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Verantwortlich für den Inhalt

Johannes Krüger

Helgolandstraße 2

01097 Dresden

 

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

 

Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft

Impressum

Digitalisierung und Druckvorbereitung: Gunter Pirntke

Covergestaltung: Erhard Koch


2018 andersseitig.de

ISBN

9783961187928 (ePub)

9783961187935 (mobi)


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Inhalt

Impressum

Vorrede zur ersten Auflage

Vorrede zur zweiten Auflage

Einleitung

Erstes Buch

Erstes Kapitel. Vom Verbrennen der Körper

Zweites Kapitel. Vom Licht

Drittes Kapitel. Von der Luft und den Luftarten

Viertes Kapitel. Von der Elektrizität

Fünftes Kapitel. Vom Magnet

Sechstes Kapitel. Allgemeine Betrachtungen, als Resultate aus dem Vorigen

Zweites Buch

Erstes Kapitel. Von Attraktion und Repulsion überhaupt, als Prinzipien eines Natursystems

Zweites Kapitel. Vom Scheingebrauch jener beiden Prinzipien

Drittes Kapitel. Einige Bemerkungen über die mechanische Physik des Herrn le Sage

Viertes Kapitel. Erster Ursprung des Begriffs der Materie aus der Natur der Anschauung und des menschlichen Geistes

Fünftes Kapitel. Grundsätze der Dynamik

Sechstes Kapitel. Von zufälligen Bestimmungen der Materie. Allmählicher Übergang ins Gebiet der bloßen Erfahrung

Siebentes Kapitel. Philosophie der Chemie überhaupt

Achtes Kapitel. Anwendung dieser Prinzipien auf einzelne Gegenstände der Chemie

Neuntes Kapitel. Versuch über die ersten Grundsätze der Chemie

Schlußanmerkung und Übergang zum folgenden Teil

Fußnoten

 Vorrede zur ersten Auflage

1

 

Was als reines Resultat der bisherigen philosophischen Untersuchungen unseres Zeitalters übrig bleibt, ist kürzlich folgendes: »Die bisherige theoretische Philosophie (unter dem Namen Metaphysik) war eine Vermischung ganz heterogener Prinzipien. Ein Teil derselben enthielt Gesetze, welche zur Möglichkeit der Erfahrung gehören (allgemeine Naturgesetze), ein anderer Grundsätze, die über alle Erfahrung hinausreichen (eigentlich metaphysische Prinzipien).«

»Nun ist aber ausgemacht, daß von den letzteren in der theoretischen Philosophie nur ein regulativer Gebrauch gemacht werden kann. Was uns allein über die Erscheinungswelt erhebt, ist unsere moralische Natur, und Gesetze, die im Reich der Ideen von konstitutivem Gebrauch sind, werden eben damit praktische Gesetze. Was also bisher in der theoretischen Philosophie Metaphysisches war, bleibt künftig einzig und allein der praktischen überlassen. Was für die theoretische Philosophie übrig bleibt, sind allein die allgemeinen Prinzipien einer möglichen Erfahrung, und anstatt eine Wissenschaft zu sein, die auf Physik folgt (Metaphysik), wird sie künftig eine Wissenschaft sein, die der Physik vorangeht

Nun zerfällt aber theoretische und praktische Philosophie (die man zum Behuf der Schule etwa trennen kann, die aber im menschlichen Geiste ursprünglich und notwendig vereinigt sind) in die reine und angewandte.

Die reine theoretische Philosophie beschäftigt sich bloß mit der Untersuchung über die Realität unseres Wissens überhaupt; der angewandten aber, unter dem Namen einer Philosophie der Natur, kommt es zu, ein bestimmtes System unseres Wissens (d.h. das System der gesamten Erfahrung) aus Prinzipien abzuleiten.

Was für die theoretische Philosophie die Physik ist, ist für die praktische die Geschichte, und so entwickeln sich aus diesen beiden Hauptteilen der Philosophie die beiden Hauptzweige unseres empirischen Wissens.

Mit einer Bearbeitung der Philosophie der Natur, und der Philosophie des Menschen hoffe ich daher die gesamte angewandte Philosophie zu umfassen. Durch jene soll die Naturlehre, durch diese die Geschichte eine wissenschaftliche Grundlage erhalten.

Die vorliegende Schrift soll nur der Anfang einer Ausführung dieses Plans sein. Über die Idee einer Philosophie der Natur, die dieser Schrift zugrunde liegt, werde ich mich in der Einleitung erklären. Ich muß also erwarten, daß die Prüfung der philosophischen Prinzipien dieser Schrift von dieser Einleitung ausgehe.

Was aber die Ausführung betrifft, so sagt der Titel schon, daß diese Schrift kein wissenschaftliches System, sondern nur Ideen zu einer Philosophie der Natur enthält. Man kann sie als eine Reihe einzelner Abhandlungen über diesen Gegenstand betrachten.

Der gegenwärtige erste Teil dieser Schrift zerfällt in zwei Teile, den empirischen und den philosophischen. Den ersten voranzuschicken hielt ich für notwendig, weil in der Folge der Schrift sehr oft auf die neueren Entdeckungen und Untersuchungen der Physik und Chemie Rücksicht genommen wird. Dadurch entstand aber die Unbequemlichkeit, daß manches zweifelhaft bleiben mußte, was ich erst späterhin aus philosophischen Prinzipien entscheiden zu können glaubte. Ich muß also wegen mancher Äußerungen des ersten Buchs auf das zweite (vorzüglich das achte Kapitel) verweisen. In Ansehung der jetzt zum Teil noch streitigen Fragen über die Natur der Wärme und die Phänomene des Verbrennens, befolgte ich den Grundsatz, in den Körpern schlechterdings keine verborgene Grundstoffe zuzulassen, deren Realität durch Erfahrung gar nicht dargetan werden kann. In alle diese Untersuchungen über Wärme, Licht, Elektrizität usw. hat man neuerdings mehr oder weniger philosophische Prinzipien eingemengt, ohne sich übrigens von dem empirischen Boden zu entfernen, die der experimentierenden Naturlehre an und für sich schon fremd und gewöhnlich noch so unbestimmt sind, daß daraus unausbleibliche Verwirrung entsteht. So wird mit dem Begriff von Kraft jetzt häufiger als je in der Physik gespielt, besonders seitdem man an der Materialität des Lichts usw. zu zweifeln anfing; hat man doch schon einige Male gefragt, ob nicht die Elektrizität vielleicht Lebenskraft sein möchte. Alle diese vage, in die Physik widerrechtlich eingeführten Begriffe, mußte ich, da sie nur philosophisch zu berichtigen sind, im ersten Teil dieser Schrift in ihrer Unbestimmtheit lassen. Sonst habe ich mich in diesem Teil immer in den Grenzen der Physik und Chemie zu halten – also auch ihre Bildersprache zu sprechen gesucht. – Im Abschnitt vom Licht (S. 181 ff.) wollte ich vorzüglich zu Untersuchungen über den Einfluß des Lichts auf unsere Atmosphäre Veranlassung geben. Daß dieser Einfluß nicht bloß mechanischer Art sei, ließe sich schon aus der Verwandtschaft des Lichts mit der Lebensluft schließen. Weitere Untersuchungen über diesen Gegenstand könnten vielleicht selbst über die Natur des Lichts und seiner Fortpflanzung in unserer Atmosphäre nähere Aufschlüsse geben. Die Sache ist doppelt wichtig, da wir jetzt zwar die Mischung der atmosphärischen Luft kennen, aber nicht wissen, wie die Natur dieses Verhältnis heterogener Luftarten, der zahllosen Veränderungen in der Atmosphäre ungeachtet, beständig zu erhalten weiß. Was ich darüber im Abschnitt von den Luftarten gesagt habe, reicht bei weitem nicht hin, hierüber vollkommen Aufschluß zu geben. Die von mir vorgetragene und mit Beweisen unterstützte Hypothese über den Ursprung der elektrischen Erscheinungen wünschte ich um so mehr geprüft zu sehen, da sie, wenn sie wahr ist, ihren Einfluß noch weiter (z.B. auf Physiologie) erstrecken muß.

Der philosophische Teil dieser Schrift betrifft die Dynamik als Grundwissenschaft der Naturlehre, und die Chemie als Folge derselben. Der nächstfolgende Teil wird die Prinzipien der organischen Naturlehre oder sogenannten Physiologie umfassen.2

Aus der Einleitung wird man sehen, daß mein Zweck nicht ist, Philosophie auf Naturlehre anzuwenden. Ich kann mir kein betrübteres Taglöhnergeschäft denken als eine solche Anwendung abstrakter Prinzipien auf eine bereits vorhandene empirische Wissenschaft. Mein Zweck ist vielmehr, die Naturwissenschaft selbst erst philosophisch entstehen zu lassen, und meine Philosophie ist selbst nichts anders als Naturwissenschaft. Es ist wahr, daß uns Chemie die Elemente, Physik die Silben, Mathematik die Natur lesen lehrt; aber man darf nicht vergessen, daß es der Philosophie zusteht, das Gelesene auszulegen.

 

Vorrede zur zweiten Auflage

 

Diese Schrift, welche hier in einer neuen Ausgabe erscheint, hatte die fortdauernde Nachfrage ohne Zweifel hauptsächlich dem Umstande zu verdanken, daß sie die ersten Ideen und Studien des Verfassers zur Naturphilosophie enthielt. Seitdem hat diese Wissenschaft nach außen durch die Bereicherungen, welche ihr durch einige treffliche Köpfe zuteil geworden sind, sowie durch Anwendung auf fast alle Zweige der Naturlehre an objektivem Umfang gewonnen; nach innen ist, wie ich voraussetzen zu dürfen glaube, ihr Verhältnis zur Philosophie überhaupt entschieden worden. Um so größer mußte das Bestreben sein, die Mängel der früheren Erscheinung dieser Schrift, welche mir vielleicht am wenigsten unbekannt bleiben konnte, in der späteren so viel möglich aufzuheben.

Zu diesem Ende sind nicht nur in dem Text der ersten Ausgabe die nötig scheinenden Verbesserungen gemacht, sondern es ist auch versucht worden, durch Zusätze zu jedem Kapitel den gegenwärtigen Grad der Vollendung der Wissenschaft zu bezeichnen und die späteren Früchte mit den Keimen der ersten Anlage zu verknüpfen. Hierbei wurde die zwiefache Rücksicht beobachtet, den Freunden der Philosophie in dem Zusatz zur Einleitung, und zerstreut in den übrigen, den durch fortgesetzte Ausbildung erreichten Stand der Naturphilosophie in ihrer Beziehung auf Spekulation überhaupt darzulegen, den Naturforschern aber, welche dieser Schrift vor meinen andern noch die meiste Aufmerksamkeit geschenkt haben, in den Zusätzen zum ersten und zweiten Buch einen Inbegriff der jetzigen Ansichten der Naturphilosophie über alle in vorliegender Schrift berührte Gegenstände mitzuteilen.

In diesem Betracht wird sie in ihrer neuen Gestalt sich als Einleitung in das Studium der Naturphilosophie rechtfertigen, indem sie zugleich den Übergang zu einem zweiten Teil bildet, welcher die organische Physik und eine Kritik der vorzüglichsten bisherigen Lehrmeinungen über dieselbe enthalten würde.

Jena, den 31. Dezember 1802.

Einleitung

 

Was Philosophie überhaupt sei, läßt sich nicht so unmittelbar beantworten. Wäre es so leicht, über einen bestimmten Begriff von Philosophie übereinzukommen, so brauchte man nur diesen Begriff zu analysieren, um sich sogleich im Besitz einer allgemeingültigen Philosophie zu sehen. Die Sache ist diese. Philosophie ist nicht etwas, was unserm Geiste ohne sein Zutun, ursprünglich und von Natur beiwohnt. Sie ist durchaus ein Werk der Freiheit. Sie ist jedem nur das, wozu er sie selbst gemacht hat; und darum ist auch die Idee von Philosophie nur das Resultat der Philosophie selbst, welche als eine unendliche Wissenschaft zugleich die Wissenschaft von sich selbst ist3.

Anstatt also einen beliebigen Begriff von Philosophie überhaupt, oder von Philosophie der Natur insbesondere, vorauszuschicken, um ihn nachher in seine Teile aufzulösen, werde ich mich bestreben, einen solchen Begriff selbst erst vor den Augen des Lesers entstehen zu lassen.

Indes, da man doch von irgend etwas ausgehen muß, setze ich indes voraus, eine Philosophie der Natur solle die Möglichkeit einer Natur, d.h. der gesamten Erfahrungswelt aus Prinzipien ableiten. Diesen Begriff aber werde ich nicht analytisch behandeln, oder ihn als richtig voraussetzen und Folgerungen aus ihm herleiten, sondern vor allen Dingen untersuchen, ob ihm überhaupt Realität zukomme, und ob er etwas ausdrücke, das sich auch ausführen läßt.

 

Über die Probleme, welche eine Philosophie der Natur zu lösen hat

Wer in Erforschung der Natur und im bloßen Genuß ihres Reichtums begriffen ist, der fragt nicht, ob eine Natur und eine Erfahrung möglich sei. Genug, sie ist für ihn da; er hat sie durch die Tat selbst wirklich gemacht, und die Frage, was möglich ist, macht nur der, der die Wirklichkeit nicht in seiner Hand zu halten glaubt. Ganze Zeitalter sind über Erforschung der Natur verflossen, und noch ist man ihrer nicht müde. Einzelne haben in dieser Beschäftigung ihr Leben hingebracht und nicht aufgehört auch die verschleierte Göttin anzubeten. Große Geister haben, unbekümmert um die Prinzipien ihrer Erfindungen, in ihrer eigenen Welt gelebt, und was ist der ganze Ruhm des scharfsinnigsten Zweiflers gegen das Leben eines Mannes, der eine Welt in seinem Kopfe und die ganze Natur in seiner Einbildungskraft trug?

Wie eine Welt außer uns, wie eine Natur und mit ihr Erfahrung möglich sei, diese Frage verdanken wir der Philosophie, oder vielmehr mit dieser Frage entstand Philosophie. Vorher hatten die Menschen im (philosophischen) Naturstande gelebt. Damals war der Mensch noch einig mit sich selbst und der ihn umgebenden Welt. In dunkeln Rückerinnerungen schwebt dieser Zustand auch dem verirrtesten Denker noch vor. Viele verließen ihn niemals und wären glücklich in sich selbst, wenn sie nicht das leidige Beispiel verführte; denn freiwillig entläßt die Natur keinen aus ihrer Vormundschaft, und es gibt keine geborenen Söhne der Freiheit4. Es wäre auch nicht zu begreifen, wie der Mensch je jenen Zustand verlassen hätte, wüßten wir nicht, daß sein Geist, dessen Element Freiheit ist, sich selbst frei zu machen strebt, sich den Fesseln der Natur und ihrer Vorsorge entwinden und dem ungewissen Schicksal seiner eigenen Kräfte überlassen mußte, um einst als Sieger und durch eigenes Verdienst in jenen Zustand zurückzukehren, in welchem er, unwissend über sich selbst, die Kindheit seiner Vernunft verlebte.

Sobald der Mensch sich selbst mit der äußeren Welt in Widerspruch setzt (wie er das tut, davon späterhin), ist der erste Schritt zur Philosophie geschehen. Mit jener Trennung zuerst beginnt Reflexion5; von nun an trennt er, was die Natur auf immer vereinigt hatte, trennt den Gegenstand von der Anschauung, den Begriff vom Bilde, endlich (indem er sein eigenes Objekt wird) sich selbst von sich selbst.

Aber diese Trennung ist nur Mittel, nicht Zweck. Denn das Wesen des Menschen ist Handeln. Je weniger er aber über sich selbst reflektiert, desto tätiger ist er. Seine edelste Tätigkeit ist die, die sich selbst nicht kennt. Sobald er sich selbst zum Objekt macht, handelt nicht mehr der ganze Mensch, er hat einen Teil seiner Tätigkeit aufgehoben, um über den andern reflektieren zu können. Der Mensch ist nicht geboren, um im Kampf gegen das Hirngespinnst einer eingebildeten Welt seine Geisteskraft zu verschwenden, sondern einer Welt gegenüber, die auf ihn Einfluß hat, ihre Macht ihn empfinden läßt, und auf die er zurückwirken kann, alle seine Kräfte zu üben; zwischen ihm und der Welt also muß keine Kluft befestigt, zwischen beiden muß Berührung und Wechselwirkung möglich sein, denn so nur wird der Mensch zum Menschen. Ursprünglich ist im Menschen ein absolutes Gleichgewicht der Kräfte und des Bewußtseins. Aber er kann dieses Gleichgewicht durch Freiheit aufheben, um es durch Freiheit wieder herzustellen. Aber nur im Gleichgewicht der Kräfte ist Gesundheit.

Die bloße Reflexion also ist eine Geisteskrankheit des Menschen, noch dazu, wo sie sich in Herrschaft über den ganzen Menschen setzt, diejenige, welche sein höheres Dasein im Keim, sein geistiges Leben, welches nur aus der Identität hervorgeht, in der Wurzel tötet. Sie ist ein Übel, das den Menschen selbst ins Leben begleitet und auch für die gemeineren Gegenstände der Betrachtung alle Anschauung in ihm zerstört. Ihr zertrennendes Geschäft erstreckt sich aber nicht nur auf die erscheinende Welt; indem sie von dieser das geistige Prinzip trennt, erfüllt sie die intellektuelle Welt mit Chimären, gegen welche, weil sie jenseits aller Vernunft liegen, selbst kein Krieg möglich ist. Sie macht jene Trennung zwischen dem Menschen und der Welt permanent, indem sie die letzte als ein Ding an sich betrachtet, das weder Anschauung noch Einbildungskraft, weder Verstand noch Vernunft zu erreichen vermag6.

Ihr entgegen steht die wahre Philosophie, die Reflexion überhaupt als bloßes Mittel betrachtet. Die Philosophie muß jene ursprüngliche Trennung voraussetzen, denn ohne sie hätten wir kein Bedürfnis, zu philosophieren.

Darum eignet sie der Reflexion nur negativen Wert zu. Sie geht von jener ursprünglichen Trennung aus, um durch Freiheit wieder zu vereinigen, was im menschlichen Geiste ursprünglich und notwendig vereinigt war, d.h. um jene Trennung auf immer aufzuheben. Und da sie, inwieweit sie selbst nur durch jene Trennung notwendig gemacht – selbst nur ein notwendiges Übel – eine Disziplin der verirrten Vernunft war – so arbeitet sie in diesem Betracht zu ihrer eigenen Vernichtung. Derjenige Philosoph, der seine Lebenszeit oder einen Teil derselben dazu angewendet hätte, der Reflexionsphilosophie in ihre endlose Entzweiung zu folgen, um sie in ihren letzten Verzweigungen aufzuheben, erwürbe sich durch dieses Verdienst, das, wenn es auch negativ bliebe, den höchsten andern gleich geachtet werden dürfte, die würdigste Stelle, gesetzt, daß er auch nicht selbst den Genuß haben sollte die Philosophie in ihrer absoluten Gestalt aus den Zerreißungen der Reflexion für sich selbst aufleben zu sehen7. – Der einfachste Ausdruck verwickelter Probleme ist immer der beste. Wer zuerst darauf achtete, daß er sich selbst von äußeren Dingen, daß er somit seine Vorstellungen von den Gegenständen, und umgekehrt, diese von jenen unterscheiden konnte, war der erste Philosoph. Er unterbrach zuerst den Mechanismus seines Denkens, hob das Gleichgewicht des Bewußtseins auf, in welchem Subjekt und Objekt innigst vereinigt sind.

Indem ich den Gegenstand vorstelle, ist Gegenstand und Vorstellung eins und dasselbe. Und nur in dieser Unfähigkeit, den Gegenstand während der Vorstellung selbst von der Vorstellung zu unterscheiden, liegt für den gemeinen Verstand die Überzeugung von der Realität äußerer Dinge, die doch nur durch Vorstellungen ihm kund werden.

Diese Identität des Gegenstandes und der Vorstellung hebt nun der Philosoph auf, indem er fragt: Wie entstehen Vorstellungen äußerer Dinge in uns? Durch diese Frage versetzen Wir die Dinge außer uns, setzen sie voraus als unabhängig von unsern Vorstellungen. Gleichwohl soll zwischen ihnen und unsern Vorstellungen Zusammenhang sein. Nun kennen wir aber keinen realen Zusammenhang verschiedener Dinge, als den von Ursache und Wirkung. Also ist auch der erste Versuch der Philosophie der: Gegenstand und Vorstellung ins Verhältnis der Ursache und Wirkung zu setzen.

Nun haben wir aber ausdrücklich Dinge als unabhängig von uns gesetzt. Uns dagegen fühlen wir als abhängig von den Gegenständen. Denn unsere Vorstellung ist selbst nur reell, insofern wir genötigt sind, zwischen ihr und den Dingen Übereinstimmung anzunehmen. Also können wir die Dinge nicht zu Wirkungen unserer Vorstellungen machen. Es bleibt daher nichts übrig als die Vorstellungen von den Dingen abhängig zu machen, diese als Ursachen, jene als Wirkungen zu betrachten.

Nun kann man aber auf den ersten Blick einsehen, daß wir mit diesem Versuch eigentlich nicht erreichen, was wir wollten. Wir wollten erklären, wie es komme, daß in uns Gegenstand und Vorstellung unzertrennlich vereinigt sind. Denn nur in dieser Vereinigung liegt die Realität unseres Wissens von äußeren Dingen. Und eben diese Realität soll der Philosoph dartun. Allein wenn die Dinge Ursachen der Vorstellungen sind, so gehen sie den Vorstellungen voran. Dadurch aber wird die Trennung zwischen beiden permanent. Wir aber wollten, nachdem wir Objekt und Vorstellung durch Freiheit getrennt hatten, beide wieder durch Freiheit vereinigen, wollten wissen, daß und warum zwischen beiden ursprünglich keine Trennung ist.

Ferner, wir kennen die Dinge nur durch und in unsern Vorstellungen. Was sie also sind, inwiefern sie unserer Vorstellung vorangehen, also nicht vorgestellt werden, davon haben wir gar keinen Begriff.

Ferner, indem ich frage: wie kommt es, daß ich vorstelle, erhebe ich mich selbst über die Vorstellung; ich werde durch diese Frage selbst zu einem Wesen, das in Ansehung alles Vorstellens sich ursprünglich frei fühlt, daß die Vorstellung selbst und den ganzen Zusammenhang seiner Vorstellungen unter sich erblickt. Durch diese Frage selbst werde ich ein Wesen, das, unabhängig von äußeren Dingen, ein Sein in sich selbst hat.

Also trete ich mit dieser Frage selbst aus der Reihe meiner Vorstellungen heraus, sage mich los vom Zusammenhang mit den Dingen, trete auf einen Standpunkt, wo mich keine äußere Macht mehr erreicht; jetzt zuerst scheiden sich die zwei feindlichen Wesen Geist und Materie. Beide versetze ich in verschiedene Welten, zwischen welchen kein Zusammenhang mehr möglich ist. Indem ich aus der Reihe meiner Vorstellungen trete, sind selbst Ursache und Wirkung Begriffe, die ich unter mir erblicke. Denn beide entstehen selbst nur in der notwendigen Sukzession meiner Vorstellungen, von der ich mich losgesagt habe. Wie kann ich mich also diesen Begriffen selbst wieder unterwerfen, und Dinge außer mir auf mich einwirken lassen8?

Oder laßt uns den umgekehrten Versuch machen, laßt äußere Dinge auf uns einwirken, und nun erklären, wie wir dessenungeachtet zu der Frage kommen, wie Vorstellungen in uns möglich sind?

Zwar ist es gar nicht zu begreifen, wie Dinge auf mich (ein freies Wesen) wirken. Ich begreife nur, wie Dinge auf Dinge wirken. Insofern ich aber frei bin (und ich bin es, indem ich mich über den Zusammenhang der Dinge erhebe und frage, wie dieser Zusammenhang selbst möglich geworden) – bin ich gar kein Ding, kein Objekt. Ich lebe in einer ganz eignen Welt, bin ein Wesen, das nicht für andere Wesen, sondern für sich selbst da ist. In mir kann nur Tat und Handlung sein; von mir können nur Wirkungen ausgehen, es kann kein Leiden in mir sein; denn Leiden ist nur da, wo Wirkung und Gegenwirkung ist, und diese ist nur im Zusammenhange der Dinge, über den ich mich selbst erhoben habe. Allein es sei so, ich sei ein Ding, das selbst in der Reihe der Ursachen und Wirkungen mitbegriffen ist, sei selbst zusamt dem ganzen System meiner Vorstellungen ein bloßes Resultat der mannigfaltigen Einwirkungen, die auf mich von außen geschehen, kurz, ich sei selbst ein bloßes Werk des Mechanismus. Aber was im Mechanismus begriffen ist, kann nicht aus demselben heraustreten und fragen: wie ist dieses Ganze möglich geworden; hier, mitten in der Reihe der Erscheinungen hat ihm absolute Notwendigkeit seine Stelle angewiesen; verläßt es diese Stelle, so ist: es nicht mehr dieses Wesen, man begreift nicht, wie noch irgend eine äußere Ursache auf dieses selbständige, in sich selbst ganze und vollendete Wesen einwirken kann.

Man muß also jener Frage selbst, mit der alle Philosophie beginnt, fähig sein, um philosophieren zu können. Diese Frage ist nicht eine solche, die man ohne eignes Zutun andern nachsprechen kann. Sie ist ein freihervorgebrachtes, selbst aufgegebenes Problem. Daß ich diese Frage aufzuwerfen fähig bin, ist Beweis genug, daß ich als dieser von äußeren Dingen unabhängig bin; denn wie hätte ich sonst fragen können, wie diese Dinge selbst für mich, in meiner Vorstellung möglich sind. Man sollte also denken, daß, wer nur diese Frage aufwirft, ebendamit darauf Verzicht tut, seine Vorstellungen durch Einwirkung äußerer Dinge zu erklären. Allein diese Frage ist unter Leute gekommen, die sie sich selbst aufzugeben völlig unfähig waren. Indem sie in ihren Mund überging, nahm sie auch einen andern Sinn an, oder vielmehr sie verlor allen Sinn und Bedeutung. Sie sind Wesen, die sich gar nicht anders kennen, als inwiefern Gesetze von Ursache und Wirkung über sie schalten und walten. Ich, indem ich jene Frage aufwerfe, habe mich über diese Gesetze erhoben. Sie sind im Mechanismus ihres Denkens und Vorstellens begriffen; ich habe diesen Mechanismus durchbrochen. Wie wollen sie mich verstehen?

Wer für sich selbst nichts ist als das, was Dinge und Umstände aus ihm gemacht haben; wer ohne Gewalt über seine eigenen Vorstellungen vom Strom der Ursachen und Wirkungen ergriffen mit fortgerissen wird, wie will doch der wissen, woher er kommt, wohin er geht und wie er das geworden ist, was er ist? Weiß es denn die Woge, die im Strome daher treibt? Er hat nicht einmal das Recht, zu sagen, er sei ein Resultat der Zusammenwirkung äußerer Dinge; denn um dies sagen zu können, muß er voraussetzen, daß er sich selbst kenne, daß er also auch etwas für sich selbst sei. Dies ist er aber nicht. Er ist nur für andere vernünftige Wesen – nicht für sich selbst da; ist ein bloßes Objekt in der Welt, und es ist nützlich für ihn und die Wissenschaft, daß er nie von etwas anderem höre, noch etwas anderes sich einbilde.

Von jeher haben die alltäglichsten Menschen die größten Philosophen widerlegt, mit Dingen, die selbst Kindern und Unmündigen begreiflich sind. Man hört, liest und staunt, daß so großen Männern so gemeine Dinge unbekannt waren und daß so anerkannt-kleine Menschen sie meistern konnten. Kein Mensch denkt daran, daß sie vielleicht all das auch gewußt haben; denn wie hätten sie sonst gegen den Strom von Evidenz schwimmen können? Viele sind überzeugt, daß Plato, wenn er nur Locke lesen könnte, beschämt von dannen ginge; mancher glaubt, daß selbst Leibniz, wenn er von den Toten auferstünde, um eine Stunde lang bei ihm in die Schule zu gehen, bekehrt würde, und wieviele Unmündige haben nicht über Spinozas Grabhügel Triumphlieder angestimmt? –

Was war es doch, fragt ihr, was alle diese Männer antrieb, die gemeinen Vorstellungsarten ihres Zeitalters zu verlassen und Systeme zu erfinden, die allem entgegen sind, was die große Menge von jeher geglaubt und sich eingebildet hat? Es war ein freier Schwung, der sie in ein Gebiet erhob, wo ihr auch ihre Aufgaben nicht mehr versteht, so wie ihnen dagegen manches unbegreiflich wurde, was euch höchst einfach und begreiflich scheint.9

Es war ihnen unmöglich, Dinge zu verbinden und in Berührung zu bringen, die in euch Natur und Mechanismus auf immer vereinigt hat. Sie waren gleich unfähig, die Welt außer ihnen, oder, daß ein Geist in ihnen sei, abzuleugnen, und doch schien zwischen beiden kein Zusammenhang möglich. – Euch, wenn ihr ja jene Probleme denkt, kommt es nicht darauf an, die Welt in ein Spiel von Begriffen oder den Geist in euch in einen toten Spiegel der Dinge zu verwandeln.10

Lange schon hatte sich der menschliche Geist (noch jugendlich kräftig und von den Göttern her frisch) in Mythologien und Dichtungen über den Ursprung der Welt verloren, Religionen ganzer Völker waren auf jenen Streit zwischen Geist und Materie gegründet, ehe ein glücklicher Genius – der erste Philosoph – die Begriffe fand, an welchen alle folgende Zeitalter die beiden Enden unsers Wissens auffaßten und festhielten. Die größten Denker des Altertums wagten sich nicht über jenen Gegensatz hinaus. Plato noch stellt die Materie als ein anderes11 Gott gegenüber. Der erste, der Geist und Materie mit vollem Bewußtsein als Eines, Gedanke und Ausdehnung nur als Modifikationen desselben Prinzips ansah, war Spinoza. Sein System war der erste kühne Entwurf einer schöpferischen Einbildungskraft, der in der Idee des Unendlichen, rein als solchen, unmittelbar das Endliche begriff und dieses nur in jenem erkannte12. Leibniz kam und ging den entgegengesetzten Weg. Die Zeit ist gekommen, da man seine Philosophie wiederherstellen kann. Sein Geist verschmähte die Fesseln der Schule; kein Wunder, daß er unter uns nur in wenigen verwandten Geistern fortgelebt hat und unter den übrigen längst ein Fremdling geworden ist. Er gehörte zu den Wenigen, die auch die Wissenschaft als freies Werk behandeln13. Er hatte in sich den allgemeinen Geist der Welt, der in den mannigfaltigsten Formen sich selbst offenbart und wo er hinkommt, Leben verbreitet. Doppelt unerträglich ist es daher, daß man jetzt erst für seine Philosophie die rechten Worte gefunden haben will, und daß die Kantsche Schule ihm ihre Erdichtungen aufdringt – ihn Dinge sagen läßt, von denen allen er gerade das Gegenteil gelehrt hat. Leibniz konnte von nichts weiter entfernt sein, als von dem spekulativen Hirngespinnst einer Welt von Dingen an sich, die, von keinem Geiste erkannt und angeschaut, doch auf uns wirkt und alle Vorstellungen in uns hervorbringt. Der erste Gedanke, von dem er ausging, war: »daß die Vorstellungen von äußern Dingen in der Seele kraft ihrer eigenen Gesetze wie in einer besondern Welt entstünden, als wenn nichts als Gott (das Unendliche) und die Seele (die Anschauung des Unendlichen) vorhanden wären.« – Er behauptete in seinen letzten Schriften noch die absolute Unmöglichkeit, daß eine äußere Ursache auf das Innere eines Geistes wirke; behauptete, daß sonach alle Veränderungen, aller Wechsel von Perzeptionen und Vorstellungen in einem Geiste nur aus einem innern Prinzip hervorgehen könne. Als Leibniz dies sagte, sprach er zu Philosophen. Heutzutage haben sich Leute zum Philosophieren gedrungen, die für alles andere, nur für Philosophie nicht, Sinn haben. Daher, wenn unter uns gesagt wird, daß keine Vorstellung in uns durch äußere Einwirkung entstehen könne, des Anstaunens kein Ende ist. Jetzt gilt es für Philosophie, zu glauben, daß die Monaden Fenster haben, durch welche die Dinge hinein und heraus steigen14.

Es ist gar wohl möglich, auch den entschiedensten Anhänger der Dinge an sich als des Bewirkenden der Vorstellungen durch Fragen aller Art in die Enge zu treiben. Man kann ihm sagen: ich verstehe, wie Materie auf Materie wirkt, nicht aber, weder wie ein An-sich auf das andre wirkt, da im Reiche des Intelligibeln keine Ursache und keine Wirkung sein kann, noch wie dieses Gesetz von einer Welt in eine von ihr ganz verschiedene, ja ihr entgegengesetzte, reicht15: du müßtest also, wenn ich von äußern Eindrücken abhängig bin, gestehen, daß ich selbst nichts mehr bin, als Materie, ein optisches Glas etwa, in dem sich der Lichtstrahl der Welt bricht. Aber das optische Glas sieht nicht selbst, es ist nur Mittel in der Hand des Vernünftigen. Und was ist denn dasjenige in mir, was urteilt, es sei ein Eindruck auf mich geschehen? Abermals ich selbst, der doch, insofern er urteilt, nicht leidend, sondern tätig ist – also etwas in mir, das sich vom Eindruck frei fühlt und das doch um den Eindruck weiß, ihn auffaßt, ihn zum Bewußtsein erhebt.

Ferner, während der Anschauung entsteht kein Zweifel über die Realität der äußern Anschauung. Aber nun kommt der Verstand, fängt an zu teilen und teilt ins Unendliche. Ist die Materie außer euch wirklich, so muß sie aus unendlichen Teilen bestehen. Besteht sie aus unendlich vielen Teilen, so mußte sie aus diesen Teilen zusammengesetzt werden. Allein für diese Zusammensetzung hat unsere Einbildungskraft nur ein endliches Maß. Also müßte eine unendliche Zusammensetzung in endlicher Zeit geschehen sein. Oder die Zusammensetzung hat irgendwo angefangen, d.h. es gibt letzte Teile der Materie, so muß ich (bei der Teilung) auf solche letzte Teile stoßen; allein ich finde immer wieder nur gleichartige Körper und komme nie weiter, als bis zu Oberflächen, das Reale scheint vor mir zu fliehen oder unter der Hand zu verschwinden, und die Materie, die erste Grundlage aller Erfahrung, wird das Wesenloseste, das wir kennen.

Oder ist dieser Widerstreit vielleicht nur da, um uns über uns selbst aufzuklären? Ist die Anschauung etwa nur ein Traum, der allen vernünftigen Wesen Realität vorspiegelt, und ist ihnen der Verstand nur dazu gegeben, sie von Zeit zu Zeit zu wecken – zu erinnern, was sie sind, damit so ihre Existenz (denn offenbar genug sind wir ja Mittelwesen) zwischen Schlaf und Wachen geteilt sei? Aber einen solchen ursprünglichen Traum begreife ich nicht. Alle Träume sind sonst doch Schatten der Wirklichkeit, »Erinnerungen aus einer Welt, die vorher da war«. Wollte man annehmen, ein höheres Wesen bewirkte uns diese Schattenbilder von Wirklichkeit, so würde auch hier die Frage nach der realen Möglichkeit des Begriffs von einem solchen Verhältnis zurückkehren, (da ich in dieser Region einmal nichts kenne, was nach Ursache und Wirkung erfolgte) und da jenes doch das was es mir mitteilte aus sich selbst produzierte, so wäre, vorausgesetzt, wie notwendig ist, daß es keine transitive Wirkung auf mich haben könne, keine andre Möglichkeit als, daß ich jene Schattenbilder bloß als eine Beschränkung oder Modifikation seiner absoluten Produktivität, also innerhalb dieser Schranken immer wieder durch Produktion, erhielte16.

Die Materie ist nicht wesenlos, sagt ihr, denn sie hat ursprüngliche Kräfte, die durch keine Teilung vernichtet werden. »Die Materie hat Kräfte.« Ich weiß, daß dieser Ausdruck sehr gewöhnlich ist. Aber wie? »die Materie hat« – hier wird sie also vorausgesetzt als etwas, das für sich und unabhängig von seinen Kräften besteht. Also wären ihr diese Kräfte nur zufällig? Weil die Materie außer euch vorhanden ist, so muß sie auch ihre Kräfte einer äußern Ursache verdanken. Sind sie ihr etwa, wie einige Newtonianer sagen, von einer hohem Hand eingepflanzt? Allein von Einwirkungen, wodurch Kräfte eingepflanzt werden, habt ihr keinen Begriff. Ihr wißt nur, wie Materie, d.h. selbst Kraft gegen Kraft wirkt; und wie auf etwas, das ursprünglich nicht Kraft ist, gewirkt werden könne, begreifen wir gar nicht. Man kann so etwas sagen, es kann von Mund zu Munde gehen, aber noch nie ist es in eines Menschen Kopf wirklich gekommen, weil kein menschlicher Kopf so etwas zu denken vermag. Also könnt ihr Materie ohne Kraft gar nicht denken.

Ferner: jene Kräfte sind Kräfte der Anziehung und Zurückstoßung. – »Anziehung und Zurückstoßung« – findet denn die im leeren Raum statt, setzt sie nicht selbst schon erfüllten Raum, d.h. Materie voraus? Also müßt ihr eingestehen, daß weder Kräfte ohne Materie, noch Materie ohne Kräfte vorstellbar ist. Nun ist aber Materie das letzte Substrat eures Erkennens, über das ihr nicht hinausgehen könnt; und da ihr jene Kräfte aus der Materie nicht erklären könnt, so könnt ihr sie überall nicht empirisch, d.h. aus etwas außer euch erklären, was ihr doch eurem Systeme gemäß tun müßtet.

Dessenungeachtet wird in der Philosophie gefragt, wie Materie außer uns möglich sei, also auch, wie jene Kräfte außer uns möglich seien. Man kann auf alles Philosophieren Verzicht tun (wollte Gott, es gefiele denen, die sich nicht darauf verstehen), aber wenn ihr denn philosophieren wollt, so könnt ihr jene Frage einmal nicht abweisen. Nun könnt ihr aber gar nicht verständlich machen, was eine Kraft unabhängig von euch sein möge. Denn Kraft überhaupt kündigt sich bloß eurem Gefühl an. Aber das Gefühl allein gibt euch keine objektiven Begriffe. Gleichwohl macht ihr von jenen Kräften objektiven Gebrauch. Denn ihr erklärt die Bewegung der Weltkörper – die allgemeine Schwere – aus Kräften der Anziehung und behauptet, in dieser Erklärung ein absolutes Prinzip dieser Erscheinungen zu haben. In eurem System aber gilt die Anziehungskraft für nichts mehr oder weniger als eine physische Ursache. Denn da die Materie unabhängig von euch außer euch da ist, so könnt ihr auch, welche Kräfte ihr zukommen, nur durch Erfahrung wissen. Als physischer Erklärungsgrund aber ist die Anziehungskraft nichts mehr und nichts weniger, als eine dunkle Qualität. Allein laßt uns erst zusehen, ob denn überhaupt empirische Prinzipien hinreichen können, die Möglichkeit eines Weltsystems zu erklären. Die Frage verneint sich selbst; denn das letzte Wissen aus Erfahrung ist dieses, daß ein Universum existiert; dieser Satz ist die Grenze der Erfahrung selbst. Oder vielmehr, daß ein Universum existiere, ist selbst nur eine Idee. Noch viel weniger also kann das allgemeine Gleichgewicht der Weltkräfte etwas sein, das ihr aus Erfahrung geschöpft hättet. Denn ihr könnt diese Idee nicht einmal für das einzelne System aus der Erfahrung nehmen, wenn sie überall Idee ist; auf das Ganze übergetragen aber wird sie nur durch analogische Schlüsse: dergleichen Schlüsse aber geben nur Wahrscheinlichkeit; dagegen Ideen, wie jene eines allgemeinen Gleichgewichts, an sich selbst wahr, also Produkte von etwas, oder in etwas gegründet sein müssen, das selbst absolut, nicht von der Erfahrung abhängig ist17.

Also müßt ihr einräumen, daß diese Idee selbst in ein höheres Gebiet, als das der bloßen Naturwissenschaft, hinübergreift. Newton, der sich ihr nie ganz überließ, und selbst noch nach der wirkenden Ursache der Anziehung fragte, sah nur allzu gut, daß er an der Grenze der Natur stand und daß hier zwei Welten sich scheiden. – Selten haben große Geister zu gleicher Zeit gelebt, ohne von ganz verschiedenen Seiten her auf denselben Zweck hinzuarbeiten. Während Leibniz auf die prästabilierte Harmonie das System der Geisterwelt gründete, fand Newton im Gleichgewicht der Weltkräfte das System einer materiellen Welt. Aber wenn anders im System unsers Wissens Einheit ist, und wenn es je gelingt, auch die letzten Extreme desselben zu vereinigen, so müssen wir hoffen, daß eben hier, wo Leibniz und Newton sich trennten, einst ein umfassender Geist den Mittelpunkt finden wird, um den sich das Universum unsers Wissens – die beiden Welten bewegen, zwischen welchen jetzt noch unser Wissen geteilt ist – und Leibnizens prästabilierte Harmonie und Newtons Gravitationssystem als ein und dasselbe oder nur als verschiedene Ansichten von einem und demselben erscheinen werden18.

Ich gehe weiter. Die rohe Materie, d.h. die Materie, insofern sie bloß als den Raum erfüllend gedacht wird, ist nur der feste Grund und Boden, auf welchem erst das Gebäude der Natur aufgeführt wird. Die Materie soll etwas Reales sein. Was aber real ist, läßt sich nur empfinden. Wie ist nun Empfindung in mir möglich? Daß von außen auf mich gewirkt wird, wie ihr sagt, ist nicht genug. Es muß etwas in mir sein, das empfindet, und zwischen diesem und dem, was ihr außer mir voraussetzt, ist keine Berührung möglich. Oder wenn dieses Äußere auf mich, wie Materie auf Materie, wirkt, so kann ich nur auf dieses Äußere (etwa durch repulsive Kraft), nicht aber auf mich selbst zurückwirken. Und doch soll dieses geschehen; denn ich soll empfinden, soll diese Empfindung zum Bewußtsein erheben.

Was ihr von der Materie empfindet, heißt ihr Qualität, und nur insofern sie eine bestimmte Qualität hat, heißt sie euch real. Daß sie Qualität überhaupt hat, ist notwendig, daß sie aber diese bestimmte Qualität hat, erscheint euch als zufällig. Ist dies, so kann die Materie überhaupt nicht eine und dieselbe Qualität haben: es muß also eine Mannigfaltigkeit von Beschaffenheiten geben, die ihr doch alle durch bloße Empfindung kennt. Was ist denn nun das, was die Empfindung bewirkt? »Etwas Inneres, eine innere Beschaffenheit der Materie«. Dies sind Worte, nicht Sachen. Denn wo ist es denn dieses Innere der Materie? Ihr mögt teilen ins Unendliche und kommt doch nie weiter, als bis zu Oberflächen der Körper. Dies alles war euch längst einleuchtend; darum habt ihr schon lange das, was bloß empfunden wird, für etwas erklärt, was bloß in eurer Empfindungsart seinen Grund hat. Allein dies ist das Wenigste. Denn daß nichts außer euch existieren soll, das an sich süß oder sauer wäre, macht die Empfindung deshalb noch nicht begreiflicher; denn immer nehmt ihr doch eine Ursache an, die, außer euch wirklich, diese Empfindung in euch bewirkt. Gesetzt aber wir räumen euch die Einwirkung von außen ein, was haben denn Farben, Gerüche usw. oder die Ursachen dieser Empfindungen außer euch mit eurem Geiste gemein? Ihr untersucht wohl sehr scharfsinnig, wie das Licht, von den Körpern zurückgestrahlt, auf eure Sehnerven wirkt, auch wohl, wie das verkehrte Bild auf der Netzhaut in eurer Seele doch nicht verkehrt, sondern gerade erscheint. Aber was ist denn dasjenige in euch, was dieses Bild auf der Netzhaut selbst wieder sieht und untersucht, wie es wohl in die Seele gekommen sein möge? Offenbar etwas, das insofern vom äußern Eindruck völlig unabhängig ist, und dem doch dieser Eindruck nicht unbekannt ist. Wie kam also der Eindruck bis in diese Gegend eurer Seele, in der ihr euch völlig frei und von Eindrücken unabhängig fühlt? Mögt ihr doch zwischen die Affektion eurer Nerven, eures Gehirns usw. und die Vorstellung eines äußern Dinges noch so viele Zwischenglieder einschieben, ihr täuscht nur euch selbst; denn der Übergang vom Körper zur Seele kann nach euern eigenen Vorstellungen nicht kontinuierlich, sondern nur durch einen Sprung geschehen, den ihr doch vermeiden zu wollen vorgebt.

Ferner, eine Masse wirkt auf die andere vermöge ihrer bloßen Bewegung (durch Undurchdringlichkeit), dies heißt ihr Stoß oder mechanische Bewegung.

Oder eine Materie wirkt auf die andere ohne Bedingung einer zuvor erhaltenen Bewegung, so daß Bewegung aus Ruhe hervorgeht19: durch Anziehung, und dies heißt ihr Schwere.

Ihr denkt euch die Materie als träg, d.h. als etwas, das sich nicht selbsttätig bewegt, sondern nur durch äußere Ursache bewegt werden kann.

Ferner, die Schwere, welche ihr den Körpern zuschreibt, setzt ihr als spezifisches Gewicht der Quantität der Materie (ohne Rücksicht auf das Volumen) gleich20.

Nun findet ihr aber, daß ein Körper dem andern Bewegung mitteilen kann, ohne doch selbst bewegt zu sein, d.h. ohne durch Stoß auf ihn zu wirken.

Ihr bemerkt ferner, daß zwei Körper sich wechselseitig anziehen können schlechterdings unabhängig vom Verhältnis ihrer Masse, d.h. unabhängig von den Gesetzen der Schwere.

Ihr nehmt also an, der Grund dieser Anziehung könne weder in der Schwere, noch auf der Oberfläche des auf solche Art bewegten Körpers gesucht werden, der Grund müsse ein innerer sein und von der Qualität des Körpers abhängen. Allein ihr habt noch nie erklärt, was ihr unter dem Innern eines Körpers versteht. Ferner, es ist erwiesen, daß Qualität bloß in bezug auf eure Empfindung gilt. Hier aber ist nicht von eurer Empfindung, sondern von einem objektiven Faktum die Rede, das außer euch vorgeht, das ihr mit euern Sinnen auffaßt und das euer Verstand in verständliche Begriffe übersetzen will. Gesetzt nun wir räumen ein, Qualität sei etwas, das nicht bloß in eurer Empfindung, sondern im Körper außer euch einen Grund hat, was heißen denn nun die Worte: ein Körper zieht den andern an vermöge seiner Qualitäten? Denn was an dieser Anziehung real ist, d.h. was ihr abzuschauen vermögt, ist bloß – die Bewegung des Körpers. Bewegung ist aber eine rein mathematische Größe, und kann rein phoronomisch bestimmt werden. Wie hängt denn nun diese äußere Bewegung mit einer innern Qualität zusammen? Ihr entlehnt bildliche Ausdrücke, die von lebendigen Wesen hergenommen sind, z.B. Verwandtschaft. Aber ihr würdet sehr verlegen sein, dieses Bild in einen verständlichen Begriff zu verwandeln. Ferner, ihr häuft Grundstoffe auf Grundstoffe: diese aber sind nichts anders, als ebensoviele Asyle eurer Unwissenheit. Denn was denkt ihr euch unter ihnen? Nicht die Materie selbst, z.B. die Kohle, sondern etwas, das in dieser Materie noch enthalten, gleichsam verborgen ist, und ihr erst diese Qualitäten mitteilt. Aber wo im Körper ist denn dieser Grundstoff? Hat ihn je einer durch Teilung oder Scheidung gefunden? Nicht einen dieser Stoffe konntet ihr bis jetzt sinnlich darstellen. Gesetzt aber, wir räumen ihre Existenz ein, was ist damit gewonnen? Ist etwa dadurch die Qualität der Materie erklärt? Ich schließe so: Entweder kommt den Grundstoffen selbst die Qualität zu, die sie den Körpern mitteilen, oder nicht. Im erstern Falle habt ihr nichts erklärt, denn eben das war die Frage, wie Qualitäten entstehen? Im andern Falle ist wiederum nichts erklärt, denn wie ein Körper (mechanisch) auf den andern stoßen und so ihm Bewegung mitteilen könne, verstehe ich; wie aber ein von Qualitäten völlig entblößter Körper einem andern Qualität mitteilen könne, dies versteht niemand, und niemand wird es verständlich machen. Denn überhaupt ist Qualität etwas, wovon ihr bis jetzt keinen objektiven Begriff zu geben imstande waret, und wovon ihr doch (in der Chemie wenigstens) objektiven Gebrauch macht.

Dies sind die Elemente unsers empirischen Wissens. Denn, wenn wir einmal Materie und mit ihr Kräfte der Anziehung und Zurückstoßung, ferner eine unendliche Mannigfaltigkeit von Materien, die sich alle durch Qualitäten voneinander unterscheiden, voraussetzen dürfen, so haben wir, nach Anleitung der Kategorientafel,

1. quantitative Bewegung, die einzig der Quantität der Materie proportional ist: Schwere;

2. qualitative Bewegung, die den innern Beschaffenheiten der Materie gemäß ist – chemische Bewegung;

3. relative Bewegung, die den Körpern durch Einwirkung von außen (durch Stoß) mitgeteilt wird – mechanische Bewegung.

Diese drei möglichen Bewegungen sind es, aus welchen die Naturlehre ihr ganzes System entstehen und werden läßt.

Der Teil der Physik, welcher sich mit der ersten beschäftigt, heißt Statik. Der, welcher sich mit der dritten beschäftigt, heißt Mechanik. Dies ist der Hauptteil der Physik; denn im Grunde ist die ganze Physik nichts als angewandte Mechanik21. Derjenige Teil, welcher sich mit der zweiten Art von Bewegung beschäftigt, dient in der Physik nur hilfsweise: die Chemie nämlich, deren Gegenstand es eigentlich ist, die spezifische Verschiedenheit der Materie abzuleiten, ist die Wissenschaft, welche erst der Mechanik (einer an sich ganz formalen Wissenschaft) Inhalt und mannigfaltige Anwendung verschafft. Es ist nämlich sehr geringe Mühe, aus den Prinzipien der Chemie die Hauptgegenstände, welche die Physik (ihren mechanischen und dynamischen Bewegungen nach)22 untersucht, abzuleiten, z.B. daß chemische Anziehung zwischen den Körpern stattfinde, kann man sagen, muß es eine Materie geben, die sie ausdehnt, der Trägheit entgegenwirkt – Licht und Wärme; ferner Stoffe, die sich wechselseitig anziehen, und, damit die größte Einfachheit möglich sei, Einen Grundstoff, den alle übrigen anziehen. Und da die Natur selbst zu ihrer Fortdauer viele chemische Prozesse nötig hat, so müssen diese Bedingungen der chemischen Prozesse überall gegenwärtig sein, daher die Lebensluft, als Produkt aus Licht und jenem Grundstoff. Und weil diese Luft die Gewalt des Feuers allzusehr beförderte, die Kraft unserer Organe zu sehr erschöpfte, eine Mischung aus ihr und einer andern ihr gerade entgegengesetzten Luftart – atmosphärische Luft usw.

Dies ist ungefähr der Weg, auf welchem die Naturlehre zur Vollständigkeit gelangt. Allein uns ist es jetzt nicht darum zu tun, wie wir ein solches System, wenn es einmal existiert, darstellen, sondern darum, wie überhaupt ein solches System existieren könne. Die Frage ist nicht, ob und wie jener Zusammenhang der Erscheinungen und die Reihe von Ursachen und Wirkungen, die wir Naturlauf nennen, außer uns, sondern wie sie für uns wirklich geworden, wie jenes System und jener Zusammenhang der Erscheinungen den Weg zu unserm Geiste gefunden, und wie sie in unserer Vorstellung die Notwendigkeit erlangt haben, mit welcher sie zu denken wir schlechthin genötigt sind? Denn als unleugbare Tatsache wird vorausgesetzt, daß die Vorstellung einer Sukzession von Ursachen und Wirkungen außer uns unserm Geiste so notwendig ist, als ob sie zu seinem Sein und Wesen selbst gehörte. Diese Notwendigkeit zu erklären, ist ein [das] Hauptproblem aller Philosophie. Die Frage ist nicht, ob dieses Problem überhaupt existieren solle, sondern wie dasselbe, wenn es einmal existiert, gelöst werden müsse.

Vorerst, was heißt es: wir müssen uns eine Sukzession der Erscheinungen denken, die schlechthin notwendig ist? Offenbar so viel: diese Erscheinungen können nur in dieser bestimmten Sukzession aufeinander folgen, und umgekehrt, nur an diesen bestimmten Erscheinungen kann diese Sukzession fortlaufen.

Denn daß unsere Vorstellungen in dieser bestimmten Ordnung aufeinander folgen, daß z.B. der Blitz dem Donner vorangeht, nicht nachfolgt usw., davon suchen wir den Grund nicht in uns, es kommt nicht auf uns an, wie wir die Vorstellungen aufeinander folgen lassen; der Grund muß also in den Dingen liegen, und wir behaupten, diese bestimmte Aufeinanderfolge sei eine Aufeinanderfolge der Dinge selbst, nicht bloß unserer Vorstellungen von ihnen, nur insofern die Erscheinungen selbst so und nicht anders aufeinander folgen, seien wir genötigt, sie in dieser Ordnung vorzustellen, nur weil und insofern diese Sukzession objektiv-notwendig sei, sei sie auch subjektiv– notwendig.