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Westend Verlag

Ebook Edition

Roberto J. De Lapuente

Rechts gewinnt, weil Links versagt

Schlammschlachten, Selbstzerfleischung und rechte Propaganda

Westend Verlag

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-692-7

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Vorwort
Einleitung: Alerta, alerta Antifa!
Kein Gespenst geht um
Der Jürgen oder Warum er trotzdem Merkel wählte
DSDWWL: Deutschland sucht den wirklich wahrsten Linken
Der Postmaterialismus, das Fressen und die Moral
Der dritte Weg: ABM für die Linke
Weiter so?
Fundis: Besonders linke Linke
Der zeitlose Klassiker für jede Demo: Die Antifas
Deutschland, Deutschland unter alles: Die Antideutschen
Was fürs Herz: Fantifas und Kolleginnen
Die anonymen Aphoristiker: In der K-Gruppentherapie
Geh doch wieder nach drüben!
Mit Narzissmus gegen Nazismus
Die Moralkeule von der Geschicht’
Der wahre Wert: Ein Warenwert
Mal die Luft anhalten: Ein adoleszentes Trotzverhalten
Mikrokosmische Selbstisolation
Keine Meinung haben ist keine Meinung
Linker Generationenvertrag: Altersstarrsinn sucht jugendlichen Leichtsinn
Die Alternativlose: Jutta Ditfurth und ihr avantgardistisches Geschäftsmodell
Gar kein Materialismus ist auch keine Lösung
Das Nichtige wichtig, das Wichtige nichtig
Alles entpolitisiert
Die verlorene Deutungshoheit oder Geriatrischer Radikalismus
Die Linke schafft (sich) ab
Kapitalismus abschaffen?
Hartz IV abschaffen?
NATO und EU abschaffen?
Den schlechten Menschen abschaffen?
Eine Brandtrede: Über naiven Humanismus
Und schon wieder Marx
Zeiten ändern dich: Alter Hut Neue Linke
… ging im Evoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit …
Realos light oder Hunde, wollt ihr ewig opponieren?
Kreativer Sozialismus: Der Rheinische Kapitalismus wäre doch ein guter Ansatz
Frugaler, unaufgeregter, entspannter: Attraktiv für Jürgen werden
Weil links und rechts eben doch keine überkommenen Kategorien sind
Nachwort
Anmerkungen

Anmerkungen

Einleitung: Alerta, alerta Antifa!

1 Helmut Schmidt verglich Oskar Lafontaine am 14. September 2008 in der Bild am Sonntag mit »Adolf Nazi«, wie er sich ausdrückte. Noch am selben Tag griff der Publizist Roland Tichy diese Vorlage im Presseclub auf und unterstrich damit, dass die Demokratie in Gefahr sei.

2 Hans-Olaf Henkel mahnte am 19. September 2007 an, dass die Rhetorik Oskar Lafontaines jener der Nationalsozialisten gleiche. Online unter: https://www.welt.de/politik/article1195626/Henkel-wirft-Lafontaine-Nazi-Sprache-vor.html

3 Schirrmacher, Frank: »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat«, 15.8.2011, online unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buergerliche-werte-ich-beginne-zu-glauben-dass-die-linke-recht-hat-11106162.html, abgerufen am 15. Juni 2017

4 Berger, Jens: Mit freundlicher Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, nachdenkseiten.de, online unter: http://www.nachdenkseiten.de/?p=33587, abgerufen am 12. Juni 2017

5 Rickens, Christian: Links! Comeback eines Lebensgefühls, Berlin, 2008

6 Aly, Götz: Unser Kampf. 1968, Frankfurt am Main, 2008

7 Fleischhauer, Jan: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde, Hamburg, 2009

Kein Gespenst geht um

1 Laut einer Studie von TNS Infratest, die das Bundespresseamt im Jahr 2013 in Auftrag gab, handelt es sich bei Studenten um eine konservative Gruppe. Nur 45 Prozent gaben an, sich für Politik zu interessieren. 73 Prozent der Befragten zeigten sich hingegen stark konsumorientiert.

2 Crouch, Colin: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II, Berlin, 2011

3 Der Philosoph Peter Sloterdijk zum Beispiel regte an, dass Zwangssteuern explizit für Reiche abgeschafft werden sollten, um sie durch ein System freiwilliger Zahlungen zu ersetzen.

4 Innenminister erhebt Vorwürfe gegen Linkspartei, faz.net, online unter: http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/blockupy/peter-beuth-sieht-mitverantwortung-der-linke-13508178.html, abgerufen am 18.Oktober 2017

5 In seinem Werk Ich und Du von 1923 versucht Martin Buber, die zwischenmenschliche Wahrnehmung mittels Chassidismus, Meister Eckhart und frühem Existenzialismus zu ergründen.

6 Gabriel erklärte etwa zwei Monate vor der Bundestagswahl 2013 in einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung, unter welchen Umständen eine Koalition mit der Linkspartei entstehen könnte.

7 »Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegentheil. Für Hegel ist der Denkproceß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.«, MEW Band 23, S. 27

8 Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, München, 1976.

9 Plessner, Helmuth: Mit anderen Augen. Aspekte einer philosophischen Anthropologie, Stuttgart, 1982

10 Das Modernisierungskonzept vom Juni 1999, das der Öffentlichkeit unter dem Namen Schröder-Blair-Papier geläufiger war, hieß in der deutschen Ausgabe »Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten«. Im englischen Sprachraum firmierte das Papier unter dem eher unscheinbaren Namen »Europe: The Third Way«.

Fundis: Besonders linke Linke

1 Georg Elser (1903–1945), deutscher Widerstandskämpfer, scheiterte im November 1938 mit einem Bombenattentat im Bürgerbräukeller.

2 Enzensberger, Hans-Magnus, Hitlers Wiedergänger, Spiegel Nr. 6/1991

3 Wetzel, Wolf, Vom linken Bellezismus zum anti-deutschen Befreiungsimperialismus, Bahamas 38/2002

4 De Lapuente, Roberto J.: Das anrüchige Geschlecht, ad sinistram, 7. August 2010, online unter: http://ad-sinistram.blogspot.de/2010/08/das-anruchige-geschlecht.html, abgerufen am 17. September 2017

5 Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims, Berlin, 2016, S. 120

6 Ebenda, S. 78 f.

7 Wer hier einen schnellen, aber eloquenten Überblick sucht, dem sei Ulrike Herrmanns Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung angeraten. Speziell ab Seite 136ff., wo es heißt, »Auch ein Genie darf irren«, zeigt sie auf, dass Marx kein geheiligtes Wort hinterlassen konnte.

8 Aly, Götz, Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück, Frankfurt am Main, 2008

9 Ebenda, Seite 13

Mit Narzissmus gegen Nazismus

1 Fromm, Erich, Die Kunst des Liebens, New York, 1956

2 Martin Walser in seiner Rede in der Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998.

3 https://www.sozialismus.info/2005/07/11327/

4 http://www.antifa-frankfurt.org/Nachrichten/eier_auf_lafontaine.html

5 Maaz, Hans-Joachim, Die narzisstische Gesellschaft, München, 2012

6 Ebermann, Thomas: Die Nationale, konkret 3/2017

7 Hebel, Stephan: Sehr geehrter AfD-Wähler, wählen Sie sich nicht unglücklich. Ein Brandbrief, Frankfurt am Main, 2016

8 Goscinny, René & Uderzo, Albert: Asterix in Spanien, Stuttgart, 1973

9 Berger, Jens: Wie schlecht es um die SPD steht, zeigt auch ein Blick auf den Nachwuchs, nachdenkseiten.de, 7. Dezember 2017, online unter: http://www.nachdenkseiten.de/?p=41465#more-41465, abgerufen am 8. Dezember 2017

10 Schmitz, Stefan: Der Revolutionär aus der Fremde, stern.de, 21. November 2007, online unter: http:// www.stern.de/politik/geschi chte/bahman-nirumand-der-revolutionaer-aus-der-fremde-3226 336.html, abgerufen am 25. September 2017

11 Knorr, Wolfram: Monster, Movies, Macht und Massen. Amerikanische Kultur: 200 Jahre Lust und Last, Zürich, 2000

12 Gay, Peter: Die Macht des Herzens. Das 19. Jahrhundert und die Erforschung des Ich, München, 1997, zitiert nach Knorr

Linker Generationenvertrag: Altersstarrsinn sucht jugendlichen Leichtsinn

1 Ditfurth, Jutta: Durch unsichtbare Mauern. Wie wird so eine links?, Köln, 2002

2 Grünes Licht für Vielfalt in der Liebe, ndr.de, 15. Mai 2017, online unter: http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Grue nes-Licht-fuer-Vielfalt-in-der-Liebe,ampelmaennchen104.html, abgerufen am 24. September 2017

3 Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch, Frankfurt am Main, 1967.

4 Nowroth, Götz; Keilbach, Miriam, Explora-Museum schließt, fr.de, 11. Oktober 2016, online unter: http://www.fr.de/frankfurt/nach-rassistischen-tweets-explora-museum-schliesst-a-305149, abgerufen am 26. September 2017

5 Popovic, Anja: »Jutta Ditfurth ist eine blöde, blöde Kuh!«, welt.de, 8.9.2005, online unter: https://www.welt.de/print-welt/article16 3872/Jutta-Ditfurth-ist-eine-bloede-bloede-Kuh.html, abgerufen am 29. Dezember 2017

6 Ditfurth, Jutta: Zeit des Zorns: Streitschrift für eine gerechtere Gesellschaft, München, 2009

Die Linke schafft (sich) ab

1 Ziegler, Jean: Ändere die Welt! Warum wir die kannibalistische Weltordnung stürzen müssen, München, 2015

2 Forrester, Viviane: Der Terror der Ökonomie, Wien 1997

3 https://www.frankfurter-stadtevents.de/Datum/26-Dezember-2017/Straenblick_20011138/

4 https://www.derkommunistischekampf.com/falscher-sozialismus-staatskapitalismus/

5 Herrmann, Ulrike: Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam. Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen. Frankfurt am Main, 2013

6 Gysi, Gregor, Die Kader regieren mit, Spiegel Nr. 13/1994

7 »Wir müssen ja keine begeisterten Nato-Anhänger werden«, 10.7.2016, online unter: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-07/bodo-ramelow-rot-rot-gruen-sahra-wagenknecht-thue ringen-nato

8 In seinem Text »Prekarität ist überall« versteht Bourdieu den Begriff »Prekarität« als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen der sozialen und ökonomischen Unsicherheit, das Menschen in allen sozialen Schichten und nicht nur Menschen in Armut betrifft.

9 Lassalle, Ferdinand, Was nun? Zweiter Vortrag über Verfassungswesen, erstmals gehalten am 17. November 1862 im Mundtschen Saal in der Köpenickerstraße 100 in Berlin-Kreuzberg, Zürich, 1863

10 http://www.willy-brandt.de/fileadmin/brandt/Downloads/Rede_Willy_Brandt_Nobelpreis_1971.pdf

Und schon wieder Marx

1 Houellebecq, Michel, Ausweitung der Kampfzone, Berlin, 1999

2 Boltanski, Luc, Leben als Projekt, Polar-Zeitschrift

3 Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe, Frankfurt am Main, 2014

4 Assmann, Aleida: Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne, München, 2013

5 Wagenknecht, Sahra: Freiheit statt Kapitalismus: Über vergessene Ideale, die Eurokrise und unsere Zukunft, Köln, 2012

6 Chantal Mouffe im Interview mit The European: »Populismus ist notwendig«, online unter: http://de.theeuropean.eu/chantal-mou ffe--2/7812-chantal-mouffe-ueber-populismus-in-der-eu, abgerufen am 31.12.2017

Weil links und rechts eben doch keine überkommenen Kategorien sind

1 Lessenich, Stephan: Der Rassismus im lafonknechtschen Wagentainment, Neues Deutschland, 11. Oktober 2017, online unter: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1066535.der-rassismus-im-lafonknechtschen-wagentainment.html?sstr=wagentain ment, abgerufen am 13. Oktober 2017

Vorwort

Es ist ja nicht nur so, dass ich persönlich von den Affekten, Neigungen und Übertriebenheiten linker Fundis genervt bin. Um meine persönliche Befindlichkeit geht es mir in diesem Buch eher sekundär. Ich glaube eigentlich vielmehr, dass die fundamentalistische linke Haltung uns gesamtgesellschaftlich lähmt, uns ihm Status neoliberaler Gesellschaftstransformation und neuer rechter Umtriebe konserviert. Und dieser Umstand ist es, der mich nervt.

Ihr Fett hat die Linke ja in den letzten Jahren in trister Regelmäßigkeit wegbekommen. Das bürgerliche Feuilleton, drittklassige Kolumnisten und Hinterbänkler der Historikerzunft, tobten sich mit vertrauter konservativer Affektiertheit an einem Linksruck ab, den es so, wie sie ihn beschrieben, gar nicht gab. Es dennoch zu behaupten: Das war trendy. Und so haben sich im letzten Jahrzehnt einige Linkenhasser redlich darum bemüht, den Menschen ihr ganz eigentümliches Bild von den Linken im Lande zu vermitteln. Alles nur aus einem Grund: damit die Wählerinnen und Wähler nur bloß keine Experimente wagen.

Freilich war nicht alles, was diese Mahner da so an Instruktionen an ein Massenpublikum herantrugen, gänzlich verkehrt. Natürlich spinnen einige Linke im Lande. Manche sogar gewaltig. Was diese Publizisten allerdings verkehrt dargestellt haben: Sie haben »analytisch« so getan, als ob die Fundis, die sie beschrieben, eins zu eins mit der seinerzeit noch recht jungen Partei der Linken in Deckungsgleichheit zu bringen wären. Auf diese Kolumnisten werden wir gleich noch zu sprechen kommen. Nicht zu ausgiebig – versprochen. Wir haben anderes vor, als Fake-Publizisten zu ernst zu nehmen.

Es ist ein sonderbares Paradox, dass die linken Fundis zwar politisch isoliert sind, keinen Platz mehr an den Schalthebeln politischer Entscheidungsgremien einnehmen, aber gleichzeitig nichtsdestoweniger irgendwie noch einen Wirkungseinfluss auf die allgemeine Befindlichkeit dieser politischen Richtungsangabe zeitigen. Wie eine Kaste von hochmütigen Hohepriestern predigen sie »ihrer« linken Community – ob sie es will oder nicht –, wie man ein richtiges und sittsames Leben im falschen leben sollte. Mit Profanitäten gibt man sich da gar nicht erst ab, mit irritierenden Tatsachen auch nicht. Und sie sind dabei mindestens so faktenresistent wie jene Postfaktischen, als deren politische Kombattanten sie sich wähnen. Wer braucht schon Fakten, wenn er eine Meinung hat? Unfehlbarkeit scheint nicht nur ein katholisches Faible zu sein.

Dieser Einfluss als spirituelle Lordsiegelbewahrer eines Lebensgefühls bringt ein klitzekleines Problem mit sich: Er modelliert aus politischer Weltanschauung eine bizarre, fast esoterisch angehauchte Religion. In Zeiten der Säkularisierung ist das eine ganz miserable Verkaufsstrategie. Und weil die Menschen ja auch noch von manchem Kolumnisten und Historiker gesagt bekamen, dass alle Linken fundamentalistischen Gemüts, ja regelrechte Zeloten seien, lassen sie sich auf eine linke Perspektive gar nicht erst ein. Wer hat schon gesteigerte Lust darauf, dass moralische Wanderprediger in politischen Ämtern aufgehen?

Dieses Buch möchte eine triviale Tatsache nochmals klarstellen: Die Linken – die gibt es gar nicht. Es gibt wie überall solche und solche. Und dann sind da noch diejenigen, die ein bisschen solchener sind als die anderen. Und die schrecken mit ihrer Haltung, ihrem Hang zur Dramatisierung und Diabolisierung politischer Kontrahenten ganz gewaltig die politischen Normalverbraucher ab. Auch – und darum geht es mir vor allem in diesem Buch – auf Kosten anständiger Leute aus dem linken Lager.

Das ist fürwahr kein Nischenproblem, keine Randgruppensorge. Denn es wird langsam, aber sicher Zeit für eine Alternative zur Altersnaiven im Kanzleramt. Eine Alternative übrigens, die diesen Namen verspricht und nicht nur im Namen trägt. Traurig genug, dass man diesen Satz heute nachschieben muss, damit er nicht in den falschen Hals gerät.

Damit alternativ etwas geht, muss sich auch die Linke von ihren fundamentalen Lebenslügen und fundamentalistischen Kollegen ein bisschen distanzieren. Es ist an der Zeit, dass sich das linke Projekt entspannt und von gewissen falschen Freunden deutlich distanziert. Am besten so schnell wie möglich – es eilt, die Neoliberalen machen Koalition, die Rechten knobelbechern im Reichstag durch die Reihen. Links muss was passieren.

Verwechselt die linken Fundis nicht mit der Linken – sie sind es nicht. Sie pflegen einen – nett ausgedrückt – reaktionären Stil und sind eines wahrscheinlich schon lange nicht mehr: links. Ich gebe es ja zu, diese Schlussfolgerung war ein bisschen billig, denn diese besonders linken Linken behaupten ja dasselbe auch von denen, die nicht so radikal sind wie sie.

Daran sieht man: Es geht um die Deutungshoheit innerhalb der Linken. Und es geht darum, endlich eine vernünftige Alternative darzustellen, die die Menschen nicht mit utopischen Aussichten und Umerziehungsratschlägen verprellt.

Lasst euch von diesen speziellen Linken nicht treiben, liebe Linke – auch so hätte dieses Buch letztlich heißen können.

Kein Gespenst geht um

»Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe.«

– Gesellschaft für deutsche Sprache über das Unwort des Jahres 2010: »alternativlos« –

Im Grunde sind das da draußen blühende Landschaften für Parteien, die programmatisch linke Konzepte feilbieten. Blühende Landschaften deshalb, weil eben nichts aufblüht, sondern ganz im Gegenteil, nach und nach so einiges verdorrt. Der öffentliche Sektor verkümmert zum Beispiel aufgrund der Mangeldiät des schlanken Staates. Das Sozial- und das Gesundheitswesen darben. Normale Arbeitsverhältnisse weichen geringfügigen Beschäftigungen. Und der Niedriglohnsektor ist dementsprechend der ganze Stolz der Eliten. Dieses eiskalte Klima prägt Deutschland schon seit etlichen Jahren und Jahrzehnten. Hätte in dieser Zeit eine Partei mal vom wirtschaftlichen Standpunkt aus die Arbeitnehmerseite vertreten, sogenannte Nachfrageökonomie betrieben, sie hätte eigentlich recht ordentlich punkten müssen und wäre so zu einem parlamentarischen Machtfaktor emporgestiegen.

Hätte gepunktet? Wäre emporgestiegen? Der Konjunktiv ist natürlich an dieser Stelle nur ein rhetorischer Kniff. Denn selbstverständlich gab es eine solche Partei. Es gibt sie sogar noch immer. Deutungshoheit außerhalb oppositioneller Diskurse hat sie jedoch nie erlangt. Obgleich sich in dieser Republik das frostige Milieu ausprägte, das für einen politischen und letztlich wirtschaftlichen Linksschwenk notwendig wäre, stecken wir noch immer tief und fest in der Angebotsökonomie. Konservativ zu sein ist weiterhin voll im Trend. Selbst die Studenten bekennen sich dazu1 und reihen sich ein in jenen Stillstand, der vorgibt, der Zeitgeist sein zu müssen. Wegen der Alternativlosigkeit halt. Und sie sind konservativ, wiewohl das Leben als Student mitnichten einfacher oder gar billiger geworden ist. Man denke nur an die jahrelange Irrfahrt der vom neoliberalen Bildungsideal entgeisterten Politik und ihrer Studiengebühren. In Deutschland vererbt sich Arbeitslosigkeit ebenso wie ein Studium. Die pos­tulierte Leistungsgesellschaft ist oft das glatte Gegenteil ihrer selbst.

Schade, es geht einfach kein Gespenst um in Deutschland. Obwohl es uns ganz gut täte. Es gab wohl kurzzeitig eine elitäre Furcht, dass da ein Spuk beginnen könnte. Bestätigt hat sich diese Angst allerdings keinesfalls. Die Linken fristen seit einer Dekade und länger ihr Dasein als Randphänomen im Bundestag. Als Marx einst sein Manifest mit eben diesem berühmten Satz vom umgehenden Gespenst einleitete, da kochte und rumorte es tatsächlich merklich in den europäischen Gesellschaften. Die brutalen Resultate der neuen ökonomischen Verhältnisse ließen ihn glauben, dass das Gespenst schon wabere und flackere. Teilweise hatte er insofern recht, als sich da eine Massenbewegung aufschwang. Überall entstanden sozialistische Parteien, die im Laufe der nächsten Jahrzehnte das Gesellschaftsbild prägten. Die Verhältnisse waren ein fruchtbarer Boden für progressive Tendenzen. Der ganz große Wurf nach der Lesart Marxens, der Umsturz nämlich, die Auflösung des Kapitalismus im Kommunismus, das hingegen blieb aus. Bei jeder neuerlichen Krise in Europa schrie er trotzdem nochmal kurz auf, dass es nun eintreten würde, ja eintreten müsse. Aber da irrte der Marx, solange er strebte. Er war eben auch nur ein Mensch.

Letztlich ist die aktuelle Szenerie auch gespenstisch ohne dieses so oft zitierte Gespenst. Nur aus dem gegenteiligen Grund. Es braut sich ja eben nichts zusammen. Und das ist fürwahr richtig unheimlich. Trotz Finanzkrise und dem in jenen krisengeschüttelten Tagen schüchtern vorgetragenen Eingeständnis, dass die herrschende Weltwirtschaft enorme Ungleichheit und Ungerechtigkeit fabriziere und darüber hinaus wie ein gigantisches Glücksspiel funktioniere, erlebte der Neoliberalismus ein »befremdliches Überleben«, um es mal mit einem bekannten Buchtitel aus der Feder Colin Crouchs zu sagen2. Toxische Papiere sind mittlerweile wieder in Kreditderivaten gebündelt. Die Party geht weiter, der Schampus läuft über, die Boni fließen. Und das politische Primat schwindet und schwindet und überträgt Entscheidungskompetenzen immer ungenierter gesetzlich nicht legitimierten Gremien aus der Wirtschaft. Diverse Freihandelsabkommen sind ja zum Beispiel tatsächlich nichts weiter als der Abschied der Politik aus der Entscheidungsberechtigung – im Hinterzimmer klärt sich dann der ganze Rest.

Alles sprach jedenfalls dafür, dass es sukzessive ein Umdenken geben könnte. Ja müsste. Eine linke Partei mit stark ausgeprägtem sozialdemokratischem Profil und gewerkschaftlicher Erdung betrat die Szenerie folglich ja auch. Noch fuhren die Medien zwar eine Kampagne gegen diese Linkspartei. Aber früher oder später würde sie sich schon ausreichend etabliert haben, um angehört und ernst genommen zu werden. Als dann die Krise kam, schien es so weit zu sein. Nicht wenige glaubten gar, der Kapitalismus sei nun drauf und dran, sich selbst zu erledigen. Dass die Kapitalisten noch jenen Strick verkaufen, mit dem man sie in der Folge aufknüpft, das stellte schon Lenin fest. Diese Krise, so glaubten viele, sei nun ein solcher Strick. Lange genug hat man am eigenen Niedergang ja gestrickt. Wie Marx hatten sich die Hoffenden getäuscht. Das ist übrigens ohnehin eine sehr abgeschmackte Vorstellung von den globalen Prozessen, die die systematische Dynamik unter den Teppich kehrt. Denn Systeme sind gewissermaßen sozialevolutionäre Konstruktionen. Man schafft sie nicht einfach ab. Aber zu diesem Thema weiter hinten mehr.

Wahr ist hingegen, dass der Kapitalismus nicht nur weiterhin entfesselt wütet, es hat sich in ihm nicht mal eine linke Alternative etabliert, sich kein neues progressives Bewusstsein über die ökonomischen Zusammenhänge durchgesetzt und politisch manifestiert. Wir machen einfach weiter, wie wir es seit Jahren tun. Immer weiter. Und vor allem: Immer weiter so.

Ob es denn nun an den Kampagnenjournalisten alleine liegt? Oder dann doch an diesem durch RTL und Bild so substanzlos unterhaltenen Wahlvolk? Vielleicht liegt es auch bloß an den Folgen, die das angebliche Ende der Geschichte (nach Fukuyama) der Linken bereitet hat. Verlierer sind eben nie sexy. Wir werden bestimmt einen Schuldigen finden. Die Linke allerdings, sie ist natürlich unschuldig. Oder nicht?

Es ist diese selbstgerechte Larmoyanz, gemischt mit etlichen anderen Spezialitäten, von denen noch die Rede sein wird, die mindestens genauso zum Versagen der Linken beitragen wie die eben genannten Punkte. Denn das ist es, was sich die Linke hier unterstellen lassen muss: Alles war bereitet für sie, für eine Renaissance und für einen Wendepunkt zu mehr Progressivität. Sie aber findet weiterhin als Nischenexistenz statt. Und das ist unser aller Problem. Besonders aber das Problem derer, die dieser Tage glauben, sie könnten mit Rechtsalternativen retten, was der Neoliberalismus verbockt hat.

Der Jürgen oder Warum er trotzdem Merkel wählte

Jürgen stimmte mir und meinen Genossen, wie er sie oft im Spaß nannte, in vielen Punkten zu. Die Linken hätten schon ganz richtige Ansichten. Jedenfalls lägen sie mit ihrer Kritik nicht immer ganz falsch. Wer kann denn auch was gegen den Mindestlohn haben, wenn er selbst jahrelang unter diesem Standard arbeitete? Jürgen schuftete vor einigen Jahren mit mir in der Gastronomie. Auf geringfügiger Basis. Er war damals schon um die sechzig, stockte seine nicht gerade üppige Frührente mit Cateringfahrten auf. Knochenarbeit für ein Zubrot. Vorher hatte er als Schriftsetzer gearbeitet. Bis die Branche quasi von der Bildfläche verschwand. Ein Modernisierungsverlierer, wie man im Ökonomenschwätz sagt.

Der Mann kam ganz ohne Zweifel aus der Arbeiterschicht, was er mir auch damit bestätigte, dass seine Eltern immer die Sozialdemokraten gewählt hätten. Willy Brandt war ihr Star. Klassische linke und gewerkschaftliche Forderungen konnten ihn schon deshalb zwangsläufig nicht kaltlassen. Außerdem wusste er aus der Empirie seines Lebens ja, wo man landen konnte, wenn man dazu verdammt war, im Schweiße seines Angesichts für seinen Lebensunterhalt zu schuften.

Er und im Grunde sein ganzer Bekanntenkreis gehörten ja zu den Säulen der Gesellschaft, auch wenn das in der Öffentlichkeit ganz anders dargestellt wurde. Dort kamen Leistungsträger nicht als Lieferanten wie er vor, sondern als dicke Fische, die als Mitglied der oberen Zehntausend absahnten und Steuerzahlungen für einen staatlichen Beutezug zur Stabilisierung der Diktatur der Unterschicht hielten – und die sich diesen Steuernihilismus auch noch intellektuell verbrämen ließen3. Jürgen war jetzt als älterer Herr im Dienstleistungsgewerbe ein unter schwerem körperlichen Einsatz schuftender Träger des Systems. Er karrte Mittagessen in nicht barrierefreie Schulen und Kindergärten, mit schweren GN-Edelstahlbehältern beladen ging es für ihn treppauf und treppab. Er war gewissermaßen ein Rädchen im Betreuungsangebot, das Staat und Zivilgesellschaft für schulpflichtige Kinder mehr schlecht als recht machten und privaten Versorgern überließen. Würden Leute wie er sich nicht auf solche Arbeitsstellen bewerben, bräche das ohnehin wackelige System zusammen und erwerbstätige Eltern, dieselben übrigens, die Leute wie Jürgen eher verächtlich als gescheiterte Botenexistenzen behandelten, diese Eltern müssten sich nach einer anderen Betreuung für ihr Sonnenscheinchen umsehen.

Insofern sah sich Jürgen, trotz seiner Randexistenz am Arbeitsmarkt, durchaus auch als systemrelevanten Typen an. Als Leistungsträger – immerhin trug er ja Mengen an Essbarem durch die Gegend. Ohne Leute wie ihn ging es nicht. Für ihn waren deswegen auch die Reinigungskräfte des Gastronomiebetriebes, für den er sich verdingte, keine Gescheiterten oder Abgehängten. Sie hatten eine wichtige Aufgabe im Gesamtkomplex. Einer musste ja auch putzen. Sonst ersticken am Ende alle im Dreck. Warum sollte eine solche Arbeit nicht genauso angesehen sein, fragte mich Jürgen oft rhetorisch. Doch wohl nur, damit man sie derart weit unter dem Wert bezahlen kann, dass der Lohn am Ende wie ein Taschengeld aussah. Da hatte Jürgen tatsächlich ein sehr ausgeprägtes Rechts- und Moralverständnis. Früher hätte man das auch Klassenbewusstsein genannt. Er war so vom Typ her ein traditioneller Gewerkschafter des Herzens, tatsächliches Mitglied einer Gewerkschaft war er allerdings nicht.

So gesehen war der Mann also für linke Politik und Anregungen offen. Ihm war auch klar, dass die nachfrageorientierte Ökonomie keine Lobby hatte. Natürlich sagte er es nicht so. So einen überkandidelten Duktus vertrug er gar nicht. Wenn er allerdings behauptete, dass die Situation für die kleinen arbeitenden Leute immer schlechter würde, dann meinte er damit genau das, was Experten zuweilen kritisieren: Die Angebotsökonomik dominiere den Exkurs.

Bei mir müsse er allerdings aufpassen, erklärte er oft augenzwinkernd. Ich und meine Genossen, die würden uns alle noch zu Kommunisten umdrehen wollen. Natürlich waren das infantile Scherze, die das Arbeitsklima auflockern sollten. Aber so ein bisschen Wahrheit steckte wohl drin, denn die Partei »Die Linke« war für Jürgen gar keine Option. Und das, obgleich sie ja in ihrer ökonomischen Ausrichtung mit den Ansichten Schritt hielt, die auch er als richtig erachtete. Am Donnerstag vor der Bundestagswahl 2013 gestand mir Jürgen dann gar, dass er am Sonntag für die Bundeskanzlerin stimmen würde. Sein Motiv: Uns gehe es trotzdem ja noch relativ gut. Ein Blick ins Ausland, auch gerade zu den europäischen Nachbarn in Spanien oder Griechenland, bestätige dies doch nur. Außerdem sei es für ihn auch eine Sache des Vertrauens, sie zu wählen.

So war er der Jürgen. Ein feiner Kerl, aber manchmal ein bisschen irrational. Das ganze Jahr über erzählt er einem was von Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialwesen, von gesellschaftlichen Verwerfungen und Schweinereien, selbst steckte er auch mit einem Bein in der Misere, aber am Ende kreuzt er die Partei an, deren oberste Repräsentantin wie keine andere für Sozialabbau und Privatisierung steht, die eine moderate Steuerpolitik für Reiche anbot und den Niedriglohnsektor als Werk ihres Vorgängers nicht nur hinnahm, sondern bewusst ausbaute.

Dieses Phänomen kennen sicherlich viele Linke. Sie erleben, wie Werktätige und Arbeitslose ihnen recht geben, erleben, dass die Schwerpunkte, die die Linke, ob als Partei oder als grundsätzliche politische Richtungsangabe, im Wesentlichen von den Menschen als richtig eingestuft werden. Ob nun mehr sozialer Ausgleich oder die Einhaltung demokratischer Prozesse, ob bessere Mitsprachebedingungen im Arbeitsalltag oder striktere staatliche Regularien zur Bändigung eines allzu freien Marktes: All das unterschreibt einem die Mehrheit derer, die man früher noch als Proletariat bezeichnet hätte. Gewählt wird am Ende aber dann trotzdem konservativ. Und was noch schlimmer ist: neoliberal. Man wählt aus irgendeinem sadomasochistischen Drang heraus glatt das Gegenteil dessen, was man eigentlich möchte – und was man auch schon als für sich selbst besser begriffen hat im Vorfeld des Urnenganges.

Jürgen war dabei vielleicht der typische Merkel-Wähler. Kein Konservativer im klassischen Sinne, kein vertrockneter Jammerer, der die Union wählte, weil er sie als letzte Bastion vor dem Untergang wähnte. Er war stets höflich, spaßig und kollegial. Aber im Umgang mit Obrigkeiten leider duckmäuserisch. An reger Phantasie mangelte es ihm zudem, sodass er höchsten Wert auf jene Strukturen legte, die er von jeher kannte. Was nicht in den bekannten Zügen strukturiert ist, würde er sofort als Chaos titulieren. In dieser Beziehung war er freilich spießig. Aber jeder hat ja so seinen Spleen. Zumindest las er in jenen Jahren nie die Bild, dafür guckte er viel Plasberg und Jauch und glaubte sich bei den »öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten« umfassend informiert. RTL sah er stets kritisch. Aber er guckte es dennoch gelegentlich. Was ihn teilweise politisch beschäftigte, das waren die Nebelkerzen, die der Mainstream in seinen vielen Formaten ausbreitete, die aber bei genauer Betrachtung eher Nebensächlichkeiten waren.

Ich erinnere mich, dass ich mit ihm mal darüber debattierte, wo der Markt zu enden und die staatliche Obhut anzufangen habe. Bei der Energiepolitik zum Beispiel. Oder bei der Wohnungspolitik. Im Gesundheitswesen ohnehin. Es gäbe nun mal schlicht Bereiche, in denen sei eine reine Ausrichtung nach armseligen Methoden der Kosten-Nutzen-Analytik nicht haltbar. Jürgen überlegte eine Weile und gab mir dann recht. Mensch, er habe ja auch nichts gegen die Linken, sagte er in solchen Momenten. Wagenknecht sei hochintelligent und auch so als Mann könne er ihr was abgewinnen. Und über Gysi lacht er ja auch gerne, der sei als Typ einfach genial. Lafontaine fand er jetzt zwar nicht so sympathisch, aber trotzdem habe der Mann eine grandiose Begabung, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

All das hätte ihn ja eigentlich in ein anderes Lager bei der Bundestagswahl treiben müssen. Aber Pustekuchen! Angela Merkel hatte auch ihm vorgemacht, dass sie den Laden gut im Griff habe und an sich ja eine sozialdemokratisierte Union führe. Manchmal wollte ich seinerzeit den Jürgen würgen, um ihn zur Besinnung zu bringen.

Die Linken in Deutschland, so meinte Jürgen dann und wann, haben eben ein großes Problem: Sie seien schon mal gescheitert. Er meinte damit logischerweise den real existierenden Sozialismus. Der war eine gute Idee an sich, entgegnete er, aber halt auch so weltfremd. Gegenwärtig schreckten ihn all diese Spinner in der Partei der Linken oder jedenfalls in deren Umfeld ab. Und lese man nicht immer noch in der Zeitung, dass die Linkspartei eigentlich nichts weiter als die Nachfolgepartei der SED sei? Die Mauertoten halt, immer wieder kamen die Mauertoten genau dann bei Jürgen zur Sprache, wenn er merkte, dass er eigentlich für diese Linkspartei votieren müsste. Von dort aus kanzelte er auch die vermeintlichen Heuchler der Linken ab: Denn was soll man eigentlich von Linken halten, die mit dem Porsche vorfahren oder sich eine Villa zulegen? In Jürgen akkumulierten all diese bekannten Einwände und Vorwürfe, die man den Schmuddelkindern von links angeheftet hatte in vielen Jahren der inszenierten Schmähung.

Nach den Protesten und Ausschreitungen im Zuge der Eröffnung des neuen EZB-Gebäudes im März 2015 regte sich Jürgen maßlos über die Ereignisse in den Straßen Frankfurts auf. Natürlich wusste er, dass die Europäische Zentralbank keine Einrichtung für die hart arbeitenden Menschen war, keine demokratische Musteranstalt der Mildtätigkeit. Aber was da geschah, dieser Krieg gegen Polizisten unter Inkaufnahme von Verletzungen, das machte ihn für linke Alternativen nicht gerade offener. Er wusste natürlich, dass auch im Umfeld der Linkspartei um die Gunst linkssektiererischer Gruppierungen gebuhlt wurde. Von der Hand weisen konnte man diesen Gedankengang nun tatsächlich nicht. Es verteidigen dann auch einige Parteigenossen das, was diese Horden von Spinnern seinerzeit in Frankfurt veranstaltet hatten. Und das hessische Innenministerium warf der Partei vor, einigen dieser linken Rowdies etwaige Räumlichkeiten für die Vorbereitung auf die Krawalle bereitgestellt zu haben.4

Schließlich ist Jürgen also wie so viele andere einerseits den neoliberalen Kampagneros erlegen, die ihre angebotsorientierte Sicht von der Welt als Vernunft hinstellen. Deren offenes Linken-Bashing überhörte er zwar größtenteils, er folgte lieber den stillen, sich besonnen gebenden, leicht süffisanten Linken-Kritikern. Die latente Sozialstaatsfeindlichkeit nahm er überdies als Sachzwang wahr. Dass die Neoliberalen das Zusammenleben der Menschen als reine Geldfrage ansehen, hinterfragt er nur, wenn man ihn daran erinnert, dass es doch mehr als das gibt. Ethische Bewertungen lässt die Begrenzung auf Finanzierbarkeiten zwangsläufig nur noch selten zu. Natürlich muss man sehen, wie etwas bezahlt wird – aber wenn das nicht mit dem moralischen Aspekt des menschlichen Miteinanders korreliert, dann betreibt man die methodische Sinnentleerung des organisierten Zusammenlebens, erklärte ich ihm. Ach, ihr hochtrabenden Linken immer, lächelte Jürgen, ihr meint es ja bestimmt gut, aber …

Tja – und andererseits hat er im Laufe vieler Jahre so manchen linken Protest erlebt. Dieses Chaotentum, das sich überheblich und selbstverliebt gibt und letztlich jeden politischen Diskurs daran scheitern lässt, kein Gespräch suchen zu wollen, sondern es mit oberlehrerhafter Belehrung und unproduktiver Provokation der Polizei zu versuchen. Einen eher gewerkschaftlich orientierten Charakter, wie Jürgen einer war und noch gut verkappt hinter der Resignation, die der alternativlose Zeitgeist gebiert, wohl noch ist, können schwarze Blöcke einfach nicht beeindrucken. Und wer diese Leute mit der Linkspartei in Verbindung bringt, der hat gleich noch weniger Laune, sich für sie bei einer Wahl zu entscheiden.

So wählte Jürgen eben keine Partei, die besser für ihn gewesen wäre. Er wählte gegen seine Interessen und ahnte es auch, denn Merkels Kümmerinnenkurs war schon 2013 im Bröckeln begriffen. Aber das schlechte Gewissen nach Jahren der Kampagnen gegen die Linkspartei machte das möglich. Und ziemlich sicher auch die Spinner am linken Rand. Jedenfalls verstärkten die mindestens Jürgens Entscheidung. Blöderweise spielt sich das alles in Zeiten ab, da linke Politik, nachfrageorientierte Ökonomie und alternative Konzepte eigentlich Hochkonjunktur gehabt hätten. Ja – und noch immer haben müssten.

DSDWWL: Deutschland sucht den wirklich wahrsten Linken

Im Roman Neue Vahr Süd von Sven Regener leistet die Hauptfigur Frank Lehmann unter der Woche seinen Wehrdienst in Bremen ab und pennt am Wochenende in einer jener links angehauchten Wohngemeinschaften, wie es sie in den späten Siebzigern oder frühen Achtzigern noch gab. Bei einem abendlichen Gespräch in der WG lobt ein offensichtlich ziemlich links orientierter Mitbewohner die Friedfertigkeit des Sozialismus und die pazifistischen Absichten der Nationalen Volksarmee in Ostdeutschland. Als Lehmann recht naiv fragt, wie man dann die erhöhte Bereitschaft zum Wochenenddienst erklären könne, die die Soldaten aus der DDR angeblich an den Tag legten, springt der linke Kerl total entrüstet auf und erklärt, dass unter diesen Umständen der Dialog für ihn beendet sei. Das sei ihm zu faschistisch. Schönen Abend noch.

Diese Szene deckt sich durchaus mit meinen persönlichen Erfahrungen. Ich habe ja lange einen Blog mit spezifisch linken Themen betrieben und dort sammelte auch ich dann und wann solche Eindrücke. Ich hatte es dort mit Leuten zu tun, die tatsächlich wie linke Sektierer auftraten. Einige erzählten in den Kommentaren, die sie absonderten, etwas von steinzeitsozialistisch eingefärbten und asketischen Lebensmodellen, die jetzt unbedingt nötig würden, wolle die Menschheit überleben. Die schönen Konsumwelten mit ihren Hochglanzstyles jedenfalls, in denen wir uns heute bewegten, die beinhalteten keine Zukunft mehr. Bescheidenheit sei eine Zier. Weniger Wohlstand ein Gebot der Gerechtigkeit. Etwaige entbehrungsreiche Polpotismen füllten tatsächlich manche Kommentarspalte.