Vorrede

Inhaltsverzeichnis

Indem ich dem Publikum hiermit diesen tiefrührenden und fast romanartigen Hexenprozeß übergebe, den ich wohl nicht mit Unrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantesten aller bis jetzt bekannten genannt habe, erteile ich zuvörderst über die Geschichte des Manuskriptes die folgende Auskunft:

In Koserow auf der Insel Usedom, auf meiner vorigen Pfarre und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als zweihundert Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der dortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, in welcher ich zwar schon öfter einige Skripturen liegen gesehen, die ich jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes für verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der Tat auch deren eine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich, mit Unterricht in der Kirche beschäftigt, ein Papierzeichen in dem Katechismus eines Knaben suchte und es nicht sogleich finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster unter jenes Chorgestühl und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen war und aus dem er ohne weiteres einen geeigneten Papierstreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder gebundene Manuskript war nicht bloß vorne und hinten defekt, sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten an wie nie in meinem Leben; er entschuldigte sich aber dahin, daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuskript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschengedenken umhergelegen und er öfter in Papier-Verlegenheit gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte und so weiter. Der greise, halbblinde Pastor hätte es für alte Kirchenrechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu gebrauchen seien. (Und in der Tat kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim ersten Anblick zu diesem Irrtum verleiten konnten, und außerdem ist die Handschrift schwer zu lesen und an einigen Stellen vergilbt und verrottet.)

Kaum zu Hause angekommen, machte ich mich über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein- und durchgelesen, regten mich die darin mitgeteilten Sachen mächtig an.

Ich fühlte bald das Bedürfnis, mich über die Art und Weise dieser Hexenprozesse, über das Verfahren, ja über die ganze Periode, in welche diese Erscheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je mehr dieser bewunderungswürdigen Geschichten ich las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Bekker (»Die bezauberte Welt«) noch der vorsichtigere Horst (»Zauberbibliothek«) und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten meine Verwirrung heben, sondern dienten nur dazu, sie zu vermehren.

Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer Zug durch die meisten dieser Schaudergeschichten, daß den aufmerksamen Leser Grausen und Entsetzen anwandelt, sondern die ewigen und unveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- und Handlungsweise werden auch oft auf eine so gewaltsame Weise unterbrochen, daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortes stillesteht; wie denn zum Beispiel in einem der Originalprozesse, die ein juristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert, sich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem sie bereits die Folter überstanden, das heilige Abendmahl genossen und im Begriff ist, den Scheiterhaufen zu besteigen, so sehr alles mütterliche Gefühl beiseite setzt, daß sie ihre einzige, zärtlich geliebte Tochter, ein Mädchen von fünfzehn Jahren, gegen welche niemand einen Verdacht hegt, sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlt gleichfalls als Hexe anzuklagen, um, wie sie sagt, ihre arme Seele zu retten. Das Gericht, mit Recht erstaunt über diesen vielleicht nie wieder vorgekommenen Fall, ließ ihren Gesundheitszustand von Predigern und Ärzten untersuchen, deren Originalzeugnisse den Akten noch beiliegen und durchaus günstig lauten. Die unglückliche Tochter, welche merkwürdigerweise Elisabeth Hegel hieß, wurde infolge dieser mütterlichen Aussage denn auch wirklich hingerichtet.

Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, diese Erscheinungen aus dem Wesen des tierischen Magnetismus zu begreifen, reichen durchaus nicht hin. Wie will man zum Beispiel die tiefe dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegenden Werke daraus ableiten, die unbegreiflich ist und es ganz erklärlich macht, daß der alte Pfarrer trotz des ihm mit seiner Tochter gespielten entsetzlichen Betruges so fest in seinem Glauben an das Hexenwesen wie in dem an das Evangelium bleibt.

Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig oder nichts von Hexen. Das Verbrechen der Zauberei, wo es einmal vorkam, wurde milde bestraft, und Karl der Große ließ sie auf den Rat seiner Bischöfe so lange in gefänglicher Haft, bis sie aufrichtige Buße taten. Erst kurz vor der Reformation ließ Innocentius VIII. Ende 1489 den berüchtigten »Hexenhammer« (Malleus maleficarum) anfertigen, nach welchem nicht bloß in den ganzen katholischen, sondern merkwürdigerweise auch in der protestantischen Christenheit, die doch sonst alles Katholische verabscheute, und zwar mit solchem fanatischen Eifer inquiriert wurde, daß die Protestanten es weit den Katholiken an Grausamkeit zuvortaten, bis katholischerseits der edle Jesuit J. Spee und auf protestantischer, obgleich erst siebzig Jahre später, der treffliche Thomasius dem Unwesen allmählich Einhalt taten.

Nachdem ich mich auf das eifrigste mit dem Hexenwesen beschäftigt hatte, sah ich bald ein, daß unter allen diesen zum Teil so abenteuerlichen Geschichten keine einzige an lebendigem Interesse von meiner »Bernsteinhexe« übertroffen würde, und ich nahm mir vor, ihre Schicksale in die Gestalt einer Novelle zu bringen. Doch glücklicherweise sagte ich mir bald: aber wie? Ist Ihre Geschichte nicht schon an und für sich die interessanteste Novelle? Laß sie ganz in ihrer alten ursprünglichen Gestalt, laß fort daraus, was für den gegenwärtigen Leser von keinem Interesse mehr oder sonst allgemein bekannt ist; und wenn du auch den fehlenden Anfang und das fehlende Ende nicht wiederherstellen kannst, so siehe zu, ob der Zusammenhang es dir nicht möglich macht, die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen, und fahre dann ganz in dem Ton und der Sprache deines alten Biographen fort, so daß wenigstens der Unterschied der Darstellung und die gemachten Einschiebsel nicht gerade ins Auge fallen.

Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach mancherlei vergeblichen Versuchen getan, verschweige aber, an welchen Orten es geschehen ist, um das historische Interesse der größten Anzahl meiner Leser nicht zu trüben.

Und somit übergebe ich denn dies vom Feuer des Himmels wie der Hölle glühende Werk dem geneigten Leser.

Meinhold

Kapitel 15

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Von der Ankunft des großmächtigen Königs Gustavi Adolphi und was sonsten dabei fürgefallen

Hierzwischen wurde nun auch mein Carmen in metro elegiaco [im elegischen Versmaß] fertig, so mein Töchterlein abschriebe (inmaßen ihre Handschrift trefflicher ist denn die meine) und wacker memorierete, umb solches Sr. Majestät aufzusagen. Item wurden die Kleider fertig, so ihr fast lieblich stunden, und ginge sie den Montag zuvor in den Streckelberg, unangesehen es eine so große Hitze war, daß die Krähe auf den Zaum jappte [plattdeutsch: nach Luft schnappen]. Denn sie wollte sich Blumen suchen zu einem Kranz, welchen sie aufzusetzen gedachte und so auch blau und gelb sein söllten. Kam auch gegen Abend wieder mit einem Schurzfleck voll Blumen aller Art, doch waren ihre Haare ganz naß und hingen ihr kladdrig [plattdeutsch: zottig, mit dem Nebenbegriff des Feuchten] umb die Schultern. (Ach, Gott, ach, Gott, so mußte mir armen Mann alles zu meinen Verderben gereichen!) Fragete also, wo sie gewest, daß ihre Haare so kladdrig aussähen, worauf sie zur Antwort gab, daß sie von dem Kölpin [ein kleiner Landsee in der Nachbarschaft des Meeres], umb den sie sich Blumen gepflücket, zum Strande gangen und sich dorten in der Sehe gebadet, dieweil es eine große Hitze gewest und sie niemand nit gesehen. Könnte doch Sr. Majestät nun morgen, wie sie kurzweilig fortfuhre, doppelt als eine reine Jungfer unter die Augen treten.

Mir gefiel solches gleich nicht, und sahe ich ehrbar aus, doch sagete ich nichtes.

Am andern Morgen ware das Volk schon umb 6 Uhr umb den Hünenstein, Männer, Weiber, Kinder. Summa: Was nur gehen kunnte, das hatte sich eingefunden. Auch war mein Töchterlein schon umb 8 Uhren ganz in ihrem Schmuck, nämlich eim blauseidin Kleid, gelbem Schurzfleck, gelbem Tüchlein und einer gelben Haarhauben, so genetzet ware und worauf sie das Kränzlein von blau und gelben Blümeken setzte. Währete nit lange, so war mein Junker auch wieder da, gleichfalls sauber und ausstaffieret, wie eim Edelmann zustehet. Hätte doch Kundschaft einziehen wöllen, wannenhero ich mit meinem Töchterlein nach dem Stein ginge, angesehen sein Herr Vater, Hans von Nienkerken, item Wittich Appelmann wie die Lepels vom Gnitze auch noch kämen, auch viel Volks überall auf der Landstraßen lief, als wenn er heut allhie Jahrmarkt hätte. Aber ich sahe sogleich, aß es ihme nur umb die Jungfer zu tun war, anerwogen er gleich wieder sein Wesen mit ihr hatte und alsofort auch das lateinische Geschwätze anhub. Sie mußte ihm ihr Carmen an Sr. Majestät aufsagen, worauf er, den König fürstellend, ihr antwortete: »Dulcissima et venustissima puella, quae mihi in coloribus coeli, ut angelus dominis appares, utinam semper mecum esses, nunquam mihi male cederet!«19 Worauf sie rot wurd und mir es nicht viel anders erging, doch aus Ärger, wie man leichtlich schließen mag. Bate dahero, Se. Gestrengen wölle nur zum Stein sich aufmachen, angesehen mein Töchterlein mir noch meinen Chorrock umbhelfen müßte, worauf er aber zur Antwort gab, daß er solange in der Stuben warten wölle, und könnten wir ja zusammen gehen. Summa: Ich gesegnete mich abermals für diesem Junker, aber was half es? Da er nit weichen wollte, mußte ich schon ein Auge zutun, und wir gingen bald hernacher zusammen nach dem Stein, wo ich mir allerersten drei tüchtige Kerls aus dem Haufen griff, daß sie auf den Turm gehen sollten und anheben, mit den Glocken zu läuten, wenn sie sähen, daß ich auf den Stein stiege und mein Schweißtüchlein schwenkete. Solliches versprachen sie auch zu tun und gingen gleich ab, worauf ich mich mit meim Töchterlein auf den Stein setzte und sicherlich gläubete, der Junker würd ein Ansehn gebrauchen, aber er tät es nicht, sondern setzte sich mit auf den Stein. Und saßen wir drei ganz allein daselbsten, und alles Volk sahe uns an, doch kam niemand nit näher, umb meines Töchterleins Putz zu betrachten, auch die jungen Dirnens nicht, wie sie doch sonst pflegeten, was mir nur nachhero beigefallen ist, als ich erfuhren wie es schon dazumalen umb uns stund.

Gegen 9 Uhren kamen auch Hans von Nienkerken und Wittich Appelmann angegaloppieret, und rief der alten Nienkerken sogleich seinen Sohn mit fast heftigem Ton ab, und da er nit gleich hörete, sprengete er zu uns an den Stein und schrie, daß alle Welt es hörete: »Kannstu Bub nit hören, wenn dein Vater dir rufet?« Worauf er ihm verdrüßlich folgete, und sahen wir aus der Fernen, daß er seinen Sohn bedräuete und vor ihm ausspie. Wußten noch nit, was solches bedeutete, sollten es aber leider Gotts bald erfahren.

Bald darauf kamen auch von der Damerow her die beiden Lepele vom Gnitze [eine Halbinsel auf Usedom], und salutierten sich die Edelleut auf einem grünen Brink dicht bei uns, doch ohne uns anzusehen. Und hörte ich, daß die Lepele sagten, so dieser Straßen gezogen waren, daß von Sr. Majestät noch nichtes zu sehen wär, aber die Scheerenflotte umb den Ruden würde schon unruhig und käme bei vielen hundert Schiffen angesegelt. Da solches nun mehrere gehöret, lief alles Volk sogleich zur Sehe (so nur ein klein Endiken von dem Stein ist), und die Edelleute ritten selbsten hinan, ausgenommen Wittich, so von dem Pferde gestiegen war, und da er sahe, daß ich den alten Paasch seinen Jungen in eine hohe Eiche schickete, umb nach dem König überzuschauen, sich alsofort wieder an mein Töchterlein gemacht hatte, die nunmehro ganz allein auf dem Stein saß. Warumb sie seinen Jägersmann nicht genommen, und ob sie sich nit besinnen wölle und ihn noch nehmen oder sonsten bei ihme (dem Amtshauptmann) selbsten in Dienst treten, denn täte sie dieses nicht, so achte er, daß es ihr leid werden müge. Worauf sie ihm, wie sie sagete, zur Antwort gegeben, daß ihr nur eines leid tät, nämlich daß Se. Gestrengen sich so viel vergebliche Mühe umb sie gäbe. Somit wär sie eiligst aufgestanden und zu mir an den Baum getreten, wo ich dem Jungen nachsahe, wie er droben kletterte. Unsere alte Ilse aber sagete, daß er einen großen Fluch getan, als ihm mein Töchterlein den Rücken gewendet, und alsobald in das Ellerholz getreten wäre, so dicht an der Landstraßen hinläuft und wo die alte Hexe Lise Kolken auch gestanden.

Hierzwischen ging ich aber mit meinem Töchterlein auch zur Sehe, und war es wahr, daß die ganze Flotte von dem Ruden und der Oie herüberkam und gen Wolgast zu steuerte, auch gingen manche Schiffe so nah an uns fürüber, daß man kunnte die Soldaten darauf stehen und die Waffen blitzen sehen. Item höreten wir die Pferde wiehern und das Kriegsvolk lachen. Auf eim ging auch die Trummel, und auf einem andern blöketen Schafe und Rinder. In währendem Schauen aber wurden wir flugs einen Rauch von einem Schiff gewahr, und es folgete ein großer Knall, also daß wir bald auch die Kugel sahen auf dem Wasserspiegel rennen, so daß es ringsumbher schäumte und sprätzete und gerade auf uns zukam. Lief also das Volk mit großem Geschrei auseinander, und höreten wir deutlich darüber das Kriegsvolk auf den Schiffen lachen. Aber die Kugel hob sich alsbald in die Höhe und schlug dicht bei Paasch seinem Jungen in eine Eiche, so daß gegen zwei Fuder Sträuch mit großem Rumor von dem Schlag zur Erden stürzeten und den Weg überschütteten, wo Se. Majestät kommen mußte. Dannenhero wollte der Junge nit mehr oben im Baum bleiben, wie sehr ich ihn dazu vermahnete, schrie aber in währendem Niederklettern, daß ein groß Haufen Kriegsvolk nunmehro bei Damerow aus der Heiden käm und solches wohl der König sein möchte. Darum befahl der Amtshauptmann, geschwind den Weg aufzuräumen, und da solliches eine Zeitlang währete, inmaßen sich die dicken Äst und Gezweige rechtes und linkes in den Bäumen umbher geklemmet hatten, wollten die Edelleut, als allens fertig war, Sr. Majestät entgegenreuten, blieben aber auf dem kleinen Brink halten, dieweil man dicht vor uns in der Heiden es schon fahren, klappen und sprechen hörte.

Währete auch nit lange, als die Kanonen herfürbrachen, und saßen die drei Wegweiser oben darauf. Da ich nun den einen kannte, so Stoffer Krauthahn von Peenemünde war, ginge ich näher und bat ihne, mir zu sagen, wann der König käm. Aber er antwortete, daß er weiterginge mit den Kanonen bis Koserow, und möcht ich nur achthaben auf den langen schwarzen Mann, so einen Hut mit einer Feder trüg und eine güldene Ketten umb seinen Hals, solliches wäre der König, und ritte er alsbald hinter der Hauptfahnen, worauf ein gelber Löwe stünd. Observierete also genau den Zug, wie er aus der Heiden herfürbrach. Und kamen nach der Artillerie zuvorauf die finnischen und lappischen Bogenmänner, so mitten im Sommer, was mich verwunderte, noch in Pelzen einhertrottiereten. Darauf kam viel Volks, so ich nit erfahren, was es gewesen. Alsbald sah ich über dem Haselbusch, so mir im Wege stund, daß ich nicht allens gleich abservieren kunnte, wenn es aus dem Busch kam, die große Hauptfahn mit dem Löwen und hintennach auch den Kopf von einem ganzen schwarzen Mann mit güldener Ketten umb seinen Hals, so daß ich gleich judizierete, dies müßte der König sein. Schwenkete dahero mein Schweißtüchlein gen den Turm zu, worauf auch alsofort die Glocken anschlugen, und in währendem uns der schwarze Mann näher ritte, zog ich mein Käpplein ab, fiel auf meine Knie und intonierete den Ambrosianischen Lobgesang, und alles Volk folgete mir nach, riß sich auch die Hüte vom Haupt und sank auf allen Seiten singend zur Erden, Männer, Weiber, Kinder; ausgenommen die Edelleut, so ruhig auf dem Brink halten blieben, und erst, als sie sahen, daß Se. Majestät dero Roß anhielt (war ein pechschwarzer Rapp und blieb gerade mit den Vorderfüßen auf mein Ackerstück stehen, was ich für ein gut Zeichen nahm), zogen sie auch die Hüt und gebärdeten sich aufmerksam.

Nachdeme wir geendet, stiege der Amtshauptmann rasch vom Roß und wollte mit seinen drei Wegweisern, so hinter ihm gingen, zum König, item hatte ich mein Töchterlein bei der Hand gefaßt und wollte auch zum König. Winkete also Se. Majestät den Amtshauptmann ab und uns hinzu, worauf ich Se. Majestät auf lateinisch beglückwünschte und Ihr hochmütiges Herze rühmete, daß Sie der armen, bedrängten Christenheit zu Schutz und Hülfe hätte den deutschen Boden heimsuchen wöllen, es auch vor ein göttlich Anzeichen priese, daß solliches gerade an diesem erschienen Jubelfest unserer armen Kirchen geschehen sei, und möchte Se. Majestät es gnädiglich aufnehmen, wenn mein Töchterlein ihme was zu bescheren gedächt, worauf Se. Majestät sie lieblich lächelnde ansahe. Sollich freundlich Wesen machte sie wieder zuversichtlich, da sie vorhero schon merklich gezittert, und antwortete sie, ihm ein blau und gelbes Kränzlein überreichend, auf welchem das Carmen lag: »Accipe hanc vilem coronam et haec!« [»Nimm diesen schlechten Kranz und dieses!«], worauf sie anfinge, das Carmen herzubeten. Hierzwischen wurde Se. Majestät immer lieblicher, sahe bald sie an und bald in das Carmen und nickete besondern freundlich, als der Schluß kam. Als sie nun schwiege, sprach Se. Majestät: »Propius accedas patria virgo, ut te osculer!« [»Komm näher, vaterländische Jungfrau, damit ich dich küsse!«] Worauf sie, sich verfärbende, ihm an das Roß trat. Und gläubete ich, er würde sie nur auf die Stirne küssen, wie sonsten die Potentaten zu tun pflegen, aber nein! Er küßte sie also gerade auf den Mund, daß es schmatzte und seine langen Hutfedern ihr umb den Nacken hingen, so daß mir abermal ganz bange vor sie wurd. Doch richtete er sich bald wieder in die Höhe, nahm die güldene Kette sich ab, an welcher unten sein Konterfei bummelte, und hing sie meinem Töchterlein umb ihren Hals.

Hierauf kam der Amtshauptmann abermals mit seinen drei Kerls an und verneigete sich vor Sr. Majestät zur Erden. Da er aber kein Lateinisch nit kunnte, item auch kein Italienisch oder Französisch verstande, spielte ich alsobald den Dolmetscher. Denn es fragete Ihro Majestät, wie weit es bis zur Swine wär und ob es dorten noch viel fremd Kriegsvolk hätte? Und meinete der Amtshauptmann, daß annoch an die 200 Krabaten im Lager lägen, worauf Se. Majestät dem Roß die Sporen gab und freundlich nickend ausrief: »Valete!« Nun kam aber erst das andere Kriegsvolk, bei 3000 Mann gewaltig, aus dem Busch, so gleichfalls ein wacker Ansehen hatte, auch keine Narreteidinge fürnahm, wie es sonsten wohl pfleget, als es bei unseren Häuflein und den Weibern vorbeizog, sondern fein ehrbar einhertrat, und begleiteten wir den Zug noch bis hinter Koserow an die Heiden, wo wir ihn dem Schutz des Allmächtigen empfohlen und ein jeglicher wieder seiner Straßen heimzog.

Kapitel 16

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Wie die kleine Maria Paaschin vom Teufel übel geplaget wird und mir die ganze Gemein abfällt

Ehe ich weiters gehe, will ich zuvorab vermelden, daß der durchläuchtigste König Gustavus Adolphus, wie wir alsbald die Zeitung bekommen, auf der Swine an die 300 Krabaten niedergehauen und darauf zu Schiff nacher Stettin gefahren ist. Gott wölle ihm ferner gnädig sein. Amen.

Nunmehro aber nahm meine Not von Tage zu Tage zu, angesehen der Teufel bald so lustig wurde, wie er nie nicht gewesen. Gläubete schon, daß Gottes Ohren auf unser brünstig Gebet gemerket hätten, aber es gefiele ihm, uns noch härter heimzusuchen. Denn etzliche Tage nach der Ankunft des durchläuchtigsten Königs G. A. kam das Geschreie, daß meiner Tochter ihre kleine Pate von dem leidigen Satan besessen sei und gar erbärmlich auf ihrem Lager haushalte, so daß sie niemand nit halten könne. Machte sich mein Töchterlein alsogleich auf nach ihrer kleinen Pate, kam aber alsobald weinend zurücke, daß der alte Paasch sie gar nit zu ihr gelassen, sondern sie fast hart angeschnauzet und gesaget, sie sölle ihm nie wieder in sein Haus kömmen, inmaßen sein Kind es von dem Stuten [plattdeutsch: Semmel] gekriegt, so sie ihm am Morgen verehret. Und es ist wahr, daß mein Töchterlein ihr einen Stuten geschenket, indem die Magd den Tag vorher nacher Wolgast gewesen war und ein Tüchlein voll Stutens mitgebracht.

Solche Botschaft verdroß mich fast heftig, und nachdeme ich meinen Priesterrock angezogen, machte ich mich auf den Weg zum alten Paaschen, umb den leidigen Satan zu beschwören und solchen Schimpf von meinem Kinde abzuwenden. Fand also den alten Mann auf der Dielen [plattdeutsch: Flur], wie er an der Bodenleiter stand und weinete, und nachdem ich den »Frieden Gottes« gesprochen, fragete ihn allererste ob er in Wahrheit gläube, daß seine kleine Marie es von dem Stuten gekriegt, so ihr mein Töchterlein verehret? Er sagete: »Ja.« Und als ich darauf zur Antwort gab, daß denn ich selbsten es auch hätte kriegen müssen, item Pagels sein klein Mädchen, angesehen wir auch von dem Stuten gessen, schwieg er stille und sprach mit einem Seufzer, ob ich nit wölle in die Stube gehen und sehen, wie es stünd. Als ich dannenhero mit dem »Frieden Gottes« hereintrat, stunden an die sechs Menschen umb der kleinen Marie ihr Bette, und hatte sie die Augen zu und war so steif wie ein Brett, weshalben Stoffer Wels (als er denn ein junger und wähliger Kerl ist) das Kindlein bei eim Bein ergriff und es von sich reckete wie einen Zaunpfahl, damit ich sähe, wie der Teufel es plagete. Als ich nun ein Gebet anhob und Satanas merkete, daß ein Diener Christi angekommen, fing er an, so schrecklich in dem Kindlein zu rumoren, daß es ein Jammer anzusehen war. Denn sie schlug also mit Händen und Füßen umb sich, daß sie kaum vier Kerls halten kunnten, item ging ihr das Bäucheken so auf und nieder, als wenn ein lebendiges Geschöpf darinnen säße, so daß letztlich die alte Hexe Lise Kolken sich oben auf das Bäucheken setzete. Als es nun ein wenig besser wurd und ich das Kindlein aufforderte, den Glauben zu beten, umb zu sehen, ob es wirklich der Teufel sei, so sie besessen20, wurd es noch ärger denn zuvor, angesehen sie anhub, mit den Zähnen zu knirschen, die Augen zu verkehren und also greulich mit den Händen und Füßen zu schlagen, daß sie ihren Vater, so auch ein Bein hielt, fast mitten in die Stuben warf, und darauf sich den Fuß gegen das Bettholz zerquetschte, daß das Blut ihr herfürsprang, auch die alte Lise Kolken mit ihrem Bäucheken auf und nieder flog als ein Mensch, so in einem Schockreep [plattdeutsch: Schaukel] sitzet. Und als ich hierauf nit müde wurd, sondern den Satan beschwore, aus ihr zu fahren, finge sie allererst an zu heulen und darauf wie ein Hund zu bellen, item zu lachen, und sprach endlich mit grober Baßstimme, als sie ein alter Kerl führet: »Ik wieke nich!« [»Ich weiche nicht!«]

Aber er hätte schon weichen sollen, wenn nicht Vater und Mutter mich bei Gotts Sakrament beschworen, ihr arm Kind in Frieden zu lassen, dieweil es ja nichts hülfe, sondern immer ärger mit ihr würd. Stunde also notgedrungen von meinem Fürhaben ab und vermahnete nur die Eltern, daß sie wie das kananäische Weib sollten Hülfe suchen in wahrer Bußfertigkeit und unablässigem Gebet, auch mit ihr im beständigen Glauben seufzen: »Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein, meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget!« (Matth. am 15ten). Dem Heiland würde dann alsbald das Herze brechen, daß er sich ihres Töchterleins erbarmte und dem Satan zu weichen befehle. Item versprach ich, am Sonntag mit der ganzen Gemein für ihr armes Töchterlein zu beten, und möchten sie selbige, wo irgend möglich, selbst zur Kirchen tragen, anerwogen ein brünstig Kirchengebet durch die Wolken drünge. Solliches versprachen sie auch zu tun, und ging ich nunmehro betrübt zu Hause, wo ich aber bald erfuhr, daß es etwas besser mit ihr worden wär, und war also wieder wahr, daß der Satan außer dem Herrn Jesu nichts mehr hasset denn die Diener des Evangeliums. Aber harre, er bringet dich doch unter die Füße, es wird dir nichtes helfen!

Bevorab aber noch der liebe Sonntag kam, merkete ich, daß mir männiglich aus dem Wege ging, sowohl im Dorfe als im Kapsel, wo ich etzliche Kranken heimsuchte. Insonderheit als ich in Ückeritze zu dem jungen Tittelwitz wollte, arrivierete es mir wir folget. Clas Pieper, der Bauer, stund in seinem Hofe und klöbete Holz, wurf aber alsobald, als er mein ansichtig wurde, die Axt aus der Faust, daß sie in die Erde fuhr, und wollte in seinen Schweinestall laufen, indem er ein Kreuze schlug. Winkete ihm also, daß er bleiben sölle, und warumb er für mir als seinem Beichtvater liefe? Ob er vielleicht auch gläube, daß mein Töchterlein ihre kleine Pate behext?

Ille [Jener]: Ja, so gläube er, dieweil es der ganze Kapsel gläube.

Ego: Warumb sie ihr denn vorhero so viel Gutes getan und in der schrecklichsten Hungersnot sie wie ein Schwesterlein gehalten?

Ille: Sie hätte wohl schon mehr verwirket denn dieses.

Ego: Was sie denn verwirket hätte?

Ille: Das bliebe sich gleich.

Ego: Er sölle es mir sagen, oder ich müßte es dem Richter klagen.

Ille: Das sölle ich nur tun. Worauf er trotziglich seiner Straßen ging.

Und kann man nunmehro leichtlich schließen, daß ich nichtes versäumte, überall Kundschaft einzuziehen, was man meinete, daß mein Töchterlein verwirket, aber es wolle mir niemand nichtes sagen, und hätte ich mich zu Tode grämen mügen über solchen bösen Leumund. Auch kam in dieser ganzen Wochen kein Kind zu meinem Töchterlein in die Schule, und als ich ursachshalber die Magd ausschickete, brachte sie Botschaft, daß die Kinderken krank wären oder auch die Eltern sie zu ihrem Handwerk gebrauchten. Judizierete also und judizierete, doch half es mir allens nicht, bis der liebe Sonntag in das Land kam, wo ich gläubte, ein groß Nachtmahl zu haben, angesehen sich schon viele zu Gottes Tisch im vorab gemeldet. Doch kam es mir gleich seltsam für, daß niemand, wie sie doch sonsten zu tun pflegeten, auf dem Kirchhof stehen sahe, meinete aber, sie wären in die Häuser getreten. Aber als ich endlich mit meim Töchterlein in die Kirche kam, waren nur bei sechs Menschen versammlet, unter welchen die alte Lise Kolken, und sahe die vermaledeiete Hexe nit alsobald mein Töchterlein mir folgen, als sie ein Kreuze schlug und wieder zur Turmtüren hinausrannte, worauf die übrigen fünf, benebst meinem einigen Fürsteher Claus Bulken (denn für den alten Seden hatte ich annoch keinen wieder angenommen) ihr folgeten. Ich entsatzte mich, daß mir das Blut geranne und ich also zu zittern begunnte, daß ich mit der Achsel an den Beichtstuhl fiel. Fragete mein Töchterlein also, welcher ich noch nichtes gesaget hatte, umb sie zu verschonen: »Vater, was fehlet den Leuten, sind sie vielleicht auch besessen?« Worauf ich wieder bei mir kam und auf den Kirchhof ging, umb nachzusehen. Aber sie waren alle weg bis auf meinen Fürsteher Claus Bulken, welcher an der Linden stand und für sich ein Liedlein pfiff. Trat also hinzu und fragete, was den Leuten angekommen, worauf er zur Antwort gab, das wisse er nicht. Und als ich abermals fragete, warumb er selbsten denn auch gelaufen wär, sagte er, was er hätte allein in der Kirchen tun sollen, dieweil der Bedelt [Klingelbeutel] doch nit hätte gehen können. Beschwure ihn also, mir die Wahrheit zu sagen, welch greulicher Verdacht gegen mich in die Gemein gekommen? Aber er antwortete, ich würd es bald schon selbsten erfahren, und sprang über die Mauer und ging in der alten Lisen ihr Haus, so dicht am Kirchhofe steht.

Mein Töchterlein hatte eine Kälbersuppen zum Mittag, vor die ich sonst allens stehenlasse, aber ich kunnte keine Löffel voll in den Hals bringen, sondern saß und hatte mein Haupt gestützet und sanne, ob ich es ihr sagen wöllte oder nicht. Hierzwischen kam die alte Magd herein, ganz reisig und mit einem Tuch voll Zeug in der Hand, und bat weinend, daß ich ihr den Abschied geben wölle. Mein arm Kind wurde blaß wie ein Leich und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber sie antwortete bloß: »Nicks!« und wischte sich mit der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wiedergewunnen, so mir schier vergangen war, dieweil ich sahe, daß dies alte, treue Mensch mir auch abtrünnig worden, hub ich an, sie zu examinieren, warumb sie fort wölle, da sie doch so lange bei mir verharret, auch in der großen Hungersnot uns nicht verlassen wöllen, besondern getreulich ausgehalten, ja mich selbsten mit ihrem Glauben gedemütiget und ritterlich auszuhalten vermahnet, was ich ihr nie vergessen würd, solange ich lebte. Hierauf finge sie wieder an, nur noch heftiger zu weinen und zu schluchzen, und brachte endlich herfür, daß sie annoch eine alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnend hätte, und wölle sie hin, selbige bis an ihr Ende zu pflegen. Worauf mein Töchterlein aufsprunge und weinend zur Antwort gab: »Ach, alte Ilse, darumb willtu nit weg, denn dein Mütterlein ist ja bei deinem Bruder. Sage mir doch, warumb du mich verlassen willt und was ich gegen dich verwirket, damit ich es wiedergutmachen kann?« Aber sie verbarg ihr Gesicht in der Schürzen und schluchzete nur, ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein Töchterlein ihr die Schürzen wegziehen und ihr die Wangen streicheln wollte, umb sie zum Reden zu bringen. Aber als sie solliches merkete, schlug sie mein arm Kind auf die Finger und rief: »Pfui!«, spie auch vor ihr aus und ging alsobald aus der Türen. Solliches hatte sie nie nit getan, da mein Töchterlein ein klein Mädken war, und entsetzten wir beide uns also, daß wir kein Wörtlein sprechen kunnten.

Währete aber nit lange, so erhob mein arm Kind ein groß Geschrei und warf sich über die Bank und lamentierete, immerdar rufend: »Was ist geschehn, was ist geschehn?« Gläubete also, daß ich ihr sagen müßte, was ich in Kundschaft gezogen, nämlich daß man sie vor eine Hexe ansäh, worauf sie anfinge zu lächeln, anstatt noch mehr zu weinen, und aus der Türen lief, umb die Magd einzuholen, so bereits aus dem Hause gangen war, wie wir gesehen hatten. Kehrete aber nach einer Glockenstunden mit großem Geschrei zurücke, daß alle Leute im Dorfe vor ihr gelaufen, als sie sich von der Magd hätte Kundschaft einziehen wöllen, wo sie geblieben. Item hätten die kleinsten Kinder geschrien, so sie in der Schulen gehabt, und sich vor ihr verkrochen; auch hätte ihr niemand nit ein Wörtlein geantwortet, sondern wie die Magd vor ihr ausgespien. Wäre jedoch auf dem Heimwege gewahr worden, daß schon ein Boot auf dem Wasser sei, darauf eilends an das Ufer gelaufen und der alten Ilsen aus vollen Kräften nachgeschrien, so allbereits in dem Boot gesessen. Aber sie hätte sich an nichtes gekehrt, sich auch gar nit einmal nach ihr umbgesehen, sondern sie mit der Hand fortgewinket. – Und nunmehro fuhr sie fort zu weinen und zu schluchzen den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch, daß ich elender war denn zuvor in der großen Hungersnot. Doch sollt es noch ärger kommen, wie man im folgenden Kapitel sehen wird.

Kapitel 17

Inhaltsverzeichnis
Wie mein arm Kind als Hexe eingezogen und gen Pudagla abgeführet wird

Tags darauf, Montag, den 12. Juli, morgens umb 8 Uhren, als wir in unserer Kümmernis saßen und judiziereten, wer uns wohl sollich Herzeleid bereitet, auch bald übereinkamen, daß niemand anders nit denn die vermaledeiete Hexe Lise Kolken es gewest, kame ein Wagen mit vier Pferden vor mein Haus gejaget, worauf sechs Kerls saßen, so alsogleich heruntersprungen. Und gingen zwo an der Vorder-, andere zwo an den Achtertüren stehen, und aber zwo, worunter der Büttel Jakob Knake, kamen in die Stuben und geben mir ein offen Schreiben von dem Amtshauptmann, daß mein Töchterlein, so als eine gottlose Hexe im gemeinen Geschrei stünde, vom peinlichen Rechts wegen sölle eingeholet und inquirieret werden. Nun kann männiglich vor sich selbsten abnehmen, wie mir umb das Herze ward, da ich solches lase. Stürzete zu Boden wie ein umbgehauener Baum und kam erst wieder bei mir, als mein Töchterlein sich mit großem Geschrei auf mich warf und ihre Tränen mir warm über das Angesicht liefen. Als sie aber sahe, daß ich wieder bei mir kam, finge sie an, mit lauter Stimmen Gott davor zu preisen, suchte mich auch zu trösten, da sie ja unschuldig wär und ein gut Gewissen vor ihren Richter trüge, item rezitierete sie mir das schöne Sprüchlein, Matth. am 5ten: »Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übels wider euch, so sie daran lügen.«

Und möchte ich nur aufstehen und meinen Rock über das Wammes überziehen und mit ihr kommen, denn ohne mich ließe sie sich nicht vor den Amtshauptmann fahren. Hierzwischen nun aber war das ganze Dorf vor meiner Türen zusammengestürzet, Weiber, Männer, Kinder; hielten sich aber geruhlich und sahen nur alle nach den Fenstern, als wöllten sie uns durch das Haus schauen. Als wir uns beide fertig gemacht und der Büttel, so mich anfänglich nicht mitnehmen gewollt, nunmehro aber ein Einsehen gebrauchte vor ein gut Trinkgeld, so ihm mein Töchterlein verehrete, traten wir an den Wagen, aber ich ware so machtlos, daß ich nit hinaufkummen kunnte.

Kam also der alte Paasch, so es sahe, und half mir auf den Wagen, wobei er sagte: »Gott tröst Em, wat müt He an Sien Kind erlewen!« [»Gott tröst Ihn, was muß Er an Seinem Kinde erleben!«] und mir die Hand zum Abschied küssete.

Auch kamen noch mehr an den Wagen, so ihm folgen wollten, aber ich bate, sie söllten mir das Herze nicht noch schwerer machen und nur ein christlich Aufsehen auf mein Haus und meine Wirtschaft haben, bis ich wiederkäm. Möchten auch fleißig vor mich und mein Töchterlein beten, daß der leidige Satan, so lange Zeit wie ein brüllender Löwe in unserm Dorf umbhergangen und nun mich selbsten zu verschlingen drohe, seinen Willen nicht vollenführete, sondern mich und mein Kind verlassen müßte wie den unschuldigen Heiland in der Wüsten. Aber hiezu sagte niemand nichts, besondern als wir wegfuhren, hörete ich gar wohl, daß viele hinter uns ausspien, und einer sagte (mein Töchterlein meinete, es wäre Berowsche ihre Stimme gewest): »Wi willen di lewer Föhr unter dem Rock böten as vör di beden!« [»Wir wollen dir lieber Feuer unter dem Rock anlegen als für dich beten!«] Seufzeten noch über solche Reden, als wir gen den Kirchhof kamen, wo die vermaledeiete Hexen Lise Kolken in ihrer Haustüren saß, ihr Gesangbuch für Augen, und laut das Lied »Gott, der Vater, wohn uns bei« quäkete, als wir fürüberfuhren, welches mein arm Töchterlein also verdroß, daß sie unmächtig wurd und mir wie tot auf den Leib fiel. Bat also den Kutscher zu halten und schrie der alten Lise zu, daß sie uns sölle einen Topf mit Wasser bringen, aber sie tät, als könne sie nit hören, und fuhr fort zu singen, daß es schallte. Dannenhero sprang der Büttel ab und lief auf mein Begehr in mein Haus zurück, umb einen Topf mit Wasser zu holen, kam auch alsobald wieder mit dem Topf und alles Volk hinter ihm, so nunmehro anhub, laut zu judizieren, daß es das böse Gewissen sei, so mein Kind geschlagen, und sie jetzunder sich schon selbsten verraten. Dankete dahero Gott, als sie wieder ins Leben kam und es aus dem Dorf ging. Aber in Ückeritze war es nicht anders, inmaßen dort auch alles Volk zusammengelaufen war und vor Labahnen seinem Hof auf dem Brink stund, als wir ankamen.

Selbiges hielte sich aber ziemlich geruhsam, als wir fürüberfuhren, unangesehen etzliche riefen: »Wo ist 't möglich, wo ist 't möglich!« Sonsten hörte ich nichtes. Aber in der Heiden an der Wassermühlen brach der Müller mit allen seinen Knappen herfür und schrie lachend: »Kiekt de Hex, kiekt de Hex!« Worauf auch ein Knappe mit dem Staubbeutel, so er in den Händen hatte, also nach meim arm Kind schlug, daß sie ganz weiß wurd und das Mehl wie eine Wolke umb den Wagen zoge. Auf mein Schelten lachete der arge Schalk und vermeinete, wenn sie nie keinen andern Rauch denn diesen in der Nasen kriegte, künnte es ihr nicht schaden. Item wurd es in Pudagla noch fast ärger denn in der Mühlen. Das Volk stand also dicke auf dem Berg vor dem Schloß, daß wir kaum durchkunnten, und ließe der Amtshauptmann wie zu einem Aviso annoch das Armesünderglöcklein auf dem Schloßturme läuten, worauf auch aus dem Kruge und den Häusern noch immer mehr Volks herbeirannte. Etzliche schrien: »Is dat de Hex?«, etzliche: »Kiekt de Presterhex, de Presterhex!« und sonsten mehr, was ich aus Scham nicht hierhersetzen mag, rafften auch den Kot aus der Rinne, so aus der Schloßküchen läuft, und bewurfen uns damit, item mit einem großen Stein, der aber auf ein Pferd fiel, also daß es scheu wurde und vielleicht den Wagen umbgeworfen hätte, wenn nicht ein Kerl hinzugesprungen und es gehalten.

Solches geschahe alles vor der Schloßpforten, in welcher der Amtshauptmann lächelnd stund, eine Reiherfeder auf seim grauen Hut, und uns zusahe. Als das Pferd aber zur Ruhe gebracht, kam er an den Wagen und sprach spöttisch zu meinem Töchterlein: »Sieh, Jungfer! Du wolltest nit zu mir kommen, und nun kommstu ja doch!« Worauf sie zur Antwort gab: »Ja, ich komme, und möchtet Ihr einst zu Eurem Richter kommen als ich zu Euch!« Worauf ich »Amen« sprach und ihn fragete, wie Se. Gestrengen es für Gott und Menschen verantworten wölle, was er an mir armen Mann und meim Kind täte? Aber er antwortete, warumb ich mitgekommen? Und als ich ihm von dem unartigen Volk hieselbst, item von dem argen Mühlenknappen sagte, vermeinete er, dieses wäre nicht seine Schuld, bedräuete auch das Volk umbher mit der Faust, so einen großen Rumor machte. Darauf befahl er meim Töchterlein, abzusteigen und ihme zu folgen, trat voraus in das Schloß, winkete dem Büttel, so mitlaufen wollte, unten an der Treppen zu verharren, und hob an, mit meim Kind allein den Windelstein in die obern Gemächer aufzusteigen.