichen den weiten Rahmen, in dem sich das Kriterium der Tatherrschaft heute bewegt.

Vor dem Hintergrund, dass der Frage nach Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung – soweit ersichtlich – bislang noch keine umfassende Untersuchung gewidmet wurde, erscheint es sinnvoll, mit der Tatherrschaftslehre im von Roxin verstandenen Sinne nur eine der verschiedenen denkbaren Varianten dieser Täterlehre in den Fokus zu nehmen.[7] Hintergrund ist, dass Roxin zwar nicht als Begründer, dagegen jedoch durchaus als derjenige bezeichnet werden kann, der die Tatherrschaftslehre als Erster umfassend ausgearbeitet sowie strukturiert hat und dessen Verständnis von Tatherrschaft damit heute als Basis der Tatherrschaftslehre bezeichnet werden kann.[8]

Hierzu sollen zunächst noch einmal kurz die wesentlichen Grundideen der Tatherrschaftslehre im von Roxin verstandenen Sinne ins Bewusstsein gerufen werden. Sodann schließt sich als weitere Vorarbeit eine Auswertung der in jüngster Zeit vermehrt laut gewordenen Grundsatzkritik an der Tatherrschaftslehre an. Ziel ist es, auf diese Weise ein Fundament zu schaffen, auf dessen Grundlage anschließend eine Untersuchung von Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung erfolgen kann, die sich zum einen an den Grundlagen dieser Täterlehre orientieren und zum anderen mit der grundsätzlichen Kritik hieran auseinandersetzen kann.

Anmerkungen

[1]

Eine umfassende Darstellung verschiedener Varianten der Tatherrschaftslehre findet sich bei Schild Tatherrschaftslehren, insbesondere S. 33 ff.

[2]

Otto Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 7 f; 26; siehe dazu auch Schild Tatherrschaftslehren, S. 63 f.

[3]

Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 ff; siehe dazu auch Schild Taherrschaftslehren, S. 74 ff.

[4]

Otto Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 52 ff., 68 ff., 93 ff.

[5]

Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 (589 f.)

[6]

Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 (595 f.)

[7]

Soweit im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung vereinzelt auf weitere Tatherrschaftstheorien abgestellt wird, so erfolgt dort jeweils ein gesonderter Hinweis.

[8]

Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 8.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin

Inhaltsverzeichnis

A.Methodische Grundlagen

B.Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten

C.Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen

D.Fazit zu den Kernthesen der Tatherrschaftslehre im Sinne Roxins

3

Roxin hat seine Tatherrschaftslehre erstmals im Jahr 1963[1] umfassend ausgearbeitet. Seitdem hat er sie ständig fortentwickelt und zuletzt im Jahr 2006[2] umfassend auf einen neuen Stand gebracht. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesem Stand seiner Lehre.

Anmerkungen

[1]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 1. Auflage 1963.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Auflage 2006.

A. Methodische Grundlagen

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › I. Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken

I. Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken

4

Der Tatherrschaftslehre Roxins liegt eine Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken zu Grunde.[1] Ontologie ist die „Lehre vom Sein“.[2] Sie gliedert sich in die grundsätzliche Frage danach, was das Sein ausmacht und in die Frage danach, was, beziehungsweise „welche allgemeinsten Arten von Seiendem“ als „Inventar unserer Welt“ existieren.[3] Es geht der Ontologie um die Erforschung vorgegebener Sachzusammenhänge.[4] Übertragen auf die Täterlehre bedeutet dies, dass ein ontologisches Täterverständnis versuchen muss, den Täterbegriff anhand rechtlich vorgegebener und im Bewusstsein des Menschen existierender Phänomene zu erklären.[5]

Roxin verbindet ein derartiges ontologisches Denken mit teleologischen Erwägungen. Teleologie bezeichnet bekanntlich die Lehre von den Zwecken oder Zielen. Im Bereich des menschlichen Handelns untersucht die Teleologie also den durch das menschliche Verhalten verfolgten Zweck.[6] Im rechtswissenschaftlichen Zusammenhang bedeutet das eine am Gesetzeszweck orientierte Denkweise.[7] Ein teleologisches Täterverständnis bestimmt Täterschaft daher anhand einer wertenden Betrachtung des Tatverhaltens.[8]

Einer derartigen Verbindung von ontologischem und teleologischem Denken bedarf es nach Auffassung Roxins deshalb, weil vorgegebene Bedeutungsinhalte und sinnstiftende Wertsetzungen einander stets gegenseitig beeinflussten. Dies führe zu einer fortwährenden Wechselwirkung.[9] Aufgrund dieser Wechselwirkung könne Täterschaft weder einseitig ontologisch noch einseitig teleologisch, sondern nur durch eine Verbindung beider Denkansätze bestimmt werden.[10]

Anmerkungen

[1]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 19 ff., 25.

[2]

Kuhlmann Enzyklopädie Philosophie, S. 1856; siehe zur Funktion der Ontologie in der Rechtswissenschaft Kaufmann Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 11 f.

[3]

Kuhlmann Enzyklopädie Philosophie, S. 1857.

[4]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 15.

[5]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 13 ff.

[6]

Hampe/Bschir Enzyklopädie Philosophie, S. 2721.

[7]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 13.

[8]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 7 ff.

[9]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 25.

[10]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 19 ff.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › II. Begriff der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens

II. Begriff der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens

5

Aus dieser Verbindung von ontologischem und teleologischem Denken leitet Roxin ein übergeordnetes Leitprinzip von Täterschaft ab. Danach sei der Täter die „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens.“[1] Der Begriff der „Zentralgestalt“ soll dabei sowohl einer teleologischen als auch einer ontologischen Interpretation zugänglich sein. So könne der Gesetzgeber bei einer wertenden, also teleologischen Betrachtung seines Täterbegriffes nur so verstanden werden, dass er den Tatausführenden „als Mittelpunkt und Schlüsselfigur des Deliktsvorgangs“ verstanden wissen wolle. Bei einer auf vorrechtliche Sinnzusammenhänge abstellenden, also ontologischen Betrachtung beschreibe der Begriff der „Zentralgestalt“ dagegen eine plastische und im Gemeinbewusstsein lebende Vorstellung dessen, was einen Täter ausmache.[2] Es dürfe jedoch nicht verkannt werden, dass dieses Leitprinzip allein noch nichts darüber aussage, durch welche inhaltlichen Kriterien die Zentralgestalt, also der Täter im Einzelfall, zu bestimmen sei.[3] Es handele sich daher gerade nicht um eine Definition, sondern lediglich um eine plastische Umschreibung von Täterschaft, aus der erst abgeleitet werden müsse, was in der konkreten Situation den Täter ausmache.[4] Für diese Ableitung müsse der Tatherrschaftsgedanke herangezogen werden. Nur dieser liefere zutreffende Ergebnisse bei der Bestimmung von Täterschaft und sorge für eine adäquate Harmonisierung der Versuche, Täterschaft ausschließlich subjektiv oder ausschließlich objektiv bestimmen zu wollen.[5]

Unter Heranziehung des Tatherrschaftsgedankens sagt Roxin auf dieser Grundlage, „dass Zentralgestalt des Deliktsvorgangs ist, wer das zur Deliktsverwirklichung führende Geschehen beherrscht, während Teilnehmer auf das Geschehen zwar ebenfalls Einfluss nehmen, seine Ausführung aber nicht maßgeblich gestalten“.[6] Hierbei sei zu beachten, dass der Begriff der Tatherrschaft als „offener“ Begriff interpretiert werden müsse.[7]

Ein offener Täterbegriff habe den Vorteil, sich wechselnden Fallgestaltungen anpassen aber gleichzeitig auch generalisierende Beurteilungen zulassen zu können.[8] Abzulehnen sei es dagegen, Tatherrschaft als unbestimmten oder fixierten Begriff zu interpretieren. Ein unbestimmter Begriff gebe der richterlichen Würdigung zu wenige Vorgaben und billige ihr damit eine zu große Machtfülle zu.[9] Ein fixierter Begriff sei dagegen unter anderem deswegen abzulehnen, weil eine begriffliche Fixierung zwangsläufig eine Abstraktion notwendig mache, um alle denkbaren Einzelfälle erfassen zu können. Eine derartige Abstraktion würde aber automatisch zu Lasten einer – gleichwohl notwendigen – Realitätsnähe des Täterbegriffes gehen.[10] Demgegenüber könne ein offener Täterbegriff für sich in Anspruch nehmen, durch ein beschreibendes Verfahren zur Ermittlung von Täterschaft die vorgenannten Mängel zu vermeiden.

Schließlich gelte zusätzlich Folgendes: Bei Delikten, bei denen Täterschaft aus der Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen abgeleitet werden könne, müsse von sogenannten „Herrschaftsdelikten“ gesprochen werden. Neben Herrschaftsdelikten seien jedoch weitere Deliktstypen denkbar, bei denen sich die Täterschaft gerade nicht aus der Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens ergebe. Für diese Delikte sei der Gedanke der Tatherrschaft daher nicht heranzuziehen. Bei diesen Deliktstypen handele es sich um sogenannte Pflicht- und eigenhändige Delikte.[11]

Anmerkungen

[1]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 25.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 26.

[3]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 26.

[4]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 25.

[5]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 30.

[6]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 13.

[7]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 123 ff.

[8]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 123, 125.

[9]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 117.

[10]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 121.

[11]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 14 f.; siehe zur alternativen Täterbestimmung bei diesen Deliktstypen unten Rn. 14.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › III. Fazit zu den methodischen Grundlagen

III. Fazit zu den methodischen Grundlagen

6

Damit geht Roxin im Rahmen seiner Tatherrschaftslehre von den folgenden methodischen Grundlagen aus: Der Täter wird als Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens beschrieben. Zentralgestalt soll dabei in der Regel[1] derjenige sein, der Tatherrschaft hat. Der Täterbegriff ist dabei weder ein unbestimmter noch ein fixierter, sondern vielmehr ein „offener“ Begriff, der es ermöglicht, Tatherrschaft und damit letztlich Täterschaft anhand eines beschreibenden Verfahrens ebenso flexibel wie generalisierend zu bestimmen. Die Offenheit des Täterbegriffes soll dabei dazu dienen, einen Ausgleich zwischen der Erfassung verschiedenster Lebenssachverhalte einer- und dem Bedürfnis nach vorgefassten Kriterien anderseits, zu schaffen.[2]

Anmerkungen

[1]

Das gelte nicht für Pflichtdelikte und eigenhändige Delikte.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 123.

B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten

7

Auf diesen methodischen Grundlagen entfaltet Roxin sein beschreibendes Verfahren zur Ermittlung von Täterschaft bei Herrschaftsdelikten. Entsprechend der heute in § 25 StGB normierten Dreiteilung unterscheidet er dabei drei verschiedene Täterschaftsformen: den unmittelbaren Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB), den mittelbaren Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) und den Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB). Allen drei Täterschaftsformen komme dabei eine spezifische Art der Tatherrschaft zu: der unmittelbare Täter zeichne sich durch Handlungsherrschaft, der mittelbare Täter durch Willensherrschaft und der Mittäter durch funktionelle Tatherrschaft aus.[1]

Anmerkungen

[1]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 28.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten › I. Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft

I. Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft

8

Die Handlungsherrschaft ist nach Roxin das Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB). Als unmittelbaren Täter kraft Handlungsherrschaft bezeichnet Roxin denjenigen, „der – sei es allein, sei es unter Beteiligung mehrerer – den gesamten Tatbestand durch eigenkörperliche Aktivität (also i.d.R. mit eigener Hand) verwirklicht.“[1] Die eigenhändige Tatausführungsei die stärkste denkbare Form der Tatbeherrschung. Handlungsherrschaft werde hier durch die eigenhändige Vornahme der tatbestandsentsprechenden Handlung vermittelt.[2] In Abkehr vom „Badewannen“-[3] und vom „Stachynskijfall“[4] sei es deshalb ausgeschlossen, Täterschaft allein aus subjektiven Momenten herzuleiten und daher eine Person, die das tatbestandsmäßige Geschehen zwar selbst vorgenommen, aber kein eigenes Tatinteresse gehabt habe, nicht als Täterin einzustufen.[5] Diese Ausprägung der Zentralgestalt finde sich heute auch im Wortlaut des § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB wieder, der denjenigen als Täter ansehe, der die Tat „selbst…begeht“.[6]

Anmerkungen

[1]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 38.

[2]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 38.

[3]

RGH v. 19.2.1940, 3 D 69/40, RGHSt 74, 84 ff.

[4]

BGH v. 19.10.1962, 9 StE 4/62, BGHSt 18, 87 ff.

[5]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 39 f.

[6]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 38.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten › II. Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft

II. Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft

9

In § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB stellt der Gesetzgeber klar, dass Täter auch eine Person sein kann, die den Taterfolg nicht eigenhändig, sondern durch einen anderen verursacht hat. Diese Form der Täterschaft wird bekanntlich als mittelbare Täterschaft bezeichnet. Spezifische Ausprägung von Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft ist nach Ansicht von Roxin die sogenannte Willensherrschaft.[1] Dem Hintermann soll dabei eine willensbeherrschende Machtposition über den unmittelbar Ausführenden zukommen. Der Wille des unmittelbar Ausführenden könne in diesem Zusammenhang auf drei unterschiedliche Arten beherrscht werden. Demgemäß unterteile sich die Willensherrschaft in Willensherrschaft kraft Nötigung (Nötigungsherrschaft), Willensherrschaft kraft Irrtums (Irrtumsherrschaft) und Willensherrschaft kraft der Beherrschung eines organisatorischen Machtapparates (Organisationsherrschaft).[2]

1. Nötigungsherrschaft

10

Grundlage der Nötigungsherrschaft sei das sogenannte Verantwortungsprinzip. In Fällen der Willensherrschaft kraft Nötigung übe der Hintermann auf den unmittelbar Tatausführenden einen derartigen Druck aus, dass dieser von seiner strafrechtlichen Verantwortung gemäß § 35 StGB befreit werde. Die Befreiung des unmittelbar Tatausführenden von strafrechtlicher Verantwortung habe dabei automatisch die Belastung des druckausübenden Hintermannes mit täterschaftlicher Verantwortung zur Folge – dies sei Ausfluss des „Verantwortungsprinzips“ und vermittele dem Hintermann Tatherrschaft.[3]

2. Irrtumsherrschaft

11

Strukturell von der Nötigungsherrschaft zu unterscheiden sei die sogenannte Willensherrschaft kraft Irrtums. Während bei der Nötigungsherrschaft die Verhaltenszurechnung über eine Entbindung von strafrechtlicher Verantwortung aufgrund ausgeübten Drucks geschehe, soll im Bereich der Willensherrschaft kraft Irrtums nicht Zwang sondern ein Mehr an Wissen der entscheidende Faktor für Verhaltenszurechnung und damit die Tatherrschaft sein.[4] Der Tatherr habe hier aufgrund seines Wissensvorsprungs die Möglichkeit einer „gestaltenden Überdetermination“, weil er durch sein Mehr an Wissen die Möglichkeit habe, den Tatverlauf nach seinem Willen zu gestalten.[5] Irrtumsherrschaft sei dabei in vier verschiedenen Varianten denkbar. Erstens könne Irrtumsherrschaft vorliegen, wenn der Hintermann den Tatausführenden in einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum versetze.[6] Zweitens könne Irrtumsherrschaft vorliegen, wenn der Hintermann sich einen Verbotsirrtum des unmittelbar Tatausführenden zunutze mache.[7] Drittens könne Irrtumsherrschaft vorliegen, wenn ein Hintermann den unmittelbar Tatausführenden derart täusche, dass dieser über die Voraussetzungen eines entschuldigenden Notstandes irre.[8] Schließlich hält Roxin Irrtumsherrschaft viertens ausnahmsweise dann für denkbar, wenn der unmittelbar Tatausführende zwar volldeliktisch handele, aber gleichwohl einer Willensbeeinflussung durch einen Hintermann ausgesetzt sei, „die sich zwar nicht auf die juristische Verantwortlichkeit des unmittelbar Handelnden, aber auch nicht nur auf dessen Motive, sondern auf die Tat als solche beziehen und sie zu einer anderen machen, die dem Hintermann zugerechnet werden kann.“[9] Denkbar seien in diesem Zusammenhang Täuschungen über die Unrechtshöhe, über qualifikationsbegründende Umstände oder die Identität des Opfers.[10]

3. Organisationsherrschaft

12

Dritte und letzte Form der Willensherrschaft ist nach der Lehre Roxins die Tatherrschaft kraft der Beherrschung eines organisatorischen Machtapparates – kurz Organisationsherrschaft genannt.[11]

Organisationsherrschaft sei letztlich eine Sonderform des Täters hinter dem volldeliktisch handelnden Täter. Grundgedanke der Organisationsherrschaft ist, dass es neben der Nötigungsherrschaft und der Irrtumsherrschaft eine weitere Fallgruppe gibt, in der der Hintermann – ohne zu zwingen oder zu täuschen – einen derartigen Einfluss auf den unmittelbar Ausführenden ausübt, dass dieser Einfluss die Qualität von Tatherrschaft hat und damit täterschaftsbegründend ist.[12] Zu denken sei hierbei an die Beherrschung eines rechtsgelösten Machtapparates, der so hierarchisch organisiert sei, dass die Befehlshaber dieses Machtapparates allein aufgrund ihrer übergeordneten Stellung in dieser Organisation Straftaten verursachen könnten. Diese Straftaten würden dadurch begangen, dass ein entsprechender Befehl gegeben werde und sich die Machthaber – auch ohne Zwang oder Täuschung – sicher sein könnten, dass ihr Befehl von irgendeinem der Befehlsunterworfenen ausgeführt werde. Tatherrschaftsbegründend sei bei diesen Straftaten letztlich die sogenannte „Fungibilität“, also die Auswechselbarkeit des Tatausführenden. Dieser sei schlicht ein auswechselbares und jederzeit ersetzbares Instrument, wohingegen die wahre Tatbeherrschung beim Hintermann liege.[13] Insgesamt lässt sich also festhalten, dass Roxin das Vorliegen von Organisationsherrschaft ursprünglich von den folgenden Voraussetzungen abhängig gemacht hat: Zunächst müsse ein organisatorischer Machtapparat vorliegen, der sich durch eine hierarchische Gliederung kennzeichne. Dieser Machtapparat müsse insgesamt rechtsgelöst sein. Im Rahmen dieses rechtsgelösten Machtapparates konstituiere sich die Tatherrschaft des Hintermannes dann durch die jederzeitige Austauschbarkeit, also die Fungibilität des unmittelbar Handelnden, die dem Hintermann den Taterfolg garantiere.[14]

Für die vorliegende Untersuchung ist von Bedeutung, dass das Kriterium der Organisationsherrschaft zwischenzeitlich durch den BGH aufgenommen und zum Gegenstand seiner Rechtsprechung im Rahmen von rechtsgelösten Machtapparaten gemacht wurde.[15] Darüber hinaus findet sich wiederholt die Formulierung[16], der BGH habe den Gedanken der Organisationsherrschaft mittlerweile auf die Rechtsprechung zur mittelbaren Täterschaft von verantwortlichen Hintermännern im Rahmen von Wirtschaftsunternehmen ausgedehnt. Hierin bestehe für ihn eine verlockende Möglichkeit in kompliziert gelagerten Fällen täterschaftliche Verantwortung herzuleiten.[17] Dies wirft für die vorliegende Untersuchung die Frage auf, inwieweit sich eine derartige Rechtsprechung auch für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Rahmen der Steuerhinterziehung fruchtbar machen lässt.

Anmerkungen

[1]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 45 ff.

[2]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 45 ff.

[3]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 47 ff.

[4]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 62.

[5]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 232.

[6]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 63 ff.

[7]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 76 ff.

[8]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 91 ff.

[9]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 95.

[10]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 94 ff.

[11]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 105 ff.

[12]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 244 f.

[13]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 107; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 128; in diese Richtung auch ders. Täterschaft und Tatherrschaft, S. 243 f.

[14]

Neuerdings nennt Roxin als weiteres Kriterium die „organisationsspezifische Tatbereitschaft“, siehe Roxin FS Schroeder, S. 387 (397 f.).

[15]

Siehe etwa BGH v. 26.7.1994, 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218 (236 f.).

[16]

Siehe nur Heinrich FS Krey, S. 147 (152) mit zahlreichen Nachweisen.

[17]

Rotsch NStZ 2005, 13 (18).

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten › III. Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft

III. Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft

13

Die spezifische Variante der Tatherrschaft im Bereich der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) sei schließlich die funktionelle Tatherrschaft.[1] Die Herrschaft über die Tat soll sich bei der Mittäterschaft aus der Funktion des Täters bei der Tatausführung ergeben. Mittäterschaft sei Tatbestandsverwirklichung durch anteilige beziehungsweise arbeitsteilige Ausführung der Tat. Tatherrschaft werde hierbei dadurch vermittelt, dass der Ausführende eine Aufgabe übernehme, die für die Realisierung des gemeinsamen Tatplans wesentlich sei. Korrektiv sei hierbei, ob dem Ausführenden durch diesen Tatbeitrag die Beherrschung des Gesamtgeschehens ermöglicht werde, auch wenn er nicht sämtliche wesentlichen Tatbeiträge eigenhändig vorgenommen habe.[2] Eine solche Beherrschung sei dann denkbar, wenn der Beteiligte durch die Verweigerung seines Tatbeitrages dazu in der Lage sei, den gesamten Deliktsplan scheitern zu lassen. Eine derartige Hinderungsmacht verleihe Tatherrschaft über die gesamte Tat.[3] Mittäterschaft sei dementsprechend von zwei Voraussetzungen abhängig: dem Vorliegen eines gemeinsamen Tatplans und der gemeinsamen Tatausführung. Die gemeinsame Tatausführung setze wiederum voraus, dass ein wesentlicher Tatbeitrag im Ausführungsstadium der Tat erbracht werde.[4]

Anmerkungen

[1]

Siehe dazu Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188 ff.; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, S. 275 ff.; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 154.

[2]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 154; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 278 f.

[3]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188.

[4]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 189; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 173 ff.

C. Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen

14

Roxin wendet die Tatherrschaftslehre nur auf die von ihm sogenannten Herrschaftsdelikte an. Daneben gebe es jedoch mit den Pflichtdelikten und den eigenhändigen Delikten zwei Deliktsgruppen, für die das Tatherrschaftskriterium keine taugliche Grundlage zur Bestimmung von Täterschaft biete.[1] Die Unanwendbarkeit des Tatherrschaftsgedankens folge sowohl bei den Pflichtdelikten als auch bei den eigenhändigen Delikten aus ihrer Tatbestandsstruktur und sei keine Eigenart des Tatherrschaftsgedankens.[2] Der Gesetzgeber habe zwei Möglichkeiten, ein deliktstypisches Verhalten in einer dem nullum-crimen-Grundsatz entsprechenden Weise tatbestandlich erfassen zu können.[3] Die eine Möglichkeit bestehe darin, das sozial unerträgliche Verhalten im Tatbestand der Strafvorschrift möglichst genau zu definieren. Für diese „Handlungsdelikte“ sei das Kriterium der Tatherrschaft das geeignete Abgrenzungsmerkmal zur Ermittlung von Täterschaft.[4][5]

[6][7][8][9]