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Bastian Obermayer

Gott ist gelb

Wie der ADAC Deutschland belügt

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Über Bastian Obermayer

Bastian Obermayer, Jg. 1977, ist Redakteur im Ressort Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung. Er hat in München Politik studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht. Für seine Reportagen erhielt er unter anderem den Henri-Nannen-Preis und den Theodor-Wolff-Preis. Neben anderen Büchern veröffentlichte er bei Rowohlt «Feldpost – Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan».

Über dieses Buch

Der ADAC lässt einen nicht im Stich – diese Gewissheit ist weit verbreitet. 19 Millionen Menschen sind im ADAC, 19 Millionen, das ist beinahe schon Deutschland, 19 Millionen können nicht irren. Die Gewissheit ist trügerisch.

Denn der ADAC verrät seine Mitglieder, wenn er an ihnen verdienen kann. Er lässt sie offenbar für Fremdkunden warten, dreht ihnen unnötig Batterien an, verkauft ihnen so viele Versicherungen wie möglich und versucht im Schadensfall auch noch die Kosten abzuwälzen.

Im Laufe der Jahre ist der ADAC außerdem zum Selbstbedienungsladen geworden. Wie können Top-Funktionäre gleichzeitig als gut bezahlte ADAC-Vertragsjuristen kassieren? Der ADAC geriert sich gerne als Verbraucherschützer. Aber wie kann er Geschäfte machen mit Firmen, die er dann vermeintlich neutral testet?

Bastian Obermayer, dessen Recherchen den ADAC-Skandal Anfang 2014 ins Rollen brachte, stürzt den ADAC in seinem Buch von dem Sockel, auf dem der Verein jahrzehntelang thronte. Denn in Wahrheit ist der ADAC vor allem eines: ein Milliardenkonzern – der noch immer mit den Strukturen eines Kleingartenvereins geführt wird.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2014

Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München

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ISBN Printausgabe 978-3-499-62911-2 (1. Auflage 2014)

ISBN E-Book 978-3-644-53731-6

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-53731-6

Vorwort von Hans Leyendecker

Jedes Geschehen, jede Nachricht ist im Kalender und also in der Zeit verankert, aber es gibt nur wenige Ereignisse, die den Kalender und die Zeit in ein Davor und ein Danach teilen. In einem dieser seltenen Fälle hat das Ereignis irgendetwas grundlegend verändert, es hat alte Gewissheiten pulverisiert und einen völlig neuen, ungesehenen Blick freigegeben, auf einen Menschen beispielsweise, ein Land oder eine Organisation.

Eine solche Zäsur bedeutete das Jahr 1982 für die deutschen Gewerkschaften. Der Spiegel enthüllte damals, dass bei Europas größtem Wohnungsunternehmen «Neue Heimat», das dem Deutschen Gewerkschaftsbund gehörte, das Gemeinwohl wenig zählte – anders als behauptet. Das Unternehmen hatte mehr als eine Million Mieter, und die Unternehmensführer, allesamt Gewerkschafter, hatten Zahlen gefälscht und sich auf Kosten von Mietern bereichert. Auf die Enthüllung folgten Fragen wie: Warum agieren Gewerkschaften wie Firmen? Was sagen die Mitglieder dazu, und was haben sie davon?

Fragen, die man heute so oder ähnlich auch dem ADAC stellt – während die «Neue Heimat» längst nicht mehr ist.

Auch die CDU hatte ihre Zäsur: Sie war nie mehr die Partei, die sie einmal gewesen war, als im Spätherbst 1999 die Berichte über die Kohl-Affäre begannen. An der Spitze der CDU wurde alles anders. Ähnliches gilt für den Siemens-Konzern und den Beginn der Ermittlungen im November 2006: Nach der ersten Razzia der Münchner Staatsanwaltschaft wurde bald die alte Führungsmannschaft hinweggefegt, es war ein Milliarden-Desaster – und danach begann das Zeitalter der «Compliance», also der Glaube daran, dass gewisse gesetzliche Regeln und ethische Normen auch und gerade in großen Organisationen unerlässlich sind.

Für den ADAC ist der Januar 2014 eine solche Zäsur – da nahm seinen Anfang, was von der ADAC-Führung heute die «größte Krise in der 111-jährigen Geschichte» genannt wird. Der Autoverein geriet ins Schleudern. Es wurde bekannt, dass beim größten deutschen Verein über Jahre Autowahlen manipuliert und verschoben worden waren. Aber es blieb nicht bei diesem einen Problem, es gesellten sich Tag für Tag neue dazu: Doppelfunktionen der obersten Funktionäre, fragwürdige Tests und abgezockte Mitglieder. Es stellte sich heraus, dass Fehlverhalten sozusagen systemimmanent war – weil es kaum Kontrolle gab. Offenbar gibt es heute keinen Fußbreit Boden mehr beim ADAC, den man noch sicher betreten kann.

Spitzenleute traten in Serie zurück, ein Neuanfang war notwendig. Wie der Neuaufbau aussehen wird, ist noch in der Diskussion. Ein Münchner Registergericht wird entscheiden müssen, ob dem sogenannten Idealverein, der sich zu einem milliardenschweren Konzern mit vielen Töchtern entwickelt hat, zumindest formell die Rechtsfähigkeit entzogen wird. Eine solche Entscheidung könnte auch ein Signal sein, sich genauer mit anderen großen Wirtschaftseinheiten wie TÜV oder Dekra, die sich ebenfalls hinter der Fassade eines Idealvereins verstecken, zu beschäftigen. Eine Novellierung des Vereinsrechts ist fällig.

Im Fall ADAC geht es um Sein und Schein, um Ignoranz und Heuchelei. Dieses Buch erzählt die Geschichte eines großen Schwindels – und wie er aufflog, weil es anständige Leute gab, die bei dem großen Schwindel nicht mehr mitmachen wollten.

Wir nennen solche Leute Whistleblower. Das englische Wort meint, dass jemand Alarm schlägt, weil er illegale oder als illegitim empfundene Praktiken nicht mehr ertragen kann. «To blow the whistle» meint nicht «Verpfeifen», sondern: Aufklären. Das Motiv zum Handeln sollte gemeinwohlorientiert sein und nicht eigenen materiellen Vorteilen dienen. Das war im Fall ADAC so, als sich Informanten an die Süddeutsche Zeitung wandten.

Über Risiken und Chancen von Whistleblowern gibt es viele Untersuchungen. In der Regel betrachten Hierarchen das Aufdecken von Missständen als Verrat oder Nestbeschmutzung. Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt, das sei gewöhnlich «das Schicksal desjenigen, der sich im Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließt», hat der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling mal über den Status des Whistleblowers in Deutschland geschrieben.

Es gehört zum Gelingen dieser Recherche, dass die ADAC-Oberen bis heute nicht wissen, wer den Journalisten die Sache gesteckt hat. Alle Informanten, es wurden mit der Zeit immer mehr, blieben unsichtbar, ihre Identitäten geschützt. Manch einer mag sich still und leise gefreut haben über den heimlichen Ruhm, den meisten aber wird mulmig gewesen sein, als die ganze Republik über diese Geschichte sprach, die sie losgetreten hatten.

Gleichzeitig ist es im Nachhinein erstaunlich, dass die Missstände in diesem Verein so lange unentdeckt geblieben sind. Bemerkenswert ist auch, dass der Verein nur wegen seiner Millionen Mitglieder in Berlin und sonst wo so ernst genommen wurde, wenn er über Maut oder Tempolimit Erklärungen abgab. Die Funktionäre bekamen Termine bei der Kanzlerin, wenn sie sich meldeten. Gleichzeitig brachte ihr Verein Selbstdarstellungen hervor, die von vollendeter Gegenstandslosigkeit waren; das vereinseigene Blatt Motorwelt, Deutschlands auflagenstärkste Zeitschrift, tat sich dabei hervor als kaum getarntes Lobby-Heftchen.

Leute, denen es weder an Machtbewusstsein noch an Ehrgeiz fehlte, werkelten lange Zeit ungestört an einem Riesenspielzeug namens ADAC. Wer die neue Vereinszentrale in München besuchte, konnte glauben, er befinde sich in der Zentrale eines multinationalen Konzerns.

Alles groß, alles gewaltig, alles bedeutsam.

Die wirklich Mächtigen im ADAC waren nicht die Hauptamtlichen in der Zentrale oder in den Regionalbüros, sondern die Top-Funktionäre, die so taten, als arbeiteten sie ehrenamtlich für den Verein. «Ehrenamt» – das meint normalerweise, dass es demjenigen, der sich für eine Sache einsetzt, nicht um eigene materielle Vorteile geht. Die Recherchen zeigen, dass viele der Ehrenamtlichen vor allem am Eigennutz interessiert waren. Das Amt brachte ihnen Image und Aufträge – und auch Macht. Die Ehrenamtlichen hatten das Sagen und führten sich auf wie die Herren des Universums.

Die in diesem seltsamen Verein gern verwendete Formel «Im Mittelpunkt das Mitglied» war bestenfalls eine Viertelwahrheit. Im Mittelpunkt scheint der Mitgliedsbeitrag gestanden zu haben. Die Vereinsoberen und durch sie der ganze ADAC waren zu gierig: nach Geld, Wachstum, Erfolg, Einfluss und Anerkennung.

Was Bastian Obermayer in diesem Buch nüchtern und erhellend zugleich erzählt, ist die Bilanz einer Affäre, die nicht nur vom Versagen des größten deutschen Vereins handelt, sondern auch von Heuchelei und unserer ganzen Ahnungslosigkeit.

Vorwort Der tiefe Fall der Gelben Engel

Größenwahn und Realitätsverlust

Das Selbstverständnis des ADAC

19000000. Neunzehn Millionen. Was für eine Zahl. 19 Millionen Mitglieder hat der ADAC gerade, und von dieser magischen Zahl, von diesen 19 Millionen Mitgliedern, ist offenbar allen schwindlig geworden. Der Politik, den Medien und vor allem: dem ADAC selbst.

Welche Macht verleihen einem diese Millionen, die sich hinter einem versammeln! Jedes Wort des ADAC-Präsidenten hallte mit diesem Verstärker durch die politische Arena, und dementsprechend laut war der Auftritt dann auch. Der ADAC war ja nicht nur der größte Automobilclub Deutschlands oder der größte Automobilclub Europas, sondern überhaupt der größte Verein Deutschlands. Wer steht sonst schon für 19 Millionen in Deutschland? Die Parteien? Weit entfernt: Deutschlands mitgliederstärkste Partei ist derzeit wieder die SPD, mit im Dezember 2013 474820 Mitgliedern. Nicht einmal eine halbe Million. 18500000 Mitglieder weniger als der ADAC, lächerlich. Der FC Bayern? 225000 Mitglieder. Niedlich.

Die einzigen Institutionen, die dem ADAC noch ein paar Millionen voraus sind, sind die Kirchen. Rund 24 Millionen Katholiken und rund 23 Millionen evangelische Gläubige gibt es. Aber bei den Kirchen weisen die Zahlen steil nach unten. In den letzten 25 Jahren haben die Evangelen fast sieben Millionen verloren, die Katholiken rund fünf. In der Zeit hat der ADAC neun Millionen Mitglieder dazugewonnen.

Das Wissen um diese vielen Millionen Mitglieder hat so gut wie jede Kritik am Allgemeinen Deutschen Automobil-Club erstickt und den ADAC besoffen werden lassen vor Bedeutung und Macht. Die eigene Rolle hinterfragen? Wo 19 Millionen blindlings folgen, gibt es keinen Raum für Zweifel. Höchstens für Stärke. Wachstum. Umsatz. Mehr, mehr, mehr.

Die Saat des Größenwahns.

So trat der ADAC auf. Der langjährige ADAC-Präsident Peter Meyer (der erstaunlicherweise einen Krimi schrieb, in dem er selbst die Hauptrolle spielt) sah sich auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. Treffen unterhalb der Ministerebene empfand er, der Chef eines deutschen Autofahrervereins, angeblich als unter seiner Würde. Mit ein wenig Abstand ist das schon verwunderlich. Aber so war das: Politiker mit anderen Meinungen wurden öffentlich angefahren. Bei journalistischer Kritik schrieben ADAC-Anwälte nassforsche Briefe. Und in der Mitgliederzeitschrift Motorwelt wurden die Losungen und Parolen ausgegeben:

Die Maut-Lüge!

Der E-10-Unsinn!

Der Tempolimit-Wahn!

Der ehemalige Chefredakteur des Magazins, jener Michael Ramstetter, der im Zentrum der Manipulationsaffäre steht, sagte einmal über die Bedeutung der Motorwelt: «Sie dürfen mir glauben, wenn ich einen Politiker im Blatt haben will, dann bekomme ich ihn. Und wenn ich die Bundeskanzlerin bitte, eine Gastkolumne zu schreiben, dann schreibt sie.»

Der Grat zwischen Realitätsverlust und bitterer Wahrheit ist hier schmaler, als man denkt. Denn die Politik beugte sich.

Der Verein mit den 19 Millionen. Eine deutsche Macht. Eine Institution. Letztlich ist der ADAC irgendwie auch Deutschland, oder? Immerhin ist jeder dritte deutsche Autofahrer im Club, und der deutsche Autofahrer ist ja gewissermaßen der Deutsche an sich.

So war es nur konsequent, das Siegerauto einer Abstimmung unter ADAC-Mitgliedern «Das Lieblingsauto der Deutschen» zu nennen. Zur Erinnerung: Es ging um die Leserabstimmung des ADAC-Autopreises «Gelber Engel», der wiederum der «wichtigste Autopreis Deutschlands» war – diesen Eigenbefund teilten hochrangige ADAC-Funktionäre wiederholt mit. Unter anderem im Herbst 2004, als der «Gelbe Engel» noch nicht ein einziges Mal verliehen worden war: Der Preis sei «von Anfang an der wichtigste und größte Autopreis, den es in Deutschland gibt» – das war die offizielle Position damals. Einziges Argument: Der Preis kam vom ADAC. Was für eine Hybris.

Dumm nur, dass von den Deutschen so wenige ihre Stimmen bei diesem doch so wichtigen Autopreis abgegeben hatten. Das konnte der Verantwortliche, Michael Ramstetter, der Medienchef des Vereins, nicht auf sich und dem ADAC sitzen lassen. Also erfand er Zahlen, die der von ihm gefühlten Größe des ADAC wenigstens im Ansatz gerecht wurden. Damit fing sie an, die Affäre ADAC.

Selten trat der Größenwahnsinn des ADAC so deutlich zum Vorschein wie in jener Rede, die der damalige ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair bei der Verleihung des «Gelben Engels» 2014 hielt – in der er die Manipulationsvorwürfe, die drei Tage zuvor in der Süddeutschen Zeitung erhoben worden waren, als «kompletten Unsinn» bezeichnete und von «Unwahrheiten und Unterstellungen» sprach. Der damalige Präsident Peter Meyer verstieg sich sogar dazu, unsere Geschichte – ungeprüft – einen «journalistischen Skandal» zu nennen.

Der Größenwahn des Vereins hatte schon lange dazu geführt, dass der Verein den Boden unter den Füßen verloren hatte. Die Interessen der Mitglieder waren mit der Zeit immer unwichtiger geworden, jedenfalls in Bezug zu den Interessen dieses wuchernden Gebildes, das sich ADAC nannte. Wuchernd deswegen, weil aus dem Pannenhilfeverein ein Konzern geworden war, der nach und nach immer weiter ausgebaut wurde, bis Tochtergesellschaften des ADAC e.V. einen Umsatz von mehr als einer Milliarde pro Jahr machten. Der ADAC verkauft inzwischen auch Autoversicherungen und Kredite, er verkauft Outdoorjacken und Handy-Verträge, er verkauft Kreuzfahrten, verleiht Mietwagen und verdient bei einer Vielzahl von Provisionsgeschäften mit – auch zum Nachteil seiner Mitglieder.

Aber der große ADAC sollte immer noch größer werden, er sollte noch mehr Mitglieder haben und noch mehr Umsatz machen. Interne Papiere zeigen, dass der ADAC sich beispielsweise in seiner Versicherungssparte kaum von rein kommerziellen Anbietern unterscheidet: überall Zielvorgaben, ein ausgeklügeltes Bonussystem, allerlei Provisionen.

Die gefühlte Bedeutung des Vereins übertrug sich auch auf das Führungspersonal. Wie selbstverständlich ließen sie sich in ADAC-Rettungshubschraubern mitnehmen, bestellten Mitflüge in ADAC-Ambulanzjets, einem ADAC-Geschäftsführer wurde sogar eigens eine Millionen-Villa nach seinen Vorstellungen gebaut. Und wie durch Zufall verdienten etliche ehemalige und derzeitige Top-Funktionäre in den vergangenen Jahren Millionen als ADAC-Vertragsjuristen. Wer sollte ihnen schon etwas können? Eine irgendwie geartete Kontrolle gab es ja nicht in diesem aus den Fugen geratenen Verein.

Überhaupt: Wer soll dem ADAC etwas können? Das war die Grundstimmung in den oberen Etagen der Münchner Zentrale. Dem ADAC konnte niemand etwas.

Der gelbe Gott.

«Wer ‹Gelbe Engel› ausschickt, der darf sich nicht wundern, wenn er über seine eigene Sündhaftigkeit stolpert.» Mit dieser kleinen Boshaftigkeit lenkte Friedrich Wilhelm Graf, mittlerweile emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik, in seiner Abschiedsvorlesung im Februar 2014 die Aufmerksamkeit auf seine Warnung vor der fortschreitenden Sakralisierung des Weltlichen. Diese sei nicht nur in den notorisch gefährlichen Fällen Nation, Staat und Krieg riskant, sondern eben auch: für Automobilclubs. Graf hatte sich schon zuvor für die Süddeutsche Zeitung die Mühe gemacht, die Satzung und das «Markenbild» des ADAC zu lesen. Er kämpfte sich durch eine Menge Sätze wie: «Die Wünsche und Bedürfnisse der Mitglieder sind der Maßstab allen Handelns», oder: «Stets ist das wichtigste Ziel, dass jedes Produkt und jede Dienstleistung die operative und soziale Qualität erfüllt, für die die Marke ADAC steht, d.h. perfekt organisiert ist und dem Menschen, nicht dem ADAC nutzt.»

Dieses «Wertegeschwätz» und all die «Vollkommenheitsphantasien», meint Theologe Graf, seien nicht nur wenig hilfreich, sie führten auch zu «erheblichem Realitätsverlust»: «Hier wird nicht zugesagt, was man bei halbwegs realistischer Selbstwahrnehmung halten kann. Moralisierende Sprache dient zur Legitimierung unerträglich eitler Selbstüberschätzung. Wer keine Eigeninteressen haben und nur dem Gemeinwohl dienen will, ist vom Rechtsbruch nicht weit entfernt. Er meint, das wahre Wohl aller viel besser als die anderen zu kennen, und unterläuft gerade so die Geltung des für alle verbindlichen Rechts.»

Außerdem, meint Friedrich Wilhelm Graf, gäbe es da noch etwas zu beachten: «Bei aller stolz behaupteten Perfektion hat man ein kleines Folgeproblem vergessen: Je höher, je edler die sich selbst zugeschriebene Moral, desto größer auch die Falltiefe beim Erwischtwerden.»

Das ist die Geschichte des ADAC.

Zu dieser Geschichte gehört es, dass der ADAC in zwei Sphären zu teilen ist: auf der einen Seite die vielen Millionen Mitglieder, die kaum Mitspracherecht besitzen, und die vielen tausend Beschäftigten, die sich in der überwiegenden Mehrheit nichts haben zuschulden kommen lassen. Auf der anderen Seite die kleine Schar von einflussreichen Funktionären, deren Wille Befehl wurde. Sie waren «der ADAC», wenn es um Entscheidungen ging, sie sind gemeint, wenn in diesem Buch Entscheidungen «des ADAC» beschrieben werden.

Kapitel I Der ADAC-Manipulationsskandal – Chronologie eines Untergangs

November 2013

Gott ist gelb – Szenarien & Phantasiezahlen

Der öffentliche Untergang des ADAC nahm seinen Anfang am 28. November 2013, einem kalten Novembertag mit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Am Vormittag dieses Tages setzte sich Michael Ramstetter, der mächtige Medienchef des ADAC, an seinen Laptop und machte, was er seit einigen Jahren immer um diese Zeit machte: Er erfand Zahlen.

Es ging um den ADAC-Autopreis «Gelber Engel», für den er verantwortlich war. Genau genommen ging es um die wichtigste Kategorie des Preises, die Leserwahl zum «Lieblingsauto der Deutschen». Zur Abstimmung waren seit zehn Jahren immer im Herbst alle Mitglieder des ADAC eingeladen, sie konnten online oder per Post abstimmen.

Nun lagen vor Michael Ramstetter die ausgezählten Stimmen, er hatte sein Sekretariat gebeten, die Ergebnisse in eine Excel-Tabelle zu übertragen und auszudrucken. Die Zahlen waren, wie jedes Jahr, beschämend. Insgesamt waren nicht einmal 50000 Leser dem Aufruf gefolgt, und für das erstplatzierte Modell, den VW Golf, hatten nur 3409 von ihnen gestimmt. Die Welt da draußen würde den «Gelben Engel» auslachen. Keiner der großen Autochefs, kein Piëch, kein Zetsche, kein Reithofer, würde einen Preis entgegennehmen, für den so wenige Menschen gestimmt hatten. Diese Zahlen konnten unmöglich veröffentlicht werden. Also öffnete Ramstetter sein Word-Programm und begann die Zahlen zu manipulieren – so geht es aus dem Untersuchungsbericht der externen Prüfer hervor, die Monate später im Auftrag des ADAC die Wahl überprüften. In den Vorjahren hatte Ramstetter den Siegern meist um die 30000 Stimmen gewährt, und so hielt er es auch in diesem Jahr. Dem VW Golf beispielsweise genehmigte er 34299 Stimmen. Ramstetter hatte den Originalwert von 3409 also an zwei Stellen verändert, und daraus wurde das offizielle Ergebnis. Auf Platz fünf lag der BMW 5er, obwohl er nach Stimmen nur Siebter geworden wäre – aber Ramstetter war offenbar ein Freund der Theorie, dass alle deutschen Autohersteller ausreichend bedacht sein sollten.

Um 12.13 Uhr schickte er seinem Sekretariat eine Mail mit einer Word-Datei. Um 14.36 Uhr schickte sein Sekretariat ihm eine Mail zurück, in der das «Endergebnis» sowohl in Word- wie auch in PDF-Form angehängt war. Ramstetter setzte nun eine eigene Mail auf, adressierte sie an diejenigen seiner Mitarbeiter, die mit der Organisation des Preises betraut waren, und hängte das finale PDF mit den ausgedachten Zahlen an. Um 14.52 Uhr drückte er auf Senden.

Der kleine gelbe Gott.

Dezember 2013

Spaziergang mit Folgen

Ein paar Wochen nach Michael Ramstetters Manipulation wandte sich jemand – anonym – an uns, an die Süddeutsche Zeitung (wo in diesem Buch von «uns» oder «wir» die Rede ist, meine ich damit in der Regel die Redaktion – insbesondere die Kollegen, mit denen ich die Affäre ADAC angestoßen, recherchiert und aufgeschrieben habe: Uwe Ritzer und Hans Leyendecker). Der anonyme Tippgeber fragte an, ob uns vertrauliche Informationen über den ADAC interessieren und ob wir Informantenschutz gewähren würden. Die Antwort war zweimal «ja». Daraufhin vermittelte diese Person, die nur «Kontaktmann» war, ein Treffen mit jener Person, die zu der ersten eigentlichen Quelle werden sollte. Die erste Quelle, die von möglichen Manipulationen beim ADAC-Autopreis erzählten würde. Die Frage war: Wo sollten wir uns treffen? Wir verabredeten uns zu einem längeren Spaziergang. Wenn man unterwegs über Dinge spricht, kann am Nachbartisch niemand mithören. Der Kinderwagen mit meinem Sohn darin diente als Tarnung.

Der Aufwand schien (aus damaliger Sicht) übertrieben – immerhin hatte es im Vorgespräch ja lediglich geheißen, es gehe um den ADACUSA