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Über dieses Buch

Rosen über Rosen, man begegnet der Königin der Blumen in vielen Geschichten. Der Herausgeber hat sich nicht nur bei den klassischen Volksmärchen umgesehen, sondern auch bei den sogenannten Kunstmärchen der Romantik bis in die heutige Zeit.

Manche Rosen strahlen betörenden Duft und zauberhafte Schönheit aus und beglücken ihre Umgebung, bei anderen kommt Hochmut dazu. Es gibt aber ebenso die Bescheidenen, sei es bei den personifizierten Blumen oder den Mädchen und Prinzessinnen, die aufgrund ihrer Anmut den Namen der Blume tragen.

Spannend ist es unter anderem, »Die Schöne und das Biest« in immer neuen Varianten zu entdecken, die zuweilen mit augenzwinkerndem Wortwitz den Charme des Lokalkolorits übermitteln. Ihnen liegt mit diesem Buch eine spannende und abwechslungsreiche Sammlung in der Hand.

Über den Herausgeber

Norbert Staack, 1944 in Ladenthin (Vorpommern) geboren, lebt seit 1956 in Schleswig. Dort war er von 1970 bis 2007 als Lehrer tätig. Eine seiner Leidenschaften ist das Sammeln von Märchenbüchern, wobei er auch mit Sagen in Berührung kam.

So entstand sein erstes Buch »Sagen-Touren rund um Schleswig«, das 2012 erschienen ist. 2014 veröffentlichte er sein zweites Buch »Märchenland Schleswig-Holstein, Märchen und Bilder aus dem Land zwischen den Meeren«.

Rosenmärchen

Herausgegeben
von Norbert Staack

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

E-Book-Ausgabe

2018 Krummwisch bei Kiel

© 2018 by Königsfurt-Urania Verlag GmbH

D-24796 Krummwisch

www.koenigsfurt-urania.com

Umschlaggestaltung: Jessica Quistorff, Rendsburg, unter Verwendung zweier Motive von Fotolia.com: »Rosen im Raureif« © Barbara Lechner und »Eski Kitap ve Karanfil« © aytuncoylum

Satz: Stefan Hose, Götheby-Holm

Lektorat: Claudia Lazar, Kiel

eISBN 978-3-86826-416-6

Inhalt

Vorwort

Von dem Sommer- und dem Wintergarten

Drei Rosen auf einem Stiel

Eine Rose vom Grabe Homers

Die Nachtigall und die Rose

Die goldene Rose

Die schönste Rose der Welt

Von dem Mädchen, das Rosen lacht und Perlen weint

Der Rosen-Elf

Die blaue Rose

Der Drache im Rosenstrauch

Die Schnecke und der Rosenstock

Heideröschen

Die Geschichte von Pezze e fogghi

Die singende Rose (1)

Die Geschichte von Hyazinth und Rosenblütchen

Das Rosenmädchen

Das Dornröschen oder die schlafende Schöne im Wald

Die Rosenkönigin (1)

Das Märchen vom Rosenblättchen

Die Rose und der Musikant

Die drei Rosen

Der Rosenstrauch

Die singende Rose (2)

Die Grabrose

Die Paradiesrose

Die Rose des Königs Avetis

Die Rose und die Nachtigall

Die schöne Rosenblüte

Der Rosengarten

Die Roseninsel

Die Rosenkönigin (2)

Das Märchen von der weißen Seerose

Dornröschen

Wer war die Glücklichste?

Quellen

Vorwort

Als Allerschönste

Als Allerschönste bist du anerkannt,

bist Königin des Blumenreichs genannt;

unwidersprechlich allgemeines Zeugnis,

Streitsucht verbannend, wundersam Ereignis!

Du bist es also, bist kein bloßer Schein,

in dir trifft Schaun und Glauben überein;

doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie,

nach dem Gesetz, dem Grund, warum und wie.

Johann Wolfgang Goethe

Die Rose ist die Königin der Blumen. Die Rose ist die Blume der Liebe.

Sie ist die am häufigsten bedichtete und besungene Blume, denn von der Antike bis heute faszinierte sie Dichter und Musiker.

Die Rose ist das Symbol der Liebe. Schon bei den Griechen wurde sie dazu erklärt.

In der griechischen Sagendichtung wird Aphrodite, die Göttin der Liebe, aus dem Schaum des Meeres geboren mit einem weißen Rosenstrauch.

Rot wurden die Rosen erst später. Es wird erzählt, dass Aphrodite ihren Ehemann Ares mit Adonis betrogen hat. Aus Rache tötete dieser den Nebenbuhler. Auf dem Weg zu ihrem sterbenden Geliebten trat Aphrodite in die Dornen der Rosen. Ihr Blut färbte die weißen Rosen rot. So erhielten die beiden Farben der Rosen ihre Bedeutung:

Die weiße Rose steht für die Reinheit der Liebe, die rote Rose für Begierde und Leidenschaft.

Rosen spielen in einer Vielzahl von Sagen, Märchen, Legenden, Gedichten und Liedern eine Rolle.

Für dieses Buch sind die schönsten Rosenmärchen ausgewählt worden. Sie wurden an einigen Stellen behutsam in der Sprache verändert und in neuer Rechtschreibung wiedergegeben.

Von dem Sommer- und dem Wintergarten

Ein Kaufmann wollte auf die Messe gehen, da fragte er seine drei Töchter, was er ihnen mitbringen sollte.

Die älteste sprach: »Ein schönes Kleid«, die zweite: »Ein paar hübsche Schuhe«, die dritte: »Eine Rose«.

Aber die Rose zu beschaffen, war etwas Schweres, weil es mitten im Winter war. Doch weil die jüngste die schönste war und sie eine große Freude an den Blumen hatte, sagte der Vater, er wolle zusehen, ob er sie bekommen könne und sich recht Mühe darum geben.

Als der Kaufmann wieder auf der Rückreise war, hatte er ein prächtiges Kleid für die älteste und ein paar schöne Schuhe für die zweite Tochter, aber die Rose für die dritte hatte er nicht bekommen können. Wenn er in einen Garten gegangen war, und nach Rosen gefragt hatte, hatten die Leute ihn ausgelacht und gesagt, ob er denn glaube, dass die Rosen im Schnee wüchsen.

Das war ihm aber gar leid, und als er darüber sann, ob er gar nichts für sein liebstes Kind mitbringen könne, kam er vor ein Schloss, und dabei war ein Garten, in dem war es halb Sommer und halb Winter. Auf der einen Seite blühten die schönsten Blumen groß und klein, und auf der anderen war alles kahl und lag ein tiefer Schnee. Der Mann stieg von seinem Pferd herab, und als er eine ganze Hecke voll Rosen auf der Sommerseite erblickte, war er froh, ging hinzu und brach eine ab. Dann ritt er wieder fort.

Er war schon ein Stück Wegs geritten, da hörte er etwas hinter sich herlaufen und schnaufen. Er drehte sich um und sah ein großes schwarzes Tier, das rief: »Du gibst mir meine Rose wieder oder ich mach dich tot, du gibst mir meine Rose wieder oder ich mach dich tot!«

Da sprach der Mann: »Ich bitte dich, lass mir die Rose, ich soll sie meiner Tochter mitbringen, die ist die Schönste auf der Welt.« »Meinetwegen, aber gib mir die schönste Tochter dafür zur Frau!« Der Mann, um das Tier loszuwerden, sagte ja und dachte, das wird doch nicht kommen und sie fordern. Das Tier aber rief noch hinter ihm drein: »In acht Tagen komm ich und hol meine Braut.«

Der Kaufmann brachte nun einer jeden Tochter mit, was sie gewünscht hatten. Sie freuten sich auch alle darüber, am meisten aber die jüngste über die Rose.

Nach acht Tagen saßen die drei Schwestern beisammen am Tisch, da kam etwas mit schwerem Gang die Treppe herauf und an die Türe und rief: »Macht auf! Macht auf!«

Da machten sie auf, aber sie erschraken recht, als ein großes schwarzes Tier hereintrat.

»Weil meine Braut nicht gekommen und die Zeit herum ist, will ich sie mir selber holen.«

Damit ging es auf die jüngste Tochter zu und packte sie an. Sie fing an zu schreien, das half aber alles nichts, sie musste mit fort. Als der Vater nach Hause kam, war sein liebstes Kind geraubt. Das schwarze Tier aber trug die schöne Jungfrau in sein Schloss. Da war’s gar wunderbar und schön, und Musikanten waren darin, die spielten auf, und unten war der Garten halb Sommer und halb Winter, und das Tier tat ihr alles zu Liebe, was es ihr nur an den Augen absehen konnte. Sie aßen zusammen, und sie musste ihm aufschöpfen, sonst wollte es nicht essen. Da war sie dem Tier hold, und endlich hatte sie es recht lieb. Einmal sagte sie zu ihm: »Mir ist so Angst, ich weiß nicht warum, aber mir ist, als wär mein Vater krank oder eine von meinen Schwestern, könnte ich sie nur ein einziges Mal sehen!«

Da führte sie das Tier zu einem Spiegel und sagte: »Da schau hinein!«, und als sie hineinschaute, war es recht, als wäre sie zu Haus. Sie sah ihre Stube und ihren Vater, der war wirklich krank aus Herzeleid, weil er sich Schuld gab, dass sein liebstes Kind von einem wilden Tier geraubt und gar von ihm aufgefressen sei. Hätte er gewusst, wie gut es ihm ging, so hätte er sich nicht betrübt. Auch ihre zwei Schwestern sah sie im Bett sitzen, die weinten.

Von dem allen war ihr Herz ganz schwer, und sie bat das Tier, es sollte sie nur ein paar Tage wieder heim gehen lassen. Das Tier wollte lange nicht, endlich aber, wie sie so jammerte, hatte es Mitleid mit ihr und sagte: »Geh hin zu deinem Vater, aber versprich mir, dass du in acht Tagen wieder da sein willst.« Sie versprach es ihm, und als sie fort ging, rief es noch: »Bleib aber ja nicht länger als acht Tage aus!«

Als sie heim kam, freute sich ihr Vater, dass er sie noch einmal sah, aber die Krankheit und das Leid hatten schon zu sehr an seinem Herzen gefressen, dass er nicht wieder gesund werden konnte, und nach ein paar Tagen starb er. Da konnte sie an nichts anders denken vor Traurigkeit. Hernach ward ihr Vater begraben, da ging sie mit zur Leiche, und dann weinten die Schwestern zusammen und trösteten sich. Als sie endlich wieder an ihr liebes Tier dachte, da waren schon längst die acht Tage herum. Da ward ihr etwas Angst, als sei das auch krank, und sie machte sich gleich auf und ging wieder hin zu seinem Schloss. Als sie aber wieder ankam, war’s ganz still und traurig darin, die Musikanten spielten nicht, und alles war mit schwarzem Flor behangen. Der Garten aber war ganz Winter und von Schnee bedeckt.

Und als sie das Tier selber suchte, war es fort, und sie suchte aller Orten, aber sie konnte es nicht finden.

Da war sie doppelt traurig und wusste sich nicht zu trösten. Und einmal ging sie so traurig im Garten, da sah sie einen Haufen Kohlhäupter, die waren oben schon alt und faul. Da legte sie die herum. Und als sie ein paar umgedreht hatte, sah sie ihr liebes Tier, das lag darunter und war tot. Geschwind holte sie Wasser und begoss es damit unaufhörlich. Da sprang es auf und war auf einmal verwandelt und ein schöner Prinz. Da ward Hochzeit gehalten und die Musikanten spielten gleich wieder. Die Sommerseite im Garten kam prächtig hervor, und der schwarze Flor ward abgerissen, und sie lebten vergnügt miteinander immerdar.

Märchen der Brüder Grimm

Drei Rosen auf einem Stiel

Auf einem abgelegenen Hof, nahe bei einem großen Tannenwalde, lebte einmal ein Bauer, dem seine Frau schon vor Jahren gestorben war. Zum Glück hatte er aber zwei erwachsene Töchter, die eine blond, die andere schwarz. Die führten ihm nun den Haushalt, versahen den Stall und das Hühnervolk und halfen auch draußen auf dem Felde mit, so gut sie konnten. Meist richteten sie es aber so ein, dass die eine dem Vater bei den bäuerlichen Arbeiten half, während die andere zu Hause blieb und dort nach dem Rechten sah. Denn es war nun einmal so, und niemand wusste eigentlich zu sagen, warum die zwei Schwestern sich nicht vertrugen, sondern sich wegen jeder Kleinigkeit zankten oder tagelang, ohne sich ein Wort zu gönnen, aneinander vorübergingen. Dem Vater aber waren beide gleich lieb; er bemühte sich redlich, keine der andern gegenüber zu bevorzugen, und erfreute sie häufig durch Geschenke, die sie sich immer selber wählen durften.

Als er darum eines Tages wieder auf den Markt ging, rief er sie zu sich in die Stube und fragte: »Ihr wisst ja, heut ist Markt im Dorf drunten; was soll ich euch mitbringen?«

»Ich möchte ein schönes Sonntagskleid haben«, sagte die eine.

»Ich wünsche mir drei Rosen auf einem Stiel«, entgegnete die andere.

»Drei Rosen auf einem Stiel? Wenn ich die nur bekommen kann«, sagte der Vater und machte sich auf den Weg.

Als er seinen Handel abgeschlossen und im Wirtshaus zu Mittag gegessen hatte, kaufte er der einen Tochter ein schönes neues Kleid. Obgleich er aber den ganzen Markt zweimal auf und ab ging und sich auch auf dem Heimweg lange und angestrengt umsah, konnte er doch nirgends drei Rosen erblicken, die auf einem Stiele wuchsen.

Endlich, als er schon ein gutes Stück vor dem Dorfe draußen war, sah er in einem Garten einen blühenden Rosenstrauch stehen. Er betrachtete ihn näher, und wahrhaftig − an ihm wuchsen drei Rosen auf einem Stiel beisammen, so wie die zweite Tochter es sich gewünscht hatte. Ohne sich lange zu besinnen, trat er in den Garten ein, fasste das Zweiglein mit den drei Rosen und wollte es gerade abbrechen. Da stand mit einem Male ein braunzottiger Bär vor ihm und sagte: »Was suchst du da in meinem Garten?« Als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, erzählte der Bauer, dass seine eine Tochter gewünscht habe, er solle ihr drei Rosen auf einem Stiel als Marktgeschenk mitbringen. Lange habe er vergeblich gesucht; hier an diesem Strauch habe er endlich einen solch wundersamen Zweig gefunden. Ob er ihn nicht brechen und mit nach Hause nehmen dürfe.

»Du darfst die drei Rosen mitnehmen«, sagte der Bär, »doch nur unter der Bedingung, dass du morgen um dieselbe Stunde wieder hierherkommst und deine Tochter mitbringst. Es soll ihr Schaden nicht sein. Tust du aber nicht, was ich dir geboten, so musst du sterben!«

Der Bauer versprach wiederzukommen, bedankte sich für die drei Rosen und machte sich auf den Heimweg.

Als er auf dem Hofe ankam, warteten seine Töchter schon auf ihn. Die schwarzhaarige begrüßte ihn am Brunnen, wo sie gerade Wasser für das Vieh schöpfte. Die Blonde trat ihm freudig aus der Küche entgegen. Als sie das Zweiglein mit den drei Rosen in des Vaters Hand sah, strahlten ihre Augen vor Glück. Sie bewunderte es lange und stellte es dann sorgsam in ein Glas ans Fenster.

Die Schwarzhaarige aber, die ihr Kleid gleich einmal zur Probe angelegt hatte, lächelte nur verächtlich, als sie die drei Rosen sah. Und als sie erst vernahm, dass die Schwester morgen den wilden Bären besuchen sollte, meinte sie: »Du wirst deine drei Rosen teuer bezahlen müssen und nicht wieder zurückkehren.«

Die Blonde aber sagte: »Was der Vater dem Bären versprochen hat, das will ich halten.«

Am andern Tag begab sich der Bauer mit seiner Tochter zum Garten des Bären. Als sie eintraten, kam auch schon der Bär angetrottet und fragte: »Ist das die Tochter, die sich die drei Rosen gewünscht hat?« »Ja«, erwiderte der Vater. »Lass sie bis zum Sonnenuntergang bei mir«, sprach der Bär. »Es wird ihr kein Leid geschehen und sie wird es nicht bereuen.«

Dem Bauern fiel es schwer, die Tochter so mutterseelenallein bei dem wilden Tier zu lassen, und er dachte den ganzen Tag über voll Sorge an sie. Doch er hätte sich nicht mit solchen Gedanken zu quälen brauchen. Denn als der Bär mit dem Mädchen allein war, nahm er es behutsam bei der Hand und führte es in ein herrliches Lustschloss, das zwischen Bäumen und blühenden Sträuchern versteckt mitten in dem Garten lag. Er zeigte ihm all die prunkvollen bemalten Räume und auch die Schmuckschränke, in denen es nur so gleißte und funkelte von Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen. So etwas hatte die einfache Bauerntochter noch nie gesehen, und sie konnte die Augen fast nicht mehr abwenden von all den Herrlichkeiten.

»Wähle für dich aus, was dir am besten gefällt«, sprach der Bär. »Ich will es dir schenken, wenn du morgen noch einmal allein zu mir in den Garten kommst.« Das Mädchen versprach es, suchte sich eine Halskette und einen Ring aus und kehrte am Abend vergnügt nach Hause zurück.

Als die Schwarzhaarige den kostbaren Schmuck sah, wurde sie blass vor Neid. Und weil sie vermutete, das die Schwester beim nächsten Besuche womöglich noch reicher beschenkt werden könnte, suchte sie ihr wiederum Furcht vor dem Bären einzureden und sie so weit zu bringen, ihr Versprechen nicht einzuhalten und lieber daheim zu bleiben. Aber all ihr Zureden und Einflüstern war umsonst.

Da stand sie in der Nacht heimlich auf, raffte die Kleider und Schuhe der Schwester zusammen und versteckte sie in der Scheune unter dem Heu. Wohl eine Stunde suchte die Blonde am andern Morgen nach ihren Kleidern und ahnte bald, dass die neidische Schwester ihre Hände im Spiel hatte. Doch sie ließ sich in ihrem Entschluss, dem Bären ihr Wort zu halten, nicht beirren, zog ihre alte zerwaschene und geflickte Küchenschürze an und ging barfuß vom Hofe.

Weil sie sich aber beim Suchen zu lange aufgehalten hatte, kam sie verspätet im Garten an.

Da stand der Rosenstrauch mit traurig leblosen Zweigen, und die Rosen hingen blass und halb verwelkt zwischen den Blättern. »Es ist auch so totenstill überall«, dachte sie und rief mit banger Stimme nach dem Bären. Niemand gab Antwort. Weinend irrte sie von einem Ende des Gartens zum andern und lockte und rief: »Komm, komm mein Bär! Wo bist du denn, mein liebes Tier?« Da hörte sie endlich aus dem Rosenstrauch hervor etwas wimmern und winseln, lief darauf zu und sah den Bären wie tot auf dem Moose liegen. Als sie aber mit ihren Händen die Zweige und Blüten berührte, um dem Tier den Weg freizumachen, richteten sich die welken Ranken und Blätter wieder auf, die Rosen dufteten und leuchteten, und der Bär schlug die Augen auf, kroch aus dem Dickicht hervor, streifte daran seinen zottigen Pelz ab und stand als schöner, junger Prinz vor dem Mädchen.

»Nun bin ich unglücklicher, verwunschener Königssohn endlich befreit!«, sprach er. »Deiner Liebe und Treue, liebes Mädchen, habe ich mein neues Leben zu verdanken, und darum will ich dich zu meiner Frau und Königin machen.«

Unter dem Rosenstrauch gab er ihr den Verlobungskuss, und bald darauf hielten sie Hochzeit und lebten glücklich miteinander bis an ihr Ende.

Märchen aus Schwaben

Eine Rose vom Grabe Homers

In allen Liedern des Orients erklingt die Liebe der Nachtigall zu der Rose.

In den schweigenden, sternklaren Nächten bringt der geflügelte Sänger seiner duftenden Blume eine Serenade dar.

Nicht weit von Smyrna, unter den hohen Platanen, wo der Kaufmann seine beladenen Kamele treibt, die stolz ihre langen Hälse erheben und schwerfällig über die Erde stampfen, die heilig ist, sah ich eine blühende Rosenhecke. Wilde Tauben flogen zwischen den Zweigen der hohen Bäume, und ihre Flügel schimmerten, wenn ein Sonnenstrahl über sie hinglitt, als seien sie von Perlmutt.

In der Rosenhecke war eine Blüte, die unter allen die schönste war, und für diese sang die Nachtigall von ihrem Liebesschmerz. Aber die Rose schwieg, nicht ein Tautropfen lag, wie eine Träne des Mitleids, auf ihren Blättern; sie neigte sich mit ihrem Zweig über einige große Steine.

»Hier ruht der Erde größter Sänger!«, sagte die Rose. »Über seinem Grabe will ich duften, über dieses meine Blätter streuen, wenn der Sturm sie mir abstreift. Der Ilias’ Sänger ward zur Erde, aus der ich sprieße. Ich, eine Rose vom Grabe Homers, bin zu heilig, um für eine arme Nachtigall zu blühen!«

Und die Nachtigall sang sich zu Tode.

Der Kameltreiber kam mit seinen beladenen Kamelen und seinen schwarzen Sklaven.

Sein kleiner Sohn fand den toten Vogel und beerdigte ihn in des großen Homers Grab; und die Rose bebte im Winde. Der Abend kam, und dichter zusammen faltete die Rose ihre Blätter und träumte. Sie träumte: Es war ein schöner sonnenheller Tag. Eine Schar fremder Männer nahte; sie hatten eine Pilgerfahrt zu Homers Grab unternommen. Unter den Fremden war ein Sänger aus dem Norden, aus der Heimat der Nebel und des Nordlichts. Er brach die Rose, presste sie fest in einem Buche und nahm sie so mit sich in einen anderen Erdteil, in sein fernes Vaterland.

Und die Rose welkte vor Kummer und lag in dem engen Buche, das er in seiner Heimat öffnete, und er sagte: »Hier ist eine Rose vom Grabe Homers.«

Das träumte die Rose, und sie erwachte und zitterte im Winde. Ein Tautropfen fiel von ihren Blättern auf des Sängers Grab. Die Sonne ging auf, und die Rose blühte schöner als zuvor.

Da schallten Fußtritte, fremde Franken kamen, wie sie die Rose im Traum gesehen hatte, und unter diesen Fremden war ein Dichter aus dem Norden. Er brach die Rose, drückte einen Kuss auf ihren frischen Mund und führte sie mit sich in die Heimat der Nebel und des Nordlichts. Als Mumie ruht nun der Blumenleichnam in seiner Ilias, und wie im Traum hört sie ihn das Buch öffnen und sagen:

»Hier ist eine Rose vom Grabe Homers!«

Märchen von Hans Christian Andersen

Die Nachtigall und die Rose

Sie sagte, sie würde mit mir tanzen, wenn ich ihr rote Rosen brächte«, rief der junge Student, »aber in meinem ganzen Garten ist keine rote Rose.«

In ihrem Nest auf dem Eichbaum hörte ihn die Nachtigall, guckte durch das Laub und wunderte sich.

»Keine rote Rose in meinem ganzen Garten!«, rief er, und seine Augen waren voll Tränen.

»Ach, an was für kleinen Dingen das Glück hängt. Alles hab ich gelesen, was weise Männer geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philosophie sind mein, und wegen einer roten Rose ist mein Leben unglücklich und elend.«

»Das ist endlich mal ein treuer Liebhaber«, sagte die Nachtigall. »Nacht für Nacht habe ich von ihm gesungen, obgleich ich ihn nicht kannte. Nacht für Nacht habe ich seine Geschichte den Sternen erzählt, und nun sehe ich ihn. Sein Haar ist dunkel wie eine Hyazinthe. Und sein Mund ist rot wie die Rose seiner Sehnsucht. Aber Leidenschaft hat sein Gesicht bleich wie Elfenbein gemacht, und der Kummer hat ihm sein Siegel auf die Stirn gedrückt.«

»Der Prinz gibt morgen Nacht einen Ball«, sprach der Student leise, »und meine Geliebte wird da sein. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir tanzen bis zum Morgen. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie ihren Kopf an meine Schulter lehnen, und ihre Hand wird in der meinen liegen. Aber in meinem Garten ist keine rote Rose, so werde ich einsam sitzen, und sie wird an mir vorübergehen. Sie wird meiner nicht achten, und mir wird das Herz brechen.«

»Das ist wirklich der treue Liebhaber«, sagte die Nachtigall. »Was ich singe, um das leidet er. Was mir Freude ist, das ist ihm Schmerz. Wahrhaftig, die Liebe ist etwas Wundervolles. Kostbarer ist sie als Smaragde und teurer als feine Opale. Perlen und Granaten können sie nicht kaufen, und auf den Märkten wird sie nicht feilgeboten. Sie kann von den Kaufleuten nicht gehandelt werden und kann nicht für Gold aufgewogen werden auf der Waage.«

»Die Musikanten werden auf ihrer Galerie sitzen«, sagte der junge Student, »und auf ihren Instrumenten spielen, und meine Geliebte wird zum Klang der Harfe und der Geige tanzen. So leicht wird sie tanzen, dass ihre Füße den Boden kaum berühren, und die Höflinge in ihren prächtigen Gewändern werden sich um sie scharen. Aber mit mir wird sie nicht tanzen, denn ich habe keine rote Rose für sie«, und er warf sich ins Gras, barg sein Gesicht in den Händen und weinte.

»Weshalb weint er?«, fragte eine grüne Eidechse, während sie mit dem Schwänzchen in der Luft an ihm vorbeilief. »Ja, warum?«, fragte ein Schmetterling, der einem Sonnenstrahl nachjagte. »Er weint um eine rote Rose«, sagte die Nachtigall. »Um eine rote Rose?«, riefen alle, »wie lächerlich!« Und die kleine Eidechse, die so etwas wie ein Zyniker war, lachte überlaut.

Aber die Nachtigall wusste um des Studenten Kummer und saß schweigend in der Eiche und sann über das Geheimnis der Liebe. Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel aus und flog auf. Wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz, und wie ein Schatten flog sie über den Garten.

Da stand mitten auf dem Rasen ein wundervoller Rosenstock, und als sie ihn sah, flog sie auf ihn zu und setzte sich auf einen Zweig. »Gib mir eine rote Rose«, rief sie, »und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen.« Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. »Meine Rosen sind weiß«, antwortete er, »so weiß wie der Meerschaum und weißer als der Schnee auf den Bergen. Aber geh zu meinem Bruder, der sich um die alte Sonnenuhr rankt, der gibt dir vielleicht, was du verlangst.«

So flog die Nachtigall hinüber zu dem Rosenstrauch bei der alten Sonnenuhr. »Gib mir eine rote Rose«, rief sie, »und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen.« Aber der Strauch schüttelte den Kopf. »Meine Rosen sind gelb«, antwortete er, »so gelb wie das Haar der Seejungfrau, die auf einem Bernsteinthron sitzt, und gelber als die gelbe Narzisse, die auf der Wiese blüht, ehe der Schnitter mit seiner Sense kommt. Aber geh zu meinem Bruder, der unter des Studenten Fenster blüht, und vielleicht gibt er dir, was du verlangst.«

So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch unter des Studenten Fenster. »Gib mir eine rote Rose«, rief sie, »und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen.« Aber der Rosenstrauch schüttelte den Kopf. »Meine Rosen sind rot«, antwortete er, »so rot wie die Füße der Taube und röter als die Korallenfächer, die in der Meergrotte fächeln. Aber der Winter ließ meine Adern erstarren, der Frost hat meine Knospen zerbissen und der Sturm meine Zweige gebrochen, und so habe ich keine Rosen dies ganze Jahr.«

»Nur eine einzige rote Rose brauche ich«, rief die Nachtigall, »nur eine rote Rose! Gibt es denn nichts, dass ich eine rote Rose bekomme?« »Ein Mittel gibt es«, antwortete der Strauch, »aber es ist so schrecklich, dass ich es mir dir nicht zu sagen traue.« »Sag es mir«, sprach die Nachtigall, ohne zu zögern, »ich fürchte mich nicht.«

»Wenn du eine rote Rose haben willst«, sagte der Strauch, »dann musst du sie beim Mondlicht aus Liedern machen und sie färben mit deinem eigenen Herzblut. Du musst für mich singen, und der Dorn muss dein Herz durchbohren, und dein Lebensblut muss in meine Adern fließen und mein werden.«

»Der Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose«, sagte die Nachtigall, »und das Leben ist allen sehr teuer. Es ist lustig im grünen Wald zu sitzen und die Sonne in ihrem goldenen Wagen zu sehen und den Mond in seinem Perlenwagen. Süß ist der Duft des Weißdorns, und süß sind die Glockenblumen im Tal und das Heidekraut auf den Hügeln. Aber die Liebe ist besser als das Leben, und was ist ein Vogelherz gegen ein Menschenherz?«

So breitete sie ihre braunen Flügel und flog auf. Wie ein Schatten schwebte sie über den Garten, und wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz. Da lag noch der junge Student im Gras, wie sie ihn verlassen hatte, und die Tränen in seinen Augen waren noch nicht getrocknet.

»Freu dich«, rief die Nachtigall, »freu dich. Du sollst deine rote Rose haben. Ich will sie beim Mondlicht bilden aus Liedern und färben mit meinem eigenen Herzblut. Alles, was ich von dir dafür verlange, ist, dass du deiner Liebe treu bleiben sollst. Denn die Liebe ist weiser als die Philosophie, wenn die auch weise ist, und mächtiger als die Gewalt, wenn die auch mächtig ist. Flammfarben sind ihre Flügel, und flammfarben ist ihr Leib. Ihre Lippen sind süß wie Honig, und ihr Atem ist Weihrauch.«

Der Student blickte aus dem Grase auf und horchte. Aber er konnte nicht verstehen, was die Nachtigall zu ihm sprach, denn er verstand nur die Bücher. Aber die Eiche verstand und wurde traurig, denn sie liebte die kleine Nachtigall sehr, die ihr Nest in ihren Zweigen gebaut hatte. »Sing mir noch ein letztes Lied«, flüsterte sie, »ich werde mich sehr einsam fühlen, wenn du fort bist.« Und die Nachtigall sang für die Eiche, und ihre Stimme war wie Wasser, das aus einem silbernen Krug springt.

Als sie ihr Lied beendet hatte, stand der Student auf und nahm sein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche. Sinnend schaute er vor sich hin. »Sie hat Form«, sagte er zu sich, als er aus dem Gehölz schritt. »Sie hat Formtalent, das kann ihr nicht abgesprochen werden. Aber ob sie auch Gefühl hat? Ich fürchte, nein. Sie wird wohl sein wie die meisten Künstler: alles nur Stil und keine echte Innerlichkeit. Sie würde sich kaum für andere opfern. Sie denkt vor allem an die Musik, und man weiß ja, wie egoistisch die Künste sind. Aber zugeben muss man, sie hat einige schöne Töne in ihrer Stimme. Schade, dass sie gar keinen Sinn haben, nichts ausdrücken und ohne praktischen Wert sind.«

Und er ging auf sein Zimmer und legte sich auf sein schmales Feldbett und fing an, an seine Liebe zu denken. Bald war er eingeschlafen. Und als der Mond in den Himmel schien, flog die Nachtigall zu dem Rosenstrauch und presste ihre Brust gegen den Dorn. Die ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepresst, und der kalte kristallene Mond neigte sich herab und lauschte. Die ganze Nacht sang sie, und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust, und ihr Lebensblut sickerte weg.

Zuerst sang sie von dem Werden der Liebe in dem Herzen eines Knaben und eines Mädchens. Und an der Spitze des Rosenstrauches erblühte eine herrliche Rose, Blatt reihte sich an Blatt, wie Lied auf Lied. Erst war sie bleich wie der Nebel, der über dem Fluss hängt, bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Flügel der Dämmerung. Wie das Schattenbild einer Rose in einem Silberspiegel, wie das Schattenbild einer Rose im Teich, so war die Rose, die aufblühte an der Spitze des Rosenstocks.

Der aber rief der Nachtigall zu, dass sie sich noch fester gegen den Dorn presse. »Drück fester, kleine Nachtigall«, rief er, »sonst bricht der Tag an, bevor die Rose vollendet ist.«

Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und lauter und lauter wurde ihr Lied, denn sie sang nun von dem Erwachen der Leidenschaft in der Seele von Mann und Weib. Und ein zartes Rot kam auf die Blätter der Rose, wie das Erröten auf das Antlitz des Bräutigams, wenn er die Lippen seiner Braut küsst.

Aber der Dorn hatte ihr Herz noch nicht getroffen, und so blieb das Herz der Rose weiß, denn bloß einer Nachtigall Herzblut kann das Herz einer Rose färben. Und der Strauch rief der Nachtigall zu, dass sie sich noch fester gegen den Dorn drücke. »Drück fester, kleine Nachtigall«, rief er, »sonst ist es Tag, bevor die Rose vollendet ist.« Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und der Dorn berührte ihr Herz, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie.

Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt, von der Liebe, die auch im Grab nicht stirbt. Und die wundervolle Rose färbte sich rot wie die Rose des östlichen Himmels. Rot war der Gürtel ihrer Blätter, und rot wie ein Rubin war ihr Herz. Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer, und ihre Flügel begannen zu flattern, und ein leichter Schleier kam über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr Lied, und sie fühlte etwas in der Kehle.

Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen. Der weiße Mond hörte es, und er vergaß unterzugehen und verweilte am Himmel. Die rote Rose hörte es und zitterte vor Wonne und öffnete ihre Blätter dem kühlen Morgenwind. Das Echo trug es in seine Purpurhöhle in den Bergen und weckte Schläfer aus ihren Träumen. Es schwebte über das Schilf am Fluss, und der trug die Botschaft dem Meere zu. »Sieh, sieh!«, rief der Rosenstrauch, »nun ist die Rose fertig.« Aber die Nachtigall gab keine Antwort, denn sie lag tot im hohen Gras, mit dem Dorn im Herzen.

Um Mittag öffnete der Student sein Fenster und blickte hinaus. »Was für ein Wunder und Glück!«, rief er, »da ist eine rote Rose! Nie in meinem Leben habe ich eine solche Rose gesehen. Sie ist so schön, ich bin sicher, sie hat einen langen lateinischen Namen.« Und er lehnte sich hinaus und pflückte sie. Dann setzte er seinen Hut auf und lief in das Haus seines Professors, mit der Rose in der Hand.

Die Tochter des Professors saß in der Einfahrt und wand blaue Seide auf eine Spule, und ihr Hündchen lag ihr zu Füßen. »Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir tanzen, wenn ich Euch eine rote Rose brächte«, sagte der Student. »Hier ist die schönste Rose der Welt. Tragt sie heute Abend an Eurem Herzen, und wenn wir zusammen tanzen, wird sie Euch erzählen, wie ich Euch liebe.«