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1. Auflage 2019 / 2020

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Dieser Titel ist auch als Printausgabe erschienen: ISBN: 978-3-7650-8908-4

www.lauinger-verlag.de

HERAUSGEBERIN UND AUTORIN BRITTA WIRTZ
CO-AUTOR BERNHARD WAGNER

Käthe
Kaufmann

Eine starke Frau aus Karlsruhe

BIOGRAPHISCHE LEBENSGESCHICHTE(N)

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Inhalt

Karte: Europa mit Norwegen – Granholmen

Karte: »Erfahrene« Orte

Inhalt

Luftbild – Das Ferienhaus auf Granholmen

Vorwort: Britta Wirtz

Käthe Kaufmann – ein Frauenporträt der lokalen Geschichte

Vorwort: Bernhard Wagner

Co-Autor und Recherchen-Jäger

Kapitel 1 – Die Wohnung

Die Hübschstraße

Eisenlohrstraße 30 – von 1944 bis 1969

Der Stolperstein und sein Künstler

Kapitel 2 – Käthes Lebensgeschichten

Britta Wirtz: Bewahren der Erinnerungen

Die norwegische Insel Granholmen: Ort der Erzählungen

Auf nach Granholmen

Kapitel 3 – Käthes Wurzeln

Kurpfälzisch-Badisch-Bayerisch

»Alla gut« – »So isch’s wore« – »Bassd scho«!

Schwetzingen – Spargelmetropole mit Schlossidylle

Schwetzingen, 1862, das Geburtsjahr von Albert Walz

Günzburg und Bretten

Kapitel 4 – Badisches Umzugskind

Aufgewachsen in badischen Städten

Das Jahr 1899 – das Geburtsjahr von Käthe

Beruflicher Werdegang des Vaters, Albert Walz

Kapitel 5 – Schule hinter Klostermauern

»Holmetur« und die Geschichte der privilegierten Mädchen-Schulbildung

Schulbildung für Mädchen an der Schwelle des 19. Jh.

Karlsruhe – Pionierstadt für Frauenbildung

Kapitel 6 – Ehedrama und Scheidung

Der erste Ehemann Wilhelm Ferdinand Dudeck

Eifersucht – was es für Wilhelm und Käthe bedeutete

Häusliche Gewalt

Kapitel 7 – Käthe und ihre »Schlitten«

Das waren die badischen Auto-Pioniere (1920 bis 1956)

Marke und Modell von Käthes »Schlitten«

Besonderheiten von Käthes Austro-Daimlers

Kapitel 8 – Ludwig Kaufmann

Ein badischer Jude mit Malscher Wurzeln

Jüdische Bürger prägten ländliche Gemeinden

Familiengeschichte von Salomon Kaufmann

Jüdische Bürger in Karlsruhe und Baden

Kapitel 9 – Aufstieg und Niedergang

Ludwigs fabelhafte Geschäfte und Repressionen

Vom Mechaniker zum Top-Handelsvertreter

Ludwig Kaufmann und die amerikanischen Waschfontänen

Waschfontänen-Geschäftsbeziehung mit Folgen

Käthe – exzellente Begleiterin auf Ludwigs Geschäftstouren

Sommer 1934

Geschäfte in schwieriger Zeit

Käthe und das »SS-Haus« in Berlin

Kapitel 10 – Ermordung in Auschwitz

Ludwig Kaufmann: Denunzierung, Verhaftung, Deportation

Der »Block« und Häftlingskrankenbau (HKB) – Ludwigs Todesort

Ludwigs Ermordung: Zynische Mitteilung in der Kriegsweihnacht 1943

Zeitgeschichtliche Einordnung zur Verfolgung jüdischer Geschäftsleute

Aufforderung zur Denunziation

Mischehen

Erfassung jüdischer Gewerbebetriebe

Kapitel 11 – Der Prozess

Der Wiedergutmachungsprozess – Entschädigung von NS- Unrecht

Geschichte vor Gericht – Wiedergutmachung von als öffentliche Aufgabe

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Komplizierte Entschädigungsverfahren

Die KZ-Betreuungsstelle in Karlsruhe von 1945 bis 1948

Komplizierte Fragestellungen für die Wiedergutmachungsbehörde

Not, Hungerjahre und finanzielle Unterstützung

Finanzielle Unterstützung durch die Verwaltungsstelle

Die Wiedergutmachungsbehörde und jüdische Unternehmer

Käthes schwierige Beweislage

Der Wiedergutmachungsprozess und seine Zeitzeugen

Erste Zeugenaussagen 1950

Kapitalentschädigung ja – aber kein adäquater Beamtenstatus

Klageschrift gegen das Land

Zurückweisung des Klageantrags

Urteil im »Namen des Volkes« am 16. September 1958

Ein Bescheid mit Folgen: Die Postzustellung

Kapitel 12 – Dichterverwandtschaft

Fundstück: Verwandtschaft mit Grimmelshausen

Grimmelshausen

Kapitel 13 – Die Geschäftsfrau

Kunstgewerblerin und Unternehmerin für Mode

Unternehmerinnen – von der »Stunde Null« an

Neue Stoffe und Silhouetten in den 50er Jahren

Käthes Mode-Pavillon für die Dame von Welt

Kapitel 14 – Die Wahlverwandtschaft

Käthe, Tochter Trude und ihre norwegische Wahlverwandtschaft

Landås, Edvard Grieg und der Komponisten-Pavillon

Großes norwegisches Theater mit Eriks Eltern

Sommererlebnisse auf Krokeide: Zwei tolle Großmütter

Erik Bergmann, Karlsruhe und die badisch-norwegische Liebe

Kapitel 15 – Anekdoten

Erinnerungen – besondere Geschichten

Käthes Enkelin Kirstin Wehrheim (Kissi) erzählt

Ein ganzes Jahr Ferien bei »Oma Käthe« in Karlsruhe

In the Summertime

»Die Perle der Südpfalz«

Pfälzisch feiern: »Miki, bist du fertig?«

Erinnerungen von Helga Stojimirov, geb. Schilling

Klopf, klopf – der Kaffee ist fertig!

Die Kuchenstücke sind zu klein und der Preis zu hoch!

Hardy muss an die frische Luft

Nachthemden-Klau in der Paracelsusklinik

Der schönste und beste Schwiegersohn!

Jetzt kommt gleich der Husch-Husch

Elegant am italienischen Strand

Passfahren nach Italien

Werner Wehrheim, (Ehemann von Kissi) gibt seine Erinnerungen wieder

Erik, die Insel brennt!

»Putzi der Elektrokiller« – Oma Käthes Wellensittich

Wie der ADAC Omas Wagen wieder flott kriegte

Oma Käthe und die Bremsen

Kapitel 16 – Reisen

Oma Käthe und ihr »Bella Italia«

Kissi, Bellaria und ihr Bikini-Überteil

Käthe und ihre Reise-Limousine

Niederlande und Belgien

Österreich: Salzburger Nockerln und Wien

Genusstouren im Pamina-Raum: Baden, Südpfalz und Nordelsass

Kapitel 17 – Der Abschied

Diabetes, Lebensabend und Abschied

Epilog

Lebendige Lebensaufzeichnungen durch Zeitzeugen

Lebendige Geschichte durch Erinnerungsstücke

Exkurs: Käthe, ihre feinen Stoffe und das Top-Garn

Das Nähen

Personenverzeichnis

Käthe Kaufmann und ihre Verwandtschaft

Zeugen im Wiedergutmachungsprozess

Freundes- und Bekanntenkreis

Glossar

Literatur- und Quellennachweis

Archive

Bildquellen

Danksagung

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Vorwort: Britta Wirtz

Käthe Kaufmann – ein Frauenporträt

Die Lebensgeschichten von Käthe Kaufmann ergeben ein Frauenporträt, das mit Blick auf den weiblichen Teil der Einwohnerschaft von Karlsruhe ein Stück Stadtgeschichte erzählt. Sie war eine kluge und starke Frau; kreativ und geschäftstüchtig, selbstbewusst und unabhängig. Sie verströmte etwas von der Aura der Leinwandgrößen der 1930er und 1940er Jahre.

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Käthe Kaufmann - eine furchtlose Frau.

Sie war taff, energisch und vor allem familienverbunden. Und sie war eine Autopionierin, hier in ihrem Austro-Daimler vor dem Karlsruher Schloss Ende der 20er Jahre.

Das Foto steht heute bei Britta Wirtz in ihrem Büro der Messe Karlsruhe.

Was Käthe Kaufmann als Persönlichkeit ausmachte, war ihre große Selbstbestimmtheit. Dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben. Und so hat sie sich nicht unterkriegen lassen von den Umständen ihres Daseins. Weder von den vielen Umzügen, den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges, dem frühen Soldatentod ihres Bruders, der krankhaften Eifersucht und den kriminellen Energien ihres ersten Ehemannes noch ihrer Entscheidung, sich scheiden zu lassen. Stattdessen hat sie die Möglichkeit ergriffen, als eine der ersten Frauen in Deutschland ihre Fahrprüfung abzulegen und unabhängig am Steuer Europa zu erkunden. Sie hat ihre einzige Tochter nach dem Krieg ins ferne Norwegen auswandern lassen, kurz nachdem ihr zweiter Ehemann in Auschwitz ermordet wurde und Bomben das Hausdach in der Eisenlohrstraße trafen. Dies ließ sie sich nicht davon abbringen, mutigen Schrittes weiter, selbstbestimmt ihren Weg zu gehen. So besann sie sich nach dem Krieg auf ihre Stärken und gründete als Autodidaktin in der Karlsruher Weststadt eine Manufaktur für Damenoberbekleidung und bearbeitete sämtliche Schritte der Wertschöpfung: Sie entwarf die Kleidungsstücke, fertigte die Schnittmuster an, beschäftigte mehrere Nähmädchen, kaufte auf ihren Autofahrten durch Deutschland die Stoffe wie zum Beispiel Samt und Seide in Krefeld. Zuletzt verkaufte sie ihre Kollektion noch in der Karlstraße in ihrem eigenen »Mode-Pavillon«. Das halbrunde Schaufenster ist noch heute als markante 50er-Jahre-Architektur zu erkennen. Nicht zuletzt ihre Entscheidung, ihre Enkelinnen Kirstin und Vera ein Jahr aus der Schule zu »beurlauben«, sie in Karlsruhe alternativ mit Klavier- und Ballettunterricht privat in den Schönen Künsten zu beschulen und ihnen auf zahlreichen Autoreisen Europa zu zeigen, zeugen von ihrer besonderen Tatkraft.

Dass sie auch um ihre Rechte als Frau wusste und den Wert guter Ausbildung kannte, zeichnet sich in ihrem Lebensweg ab. Letztlich führte sie mutig und unnachgiebig über 24 Jahre den Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland, um Wiedergutmachung für ihren, durch die Nazis ermordeten Ehemann Ludwig, zu erlangen.

Die Lebensgeschichte meiner Urgroßmutter ist gezeichnet von Mut, Stärke, Kreativität und Selbstbewusstsein. Eigenschaften, denen ich hohen Respekt zolle.

Was heißt das für mich im heutigen Kontext? Zunächst ist es mir wichtig, dass man Mut haben darf. Dass es sich lohnt, für seine Rechte einzustehen. Dass man eigene Vorstellungen von seinem Leben haben darf. Dass man sich sein Leben nicht von den »Umständen« diktieren lassen, sondern selbst das Zepter des Handelns und Gestaltens in der Hand behalten soll. Gerade als Frau. Dabei ist Gleichberechtigung ein Thema, das mir ganz besonders am Herzen liegt. Und das, obwohl wir das Jahr 2019 schreiben, 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern und das Recht auf Gleichberechtigung verfassungsrechtlich abgesichert ist. Aber es ist noch lange nicht wirklich umgesetzt.

Die zusammengetragenen Dokumente, Akten, Geschichten und Anekdoten belegen, dass meine Uroma Käthe Kaufmann, genannt ›Oma Karlsruhe‹, klare Vorstellungen in ihren vielschichtigen Lebenslagen hatte und dabei immer furchtlos war.

Lassen wir uns darin von ihr anstecken!

Britta Wirtz

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Käthe Kaufmann, 1936 in Mühlburg.

Vorwort von Bernhard Wagner

Co-Autor und Recherchen-Jäger

Sicher war der Beginn nicht so: »Hey, lass uns mal zusammen eine Geschichte schreiben!« Vielmehr war es sowohl ein Ereignis als auch eine Fügung, dass ich Co-Autor für die Karlsruher Geschäftsführerin Britta Wirtz wurde.

Ich kannte die Karlsruher Messe-Chefin schon etliche Jahre durch pressemäßige Veranstaltungen. Nicht zuletzt aufgrund einer kleinen Anfrage an sie, ob sie eine Episode zu meinem 2014 erschienenen Werk »Im Reich der Rentiere« beisteuern könnte. Spontan sagte Britta Wirtz zu, mir eine Geschichte mit »einer Postkarte aus Kindertagen« zukommen zu lassen. Dabei handelte es sich um eine norwegische Postkarte, die Tausende von Rentieren in einer Seenlandschaft zeigt.

Ein Jahr später war dies schon Historie und der Pressetermin zur »offerta« 2015 – Ende Oktober – stand an. Am Rande eines Rundgangs mit den Medienvertretern sprach mich Britta Wirtz einfach direkt an: »Würden Sie auch eine Biografie schreiben?« Ich fühlte mich natürlich geehrt. »Um wen handelt es sich denn?«, fragte ich zurück. »Ich würde gerne die Lebensgeschichte meiner Uroma Käthe Kaufmann niederschreiben.« Biografie und Lebensgeschichte(n) – das fand ich spannend und so ganz anders als die Dinge, die ich bisher als Publizist und Journalist beackert hatte. »Geben Sie mir noch eine Woche Zeit – das muss ich mir reiflich überlegen.« »Aber bitte gerne, melden Sie sich einfach bei mir.«

Die Woche des Überlegens gestaltete sich vielfältig: Wie sollte eine Lebensgeschichte abgefasst sein? In welcher Form sollte das alles der Leserschaft serviert werden? Wären Perspektivenwechsel – als neutraler Beobachter, authentischer Zeitzeuge, zeitgeschichtliche Einstreuungen – sinnvoll? Nach Fakten-Checks schrieb ich eine E-Mail, dass ich dabei wäre. Wir vereinbarten ein erstes Treffen, bei dem die Karlsruher Geschäftsfrau ihre Vorstellungen zu den biographischen Lebensgeschichten erläuterte. Schnell wurde mir klar, dass die erforderlichen Recherchen sich nicht in einem Zeitraum von einem halben Jahr erledigen würden.

Als erstes stand ein Familientreffen bei Britta Wirtz im März 2016 an, bei dem mir jeder Rede und Antwort stand – von den Eltern mit Kirstin (Kissi) und Werner Wehrheim bis zu den norwegischen Schwestern von Kirstin, Vera und Irene. Die Disketten meines Speicheraufnahmegerätes waren entsprechend voll bespickt mit Erinnerungen, Daten und Fakten. Das ordnete ich danach entsprechend der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge passend zueinander. Auch Namen von möglichen weiteren Zeitzeugen fielen – etwa von einer Freundin von Kirstin Wehrheim – Helga Stojimirov. Diese lebt mit ihrem Mann in Ettlingen-Bruchhausen. Also erste Recherchen-Fahrt dorthin. Wieder eine voll bespielte Diskette. Nach den Zeitzeugen waren dann Archive dran. Stammgast war ich in den nächsten Jahren im Stadtarchiv Karlsruhe und Generallandesarchiv. Aber auch das KIT-Archiv Karlsruhe, das Diözesanarchiv in Freiburg, die Stadtarchive Offenburg, Mannheim, Schwetzingen sowie das Stadtarchiv in der Grimmelhausen-Stadt Renchen bei Achern lieferten mir wichtige personenbezogene Informationen zu Käthes Familie und Verwandtschaft.

Ein besonderes Erlebnis war die Begegnung mit der inzwischen 94-jährigen Brunhilde Lorenz in der Grimmelshausen-Stadt Renchen [Anm.: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen schrieb den berühmten Simplicissimus und gilt als der größte Dichter des 17. Jahrhunderts]. Brunhilde Lorenz ist nicht nur eine Grimmelshausen-Expertin, sondern auch Tochter von Albert Ihrig, der einen engen Verwandtschaftsgrad mit Käthe Kaufmann hatte. Ursprünglich waren für das Treffen etwa 15 Minuten eingeplant, heraus kam jedoch ein Gespräch von 1½ Stunden. Dieses in die Tiefe gehende Gespräch in einem musealen Haus mit einer einzigartigen Puppensammlung und einer mehrere Meter breiten und hohen genealogischen Karte zu den Verwandten des Dichters, war deshalb so aufschlussreich, weil Albert Ihrig u. a. im späteren Wiedergutmachungsprozess entscheidende Hinweise für die Arbeits-Bewertung von Käthes Mann Ludwig Kaufmann gab. Immer mehr vervollständigte sich mein »Käthe-Kaufmann-Puzzle«.

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Brunhilde Lorenz vor der großen genealogischen Karte.

Jetzt ging es ans »Eingemachte«. Details wie Käthes Schulbesuch in der Klosterschule in Offenburg (unzählige E-Mails gingen von Karlsruhe nach Offenburg zu Schwester Martina – Kennerin des Klosterlebens), oder Namen von Käthes genealogischen Wurzeln – wobei mir die Archive in Bretten und Schwetzingen wertvolle Hinweise lieferten. Hingegen gestalteten sich die Nachforschungen zu Käthes erstem Ehemann Wilhelm Dudeck als sehr zäh und äußerst schwierig. Dazu zapfte ich den Freundeskreis in Schneidemühl (heute Piła in Polen) an, schrieb E-Mails u. a. an das Landesarchiv in Berlin, Staatsarchiv Leipzig und den Heimatverein in Cuxhaven. Kleine Details – wie ein Hinweis der Bundesbank in Frankfurt – halfen mir bei der Bewertung des privaten wie geschäftlichen Verhaltens des ersten Ehemanns weiter.

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Britta Wirtz, Irene Bergmann, Vera GrØnneberg, Kirstin (Kissi) Wehrheim, Werner Wehrheim. Interview mit den Familienmitgliedern zu Oma Käthe am 4. April 2016. Diese nehmen die Sprecherrollen zu Beginn der Kapitel ein.

Aufgrund der Aktenlage bekam ich auch Einblick in das traurige Kapitel von Käthes zweitem Mann Ludwig, der Jude war und im KZ Auschwitz ermordet wurde. Auch an das dortige Museum schrieb ich und bekam Details mitgeteilt und sogar seltene Bilddokumente, die im Kapitel abgedruckt sind.

Dann war noch die Sache mit Käthes »Schlitten«, der auf dem Foto vor dem Karlsruher Schloss abgebildet ist. Doch um welche Automarke handelte es sich hierbei? War es eine amerikanische Limousine, französische oder gar deutsche der Extraklasse? Die E-Mails gingen von Karlsruhe zu den Archiven von Schoemperlen & Gast in Karlsruhe und zum Daimler-Benz Museum in Stuttgart-Untertürkheim. Doch alle Anfragen waren vergebens, es ließ sich der besondere »Schlitten« in den historischen Unterlagen nicht zuordnen. Schließlich kam ich als ADAC-Mitglied auf die rettende Idee und rief einfach in der ADAC-Zentrale in München an. Das war letztlich ein Volltreffer, wie sich herausstellte. Denn dort recherchierten die Auto-Spezialisten und kamen über einen österreichischen Autonarren zur besagten Automarke: es war nämlich das eher seltene Modell eines »Austro-Daimlers«, mit dem Käthe ihren Mann chauffierte.

Nach den immensen Informationen von Zeitzeugen aus Baden, Bayern und Norwegen, den historischen Bildern, Textmaterialien sowie Archivunterlagen ging es dann ans Auswerten und Zuordnen. Beispielsweise stellen die 150 Akten-Seiten über den Wiedergutmachungsprozess eine Fundgrube ersten Ranges dar. Doch beim Analysieren und Bewerten zeigte sich, dass Wörter, Sätze, Namen, Stellungnahmen mit höchster Behutsamkeit geprüft werden mussten. So etwa der Sprachterminus Ludwig Kaufmann sei »verstorben« oder »starb« im Krankenhaus des KZ Auschwitz, und das noch Anfang der 50er Jahre. Es galt vieles zu entwirren und zu einem neutralen Bild zusammenzufügen. Bei all dem umfassenden Recherchieren stieß ich allerdings an Grenzen, wenn etwa Unterlagen lückenhaft sind. Etwa beim Beschreiben der persönlichen Lebensumstände von Käthes erstem Mann Wilhelm Dudeck. Vieles konnte den Archiven entlockt werden, doch manches bleibt bis heute im Dunkeln und seine Spuren verlieren sich. Trotz intensiver, jahrelanger Recherchen – etwa die Schulzeit von Käthe im Kloster Offenburg – lässt sich diese nur anhand von historischen Beschreibungen einigermaßen rekonstruieren und zuordnen.

Rückblickend kann ich als Co-Autor sagen: Es hat Spaß gemacht im wörtlichen Sinne, es war ein Vergnügen, aus der vorhandenen Idee von Britta Wirtz eine umfangreiche Geschichte, die facettenreiche Lebensgeschichte ihrer Uroma mit zu realisieren und zu gestalten.

Bernhard Wagner

Kapitel 1 - Die Wohnung

Die Hübschstraße

Britta Wirtz: Sandsteinfassade mit sonnigem Wohnzimmer

Erinnerungen sind im Leben eines Menschen immer prägend. Für die einen sind es vergilbte Bilder, die auf dem Dachboden gefunden werden und ein Lächeln für die historischen Aufnahmen hervorzaubern. Andere können sich an Gemälden ergötzen. In Britta Wirtz’ Büro steht hingegen eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die eine forsche Dame in einem Luxusschlitten der 1920er Jahre vor dem Karlsruher Schloss zeigt. Jeden Tag erinnert die Foto-Rarität an ihre Uroma Käthe Kaufmann.

Mit dem Foto-Blick wandert der Sinn schnell in weitere Erinnerungen. Für die Karlsruher Geschäftsfrau sind es Orte und Häuser, die untrennbar mit dem Leben ihrer Uroma verknüpft sind. In Britta Wirtz’ Falle ist es das Haus in der Hübschstraße in der Weststadt, in dem sie als Kind häufig zu Besuch war. Doch was lässt das Ganze so lebendig werden? War es das ganz besondere Treppenhaus, die Wohnungseinrichtung, die Person »Käthe«? Die Antwort: Es ist weit mehr als die einzeln genannten Teile. Nicht zuletzt ist es der Ort voll von Erinnerungen und an das vielfältige Leben von »Käthe«.

»Die ersten Erinnerungen, die ich an die Begegnungen mit ihr hatte, stammen aus den 1970er Jahren: Ich wohnte damals mit meinen Eltern Kirstin und Werner Wehrheim und meinem Bruder Michael wohl behütet in Kronberg im Taunus. Meine Urgroßmutter, Käthe Kaufmann, wohnte zu dieser Zeit in Karlsruhe. Wir besuchten sie regelmäßig in der Hübschstraße – oder sie besuchte uns zu Hause. Beides sind bis heute Begegnungen mit Erinnerungswert geblieben.

Präsent ist mir, dass wir oft im Frühsommer zu ihr nach Karlsruhe fuhren, um sie zu besuchen. Für uns Kinder – mein Bruder Michael, ist ein Jahr älter – war das stets ein Erlebnis. Von der Rücksitzbank unseres Audi wussten wir, dass wir in Karlsruhe angekommen waren, wenn wir das große Wertkauf-Gebäude und das Möbelhaus »Mann« direkt an der Autobahnabfahrt sahen. Weiter ging es stadteinwärts über die Kriegsstraße in Richtung Weststadt. Der Name Kriegsstraße hat mich damals irritiert, wurde doch das ›K‹ etwas übermäßig betont, so dass es sich nicht wirklich nach Krieg anhörte, was es jedoch schlussendlich bedeutete. Aus dem Rückfenster des Audi kamen mir die hohen, häufig dunkelroten Sandsteinfassaden dieser Straße mit ihren Gesimsen und Balkonen in Kombination mit diesem Namen, bedrohlich vor.

Besser wurde es in der Hübschstraße, die von der Kriegsstraße rechts abzweigt. Hier hatten die Häuser helle Putzfassaden, abgesetzt mit gelbem Sandstein, sowie kleine Vorgärten, die mit bunten Blumen, Rosen und kleinen Büschen angelegt waren. Auch im Haus ging es hell und freundlich zu. Große Fenster, helle Wände und ein knarzender Parkettboden zogen sich von Zimmer zu Zimmer. Aus kindlicher Perspektive hatte sich bei mir ein langer Flur in der Wohnung eingeprägt. Würde man das ganze Ensemble heute virtuell einfangen wollen, so käme zunächst links ein großes, sonniges Wohnzimmer mit Fischgrätparkett mit doppelflügeligen, weißen Türen. Vor dem Übergang in das Esszimmer befand sich ein großer, grüner Kachelofen und eine verzierte Truhe mit geschnitzten Löwen- und Affenköpfen wohl aus dem 16./17. Jahrhundert. Hinter Vorhängen standen Bücherregale, die auch zahlreiche Geschäftsunterlagen bargen. Im angrenzenden eleganten Esszimmer dominierte ein Esstisch, der Platz für gut und gerne zehn Personen bot. Auf der Fensterbank quietschte Wellensittich Putzi fröhlich vor sich hin. Auf dem Balkon, der zur Straßenseite ging, befanden sich Sitzmöbel der 60er Jahre in der gleichen Machart, die ich heute noch im Stadtgarten entdekke. Ein weißes Drahtgestell mit halbhoher Rückenlehne. Quadratische Gitterverstrebungen auf der Sitz- und Rükkenfläche verleihen dem Sitzmöbel die unverwechselbare Optik. Bei meiner Uroma kamen – anders als im Stadtgarten – schwarz-weiße Polsterauflagen dazu, die an Zebrafell erinnerten. Und dann gab es noch – das war für uns Kinder besonders faszinierend – eine Gäste-Toilette, in der man mit Hilfe einer langen Stange ein kleines Fensterchen öffnen konnte.

Die Küche war eher schmal und führte zum Innenhof. Ein kleiner Sitzbalkon mit schmiedeeisernem Geländer lud hier zum Pausenkaffee im Schatten ein.

Schließlich gab es noch das Schlafzimmer, das man als Kind nicht betreten durfte. Gerade dieses Verbot machte es für uns besonders faszinierend. Kein Wunder, dass ich mich das eine oder andere Mal hineingeschlichen habe, um die sensationellen Medizinaufstellungen zu betrachten. Denn ›Oma Karlsruhe‹, Käthe, war an Altersdiabetes erkrankt und bekam täglich Insulinspritzen. Leider bedeutete diese Erkrankung auch das Aus für das eigenständige Wohnen in der Hübschstraße. Infolge einer Amputation des Unterschenkels musste sie als Pflegefall in ein Altenheim in der Südweststadt übersiedeln.«

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Käthe und Trude, ca. 1930.

Eisenlohrstraße 30 – von 1944 bis 1969

Erinnerungen von Helga Stojimirov (geb. Schilling): »Manchmal träume ich des Nachts von dieser Wohnung«

Die Familie Schilling wohnte im zweiten Stock des Hauses Eisenlohrstraße 30. Über die Jahre entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Schillings und der Familie Kaufmann, die bis heute zwischen der Tochter Helga Schilling (verheiratete Stojimirov) und der Enkelin von Käthe Kaufmann, Kirstin Wehrheim (Kissi), besteht.

Für Helga war das Haus und die Wohnung ein Ort mit wohlfühlenden Erinnerungen, in denen Erlebnisse und Begebenheiten mit Käthe Kaufmann aufeinander prallten.

»Die Fenster sind die Augen der Häuser«, beschrieb einmal der französische Schriftsteller Jules Amédée Barbey d’Aurevilly. Doch für Helga war es nicht nur die Fassade jenes Hauses, in der sie glückliche Jahre verbrachte. Es war ihr Zuhause, ein Teil davon war das familiäre, nachbarschaftliche Zusammenleben mit Käthe Kaufmann.

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Käthes Tochter Trude Bergmann, geborene Dudeck, auf dem Balkon in der Eisenlohrstraße 30, nach Kriegsende 1949.

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Heute – Die Eisenlohrstraße 30.

»Es war im Jahre 1957/58, als unsere inzwischen sechsköpfige Familie eine größere Wohnung brauchte. Da erfuhren wir, dass in der Eisenlohrstraße 30 eine große Wohnung frei wird. Diese haben wir dann bekommen und sind dort eingezogen.« Dass die erste Begegnung mit Käthe Kaufmann – wider Erwarten – ganz positiv verlief, lag an der »Wellenlänge« zweier gestandener Frauen. Einmal die Mutter von Helga, Ruth Schilling, und auf der anderen Seite Käthe Kaufmann.

»Als wir die Wohnung bekommen haben, hat man uns nämlich von Käthe Kaufmann erzählt, dass sie eine energische Person und nicht ›so einfach‹ sei. Man hat uns zwar nicht gewarnt, aber Romanhaftes über sie erzählt. Dann hat meine Mutter Ruth gesagt – sie war ja selbst eine energische Person – ›da habe ich kein Problem damit‹! Doch beim Einzug haben wir vier Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren – Doris, Horst, Helga (ich, damals 15 Jahre) und Ute (13 Jahre) – uns schon unsere Gedanken gemacht. Unser Tenor: Lassen wir uns mal überraschen, was da auf uns zukommt mit der Frau Kaufmann. Und was war? Wir haben sie kennengelernt als sehr sympathisch – wir waren gleich auf derselben Wellenlänge. Zudem: Meine Mutter war im Grunde genommen der gleiche Charakter. Wir haben uns dann so gut verstanden, dass sich daraus eine tiefe Freundschaft entwickelte.