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Inhaltsübersicht

Impressum

Die Originalausgabe erschien 1990 unter dem Titel «Vineland» im Verlag Little, Brown and Company, Boston, Toronto, London.

 

Der Übersetzer dankt Howard Fine für die Hilfe bei der Übertragung gewisser Slang-Ausdrücke.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2015

Copyright © 1993 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Vineland» Copyright © 1990 by Thomas Pynchon

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Walter Hellmann

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Konvertierung epublius GmbH, Berlin

ISBN Printausgabe 978-3-499-13628-3 (8. Auflage 2012)

ISBN E-Book 978-3-644-54511-3

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-54511-3

Für meine Mutter und meinen Vater

Jeder Hund hat seinen großen Tag und ein guter vielleicht auch zwei

Johnny Copeland

Später als sonst dämmerte Zoyd Wheeler an einem Sommermorgen des Jahres 1984 aus dem Schlaf, hinein in ein Sonnenlicht, das durch die Feigenblätter vor dem Fenster sickerte, während über ihm, auf dem Dach, ein Schwarm Blauhäher herumstapfte. In seinem Traum waren es Brieftauben von einem Ort weit überm Meer gewesen, die eine nach der anderen landeten und wieder wegflogen und die alle eine Botschaft für ihn trugen – doch es gelang ihm nie, einen dieser Vögel, in deren Schwingen das Licht pulsierte, rechtzeitig zu fassen zu kriegen. Er nahm es für einen weiteren dunklen Wink unsichtbarer Mächte, der fast bestimmt etwas mit dem Brief zu tun hatte, welcher zusammen mit seinem letzten Schizzo-Scheck gekommen war und ihn daran erinnerte, daß er keine Unterstützung mehr bekäme, wenn er nicht vor einem Tag, bis zu dem es inzwischen keine Woche mehr war, in aller Öffentlichkeit eine Wahnsinnstat beginge. Er stöhnte sich aus dem Bett. Irgendwo hügelabwärts waren Hämmer und Sägen in Aktion, und Country Music erklang aus einem Radio in irgendeinem Lkw. Zoyd hatte nichts mehr zum Rauchen.

Auf dem Tisch in der Küche, gleich neben der Count-Chocula-Dose, die sich als leer erwies, fand er einen Zettel von Prairie. «Dad, die haben schon wieder meine Schicht geändert, darum bin ich mit Thapsia reingefahren. Für dich war ein Anruf von Channel 86, sie sagten dringend, ich hab gesagt, versucht ihr mal, ihn wachzukriegen. Trotzdem alles Liebe, Prairie.»

«Also wieder Froot Loops», murmelte er dem Zettel zu. Wenn man genügend Nesquik drüberschüttete, waren sie gar nicht so übel, und in diversen Aschenbechern fand sich noch ein halbes Dutzend rauchbarer Stummel. Nachdem er sich im Badezimmer soviel Zeit wie möglich gelassen hatte, schaffte er es schließlich, das Telefon zu orten und den lokalen Fernsehsender anzurufen, um seine diesjährige Presseerklärung zu verlesen. Aber: «Sie sollten das mal gegenchecken, Mr. Wheeler. Wir haben gehört, daß Sie umdirigiert worden sind.»

«Gegenchecken bei wem? Ich bin doch schließlich der, der’s macht, oder?»

«Wir sollen aber alle in die ‹Cucumber Lounge› kommen.»

«Ohne mich. Ich bin oben im ‹Log Jam› in Del Norte.» Was war los mit diesen Leuten? Zoyd hatte die Sache seit Wochen geplant.

Draußen auf der Terrasse trieb sich Desmond um den Futternapf herum, der immer leer war, weil die Blauhäher kreischend aus den Redwoods herabstießen und das Futter Brocken um Brocken davontrugen. Nach einiger Zeit hatte sich diese Hundefutterdiät im Verhalten der Vögel bemerkbar zu machen begonnen, manche waren schon meilenweit hinter Personenwagen und Pick-ups hergejagt und hatten nach allen gehackt, die was dagegen hatten. Als Zoyd hinaustrat, warf ihm Desmond einen fragenden Blick zu. «Falsche Adresse», sagte Zoyd und schüttelte den Kopf angesichts der Schokoladenkrümel rings um die Hundeschnauze, «ich weiß, daß sie dich gefüttert hat, Desmond, und ich weiß auch, womit.» Schwanzwedelnd, um zu zeigen, daß er ein guter Verlierer war, folgte ihm Desmond bis zum Holzstapel und beobachtete, wie Zoyd den ganzen Weg bis zur Straße zurücksetzte; dann drehte er sich um und ging weiter seinem Hundealltag nach.

Zoyd fuhr hinunter zum Einkaufszentrum von Vineland, kurvte eine Weile auf dem Parkplatz herum und rauchte dabei einen halben Joint, den er in der Tasche gefunden hatte; dann stellte er den Karren ab und betrat einen Discount-Laden für weibliche Übergrößen – «More Is Less» –, wo er ein Partykleid in diversen Farben erstand, die auf dem Bildschirm gut kommen würden, und es mit einem Scheck bezahlte, von dem sowohl er als auch die Verkäuferin ahnten, daß er nach erfolgter Nichteinlösung seinen Weg zurück an die Pinwand neben der Kasse finden würde. Alsdann begab er sich in die Herrentoilette der «Breez-Thru»-Tankstelle, wo er das Kleid anzog und den Haaren auf dem Kopf und im Gesicht mit einer kleinen Bürste einen Dreh zu geben versuchte, von dem er hoffte, daß er den Leuten, die für die Beurteilung geistiger Gesundheit zuständig waren, ungesund genug erscheinen würde. Zur Zapfsäule zurückgekehrt, tankte er für fünf Dollar, kletterte auf den Rücksitz, kramte eine Literdose Öl aus dem Koffer, den er dort aufbewahrte, suchte nach dem Einfüllstutzen, drückte ihn in den Deckel und goß den größten Teil des Öls in den Motor; einen kleinen Rest behielt er zurück, um ihn in der Dose mit etwas Benzin zu vermischen, das er in den Tank einer eleganten, kleinen, importiert aussehenden Kettensäge von der Größe eines Feuerlöschers kippte, die er anschließend in einer Strandtasche aus Leinen verstaute. Prairies Freundin Slide kam aus dem Kassenraum geschlendert, um zuzusehen.

«Aha – ist es schon wieder soweit?»

«Dieses Jahr hätte ich’s fast vergessen. Blöder Gedanke, daß ich langsam zu alt dafür werde.»

«Das Gefühl kenn ich», nickte Slide.

«Du bist fünfzehn, Slide.»

«Und ich weiß, wie’s läuft. Welche Schaufensterscheibe ist dieses Jahr dran?»

«Keine, damit bin ich durch. Mit dem Fensterspringen ist es vorbei. Dieses Jahr nehm ich einfach diese kleine Kettensäge und marschiere ins ‹Log Jam› rein, mal sehen, was sie draus entwickelt.»

«Na ja, oder auch nicht, Mr. Wheeler. Sind Sie in letzter Zeit mal da oben gewesen?»

«Jaja, ist mir klar, daß da ’ne Menge harte Typen rumhängen, wilde Burschen, die es den ganzen Tag mit knapper Not geschafft haben, nicht von einem Baum erschlagen zu werden – wenig Geduld mit allem, was ein bißchen extravagant ist. Aber ich hab das Überraschungsmoment auf meiner Seite, oder nicht?»

«Sie werden’s ja sehen», beschied ihn die abgeklärte Slide.

Das würde er, aber erst, nachdem er mehr Zeit auf der 101 vertrödelt hatte, als sein bereits angeschlagener Sinn für Humor verkraften konnte. Schuld war ein Konvoi von Wohnmobilen aus anderen Bundesstaaten, die auf gemächlicher Ausflugstour durch den Redwood-Distrikt waren und ihn, wenn er auf den zweispurigen Streckenabschnitten zwischen ihnen eingekeilt war, zum Runterschalten und zum Erdulden von reichlich viel nicht immer wohlmeinender Aufmerksamkeit zwangen. «Was wollt ihr eigentlich?» schrie er, um den Motorenlärm zu übertönen. «Das ist ein, äh, ein Modell von Calvin Klein!»

«Calvin schneidert nichts über Größe 40», brüllte ihm ein Mädchen, jünger als seine Tochter, aus ihrem Fenster zu, «und so was wie du gehört eingesperrt.»

Es war längst Mittagessenszeit, als er das «Log Jam» erreichte, und er war enttäuscht, niemanden von den Medien vorzufinden, sondern statt dessen ein Sortiment von dicken Schlitten auf dem frisch asphaltierten Parkplatz. Und das waren nur die ersten von etlichen schamlosen Neuerungen. Um positive Gedanken bemüht – etwa den, daß sich die Fernsehteams nur verspätet hatten –, griff Zoyd nach der Tasche mit der Kettensäge, überprüfte nochmals seine Frisur und stürmte ins «Log Jam», wo ihm sofort auffiel, daß alles, von der Küche bis zur Kundschaft, anders roch als früher.

Holla. Sollte hier nicht irgendwo ’ne Holzfällerkneipe sein? Zwar wußte jeder, daß die Arbeiter in den Wäldern – wenn auch nicht jene in den Sägewerken, weil die Japaner die unbearbeiteten Stämme so schnell aufkauften, wie man die Landschaft nur rasieren konnte – jede Menge Geld verdienten, aber selbst wenn man das in Rechnung stellte, bot sich hier ein entschieden merkwürdiger Anblick. Abenteuerliche Gestalten von derber Denkart, robust vor allem im Umgang mit dem Tod, thronten schwerelos auf Designer-Barstühlen und nippten an Kiwi-Mimosas. Die Jukebox, die einst an Hunderten von Freeway-Ausfahrten küstenauf und küstenab für ihre gigantische Country-and-Western-Kollektion berühmt gewesen war (darunter ein halbes Dutzend Coverversionen von «So Lonesome I Could Cry»), war auf leichte Klassik und New Age-Musik umgestellt, die sanft am Rand der Wahrnehmbarkeit dahinzirpte und die anwesenden Axtschwinger und Seilsetzer derart ruhigstellte, daß sie wie Dressmen in einer Anzeige zum Vatertag aussahen. Einer der stärker gebauten unter ihnen, der zu den ersten gehörte, die Zoyd bemerkten, hatte beschlossen, sich der Situation zu stellen. Er trug eine modisch gestylte Sonnenbrille, ein Turnbull & Asser-Shirt mit einem pastelligen Karomuster, Jeans der dreistelligen Preisklasse von Mme. Gris und Après-Holzfällerschuhe aus dezent, aber unverkennbar blau gefärbtem Wildleder.

«Einen wunderschönen Nachmittag, schöne Frau. Sie sehen wirklich prachtvoll aus, und ich bin sicher, daß wir unter anderen Umständen alle darauf brennen würden, Sie als einen Menschen mit vielen inneren Vorzügen kennenzulernen und so weiter und so fort, aber nachdem Ihr äußeres Erscheinungsbild Sie als höchst sensibles Wesen ausweist, werden Sie sicher Verständnis dafür haben, daß uns hier in puncto sexueller Orientierung ein paar unklare Schwingungen aufstoßen, falls Sie mir folgen können.»

Der längst verwirrte Zoyd, dessen Überlebensinstinkte möglicherweise nicht ganz auf der Höhe des Augenblicks waren, beschloß, die Kettensäge aus der Tasche hervorzuholen. «Buster!» rief er flehentlich zum Wirt hinter der Theke. «Wo sind die Medien?» Sein Werkzeug zog schlagartig alle Aufmerksamkeit auf sich, nicht unbedingt bloß aus technischem Interesse. Es war eine nur als Sonderanfertigung lieferbare Kettensäge für Damen, «stark genug für Stammholz», wie es in der Werbung hieß, «und zierlich genug für zarte Hände». Die Sägeschiene, das Gehäuse und die Griffe waren mit echtem Perlmutt eingelegt und auf der Schiene, umgeben von der zahnbewehrten Kette, die bereit war loszubrummen, prangte in imitierten Bergkristallen der Name der jungen Frau, von der er sich die Säge ausgeliehen hatte, den die Zuschauer jedoch für Zoyds Transvestitennamen hielten: CHERYL.

«Ganz ruhig, Cowgirl, ist ja alles im Lot», während der Holzfäller zurückwich und Zoyd, bemüht um stille Würde, an der seidenen Starterkordel zerrte, worauf sich die perlmuttbesetzte Damenkettensäge zu rühren begann.

«Na, wie gefällt dir das Schnurrkätzchen?»

«Zoyd, warum zum Teufel machst du das hier oben bei uns?» rief Buster, der es an der Zeit fand, sich einzuschalten. «Kein Sender schickt ein Team so weit aus der Stadt raus, warum bist du nicht irgendwo unten in Eureka oder Arcata?»

Der Holzfäller staunte. «Du kennst sie?»

«Haben zusammen in der alten Six Rivers Conference gespielt», strahlte Buster. «Das waren Zeiten, was, Zoyd?»

«Versteh kein Wort», brüllte Zoyd, der einen rasch verblassenden Eindruck von Gefährlichkeit aufrechtzuerhalten suchte. Er drosselte die schimmernde, graziöse Säge auf eine damenhafte Baßmelodie, dann brachte er sie zum Schweigen. In den Nachhall hinein: «Sieht aus, als hättest du renoviert?»

«Wenn ihr vorigen Monat gekommen wärt, du und deine kleine Säge, dann hättet ihr uns beim Zerlegen der Einrichtung helfen können.»

«Tut mir leid, Buster, ich glaub langsam auch, ich bin in der falschen Kneipe. Zersägen kann ich hier wirklich nichts, nicht bei all dem Geld, das du reingesteckt hast … Überhaupt bin ich nur raufgekommen, weil mir die vertrauten alten Absturzkneipen wie das ‹South Spooner› oder das ‹Two Street› über den Kopf und übers Konto gewachsen sind, seit sich die Schickis da eingenistet haben. Bloß noch prozeßgeile Typen mit Prominentenanwälten aus Frisco im Rücken – ich brauch mich da bloß mal in eine ihrer Designerservietten zu schneuzen, und schon stecke ich bis zum Hals in der Scheiße.»

«Na ja, wir sind hier auch nicht mehr so billig zu haben, wie manche noch denken, Zoyd. Hier hat’s so was wie ’nen echten Bewußtseinswandel gegeben, seit George Lucas und sein Team hier durchgezogen sind.»

«Tja, ich seh’s ja … Wie wär’s eigentlich mit einem Bierchen für mich, nur Damengröße … Übrigens hab ich diesen Streifen immer noch nicht gesehen.»

Sie redeten von Die Rückkehr der Jedi-Ritter [1983], der zum Teil in dieser Gegend gedreht worden war und das Leben hier, nach Busters Meinung, für immer verändert hatte. Er stützte seine massigen Ellbogen auf das einzige Einrichtungsstück, das überlebt hatte, nämlich die alte Bartheke, die um die Jahrhundertwende aus einem einzigen großen Redwood-Balken geschnitten worden war. «Aber untendrunter sind wir immer noch einfache Burschen vom Land.»

«Nach deinem Parkplatz zu schließen, muß das Land Deutschland sein.»

«Du und ich, Zoyd, wir sind wie Bigfoot. Die Zeiten ändern sich, wir ändern uns nicht. Also was soll’s – du bist kein Kneipenschläger. Ich seh in deinen Augen zwar den Hunger nach neuen Erfahrungen, aber besser ist man dran, wenn man sich an seine Spezialitäten hält, und deine ist nun mal die Transfenestration.»

«Hab ich doch gleich gewußt», kommentierte ein anderer Holzfäller mit kaum hörbarer Stimme, während er sich heranpirschte und eine Hand auf Zoyds Oberschenkel unterbrachte.

«Und außerdem», fuhr Buster unbeirrt, doch mit den Augen die Hand auf dem Schenkel fixierend, fort, «ist das dein Modus operandi geworden, das Fensterspringen, und wenn du jetzt, nach so langer Zeit, mit was Neuem anfängst und den Staat zwingst, deine Daten im Computer zu aktualisieren, wirst du dir damit keine Freunde machen. ‹Aha, ein kleiner Rebell›, werden sie sagen, und bald brauchen deine Schecks länger mit der Post und gehen sogar verloren, und jetzt zu dir, Lemay! Mein guter Freund und alter Kumpel, laß uns doch deine Hand mal eben hier oben auf dem Tresen besichtigen. Ich werd dir nämlich deine Zukunft herauslesen, wie wär’s damit?» Wie durch einen eigenartigen, freundlichen Magnetismus zog er die Holzfällerhand hinauf, welche ebenso bereitwillig als geballte Faust vom Schenkel des inzwischen wie gelähmten Zoyd hochgeschnellt wäre, den der (wie es schien) völlig verknallte Lemay beharrlich «Cheryl» nannte. «Du wirst ein langes Leben haben», wobei Buster ins Gesicht von Lemay blickte, nicht auf dessen Handfläche, «weil du ein vernünftiger Bursche bist und der Realität ins Auge siehst. Macht fünf Dollar.»

«Hä?»

«Na ja, oder schmeiß einfach eine Runde für uns. Zoyd hier sieht im Augenblick vielleicht etwas merkwürdig aus, aber er ist in einer offiziellen Sache unterwegs.»

«Ich hab’s gleich gewußt!» kreischte Lemay. «Ein Undercover-Agent.»

«Jagdschein», bekannte Zoyd.

«Ach. Na ja, klingt auch nicht uninteressant.»

In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es war für Zoyd. Sein Partner, Van Meter, rief ihn aus der «Cucumber Lounge» an, einem in ganz Vineland County verrufenen Rasthaus, und er war in heller Aufregung. «Sechs Fernsehteams stehn hier rum und warten, auch Sender aus Frisco dabei, dazu Rettungswagen und eine rollende Imbißbude, und alle fragen sich, wo du steckst.»

«Hier. Du hast mich hier angerufen, hast du das schon vergessen?»

«Aha. Gut gegeben. Aber es war ausgemacht, daß du heute hier im ‹Cuke› durch das große Vorderfenster springst.»

«Nichts da! Ich hab überall angerufen und gesagt, daß ich hier oben sein werde. Was ist passiert?»

«Jemand hat gesagt, man hätte dich umdirigiert.»

«Scheiße. Ich hab’s geahnt, daß mir die Sache eines Tages über den Kopf wachsen würde.»

«Sieh lieber zu, daß du herkommst.»

Zoyd legte auf, verstaute die Säge wieder in der Leinentasche, leerte sein Bierglas, schärfte allen Anwesenden ein, die Abendnachrichten nicht zu verpassen und ging, Show-Biz-Küsse nach allen Seiten werfend, ab.

 

Das Gelände der «Cucumber Lounge» erstreckte sich hinter dem eigentlichen Rasthaus mit der Neonreklame und dem schlechten Ruf über mehrere Hektar unberührten Redwood-Waldes. Zwei Dutzend Motel-Hütten mit holzbefeuerten Öfen, Veranden, Grillplätzen, Wasserbetten und Kabelfernsehanschluß lagen wie Spielzeughäuser im Schatten der aufragenden, düsteren roten Bäume. Während der kurzen Nordküstensommer waren sie mit Touristen und Durchreisenden belegt, doch in den übrigen, regnerischen Monaten des Jahres kamen die Bewohner überwiegend aus der Gegend und mieteten wochenweise. Die Öfen eigneten sich zur Not zum Kochen, Braten, sogar zum Backen, und in einigen der Hütten gab es außerdem Propangasbrenner, so daß neben dem Holzrauch und dem herben Duft der Bäume von früh bis spät heimelige Küchendünste in der Luft hingen.

Der Parkplatz, auf dem Zoyd eine Lücke suchte, war nie geteert worden, und das rauhe Wetter der Gegend hatte im Lauf der Jahre tiefe Rinnen hineingeschrieben. Heute war er in der Hand der Medien, ergänzt um eine Einsatzgruppe aus Polizeifahrzeugen von Staat und County, die ihr Blaulicht blitzen und ihre Sirenen das «Ge-fahr-Ge-fahr»-Thema heulen ließen. Ü-Wagen, Scheinwerfer, Kabelschlangen, Kamerateams wohin man blickte, manche sogar von Sendern aus der Bay Area.

Zoyd begann sich unbehaglich zu fühlen. «Hätte bei Buster vielleicht doch irgendwas Billiges zum Ansägen suchen sollen», murmelte er. Er mußte schließlich zurücksetzen, wenden und auf einem von Van Meters reservierten Plätzen parken. Sein ehemaliger Bassist und Kampfgefährte bei so manchem Unfug lebte seit Jahren hier und bezeichnete noch immer als «Kommune», was sich aus einer erstaunlichen Anzahl von akuten und abgelegten Beziehungen, den neuen Freunden der letzteren, Kindern aller nur denkbaren an- und abwesenden Elternkombinationen sowie diversen Besuchern, die in irgendeiner Nacht hereingestolpert waren, zusammensetzte. Zoyd hatte Fernsehsendungen über Japan gesehen, mit Bildern von Orten wie Tokio, wo die Leute in unglaublich überfüllte Lebenslagen gerieten, aber trotz des Gedränges gut miteinander klarkamen, weil sie im Laufe ihrer Geschichte gelernt hatten, sich vernünftig zu benehmen. Als Van Meter, ein lebenslänglicher Sinnsucher, in seinen Bungalow hinter der «Cucumber Lounge» einzog, hatte Zoyd gehofft, daß sich als Nebenwirkung eine Art japanischer Gelassenheit einstellen würde, aber damit war nichts. Statt für die sedierende Lösung des Überbevölkerungsproblems hatte sich die «Kommune» für eine aufpeitschende entschieden – Zank. Unerbittlich und dezibelstark, war es Gezänk, auf die Ebene des Rituals gehoben, Gezänk, das bald eine eigene, hausinterne Zeitschrift (betitelt TAUBE OHREN) hervorbrachte, Gezänk, das noch draußen auf dem Freeway in den Führerhäusern der vorbeidonnernden Trucks zu vernehmen war, wo manche Fahrer es für eine Radiostörung hielten und andere für die Stimmen aufgescheuchter Geister.

Und hier kam Van Meter um die Ecke des «Cuke» gebogen, im Gesicht seinen üblichen Ausdruck, verkannte Rechtschaffenheit. «Bist du fertig? Das Licht geht uns weg, jeden Augenblick kann Nebel kommen, welcher Teufel hat dich geritten, daß du zum ‹Log Jam› raufgefahren bist?»

«Falsch, Van Meter – warum ist alle Welt statt dessen hier?»

Sie gingen durch den Hintereingang, während Van Meter seine Stirn abwechselnd in Falten legte und glättete. «Jetzt, wo du da bist, kann ich’s dir ja sagen: nämlich dieser alte Kumpel von dir ist gerade aufgekreuzt.»

Zoyd brach der Schweiß aus, und einer dieser scheißetreibenden Angstkrämpfe krallte sich in sein Gedärm. War es Außersinnliche Wahrnehmung, oder reagierte er nur auf einen Unterton in der Stimme seines Freundes? Irgendwie wußte er, um wen es sich handelte. Gerade jetzt, wo er all seine Konzentration brauchte, um noch mal durch ein Fenster zu springen, mußte er sich mit dem Gedanken an diesen Besucher aus den guten alten Zeiten herumschlagen. Und richtig, er entpuppte sich als Zoyds langjähriger Verfolger von der Drogenfahndung, DEA-Schnüffler Hector Zuñiga, wieder einmal auf der Bildfläche – der erratische Regierungskomet, der bei jedem neuen Besuch in Zoyds Orbit neue Varianten von Unglück und unheilvollen Einflüssen mit sich brachte. Diesmal war allerdings eine ganze Weile vergangen, Zeit genug, um Zoyd Anlaß zu der Hoffnung zu geben, der Mann könnte ein anderes Opfer gefunden haben und endgültig verschwunden sein. Träum weiter, Zoyd. Hector stand drüben bei den Toiletten und tat so, als spiele er an einem Zaxxon-Automaten. In Wahrheit wartete er darauf, daß sich jemand fände, der ihn abermals mit Zoyd bekannt machte. Diese Ehre schien Ralph Wayvone jun., dem Manager des «Cuke», zuzufallen, der aus San Francisco stammte und von den Überweisungen seines Vaters lebte. Dieser war dort ein bedeutender Mann und hatte sein Glück in Branchen gemacht, in denen finanzielle Transaktionen zum überwiegenden Teil in bar abgewickelt wurden. Heute hatte sich Ralph jun. mit einem Cerruti-Anzug rausgeputzt, dazu weißes Hemd mit Manschettenknöpfen, doppelsohlige Berühr-sie-und-stirb-Schuhe fremdländischen Ursprungs und tutti quanti. Wie alle anderen an diesem Ort sah er ganz ungewöhnlich besorgt aus.

«Hallo, Ralph, zeig mir ein Lächeln, schließlich bin ich’s, der die ganze Arbeit macht.»

«Achhh – meine Schwester heiratet, nächstes Wochenende, und die Band hat gerade abgesagt, und weil ich den geselligen Teil der Sache organisiere, muß ich mich jetzt um Ersatz kümmern. Weißt du vielleicht ’ne Combo?»

«Tja, vielleicht … Bau diesmal lieber keine Scheiße, Ralph, du weißt, was sonst passiert.»

«Immer einen Scherz auf den Lippen. Komm, ich zeig dir das Fenster, das du nehmen wirst. Soll ich dir einen Drink kommen lassen oder irgendwas? Ach, übrigens, Zoyd, hier ist ein alter Freund von dir, hat den ganzen weiten Weg auf sich genommen, um dir Glück zu wünschen.»

«Mm-hm.» Er und Hector wechselten einen überaus flüchtigen Händedruck.

«Toller Fummel, Wheeler.»

Vorsichtig wie ein Bombenentschärfer streckte Zoyd die Hand aus, um Hector auf den Bauch zu patschen. «Sieht aus, als wäre dein Stoßdämpfer ein Stück größer geworden, was, alter Amigo?»

«Größer, nicht weicher, ése. Und weil wir beim Thema Essen sind, wie wär’s mit morgen im ‹Vineland Bowling›?»

«Läuft nicht. Ich muß die Miete verdienen und bin schon spät dran.»

«Aber es ist wich-tig.» Hector machte eine kleine Melodie daraus. «Sehn wir’s mal so: Wenn ich dir beweise, daß ich noch immer so ein Miststück von Desperado bin wie früher, dann geht die Rechnung auf mich. Einverstanden?»

«So ein Miststück von …» Von was? Warum ließ sich Zoyd jedesmal wieder in diese öligen Hectorianischen Inszenierungen verstricken? Nie hatte ihm eine davon mehr gebracht als ein Gefühl des Unbehagens. «Hector, wir sind zu alt für so was.»

«Nach all dem Lächeln, all den Tränen …?»

«Okay, spar dir den Rest, abgemacht – du sein Miststück, ich kommen zum Essen, aber jetzt muß ich hier durch dieses Fenster springen, ist das wohl möglich? Kann ich mal eben ein paar Sekunden dafür abzweigen?»

Fernsehleute murmelten in Walkie-talkies, Techniker waren durch das schicksalsschwangere Fenster zu sehen, vor dem sie mit Belichtungsmessern herumfuchtelten und Mikrophone aussteuerten, während drinnen Zoyd, gleichmäßig atmend, lautlos ein Mantra wiederholte, das ihm Van Meter am Ende seiner Yogaphase mit der Behauptung, es habe ihn hundert Dollar gekostet, für einen Zwanziger aufgeschwatzt hatte, der Zoyd eigentlich gar nicht so richtig gehörte. Schließlich war alles zur Aufnahme bereit. Van Meter hob die Hand zu Mr. Spocks Vulkaniergruß. «Wir warten nur auf dich, Z W!»

Zoyd beäugte sein Spiegelbild hinter der Theke, fuhr sich durch die Haare, drehte sich um, verharrte einen Augenblick und raste mit Gebrüll und leerem Hirn auf die Fensterscheibe zu und mit einem Scheppern durch sie hindurch. In dem Augenblick, da er sie berührte, merkte er schon, daß irgendwas nicht stimmte. Er spürte kaum einen Aufprall, und alles fühlte sich anders an und klang auch anders, kein Klirren und Vibrieren, auch kein lauter Krach, nur eine Art zartes, gedämpftes Splittern.

Nachdem er pflichtbewußt jede der Fernsehkameras attackiert und wahnhafte Grimassen geschnitten hatte und nachdem die Polizei mit ihrem Formularkram fertig war, sah Zoyd, wie Hector inmitten der glitzernden Verwüstung vor dem kaputten Fenster hockte und ein leuchtendes, gezacktes Polygon aus Glas in der Hand hielt. «Zeit für die schlechte Nachricht», rief er und grinste auf die verschlagene Tour, die Zoyd seit langem vertraut war. «Bereit?» Wie eine Schlange ließ er den Kopf vorwärtsschnellen und nahm einen riesigen Bissen Glas. Heilige Scheiße, Zoyd wie erstarrt, er hat sie nicht mehr alle – aber nein, weit gefehlt, Hector war jetzt am Kauen, mahlte und schlabberte, immer das gleiche üble Grinsen im Gesicht, und gab ein genießerisches «Mnjam-mnjam!» und «¡Qué rico, qué sabroso!» von sich. Van Meter spurtete hinter einem abfahrenden Notarztwagen her und brüllte «Sani! Sani!», aber Zoyd hatte geschaltet. Er kannte sich aus in Mediensachen, schließlich las er den TV Guide, und er erinnerte sich gerade an einen Artikel über die Tricks der Stuntmen und daß man Fensterscheiben aus klaren Zuckerplatten für sie machte, die zwar zersplitterten, aber niemanden verletzten. Drum hatte es sich diesmal so komisch angefühlt – der junge Wayvone hatte die normale Fensterscheibe rausnehmen und durch eine aus Zuckerglas ersetzen lassen. «Wieder reingefallen, Hector, danke.»

Aber Hector war bereits in einer langen grauen Limousine mit Regierungsnummer verschwunden. Versprengte Kameraleute der TV-Teams schossen noch ein paar Schlußeinstellungen von der «Cucumber Lounge» und ihrer berühmten, rotierenden Leuchtreklame, die der zuvorkommende Ralph jun. heute früher eingeschaltet hatte: eine riesige grüne Neongurke mit blinkenden Warzen, die in einem Winkel aufgerichtet war, der bis auf ein oder zwei Grad ans Vulgäre reichte. War es wirklich unumgänglich, daß Zoyd am nächsten Tag in dieser Bowling-Kneipe aufkreuzte? Rein technisch betrachtet, nein. Aber in den Augen des Agenten hatte etwas gefunkelt, das Zoyd noch immer sehen konnte, selbst hinter den Einwegscheiben des Wagens, selbst durch den abendlichen Nebel, der über den Bergkamm und hinunter zur 101 wogte und den davonfahrenden Hector verschluckte. Zoyd spürte, daß wieder eines ihrer Spielchen begonnen hatte. Jahrelang hatte Hector immer wieder versucht, ihn als Quelle anzuzapfen, und bis jetzt hatte sich Zoyd, rein technisch betrachtet, seine Unschuld zu bewahren gewußt. Aber dieser kleine Scheißer ließ nicht locker. Er kam wieder, immer wieder, jedesmal mit einem neuen, noch abartigeren Plan, und Zoyd wußte, daß er eines Tages, nur um endlich seine Ruhe zu haben, «na schön» sagen und überlaufen würde. Die Frage war nur, ob es schon jetzt passieren würde oder erst bei einer der folgenden Gelegenheiten. Sollte er einen weiteren Umlauf abwarten? Er kam sich vor wie im Studio von «Glücksrad», nur daß es keine Pat Sajak gab, deren positive Vibrationen ihn getröstet hätten, und daß keine sonnengebräunte, schöne Vanna White am Rand seines Gesichtsfelds dem großen Rad zuredete, sich weiter zu drehen, ihm Glück wünschte und, einen nach dem anderen, Buchstaben aufklappte zu einer Botschaft, von der er schon wußte, daß er sie überhaupt nicht lesen wollte.

Zoyd schaffte es rechtzeitig nach Hause, um sich in der Glotze zu bewundern, womit er aber warten mußte, bis Prairie den Halbfünfuhrfilm zu Ende gesehen hatte: Pia Zadora in der Clara Bow Story. Sie befingerte den Stoff seines grellbunten Kleids. «Find ich ganz irre, Dad. Steil. Kann ich das haben, wenn du’s nicht mehr brauchst? Ich könnte meinen Futon damit beziehen.»

«Sag mal, triffst du dich manchmal mit Holzfällertypen, Seilsetzern, Axtschwingern oder so?»

«Zoy-oyd …»

«Sei nicht gleich beleidigt. Ich frag ja bloß, weil mir ein paar von diesen Kerlen ihre Telefonnummern zugesteckt haben, hier, dazu diverse Geldscheine.»

«Wofür?»

Er hob den Kopf, warf seiner Tochter einen argwöhnischen Blick zu. War das eine Fangfrage? «Laß mich mal rechnen … Wir haben 1984, dann wärst du also … vierzehn?»

«Sehr gut. Und jetzt das Auto.»

«Nimm’s bloß nicht persönlich.» Zoyd hatte das weite, farbenfrohe Kleid abgestreift. Das Mädchen schrak in gespieltem Entsetzen zurück, hielt sich die Hand vor den Mund und machte große Kulleraugen. Unter dem Kleid trug er alte, weite Schwimmshorts und ein fadenscheiniges Hussong-Shirt. «Na gut, nimm. Kann ich mir jetzt ansehen, wie ich in den Nachrichten rüberkomme?»

Sie hockten zusammen auf dem Fußboden vor der Glotze, neben sich eine stuhlhohe Tüte Käsecracker und ein Sechserpack Grapefruit-Soda aus dem Müsliladen, und sahen sich Baseball-Höhepunkte, Werbespots und den Wetterbericht an – wieder kein Regen –, bis es Zeit für den Rausschmeißer war. «Und jetzt», kündigte Moderator Skip Tromblay schmunzelnd an, «zu einem Ereignis, das in Vineland schon Tradition hat. Wie alle Jahre wieder vollführte Mr. Zoyd Wheeler, Freigänger aus der örtlichen Nervenheilanstalt, heute seinen nun schon vertrauten alljährlichen Sprung durch eine Schaufensterscheibe des Bezirks. Diesmal traf es die berüchtigte ‹Cucumber Lounge›, die Sie hier sehen können, wo sie immer zu sehen ist, nämlich dicht am Highway 101. Ihr TV 86-‹Hot Shot›-Nachrichtenteam wurde von einem anonymen Anrufer informiert und präsentiert Ihnen nun eine Aufzeichnung von Wheelers Glanztat, die es voriges Jahr um ein Haar zu einer landesweiten Ausstrahlung in ‹Good Morning America› gebracht hätte.»

«Sieht gut aus, Dad.» In der Glotze kam Zoyd wie ein Geschoß aus dem Fenster geflogen, unterlegt mit dem nachsynchronisierten Klirren einer nunmehr echten Glasscheibe. Polizeiautos und Feuerwehr-Gerätschaften untermalten die Szene mit fröhlichem Chromglitzern. Zoyd sah, wie er auf dem harten Boden aufkam, abrollte, sich aufrichtete und kreischend, mit gefletschten Zähnen, auf die Kamera losging. Seine Pro-forma-Verhaftung und Freilassung waren geschnitten worden, aber Zoyd konnte mit Befriedigung feststellen, daß das Partykleid mit seinem nostalgisch-hawaiianischen Papageien- und Hulamädchen-Druck in Leuchtorange, fast ultraviolettem Purpur, etwas kreischigem Grün und einem zarten Hauch von Lila als echter Blickfang rüberkam. Auf einem anderen Kanal, einem der San Francisco-Sender, wurde die Szene in Zeitlupe wiederholt: Millionen von Kristallen zogen Flugbahnen, die von so glatter Perfektion waren wie die Tropfen eines Springbrunnens, und Zoyd fand mitten im Flug die Zeit, durch eine Reihe von Posen zu rotieren, an die er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, die aber, zu Standbildern eingefroren, anderswo für erste Preise in irgendwelchen Fotowettbewerben gut gewesen wären. Anschließend kamen die Highlights aus seinen früheren Versuchen, wobei die Farben mit jedem Schritt zurück in die Vergangenheit schlechter und die übrigen Produktionsdetails liebloser wurden, worauf eine Podiumsdiskussion unter Fachleuten folgte, darunter ein Physikprofessor, ein Psychologe und ein Leichtathletiktrainer, live zugeschaltet von den Olympischen Spielen unten in Los Angeles, die die Entwicklung von Zoyds Sprungtechnik im Lauf der Jahre analysierten und zu einer grundlegenden Unterscheidung zwischen dem Typus der defenestrativen, aus einem Fenster schlicht hinausspringenden, und dem der transfenestrativen, nämlich durch das Fenster hindurchzielenden, Persönlichkeit gelangten, die ganz unvergleichbare psychische Subtexte aufwiesen. Zu circa diesem Zeitpunkt begann Zoyds und Prairies Aufmerksamkeit zu erlahmen.

«Von mir gibt’s Neunkommafünf, Dad, persönliche Bestleistung – zu dumm, daß der Video im Eimer ist, wir hätten’s aufnehmen können.»

«Ich arbeite dran.»

Sie sah ihn unverwandt an. «Wir brauchen wirklich einen neuen.»

«Dazu fehlt mir nur eins, Chefin: die Kohle. Kaum ist was zu essen im Haus, schon ist es wieder weg.»

«Oh, Scheiße, ich weiß, worauf das rausläuft. Immer diese Anspielungen auf meine Figur! Was soll ich denn noch tun? Wer läßt denn die ganzen Kuchen und Pasteten und Fressalien rumliegen, Schokoriegel in der Kühlbox, Nesquik in der Zuckerdose! Da hab ich doch keine Chance!»

«Hey, ich hab bloß von Geld geredet, Kid. Wie kommst du drauf, daß ich Anspielungen auf deine Figur mache?»

Der Mädchenkopf auf dem Widerlager aus glattem Hals und Wirbeln ruckte mit einer kleinen Drehung in einen schrägen Winkel, als wäre dies die einzige Position, aus der heraus Prairie mit ihrem Vater sprechen konnte. «Ooch … da gab’s ein paar Andeutungen kürzlich, eine oder zwei, vom großen Jott.»

«Na wunderbar, der bekannte Punk und Diätexperte – wonach hat er sich gleich benannt? Nach irgendeinem Roboter?»

«Nach Jesaja zwei, vier, das ist ein Bibelvers.» Langsam, kapitulierend, schüttelte sie den Kopf. «Und es waren deine Freunde, seine freakigen Hippie-Eltern, die ihn ’67 mit diesem Namen beglückt haben, über den Schritt vom Krieg zum Frieden, Spieße zu Sicheln und ähnliches beknacktes Friedenskämpferzeug.»

«Das übrigens auch für euch von gewissem Interesse sein könnte, und überhaupt, ist dir je die Idee gekommen, daß dein alter R2D2 vielleicht einfach ein Geizhals ist und dir nicht mehr zu essen kaufen will, als er unbedingt muß? Was macht er eigentlich? Womit stopft er dir dein Mäulchen?»

«Ach, Liebe ist eine komische Sache, Dad. Hast du vielleicht schon vergessen.»

«Ich weiß, daß Liebe eine komische Sache ist, das hab ich schon 1956 gelernt, zusammen mit den ganzen Gitarrenbreaks. Du liebst dieses Individuum, gut, aber du vergißt vielleicht auch was, nämlich daß ich ihn kenne. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ihr an Halloween an der Tür um Süßigkeiten gebettelt habt, ist noch gar nicht lange her, und eins laß dir sagen: Wenn so ein Kind dabei in der Verkleidung von Jason aus Freitag der Dreizehnte [1980] daherkommt, dann hat’s Probleme, das darfst du einem alten Psychiatriepatienten glauben.»

Prairie seufzte. «In dem Jahr sind alle als Jason gegangen. Und heute ist er ein Klassiker, wie Frankensteins Monster, und überhaupt seh ich nicht ein, wieso dir das Probleme macht. Jesaja hat dich schon immer bewundert, weißt du das eigentlich?»

«Wie bitte?»

«Wegen deiner ganzen Fenstersprünge. Er hat jeden Zentimeter davon auf Video studiert. Er sagt, ein paarmal wärst du um ein Haar aufgespießt worden.»

«Um ein Haar was

«Das Glas fällt schnurgerade von oben aus dem Rahmen runter», erläuterte sie, «in großen Splittern, scharf wie Speerspitzen, und schwer genug, um dich mitten durchzustechen, ja? Jesaja sagt, allen seinen Freunden ist aufgefallen, wie wahnsinnig cool du immer dabei aussiehst, als wäre dir die Gefahr ganz egal.»

Käseweiß, ein Würgen im Hals, schaffte er immer noch einen zweifelnden Blick aus einem Auge. Sinnlos, ihr heute von der falschen Fensterscheibe zu erzählen, sie sah ihn so arglos, ja sogar – es war pervers – voller Bewunderung an, also am besten den Mund halten. Aber stimmte das denn, war es möglich, daß er bei jedem seiner früheren, fröhlichen Sprünge dem Tod oder einer komplizierten Operation so knapp entronnen war? Wie sollte er, wenn er sich nicht ab sofort felsenfest auf Zuckerglas verlassen konnte, in Zukunft noch auf diese Weise zu Geld kommen? Zum Teufel, er hätte sich gleich als Stuntman an eine Art Joey Chitwood-Show verkaufen sollen, dann hätte er wirklich Kohle gemacht.

«… und ich glaube, du und Jesaja, ihr könntet sogar miteinander ins Geschäft kommen», hatte Prairie offenbar gerade gesagt, «er wär jedenfalls dazu bereit, und du müßtest nichts weiter tun als ’n bißchen aufgeschlossen sein.»

Zoyd hatte keine Ahnung, wovon sie redete, aber er zwang sich zu einer flapsigen Bemerkung. «Solange er mich nicht mit Gewalt aufschließt», als er sich auch schon vor dem Turnschuh ducken mußte, der, glücklicherweise ohne Fuß darin, an seinem Ohr vorbeizischte.

«Du beurteilst ihn nach seinen Haaren, nach den Haaren und sonst nichts», wobei sie mit dem Zeigefinger wedelte, eine Darbietung, die auf halbem Weg zwischen streitlustiger Nachbarin und Seifenopern-Klapsmühlenchef lag. «Aus dir ist genau so ein Vater geworden, wie du ihn selbst im Genick hattest, damals, als du ein junger Hippiefreak warst.»

«Stimmt, ich war für die Leute zu meiner Zeit genauso schwer zu verdauen wie dein Boyfriend es heute ist, aber von unserer Generation ist kein einziger jemals spät abends mit einer Eishockeymaske vorm Gesicht vor fremden Türen aufgetaucht, voll ausgerüstet mit mörderischen Klingen, darunter sogar so was wie ’ne Sichel. Und du willst mir erzählen, wir könnten ‹ins Geschäft kommen›? Was für ’n Geschäft könnte das wohl sein – Renovieren von Ferienlagern?» Er begann sie mit Crackern zu bewerfen und verstreute dabei leuchtend orangerote Krümel im ganzen Zimmer.

«Er hat eine prima Idee, wenn du ihn nur mal anhören würdest, Papachen.»

«Papachen kannst du dir an den Ärmel schmieren.» Zoyd stopfte sich den Cracker in den Mund, den er eigentlich hatte werfen wollen. «Natürlich kann ich ihn mir anhören, das wird doch wohl noch möglich sein, für was für einen Starrkopf von Vater hältst du mich eigentlich? Er könnte doch sogar ein netter junger Mann sein, allem Anschein zum Trotz, denk nur mal an Moondoggie in Gidget [1959], ist doch alles möglich …»

«Jesaja!» brüllte das Mädchen. «Setz dich in Bewegung, Mann, wer weiß, wie lange er noch so gut drauf ist», und aus einer anderen Dimension, wo er in einer Umlaufbahn gewartet hatte, trat Jesaja Zwo-Vier ins Zimmer, seinen langen Irokesenkamm, wie Zoyd gleich bemerkte, heute flimmernd giftgrün gefärbt, außer an den Spitzen, wo in Airbrush-Technik eine Spur von Lila aufgetragen war. Nun waren das die beiden Farben, die in Zoyds ewiger Hitparade ganz oben standen, und Prairie, die ihm genügend T-Shirts und Aschenbecher in dieser schrägen Sechziger-Kombination geschenkt hatte, wußte das. War dies etwa ein eigenwilliger Versuch, nett zu sein?

Zur Begrüßung versuchte es Jesaja, der irgendwie die Vorstellung hatte, Zoyd müßte ein alter Vietnamkämpfer sein, mit Anboxen und Abducken. Einige seiner Bewegungen gehörten, wie Zoyd erkannte, zu den Genres Dschungelkrieg und Gefängnisdrama, andere entstammten einer privaten Choreographie, der er, so sehr er sich auch bemühte, nicht ganz folgen konnte. Währenddessen summte Jesaja ohne Unterlaß «Purple Haze» von Jimi Hendrix. «Na denn, Mr. Wheeler», ließ er sich endlich vernehmen, «wie geht’s denn so?»

«Was soll das, ‹Mr. Wheeler›? Was ist aus dem ‹du Würstchen, du Spießer› geworden?» – der Höhe- und Schlußpunkt ihrer letzten Begegnung, bei der ein diszipliniertes Gespräch über musikalische Geschmacksdifferenzen zu einer höchst summarischen Ablehnung so gut wie aller Wertbegriffe des jeweiligen Gegenübers eskaliert war.

«Tja, Sir», entgegnete der jugendliche Gewaltenthusiast mit Profiboxerstatur, der Zoyds Tochter vögelte oder auch nicht, «ich muß bei ‹Würstchen› an das seltsame Los gedacht haben, das uns allen zugeteilt ist, nämlich ein sterbliches Sandwich im aufgesperrten Rachen des Schicksals zu sein, und wenn man die Sache so sieht, macht’s doch echt keinen Unterschied, ob man ein Ohr für die musikalischen Botschaften von Septic Tank und Fascist Toejam hat oder nicht.» Das war so offensichtlicher Blödsinn, daß Zoyd nicht anders konnte, als weich zu werden.

«Wo wir gerade dabei sind, könnte ich mich dazu durchringen, deine flammende Lobrede auf die Uzi als ein Mittel zur Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme als nicht wirklich ernst gemeint zu den Akten zu legen.»

«Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir.»

«Essen fassen, Leute!» Prairie kam mit einem Riesentopf Guacamole und einer Riesentüte Tortilla-Chips herein, und Zoyd fragte sich, ob dazu nicht auch ein gekühltes Sechserpack mexikanisches Bier … Ge-nau, da war’s schon! Als er strahlend die erste Dose öffnete, fiel ihm wieder mal auf, was für ein heimliches, noch nicht professionell entwickeltes Talent zur listigen Intrige seine Tochter doch besaß. Bestimmt sein Erbteil, und er spürte, wie Wärme in ihm aufstieg, was aber auch von der Guacamole herrühren konnte, bei der sie heute abend etwas zuviel Fertigsalsa erwischt hatte.

Zoyds Anspielung auf die Uzi-Maschinenpistole, jenen «Hansdampf der Wüste», wie sie in ihrem heimatlichen Israel genannt wird, paßte genau zum Thema. Jesajas Geschäftsidee bestand darin, zunächst einen Prototyp und später eine ganze Kette von Gewaltcentern zu bauen, in der Art eines Themenparks, mit allen einschlägigen Angeboten, zum Beispiel Schießständen für Schnellfeuerwaffen, paramilitärischen Fantasy-Abenteuern, Souvenirläden, Restaurants und Videospielen für die Kinder, denn Jesaja hatte ein Familienpublikum im Auge. Zu seinem Konzept gehörten auch ein standardisierter Grundriß und ein Logo, für Franchising-Zwecke. Jesaja saß auf dem Tisch, der aus einer Kabeltrommel bestand, legte Diagramme aus Tortilla-Chips und steigerte sich in seine Träume hinein: «Abenteuer in der Dritten Welt», ein Hindernislauf durch den Dschungel, bei dem man sich von Liane zu Liane schwingen, ins Wasser fallen lassen und auf plötzlich hochpoppende Ziele losballern mußte, die eingeborene Guerilleros vorstellen sollten … «Abschaum der Großstadt», wo der Besucher in einer Kulisse aus dunklen Gassen, fahlem Neon und eingespielter Saxophonmusik Gelegenheit hätte, eine gutsortierte Auswahl von Störenfrieden des städtischen Lebens vom Antlitz der Erde zu tilgen, darunter Zuhälter, Perverse, Drogenhändler und Straßenräuber, alle von gutgemischter Rassenvielfalt, damit jeder was fände, wovor er sich ekeln könnte … Und für den Gewalt-Feinschmecker die «Hitparade», bei der man nach eigener Wahl Videoaufzeichnungen jener Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammenstellen konnte, die man am meisten haßte, um sie dann auf den Bildschirmen alter, billig zusammengekaufter Fernseher am Fließband an sich vorbeiziehen zu lassen wie Pappenten in einer Schießbude, so daß das Vergnügen am Abknallen dieser salbadernden, aufgeblasenen Fratzen noch um den Genuß der Implosionen all der Bildröhren gesteigert würde …

Zoyd konnte sich kaum vor der Schaumkrone halten. Um ein Haar wurde er überrollt von der Woge aus demographischen Daten und Gewinnprojektionen, mit denen der Junge ihn bearbeitete. Benommen registrierte er, daß ihm irgendwann der Kiefer runtergeklappt und dort hängengeblieben war, er wußte nicht, wie lange. Er klappte ihn wieder hoch, zu plötzlich, so daß er sich auf die Zunge biß, genau in dem Augenblick, als Jesaja sagte: «Und kosten wird Sie das keinen Penny!»

«Ah-ja. Und was kostet’s mich dann?»

Jesaja schenkte ihm ein fünfstelliges kalifornisches Zahnersatzlächeln und den offenen Blick in die Augen. Zoyd brauche sich nur bereit zu erklären, für einen Kredit zu bürgen …

Zoyd erlaubte sich ein ausgiebiges und betrübtes Kichern. «Und wer gibt den Kredit?» wollte er wissen und erwartete eine jener obskuren Adressen in einem fernen Bundesstaat, wie man sie auf den Deckeln von Zündholzbriefchen fand. Statt dessen stellte sich heraus, daß es die Bank von Vineland höchstselbst war. «Du hast sie doch nicht etwa, hm, bedroht, oder so was in der Art?» stichelte Zoyd den langschattigen Jüngling.

Jesaja zuckte nur die Achseln und fuhr fort: «Im Gegenzug bekommen Sie die Bauarbeiten und die Landschaftsgestaltung übertragen.»

«Moment mal – warum bürgen deine Eltern nicht?»

«Ach …, das liegt wohl daran, daß sie immer für Gewaltlosigkeit und so waren.» Es lag etwas Wehmütiges in der Art, wie er das sagte. Seine Eltern waren nicht nur Vegetarier, sondern machten auch unter den Gemüsen noch feine Unterschiede. So schlossen sie von ihrem Speisezettel zum Beispiel alles aus, was rot war, die Farbe des Zorns. Auch die meisten Brotsorten waren tabu, weil bei ihrer Herstellung Hefen getötet worden waren. Obwohl Zoyd mit Psychologie nichts am Hut hatte, fragte er sich doch, ob der Junge nicht an Prairie tat, wie ihm selbst zu Hause in puncto Essensirrsinn getan wurde.

«Und … sie wissen noch nichts von der Sache?»

«Sollte so was wie ’ne Überraschung sein.»

Zoyd wieherte. «Eltern lieben Überraschungen», womit er sich einen eigentümlichen Blick von Prairie einfing, etwa: Ach tatsächlich? Mal sehen, was du dazu sagst …

Statt dessen: «Wir hatten vor, alle zusammen ein paar Tage rauszufahren, okay? Im Prinzip die Band und noch ein paar andere Mädchen.»

Jesaja spielte bei einer örtlichen Heavy-Metal-Combo namens Billy Barf and the Vomitones, die in jüngster Zeit ein paar Probleme gehabt hatte, Gigs zu finden.

«Schau mal bei Ralph Wayvone jun. drüben im ‹Cuke› vorbei», riet Zoyd. «Seine Schwester heiratet nächstes Wochenende unten in Frisco, die Band hat plötzlich abgesagt, und er scheint ziemlich verzweifelt nach Ersatz zu suchen.»

«Tja …, mach ich vielleicht besser sofort. Kann ich mal das Telefon benützen?»

«Zuletzt hab ich’s im Badezimmer gesehen.»

Als sie allein waren, trafen sich seine und Prairies Blicke. Das Mädchen hatte noch nie große Umwege gemacht, nicht einmal als Baby. Schließlich sagte sie: «Und?»

«Der Bursche ist in Ordnung, aber keine Bank läßt mich für ’n Kredit bürgen, vergisses.»

«Du bist Geschäftsmann hier.»

«Sie würden mich eher als Wanderdachdecker bezeichnen, und überhaupt hab ich schon überall Schulden.»

«Das lieben sie doch, wenn man ihnen Geld schuldet.»

«Nicht so, wie bei mir, Prairie – und wenn das ganze Projekt den Bach runtergehen sollte, nehmen sie uns das Haus weg.» Ein Argument, das vielleicht gerade dabei war durchzudringen, als Jesaja aus dem Badezimmer gestürmt kam und brüllte: «Wir haben den Job! Wir haben ihn! Wahnsinn! Ich kann’s kaum fassen!»

«Ich auch nicht», murmelte Zoyd. «Ihr geht zu einer großen italienischen Hochzeit, und was wollt ihr da spielen? Die Greatest Hits von Fascist Toejam

«Könnte sein, daß man da noch mal drüber nachdenken sollte», räumte Jesaja ein. «Übrigens hab ich auch irgendwie den Eindruck erweckt, wir wären Italiener.»

«Wär vielleicht nicht ganz verkehrt, ein paar von den einschlägigen Nummern einzustudieren, aber das kriegt ihr schon auf die Reihe. Versuch dir keine Sorgen zu machen.» Zoyd gluckste in sich hinein, während Prairie und Jesaja sich durch die Tür davonmachten. Jaja, immer gern mit einem Tip zur Hand, mein Junge, ein Gig bei einer Kriminellenfamilie oder was du nur willst, brauchst dir wirklich nicht die Mühe machen, mir zu danken … Zoyd hatte in seiner Musikerlaufbahn bei einer ganzen Reihe von Hochzeiten im Milieu gespielt, da gab’s nichts, womit der Junge nicht klarkäme, und allein die Bewirtung würde ihn für die eine oder andere unerfreuliche Episode mehr als entschädigen, also war das alles in allem kein übler Streich, den er dem Freund seiner Tochter, von dem er übrigens noch immer nicht hundertprozentig begeistert war, hier spielte. Und als Problem, dem er sich widmen konnte, war Jesaja geradezu eine Erholung von gravierenderen Schwierigkeiten, unter denen die Wiederkehr von Hector Zuñiga mit einemmal ganz im Vordergrund stand – ein Thema, zu dem seine Gedanken, während er sich einen Joint anzündete und es sich vor der stummen Glotze bequem machte, unweigerlich immer wieder zurückfanden.

Es war eine Romanze, die sich bereits über Jahre hinzog, mindestens so dauerhaft wie die von Tweety und Sylvester. Auch wenn Hector von Zeit zu Zeit von einer comicgleichen Vernichtung Zoyds geträumt haben mochte, war ihm schon bald nach dem Beginn ihrer Bekanntschaft klargeworden, daß Zoyd einer von denen war, die zur Strecke zu bringen er nicht die geringsten Aussichten hatte. Nicht daß er den Widerstand, den ihm Zoyd entgegensetzte, auf etwas wie moralische Integrität zurückgeführt hätte. Er sah die Ursache eher in schlichter Sturheit, flankiert von Drogenmißbrauch, ständigen psychischen Problemen und einer zaghaften Ahnungslosigkeit – vielleicht verbarg sich dahinter auch nur ein Mangel an Phantasie –, was die wahren Dimensionen eines jeden Deals im Leben anging, ob dabei nun Drogen im Spiel waren oder nicht. Und obwohl er inzwischen nicht mehr derart davon besessen war, Zoyd umzudrehen – diese Krise hatten sie schon lange hinter sich –, liebte es Hector nach wie vor, und ohne einen Grund dafür angeben zu können, in unregelmäßigen Abständen und am besten überraschend bei seinem Widersacher hereinzuplatzen.

The Corvairs