Titelbild

Umschlaggestaltung: Walter Typografie & Grafik, Würzburg

unter Verwendung einer Illustration von Anna-Lena Kühler

Textillustrationen: Anna-Lena Kühler

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© 2020, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-50284-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

27. Dezember

Schnoerkel

Guten Tag, liebes neues Tagebuch. Da bin ich wieder. Obwohl, du kennst mich ja noch nicht, du bist schließlich neu. Ich habe dich zu Weihnachten geschenkt bekommen, weil mein letztes Tagebuch vollgeschrieben war. Neben dem Tagebuch gab es noch sehr hässliche Socken von Tante Thea, ein Trinkglas mit meinem und Zoras Namen und den Basispass. Natürlich nicht den Pass selber, sondern die Gebühr dafür. Den Basispass brauche ich, damit ich das Reitabzeichen machen kann. Deswegen habe ich mich darüber besonders gefreut. Denn ohne das Reitabzeichen kann man kaum Turniere reiten und deshalb muss man erst mal den Basispass machen.

Muss man sich eigentlich einem neuen Tagebuch vorstellen? Dann mache ich das mal: Ich bin Romi!

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Und ich habe ein Pferd. Das tollste, schönste und beste Pferd der Welt. Na ja, das schönste ist Zora vielleicht nicht immer. Sie kann sehr komisch gucken. Oft klappt sie die Ohren zur Seite und sieht dann aus wie eine Eule. Behauptet jedenfalls meine beste Freundin Celine. Celine ist einfach die coolste Person, die ich kenne – immer für mich da, und mit ihr kann man Pferde stehlen. Nicht wirklich, wir sind ja keine Diebe. Aber wenn ich wollte, könnte ich Celine anrufen und dann mit ihr welche klauen gehen.

Vielleicht ist Zora auch nicht das beste Pferd der Welt, weil sie gerne Sachen kaputt macht. Bei der Weihnachtsquadrille zum Beispiel. Da hat sie den Adventskranz von der Bande gerissen und sich darin festgebissen. Anschließend ist sie damit der Abteilung hinterhergelaufen. Alle Pferde bekamen Angst und ich war danach allein in der Halle, weil die anderen Reiter uns nicht mehr mochten und geflüchtet sind. Und beim Turnier haben wir auch keine gute Figur gemacht. Weil Zora Angst vor dem Tannenbaum hatte.

Trotzdem ist sie das tollste Pferd der Welt. Für mich. Das muss ja nicht jeder verstehen, aber dir, Tagebuch, habe ich es hiermit rechtzeitig gesagt. Nur damit nachher keine Unklarheiten entstehen.

Manchmal fragen mich Leute im Stall, warum ich denn DIE haben wollte. Ist doch wohl klar. Zora und ich sind ein super Team. Manchmal. Nicht immer. Aber mit einem anderen Pferd würde es viel zu schnell langweilig werden. Mit Zora ist immer was los.

Jetzt willst du wahrscheinlich wissen, wie mein Pferd aussieht, liebes Tagebuch. Ganz einfach: wie ich. Wir haben beide eine eher kurze braune Mähne, äh, Haare. Ist eigentlich dasselbe, heißt nur anders. Ich, weil ich keine Lust habe zu föhnen, und Zora, weil … aus ästhetischen Gründen. Oder so.

Wir haben beide dunkelbraune Augen und Zora hat rotbraunes Fell. Das habe ich natürlich nicht, aber wenn ich im Sommer braun werde, bekomme ich fast dieselbe Farbe. Nur die Blesse habe ich nicht, ist wohl auch besser so. Auch aus ästhetischen Gründen.

So, jetzt weißt du alles über mich und kannst nachvollziehen, was ich so den ganzen Tag erlebe. Natürlich ist das jetzt noch nicht so viel, weil man ja Weihnachten nicht im Stall, sondern bei seiner Familie verbringt. Darauf hat Mama bestanden. Habe heute vorsichtig angemerkt, dass Weihnachten vorbei sei. Deswegen fahre ich jetzt nämlich auch zum Stall.

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31. Dezember

Schnoerkel

Heute habe ich wieder gemerkt, dass Zora und ich uns sehr ähnlich sind. Ich war nämlich beim Stall, um zu gucken, ob Zora gut versorgt ist. Um Mitternacht wird ja geböllert. Und ich habe ein bisschen Angst vor Silvesterknallern, seit mein Cousin einen „Goldregenblitz“ in meine Richtung geworfen hat.

An Silvester drehen die Leute gerne mal durch und zünden schon tagsüber Raketen. Zora fand das Geknalle rund um den Stall überhaupt nicht lustig. Immer wieder erschrak sie. Und ich auch. Da standen wir dann also am Putzplatz und zuckten zusammen. Muss sehr lustig ausgesehen haben, aber außer uns war kaum jemand da.

Celine macht mit ihren Eltern Skiurlaub und Ramona habe ich schon verdächtig lange nicht mehr gesehen. Ramona hat mich im zurückliegenden Jahr im Stall ständig geärgert und Unsinn über mich und Zora erzählt. Ich vermisse sie also nicht.

Nur Herr Albrecht, mein Reitlehrer und der Stallinhaber, war da und ritt ein Schulpferd.

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Das mache er über die Weihnachtsfeiertage immer, hat er mir erklärt. Man müsse sich schließlich vergewissern, dass die Schulpferde auch ordentlich geritten würden. Das können Reitanfänger ja noch nicht.

„Möchtest du dich anschließen?“, fragte er mich.

„Ich wollte nur ein bisschen Schritt reiten“, sagte ich.

„Das ist auch klüger. Bei dem Krach da draußen werden ja selbst die bravsten Pferde verrückt.“

Da war mir gleich etwas wohler, weil ich mir nicht mehr wie ein Feigling vorkam. Ich schwang mich also auf Zoras Rücken, ließ die Zügel lang und ritt ein bisschen in der Halle Schritt. Herr Albrecht trabte noch ein letztes Mal, dann lobte er sein Pferd und steuerte den ersten Hufschlag neben mir an.

„Ist ja außer uns niemand da“, meinte er und zwinkerte mir zu.

Draußen gab es schon wieder einen lauten Knall. Zora zuckte und hob den Kopf. Immerhin stürmte sie nicht los. Das Pferd von Herrn Albrecht sah sich allerdings auch direkt um. Vermutlich mag kein Pferd die Böllerei.

„Die Dorfjungs können es nicht lassen“, meinte Herr Albrecht kopfschüttelnd. „Jedes Jahr muss ich hier aufpassen, dass mir keiner das Heulager anzündet.“

Welcher Superdepp macht denn so was? Ich werde Celine fragen, ob wir nicht nächstes Jahr im Stall bleiben wollen. Dann kann Herr Albrecht auch mal auf eine Silvesterparty gehen. Dieses Jahr kann ich allerdings nicht. Wir feiern bei Tante Thea, oje. Auch wenn ich da eigentlich nicht hinwill, kann ich jetzt nicht mehr absagen. Familiäre Verpflichtung und so. Außerdem würde ich mich ohne Celine so ganz allein nachts im Stall auch irgendwie doof fühlen, weil niemand da ist, mit dem ich reden kann.

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01. Januar

Schnoerkel

Silvester bei Tante Thea war blöd. Wer hätte das gedacht? ICH!

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04. Januar

Schnoerkel

Celine ist endlich wieder da.

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Heute im Stall überreichte sie mir ein Stirnband mit der Aufschrift „Garmisch-Partenkirchen“. Da war sie nämlich im Urlaub. Leider gab es keine Stirnbänder für Pferde, also bekam Zora nur eine Möhre (nicht aus Garmisch-Partenkirchen).

Celine holte ihre Reitbeteiligung an den Putzplatz: Snoopy, einen dicken Dülmener. Ich brachte Zora daneben unter, wir putzten und quatschten. Wie friedlich es im Stall sein kann, wenn Ramona nicht da ist!!

Plötzlich kam auch noch Simon mit seinem Pferd Peggy um die Ecke. Es sind Ferien, da kommt er immer hierher, denn eigentlich wohnt er nicht in der Gegend. Simon ist so ziemlich der beste Junge in meinem Alter (ich glaube aber, er ist ein Jahr älter), weil er Pferde mag und das nicht als „Mädchenkram“ abtut. (Was soll das überhaupt sein, Mädchenkram? Können nicht einfach alle das mögen, worauf sie Lust haben?) Außerdem macht er sich nichts aus Lästereien oder anderen Sachen, die ich auch nicht mag. Und Simon ist im Tierschutz aktiv, mit seiner Mutter, die Straßenhunde aus Rumänien aufnimmt. Ich habe auch schon mal mein Taschengeld zusammen mit Celine gespendet.

Simon wünschte uns ein frohes neues Jahr und fragte uns über Silvester aus. Am liebsten hätte ich exklusiv für ihn eine spannendere Geschichte erfunden, aber Celine hätte sofort gemerkt, dass ich lüge, sie kennt mich einfach zu gut. Also gab es für Simon die Kurzfassung: „Wir waren bei meiner Tante. Da darf man auf keinen Fall Spaß haben und nichts im Haus anfassen. Außerdem muss man Bleigießen machen und Karten spielen. Megaspannend.“

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Simon nickte mitfühlend. „Wir waren bei meinem anderen Opa in Hamburg und haben auch nichts gemacht. Nur mit Sekt angestoßen um zwölf. Davor und danach haben alle nur in den Fernseher geglotzt. Das große Silvester-Schlager-Festival.“ Er grinste schief. (Seinen anderen Opa kenne ich nicht, aber sein einer Opa ist Herr Albrecht, unser Stallbesitzer.)

Celine gewann haushoch mit ihrer Skigeschichte. In den Bergen, in einer Hütte mit Kaminfeuer! Wir hatten nicht mal Schnee. (Tante Thea behauptet, das liege daran, dass alle nur noch Unsinn auf der Welt treiben würden, vor allem, seit die Kinder freitags demonstrieren gingen und nicht in die Schule. Offenbar hat Tante Thea „Fridays for Future“ nicht verstanden, denn man geht ja auf die Straße, WEIL das Klima kaputt ist. Celine und ich waren auch schon da. Es ist schließlich wichtig!)

„Habt ihr Lust, auszureiten?“, fragte Simon.

„Jaaaa!“, verkündeten Celine und ich im Chor. Dann fiel uns ein, dass wir ohne einen Erwachsenen das Gelände nicht verlassen dürfen. „Neeeeiiin!“ Dass es bei mir jemand mitbekommt, ist unwahrscheinlich. Aber Celine ist ja „nur“ Snoopys Reitbeteiligung. Als wir das Simon erklärten, lachte er und nickte: „Sorry, hatte ich vergessen. Opa ist auch immer so empfindlich, wenn ich ausreiten will.“

„Vielleicht können wir ihn fragen“, schlug ich vor.

„Nee, der ist in der Eifel, er kommt erst heute Abend wieder.“

„Was macht er denn da?“, fragte Celine neugierig.

„Er hatte da die Jungpferde zum Anreiten. Jetzt, wo sie vier Jahre alt sind, kommen sie zurück und er bildet sie zusammen mit Isabell weiter aus. Ich glaube, er bringt drei oder vier Pferde mit. Zoras erstes Fohlen ist auch dabei. Ist richtig gewachsen. Er heißt Donnerschlag und sieht aus wie seine Mama.“

Wow. Ich bin soooo gespannt, wie Zoras Sohn wohl ist! Ob sie sich an ihr Fohlen erinnert? Nach ihm hatte sie ja noch eins, bevor ich sie geschenkt bekommen habe. Können Pferde sich so etwas merken? Da Isabell sich nicht mal Reiternamen merken kann, bezweifle ich das stark. Und Zora merkt sich nicht mal, in welcher Box sie wohnt. Das ist ihre neueste Masche. Wenn ich sie von der Weide hole, geht sie gerne an ihrer Box vorbei (egal, ob ich stehen bleibe) und versucht, in andere offene Boxen zu laufen. Vermutlich will sie nachgucken, ob da noch Futter drin ist. Zora hat immer Hunger. Ein bisschen wie ich.

Lange Rede, kurzer Sinn – am Ende übten wir zu dritt „Abteilung“ in der Halle. Das klappte so mittelmäßig, weil Peggy und Zora sich gar nicht leiden können. Zora giftet immer in ihre Richtung und Peggy giftet dann zurück. Jede Menge angelegte Ohren und gefletschte Zähne also. Peggy lässt sich von Zoras Getue jedenfalls nicht einschüchtern.

Snoopy ist so was völlig egal, der hält sich aus allem raus. Celine meinte dazu: „Er ist die Schweiz. Ihr seid mehr so ... Amerika und Russland.“

Ich war empört. Ich will nicht Russland sein. Da ist es kalt und alle schimpfen in den Nachrichten über einen. Allerdings stammt Zora tatsächlich aus Russland. „Spasiba“, sagte ich. Das heißt danke auf Russisch. Ich bin nämlich äußerst gebildet. (Eigentlich weiß ich aber nur, wie man eine Suchmaschine bedient.)

Peggy ist eher so Saudi-Arabien, weil sie ja ein Araber ist. Und mit allen zusammen spielten wir einen globalen Konflikt in der Halle nach. Etwas unfreiwillig. Auch wegen des Tannenbaums, der noch nicht weggeräumt wurde. Ich habe schon überlegt, ihn heimlich abzuschmücken. Vielleicht hat Zora ja bloß eine Lamettaintoleranz.

Ansonsten verlief unsere kleine Übung aber gar nicht mal schlecht. Also kann ich zufrieden sein. Mann, bin ich jetzt aufgeregt! Morgen lerne ich Zoras Sohn kennen!!!

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05. Januar

Schnoerkel

Wow. Was für ein Tag! Eigentlich fing er superklasse an. Blöderweise hat mein Vater dann begonnen zu heimwerken. Ich weiß nicht, warum er am späten Nachmittag auf die Idee kam, ein Schuhregal zusammenzubauen. Heimwerken funktioniert bei uns so: Ich muss das Licht oder die Werkzeuge halten und mein Vater flucht laut und schlimm, und hinterher muss ich schwören, dass ich keines dieser Worte je in Mamas Gegenwart benutzen werde.

Jedenfalls haben wir immer noch kein Schuhregal. Stattdessen liegen jetzt diverse Holzklötze, eine Bauanleitung und Werkzeuge in unserem Flur. Der Haussegen liegt irgendwo daneben. Mama und Papa haben sich nämlich tierisch darüber gestritten.

Ich bin platt für heute.

Morgen mehr!

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06. Januar

Schnoerkel

Donnerschlag!

Was soll ich sagen? Er ist ein tolles Pferd, sieht aus wie eine größere und breitere Version seiner Mama. Außerdem hat er was von einer Bulldogge. Natürlich keine platt gedrückte Schnauze! Er ist eher kräftig. Wie ein Bodybuilder. Er kam schon mit lautem Gepolter am Stall an, hat Herr Albrecht gestern erzählt. Hat geschrien und getobt und gegen die Trennwand des Hängers geschlagen.

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Celine und ich durften ihn in der Halle beobachten. Wir waren ganz hin und weg! Herr Albrecht hatte die Tür zugemacht und ließ dort zwei Pferde laufen. Es war völlig klar, welches Zoras Sohn war: Erst lief Donnerschlag gar nicht (das macht Zora auch gern, sie läuft los, wenn sie nicht soll, und wenn sie soll, steht sie wie ein Baum) und dann schoss er plötzlich zur anderen Seite der Halle und wieherte laut.

„Die beiden glauben manchmal noch, sie seien Hengste und müssten zeigen, wer der Herr im Haus ist“, erklärte Herr Albrecht.

Alle waren neugierig. Außer uns waren Isabell – seine Schwiegertochter und Reitlehrerin auf dem Falkenhof –, drei Reitschulkinder, zwei von den erwachsenen Einstellern und der Postbote an der Halle. Der Postbote wollte vielleicht nur ein Paket abgeben, sicher war ich mir da nicht.

„Wieso sind die denn so aufgeregt?“, fragte Celine Herrn Albrecht.

„Na, die sind doch ganz neu hier. Die kennen so einen großen Stall gar nicht. Sie müssen sich erst eingewöhnen, bevor wir mit ihnen arbeiten können.“

Das habe ich auch schon mal gelesen. Man soll Pferden Ruhe gönnen, wenn sie in einen neuen Stall kommen. Also das Gegenteil von dem, was Ramona damals gemacht hat, als sie ihr neues, zweites (!) Pferd Lady Love bekam. Sie wollte sofort reiten und Lady Love hatte richtig Angst, das haben ihr alle angesehen.

Herr Albrecht macht das auf jeden Fall besser. Trotzdem musste Donnerschlag kurz demonstrieren, wessen Fohlen er ist. Er galoppierte vom hinterletzten Ende der Halle plötzlich los, wie von der Tarantel gestochen, und stürmte auf die Hallentür zu. Die ist größer als ich, aber oben halt offen. Wie ein großes Hindernis beim Reiten.

Das störte ihn gar nicht, er sprang einfach drüber. Obwohl er noch kein Springen gelernt hat! Wir erschraken uns alle total und sprangen beiseite – auch wie von der Tarantel gestochen. Herr Albrecht meinte nur: „Okay, wird wohl ein Springpferd.“

Celine und ich mussten ein bisschen kichern. Das machten wir aber lieber erst, als Herr Albrecht weg war. Der ist da sehr empfindlich. Ich bin wahnsinnig gespannt, was passiert, wenn Zora und Donnerschlag aufeinandertreffen … Ich glaube, danach brennt der Stall und beide haben die Futterkammer ausgeraubt.

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09. Januar

Schnoerkel

Die Schule hat wieder angefangen. Igitt und oje. Pünktlich dazu habe ich erst mal Schnupfen bekommen, aber ich bin trotzdem hingegangen, weil ich ja auch noch in den Stall will. Und außerdem habe ich mit meinen Eltern den Deal, dass ich gute Noten schreibe, dafür, dass ich Zora haben darf. Jetzt bin ich also immer unter Zugzwang. Allerdings habe ich meine Mutter schon mal sanft darauf vorbereitet, dass ich eventuell eine schlechte Note in Chemie bekomme. Wir haben nämlich ein Experiment mit Rohrreiniger gemacht. Damit wir sehen, was da drin ist. Und ich bin wirklich nur ganz aus Versehen an ein Reagenzglas gekommen. Das ist umgefallen, hat die Jacke von Shirin gestreift, die daraufhin ganz panisch wurde und die Jacke wegriss. Dabei stieß sie allerdings gegen den Tisch hinter sich und die Versuchsanordnung der hinteren Gruppe fiel einfach um. Dann war noch viel mehr Rohrreiniger überall und die Hälfte der Klasse hat gekreischt. Und ich mittendrin, um zischende Flüssigkeit vom Tisch zu wischen. Herr Schulz gab mir jedenfalls das mündliche Versprechen, sich meine Note für Mitarbeit noch mal SEHR genau zu überlegen, weil die ganze Klasse nicht weiterarbeiten konnte. Das ist unfair, denn das wollte ich doch gar nicht.

Ich glaube, so geht es Zora auch manchmal. Sie möchte nur heimlich was naschen und BÄM! Der Stall brennt. Vielleicht übertreibe ich ein bisschen, aber nur ein bisschen.

Denn so war es heute. Da hat es zwar nicht gebrannt, aber es gab eine Zora-Show vom Feinsten. (Sagt Simon. Er meint, sie sei eine Diva, die ab und zu daran erinnern will, dass man Eintrittskarten für ihre Show gekauft hat. Und wer was kauft, soll ja auch was geboten bekommen.)

Ich holte Zora also aus ihrer Box und wollte mit ihr zum Putzplatz gehen, da rührte sie sich auf einmal nicht mehr. Sie stemmte die Hufe in den Boden und glotzte in die Box gegenüber. Dort steht nämlich seit gestern … Trommelwirbel ... tadaaa ... Donnerschlag.

Und der drängelte vor seinem Fenster herum und quietschte und trötete. Zora legte die Ohren an, als wollte sie sagen: „Wenn du auch nur einen Schritt näher kommst, dann hau ich dich!“

„Komm“, versuchte ich, sie zu bewegen.

Nö. Zora war so unbeweglich wie zwanzig Sack Zement und guckte Donnerschlag bloß böse an. Aber der verstand das irgendwie nicht so gut, denn er reckte den Hals und versuchte, sie zu beschnüffeln. So was mag sie ja gar nicht. Wenn hier einer beschnüffelt, dann sie! Aber niemand darf einfach ungestraft an ihr herumriechen.

„Geh weiter!“, sagte ich jetzt schon etwas strenger. Manchmal muss man ja mit seinem Pferd auch streng sein.

Zora guckte mich nicht mal an. Sie ignorierte, dass ich am Strick zog. Sie ignorierte das Papierchen, mit dem ich raschelte, damit sie denkt, ich hätte ein Leckerli für sie. Nichts. Ich stand bestimmt zehn Minuten da, bis meine Rettung kam: Simon.

„Kannst du sie mal scheuchen?“, bat ich ihn.

Er sah mich ein bisschen verwirrt an, klatschte dann aber hinter Zora in die Hände und hüpfte und trampelte. Vor Schreck machte sie ein paar Schritte vorwärts. Dabei vergaß sie Donnerschlag und ihren Starrsinn und lief lieb und brav mit mir zum Putzplatz.

„Danke“, rief ich Simon zu. „Ich weiß nicht, was sie mit ihm hat. Ich glaube, sie findet ihn doof.“

Er lachte. „Bestimmt hat sie Angst, dass er ihr jetzt wieder am Rockzipfel hängt. So wie früher als Fohlen.“

Ich kicherte und führte Zora zum Anbinder, während Simon in die andere Richtung ging.

Schade, dass er nur noch ein paar Tage im Stall sein wird. Mit Simon ist es immer lustig und außerdem weiß er viel über die Pferde im Stall, weil er hier aufgewachsen ist. Ab kommender Woche ist er wieder bei seiner Mutter, und weil das weiter weg ist, kommt er dann erst wieder in den nächsten Ferien. Ich habe ihm versprochen, immer ein Bild von Peggy für ihn zu machen, wenn ich im Stall bin, damit er sie häufiger sieht.

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„Ich würde viel lieber hier zur Schule gehen“, meinte er im Gehen. „Dann könnte ich jeden Tag im Stall sein und mit dir ausreiten.“ Ich wurde ganz rot, als er das sagte, deswegen stellte ich mich schnell hinter Zora, damit er das nicht sah. Die war immer noch nervös und guckte nach allen Seiten.

Das fand ich ziemlich albern. Den Putzplatz kennt sie schließlich nicht erst seit gestern. Also nahm ich ihren Kopf und tat so, als würde ich an ihr schnuppern. „Siehst du? Ist gar nicht so schlimm.“

Zur Strafe schnaubte sie mir ins Gesicht. Grünen Weideschnodder. Danke, Lieblingspferd.

15. Januar

Schnoerkel

Ich bin echt ratlos. So unmöglich hat sich Zora noch nie benommen. An manchen Tagen geht sie auf Donnerschlag los, obwohl natürlich eine Boxentür zwischen ihnen beiden ist. Das hindert sie aber nicht daran, ihren Sohn zu beißen. Zumindest versucht sie es. Aber Donnerschlag ist flink und clever und schafft es immer, ihr auszuweichen.

Aber dass sie nicht aufhört, ihn anzustänkern – das ist total respektlos. Ich habe schon fast gar keine Lust mehr, Zora zu reiten, weil es mich so genervt hat, dass sie mich und alles andere ignoriert, nur um ein anderes Pferd zu ärgern, das ihr gerade nicht in den Kram passt.