Dr. Daniel – Jubiläumsbox 10 – E-Book: 53 - 58

Dr. Daniel
– Jubiläumsbox 10–

E-Book: 53 - 58

Marie Francoise

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-342-5

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Gesucht: Traumtyp für Schwester Sophie

Roman von Marie-Francoise

  Sophie Wieland stand wie versteinert. Sie hatte das Gefühl zu träumen, doch es war kein angenehmer Traum – ganz im Gegenteil. Es war ein Alptraum, wie sie noch keinen schlimmeren erlebt hatte. Überdeutlich war sie sich des Rings bewußt, den Peter ihr gestern geschenkt hatte. Ein sündhaft teures, diamantenbesetztesSchmuckstück, über das sie sich riesig gefreut hatte und das ihr jetzt den Finger abzuschnüren schien.

  Wie in Trance überquerte Sophie die Straße und ging dann direkt auf Peter zu. Im selben Moment drehte er sich um, und seine Augen weiteten sich vor Schreck. Mit einem flehenden Blick bedeutete er ihr weiterzugehen… ihn nicht anzusprechen, doch Sophie ließ sich von dem eingeschlagenen Weg nicht abbringen. Dann blieb sie stehen. Ihre Kehle schien wie zugeschnürt zu sein.

  »Hallo, Peter«, grüßte sie und fragte sich, wie ihre Stimme so normal klingen konnte.

  Unwillkürlich ließ Peter den Arm, den er so vertraut um die Schultern seiner Begleiterin gelegt hatte, sinken.

  »Sophie«, erwiderte er nur, und seine Stimme klang gepreßt, dann brachte er ein schiefes Lächeln zustande, das seine Unsicherheit vertuschen sollte. »Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht. Monika, das ist Sophie Wieland… eine der tüchtigsten Krankenschwestern, die wir an der Klinik haben.« Er zögerte, dann fuhr er leise fort: »Sophie – meine Frau Monika.«

  Sophie schwankte wie unter einem Schlag. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, daß Peter verheiratet wäre. Irgendwie schaffte sie es, die Hand auszustrecken.

  »Freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Sternberg«, zwang sie sich zu sagen, dann bedachte sie Peter mit einem Blick, der ihn zurückweichen ließ, bevor sie sich Monika wieder zuwandte. »Peter hat mir schon viel von Ihnen vorgeschwärmt.«

  Das freundliche Lächeln der sympathischen Frau verwandelte sich in ein glückliches Strahlen.

  »Das freut mich zu hören«, meinte sie. »Peter ist normalerweise sehr zurückhaltend, wenn es um sein Privatleben geht. Gerade mich und unsere beiden Kinder hütet er wie ein kostbares Kleinod.«

  Peter wollte diesem für ihn äußerst unangenehmen Gespräch entkommen.

  »Liebling, ich glaube, wir müssen weiter«, erklärte er mit einem Blick auf die Uhr, dann sah er Sophie mit gespieltem Bedauern an. »Du entschuldigst uns«, er schwieg einen Mo-ment, ehe er hinzufügte: »Wir sehen uns ja morgen in der Klinik.«

  »Ja, wahrscheinlich«, meinte Sophie, verabschiedete sich von Monika und drehte sich um. Mit stockenden, unsicheren Schritten ging sie ein paar Meter, dann blieb sie stehen, streifte den wertvollen Ring ab und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Doch das genügte nicht, um ih-re Sicherheit wiederzugewinnen. Wie unter einem Zwang drehte sie sich um und fing Peters Blick auf, der in diesem Moment ebenfalls zurückblickte.

  Rasch senkte Sophie den Kopf, dann setzte sie ihren Weg fort. Dabei hatte sie das Gefühl, in Stücke zu zerbrechen.

*

  Als Dr. Peter Sternberg am nächsten Morgen seinen Dienst antrat, führte ihn sein erster Weg zum Schwesternzimmer. Suchend blickte er sich um, doch Sophie konnte er nirgends entdecken.

  »Corinna, schicken Sie Schwester Sophie in den Röntgenraum«, bat er die Oberschwester. »Ich brauche jemanden, der mir assistiert.«

  »In Ordnung, Herr Doktor«, erklärte Corinna, dann sah sie dem davoneilenden Arzt spöttisch nach. »Für wie dumm hält der uns eigentlich?« Sie ahmte die Stimme des Arztes nach. »Ich brauche jemanden, der mir assistiert.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich kann mir schon vorstellen, wobei Sophie ihm assistieren soll.«

  Schwester Marianne zuckte die Schultern. »Wir sind doch alle auf ihn hereingefallen. Er sieht blendend aus, ist charmant und überaus diskret…«

  »Solange es ihm zugute kommt«, vollendete Corinna voller Bitterkeit. Sie hatte es noch immer nicht verkraftet, daß Peter sie damals eiskalt hatte sitzenlassen, als Marianne eingestellt worden war. Doch der war es ein paar Monate später nicht besser ergangen.

  »So einer dürfte überhaupt nicht frei herumlaufen«, knurrte sie ärgerlich.

  Wieder zuckte Marianne die Schultern. »Liebe ist kein Verbrechen. Und verliebt haben wir uns in ihn.«

  »Ja, und er hat uns der Reihe nach drangenommen – ich könnte mich noch heute…« Corinna stockte, als Sophie ins Zimmer trat.

  »Dr. Sternberg erwartet dich im Röntgenraum. Du sollst ihm assistieren«, erklärte Marianne und konnte sich einen anzüglichen Ton nicht verkneifen.

  Sophie zögerte, dann drehte sie sich ohne ein Wort um und verließ das Schwesternzimmer. Ihr Herz klopfte heftig, als sie dem Röntgenraum näherkam. Noch nie war sie sich ihrer Liebe zu Peter so bewußt gewesen wie in diesem Moment, doch

ihr Entschluß stand fest: Ein zweites Mal würde sie seinem Charme nicht erliegen.

  Bei ihrem Eintreten fuhr Peter herum und funkelte sie wütend an.

  »Was sollte das gestern?« brauste er auf.

  Mit gespielter Gelassenheit hielt Sophie seinem Blick stand. »Du niederträchtiger Schuft.«

  Für einen Augenblick war Peter sichtlich verwirrt. Noch niemals hatte es eine Frau gewagt, so mit ihm zu sprechen.

  »Hör zu, meine Kleine«, begann er, und seine Stimme klang dabei leise und drohend.

  »Ich bin nicht deine Kleine«, erwiderte Sophie und reckte den Kopf, um eine Sicherheit zu zeigen, die sie gar nicht besaß.

  »Ich werde veranlassen, daß dir gekündigt wird – fristlos«, erklärte Peter kalt.

  Lange sah Sophie ihn an und fragte sich, wo der zärtliche, liebevolle Mann war, den sie vor wenigen Wochen kennen und lieben gelernt hatte.

  Jetzt zuckte sie die Schultern. »Wenn du glaubst, daß dein Einfluß so groß ist – bitte.« Dabei war sie nicht halb so gefaßt, wie sie sich gab. Die Aussicht, auf diese Art und Weise ihre Stellung zu verlieren, war alles andere als verlockend.

  »Du legst es wirklich darauf an«, stellte Peter fast erstaunt fest. Er trat zu ihr und griff nach ihrer Hand. »Ich will gar nicht, daß dir gekündigt wird. Wir können den gestrigen Vorfall vergessen und…«

  »Nein«, fiel sie ihm mit fester Stimme ins Wort. »Wenn ich auch nur geahnt hätte, daß du verheiratet bist, wäre zwischen uns nie etwas vorgefallen.«

  Sehr von oben herab lächelte Peter sie an. »Das glaubst du doch selbst nicht, Sophie. Du warst ja ganz verrückt nach mir.«

  Sophie schüttelte den Kopf. »Ich habe dich geliebt, Peter. Das ist ein großer Unterschied, aber den wirst du nicht erkennen, weil du gar nicht weißt, was Liebe ist.«

  Theatralisch verdrehte Peter die Augen. »Meine Güte, mach doch kein Drama aus der ganzen Sache. Du gefällst mir, wir beide können noch eine schöne Zeit haben, wenn du dich nicht wieder so unmöglich benimmst wie gestern. Mich einfach anzusprechen, wenn ich in Begleitung einer anderen Frau bin.« Er schüttelte den Kopf, als hätte Sophie etwas ganz Törichtes getan. »So etwas darfst du nicht wieder machen.«

  Sie fühlte sich wie ein kleines Mädchen, das ausgeschimpft wird, und wäre nicht erstaunt gewesen, wenn Peter ihr einen strafenden Klaps gegeben hätte. Doch das tat er nicht – ganz im Gegenteil. Er streichelte ihre Hand so zärtlich wie nie zuvor, und Sophie fühlte, wie ihr Herz heftiger zu klopfen begann.

  Plötzlich hielt Peter mitten in der Bewegung inne, runzelte die Stirn und warf einen Blick auf ihre Hand.

  »Wo ist der Ring, den ich dir geschenkt habe?«

  Mit unbewegtem Gesicht sah Sophie ihn an.

  »Ich habe ihn verloren«, antwortete sie ohne Bedauern.

  Aus weit aufgerissenen Augen starrte Peter sie an. »Wie bitte?! Der Ring hat fast fünftausend Mark gekostet!«

  Sophie zuckte die Schultern. »Ich habe kein so kostbares Geschenk verlangt. Ich habe überhaupt nichts von dir verlangt. Ich habe dich geliebt und wünschte mir nur, von dir auch geliebt zu werden, doch dazu bist du nicht fähig.«

  »Fängst du schon wieder damit an«, entgegnete Peter genervt, dann seufzte er. »Hast du ein Glück, daß ich nicht nachtragend bin. Wir werden einfach vergessen, was gestern geschehen ist…«

  »Nein, Peter.« Zum zweiten Mal fiel sie ihm ins Wort, und natürlich bemerkte sie seinen Zorn. Er haßte es, wenn man ihn unterbrach. »Es ist aus.«

  Peters Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Du willst mit mir Schluß machen? Du wagst es tatsächlich…« Er schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. »Ich kann dich vernichten, Kleine.«

  »Ich habe es dir vorhin schon gesagt – ich bin nicht deine Kleine«, erklärte Sophie, dann drehte sie sich um. »Du kannst tun, was du willst. Umstimmen wirst du mich jedenfalls nicht, denn ich habe meine Prinzipien. Ein verheirateter Mann ist für mich tabu.«

  Damit verließ sie den Röntgenraum und schloß sehr nachdrücklich die Tür hinter sich. Peter kochte vor Wut. Er riß die Tür auf und lief Sophie nach, dann hielt er sie mit eisernem Griff fest.

  »Das wird dich teuer zu stehen kommen«, prophezeite er. »Mit einem Peter Sternberg springt man nicht so herum. Auf Knien wirst du zu mir zurückkommen, das schwöre ich dir.«

*

  Noch am selben Tag wurde Sophie zum Chefarzt gerufen, der gleichzeitig Direktor dieser kleinen, sehr exklusiven Privatklinik war.

  »Schwester Sophie, mir sind da schlimme Sachen zu Ohren gekommen«, eröffnete er das Gespräch.

  Offen sah Sophie ihn an. »Ich bin mir keiner Schuld bewußt, Herr Chefarzt.«

  Der Chefarzt zögerte, als würde es ihm schwerfallen, die Anschuldigungen vorzubringen, die Peter ihm gegenüber geäu-ßert hatte.

  »Es geht um die eine Woche, in der Sie angeblich krank waren«, fuhr er fort. »Dr. Sternberg behauptet, er hätte Sie während dieser Zeit in einem Tanzlokal gesehen, und zwar mehrmals.« Er senkte für einen Moment den Kopf, und wieder schien es, als würde es ihn Überwindung kosten weiterzusprechen. »Darüber hinaus behauptet Dr. Sternberg, Sie würden seine Autorität untergraben. Er sagt, Sie würden seine Anordnungen in Frage stellen – in Anwesenheit der Patienten.« Dr. Wegmann schwieg und sah sie erwartungsvoll an.

  »Was soll ich darauf erwidern, Herr Chefarzt?« fragte Sophie so ruhig, wie es ihr in dieser Situation möglich war. »Wenn ich sage, daß das alles nicht stimmt, dann würde das bedeuten, daß Dr. Sternberg lügt. Damit stünde mein Wort gegen seines. Wem würden Sie in diesem Fall glauben?«

  Dr. Wegmann seufzte.

  »Ihnen. Wissen Sie, Schwester Sophie, ich bin nicht blind. Ich weiß recht gut, weshalb Dr. Sternberg Sie in Mißkredit bringen will, aber mir sind leider auch die Hände gebunden. Dr. Sternberg ist ein brillanter Arzt, und ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verlieren. Genau das hat er aber angedeutet. Darüber hinaus lebt die Klinik mehr oder weniger von der Stiftung des alten Dr. Sternberg. Würde ich mich für Sie einsetzen und damit riskieren, daß Dr. Sternberg geht, dann würde ich damit der Klinik das Wasser abdrehen.«

  Sophie nickte. »Ich verstehe.« Traurig senkte sie den Kopf. »Ich werde also meine Sachen zusammenpacken und gehen.«

  Da schüttelte der Chefarzt den Kopf. »Das ist nicht nötig, Schwester Sophie. Ich werde Sie nicht fristlos entlassen, wie Dr. Sternberg es gefordert hat. Suchen Sie sich in Ruhe eine neue Stellung, auch ich muß mich nach einem möglichst gleichwertigen Ersatz für Sie umsehen, was nicht leicht sein wird.«

  Ein kaum sichtbares Lächeln huschte bei diesem Lob über Sophies Gesicht.

  »Danke, Herr Chefarzt«, erwiderte sie leise, dann blickte sie auf. »Ich bleibe noch so lange, bis Sie eine neue Krankenschwester gefunden haben.« Sie schwieg kurz, dann entschied sie sich für die Wahrheit. »Ich will mit Dr. Sternberg nicht länger zusammenarbeiten als unbedingt nötig.«

  Dr. Wegmann nickte. »Dafür habe ich Verständnis.« Er reichte Sophie die Hand. »Ich war mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden, und ich würde Sie nicht gehen lassen, wenn ich eine andere Wahl hätte. Ihre Beurteilung durch mich wird dementsprechend ausfallen. Sie werden keine Schwierigkeiten haben, eine neue Stellung zu finden.«

*

  Horst Wieland war entsetzt, als er hörte, daß man seiner Tochter gekündigt hatte.

  »Das lassen wir uns nicht gefallen!« wetterte er. »Dieser Sternberg wird mit seinen Verleumdungen nicht weit kommen! Wenn du…«

  »Papa, das hat doch keinen Sinn«, fiel Sophie ihm niedergeschlagen ins Wort. »Dr. Wegmann ist auf Peter angewiesen – finanziell und medizinisch. Wenn Peter mit mir nicht mehr arbeiten will, dann verzichtet der Chefarzt natürlich lieber auf mich als auf ihn. Er würde die Zukunft der Klinik riskieren, das kann ihm keine Krankenschwester wert sein.« Sie senkte den Kopf. »Außerdem will ich mit Peter gar nicht mehr zusammenarbeiten.«

  Horst Wieland seufzte und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Sophie, du bist im Recht! Und ich als Anwalt kann dir dabei helfen, dieses Recht durchzusetzen. Wegmann kann dir nicht kündigen!«

  »Papa, bitte«, wehrte Sophie ab. »Ich möchte nicht, daß du etwas in dieser Richtung unternimmst. Dr. Wegmann wird mir ein gutes Zeugnis schreiben. Damit komme ich schnell wieder irgendwo unter.«

  »Aber nicht in einer Privatklinik, die auf dem Standard der Wegmann-Klinik steht.« Horst schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Du bist genauso verbohrt wie Erika! Sie hat damals auch eine beispielhafte Karriere in Amerika sausen lassen, nur weil sie sich in diesen Wolfgang Metzler verliebt hatte und er ihre Gefühle nicht erwiderte.«

  Sophie lächelte. »Es hat sich für sie aber gelohnt. Immerhin ist Tante Erika jetzt mit Onkel Wolfgang verheiratet, und sie haben einen ganz süßen kleinen Jungen.«

  Horst winkte ab. »Meine Schwester könnte an einer namhaften Klinik arbeiten, statt dessen spielt sie Hausfrau und Mutter und arbeitet stundenweise an dieser Wald- und Wiesenklinik in Steinhausen.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Steinhausen! Das sprichwörtliche Ende der Welt.«

  Sinnend blickte Sophie vor sich hin. »Dort würde ich jetzt gern sein.«

  »Kommt überhaupt nicht in Frage«, wehrte ihr Vater entschieden ab. »Wir werden uns sofort um eine gleichwertige Stellung für dich umsehen.« Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Es muß ja nicht unbedingt hier in Würzburg sein. Soviel ich weiß, gibt es in Düsseldorf eine Privatklinik, die der Wegmann-Klinik in nichts nachsteht.«

  Sophie schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht unbedingt an eine Privatklinik. Wichtig ist doch nur, kranken Menschen zu helfen, das kann ich an jeder anderen Klinik auch.« Dabei hatte sich in ihrem Kopf schon ein ganz konkreter Plan festgesetzt, doch davon durfte sie ihrem Vater jetzt noch nichts sagen. Er würde sich sonst zu sehr erregen.

  Allerdings kannte Horst Wieland seine Tochter gut genug, um ihre Gedankengänge nachzuvollziehen.

  »Wenn du daran denkst, in dieses Steinhausen zu gehen, dann schlag dir das sofort aus dem Kopf«, erklärte er mit Nachdruck. »Ich lasse nicht zu, daß sich meine Tochter auch noch in der Einöde vergräbt.« Er überlegte kurz. »Ich werde sofort mit der Klinik in Düsseldorf telefonieren. Es wäre doch gelacht, wenn wir dich da nicht unterbringen würden.«

  »Papa, ich bin fünfundzwanzig!« meldete Sophie Protest an. »Ich kann ganz gut meine eigenen Entscheidungen treffen.« Sie zögerte einen Moment, dann fuhr sie fort: »Ich werde nach Steinhausen zu Tante Erika gehen – vielleicht nicht für immer, aber zumindest so lange, bis ich die Sache mit Peter einigermaßen verwunden habe.«

*

  Es war ein ungewöhnlich ruhiger Vormittag in der Gemeinschaftspraxis von Dr. Robert Daniel und seiner Frau Manon, aber sie waren beide froh dar-über. Auf diese Weise konnten sie Sachen aufarbeiten, die in den stressigen Tagen zuvor liegengeblieben waren.

  »Hast du noch viel zu tun, Robert?« wollte Manon wissen, als sie kurz in sein Sprechzimmer herüberkam.

  Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin fast fertig. Allerdings erwarte ich noch eine Patientin, und ich schätze, das Gespräch mit ihr wird ein bißchen länger dauern.«

  »Schade«, meinte Manon. »Sonst hätten wir Tessa gemeinsam vom Kindergarten abholen können.«

  Bei dem Gedanken an sein temperamentvolles, fünfjähriges Adoptivtöchterchen huschte ein zärtliches Lächeln über Dr. Daniels Gesicht.

  »Sie wird überglücklich sein, wenn sie einmal von ihrer Mama abgeholt wird, anstatt immer nur von Tante Irene«, vermutete er.

  »Tessa liebt deine Schwester heiß und innig«, entgegnete Manon. »Und im übrigen bist ohnehin du ihr absoluter Favorit.« Sie küßte ihren Mann. »Aber wenn du arbeiten mußt, dann wird Tessa wohl auch mit mir vorliebnehmen.«

  »Ganz bestimmt.« Dr. Daniel warf einen Blick auf die Uhr. »So wie es bis jetzt aussieht, werde ich sicher pünktlich zum Mittagessen oben sein, und wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, kann ich mit Tessa sogar noch für eine Stunde zum Spielplatz gehen, bevor die Nachmittagssprechstunde beginnt.«

  Manon lächelte. »Damit wird ihre kleine Welt wieder in Ordnung sein.« Sie küßte Dr. Daniel noch einmal. »Also, dann gehe ich jetzt. In einer Viertelstunde bin ich wieder im Haus – für den Fall, daß sich doch noch Patienten einfinden sollten. Fräulein Sarina und Fräulein Meindl wissen aber Bescheid.«

  Dr. Daniel sah seiner Frau nach, dann stand er auf und trat zum Fenster. Von hier aus konnte er Manon noch sehen, bis sie um die erste Wegbiegung verschwand. Dabei wurde ihm wieder einmal bewußt, wie glücklich er war, seit er mit Manon verheiratet war. Er hatte so lange unter dem Tod seiner ersten Frau gelitten, doch mit Manon war das Glück wieder bei ihm eingekehrt, und die kleine Tessa war die Krönung dieses Glücks, wobei Dr. Daniel froh war, daß auch Stefan und Karina, seine beiden Kinder aus erster Ehe, das kleine Mädchen richtig liebgewonnen hatten. Nun ja, im Grunde gingen die beiden schon ihre eigenen Wege, wenn sie auch weiterhin hier in der Villa wohnten. Karina studierte in München Medizin, Stefan absolvierte in der Steinhausener Waldsee-Klinik gerade seine Assistenzzeit. Dr. Daniel war sehr stolz auf seine Kinder.

  »Frau Rauh ist gerade gekommen.«

  Die Stimme seiner Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau riß ihn aus seinen Gedanken.

  »Schicken Sie sie bitte herein, Fräulein Sarina«, meinte er, während er zu seinem Schreibtisch zurückkehrte.

  Als die hübsche junge Frau eintrat, ging er ihr mit einem freundlichen Lächeln entgegen und reichte ihr die Hand.

  »Guten Tag, Frau Rauh«, grüßte er. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

  Gerda kam seiner Aufforderung nach, dann spielte sie ein wenig nervös mit dem Riemen ihrer Handtasche.

  »Sie können sich bestimmt denken, weshalb ich hier bin«, begann sie schließlich.

  Dr. Daniel nickte. »Sie haben sich für diesen Termin einen gu-ten Tag ausgesucht. Normalerweise geht es bei mir in der Praxis sehr viel hektischer zu.«

  »Ich weiß«, meinte Gerda und wurde dabei merklich ruhiger. »Ich war schon ganz erstaunt, weil ich nicht warten mußte.«

  »Ich war von diesem ruhigen Vormittag selbst überrascht«, gab Dr. Daniel zu. »Allerdings bin ich ganz froh darüber, denn nun können wir uns für das Gespräch viel Zeit lassen.«

  Gerda nickte.

  »Sie kennen meinen Fall ja am allerbesten«, erklärte sie. »Immerhin haben Sie die Operation bei mir vorgenommen. Und auch das Untersuchungsergebnis meines Mannes ist Ihnen bekannt.«

  »Ja, Frau Rauh. Sie und Ihr Mann wünschen sich Kinder, aber es wird für Sie nicht ganz einfach sein, schwanger zu werden. Unglücklicherweise verfügt Ihr Mann nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen nur über einen sehr geringen Anteil an Samenfäden. Überdies war ich gezwungen, bei Ihnen aufgrund der geplatzten Eierstockzyste den linken Eileiter zu entfernen. Wie ich Ihnen bereits vor einem halben Jahr gesagt habe, war dieser Eingriff dringend nötig, um Ihr Leben zu retten.«

  Niedergeschlagen blickte Gerda auf ihre Hände, die noch immer ein wenig zitterten. Sie hatte Angst, Dr. Daniel könnte nun doch sagen, daß sie niemals schwanger werden würde.

  »Seien Sie ehrlich, Herr Doktor, werden Ferdinand und ich ein eigenes Kind haben?« fragte Gerda, obwohl sie nicht sicher war, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte.

  »Ja, ich denke schon, daß es möglich sein wird«, meinte Dr. Daniel, dann stand er auf und kam um seinen Schreibtisch herum. Tröstend legte er eine Hand auf ihren Arm. »Ich weiß, wie belastend es für eine Ehe ist, wenn man eine Kinderwunschbehandlung über sich ergehen lassen muß. Während meiner langjährigen Tätigkeit als Gynäkologe habe ich schon ziemlich viel mitbekommen, und auch in meinem engsten Freundeskreis kam es in diesem Zusammenhang zu sehr schweren Ehekrisen.« Dabei dachte er besonders an seinen besten Freund Dr. Georg Sommer und dessen Frau Margit, die sich jahrelang vergeblich um ein eigenes Kind bemüht hatten. Mittlerweile hatten sie durch Dr. Daniels Vermittlung zwar ein kleines Mädchen adoptiert, und sie liebten Birgit auch wie ihr eigenes Kind, doch Dr. Daniel wurde den Verdacht nicht los, daß gerade Margit das Gefühl, schwanger zu sein und ein Baby zur Welt zu bringen, sehr vermiß-

te.

  »Heißt das, wir sollen es lieber gar nicht erst versuchen?« wollte Gerda wissen und riß Dr. Daniel damit aus seinen Gedanken.

  »Nein, das wollte ich keinesfalls sagen«, verwahrte sich der Arzt. »Sie sollten sich nur beide einig sein, wie weit Sie gehen wollen und wie lange Ihre Ehe der Belastung standhalten wird.« Er schwieg kurz. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Rauh. ich will Sie mit meinen Worten keineswegs entmutigen – ganz im Gegenteil. Sie müssen nur wissen, was auf Sie zukommen kann, damit es für sie kein Sprung ins kalte Wasser wird. Die Medizin hat mittlerweile viele Wege für ein Wunschkind gefunden, aber nicht alles, was möglich ist, wird das betroffene Ehepaar akzeptieren. Heutzutage kann ein Kind im Reagenzglas gezeugt werden, aber nur Sie allein können entscheiden, wo genau der medizinische Fortschritt Ihnen zu weit geht.«

  Gerda nickte. »Ich verstehe schon, was Sie meinen, Herr Doktor. Ferdinand und ich haben uns in den vergangenen Monaten auch eingehend dar-über unterhalten, und wenn die nötigen Untersuchungen bei mir abgeschlossen sind, werden wir gemeinsam beschließen, was wir auf uns nehmen wollen und was nicht.« Sie zögerte, dann meinte sie: »Nur eines weiß ich jetzt schon ganz sicher: Ich möchte dieses Kind von meinem Mann.«

  Dr. Daniel verstand. Eine künstliche Befruchtung mit einem Spendersamen kam für Gerda offensichtlich nicht in Frage.

  »Gut, Frau Rauh«, meinte er, dann blätterte er in den Akten. »Einige der nötigen Untersuchungen haben wir im Laufe der vergangenen Monate ja schon durchgeführt. Ich werde heute mit Ultraschall überprüfen, ob Ihr verbliebener rechter Eileiter durchlässig ist, doch davon gehe ich eigentlich aus. Die Operation liegt mittlerweile zwar schon mehr als ein halbes Jahr zurück, aber damals waren keine Verwachsungen oder Verklebungen auszumachen, und ich denke auch nicht, daß sich das inzwischen geändert hat. Sollte sich auf Ultraschall ein zweifelhaf-ter Befund ergeben, müßte ich auf eine Hysterosalpingografie zurückgreifen. Das ist auch der Grund, weshalb ich mit dieser Untersuchung so lange gewartet habe. Immerhin hatten Sie damals eine Operation hinter sich, da hätte ich einen derartigen Eingriff nicht veranworten können.« Er stand auf. »Gehen wir mal nach nebenan.«

  Gerda erhob sich ebenfalls. Sie war inzwischen schon einige Male in der Praxis gewesen und kannte sich hier aus. Ein wenig zögernd folgte sie Dr. Daniel in das Untersuchungszimmer und trat dann hinter den dezent gemusterten Wandschirm, um sich freizumachen. Doch als sie sich auf den gynäkologischen Stuhl legen wollte, hielt Dr. Daniel sie zurück.

  »Ich muß den Ultraschall von unten machen«, erklärte er. »Für diese Art der Untersuchung ist es besser, wenn Sie sich auf die Liege legen. Die Untersuchung verursacht ein etwas unangenehmes Gefühl. aber wenn Sie sich dabei entspannen können, ist es gleich vorbei.«

  Dr. Daniel schaltete den Bildschirm ein und griff nach dem speziellen Ultraschallkopf, der für die transvaginale Sonografie verwendet wurde.

  »Nicht erschrecken, Frau Rauh«, meinte er. »Im ersten Moment fühlt sich das ein bißchen kalt an, aber es wird nicht weh tun.«

  Gerda versuchte das unbehagliche Gefühl, das die Ultraschalluntersuchung verursachte, zu vergessen und verfolgte die grauen Schatten auf dem Bildschirm, doch da sie das, was sie sah, nicht deuten konnte, bekam sie nun erst recht Angst.

  Dr. Daniel schien zu spüren, was in ihr vorging, denn er lä-chelte sie beruhigend an.

  »Es ist alles in Ordnung«, erklärte er, während er den Schallkopf wieder entfernte, dann reichte er ihr ein paar Papiertücher. »Damit können Sie sich abwischen. Anschließend kleiden Sie sich bitte an und kommen wieder zu mir ins Sprechzimmer.«

  Nur zu gern kam Gerda dieser Aufforderung nach.

  »Wie ich schon vermutet habe, ist der Eileiter durchlässig«, erklärte Dr. Daniel, als Gerda ihm wieder gegenübersaß. »Die Probleme liegen tatsächlich an Ihrem unregelmäßigen Eisprung und dem sehr geringen Anteil an Samenfäden, über die Ihr Mann verfügt.«

  »Und was werden Sie jetzt tun?« wollte Gerda wissen.

  »Fürs erste werde ich Ihnen ein Medikament verschreiben, das sicher einen Eisprung auslöst«, meinte Dr. Daniel. »Sie und Ihr Mann können es dann auf die herkömmliche Art versuchen. Ansonsten haben wir die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung. Auch dabei würde bei Ihnen mit Hilfe entsprechender Medikamente ein Eisprung ausgelöst, der Samen würde dann aber mit Hilfe einer speziellen Spritze in die Gebärmutter eingebracht.«

  Gerda fühlte, wie ihr ein Schauer über den Rücken rann. »Das klingt aber ziemlich unangenehm.«

  »Ich will ganz offen sein, Frau Rauh – es ist wirklich nicht angenehmen, und in Ihrem Fall ist es vielleicht auch nicht zwingend nötig. Sie sind noch sehr jung, haben also Zeit. Versuchen Sie erst mal, auf natürliche Weise schwanger zu werden. Durch die Medikamente wird der Eisprung für Sie möglicherweise mit Bauchschmerzen verbunden sein, die den normalen Regelbeschwerden ähnlich sein werden.« Er schwieg einen Moment. »Während dieser Zeit, möglichst sogar schon ein paar Tage vorher, sollten Sie mit Ihrem Mann möglichst oft intim sein.« Er lächelte entschuldigend. »Ich weiß schon, wie sich das anhört.«

  Auch Gerda mußte lächeln. »Mit Lust und Liebe hat das nun nicht mehr viel zu tun, aber darauf haben Ferdinand und ich uns schon eingestellt. Immerhin habe ich in den vergangenen Monaten über meinen Eisprung bereits genauestens Buch geführt. Auch da war unser Zusammensein eigentlich eher zweckdienlich ausgerichtet.«

  Dr. Daniel nickte. »Ich kenne Paare, die das über Jahre hinweg praktiziert haben. Es ist wohl die stärkste Prüfung für eine Ehe.«

  »Da haben Sie recht«, murmelte Gerda leise, dann sah sie Dr. Daniel an. »Wird es bei uns auch so lange dauern?«

  »Das kann niemand vorhersagen«, entgegnete Dr. Daniel. »Vielleicht sind Sie in einem Monat schon schwanger, vielleicht müssen Sie noch ein Jahr warten. Gleichgültig, wie es sich verhalten wird und unter welchen Umständen Sie mit Ihrem Mann intim sind – versuchen Sie jeglichen Streß zu vermeiden.« Wieder lächelte er. »Das ist leichter gesagt als getan, aber je lockerer Sie sein können, desto größer sind die Chancen für Sie, schwanger zu werden.« Er überlegte kurz und fügte dann hinzu: »Bleiben Sie nach dem Zusammensein mit Ihrem Mann nach Möglichkeit immer eine halbe Stunde liegen.«

  Gerda nickte. »Wir werden Ihre Ratschläge befolgen, Herr Doktor.« Sie reichte ihm die Hand. »Danke, daß Sie sich für mich so viel Zeit genommen haben.«

  »Das ist doch selbstverständlich«, entgegnete Dr. Daniel schlicht. »Und wenn es Schwierigkeiten gibt, dann kommen Sie bitte zu mir – gleichgültig, ob es sich um körperliche oder psychische Probleme handelt. Ich werde immer für Sie da sein. Scheuen Sie sich auch nicht, mich privat anzurufen, wenn Sie mich brauchen. Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient ist gerade in einem solchen Fall au-ßerordentlich wichtig.«

  »Wie sollte man zu Ihnen kein Vertrauen haben?« fragte Gerda und war froh, daß sie damals, als sie wegen der geplatzten Eierstockzyste am Steinhausener Bahnhof zusammengebrochen war, in der Waldsee-Klinik und bei Dr. Daniel gelandet war. Besser hätte sie es gar nicht treffen können.

*

  Mit Argusaugen überwachte Horst Wieland jeden Schritt seiner Tochter. Natürlich wußte er, daß er Sophie zu nichts zwingen konnte – schließlich war sie ja längst erwachsen, aber er konnte einfach nicht tatenlos zusehen, wie sie ihre Karriere aufs Spiel setzte.

  Aber konnte man in Sophies Fall überhaupt von einer Karriere sprechen? Sie war ja nur Krankenschwester. Horst Wieland seufzte tief auf. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Sophie unbedingt studiert. Das war es, was er immer gewollt hatte. Sie hätte Anwältin werden sollen, und in seiner Kanzlei hätten sie dann gemeinsam Karriere gemacht, doch Sophie hatte das Studium abgelehnt, und ihre Mutter hatte sie darin noch unterstützt.

  »Du mußt das Mädchen selbst entscheiden lassen«, war Marlenes Meinung gewesen.

  Und was hatte diese Entscheidung gebracht? Wenn Sophie doch wenigstens Ärztin geworden wäre. Das hätte Horst akzeptieren können. Aber Krankenschwester! Nur die Tatsache, daß sie mit viel Glück und natürlich mit der Hilfe der Beziehungen, über die ihr Vater verfügte, in die Wegmann-Klinik gekommen war, hatte Horst einigermaßen versöhnt. Eine Privatklinik war nicht irgendein Krankenhaus. Und auch die Beziehung zu diesem Dr. Sternberg hatte Horst mit Wohlwollen beurteilt. Arztfrau – das wäre schon etwas gewesen!

  »Und dann ist dieser Kerl verheiratet«, knurrte er jetzt wütend.

  Wenn sich Sophie seinetwegen in diesem Steinhausen vergraben würde… dem Einfluß ihrer Tante ausgesetzt, die auch so impulsiv handelte. Mißmutig schüttelte Horst den Kopf. Warum hatte Sophie nicht etwas mehr von seinem Ehrgeiz und seiner Kaltschnäuzigkeit abbekommen? Ihn hätte eine unglückliche Liebe nicht gleich aus der Bahn geworfen. Er an Sophies Stelle würde diesem Sternberg…

  Horst kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen, denn Sophie trat ins Wohnzimmer. Ihr Gesicht war blaß, und die dunklen Ringe unter den Augen zeugten von vielen schlaflosen Nächten.

  »Ich habe mich entschieden, Papa«, erklärte sie leise, aber mit einer Sicherheit, die nicht zu ihrem desolaten Zustand paßte. »Morgen früh fahre ich nach Steinhausen. Tante Erika und Onkel Wolfgang wissen Bescheid. Sie freuen sich auf meinen Besuch.«

  »Besuch?« wiederholte Horst argwöhnisch. »Wird es wirklich nur ein Besuch, oder denkst du an einen längeren Aufenthalt?«

  Sophie zuckte die Schultern. »Wenn Onkel Wolfgang in der Klinik Arbeit für mich hat, dann könnte es durchaus sein, daß ich länger dort bleibe.«

  Ich werde schon dafür sorgen, daß Wolfgang keine Arbeit für dich hat, dachte Horst grimmig. Und wenn er sich meinen Wünschen widersetzt, dann soll er was erleben!

*

  Sophie hatte das Haus am nächsten Morgen noch nicht richtig verlassen, da griff ihr Vater schon nach dem Telefonhörer.

  »Horst, ich weiß nicht, ob es richtig ist, was du da tust«, wandte seine Frau Marlene ein. Natürlich hatte sie in den vergangen beiden Wochen die Diskussionen zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter mitbekommen, wollte sich aber nicht offen gegen Horst stellen und hatte sich daher herausgehalten.

  »Du hast Sophie schon immer zu sehr verwöhnt«, hielt Horst ihr vor.

  »Ich glaube nicht, daß ihr jetziger Liebeskummer damit etwas zu tun hat«, wandte Marlene ein. »Sophie ist unglücklich, verletzt und enttäuscht. Sie hat diesen Peter von ganzem Herzen geliebt, und es ist nur natürlich, daß sie jetzt Abstand gewinnen will. Sie kann nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen. Warum soll sie nicht bei Erika und Wolfgang ein bißchen Ruhe finden?«

  Unwillig schüttelte Horst den Kopf. »Sie will keine Ruhe finden, sondern in diesem Kaffe ebenso versauern, wie Erika das tut. Meine Güte, was hatte meine Schwester für eine Karriere vor sich…«

  »Bis diese noble Privatklinik, die du nach ihrer Rückkehr aus Amerika für sie ausgewählt hattest, pleite ging und schließen mußte«, entgegnete Marlene ruhig und ohne Vorwurf in der Stimme. Sie wußte, daß ihr Mann nur das Beste wollte, aber leider hatte er ganz bestimmte Vorstellungen davon, was für andere das Beste war, und die unterschieden sich nicht selten von dem, was die anderen wollten.

  Ärgerlich winkte Horst ab. »Tatsache ist, daß Erika ihre Fähigkeiten in dieser Waldsee-Klinik vergeudet. Und ich werde dafür sorgen, daß es Sophie nicht ebenso ergeht.« Er hob den Hörer nun doch ab und wählte die Nummer seiner Schwester. Dabei hoffte er, daß nicht sie, sondern sein Schwager am Telefon sein würde. Nur ungern hätte er sich mit Erika über diese Sache unterhalten. Bei Wolfgang hoffte er auf mehr Verständnis.

  In diesem Moment erklang am anderen Ende der Leitung auch schon Dr. Metzlers tiefe Stimme.

  »Grüß dich, Wolfgang, hier ist Horst«, gab sich sein Schwager zu erkennen, dann kam er gleich zur Sache. »Ich rufe wegen Sophie an.«

  »Was ist mit ihr?« wollte Wolfgang wissen. »Kann sie nun doch nicht kommen? Das wäre schade. Erika und ich freuen uns auf ihren Besucht.«

  »Genau darum geht es«, hakte Horst sofort ein. »Ich fürchte, es wird nicht nur ein reiner Besuch. Mein Gefühl sagt mir, daß Sophie in Steinhausen bleiben will – vorausgesetzt, sie findet dort eine Stellung. Hör zu, Wolfgang, du bist Chefarzt in der Waldsee-Klinik, und du entscheidest über die Einstellung des Personals. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Sophie keine Arbeit geben würdest.«

  Einen Augenblick herrschte Schweigen.

  »Ich verstehe nicht ganz«, entgegnete Dr. Metzler dann. »Wieso sollte Sophie bei uns eine Stellung suchen? Soweit ich weiß, arbeitet sie doch in dieser exklusiven Privatklinik in Würzburg.«

  »Soso, dann hat sie davon also noch gar nichts gesagt«, murmelte Horst. »Eigentlich seltsam…«

  »Komm schon, hör endlich auf, in Rätseln zu sprechen«, fiel Dr. Metzler ihm ins Wort. »Sophie hat vor zwei Tagen angerufen und gesagt, daß sie uns besuchen möchte. Also, wozu machst du einen solchen Aufstand?«

  »Ich mache überhaupt keinen Aufstand«, verwahrte sich Horst. »Ich will nur, daß Sophie nach diesem Besuch wieder zurückkommt und eine Stellung annimmt, die ihrer würdig ist.«

  Mit dieser Bemerkung ging Horst entschieden zu weit. Wolfgang verband ohnehin keine besondere Freundschaft mit seinem Schwager, weil er dessen beherrschendes Wesen nicht akzeptieren konnte. Er behauptete zwar immer, es nur gut zu meinen, dabei bevormundete er Marlene und Sophie jedoch in einer Art und Weise, die Wolfgang überhaupt nicht gefiel.

  »Du glaubst also, eine Stellung als Krankenschwester in der Waldsee-Klinik wäre unter Sophies Würde«, wiederholte Dr. Metzler und hatte dabei Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken. »Jetzt hör mir mal gut zu, Horst. Die Waldsee-Klinik hat einen erstklassigen Ruf, und den verdankt sie dem ausgezeichneten Team, das hier arbeitet. Damit meine ich nicht nur die Ärzte, sondern auch die Schwestern. Ohne die würden wir Ärzte nämlich oft ziemlich alt aussehen.«

  »So habe ich das doch gar nicht gemeint«, erwiderte Horst, doch seinem Tonfall war zu entnehmen, daß Dr. Metzler ganz richtig verstanden hatte. »Ich gehe jedenfalls davon aus, daß du dich nach meinen Wünschen richten wirst.«

  »Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen«, meinte Dr. Metzler ungerührt. »Sophie hat am Telefon von einem Besuch gesprochen, und sie ist uns jederzeit herzlich willkommen. Wenn sie hier aber wirklich eine Stellung sucht, dann werde ich mit Sicherheit der Letzte sein, der sie abweist. Eine tüchtige Krankenschwester wird in der Waldsee-Klinik dringend gebraucht.«

  »Das wagst du nicht!« brauste Horst auf.

  »Wie gesagt – darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen.«

  Mit diesen Worten legte Dr. Metzler auf, denn er wußte genau, daß eine Fortsetzung der Diskussion unweigerlich zur Verschärfung des Streits geführt hätte.

  »War das mein Bruder?« wollte seine Frau wissen, die einen Teil des unerfreulichen Gesprächs mitbekommen hatte.

  »Ja«, knurrte Dr. Metzler. »Er war nicht gerade angenehm.«

  »Ach komm, Wolfi, du kennst doch Horst und seine verschrobenen Ansicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal frage ich mich, wie unsere Eltern zwei so grundverschiedene Kinder bekommen konnten. Horst und ich haben wirklich nicht viel gemeinsam.«

  »Glücklicherwese«, meinte Dr. Metzler und konnte dabei schon wieder lächeln. »Sonst hätte ich dich nämlich bestimmt nicht geheiratet.« Er wurde wieder ernst. »Ich verstehe nicht, warum sich Marlene so viel von ihm gefallen läßt. Und auch Sophie… sie ist ja immerhin schon fünfundzwanzig. Warum läßt sie ihren Vater noch immer so sehr über ihr Leben bestimmen?«

  »Es ist nicht leicht, gegen Horst anzukommen«, entgegnete Erika. »Ich habe es auch nie wirklich geschafft.« Sie seufzte. »Er hat es mir nie ganz verziehen, daß ich meine Stellung in Amerika habe sausen lassen, weil ich so unglücklich verliebt war.« Sie stupste ihren Mann zärtlich an der Nase. »In dich.«

  »Deshalb kann er mich auch noch immer nicht ausstehen«, vermutete Dr. Metzler, dann zuckte er die Schultern »Was soll’s? Mir ist es im Grunde herzlich egal, ob er mich mag oder nicht.« Ärgerlich schüttelte er den Kopf. »Er hat doch allen Ernstes behauptet, eine Stellung an der Waldsee-Klinik wäre unter Sophies Würde. Kannst du dir das vorstellen?«

  Erika nickte ohne zu zögern. »Leider ja. Was glaubst du, wie oft er das zu mir schon gesagt hat? Ich habe es dir nur verschwiegen, weil ich nicht wollte, daß du zornig wirst.«

  »Danke«, grummelte Wolfgang, dann lächelte er plötzlich. »Hoffentlich will Sophie eine Stellung an der Waldsee-Klinik. Ich weiß ja, daß sie eine ausgezeichnete Krankenschwester ist. Wir könnten sie wirklich gut gebrauchen.«

  Erika war in diesem Punkt nicht zuversichtlich. »Warum sollte Sophie hier arbeiten wollen? Sie hat doch eine gute Stellung. Wahrscheinlich sind das alles nur Hirngespinste von Horst. Wenn er das Wort ›Steinhausen‹ nur hört, sieht er schon rot. Sophie wird das alles sicher aufklären.«

*

  Sophie war todmüde, als sie am späten Vormittag am Steinhausener Bahnhof den Zug verließ. Schon seit Wochen hatte sie nachts kaum noch Schlaf gefunden, und die anstrengende Zugfahrt von Würzburg über München bis hierher hatte ihr den Rest gegeben. Mit einem tiefen Seufzer stellte sie den Koffer ab, dann blickte sie sich suchend um.

  »Sophie!«

  Das junge Mädchen drehte sich um, dann huschte ein Lä-cheln über das zarte, jetzt jedoch von Kummer überschattete Gesicht.

  »Tante Erika.«

  Impulsiv schlang Sophie ihre Arme um Erikas Nacken und lehnte die Stirn einen Augenblick an die Schulter der Tante. Obwohl Erika nur zwölf Jahre älter war als sie, nannte sie sie liebevoll »Tante«.

  »Was ist denn los, Mäd-chen?« fragte Erika sanft.

  Ein heftiges Schluchzen entrang sich Sophies Brust. »Ich bin so unglücklich, Tante Erika.«

  Die junge Ärztin nickte verständnisvoll, dann legte sie einen Arm um die Schultern ihrer Nichte und begleitete sie zu ihrem Auto.

  »Jetzt fahren wir erst mal heim«, meinte sie, dann lächelte sie Sophie an. »Mal sehen, was Wolfgang in der Zwischenzeit für uns zusammengebrutzelt hat.«

  Auch über Sophies Gesicht huschte ein Lächeln, was um so rührender wirkte, als ihr immer noch Tränen über die Wangen liefen.

  »Onkel Wolfgang kann kochen?« fragte sie, dann schüttelte sie den Kopf. »Am Herd kann ich ihn mir gar nicht vorstellen.«

  »In meinem Göttergatten stecken ungeahnte Talente«, scherzte Erika, um Sophie ein bißchen abzulenken und aufzumuntern. »Nein, im Ernst, wenn ihm die Arbeit in der Klinik Zeit läßt, dann kocht er sehr gern, und meistens kommt auch etwas Eßbares dabei heraus.«