Giacomo Leopardi: Gedichte

 

 

Giacomo Leopardi

Gedichte

 

 

 

Giacomo Leopardi: Gedichte

 

Übersetzt von Robert Hamerling

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

ISBN 978-3-7437-0094-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-603-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-604-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Florenz (Piatti) 1831. Erweiterte Fassung: Neapel (Starita) 1835. Hier nach der Übersetzung in den Versmaßeb des Originals von Robert Hamerling, Leipzig, Verlag des Bibliographischen Instituts, 1865.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Vorwort

Es wird dem deutschen Publikum hier die erste vollständige Übertragung der Gedichte Giacomo Leopardis geboten, eines Dichters, den man als den größten Lyriker der Italiener nach Petrarca betrachten darf, der aber groß war in dem Sinne, wie es Dante und Michel Angelo waren: wie diese Beiden schien er geboren, um zu beweisen, daß dem Mutterlande des Schönen auch das Große, das Kühne und Gewaltige nicht versagt blieb. Gewissenhaft und genau hat der Übersetzer in den eigentlichen Canzonen die ungemein capriziösen Reimverschlingungen des Originals im Deutschen nachgebildet. In denjenigen Gedichten, in welchen der große, wir möchten sagen hellenische Geist Leopardis die Grenzen seines Idioms und seiner heimischen Dichtweise sprengen zu wollen schien, und, müde des wohlgeordneten, strophisch-wiederkehrenden Reimgeklingels, in freieren Rhythmen sich erging, den Reim nur aufnehmend, wo er sich eben darbot, behandelte natürlich auch der Übersetzer den letzteren mit größerer Willkür.

Die Schuld der Übertragung kann es nicht sein, wenn die Versmaße des Originals dem deutschen Leser nicht sogleich vertraut und gefällig ins Ohr klingen, eben so wenig als sie es zu verantworten hat, wenn im deutschen Gewande jene Trostlosigkeit der Weltanschauung noch schärfer hervortritt, die den Grundton der Leopardischen Gesänge bildet, und die neben der Rücksicht, die man einer großartigen Denkart und einer eisernen Consequenz nicht versagen kann, doch vornehmlich der Adel des Ausdrucks und der bestechende Reiz des italienischen Idioms erträglich macht. Der Weltschmerz ist in der italienischen Literatur eine seltene Erscheinung, wo er aber hervortritt, nimmt er die Gestalt einer nackten und kühl-sarkastischen Verzweiflung an, während der deutsche Skeptiker bei aller Kühnheit des Denkens auch in der Nacht des Zweifels, im Groll mit Gott, wenigstens auf Augenblicke sich jener idealen Herzensregungen nicht entschlagen kann, die einen Zug des germanischen Wesens bilden. Man denke an Heine, an Lenau.

Aber vielleicht ist der Pessimismus Leopardis dem deutschen Geiste und Wesen näher gerückt, seit der Philosoph Arthur Schopenhauer ein Mann der Mode geworden. Zum mindesten wird das deutsche Publikum aus dieser Übertragung Leopardis erfahren, daß der Pessimismus älter ist als die Schopenhauer'sche Philosophie. Schopenhauer hat in dieser Beziehung nur fast wörtlich wiederholt, was Leopardi in allen seinen Gesängen aussprach, und er selbst bemerkt in seinem Aufsatze über die Nichtigkeit des Lebens ausdrücklich über Leopardi Folgendes: »Keiner hat diesen Gegenstand so gründlich und erschöpfend behandelt als Leopardi. Er ist von demselben ganz erfüllt und durchdrungen; überall ist der Spott und Jammer der Existenz sein Thema; auf jeder Seite seiner Werke stellt er ihn dar, jedoch in einer solchen Mannigfaltigkeit von Formen und Wendungen, daß er niemals Überdruß erweckt, vielmehr durchweg unterhaltend und anregend wirkt.« –

Über die Lebensverhältnisse des Dichters wollen wir in Folgendem einem vertrauten Freunde des Dichters, Antonio Ranieri, das Wort lassen.

Der Graf Giacomo Leopardi wurde am 29. Juni 1798 zu Recanati, einer Stadt der Mark Ancona, geboren. Nur bis zum vierzehnten Jahre genoß er Unterricht, später hatte er keinen Lehrmeister als die umfassende Bibliothek seiner Väter. Er eignete sich von selbst die Kenntnis nicht blos des Französischen, Spanischen und Englischen, sondern auch die des Griechischen und des Hebräischen an, in welch letzterem er es so weit brachte, daß er darin mit einigen gelehrten Hebräern aus Ancona disputiren konnte.

Zwei Elemente, die fast unvereinbar scheinen, bilden das Genie: reiche schöpferische Phantasie und hohe Verstandeskraft. In der Seltenheit der Vereinigung dieser beiden Elemente und in der Häufigkeit ihres gesonderten Bestehens liegt die Ursache der Seltenheit wahrhaft großer, und der Häufigkeit mittelmäßiger Talente. Bei Leopardi, in welchem jene Verbindung in hohem Maße lebendig war, gesellte zu den beiden Elementen sich ein drittes: die Krankheit, der Schmerz, dieser unerklärbarste Teil des Mysteriums der Schöpfung. Die Frage nach der Lösung dieses Rätsels ist der herrschende Gedanke seiner Schriften. In ihm vereinigte sich, wie kaum jemals in einen andern Menschen, das höchste der Güter, gewaltige Geisteskraft, mit dem empfindlichsten aller Übel, dem Schmerze. Er bediente sich des ersteren, um dem letzteren Ausdruck zu geben. Er sang, so zu sagen, die Hölle mit den Melodien des Paradieses.

Leopardi begann seine tiefen Studien mit der griechischen Welt. Bis zu einem unglaublichen Grade hatte er in sich die Vertrauteit mit Sprache und Literatur der göttlichen Hellenen ausgebildet. Er gestand sogar, daß sein Denken sich ihm in griechischem Ausdruck lebendiger und klarer gestalte, als im lateinischen und selbst im italienischen. Von seinem zwölften bis zum sechsundzwanzigsten Jahre sammelte er einen Schatz griechisch-lateinischer Gelehrsamkeit. Ein Beleg dafür ist sein Versuch über den Volksaberglauben der Alten (Saggio sopra gli errori popolari degli antichi). Überdieß brachte er eine große Menge von kritischen Noten, Übersetzungen und Commentaren aller Art zu Papier über viele alte Autoren, wie über Plato, Dionysius von Halicarnaß, Fronto, Demetrius Phalereus, Theon den Sophisten und Andere. Ganz besonders erstaunlich aber ist seine Sammlung von Fragmenten aus 55 Kirchenvätern. Diese und viele andere nicht minder wichtige philologische Manuscripte vertraute er im Jahr 1830 zu Florenz dem deutschen Philologen Ludwig von Sinner, gegenwärtig Professor in Paris, der davon nur einige kleine, aber gewissenhaft redigirte Proben veröffentlicht hat (Excerpta ex schedis criticis Jacobi Leopardii, comitis. Bonnoe 1834).

Im Alter von vierzehn Jahren wurde er schon als ein Phänomen außerordentlicher Gelehrsamkeit von heimischen Philologen anerkannt, und später wurde dieß Urteil von auswärtigen, namentlich deutschen Gelehrten bestätigt. Niebuhr verkündete in der Vorrede zu den Gesängen des Flavius Merobaudes den jungen italienischen Philologen der deutschen Gelehrtenwelt als ein hervorragendes Licht; von Waltz wird er als vir in his litteris inter Italos facile princeps bezeichnet, und der gelehrte Theologe Thilo in Halle widmete ihm seine vortreffliche Ausgabe der Hymnen des Synesius. Auch Bothe, Creuzer, Boissonade und Andere nahmen von Leopardi auszeichnende Kenntnis.

Leopardi schrieb in griechischer, lateinischer und alt-italienischer Sprache so gewandt, daß seine Versuche in diesen Sprachen von Gelehrten für alte Texte genommen wurden. Aber die echte und spontane Form, in welcher dieser hervorragende Geist sich aussprach, blieb doch seine Muttersprache. In dieser löste er das Problem, Alles in schlichter Reinheit und doch ergreifend auszudrücken, und zeigte, daß der wahrhaft große Schriftsteller Beherrscher und nicht Untertan der Sprache ist. Niemals kann ein Idiom den Zwecken eines Dichters sich williger gefügt haben, als das italienische sich diesem Unvergleichlichen fügte. Kräftig und kühn in den ersten Regungen des Unmuts, die der Schmerz, den er im eigenen Leben wie im Leben des Universums herrschend fand, in ihm erweckte, trotzig und furchtbar in der Verzweiflung, der er sich später überließ, nachdrucksvoll bei außerordentlicher Einfachheit im Hinbrüten einer lebensmüden Resignation, die ihn zuletzt überkam, versinnlichte seine Ausdrucksweise zu gleicher Zeit die Mannigfaltigkeit, die Einheit und die Vollendung des universellen Lebens selbst, sagte Alles in allen Arten, in welchen es gesagt werden konnte.

Außerdem bestand der Zauber seines poetischen und seines prosaischen Stils in der treffenden Wahl des Ausdrucks und in der Wortanordnung. Er entlehnte das Kunstmäßige des Stils vom sechzehnten, die Einfachheit vom vierzehnten Jahrhundert, die Eigentümlichkeit des Colorits aber zunächst von den Griechen, dann von seinem Jahrhundert und von der eigenen Individualität, die ja am Ende bei jedem Schriftsteller das Maßgebende bleibt. Pflegte er doch trotz der großartigen Studien, die er gemacht, zu sagen, daß der Schriftsteller, wenn er die Feder ergreift, alle Bücher und alle Wissenschaft der Welt vergessen und einzig darauf bedacht sein muß, einen reinen und spontanen Ausdruck seines Denkens zu geben.

Er hielt eine treffliche Prosa für weit schwieriger als treffliche Verse; die Poesie, pflegte er zu sagen, gleiche einer prächtig geschmückten, die Prosa aber einer unverhüllten Frauengestalt. Und da er sich wohl bewußt war, daß er mit der Feder in der Hand Alles vermochte, so schien er mit den sprödesten Schwierigkeiten der italienischen Prosa gleichsam nur sein Spiel zu treiben.

Doch es ist Zeit, daß wir von der geistigen Wesenheit unseres Dichters zu den Verhältnissen seines äußern Lebens übergehen. Geboren auf der Spitze eines Berges – auf Bergspitzen versetzte das alte Picenum am liebsten seine Städte – als Glied einer Familie, in welcher edle Sitte und Religiosität herrschend war, bildete die väterliche und brüderliche Zärtlichkeit, der Himmel, die Gestirne, der aus den Fluten sich erhebende Mond und die hinter die fernen Joche des Apennins hinabsinkende Sonne seine ersten Eindrücke, seine ersten Entzückungen. Er bereitete sich auf das Leben vor wie auf einen Festtag; das erste Erwachen seines Gefühls segnete dankbar die Natur und die Menschheit, die ihm so schmeichelnd entgegenkamen. Später aber, als sein vorgerückteres Alter und die übergreifende Hoheit seines Geistes mehr von der Größe der Mitbürger als von dem Wohlwollen der Verwandten heischte, und das unheilbare Übel, das ihm zuletzt den Tod brachte ihm Mark und Gebein so tief durchdrungen hatte, daß der Schnee des Gebirges ihm nicht länger erträglich war, da erst, in der Bitterkeit seiner Schmerzen, nannte er sich verraten von denselben Menschen und von derselben Natur, die er gesegnet hatte, verachtete jene und verwünschte die letztere, und obgleich ihm der Gedanke des Abschieds von seinen Lieben Tränen in die Augen trieb, blieb es doch sein beständigstes Verlangen, seine Heimat zu verlassen und anderswo zu leben.

Von so lebhaftem Drange getrieben, kam er im November des Jahres 1822 nach Rom, wo er sich in die Codices der Barberianischen Bibliothek vertiefte. Der vierundzwanzigjährige Philologe sah sich hier aufgesucht und geschmeichelt von den bedeutendsten ausländischen Gelehrten, die sich damals in der ewigen Stadt aufhielten. Der berühmte Niebuhr verkündete der Welt, wie schon erwähnt, die künftige Große seines jungen Freundes, und im Namen des gelehrten Deutschlands, das er in so würdiger Weise vertrat, bot er demselben vergebens in Preußen an, was das unglückselige Italien ihm nicht vergebens angeboten hatte, aber niemals anbot – einen Lehrstuhl der griechischen Philosophie. Später, einsam umherirrend, verkehrte er mit den schweigenden Ruinen, betrauerte die hingeschwundene Größe. Im Mai des Jahres 1823 zog er sich düster und schweigsam wieder in die Einsamkeit seiner Heimatstätte zurück.

Zwei Jahre lang lebte er nun wieder, während die unerbittliche Natur den tödtlichen Keim in ihm unaufhaltsam weiter entwickelte, seiner schmerzlichen Sehnsucht, seinen vergeblichen Hoffnungen, und er dünkte sich wie den Klauen des Todes entronnen, als er im Juni 1825 einem Ruf des Buchhändlers Stella nach Mailand folgen konnte, der ihm Aussichten eröffnete, die Schätze seiner Gelehrsamkeit zu verwerten. Die Vorhersagung und der Beginn einer ungewöhnlich strengen Winterkälte trieben ihn aber von dort nach Bologna. Hier wurde ihm der Trost einer gastfreundlichen Aufnahme, eines regen und herzlichen Verkehrs zu Teil, und angenehm beschäftigte ihn zugleich die Drucklegung seiner Poesien, die daselbst, sowie seiner prosaischen Versuche, die in Mailand herausgegeben wurden. Einen kurzen Ausflug nach Ravenna abgerechnet, verweilte er zu Bologna bis zum November des Jahres 1826, worauf er wieder nach Recanati zurückkehrte.

Aber jener unerfaßbare, fast übermenschliche Schmerz, der Anfang und Ende von Leopardis ganzem Wesen war, ließ ihn niemals unter den Annehmlichkeiten des Familienlebens zur Ruhe kommen. Aus dem Abgrunde dieses Schmerzes herauf schmachtete er, dem Instinkte folgend, welcher der menschlichen Gattung eingeboren ist, nach eben demselben Glücke, dessen Eitelkeit und Nichtigkeit er selbst in Wort und Schrift immer verkündigte. Und immer dem vor ihm herflüchtenden Wahngebilde nachtrachtend, verließ er neuerdings das Asyl, wohin er, an jenem Glücke verzweifelnd, sich zurückgezogen hatte. Im April 1827 begab er sich wieder nach Bologna und zwei Monate später nach Florenz.

Dort erschloß sich seinen Augen ein neuer Horizont, ein Schauplatz, der nicht römisch, nicht lombardisch, sondern noch schöner und reizender war und dabei doch immer einen echt italienischen Charakter an sich hatte. Die Gärten der Blumenstadt, die melodische Mundart, die unbeschreibliche Anmut der Frauen, die Milde der Staatsregierung, die schlanken, ätherischen Curven der florentinischen Architektur, ein gewisses einschmeichelndes und trauliches Wesen, dann wieder eine gewisse attische Feinheit und Grazie, die er bisher nur als ein Ideal geträumt, – das Alles wiegte sein Gemüt in einen angenehmen Traum, so daß er ein halbes Jahr lang seiner Bedrängnisse vergaß und von neuem an menschliche Glückseligkeit zu glauben anfing. Und als er im November Pisa besuchte, vereinigten auch hier sich die friedliche Stille des Ortes, die anmutig erheiterte Einsamkeit, die warme, fast orientalische Sonne des Winters und des darauffolgenden Frühlings, ihm einen frischen Hauch des Lebens einzuflößen. Im Juni des nächsten Jahres kehrte er nach Florenz zurück, und, noch lebhafter als Alfieri beklagend, daß nicht die ganze Welt ein Toscana sei, suchte er, getrieben von der Melancholie des Späterbstes, seine Heimat Recanati wieder auf.

Hier in dem furchtbar strengen Winter von 1829–30 fühlte er zum letzten Male die Seufzer auf seinen Lippen und die Tränen in seinen Augen zu Eis verwandelt. Er sang sich in den »Erinnerungen« einen Grabgesang, ließ aber demselben im nächsten Frühling doch noch ein »Wiedererwachen« folgen. Und nachdem er zum letztenmal seine teuren Eltern, seine Brüder (darunter seinen Carlo, der ihm mehr als Bruder, der ihm Freund war) und seine wahrhaft engelgleiche Schwester Paolina ans Herz geschlossen, riß er sich mit Schmerzen von ihnen los – er sollte sie niemals wiedersehen.

Er reiste wieder über Bologna nach Florenz, in der Absicht, sich dort auf unbestimmte Zeit niederzulassen. Es fand sich damals in dieser gastlichen Stadt, teils durch eigene Wahl, teils durch Verkettungen des Schicksals vereinigt, was von verdienstvollen und geistig hoch begabten Männern zu jener Zeit das unglückselige Italien sein nannte. Eine Art von edler Fremdenkolonie schloß sich an die einheimischen Größen: G. B. Niccolini, Gino Capponi und Giuliano Frollari. Leopardi sah sich bald mit jenen Fremden wie mit diesen Einheimischen durch die Bande der wärmsten Freundschaft fest verknüpft; den »toscanischen Freunden« sind seine Gesänge wie seine prosaischen Schriften in der schönen Ausgabe gewidmet, die er eben davon veranstaltete.

Aber weder die Freundschaft, noch der Frühling oder der Sommer, noch die Reize Toscana's vermochten die stiefmütterliche Feindseligkeit der Natur zu besänftigen, die ohne Mitleid in der Zerstörung des zartesten und empfindlichsten ihrer Geschöpfe fortfuhr. Leopardis Übel war unbestimmbar; an den tiefinnersten Wurzeln seines Daseins haftend, blieb es ein Rätsel wie das Dasein selbst. Die Knochen erweichten und zersetzten sich mit jedem Tage mehr und versagten dem hinsiechenden Fleische, das sie bedeckte, ihre von Anbeginn nur schwache Stütze. Das Fleisch selbst magerte ab, denn die Tätigkeit der Ernährungsorgane war nicht kräftig genug. Die Lungen, in einen allzu engen Raum gezwängt und zum Teil auch nicht völlig gesund, erweiterten sich nur mit Mühe. Mühsam auch entledigte sich das Herz der Lymphe; so war die Wiederaufsaugung matt und verursachte Beschwerden. Das Blut, das bei der mühsamen Atemholung sich nur unvollkommen erneuerte, schlich langsam, kühl und farblos durch die Adern. Mit einem Worte, der ganze geheimnisvolle Kreislauf des Lebens, der sich so mühselig bewegte, schien von einer Stunde zur andern für immer stille stehen zu wollen. Vielleicht hatte die Gehirnmasse dieses Hauptes, der Ausgangs- und Endpunkt des Kreislaufs, alle Lebenskräfte mit allzu vorwiegender Gewalt an sich gezogen und aufgesaugt, um für sich allein und in kurzer Zeit das zu verbrauchen, was für lange Zeit und für das Ganze hatte genügen sollen. Wie dem auch sein mag, Leopardis Leben war schon nicht mehr, wie bei allen Menschen, ein Gang, sondern ein Lauf, ein Sturz gegen das Grab hin.