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Bewertung und Verstärkung von Stahlbetontragwerken

Werner Seim

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

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Vorwort zur 2. Auflage

Die 1. Auflage dieses Buches entstand vor über zehn Jahren, in einer Zeit als Baumaßnahmen in Bestand längst zu den täglichen Aufgaben für Bauingenieure gehörten, die Methoden für die „Bewertung und Verstärkung von Stahlbetontragwerken“ aber noch sehr unvollständig und lückenhaft dokumentiert und erläutert waren.

Es ist sehr erfreulich, dass sich die Situation zwischenzeitlich völlig verändert hat. Beispielhaft seien hier die Aktivitäten des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins genannt, der allein seit 2007 sechs Merkblätter und zehn Hefte herausgebracht hat, zu Themen in Zusammenhang mit dem Bauen im Bestand.

Lag vor zehn Jahren die Herausforderung darin, die verfügbaren Informationen in eine sinnvolle Ordnung zu bringen und die vorhandenen Lücken durch praxistaugliche Ansätze zu schließen, so konnte ich bei der Vorbereitung der zweiten Auflage auf eine Vielzahl nützlicher und aktueller Veröffentlichungen zurückgreifen.

Für die zweite Auflage wurden die Inhalte vollständig aktualisiert mit Bezug zu den gültigen technischen Regelwerken. Darüber hinaus wurden einige Teile zum besseren Verständnis vollständig überarbeitet. Dazu zählen die Abschnitte zur Statistik, zu den Sicherheitsbeiwerten sowie zu den Materialkennwerten für Stahl und Beton.

Neu hinzugekommen sind die Abschnitte zum Bestandsschutz, zur Feuerwiderstandsdauer und zum Stahl-Beton-Verbund.

Ein besonderer Dank gilt Karsten Schilde für seine sorgfältige Durchsicht und seine Korrekturvorschläge zu den aktualisierten Teilen dieser 2. Auflage.

Kassel, im Juni 2018

Werner Seim

Vorwort zur 1. Auflage

Bezogen auf das gesamte Bauvolumen ist der Anteil reiner Neubauten rückläufig. Unterschiedliche Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil der Baumaßnahmen im Bestand am gesamten Bauvolumen derzeit etwa 60 % beträgt. Es wird als realistisch angesehen, dass sich dieser Anteil in den kommenden Jahren auf bis zu 70 % erhöhen wird.

Baustoffindustrie, Baufirmen und Handwerker haben sich auf den veränderten Markt längst eingestellt; das gilt auch für viele Universitäten und Hochschulen, die spezielle Kurse und Vertiefungsrichtungen anbieten. Die Fachliteratur zum Thema „Bauwerkserhaltung“ ist so umfangreich, dass es schwer wird, die Übersicht zu bewahren.

Dennoch scheint es, dass das Thema „Bewertung und nachträgliche Verstärkung von Stahlbetontragwerken“ bisher etwas zu kurz gekommen ist. Das mag zum einen daran liegen, dass in den vergangenen Jahren die Einführung neuer Normkonzepte die Aufmerksamkeit auf sich zog. Zum anderen gab es bei der Verstärkungstechnologie mit der Anwendung der Klebetechnik eine geradezu sprunghafte Entwicklung.

Das vorliegende Buch soll helfen, diese Lücke zu schließen. Mein Ziel war es, Erfahrungen aus der Praxis, aus der Lehre und aus der Bearbeitung von Forschungsprojekten einzubringen und zusammenzufassen. Dabei war es mir wichtig, die Themen der neun Kapitel in die Grundsystematik einzubinden, die von Klaus Pieper vor über 40 Jahren mit „Anamnese – Diagnose – Therapie“ zeitlos treffend aus der Medizin für den Umgang mit bestehenden Bauwerken übernommen wurde.

Das erste Kapitel gibt einen gestrafften Überblick zur Konstruktionsgeschichte, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, was den Planer im Bestand erwarten kann. Die Grundlagen zur Zuverlässigkeit von Tragwerken werden im zweiten Kapitel so weit dargestellt, wie sie für die Definition und das Verständnis von Teilsicherheitsbeiwerten und für die Bewertung von am Bauwerk gewonnenen Stichproben erforderlich sind. Neben den wichtigsten Grundlagen zur Werkstoffmechanik und zur Dauerhaftigkeit von Beton und Stahl enthält das dritte Kapitel einige Hinweise auf die historischen Wurzeln dieser Erkenntnisse. Das vierte Kapitel dokumentiert die wichtigsten Entwicklungsschritte im Zusammenhang mit der Baustatik und Bemessung von Stahlbetontragwerken. Ein grundlegendes Verständnis dieser ingenieurgeschichtlichen Meilensteine ist unerlässlich, wenn man Bestandsunterlagen verstehen und interpretieren muss. Die wichtigsten Hilfsmittel für eine Zustandserfassung und die Systematik dazu werden im fünften Kapitel vorgestellt und erläutert. Das sechste Kapitel enthält zahlreiche Hinweise zur Bewertung der Tragfähigkeit von Stahlbetontragwerken und zur Quantifizierung von Tragreserven. In diesem Zusammenhang werden auch experimentelle Verfahren beschrieben und es werden einige Grundlagen zur Bauwerksüberwachung eingeführt. Das siebte Kapitel Instandsetzung und Reparatur von Betonbauteilen ist sehr kurz gefasst. Zu diesem Thema kann auf das umfangreiche Fachschrifttum verwiesen werden. Die beiden abschließenden Kapitel Nachträgliche Verstärkung mit Beton und Spritzbeton und Nachträgliche Verstärkung mit geklebten Faserverbundwerkstoffen sind ähnlich aufgebaut. Es werden zuerst einige technologische Grundlagen zur Spritzbetonbauweise bzw. zum Kleben von Faserverbundwerkstoffen eingeführt. Darauf aufbauend werden die Grundlagen der Bemessung von Verstärkungsmaßnahmen erläutert und es werden Hinweise für die Ausführung und Überwachung entsprechender Maßnahmen gegeben.

Bei meiner Arbeit haben mich zahlreiche Kollegen und Mitarbeiter unterstützt:

Gerhard Mehlhorn hat das Manuskript vollständig durchgesehen und es durch Korrekturen und kollegiale Hinweise an vielen Stellen verbessert.

Dirk Matzdorff, Jan Rassek und Karsten Schilde haben ihre vertieften Kenntnisse zu den Themen Spritzbeton, Zustandserfassung und geklebte Verstärkungen in die entsprechenden Kapitel eingebracht.

Peter Machner und Wolfgang Römer haben mich in zahlreichen Gesprächen an ihrer Erfahrung mit altem Beton und altem Stahl teilhaben lassen.

Von meinen Mitarbeitern Heiko Koch, Uwe Pfeiffer und Martin Schäfers wurden die Rechenbeispiele durchgesehen und die didaktischen Konzepte kritisch hinterfragt.

Vanessa Thurau und Silvia Bruch haben aus meinen Skizzen anschauliche Abbildungen entwickelt.

Marianne Aschenbrenner hat mit großer Sorgfalt handschriftliche Texte, Tabellen und Formeln für meine Vorlesungsmanuskripte getippt.

Claudia Ozimek hat als Lektorin die Entstehung des Buches mit großer Geduld und seine Fertigstellung mit dem nötigen Nachdruck begleitet.

Ihnen allen danke ich sehr herzlich.

Wenn es mir insgesamt gelungen ist, die Inhalte klar nachvollziehbar, theoretisch fundiert und so darzustellen, dass sie für die Praxis zu gebrauchen sind, so verdanke ich das nicht zuletzt meinen Lehrern Bruno Thürlimann und Fritz Wenzel.

Kassel, im Juni 2007

Werner Seim

Abkürzungsverzeichnis

Indizes

0 Kräfte, Spannungen, Dehnungen vor einer Verstärkung
C Beton
d Bemessungswert
E Einwirkung
f Faserverbundwerkstoff
G Eigengewicht
is in situ, am Bauwerk oder aus am Bauwerk entnommenen Proben ermittelt
k charakteristischer Wert
L Kohlefaserlamelle
m Mittelwert
Q veränderliche Einwirkung
R Bauteilwiderstand
S Stahl
u im rechnerischen Bruchzustand

Statistik und Sicherheitsbeiwerte

α Wichtungsfaktor
β Sicherheitsindex
γ Teilsicherheitsbeiwert
μ Mittelwert der Grundgesamtheit
ν Sicherheitsfaktor
ν Variationskoeffizient, Varianz einer Grundgesamtheit
n Umfang einer Stichprobe
pf Versagenswahrscheinlichkeit
σ Standardabweichung einer Grundgesamtheit
S Standardabweichung einer Stichprobe
V Variationskoeffizient, Varianz einer Stichprobe
xf,p Fraktilwert mit der Wahrscheinlichkeit p
xq,p Quantilwert mit der Wahrscheinlichkeit p
xi Einzelwert einer Stichprobe
image Mittelwert einer Stichprobe

Geometrie

Ab Querschnittsfläche des Betons
Aeff effektiv umschnürte Fläche einer Stütze
Ak Kernfläche einer Stütze
aL Achsabstand einzelner Streifen des Faserverbundwerkstoffs
AL Querschnittsfläche des Faserverbundwerkstoffs
as Querschnittsfläche der Stahlbewehrung je Längeneinheit
As Querschnittsfläche der Stahlbewehrung
b Querschnittsbreite
b0 minimale Querschnittsbreite
beff mitwirkende Plattenbreite für einen Plattenbalken
bL Breite des Faserverbundwerkstoffs
c Betondeckung
d Durchmesser eines Probekörpers
d statisch wirksame Höhe bezogen auf die Stahlbewehrung
dL statisch wirksame Höhe bezogen auf den Faserverbundwerkstoff
ds Durchmesser eines Bewehrungsstahls
e Exzentrizität
f Ausmitte
h Gesamthöhe des Bauteils, Höhe eines Probekörpers
l Spannweite
l0 Abstand der Momentennullpunkte
sr mittlerer Rissabstand
srm mittlerer Rissabstand
tL Dicke des Faserverbundwerkstoffs
x Höhe der Betondruckzone
xu Höhe der Betondruckzone nach Umlagerung der Schnittgrößen
z innerer Hebelarm

Werkstoffe

αcc Abminderungsfaktor zur Berücksichtigung der Lasteinwirkungsdauer
εc Dehnung des Betons
εLd,max Dehnung einer Kohlefaserlamelle im Grenzzustand der Tragfähigkeit
εLk charakteristischer Wert der Bruchdehnung der Kohlefaserlamelle
εs Dehnung des Stahls
εuk charakteristischer Wert der Dehnung bei Höchstlast
βc Rauigkeitsbeiwert, Haftbeiwert
βP Druckfestigkeit eines Betonprismas
βR Rechenwert der Betondruckfestigkeit
βW,a Druckfestigkeit eines Betonwürfels mit der Seitenlänge a
ßWS Serienfestigkeit, entspricht dem Mittelwert der Würfeldruckfestigkeit
Eb Elastizitätsmodul des Betons
ELk charakteristischer Wert des Elastizitätsmoduls einer Kohlefaserlamelle
ELm Mittelwert des Elastizitätsmoduls einer Kohlefaserlamelle
Es Elastizitätsmodul des Stahls
fbd Bemessungswert der Verbundspannung
fc,is,Bk,a Druckfestigkeit eines Bohrkerns mit der Seitenlänge a und der Höhe a
fcc Druckfestigkeit des Betons bei behinderter Querdehnung
fc,cube,a Druckfestigkeit eines Betonwürfels mit der Seitenlänge a
fc,cube,a,dry Druckfestigkeit eines Betonwürfels mit der Seitenlänge a, trocken gelagert
fcd Bemessungswert der einaxialen Druckfestigkeit des Betons
fck charakteristischer Wert der Betondruckfestigkeit
fck,is charakteristische Druckfestigkeit des Bauwerksbetons
fcm Mittelwert der Betondruckfestigkeit
fct zentrische Zugfestigkeit des Betons
fctm,surf Erwartungswert für den Mittelwert der Oberflächenzugfestigkeit
fcto Oberflächenzugfestigkeit des Betons
fis,niedrigst Kleinstwert der Stichprobe
fLuk charakteristischer Wert der Zugfestigkeit einer Kohlefaserlamelle
fm(n),is Mittelwert der Stichprobe
fyd Bemessungswert der Streckgrenze des Betonstahls
fyk charakteristischer Wert der Streckgrenze des Betonstahls
kb Druckfestigkeit eines Betonprismas
μ Reibungsbeiwert oder bezogenes Biegemoment
w Wasseraufnahmekoeffizient
zul σb zulässige Betondruckspannung
zul σe zulässige Stahlspannung

Baustatik und Bemessung

α Winkel der Querkraftbewehrung zur Bauteilachse
δ Faktor zur Momentenumlagerung
Db Betondruckkraft
Fcd Bemessungswert der Druckkraft in der Betondruckzone
Fcd Bemessungswert der Gurtlängskraft infolge Biegung
Fcdj Bemessungswert des über die Fuge zu übertragenden Längskraft-anteils
FLd Bemessungswert der Zugkraft eines Faserverbundwerkstoffs
Fsd Bemessungswert der Zugkraft des Betonstahls
kλ Korrekturfaktor zur Berücksichtigung der Schubschlankheit
λ Schlankheit einer Stütze oder Schubschlankheit
λl Beiwert zur Ermittlung der effektiv umschnürten Fläche
λq Beiwert zur Ermittlung der effektiv umschnürten Fläche
Mcr Rissmoment
MF Feldmoment
MSt Stützmoment
Mu Bruchmoment
My Fließmoment
N Normalkraft
Q Querkraft
σk Knickspannung
σn Normalkraft senkrecht zur Fuge infolge äußerer Last
τ0 Grundwert der Schubspannung
Θ Neigung der Druckstrebe
v Querkraft, auf eine Strecke bezogen
V Querkraft
ZL Zugkraft im Faserverbundwerkstoff
Zs Zugkraft im Bewehrungsstahl
ω Knickzahl