Cover
titel.jpg
Impressum
Anschrift der Autorinnen:
Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Dipl.-Psych.
Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie im Schwerpunkt Verhaltenstherapie
Psychologische Hochschule Berlin (PHB)
Am Köllnischen Park 2
10179 Berlin
Dr. phil. Angela Buchholz, Dipl.-Psych.
Leitung AG Sucht- und Rehabilitationsforschung
Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52, Gebäude West 26
20246 Hamburg
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich.
ISBN 978-3-621-28085-3
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.
Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.
1. Auflage 2013
© Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2013
Programm PVU Psychologie Verlags Union
http://www.beltz.de
Lektorat: Dagmar Kühnle Zerpa
Herstellung: Sonja Frank
Illustrationen: Claudia Styrsky
Reihengestaltung: Federico Luci, Köln
Umschlagbild: Getty Images, München
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-621-28128-7

Inhalt

Vorwort der Autorinnen
Vorwort der Freiburger CBASP-Selbsthilfegruppe
1Einführung
1.1Teil 1: Zusammenhänge erkennen – Wie ist die Mauer um mich entstanden?
1.2Teil 2: Wie kann ich die Mauer überwinden?
1.3Teil 3: Was erwartet mich jenseits der Mauer?
Teil 1Zusammenhänge erkennen – Wie ist die Mauer um mich entstanden?
2Habe ich eine chronische Depression? Mein Leben hinter der Mauer
2.1Wie erkenne ich eine chronische Depression?
2.1.1Wie äußern sich Depressionen allgemein?
2.1.2Wie äußert sich eine chronische Depression?
2.2Wie entsteht und verläuft eine chronische Depression?
2.3Wie häufig ist die chronische Depression?
2.4Wie sehen meine Besserungschancen aus?
3Wie entsteht eine chronische Depression aus psychologischer Perspektive? Unsere (frühen) Prägungen
3.1Wie ist die Mauer entstanden? Frühe traumatisierende Beziehungserfahrungen
3.2Wer sind unsere prägenden Bezugspersonen?
3.3Welche Prägungen haben die wichtigen Bezugspersonen bei uns hinterlassen?
3.3.1Die Prägungen der drei Fallbeispiele
3.3.2Wie lauten Ihre Prägungen?
4Wie äußert sich die chronische Depression im zwischenmenschlichen Bereich? Das Phänomen der Übertragung
4.1Warum die Mauer nicht von selbst einstürzt: Die Übertragung
4.2Von der Therapie in den Alltag: Die therapeutische und die allgemeine Übertragungshypothese
4.2.1Die Übertragungshypothesen von Herrn Stubenrausch
4.2.2Die Übertragungshypothesen von Frau Rosenzweig
4.2.3Die Übertragungshypothesen von Herrn Preller
4.3Wie können Ihre Übertragungshypothesen lauten?
Teil 2Wie kann ich die Mauer überwinden?
5Wie wirke ich auf andere? Der Kiesler-Kreis
5.1Was genau ist der Kiesler-Kreis?
5.1.1Nähe oder Distanz?
5.1.2Offenheit oder Verschlossenheit?
5.1.3Die Haupt- und Nebenachsen im Kiesler-Kreis
5.2Wo stehe ich im Kiesler-Kreis?
5.3Wo möchte ich hin im Kiesler-Kreis?
5.4Das Kiesler-Kreis-Training
6Wie kann ich meine Ziele erreichen? Die Situationsanalyse
6.1Was lerne ich durch die Situationsanalyse?
6.1.1Genau hinschauen
6.1.2Ziele setzen
6.1.3Den Einfluss unserer Gedanken nutzen
6.1.4Den Einfluss unseres Verhaltens nutzen
6.2Die Explorationsphase der Situationsanalyse
6.2.1Beschreibung der Situation
6.2.2Interpretation der Situation
6.2.3Verhalten in der Situation
6.2.4Tatsächliches Ergebnis
6.2.5Erwünschtes Ergebnis
6.2.6.Vergleich des tatsächlichen mit dem erwünschten Ergebnis
6.3Die Lösungsphase der Situationsanalyse
6.3.1Überprüfung der Interpretationen
6.3.2Revision des Verhaltens durch Rollenspiele
6.3.3Zusammenfassung des Gelernten
6.3.4Übertragung auf den Alltag
6.4Die Situationsanalyse bei feindselig-dominantem Verhalten
6.5Die Zukunfts-Situationsanalyse
6.6Die Innere Situationsanalyse
7Wunden heilen: Neue Beziehungserfahrungen
7.1Prägungen als Wunden verstehen
7.2Der Unterschied zwischen damals und heute: Die interpersonelle Diskriminationsübung
7.3Mein Gegenüber lesen lernen: Das Empathie-Training
7.4Unser Verhalten hat Konsequenzen
7.4.1Konsequenzen feindseligen Verhaltens
7.4.2Konsequenzen unsicheren Verhaltens
7.4.3Konsequenzen offenen Verhaltens
7.5Das Heilen Ihrer Wunden
7.6Umgang mit schwierigen Situationen
Teil 3Was erwartet mich jenseits der Mauer?
8Ich kann die Mauer überwinden! … und was erwartet mich dahinter?
8.1Wie weit bin ich schon auf meiner Reise über oder durch die Mauer?
8.1.1Wo stehe ich im Kiesler-Kreis?
8.1.2Wie hilfreich sind die Situationsanalysen für mich?
8.1.3Welche heilsamen Beziehungserfahrungen konnte ich erleben?
8.2Wie geht es hinter der Mauer weiter?
8.3Wie kann ich verhindern, dass ich mich doch wieder hinter die Mauer zurückziehe?
8.4Zusammenfassung: Rückblick und Vorausschau
8.5Abschied
Glossar
Literatur
Hinweise zu den Online-Materialien
Sachwortverzeichnis

Vorwort der Autorinnen

»Da man uns verletzt hat, errichten wir eine Mauer um uns herum,
damit man uns nie wieder verletzt;
und wenn man eine Mauer um sich herum errichtet, […]
wird man nur noch mehr verletzt«.
Krishnamurti, Über die Liebe
Kennen Sie das Gefühl, sich manchmal wie abgetrennt von der Umwelt zu fühlen? Wie hinter einer Mauer? Ohne wirklichen Kontakt zu anderen Menschen? Oder fühlt es sich bei Ihnen eher so an, als ob Sie unter einer Glasglocke leben? Vielleicht passt bei Ihnen auch besser das Bild eines Panzers, in dem Sie sitzen und sich vor allem Unheil abschirmen? Das alles sind unterschiedliche Beschreibungen des Gefühls des »Abgetrennt-Seins«. Dieses Gefühl geht oft einher mit anderen Gefühlen wie Traurigkeit, Verzweiflung, Wut, Einsamkeit sowie spürbarer Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Es kann auch dazu führen, dass Lebensmüdigkeit entsteht, da das isolierte Leben hinter der Mauer nicht mehr lebenswert erscheint.
Während unserer therapeutischen und wissenschaftlichen Arbeit sind uns in den letzten Jahren viele Menschen begegnet, die aus Schutz eine Mauer, eine Glasglocke oder einen Panzer um sich herum aufgebaut haben und die beschriebene Gefühlsmischung sehr gut kennen. Die meisten dieser Menschen haben eine chronische Depression. Das Wort chronisch bezieht sich dabei darauf, dass die Depression bereits mindestens zwei Jahre andauert – nicht darauf, dass die Erkrankung nicht heilbar ist. Sollten Sie mit dem Bild der Mauer, der Glasglocke oder des Panzers etwas anfangen können und diese Gefühle auch gut kennen, sind die ersten positiven Botschaften dieses Buches möglicherweise diese: Sie sind nicht allein mit diesen Gefühlen. Viele Menschen leiden an einer chronischen Depression. Wir möchten Ihnen Hoffnung machen, denn Sie können etwas gegen die chronische Depression tun!
Sowohl das Bild der Mauer als auch sämtliche Strategien, die wir in diesem Buch vorstellen, stammen aus einem neueren Psychotherapieansatz, welcher ganz speziell für die Behandlung der chronischen Depression entwickelt wurde. Er wird CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy) genannt. Im ersten Kapitel werden wir Ihnen anschaulich erklären, was sich hinter diesem Begriff verbirgt.
Mit diesem Buch möchten wir Ihnen helfen, Ihre Mauer zu überwinden und einen Weg aus der chronischen Depression zu finden. Um die Mauer jedoch zu überwinden, ist es zunächst wichtig zu verstehen, wie diese überhaupt entstanden ist. Daher möchten wir Ihnen im Teil I des Buches helfen, herauszufinden, wann, wie und warum bei Ihnen die Mauer aufgebaut wurde. Im Teil II – der Hauptteil dieses Buches – stellen wir Ihnen Strategien und Methoden zur Verfügung, die Ihnen helfen können, die Mauer zu überwinden. Abschließend werden wir im Teil III zu einer Rückschau und einer Vorausschau kommen, um hilfreiche Strategien festzuhalten und Rückfällen vorzubeugen. Wir versuchen also, Sie darauf vorzubereiten, was Sie hinter der Mauer – jenseits der chronischen Depression – erwartet und Sie ein Stück weit auf dem neuen weiteren Weg zu begleiten.
Mit diesem Buch möchten wir uns an folgende Personenkreise richten:
Zu welchem Personenkreis Sie sich auch immer zugehörig fühlen mögen, möchten wir Sie zu Beginn auf etwas sehr Wichtiges hinweisen: Die Beschäftigung mit den Themen dieses Buches kann aufwühlend sein. Möglicherweise erinnern Sie sich an Erlebnisse aus Ihrem Leben, über die Sie lange Zeit nicht nachgedacht haben, was schwierig, traurig und schmerzhaft sein kann. Sollten Sie bemerken, dass es Ihnen bei der Lektüre dieses Buches zunehmend schlechter geht, holen Sie sich bitte sofort Hilfe: psychotherapeutische und vielleicht auch medikamentöse, wobei Sie medikamentöse Versuche und Veränderungen natürlich nur nach Rücksprache mit Ihrem Arzt durchführen sollten! Wir wissen aus Studien, dass bei einer schweren chronischen Depression immer die Kombination aus Psychotherapie mit Medikamenten am wirksamsten ist. Eine Auswahl an wichtigen Adressen für psychiatrische und psychotherapeutische Hilfsmöglichkeiten finden Sie im Anhang. Zudem möchten wir Ihnen an dieser Stelle noch zwei weitere wichtige Botschaften mit auf dem Weg geben:
(1)Es gibt Hoffnung für Sie! Wir haben in den letzten Jahren sehr viele chronisch depressive Menschen begleitet, die ihren Weg durch oder über die Mauer mithilfe der CBASP-Therapie gefunden haben.
(2)Seien Sie geduldig mit sich und diesem Buch! Der Weg über die Mauer dauert meist relativ lang. Am besten gelingt er, wenn Sie Stück für Stück oder auch Schritt für Schritt vorgehen und sich für die jeweiligen neuen Strategien und Übungen ausreichend Zeit nehmen.
Anbei noch einige Hinweise zur Handhabung dieses Buches:
Psychologische Fachbegriffe, die Sie möglicherweise nicht kennen, werden in einem Glossar am Ende des Buches erläutert. Im Text weisen wir durch einen Pfeil (→) auf die Glossarbegriffe hin. Zudem haben wir für Sie einige Arbeitsblätter zusammengestellt, auf die Sie online über die Verlagshomepage zugreifen können (s. hierzu die Hinweise zu den Online-Materialien auf S. 216). Sie können diese dann je nach Bedarf herunterladen und ausdrucken.
Um das Buch möglichst anschaulich und praxisnah zu gestalten, werden drei Patienten, die wir mit CBASP behandelt haben, Sie durch das Buch begleiten. Zur Wahrung der Anonymität haben wir die Darstellung der Fälle so verändert, dass die Patienten selbstverständlich nicht wieder erkannt werden können. Wir bezeichnen sie übrigens bewusst als »Patient« – und nicht etwa als Klient, Kunde oder Person. Ein Patient ist für uns jemand, der leidet und Hilfe sucht; wir verstehen uns als Psychotherapeuten, die Hilfe geben, um das Leiden zu lindern. Zudem haben wir uns zugunsten der Lesbarkeit und sprachlichen Einfachheit entschieden, Personen im Maskulinum zu bezeichnen, wobei sich dies selbstverständlich auf beide Geschlechter bezieht (»generisches Maskulinum«). Ausnahmen machen wir bei unseren Beispielen aus der Praxis, bei denen sich das Geschlecht nach den entsprechenden Patienten und Therapeuten richtet.
Bevor wir nun mit der Suche nach den Wegen aus der chronischen Depression beginnen, möchten wir uns noch herzlich bedanken bei
Der größte Dank gebührt jedoch unseren bisherigen CBASP-Patienten (über 100!), deren Mut, Offenheit, Durchhaltevermögen, Geduld und Vertrauen uns immer wieder sehr berührt und erfreut und von denen wir viel Neues lernen können.
Wir hoffen, dass es uns mit diesem Buch gelingt, Ihnen als Leser CBASP verständlich zu vermitteln. Wenn wir Ihnen hierdurch Strategien an die Hand geben können, welche Ihnen helfen, die Mauer bzw. die chronische Depression nach und nach und Stück für Stück zu überwinden, wäre dies eine große Freude für uns.
Berlin und Hamburg, im September 2013
Eva-Lotta Brakemeier und Angela Buchholz

Vorwort der Freiburger CBASP-Selbsthilfegruppe

Ein Rückblick auf das Leben hinter der Mauer und die stationäre CBASP-Therapie
Wohl keiner von uns (ehemaligen) Patienten möchte das nochmals durchmachen, was uns in Phasen lang anhaltender tiefer Depression bestimmt hat – Handlungsunfähigkeit, soziale Isolation, Mutlosigkeit, Lebensmüdigkeit, … Kurz: ein Leben ohne jegliche Perspektive und Freude, ein Leben hinter der Mauer.
Der Weg heraus aus dieser psychischen Enge war sicher mühsam, aber er hat sich gelohnt! Der Therapieansatz CBASP gibt uns Strategien in die Hand, unsere Lebenssituation und vor allem die Ursachen dafür – unsere Prägungen – zu verstehen und daraus zu lernen. Dieser Rückblick auf das Leben und auf so viele schwierige und schmerzhafte Erlebnisse ist zwar oft hart, aber letztlich doch so wichtig: Nur so können wir Gedanken- und Verhaltensstrukturen, die sich oft allzu fest eingeprägt haben, verstehen. Nur so können wir erkennen, was uns lange blockiert hat. Nur so können wir dann endlich etwas verändern …
In kleinen Schritten haben wir neue Wege erprobt, begleitet von sehr einfühlsamen Therapeuten, die sich selbst in erster Linie als Partner auf diesem Weg sehen. Sie haben uns durch Tiefen und über Höhen begleitet, sich dabei stets aktiv, lebendig, menschlich und offen gezeigt. So konnten wir erkennen, wie Menschen auf uns reagieren und – vor allem – dass heute Menschen anders auf uns reagieren als wir aufgrund der negativen früheren Erfahrungen oft befürchteten.
Für die schrittweise Befreiung aus der sozialen Isolation waren für viele von uns während des Klinikaufenthalts die gemeinsamen Gruppenstunden sehr wichtig. Die verschiedenen Situationsanalysen der Mitbetroffenen zeigten sehr schnell, welche Barrieren wir uns meist selbst aufgebaut hatten. Automatische Gedanken wurden »enttarnt« und utopische Ziele zu machbaren Schritten korrigiert. Durch eine sehr hilfreiche Strategie, den sogenannten Kiesler-Kreis (vgl. Kap. 5 in diesem Buch), fand man sich selbst im Umgang mit seinen Mitmenschen wieder und die Perspektive auf die eigene Situation konnte sich besonders dann ändern, wenn wir in gemeinsamen Rollenspielen manche kritische Situationen nachgespielt haben. Schritt für Schritt ging es so aufwärts, heraus aus der chronischen Depression, heraus aus der Isolation hinter der Mauer.
Der Weg zurück ins Leben blieb natürlich nicht ohne Rückschläge. Besonders der Schritt aus der klinischen Betreuung heraus und zurück ins eigene Lebensumfeld war für viele nicht leicht. Nun musste sich das Erprobte in der Realität bewähren, was manchmal nicht immer gleich gelang. Der regelmäßige Besuch der CBASP-Selbsthilfegruppe war und ist bis heute eine große Hilfe dabei. In sehr offener und verständnisvoller Atmosphäre geben wir uns als Gleichbetroffene wichtige Anregungen sowie praktische und emotionale Unterstützung für den Alltag.
Im Rückblick sind wir sehr dankbar dafür, dass wir durch diese so hilfreiche CBASP-Therapie endlich ganz neue Lebensperspektiven entdecken und Lebensfreude in ganz neuer Weise erleben dürfen. Viele von uns haben zuvor etliche andere Therapiemöglichkeiten ausprobiert, die meisten davon ohne entscheidende Veränderungen.
Wir möchten daher Ihnen als Leser und Betroffene Mut machen, dass Sie bei der Lektüre dieses Buches Schritt für Schritt die Elemente der CBASP-Therapie erlernen und im Alltag umsetzen. Sie werden darin Beispiele von Mitpatienten finden, die es auch geschafft haben und jetzt wieder ein ausgeglichenes und erfülltes Leben führen können. Dieses Buch wird Ihnen bei Ihren Schritten und Veränderungen sicher ein sehr guter und wertvoller Wegbegleiter sein.
Freiburg, im September 2013
Die Freiburger CBASP-Selbsthilfegruppe

1  Einführung

Fallbeispiel 1. Katharina Rosenzweig ist 41 Jahre alt. Sie wohnt mit ihrer 17-jährigen Tochter und ihrem Hund in einer kleinen Mietwohnung in einer Großstadt. Mit dem Vater der Tochter hatte sie nur eine kurze Beziehung. Er hat sie bereits während der Schwangerschaft verlassen, was ihr aber auch Recht gewesen sei, da sie ihn nicht geliebt hätte. Sie ist seit drei Jahren wegen ihrer schweren Depression frühberentet, verdient aber noch als Putzkraft ein wenig Geld dazu. Obwohl sie ihre Tochter sehr liebe und sie auch einen besten Freund habe, der homosexuell sei, fühle sie sich oft müde, einsam, traurig und leidet unter dem Gedanken, dass sie nicht »zur Welt dazu gehört«. Sie erzählt, dass sie sich eigentlich schon ihr ganzes Leben so gefühlt habe, auch schon als Kind. Da habe ihre Mutter sie häufig fertig gemacht, angeschrien und gedemütigt. Die Gründe dafür habe sie meist gar nicht nachvollziehen können. Daher sei sie ein sehr unsicherer Mensch – immer habe sie das Gefühl, etwas falsch zu machen und deshalb nicht geliebt zu werden. Sie war bereits mehrfach wegen ihrer Depression in Behandlung, sowohl ambulant als auch stationär. Aber all die Psychotherapien und die vielen Medikamente hätten ihr bisher nie grundlegend geholfen. Insgesamt kann sich Frau Rosenzweig nicht erinnern, dass es ihr jemals im Leben wirklich richtig gut gegangen sei. Das größte Problem seien die Ängste, etwas falsch zu machen. Daher erlebe sie Kontakte mit anderen Menschen generell als sehr anstrengend, vor allem wenn die Menschen ihr nahe stehen. Im ersten Gespräch der ambulanten CBASP-Therapie beginnt sie auch unmittelbar, sich Sorgen darüber zu machen, dass sie etwas Falsches sagen oder tun könnte und die Therapeutin sie deshalb nicht mögen würde.
 
Fallbeispiel 2. Gregor Stubenrausch, 45 Jahre, verheiratet und Schreinermeister, geht es ähnlich – und irgendwie doch ganz anders. Als er 10 Jahre alt war, ist sein Vater – die bis dahin einzige positive Person in seinem Leben – sehr plötzlich verstorben. In seinem Schock und mit seiner Trauer fühlte er sich ganz allein. Die Mutter sagte immer nur, dass das Leben weitergehen müsse. Seitdem habe er sich nicht mehr normal oder glücklich gefühlt. Aufgrund seiner Traurigkeit und Niedergeschlagenheit zog er sich immer mehr zurück und ließ nahezu niemanden mehr an sich heran. Vor 15 Jahren beging sein älterer Bruder Selbstmord. Das war ein erneuter Schock für ihn und hat ihn noch tiefer heruntergezogen. Zwar ist er heute seit einigen Jahren verheiratet und beschreibt seine Frau auch als unterstützend und liebevoll – eine wirkliche Nähe entstehe zwischen ihnen jedoch nicht und dadurch fühle er sich umso einsamer und isolierter. Insgesamt beschreibt er sich selbst als melancholisch, zweiflerisch und introvertiert. Vor allem anderen aber ist er eines: hoffnungslos. Seit seiner Kindheit habe er wegen seiner Depression viele Behandlungen »über sich ergehen lassen« – Psychotherapien ebenso wie medikamentöse Behandlungen. Alle ohne nennenswerte Wirkung. Deshalb ist er auch jetzt zu Beginn der ambulanten CBASP-Therapie extrem skeptisch. Dies teilt er auch umgehend seiner Therapeutin mit: »Sie können mir ja doch nicht helfen, das haben schon ganz andere versucht.«
 
Fallbeispiel 3. Andreas Preller, 54 Jahre, geschieden und Physikprofessor an einer Universität, kennt das Gefühl des »Nicht-Dazugehörens« auch sehr gut. Bei ihm löst dies jedoch vor allem Wut aus. Er fühlt sich meist sehr angespannt, genervt und reizbar. Typisch für ihn sind seine Wutausbrüche, die ihn schon öfters sowohl beruflich als auch privat in Schwierigkeiten gebracht haben. Er weiß genau, wie die Wut entstanden ist: Als Kind wurde er von seinem alkoholabhängigen Vater oft grün und blau geschlagen – ohne dass er eine Chance hatte, sich zu wehren. Auch seine Mutter oder seine älteren Geschwister hätten nie schützend eingegriffen. Seitdem macht er »sein Ding allein«, was ihn beruflich immerhin bis zu einer Professur gebracht hat. Privat war er einmal verheiratet, doch hat sich seine damalige Frau schon nach zwei Jahren von ihm getrennt: Der Hauptgrund waren seine Wutausbrüche und die vorherrschende schlechte Laune. Da ihm ambulante Therapien bisher nicht wesentlich geholfen haben und sich seine Depression, ausgelöst durch eine gerade gescheiterte Beziehung, massiv verschlechtert hat, begibt er sich erstmals in eine stationäre Behandlung. Seine noch recht junge Therapeutin, die ihn dort behandelt, bekommt direkt im ersten Gespräch seine Wut zu spüren. Er schreit sie nahezu an: »Was? Sie trauen sich wirklich zu, mich zu therapieren? Sie könnten ja meine Tochter sein. Niemals glaube ich, dass Sie mir helfen können!«
So wie Katharina Rosenzweig, Gregor Stubenrausch oder Andreas Preller geht es vielen Menschen, die unter einer → chronischen Depression leiden. Wenn Menschen bereits während ihrer Kindheit und Jugend negative Beziehungserfahrungen mit anderen Menschen – insbesondere den Eltern – machen, besteht die Gefahr, dass sie sich immer mehr in sich selbst zurückziehen und eine Art Schutzmauer um sich herum aufbauen, wie bspw. Herr Stubenrausch: Aus Angst vor Enttäuschung und erneutem Verlassen-Werden wagt er sich kaum noch hinter dieser Schutzmauer hervor – und wenn, dann rechnet er von vorneherein mit dem Schlimmsten. Frau Rosenzweig hingegen versucht aus Angst vor Ablehnung oder Bestrafung ihr ganzes Leben, nichts falsch zu machen und sich selbst zu kontrollieren. Sie weiß oft gar nicht mehr, was sie überhaupt kann und wer sie selber ist. Und auch Herr Preller hat eine Art Schutzmauer zwischen sich und seiner Umwelt aufgebaut: Wenn er nicht gerade einen Wutanfall hat, zieht er sich missmutig von den Menschen zurück.
Menschen mit chronischer Depression haben häufig schlimme, schmerzhafte Beziehungserfahrungen hinter sich und so ist es absolut nachvollziehbar, dass sie – aus Angst vor weiteren Verletzungen – Schwierigkeiten haben, sich zu öffnen und ihre »Mauer« zu überwinden. Sie sind häufig sehr hoffnungslos, misstrauisch, hilflos und einsam, wobei sie unter diesen Gefühlen schon sehr lange leiden. Da sie so häufig schlechte Erfahrungen mit anderen Mitmenschen gemacht haben, sind sie oft gar nicht mehr in der Lage, wirklich wahrzunehmen, was in ihrer Umwelt heute geschieht und wie sie selber auf andere Menschen wirken. Mit einem Grundgedanken wie »Egal was ich tue, es ändert sich doch nichts« ist das auch sehr verständlich: Die Mauer um sie herum ist zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem diese dringend benötigt wurde. Herr Preller beispielsweise hat sich als Kind bei den Schlägen von seinem Vater immer vorgestellt, er habe einen Panzer an, was ihm half, die Schläge als weniger schmerzhaft zu empfinden. Herr Stubenrausch hat sich seit dem Tod des Vaters eingeigelt in seiner kindlichen Welt, in der ihn der Vater als Fantasiefigur weiter begleitet hat. Zwischen ihm mit dieser Fantasiefigur und dem Rest der Familie oder anderen Kindern ist jedoch die Mauer entstanden. Fatal ist dabei allerdings, dass diese damals tatsächlich schützende Mauer nun dazu beiträgt, dass auch heute kaum noch wirklich Austausch mit der Umwelt stattfindet – sodass sich diese Menschen noch einsamer und hilfloser fühlen und sie sich dadurch oft die Chance verbauen, mögliche neue positive Erfahrungen mit anderen Menschen zu machen.
Finden Sie Ähnlichkeiten zwischen Frau Rosenzweig, Herrn Stubenrausch, Herrn Preller und sich selbst? Kennen Sie auch solche Gefühle der Traurigkeit, Einsamkeit oder der Wut? Finden Sie sich wieder in dem Bild der Mauer, die zwischen Ihnen und der Umwelt entstanden ist? Diejenigen von Ihnen, die das Buch eher aus Interesse oder Motivation zur Selbsterfahrung lesen, kennen die beschriebenen Gefühle möglicherweise in weniger stark ausgeprägter Form und weniger lang andauernd, sodass die Mauer kleiner ist bzw. sich nur zeitweise aufbaut.
In diesem Buch möchten wir Ihnen allen eine Psychotherapie näher bringen, die speziell für Menschen mit einer chronischen Depression oder lang andauernden depressiven Beschwerden entwickelt wurde: das → CBASP. CBASP ist eine Abkürzung und steht für Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; auf Deutsch: Kognitives verhaltensbezogenes Analyse-System der Psychotherapie. CBASP ist eine psychotherapeutische Methode, mit deren Hilfe das eigene Verhalten und die eigenen Gedanken genau betrachtet werden können. Weil CBASP speziell für Patienten mit einer chronischen Depression entwickelt wurde, besteht das System CBASP aus bestimmten aufeinander aufbauenden und ineinander greifenden Strategien und Methoden, die sich als hilfreich erwiesen haben, um Ihre persönliche Mauer langsam überwinden und neue Erfahrungen zulassen zu können. Dies ist vor allem ein Lernprozess – über sich selbst, über Gefühle und Gedanken, die andere in Ihnen auslösen, aber auch über die Wirkung, die Sie selbst auf andere haben. Daher wird CBASP auch oft als »Lerntherapie« bezeichnet – das soll nicht an das Lernen in der Schule erinnern, sondern vor allem ausdrücken, dass Sie auch bei sehr lange andauernden Beschwerden lernen können, damit anders umzugehen und sie zu überwinden.
CBASP und seine Wurzeln
Der amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Prof. James McCullough ist der Begründer der CBASP-Therapie. Er hat sehr viele Patienten mit chronischen Depressionen behandelt – zunächst mit den traditionellen Psychotherapien, wie der kognitiven Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologischen Verfahren. Allerdings merkte er, dass er den chronisch depressiven Patienten mit diesen traditionellen Strategien nicht wirklich helfen konnte. Deshalb entwickelte er in den 1980er Jahren CBASP, indem er Strategien aus verschiedenen Ansätzen, die sich während seiner langen klinischen Erfahrung als hilfreich erwiesen hatten, vereinte. Nachdem er und auch andere Kollegen in einer großen Studie (Keller et al., 2000) zeigen konnten, dass CBASP vielen chronisch depressiven Patienten wirklich hilft, hat er ein Behandlungsmanual zu diesem Therapieansatz veröffentlicht. CBASP liegen theoretische Überlegungen aus der psychologischen und psychotherapeutischen Forschung zugrunde. Die wichtigsten Wurzeln sind Folgende:
In Anlehnung an die verschiedenen Phasen einer CBASP-Therapie besteht dieses Buch aus drei aufeinander aufbauenden Teilen. Wir möchten Ihnen daher auch empfehlen, diese drei Teile der Reihe nach zu lesen und zu bearbeiten. Die beschriebenen Strategien können zwar auch für sich genommen wirksam und aussagekräftig sein – die beste Wirkung erreichen Sie jedoch, wenn Sie Schritt für Schritt vorgehen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine wirkliche Mauer überwinden, die Ihren Weg versperrt – auch dabei empfiehlt sich ein geplantes Vorgehen, bei dem es hilfreich ist, zunächst einige Fragen zu beantworten:
Aus welchem Material ist die Mauer eigentlich beschaffen? Lehm, Klinker-, Sandstein oder gar aus hartem Beton? Ist sie hart, kantig, leicht oder locker geschichtet? Besteht sie aus einzelnen Steinen oder ist sie ganz kompakt? Welche Hilfsmittel werde ich benötigen? Gibt es vielleicht Stellen in der Mauer, die leichter zu überwinden sind? Warum und wofür wurde die Mauer errichtet? Werden hinter der Mauer vielleicht Gefahren lauern? Oder ist sie nur noch ein Überbleibsel bereits »geschlagener Schlachten«? Wofür lohnt es sich eigentlich, diese Strapaze auf mich zu nehmen?
Erst wenn Sie diese Fragen für sich beantwortet haben, können Sie in die konkrete Planung übergehen. Erst dann können Sie sich ganz genau überlegen, welche Hilfsmittel Ihnen nützlich sein werden: An welcher Stelle ist es günstig zu beginnen? Gibt es vielleicht schon Risse oder Löcher in der Mauer? Kann ich mich mit einem Seil hochziehen? Brauche ich eine Leiter? Muss ich Haken in die Mauer schlagen oder finden meine Füße an Mauervorsprüngen ausreichend Halt? Kann ich die Mauer vielleicht sogar durch mein Klopfen, Schlagen oder Hämmern an einer Stelle zum Bröckeln oder Einbrechen bringen? Gibt es Helfer an meiner Seite (Freunde, Angehörige, Therapeuten, …), die mich beim Übersteigen unterstützen würden?
Allerdings ist Ihr Weg auch nicht zu Ende, wenn Sie die Mauer überstiegen oder durchbrochen haben: Wenn Sie auf der anderen Seite angelangt sind, kann es doch ganz anders aussehen als Sie gedacht hatten. Wie gehen Sie damit um? Wie wird die Landschaft dort aussehen? Wer wird dort vielleicht auf Sie warten? Und wie setzen Sie nun Ihren Weg jenseits der Schutzmauer fort?
28085_abb_1_1.jpg
Aber was konkret bedeutet das jetzt für das Überwinden Ihrer »zwischenmenschlichen« Mauer? Wie sind ihre Fundamente in Ihrem Leben verankert, wer hat an dieser Mauer mitgebaut? Im Folgenden geben wir Ihnen einen kurzen Überblick über die drei Teile unseres Buches.

1.1  Teil 1: Zusammenhänge erkennen – Wie ist die Mauer um mich entstanden?

Im ersten Teil möchten wir Ihnen helfen zu verstehen, wann, wie und warum eigentlich die Mauer um Sie entstanden ist. Darüber hinaus erscheint es uns auch wichtig, dass Sie die Auswirkungen dieser in der Vergangenheit errichteten Mauer auf ihr heutiges Leben und ihre Beziehungen zu anderen Menschen erkennen. Nachfolgend sind die in diesem Zusammenhang wichtigsten Begriffe aus dem Teil 1 des Buches aufgelistet.
Frühe traumatisierende Beziehungserfahrungen. Viele Menschen, die eine chronische Depression entwickeln, haben in ihrer Kindheit oder Jugend belastende, schwierige und schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Sie wurden zum Beispiel wie unsere drei Patienten Frau Rosenzweig, Herr Stubenrausch oder Herr Preller vernachlässigt, bestraft, missbraucht, geschlagen, ausgenutzt oder haben einen Elternteil verloren. In der CBASP-Therapie und auch in anderen therapeutischen Schulen geht man mittlerweile davon aus, dass solche Erfahrungen eine große Rolle bei der Entstehung depressiver Erkrankungen spielen. Es ist sehr wichtig, sich mit diesen → frühen traumatisierenden Beziehungserfahrungen auseinanderzusetzen, denn hier wurde häufig aus reinem Überlebensinstinkt der Grundstein für die Mauer gesetzt.
Die Prägungen. Vor allem in der Kindheit und Jugendzeit, aber auch später im Leben, machen wir immer wieder die Erfahrung, dass bestimmte Menschen für uns eine ganz besondere, herausragende Bedeutung haben. Diese Menschen beeinflussen teilweise unseren Lebensweg und unsere Persönlichkeit in der Art, dass sie → Prägungen (oder Spuren bzw. Stempel) bei uns hinterlassen. Diese Prägungen durch andere Menschen können positiv, aber eben auch negativ sein und bestimmen auch mit, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten. Daher ist es wichtig, die eigenen Prägungen kennenzulernen – denn das hilft uns zu verstehen, warum wir zum Beispiel bestimmten Personen gegenüber besonders misstrauisch eingestellt sind oder aber uns auf bestimmte Personen auch sehr leicht einlassen können.
Die Übertragung. Die Auswirkungen von Prägungen auf das eigene Handeln im Hier und Jetzt können ganz automatisch ablaufen und sind uns daher oft nicht bewusst. Der Prozess, der dafür verantwortlich ist, wird auch als → Übertragung bezeichnet. Statt Übertragung können Sie auch Erwartung oder gar Befürchtung sagen. Beispielsweise befürchtet Frau Rosenzweig heute bei allen Menschen, dass diese sie ablehnen, wenn sie Fehler macht. Ohne das eigene Wissen um die Prägungen kann es also passieren, dass wir unbewusst bestimmte Annahmen und Erwartungen, die durch unsere Prägungen sehr gut verständlich sind, auf andere Personen übertragen – wie bei einer Schablone. Und genau dieser Prozess der Übertragung macht es so schwierig, neue und korrigierende Beziehungserfahrungen mit anderen Menschen zuzulassen.

1.2  Teil 2: Wie kann ich die Mauer überwinden?