ALAN DEAN FOSTER

 

 

Das Ding

aus einer anderen Welt

 

 

 

Roman

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 36

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

 

Das Buch

 

Zwölf Mann, gefangen in der Antarktis.

Elf entdecken den Eindringling.

Zehn kämpfen gegen die fremde Kraft.

Neun quälen sich mit der Antwort herum.

Acht versuchen verzweifelt zu überleben.

Sieben... werden einer nach dem anderen vernichtet.

Sechs... fünf... vier... drei. Sie alle werden sterben, sollte nicht irgendwer oder irgendetwas das Ding aus einer anderen Welt aufhalten.

 

Im Jahr 1938 veröffentlichte John W. Campbell die Novelle Who Goes There?, die unter dem Titel Das Ding aus einer anderen Welt (USA 1951, Regie: Christian Nyby) erstmals verfilmt wurde. 

1982 wagte sich John Carpenter an ein Remake dieses Klassikers – in den Hauptrollen: Kurt Russell als MacReady, Wilford Brimley als Blair, Richard Masur als Clark und Joel Polis als Fuchs. Alan Dean Foster verfasste die atemberaubende Roman-Adaption dieses Films. 

DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

In der furchtbarsten Wüste auf Erden wird es niemals heiß. Sie prahlt nicht mit hochaufgetürmten Sanddünen wie die Sahara oder mit Meilen über Meilen von unfruchtbarem Kies wie die Gobi. Die Winde, welche dieses leere Land quälen, lassen jene, die über den Rub al Khali fegen, wie ein Frühlingslüftchen erscheinen.

Hier gibt es keine giftigen Schlangen oder Echsen, weil es nichts gibt, das sie vergiften könnten. An den Hängen des Vinson-Massivs könnte kein einsamer Wolf sein Leben fristen. Selbst die Insekten meiden diesen Ort. Die Vögel an ihren Gestaden suchen sich ihre Nahrung im Meer statt auf dem feindseligen Land. Hier leben Seehunde, die andere Seehunde verzehren, gibt es mikroskopisch kleinen Krill, der die größten Säuger der Welt ernährt. Doch bedarf es riesiger Flächen, um auch nur einen einzigen Käfer am Leben zu erhalten.

Ein Berg mit Namen Erebus ist in ewiges Eis gehüllt, doch in ihm brennen die Feuer der Hölle. Andernorts wird das Land selbst unter dem massiven Eis zerdrückt, das bis zu drei Meilen dick ist.

In diesem gefrorenen Ödland, diesem ausgezehrten Skelett eines Kontinents, der keinem anderen gleicht, hat nur ein Geschöpf die Chance, die Winter zu überleben. Es nennt sich Mensch und ist wie die Tauchspinne gezwungen, seine Nahrung auf dem Rücken zu tragen.

Manchmal importiert der Mensch neben der Wärme, der Nahrung und der Unterkunft noch andere Dinge in die Antarktis, die für einen unparteiischen Beobachter nicht sofort erkennbar sind. Manche dieser Dinge sind wohltuend: der Wunsch zu studieren und zu lernen beispielsweise, der ihn überhaupt in dieses leere Ödland treibt. Andere Erscheinungen können persönlicher und gefährlich sein: Verfolgungswahn, Furcht vor freien Plätzen oder das Gefühl von extremer Einsamkeit. Sie können im Bewusstsein der stabilsten Wissenschaftler und Techniker als blinde Passagiere mitreisen, ohne willkommen zu sein.

Gewöhnlich bleiben diese Gefühle verborgen, verschlossen hinter der Notwendigkeit, sich darauf zu konzentrieren, Winde zu überleben, die mit hundertsechzig Kilometern in der Stunde wehen, und Temperaturen von sechzig Grad unter Null auszuhalten.

Wenn der Wind hart über die Antarktis fegt, wird das Universum auf einfache Stoffe zurückgeführt. Himmel, Land, Horizont - sie hören auf zu existieren. Die Unterschiede sterben, während die Welt zu einer bösartigen, homogenen Sahne zerschmilzt.

Aus jenem wirbelnden, verwirrenden Weiß kam ein Geräusch, das unregelmäßige Summen einer riesigen Biene. Sie bahnte sich ihren Weg durch das hartnäckige Stöhnen des Windes und war zu nahe am Boden.

Der Pilot ließ einen Fluch vom Stapel, während er mit dem Steuerknüppel kämpfte. Der Helikopter bäumte sich auf, um an Höhe zu gewinnen. Wangen und Kinn des Mannes waren mit Bartstoppeln bedeckt. Seine Augen waren blutunterlaufen und blickten wild drein.

Er hätte nicht gehen dürfen, geschweige denn bei diesem Wetter ein Fahrzeug durch die wilden Lüfte lenken. Etwas nicht Sichtbares trieb ihn, zwang ihn. Ein Schrecken aus jüngster Zeit. Er war stärker als sein gesunder Menschenverstand und alles rationale Denken.

In den Augen des Piloten leuchtete nicht das Licht der Vernunft.

Es leuchtete nur Mord.

Mord - und Verzweiflung.

Sein Begleiter war größer, neigte zur Korpulenz. Normalerweise lebte er im Umkreis eines Mikroskops und verfasste langatmige Abhandlungen über das Wesen von Kreaturen, die zu klein waren, als dass man sie mit dem bloßen Auge sehen konnte. Aber jetzt jagte er keine Mikroben. Sein Verhalten war alles andere als gefasst. In seiner Stimme war keine Spur von wissenschaftlicher Distanz, als er dem Piloten die Richtung zurief, während er durch einen abgewetzten Zeiss-Feldstecher starrte. Auf seinen Schenkeln lag ein großkalibriges Jagdgewehr, dessen vierfaches Zielfernrohr eine Parodie der »eleganten« Instrumente war, mit denen er gewöhnlich arbeitete.

Er ließ das Glas sinken und spähte mit zusammengekniffenen Augen in den Schneesturm. Dann trat er die Tür des Helikopters auf und hakte sie in der Halterung ein, damit sie offenblieb. Der Pilot knurrte etwas, und sein Begleiter reagierte darauf, indem er die Waffe anhob. Er vergewisserte sich, dass sie geladen war. Die zwei Männer argumentierten wild, wie Kinder, die um ein Spielzeug stritten. Aber in ihren Stimmen war nichts Verspieltes, und in ihren Augen spiegelte sich keine Unschuld.

Der Wind packte die Maschine und schleuderte sie zur Seite. Der Pilot verwünschte das Wetter und gab sich Mühe, den Helikopter wieder geradezurichten. Unter ihnen, ein Stück weiter vorn, drehte sich ein Hund herum, um den Helikopter anzuknurren. Er war eine Kreuzung aus einem Husky und einem Malamute, wirkte aber trotzdem auf der kalten weißen Fläche ebenso deplatziert wie jedes andere Säugetier. Er sprang in dem Augenblick nach vorn, als eine Kugel an seinen Hinterbeinen explodierte. Dann verschluckte der Wind das Geräusch des Schusses.

Der Hubschrauber kippte in dem Wirbel wild gewordener Luft zur Seite und flog weiterhin zu dicht am Boden. Ein Fluglehrer hätte sofort empfohlen, seinem Piloten den Flugschein zu entziehen. Doch der Pilot scherte sich den Teufel darum, was jemand vielleicht denken mochte, der ihm zusah. Er dachte überhaupt nicht mehr an Dinge wie Flugscheine; das einzige, was ihn im Leben noch bewegte, war der Gedanke an Mord.

Ein zweiter Schuss verfehlte sein Ziel und traf nichts als den Himmel. Der Pilot schlug seinem Freund mit der Faust auf die Schulter und fuhr ihn an, doch besser zu zielen.

Schwer keuchend jagte der Hund eine Eiskuppe hinauf. Plötzlich fand er sich einem fremden Gebilde gegenüber. Die Tafel war vom Wetter arg mitgenommen, aber sie stand immer noch, weil die Stützen, die sie trugen, in Eis so hart wie Stahl eingebettet waren. Die Tafel bewegte sich nur leicht im Wind. Sie trug die Aufschrift:

 

National Science Foundation 

Outpost No. 31 

United States of America

 

Ein weiterer Schuss verfehlte sowohl die Tafel als auch den Hund. Der Hund riss sich zusammen und galoppierte auf der anderen Seite der Kuppe hinunter, rannte halb und fiel halb durch den weichen Schnee, der mit Eispartikeln gesprenkelt war.

Das einfache rechteckige Metallgebäude war beinahe unter den Schneewechten begraben, gleichsam eine Leiche, die regelmäßig im Winter begraben und im Sommer wieder exhumiert wird. Nicht weit davon ragte ein hoher Turm in den Wind, und eine Vielzahl von Drähten sorgte dafür, dass sein unvermeidliches Schwanken auf ein Minimum reduziert wurde. Instrumente starrten in verschiedenen Richtungen und zu unterschiedlichen Zwecken aus seinem Dach und prüften Windgeschwindigkeit, Niederschläge (die selten waren), Druck, Temperatur und eine Unzahl anderer meteorologischer Phänomene, die nirgendwo auf der Erde ihresgleichen hatten.

In unterschiedlichen Abständen vom Zentralgebäude, das wie eine stählerne Falle in der Mitte der Anlage lauerte, standen verschiedene Baracken. Die Solidität ihrer Bauweise hing von ihrer Wichtigkeit ab. Einige bestanden aus Metall und waren zusammengeschweißt oder -genietet. Andere waren nur provisorisch aus Wellblech und Brettern zusammengeschustert. Nirgends war Beton zu sehen. Im Klima der Antarktis verwandelte sich Beton schnell zu Sand und Kies zurück.

Wege aus Holzplanken, die regelmäßig vom Schnee freigefegt wurden, verbanden die einzelnen Bauwerke. Das Holz wirkte in einem Land, wo die einzigen Bäume lange begraben und in Fossilien verwandelt in der Tiefe lagen, höchst unpassend. Haltetaue liefen paarweise von Bau zu Bau und markierten die Wege; sie sangen mit Stimmbändern aus Hanf ihre ewigen Lieder im Wind. Und die vielfarbigen Wimpel knatterten dazu. Sie markierten auch die häufig verborgenen Orte von irgendwelchen Versuchen.

Hinter einer schrägen Windschutzanlage, die auf den in der Nähe liegenden tiefsten Punkt der Welt hinwies, kauerten untätig zwei Helikopter. Das angesammelte Eis machte ihre Rotorblätter schwer und unbeweglich, und ihre durchsichtigen Plastikkuppeln schimmerten. Ein mächtiger Bulldozer stand in der Nähe, und die schützende Persenning flatterte in dem Orkan.

Ein großer roter Ballon tanzte am Ende eines Ankertaus. Am anderen Ende des Taus hing eine kleine Schachtel aus Metall, bereit, jeden Ort aufzusuchen, an den der Ballon sie trug; sie rief schon jetzt ihre Pieplaute einem automatischen Aufnahmegerät im Inneren des Hauptgebäudes zu.

Norris hielt die Leine fest und sah auf die Uhr. Er ähnelte den glazialen Vorsprüngen, die gelegentlich die Monotonie des Terrains rings um die Station durchbrachen. Das passte gut, galten seine Interessen doch in erster Linie den Felsen und Wegen, auf denen sie sich bewegten, und dem, was sich unter ihnen bewegte. Ganz besonders interessierte er sich für die schwarze, feucht-klebrige Substanz, die das Lebenselixier der modernen Welt war. Sie war der Hauptgrund für seine Anwesenheit auf der Station, obwohl er häufig auch bei den allgemeinen Untersuchungen und Forschungen mithalf; daher auch sein Herumhantieren mit dem Wetterballon.

Er versuchte nicht länger im Freien zu bleiben, als unbedingt notwendig war. Eigentlich hätte er wegen seines wenig stabilen Herzens überhaupt nicht hier sein dürfen. Aber seine Intelligenz und wiederholte Bitten hatten den Widerstand derjenigen gebrochen, die solche Einsätze einteilten.

Bennings war froh, dass Norris ihm half. Der Meteorologe hatte Dutzende von roten Ballons und ihre piependen Passagiere hinaufgeschickt, aber es war immer leichter, wenn jemand den Ballon hielt, während man selbst die letzte Feinabstimmung vornahm. Bei seinem letzten Einsatz hatte er den Fehler gemacht, im Spätherbst allein hinauszugehen, nur um zu sehen, wie sein Ballon elegant am Himmel davonsegelte, während das Instrumentenpaket immer noch auf dem Boden lag.

Zwanzig Meter von ihnen entfernt arbeitete ein kräftig gebauter Mann an einem Schneemobil. Er hatte die Abdeckplane weggeschoben und kratzte jetzt mit einem speziellen Plastikschaber das Eis von seinen Flanken. Das war notwendig, um an die Eingeweide der Maschine heranzukommen, die einer Überprüfung bedurften.

Childs' Kindheit lag lange zurück, aber er konnte sich immer noch wie ein Kind freuen. Er liebte drei Dinge: Maschinen, Gesangsgruppen, die ebenso viel tanzten wie sangen (und oft besser), und eine Frau in weiter Ferne. Er war in Detroit aufgewachsen, und so kam ihm die Antarktis nicht so verlassen und unwirtlich vor wie den meisten anderen.

Ein vertrautes, aber unerwartetes Geräusch, ein Summen in der Ferne, ließ ihn herumfahren und neugierig nach links blicken. Der Pelzbesatz seiner Kapuze kitzelte ihn am Mund. Er spuckte aus. Sein Auswurf gefror sofort.

Norris blickte von seiner Uhr auf und starrte neugierig in dieselbe Richtung. Bennings tat es ihm gleich und vergaß den Wetterballon einen Augenblick lang. Das laute Pfeifen näherte sich ihnen schnell. Bennings runzelte die Stirn, worauf das Eis in seinem Bart zersprang.

Aus dem fernen Polsterfutter aus Eispartikeln kam ein Helikopter. Er hätte bei diesem Wetter überhaupt nicht draußen sein dürfen, jedenfalls hatte er in der Nähe der Station nichts zu suchen, denn hier erwartete man in den nächsten Monaten keine Gesellschaft. Einmal sackte er so tief herunter, dass die Landekufen den Schnee vom Kamm des kleinen Hügels fegten.

Ein Mann lehnte sich rechts aus dem Cockpit, anscheinend ohne irgendeinen Gedanken an die eigene Sicherheit, während die Maschine in dem peitschenden Wind tanzte. Er feuerte mit einem Gewehr auf einen kleinen, sich schnell bewegenden Gegenstand - einen Hund.

Norris sah nach rechts und stellte fest, dass Childs seinen Blick ungläubig erwiderte. Keiner der beiden Männer sagte etwas. Es gab keine Worte, die den Wahnsinn erklären konnten, und keine Zeit, sie auszusprechen, wenn es sie gegeben hätte.

Der Motor des Helikopters begann leiser zu werden, während sein unsichtbarer Pilot damit beschäftigt war, die Maschine zu landen. Sie flog viel zu schnell. Einmal prallten die Kufen vom harten Eis ab, wobei beide verbogen wurden. Die Maschine machte einen Satz nach vorn, gerade über den flüchtenden Hund hinweg, der scharf nach rechts abbog, um dem Verfolger auszuweichen.

Ein zweites Mal hüpfte die Maschine, und es schien, als würde sie jetzt zum Stillstand kommen. Aber der Wind packte sie und drängte sie gefährlich zur Seite. Sie kippte um. Norris, Bennings und Childs suchten alle Deckung, versuchten sich im Schnee einzugraben, als die Rotorblätter wie Zahnstocher abknickten. Die Fragmente der stählernen Blätter schossen unberechenbar durch die Luft. Eines der Blätter pfiff gefährlich nahe an Norris' Kopf vorbei und hätte ihn fast enthauptet.

Der Mann mit dem Gewehr schaffte es, herauszuspringen und sich hochzurappeln. Er blutete an der Stirn und hinkte mit einem Bein, während er zu zielen versuchte.

Hinter ihm drang plötzlich Wärme in das Reich der Kälte ein, als die Treibstofftanks platzten und der Hubschrauber einen Feuerball in den Wind spie. Darüber - und bereits vergessen - schwebte ein roter Ballon.

Norris und Bennings richteten sich vorsichtig auf und starrten auf die in Flammen gehüllten Überreste des Helikopters.

Weniger als ein Dutzend Männer waren unter Dach geblieben. Ein paar hatten Karten gespielt. Andere überwachten ihre jeweiligen Instrumente, bereiteten das Mittagessen zu oder ruhten sich in ihren Schlafkammern aus. Der Knall der Explosion zerriss ihre tägliche Routine.

Der Hund erreichte Norris und Bennings, als sie sich durch den Schnee zu dem immer noch in Flammen stehenden Wrack hinarbeiteten. Gleichzeitig entdeckte sie der einzige Überlebende des Hubschraubers und schrie ihnen etwas in einer fremden Sprache zu. Er lud seine Waffe neu, während er sie anschrie.

Die zwei Wissenschaftler sahen einander an.

»Erkennst du eine Markierung?«, schrie Norris, so laut er konnte, um sich im Sturm Gehör zu verschaffen.

Bennings schüttelte den Kopf und rief dem blutenden Überlebenden zu: »He! Was war denn los? Was ist mit Ihrem Kumpel?«

Er deutete auf die brennende Maschine.

Ohne ein Zeichen des Verständnisses von sich zu geben, fuchtelte der Mann zornig mit seiner Waffe herum. Er schrie die ganze Zeit, und das Blut begann ihm im Gesicht zu gefrieren und dabei ein Auge zu verkleben.

Norris blieb stehen. Der Hund stand auf den Hinterbeinen, tappte mit der Pfote nach Bennings und leckte ihm die Hand ab. Sein Wimmern klang verängstigt.

»Mein Guter«, begann der Meteorologe, »was ist denn? Dein Herrchen...«

Der Mann aus dem Helikopter hob das Jagdgewehr und feuerte auf sie.

Bennings taumelte erschrocken zurück, der Hund brach neben ihm zusammen. Norris wurde ebenso starr wie das Land unter seinen Stiefeln und sah den herannahenden Wahnsinnigen mit aufgerissenem Mund an.

»Was zum...«

Wieder krachte die Waffe. Der Mann taumelte auf sie zu, versuchte zu zielen und schrie Unverständliches. Das Blut rann ihm immer noch in die Augen. Blut und noch etwas.

Eis und Schnee flogen himmelwärts, als sich eine Kugel nach der anderen rings um die zwei benommenen Wissenschaftler in den Boden bohrte. Eine weitere klatschte gegen die Hüfte des Hundes und riss ihn herum. Er heulte schmerzerfüllt auf.

Childs starrte das windzerzauste Bild ungläubig an, bis die Waffe sich auf ihn zu richten schien. Da tauchte er hinter dem Aufbau des Schneemobils unter.

Ein Schuss traf Bennings. Immer noch benommen, den offensichtlich wahnsinnigen Angreifer anstarrend, fiel er zur Seite. Fluchend beugte Norris sich hinunter, packte den Parka seines Freundes an beiden Schultern und begann, ihn zum Hauptgebäude zu zerren. Eine Blutspur hinterlassend, kroch der Hund hinter ihnen her.

Der Fremde war jetzt ganz nahe. Die Mündung seines Gewehrs sah so groß wie ein Eisenbahntunnel aus. Aber plötzlich hörten die Schüsse auf.

Immer noch vor sich hin fluchend, blieb der Mann stehen und versuchte verzweifelt, seine Waffe nachzuladen. Patronen fielen ihm aus den Jackentaschen in den Schnee. Er bückte sich, wühlte in dem weißen Pulver herum und schob sie, eine nach der anderen, ins Magazin.

Im Inneren der Anlage herrschte totale Verwirrung. Ihre Bewohner verstanden es, mit Winden von Orkanstärke und eisiger Kälte fertig zu werden, mit Energieausfällen und knappen Rationen auszukommen. Sie waren jedoch nicht darauf vorbereitet, mit Mördern umzugehen.

Einige der Männer fingen an, sich für draußen anzukleiden, mit Parkas, Daunenwesten, warmen Handschuhen, Sie wollten hinausgehen und Norris und Bennings helfen. Ein paar, die das Drama zu hypnotisieren schien, das sich draußen auf dem Eis abspielte, starrten durch die beschlagenen Scheiben, als blickten sie auf einen der Fernseher des Lagers.

Aus dem Erholungsraum war das Geräusch zerspringenden Glases zu hören. Es bedurfte sicher einiger Schläge mit dem Gewehrkolben, um die dicken Isolierscheiben zu zerbrechen. Dann schob sich der Lauf einer .44er, gestützt von zwei Händen, durch die plötzlich entstandene Lücke.

Draußen rückte der Eindringling Norris und Bennings näher. Er hatte es inzwischen endlich geschafft, das Gewehr nachzuladen. Jetzt hob er es und zielte unsicher.

Ein Schuss peitschte durch die Luft, etwas tiefer als jeder der bisherigen Schüsse. Der Kopf des Mannes zuckte nach hinten, und sein Karabiner feuerte auf eine Wolke. Er fiel auf die Knie und stürzte dann mit dem Gesicht voran in den Schnee.

Norris stoppte seine verzweifelte Flucht. Sein Herz schlug wie wild. Er ließ Bennings' Parka los. Der Meteorologe griff nach seiner Wunde und starrte fasziniert den plötzlich reglosen Angreifer an. Der verletzte Hund lag ganz in der Nähe und wimmerte vor Schmerz. Weiter draußen, in der weißen Hölle, stemmte sich Childs vorsichtig hoch, um über sein Schneemobil hinwegzuspähen.

Nun war wieder das einzige Geräusch das Klagen des ewigen Windes.

Im Inneren des Baus waren die wirr durcheinanderrufenden Stimmen verstummt. Männer, die gerade noch damit beschäftigt waren, ihre Parkas anzulegen, hörten auf, Schnallen zu schließen und an Reißverschlüssen zu zerren. Alle Blicke waren von der Szene draußen zum Leiter der Station gewandert.

Garry klappte die Zylindertrommel seiner Magnum auf, entnahm ihr die einzige verbrauchte Patrone und schloss die Waffe dann wieder. Dann legte er den Sicherungshebel um und schob die Magnum in das Halfter am Gürtel.

Erst jetzt wurde dem Stationsleiter bewusst, dass er das Zentrum der Aufmerksamkeit war. Als ehemaliger Soldat trug er die Waffe mehr aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit. Manchmal waren alte Angewohnheiten ganz nützlich.

»Hört auf, mich anzustarren! Fuchs, Palmer, Clark...« - er deutete mit einer Kopfbewegung nach draußen -, »..ihr seid schon halb angezogen. Geht hinaus und löscht das Feuer!«

»Wozu die Mühe?« Palmer war von ständigem Widerspruchsgeist erfüllt. Er wischte sich das lange blonde Haar aus dem Gesicht. »Dort draußen ist sonst nichts Brennbares. Ich habe genügend Abstürze gesehen, um zu wissen, dass der Pilot nicht die leiseste Chance hatte.«

»Tu's trotzdem«, sagte Carry kurz angebunden. »Vielleicht finden wir in dem Wrack etwas Nützliches.«

»Was zum Beispiel?«, fragte Palmer streitsüchtig.

»Eine Erklärung, beispielsweise. Und jetzt los!« Seine Aufmerksamkeit wandte sich dem jüngsten Mann im Raum zu. »Sanders, sieh zu, ob du eine Ersatzscheibe für das Fenster findest!«

»Das ist die Aufgabe von Childs«, kam schnell die Antwort. »Ich bin für die Funkgeräte zuständig, nicht für Reparaturen.«

»Childs ist dort draußen. Vielleicht verletzt.«

»Mierda del toro!«, stieß Sanders hervor, verließ aber den Raum, um dem Befehl nachzukommen.

Der Schneebläser brachte die Flammen schnell zum Ersticken. Aber im verbrannten Cockpit des Helikopters fanden sie keine Erklärungen und auch nicht mehr viel von dem Piloten. Der größere Teil des Interesses der Männer richtete sich daher auf die Anlage.

Im Erholungsraum hatte sich der Rest der Männer um die Leiche des Berserkers, der sie alle mit dem Karabiner bedroht hatte, versammelt. Er hatte ein sauberes Loch mitten in der Stirn. Ein oder zwei Männer murmelten leise, dass Garry auf einen weniger lebenswichtigen Körperteil hätte zielen können. Bennings und Norris hätten von der Reklamation freilich nicht viel gehalten.

Carry durchsuchte unterdessen die Taschen des Mannes unter dem dicken Winteroverall. Er fand eine abgewetzte schwarze Brieftasche mit Bildern von einer Frau, die von drei lächelnden Kindern umgeben war, und von einem Haus, außerdem etwas Papiergeld, ein paar fremdartige Kreditkarten und andere persönliche Dinge, von denen einige zu erkennen, andere nicht zu erkennen waren, und als Wichtigstes einen offiziell aussehenden Ausweis.

Garry studierte ihn. »Norwegisch«, verkündete er dann. »Er hieß Jan Bolen. Fragt mich nicht, wie man das ausspricht!«

Fuchs stand neben der großen Reliefkarte der Antarktis, die eine ganze Wand beherrschte. Er war, abgesehen von Clark und Sanders, das jüngste Mitglied der Gruppe. Sanders war für die Funkstation zuständig, Clark für die Hunde, aber manchmal fühlte Fuchs sich ihnen trotz seiner umfangreichen Ausbildung unterlegen. Dieses Land war gegenüber solchen Männern freundlicher als gegenüber sensiblen Hilfsbiologen.

Die Leiche lag über zwei Kartentischen, die man schnell zusammengeschoben hatte. Fuchs war der einzige, dessen Aufmerksamkeit etwas anderem galt.

»Sanae liegt auf der anderen Seite des Kontinents«, erklärte er dem Stationschef. »Im Hubschrauber können die ganz bestimmt nicht so weit geflogen sein. Aber sie haben einen Stützpunkt in der Nähe. In letzter Zeit gebaut, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Wie weit entfernt?«, fragte Garry.

Fuchs studierte die Landkarte und benutzte seinen Daumen, um die Entfernung abzuschätzen. »Ich würde sagen, etwa achtzig Kilometer im Südwesten.«

Garry versuchte nicht, seine Überraschung zu verbergen. »So weit? Bei dem Wetter ist das aber verdammt weit für einen Hubschrauber.«

Hinter ihnen fügte Sanders vorsichtig das schwere neue Glas in die Öffnung ein, die der Stationsleiter verursacht hatte.

Garry wandte seine Aufmerksamkeit jetzt Childs zu. Norris saß neben ihm. Die beiden Männer hatten sich seit dem Angriff etwas beruhigt. Childs pickte sich immer noch Eisstücke aus dem Bart.

»Wie geht's dir denn jetzt, Childs?«

Der Mechaniker blickte zu ihm auf. »Besser als Bennings.«

Garry knurrte etwas Unverständliches und sah dabei Norris an. Sie machten sich alle Sorgen um Bennings.

»Hast du etwas von dem aufgeschnappt, was der geschrien hat?«

Childs grinste schief. »Sehe ich für dich jetzt wie ein Norweger aus? Du bist wohl zu oft im Schnee draußen gewesen. Sicher habe ich aufgeschnappt, was er gesagt hat. Er hat gesagt: Tru de menge, halt de loggen! Hilft das weiter?«

Garry lächelte nicht, sondern wandte sich dem Geophysiker zu. »Und du?«

»Ja, ich hab schon was mitgekriegt«, murmelte Norris zornig. »Ich hab mitgekriegt, dass er mir den Arsch in Stücke schießen wollte. Das war gar nicht so schwer zu kapieren.«

Der Stationschef nickte nur und blickte dann besorgt auf die Leiche, die auf dem Tisch lag. Sie würde ihm keine Antworten mehr geben können.

Alle mochten Copper. Der Arzt schien mit seinem dauernden väterlichen Grinsen und seinem Tonfall aus dem Mittleren Westen überhaupt nicht in die Station zu passen. Er gehörte irgendwo nach Indiana hin, wo er kleine Mädchen behandeln konnte, die die Masern hatten, oder Jungen, die vom Baum gefallen waren und sich die Knie aufgeschürft hatten. Eigentlich sollte er für eine Norman-Rockwell-Illustration Modell stehen, die eine Zeitschrift für Bezieher mittlerer Einkommen schmückte.

Stattdessen übte er sein Gewerbe hier am tiefsten Punkt der Erde aus. Er hatte sich freiwillig für den Posten gemeldet, denn unter diesem belanglosen Äußeren schlug das Herz eines abenteuerlustigen Mannes. Und die anderen waren froh, dass er da war.

Im Augenblick war er mit Bennings' ausgestrecktem Bein beschäftigt. In einer Ecke der Krankenstation war Clark, der Hundepfleger, mit der Hüfte des verwundeten Hundes - Husky, wie sie ihn getauft hatten - beschäftigt. Die Station musste den medizinischen Bedürfnissen sowohl von Hunden als auch Menschen genügen. Keinem machte die Anwesenheit des anderen etwas aus, und Clark und Copper halfen einander häufig bei etwas komplizierteren Fällen.

Der Meteorologe stieß ein »Autsch!« aus, als der Arzt die Nadel bewegte. Copper sah ihn tadelnd an.

»Komm du mir nicht mit autsch!, Bennings! Sei wenigstens so mutig wie der Hund. Zwei lausige Stiche. Die Kugel hat dich ja bloß gestreift. Ein Wunder, dass sie dir überhaupt die Haut geritzt hat.«

»Ja, nun, angefühlt hat es sich nicht so.«

Die Nadel stach ein letztes Mal zu, und Bennings verdrehte theatralisch die Augen. Copper verknotete seinen Faden und half dem noch etwas benommenen Bennings vom Tisch. Der Meteorologe zitterte immer noch, aber das war nicht auf die Wunde zurückzuführen.

»Jesus, was, zum Teufel, haben die bloß gemacht?«, murmelte er. »So tief zu fliegen - bei dem Wetter. Auf einen Hund zu schießen - auf uns...«

Er schüttelte langsam den Kopf; er konnte dem Wahnsinn, der sich in einen sonst völlig normalen Tag hineingedrängt hatte, keinen Sinn abgewinnen.

Copper hob die Schultern, legte die Nadel in den Sterilisator zurück und schaltete das Gerät ein. Es summte leise.

»Budenkoller vielleicht.«

»Ist das eine ärztliche Diagnose?«

»Ungeheuer komisch. Ich meine, wenn man Leute längere Zeit auf engem Raum zusammensperrt und sich dann ein Streit entwickelt, der zu hitzig wird... Wahrscheinlich werden wir nie herausfinden, was die Ursache war.«

»Garry wird das schon.« Bennings schien überzeugt. »Wenn ich ihn richtig kenne, dann findet er heraus, was hier los war. Das muss man dem Mann lassen, der lässt nicht so leicht locker.« Er blickte auf sein zusammengeflicktes Bein und erinnerte sich wieder daran, wie er in die Mündung der Jagdflinte geblickt hatte. Und mit leiser Stimme fügte er hinzu: »Und ein verdammt guter Schütze ist er auch.«

Ein scharfes Kläffen ließ die zwei Männer sich umwenden. Clark versuchte, das verletzte Tier zu beruhigen, während er um Verzeihung heischend die anderen ansah. »Ich werde eine Weile hier sein. Die Kugel sitzt ziemlich tief. Ich muss sie ganz vorsichtig herausholen, um ihm sein Bein zu retten. Sagt mir Bescheid, wenn es etwas Neues gibt, ja?«

Copper nickte und stützte Bennings, als sie die Krankenstation verließen. Hinter ihnen winselte der Hund weiter, während Clark seine Lampe näher heranzog und fortfuhr, nach der Kugel zu suchen.

Blair lehnte am Eingang zur Funkkabine und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Als er seine Hand ansah, war sie schmutzig und mit Schweiß bedeckt. Man war immer schmutzig in der Station; schließlich stand die Dusche nur zweimal die Woche zur Verfügung. Komisch eigentlich. Da stand man auf dreißig Prozent allen Süßwassers, das es auf der Erde gab, und musste das Wasser zum Duschen rationieren, weil es zu viel Energie kostete.

Diese verdammte Unterbrechung! Er musste zwei Aufsätze fertigstellen und die zwei üblichen Wochenberichte schreiben, ganz zu schweigen von einem halben Dutzend laufender Experimente im Freien, die es zu überprüfen galt. Seit man ihnen damals die Budgets zusammengestrichen hatte, stand ihm nur noch Fuchs als Helfer zur Verfügung, wenn auch Bennings und Norris immer sehr hilfsbereit gewesen waren. Aber sie mussten sich natürlich auch um ihre eigenen Arbeiten kümmern.

Er kaute auf seiner nicht angezündeten Zigarette herum und starrte Sanders an, der an den Knöpfen und Skalen drehte. Aus einem Lautsprecher an der Decke krachten Störgeräusche. Blair hatte sich diesen auf- und abschwellenden Lärm jetzt zehn Minuten lang angehört. Einfach zu schwacher Empfang, dachte er verstimmt.

Schließlich drehte Sanders sich zu ihm herum und meinte gelangweilt: »Klappt nicht. Selbst wenn ich Norwegisch sprechen könnte, selbst wenn ich die verdammten Frequenzen wüsste.«

»Nun, sieh einfach zu, dass du jemanden erwischst!« Blair war über den Angriff ebenso verärgert wie alle anderen. »Irgendeinen. Probier's noch mal mit McMurdo. Wir müssen diese Schweinerei melden, ehe uns ein anderer zuvorkommt, sonst haben wir es am Ende noch mit einem internationalen Zwischenfall zu tun. Und du weißt ganz genau, was das bedeutet. Arbeitsunterbrechung, weil jeder davonrennt, um Erklärungen abzugeben.«

»Würde mich nicht stören.«

Sanders war vor ein paar Monaten einundzwanzig geworden. Niemand in der Station schien zu wissen, wie er zu seiner Position gekommen oder weshalb er überhaupt hier war. Wahrscheinlich hatte der Posten in den Anzeigen sehr romantisch ausgesehen. Sechs Monate fern der Bilder und Geräusche (ganz zu schweigen der Wärme) von Los Angeles hatten die Betrachtungsweise des Fernmeldemannes jedoch verändert, und er gab sich auch gar keine Mühe, seine Unzufriedenheit zu verbergen. Jedem, der es hören wollte, sagte er, wie man ihn hereingelegt hatte.

Aber jetzt machte er den Job ein Jahr lang. Da war nichts mit Wein und Weib und sehr wenig mit Gesang. Jedenfalls war überhaupt nichts Romantisches dabei. Das Mädchen, das er mit der Wahl dieses Postens hatte beeindrucken wollen, lag im Augenblick wahrscheinlich irgendwo in Santa Monica am Strand, trank Wein und kuschelte sich in die Arme eines anderen.

Der bevorstehende Winter würde Sanders mehr belasten als die meisten anderen.

»Versuch es noch einmal mit McMurdo!«

Sanders' Stimme klang beleidigt. »Was meinst du wohl, wen ich dauernd anpeile? Hör zu, ich hab seit zwei Wochen keine von diesen Scheißstationen erwischt. Ich bezweifle, dass es auf dem ganzen Kontinent irgendjemanden gibt, der mit einem anderen redet. Eigentlich solltest du ja wissen, was bei einem Sturm wie dem da los ist.«

Blair wandte sich von dem jüngeren Mann ab und blickte zu dem schmalen Fenster hinüber, das auf der anderen Seite des Korridors hoch oben in die Wand eingelassen war. Hinter dem beschlagenen Glas konnte er nichts als aufgewirbelten Schnee sehen. Die untere Hälfte des Fensters war bereits vom Schnee zugedeckt. Noch einen Monat, und es würde völlig verschwunden sein.

»Ja«, murmelte er resigniert. »Ich weiß.«

  Zweites Kapitel

 

 

Das grollende Poltern klang gedämpft und gleichmäßig; ein Geräusch ganz ähnlich dem Wind, der draußen um die Station heulte; aber es war weicher. Es kam von einem der vielen Korridore, die die zahlreichen Räume und Lager der Anlage miteinander verbanden.

Es bewegte sich langsam auf den Gemeinschaftsraum zu. Das Gehör nahm es zur Kenntnis, aber keiner der versammelten Männer machte sich die Mühe, sich darum zu kümmern. Das Geräusch war ihnen allen bekannt und kein Anlass zu Unruhe.

Nauls kam unter einer der Türen elegant zum Stillstand und stützte sich gegen den Türrahmen. Seine Beine bewegten sich abwechselnd, während er auf seinen Rollschuhen das Gleichgewicht zu halten suchte und die anderen anstarrte.

»Ich hab's gehört.« Sein Blick wanderte zu der Leiche hin, die immer noch auf den Kartentischen lag. »Aber was soll das Ganze?«

»Das weiß noch niemand«, erklärte Fuchs. »Hast du eine Ahnung?«

»Sicher.« Der Koch grinste den jungen Biologen an. »Vielleicht hat Norwegen uns den Krieg erklärt.«

Palmer war nicht viel älter als Nauls. Er hatte es endlich geschafft, sein Haar zu bändigen. Es hing ihm jetzt, von einem Gummiband zusammengehalten, über den Rücken. Er lächelte über das, was der Koch gesagt hatte, und zündete sich einen Joint an.

Palmer hatte ein komisches Lächeln an sich. Auf Maschinen verstand er sich wie kein anderer, und ein schlechter Pilot war er auch nicht. Aber manchmal hatte er im Umgang mit anderen Menschen Schwierigkeiten. Es gab da ein paar Episoden aus einer etwas radikalen Vergangenheit (größtenteils in den sechziger Jahren), die ihn gelegentlich verfolgten.

Er inhalierte tief und ließ dann seinen Blick zu Garry hinüberwandern. Die zwei waren in gesellschaftlicher Hinsicht Gegenpole, kamen aber gut miteinander aus. Wenn man auf so engem Raum wie dieser Station zusammenlebte, musste man miteinander auskommen. Bei Garry und Palmer ging das, weil keiner den anderen besonders ernst nahm.

»Ich hab mich schon gefragt, wann El Capitan wohl 'ne Chance kriegen würde, mal seinen Ballermann zu gebrauchen.«

Garry wies ihn mit einem strengen Blick in seine Grenzen und wandte sich Fuchs zu. Der Biologe studierte immer noch die große Karte.

»Seit wann haben die denn ihre Station dort? Du hast doch gemeint, dass die gar nicht lange bleiben würden.«

Fuchs wandte sich von der Karte ab und wühlte in einem Karteikasten. Dann zog er eine Karte heraus. »Hier steht: etwa acht Wochen.«

Dr. Copper kam jetzt in den Raum. Bennings ging dicht hinter ihm. Sein Hinken war stärker, als die Wunde es verlangte.

Garry blickte nachdenklich. »Relativ neu. Acht Wochen. Das reicht nicht, um durchzudrehen.«

»Quatsch, Junge!« Nauls stampfte mit den Rollschuhen auf den Boden, so dass die Räder durchdrehten. »Fünf Minuten reichen aus, um einen hier verrückt zu machen, wenn man nicht bei der Ankunft verdammt normal ist.«

»Verdammt normal«, echote Palmer. Ein verklärter Ausdruck begann sich über sein Gesicht auszubreiten. Garry war das gleichgültig. Palmer tat seine Arbeit.

»Ich meine«, fuhr Nauls fort und warf einen Blick auf die Überreste der tabaklosen Zigarette, »Palmer ist schon seit dem ersten Tag so gewesen.«

Palmers Lächeln wurde breiter, und er zeigte dem Koch einen Vogel.

»Es hängt von der Persönlichkeit ab.« Coppers Tonfall klang ernster als der des Kochs, obwohl er das gleiche empfand. »Manchmal können persönliche Konflikte in Verbindung mit den Problemen, die durch die Isolierung und Eingeschlossensein entstehen, eine erstaunlich schnelle Wirkung zeigen.«

Garry dachte kurz nach und meinte dann, an Fuchs gewandt: »Hast du etwas herausgefunden, wie viele es sind?«

Fuchs warf einen weiteren Blick auf die halb herausgezogene Karte. »Wenn das hier der letzte Stand ist, haben die anscheinend mit sechs angefangen. Also sind vier im Lager.«

»Das muss nicht unbedingt stimmen«, sagte Copper leise. Alle sahen jetzt den Arzt an.

»Und was heißt das, Doc?«, wollte Bennings wissen.

»Das heißt, dass wir nicht wissen, wann oder warum unsere zwei Besucher durchgedreht sind und ob sie vielleicht noch Gleichgesinnte hatten. Aber selbst wenn sie ganz allein waren, hätten zwei so verrückte Burschen« - damit deutete er vielsagend auf die reglose Leiche auf dem Kartentisch - »in ihrer Nachbarschaft eine Menge Unheil anrichten können, ehe sie zu uns kamen. Und das könnte auch ein Grund sein, weshalb Sanders ihr Camp nicht über Funk erreicht.«

»Vielleicht hören die bloß ihre eigenen Sender ab«, meinte Norris.

Copper schüttelte den Kopf. »Jeder gebildete Europäer spricht ein wenig Englisch. Ich denke, die würden sich wenigstens melden.«

Garry sah zum Tisch hinüber. »Er hat kein Englisch gesprochen.«

»Das war der Stress«, meinte Copper. »In solchen Situationen können Menschen gewöhnlich nur in ihrer Muttersprache denken.«

Der Stationsleiter wandte sich ab und murmelte unglücklich: »Wenn es stimmt, dass sie ihr eigenes Lager verwüstet haben, dann können wir nicht viel machen.«

»Oh, doch! Das können wir«, konterte der Arzt. »Ich würde mich gern einmal dort drüben umsehen. Vielleicht kann ich jemandem helfen. Vielleicht finde ich sogar eine Erklärung.«

»Bei dem Wetter?«

Der Arzt wandte sich an den Mann, der hinter ihm stand. »Bennings? Wie steht's mit dem Wetter?«

Der Meteorologe überlegte. »Ich würde mir gern die Instrumente noch einmal ansehen, aber nach den letzten Daten müsste der Wind in den nächsten paar Stunden eine Spur schwächer werden.«

»Eine Spur?« Carry sah ihn streng an.

Bennings hob die Schultern. »Hör zu, Chef, hier unten das Wetter vorherzusagen, das ist doch die reinste Lotterie! Aber nach den letzten Informationen vermute ich, dass es besser wird.«

»Und was hältst du von dem, was der Doc gesagt hat?«

»Ich selber hätte keine Lust.« Bennings trat an die Karte, die an der Wand befestigt war. »Aber zu schaffen müsste es sein. Selbst wenn man den Wind berücksichtigt, schätze ich weniger als eine Stunde, um hinzukommen.«

Garry überlegte. Er hielt nicht viel von der Idee. Trotzdem wollte er unbedingt eine Erklärung, ehe das Wetter wieder schlechter wurde und die offiziellen Anfragen einsetzten. Außerdem konnten, wie Copper angedeutet hatte, vielleicht Verletzte in der norwegischen Station sein, die Hilfe brauchten. Und mit was für einer Reaktion würde er wohl zu rechnen haben, wenn er keine Anstalten machte, ihnen zu helfen?

Palmer zog noch mal an seinem Joint. »Also, Doc. Ich nehm dich mit, wenn...«

Garry unterbrach ihn scharf. »Vergiss es, Palmer!« Er wandte sich Copper zu, der geduldig auf seine Entscheidung wartete. »Doc, du machst mich schwach.«

»Nur, wenn ich dir 'ne Spritze gebe.«

»Kannst mich mal.« Der Stationsleiter wandte sich ab, um sein Lächeln zu verbergen. »Norris, hol' MacReady!«

Einige im Raum lachten. Norris grinste. »MacReady fährt bestimmt nirgendwohin«, meinte er. »Der liegt bis zum Frühjahr in seiner Klappe. Wer behauptet eigentlich, dass Menschen keinen Winterschlaf halten?«

»MacReady, die Schlafmütze«, fügte Bennings hinzu.

Garry blickte gelangweilt drein. »Geh und hol ihn!«

»Du bist der Boss, Boss.« Norris ging auf die Tür zu. »Außerdem ist er wahrscheinlich besoffen. Am Ende muss doch Palmer fahren.«

Norris brauchte einige Minuten, um sich darauf vorzubereiten, ins Freie zu gehen. Mit fünfundsechzig Pfund zusätzlicher Kleidung beladen, schlurfte er schließlich auf die Außentür zu. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht, als er die Tür öffnete. Instinktiv hielt er die Lippen einen Spalt geöffnet, damit sie nicht durch den Speichel in seinem Mund aneinanderklebten. Eispartikel klapperten gegen seine Schneebrille.

Vielleicht hatte Bennings Recht. Als er die Treppe hinaufging, hatte er tatsächlich den Eindruck, der Wind hätte etwas nachgelassen.

Natürlich hatten sie bis jetzt noch keinen echten Wintersturm erlebt. Das, was sie jetzt umgab, war relativ mildes Herbstwetter.

Sein Ziel war eine Hütte, die etwa hundert Meter vom Hauptkomplex entfernt und mit einem hölzernen Steg und Haltetauen mit diesem verbunden war. Hundert Meter zu Fuß in der Antarktis kommen einem wie hundert Kilometer vor, selbst wenn man ein sichtbares Ziel vor Augen hat.

Norris kam die Treppe hoch, die ins Hauptgebäude hinunterführte, und machte sich auf den Weg, wobei seine durch Handschuhe geschützten Hände leicht über die vertraute Glätte des Halteseiles glitten. Ein paar Eiszapfen hingen an dem Seil und brachen ab, als seine Finger sie berührten. Er benutzte das Seil nicht nur, um sich zu orientieren, sondern auch, um sich den sanften Abhang hinaufzuziehen. Seine Arme mussten den Beinen Hilfestellung leisten, die die Tendenz hatten, in den Streik zu treten, wenn sie der bitteren Kälte auch nur kurze Zeit ausgesetzt waren.

Im Inneren der Hütte, die mit doppelten Wänden und einem Elektroofen ausgestattet war, herrschte eine ziemliche Wärme. MacReady hielt seine Umgebung so tropisch, wie die Vorschriften es erlaubten. Er hasste die Kälte, hasste sie sogar noch mehr als Sanders. Die Isolation machte ihm nichts aus. Und die Bezahlung war wahrhaft atemberaubend, das kam als mildernder Umstand hinzu. Er holte Eiswürfel aus dem kleinen Kühlschrank und ließ sie ins Glas fallen. Bernsteinfarbene Flüssigkeit füllte es.

»Läufer auf g vier«, sagte eine ruhige Stimme, die nicht die seine war.

Er nippte an dem Whisky und ging zu dem Tisch hinüber, auf dem das Spiel stand. Ein großer Vera-Cruz-Sombrero in bunten Farben hing ihm um den Hals und tanzte leicht auf seinem Rücken. Er bückte sich, um der nackten Glühbirne auszuweichen, die von der Decke baumelte.

Die Hütte war klein, sehr individualistisch eingerichtet und unordentlich. Garry bezeichnete sie als einen Schweinestall. MacReady zog die Formulierung »bewohnt« vor. Der Stationsleiter ließ den Punkt auf sich beruhen. MacReady tat seine Arbeit. Meistens.

Ein paar große Plakate von südländischen Orten gaben dem Inneren der Hütte Farbe. Neapel, Rio, Jamaika, Acapulco-eine Blondine und zwei Rothaarige. In der Hütte herrschte eine Hitze, dass einem der Schweiß ausbrechen konnte.

Das elektronische Schachbrett auf dem Tisch war größer als ein Durchschnittsmodell. MacReady setzte sich und lachte glucksend über den ungeschickten Zug seines Gegners. »Du bist ein armer kleiner Hurensohn. Du fängst an zu verlieren, nicht wahr?«

Er überlegte einen Augenblick und tippte dann seinen Zug ein. Die Maschine reagierte sofort.

»Bauer schlägt Dame auf c vier.« Die elektronisch bewegten Figuren zitterten leicht, wenn sie über das Brett schlurften.

MacReadys Grinsen verblasste langsam, als er die neue Anordnung überprüfte.

Jemand klopfte an die Tür. Er ignorierte das Geräusch, dachte über seinen nächsten Zug nach und gab schließlich die Anweisung ein.

Wieder bewegten sich die Figuren.

»Turm auf d sechs«, sagte die ausdruckslose Stimme aus dem Lautsprecher des Schachbretts. »Schach!«

Das Klopfen wurde jetzt eindringlicher. MacReady biss die Zähne zusammen und funkelte das Schachbrett mit bösen Blicken an. Er beugte sich vor und öffnete eine kleine Klappe neben dem eigentlichen Spielfeld. Farbige Stromkreise starrten ihn an, als er die Überreste seines Drinks über sie schüttete.

Aus der Maschine waren ein paar knackende Laute zu hören, dann sprühten ein paar Funken, und etwas Rauch stieg auf.

»Läufer auf Bauer drei nimmt Turm auf Dame fünf König auf Läufer zwei Bauer auf Bauer sechs auf Bauer sieben auf Bauer acht auf Bauer neun auf Bauer auf Bauerizzzfissstt...«

MacReady hörte zu, bis das Geschnatter aufhörte, dann stand er auf und stolperte zur Tür, wobei er angewidert vor sich hin murmelte. »Das Schwein schummelt! Verdammte Programmierung! Ich sollte mir mein Geld auszahlen lassen...«

Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt.

Norris schob sich durch die Tür an ihm vorbei, wobei ihm eine Schneefontäne folgte. »Warum, zum Teufel, hast du nicht aufgemacht?«

MacReady sagte nichts, sondern deutete auf das immer noch rauchende Schachbrett. »Haben wir Ersatzmodule für diese Schachdinger im Lager?«

»Woher soll ich denn das wissen? Zieh dich an!«

Plötzlich war das Schachspiel vergessen. MacReady musterte seinen Besucher argwöhnisch. »Wozu denn?«

»Wozu glaubst du wohl?«

»Oh, nein!« Er wich vor Norris zurück. »Kommt nicht in Frage. Keine Chance.«

»Garry sagt...«

»Mir ist scheißegal, was Garry sagt.«

Draußen heulte der Wind. Für MacReady klang es, als wäre er hungrig.

 

Childs hatte eine der großen Lötlampen herausgeholt und hielt sie dicht an seinen Körper, während er das Eis von den Rotorblättern und der Maschinenverkleidung des Helikopters schmolz. Von allen Arbeiten, die man draußen zu verrichten hatte, war das Freischmelzen von Maschinen eine der angenehmsten. Wenigstens konnte man sich dabei selbst ein wenig wärmen.

Der Wind heulte und pfiff um ihn herum. Er sah zum Himmel hinauf. Trotz Bennings' Versicherungen beneidete er den armen Teufel, der mit dem Hubschrauber aufsteigen musste, keineswegs. Wenn Copper nicht darauf bestand, würde ohnehin niemand starten. Childs lächelte. Normalerweise geschah das, was der alte Doc Copper wollte. Denn wenn er einmal etwas vorschlug, konnte keiner von den anderen Typen sich drücken, ohne ziemlich albern auszusehen.

Er wandte sich wieder dem fast enteisten Helikopter zu und schnitt gefrorenes Wasser von seinen Landekufen.