Franz Friedrich Altmann

TURRINIS HERZ

Kriminalroman

VIII

„Schastrommel!“, sagt man nur zu Frauen. Genauer gesagt: zu einer dicken alten Frau. Warum das so ist, kann ich mir auch nicht erklären. Dass mit Trommel ein dicker Mensch gemeint ist, ist ja noch klar. Warum aber nur Frauen? Wird ja genauso viel Männer geben, die unter Blähungen leiden. Die einzige Erklärung ist die, dass Schas hier gar nicht im eigentlichen Sinn gebraucht wird, sondern im übertragenen. Also in der Bedeutung von Blödsinn. Weil da kenn ich schon genug alte Weiber, die wirklich nur Schas daherreden. Das aber ununterbrochen und unüberhörbar – wie eine Trommel halt.

Da kann man sich selber noch so oft vorsagen: „Selig die Sanftmütigen! Denn ihrer ist das Himmelreich“, irgendwann einmal reicht es auch dem Sanftmütigsten. Drum drischt der hochwürdige Herr Pfarrer jetzt auf den Tisch. „Halt doch endlich einmal dein verlogenes Schandmaul, du alte Schastrommel, du!“, kriegt die Kathi zu hören. Der verschlägt es prompt die Sprache. So was ist sie von ihrem Herrn Hochwürden nicht gewohnt. In den ganzen 47 Jahren, die sie bei ihm Pfarrerköchin ist, hat er höchstens einmal „Teufel eini!“ gesagt, wenn das Schnitzel verbrennt war, oder „Kruzifix noch einmal!“, wenn bei einem Hemd ein Knopf gefehlt hat. Aber sonst, die ganzen 47 Jahre kein einziges garstiges Wort! Und jetzt, wo er praktisch eh schon mit einem Bein im Grab steht, fangt dieser alte Hurenbock auf einmal mit den ordinärsten Schimpfwörtern an!

Und alles nur wegen dieser Schlampen! Zuerst hat sie ganz auf fromm getan – wie wenn sie recht gegen das Puff wär – und dann haben sie und der Herr Hochwürden bei diesem Interview gleich fünf Flaschen Messwein gesoffen! Und wer weiß, was sie sonst noch gemacht haben! Und vorgestern ist dann das Luder auch schon im Pfarrhof eingezogen. Noch dazu mit zwei Hunden! Und gestern – und das ist das Allerärgste – gestern hat sich diese Schlampen doch tatsächlich in die Küche gestellt und für den Herr Hochwürden gekocht. Und der hat dieses komische Hendl in Rotweinsauce hinuntergeschlungen, wie wenn er schon wochenlang nix mehr zum Fressen gekriegt hätt. Mindestens drei Portionen hat er hineingeschaufelt! Wenn aber sie was Gutes kocht, stochert er nur im Teller herum und redet vom Cholesterin!

Hat sie natürlich die ganze Nacht nicht schlafen können. Hat ja gewusst: Der Teufel schlaft nicht! Auch wenn der Herr Hochwürden schon 78 ist und schon seit zehn Jahren keine schweinischen Heftl mehr im Nachtkastl versteckt hat, wer weiß, was dieser ordinären Dreckschlampen alles einfallt, um ihn vom Pfad der Tugend abzubringen? Und wirklich, grad als sie dann endlich doch fast eingeschlafen wär, hat sie die zwei aus dem Speisezimmer herauf singen gehört: „Oh Maria, hilf!“

So ein raffiniertes Luder! Die hat ausgehorcht, dass ihr Hochwürden ein großer Marienverehrer ist, und jetzt nutzt sie das aus und macht ihn willenlos: praktisch Gehirnwäsche durch Marienlieder! Obwohl sie zugeben muss, dass diese Schlampen einen schönen Alt hat. Und eine zweite Stimme singen kann sie auch. Wirklich feierlich! Fallen der Kathi bei Maria, breit den Mantel aus doch glatt die Augen zu.

Das hat der Herr Hochwürden am nächsten Tag aber büßen müssen. Beim Frühstück. Ein knallhartes statt dem kernweichen Ei, eine eiskalte Butter statt einer streichelweichen und ein steinhartes Brot statt einem frischen Semmerl! Weil aber Rache bekanntlich süß ist, hat die Kathi – als Tüpferl auf dem i – auch noch Zucker in den Salzstreuer getan. Und wie dann der Herr Hochwürden vorwurfsvoll „Kathi, Kathi!“ gesagt hat, hat sie ihm „Soll halt die Mörderin das Frühstück machen, wenn es Ihnen dann besser schmeckt!“ unter die Nase gerieben.

Ist er explodiert. Ist ihm das mit der Schastrommel he­rausgerutscht. Aber weil’s wahr ist! So ein liebes Mäderl ist die Kathi einmal gewesen, damals, als sie mit 18 bei ihm als Haushälterin angefangen hat. Viel – wenn nicht sogar alles – hat er sich damals mit ihr vorstellen können. Wenn es da nicht den Zölibat gegeben hätte und wenn er nicht so feig gewesen wäre. Und was ist aus seiner Kathi geworden? Eine alte Schastrommel!

Immer dicker und dicker ist sie geworden und immer bösartiger auch. Hat über jeden nur das Schlechteste gewusst und natürlich fleißig weitererzählt. Der Heilige Vater wird schon wissen, warum er den Frauen die Priesterweihe verweigert! So eine wie die Kathi könnte sich ums Verrecken nicht an das Beichtgeheimnis halten.

Und wenn sie nicht so gut gekocht hätte, die Kathi, er hätte dieses gottverdammte Miststück schon längst zum Teufel gejagt! Aber jetzt macht er das wirklich. Jetzt hat er ja die Gucki. So was Erfrischendes! Er kommt sich direkt vor wie sechzig. Aber höchstens!

Die Gucki kommt sich auch vor wie sechzig. Aber mindestens. Eigentlich kommt sie sich vor wie tot. Und wären da nicht der Turrini und die Krimi gewesen, die Gucki wär einfach im Bett liegen geblieben und nie wieder aufgestanden. Weil aber die Hunde wirklich schon dringend hi­nausmüssen, rafft sie sich schließlich doch auf und wankt in den Garten. Wirklich ein lauschiges Platzerl! Der Innenhof von einem Bauernhaus. Weil ja der Pfarrhof von St. Moritz früher einmal eine Landwirtschaft war. Hat ihr der Pfarrer gestern erzählt. Hat ja selber noch bis in die siebziger Jahre eine Wirtschaft betrieben. Ist damals direkt vom Stall in die Frühmesse hinübergegangen. In Gummistiefeln. Hat man eh nicht gesehen unter dem Messkleid.

Der ist schon in Ordnung, der Hansi. Um Gottes willen! Jetzt fällt es ihr wieder ein: Hat sie doch gestern in der Nacht tatsächlich mit dem Herrn Hochwürden Bruderschaft getrunken! Hansi heißt er. Nach den Marienliedern muss das gewesen sein. Und nach der sechsten Flasche Messwein. Hat sie sich das Waschen dann glatt sparen können, so abgeschleckt hat er sie. Und hätte er dabei nicht so eine fürchterliche Erektion gehabt, wär das ganze sogar rührend gewesen. Also wirklich – mit Achtundsiebzig? So ein alter Saubär! Muss die Gucki direkt lachen. Obwohl ihr sonst nicht zum Lachen zumute ist.

Der Sigi ist tot. Das hat sie jetzt eingesehen. Hat es ja lang nicht glauben wollen. Obwohl sie den Leichnam mit eigenen Augen gesehen hat. Obwohl es in allen Zeitungen gestanden ist. Aber die Gucki hat diese Tatsache einfach nicht zur Kenntnis genommen. Hat sich gesagt, dass das alles nur ein böser Traum ist, aus dem sie früher oder später wieder aufwachen wird. Und dann wird alles gut!

Gar nichts ist gut! Der Sigi ist tot, ihr Bild in allen Zeitungen. Auf Seite eins. Weil sie als Mörderin gesucht wird. Emanze killt Zuhälter titelt die Kronen Zeitung. Und spart sich sogar das Nacktfoto von Seite sieben, indem sie ein Bild veröffentlicht, das vor Jahren im Fasching aufgenommen worden ist. Da trägt die Gucki einen hautengen Schianzug, aber keinen echten, sondern einen aus hauchdünnem Stoff. Dass man die Brustwarzen durchsieht. Natürlich ganzseitig und in Farbe! Und drunter steht: Die Rache einer Hure.

Das war die Zeitung vom Freitag. Die hat die Gucki aber erst am Samstag lesen können. Weil sie den Freitag mehr oder weniger verschlafen hat. Ein bisserl schlafen, ein bisserl weinen und ein bisserl Zwetschkenschnaps trinken, das war es dann aber auch schon. Hat sich ja überhaupt nicht ausgekannt, die Gucki. Wie sie das erste Mal aufgewacht ist. Träumt sie oder ist sie in einem Film gelandet, der im Zweiten Weltkrieg spielt? Überall Uniformen und Helme und Maschinengewehre! Und wie der Leo dann durch eine Falltür zu ihr heruntergekommen ist, hat sie sich noch weniger ausgekannt. „Keine Angst, Gucki! Du bist im Führerbunker, da bist du völlig sicher!“, hat er nämlich gesagt. Sind sie gestern mit der Zündapp wirklich noch nach Berlin gefahren? An die Fahrt kann sie sich eigentlich nicht mehr erinnern. Nur, dass die Hunde die ganze Zeit wie wild gebellt haben.

Hat ihr der Leo dann doch erklären müssen, dass der Führerbunker in Wirklichkeit der Keller von seinem Haus ist. Genauer gesagt: der geheime Keller. Weil von außen hast du da keinen Keller gesehen. Und hineingekommen bist du auch nur durch eine Falltür, die unter einem Teppich versteckt ist. Jetzt hat die Gucki wenigstens gewusst, wo der Leo seine Waffen versteckt hat. Aber dann ist sie draufgekommen, dass sein Führerbunker wirklich ein echter Bunker ist. Außen dicker Stahlbeton und drinnen alles, was du zum Überleben brauchst. Ein Klo, eine Dusche und sogar eine Sauna. Und natürlich Wein und Schnaps in Hülle und Fülle. Die Gucki ist aber gleich bei der ersten Flasche, die sie erwischt hat, hängen geblieben. Beim Zwetschkernen.

Am Samstag hat sie dann aber doch nüchtern werden müssen. Noch dazu schlagartig. Weil der Führerbunker auf einmal doch nicht mehr sicher war. Dem Leo war ja klar, dass der Rammer mit Verstärkung zurückkommen würde. Hat er sich von der Firma, bei der er früher gearbeitet hat, schnell einen Lastwagen ausgeborgt und mit Hilfe von der Gucki das ganze Wehrmacht-Zeug aus dem Bunker geräumt. Das ist dann übrigens im Weinkeller vom Gasthaus Zur Deutschen Eiche gelandet. Genauso wie der Leo. Die Gucki aber mitsamt ihren zwei Hunden im Pfarrhof.

Hat der Leo gar nicht viel herumreden müssen – so von wegen Kirchenasyl. Der Pfarrer war sofort Feuer und Flamme für seine Gäste. Erstens: Eine, die einen Zuhälter aus der Welt geschafft hat, ist praktisch eine Märtyrerin, wenn nicht sogar eine Heilige. Zweitens aber hat die Frau Magister Wurm trotz der kurzen Haare eine gewisse Ähnlichkeit mit der Jungfrau Maria. Und drittens hätte er schon immer gern einen Hund gehabt, was ihm die Kathi aber streng verboten hat. Wegen der lästigen Hundehaare.

Der Turrini und die Krimi tollen ausgelassen im Garten vom Pfarrhof herum. Spielerisch zertrampeln sie ein paar Blumen und zerwühlen ein paar Gemüsebeete. Viel Schaden können sie nicht mehr anrichten. Das meiste haben sie eh schon in den letzten beiden Tagen verwüstet. Der Gucki ist klar, dass sie hier nicht bleiben kann. Die Pfarrerköchin steht kurz vorm Durchdrehen. Entweder sie vergiftet die Hunde oder sie vergiftet die Gucki. Oder sie ruft bei der Polizei an. Anonym natürlich. Weil nach außen hin tut sie ja zuckersüß: Frau Magister Wurm hin und Frau Magister Wurm her, braves Hundi hin und braves Hundi her! Und dabei schaut sie die drei an, wie wenn sie der Teufel und seine Höllenhunde wären!

Nur: Wo soll die Gucki denn hin? Ihre Nachbarbuben in St. Anton werden vermutlich überwacht, ihre Arbeitskollegen in Freistadt auch. Verwandtschaft hat sie keine. Bleibt ihr wirklich nur mehr der Vatikan übrig? Das hat nämlich der Leo allen Ernstes vorgeschlagen: „Wenn der Vatikan nach 1945 die ganzen Nazi versteckt hat und dann nach Südamerika geschmuggelt, wird er dich erst recht mit offenen Armen aufnehmen. Und dann besuch ich dich in Rio und wir tanzen nächtelang Samba!“

Muss die Gucki schon wieder lachen, wie ihr das jetzt einfällt. Praktisch heute schon das zweite Mal, dass sie lacht. Ist aber nicht so, dass sie den Sigi einfach vergessen hätt. Im Gegenteil: Kein bisserl hat sie ihn vergessen! „Der Mann meines Lebens!“ – das und nichts anderes fällt ihr ein, wenn sie an den Sigi denkt. Und sie denkt ununterbrochen an den Sigi. Nur: Mit dem Flennen ist es jetzt vorbei, geflennt hat sie schon genug! Jetzt ist was anderes angesagt: Rache!

Dazu muss sie aber erst einmal den Mörder finden. Bevor ihn die Polizei findet. Nur: Wie soll sie recherchieren, wenn sie selber von der Polizei gesucht wird? Kann ja nicht einmal ihr Handy einschalten, sonst wissen die sofort, wo sie ist. Aber sie hat ja das Telefon vom Herrn Pfarrer. Und brauchen tut er es heute Vormittag eh nicht. Weil er sich nach der Frühmesse wieder niedergelegt hat. War gestern doch ein bisserl zu viel des Guten.

„Heiligenbrunner. Grüß Gott!“

„Servus, Renate!“

„Mein Gott, Gucki?“

„Können wir reden?“

„Eh klar! Das Festnetz wird abgehört, die Dienst-Handys auch, aber nicht mein privates Handy!“

„Ist der Fritz da?“

„Du wirst es nicht glauben: ja! Und das seit acht in der Früh!“ Diese Bemerkung von der Renate Heiligenbrunner muss ich jetzt doch ein bisserl erklären, sonst kennt sich keiner aus. Also, das ist so: Der Schwaiger Fritz ist ein Arbeitskollege von der Gucki. An und für sich kein schlechter Journalist, aber halt das Gegenteil von ehrgeizig. Sonst wär er ja nicht schon seit 20 Jahren bei den Mühlviertler Nachrichten, sondern bei einer richtigen Zeitung. Und tät auch nicht gar so viel saufen. Und würde wenigstens ab und zu schon am Vormittag in die Redaktion kommen. Was er aber noch nie gemacht hat, seit die Gucki bei den Mühlviertler Nachrichten arbeitet.

Ist sie natürlich total überrascht: „Seit acht in der Früh? Ist er krank?“

„Noch schlimmer: Er ist nüchtern!“, seufzt die Renate erleichtert. Das ist keine Mörderin, mit der sie da telefoniert, das ist die Gucki, die sie kennt: immer zum Blödeln aufgelegt.

Nur jetzt nicht. Die Gucki verlangt den Fritz. Nicht zum Blödeln, sondern zum Ausfratscheln. Und – siehe da! – er, der normalerweise nur schlampig – wenn überhaupt – recherchiert, weiß auf einmal mehr als die Polizei. Die weiß zwar, dass der Mord am späten Vormittag vom 1. Mai verübt wurde, weiß aber nicht, dass die Gucki für diesen Vormittag ein wasserdichtes Alibi hat. Der Fritz kann sogar alle 24 Zeugen namentlich aufzählen.

Müsste die Gucki eigentlich erleichtert sein. Geht ihr aber trotzdem gegen den Strich. Weil sie nämlich einen ganz einen anderen Plan hat.

Solange die Gucki von der Polizei verdächtigt wird, glaubt sich der richtige Mörder in Sicherheit. Und macht vielleicht einen Fehler. Und dann hat ihn die Gucki! Und dann gnade ihm Gott!

Das sagt sie natürlich dem Fritz nicht. Dem sagt sie nur, dass er auf seine Story vorläufig verzichten muss. Und dass sie dringend ein Mittel zum Haarefärben und ein schwarzes Kleid braucht. Morgen ist nämlich das Begräbnis vom Sigi.

IX

„Scheiße auf den neuen Schuhen

lässt dich nimmermehr gut ruhen!“

ist eigentlich eine Strophe von einem Lied. Das kennt eh ein jeder, weil es früher bei jeder Gelegenheit gegrölt worden ist: bei der Jungschar, beim Schifahren, bei jedem Ausflug. Hat einen Haufen Strophen, ist aber trotzdem watscheneinfach. Gleich ein Beispiel:

Scheiße auf dem Autodach –

Eh-ladi-ladi-oh –

Wird bei 120 flach –

Eh-ladi-ladi-oh.

Eh-ladi-ladi-ladi,

Eh-ladi-ladi-oh,

Eh-ladi-ladi-ladi.

Eh-ladi-ladi-oh.

Und dann kommt auch schon die nächste Strophe. Sagen wir einmal:

Scheiße in der Weihnachtsmette

zeugt von einer Freundeswette.

Klar, dass man so was gern singt. Warum aber sollte man so was sagen? „Scheiße auf den neuen Schuhen lässt dich nimmermehr gut ruhen!“

Ganz einfach, weil der Fritz ein durch und durch feiner Mensch ist, dem nie ein Schimpfwort oder ein Fluch über die Lippen gekommen wäre. Weil er aber jetzt mit seinen elfenbeinfarbenen Wildlederstiefeletten in einen riesigen Haufen Hundescheiße getreten ist, hat er halt schnell eine neue Strophe erfunden. Muss ja nicht ein jeder ordinär daherreden – man kann seinen Ärger auch auf elegante Art bewältigen.

Muss die Gucki lachen. Der wird auch immer schrulliger, der Fritz! Aber feig ist er nicht, das muss man ihm lassen! „Einen Ballbesuch und einen Einbruch sollte eine Dame nie ohne Herrenbegleitung absolvieren!“, hatte er gemeint und darauf bestanden mitzukommen. Weil sich die Gucki und der Fritz aber im Schein einer Taschenlampe bewegen, ist klar, dass wir uns nicht auf einem Ball, sondern mitten in einem Einbruch befinden. Außerdem hätte der Fritz auf einem Ball garantiert Lackschuhe getragen.

Natürlich ist die Tür vom Gasthaus Mariabrunn versperrt und mit so einem Plastikbandl von der Kripo versiegelt. Das wird aber eh nicht beschädigt. Weil der Fritz kurzerhand ein Fenster öffnet. Aber nicht auf die brutale Tour, sondern mit dem Diamanten von seinem Ring. Wirklich, der Fritz hätte in so einem Film über Gentlemen-Gauner jederzeit mitspielen können!

Nur: Was suchen die beiden im Mariabrunn? Glaubt denn die Gucki wirklich, dass sie da einen Hinweis auf den Mörder findet? Glaubt sie wirklich, dass die Polizei was Wichtiges übersehen hat? Natürlich! Die Gucki ist sich sogar sicher: So ein Schneebrunzer wie der Rammer übersieht doch garantiert das Wichtigste!

So kann man sich täuschen! Jedes Fuzerl Papier hat der Rammer mitgenommen. Und nicht nur die Gläser, aus denen der Sigi und sie Rotwein getrunken haben, sondern auch noch die Zigarettenstummel. Hat dieser Spreizbeutel doch wirklich alles eingesackelt, was nicht niet- und nagelfest ist! Nein, was ist denn das? Dem Sigi seine Fliegerjacke! Liegt zusammengeknautscht auf dem Sofa. Als Kopfpolster. Hat er doch was übersehen, der Rammer. Und die Gucki hat jetzt wenigstens eine Erinnerung an den Sigi. Aber nicht nur das! Weil sie natürlich sämtliche Taschen durchsucht. Und auch was findet. Einen Brief an den Sigi. Hat die Gucki schon einmal seine Kitzbüheler Adresse! Und dann auch noch einen Schlüsselbund. Wenn das nicht die Schlüssel zu seiner Wohnung sind?

Am liebsten wäre die Gucki gleich auf der Stelle nach Kitzbühel gebraust. Mitten in der Nacht. Nur: Morgen Vormittag ist das Begräbnis vom Sigi. Und das will sie sich nicht entgehen lassen. Für was hätte sie sich denn sonst die Haare gefärbt? Schwarz. Steht ihr wirklich gut. Hat der Fritz behauptet. Der Herr Pfarrer auch. Aber dem hat man die Notlüge angesehen. Blond hat die Gucki halt mehr Ähnlichkeit mit der Jungfrau Maria. So das Sanftmütige. Mit den schwarzen Haaren kommt sie ihm eher streng vor, mehr so eine Maria Magdalena. Auf die abendliche Messwein-Feier hat er sich trotzdem schon gefreut. Leider umsonst.

Die Gucki und der Fritz sitzen nämlich im Schein der Taschenlampe im Gasthaus Mariabrunn und bechern Rotwein. Den hat der Rammer glücklicherweise nicht mitgenommen. Kommen der Gucki auf einmal die Tränen. „Überflutung durch Erinnerung“, könnte man sagen, wenn man hochgestochen daherreden möchte. Weil sich die Gucki natürlich an ihren ersten und letzten und einzigen Abend mit dem Sigi erinnert. Beißt aber die Zähne zusammen und sagt kein Sterbenswort. Obwohl sie ihr Herz schon gern ausgeschüttet hätte. Und weil der Fritz ein feinfühliger Mensch ist, stellt er auch keine Fragen. Sitzen sie halt da und schweigen und trinken und rauchen.

Weil aber gerade so gar nix passiert, können wir uns ruhig den Fritz ein bisserl näher anschauen. Das Wort schrullig ist für ihn gar nicht so unpassend. Allein schon, wie er daherkommt! Praktisch das Gegenteil von arm, aber ordentlich. Der Fritz schmuddelig, aber gediegen. Ein uraltes Auto, aber halt doch ein Landrover. Ein leicht speckiges Sakko, aber aus feinstem Tweed. Das Einzige, was an ihm blitzblank ist, sind normalerweise die Schuhe. Und die sind heute auch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden.

Kommt der Gucki sogar ein Lächeln aus. Weil der Fritz seine Schuhspitzen gar so traurig anstarrt. Das ist wirklich ein komischer Kauz! Nicht nur, dass er zusammengerichtet ist wie ein britischer Landlord aus dem 19. Jahrhundert, er redet auch so komisch daher. So eine unmöglich altmodische Sprache. „Hättest du die Güte, mir leihweise dein Feuerzeug zu überlassen, liebste Gucki?“, hat er sie grad vorher gefragt. „Mein verflixtes Dupont zeichnet sich akkurat in dieser historisch-einbrecherischen Stunde durch einen beschämenden Mangel an Gas aus.“ Wo ein normaler Mensch einfach gesagt hätte: „Hast du ein Feuer?“

Nein, normal war er wirklich nicht, der Fritz. Seit die Gucki bei den Mühlviertler Nachrichten arbeitet, seit acht Jahren also, hat sie ihn noch nie mit einer Frau gesehen. Und auch die Renate, die den Fritz schon ewig kennt, weiß nichts von einer Frau in seinem Leben zu berichten. Wenn man davon absieht, dass die Hatzl, die Redaktionsleiterin, schon seit Jahren unglücklich in ihn verliebt ist. Und vermutlich nur wegen dem Fritz das Whiskey-Saufen angefangen hat. Und vermutlich nur wegen dem Fritz so fein daherredet. Nur dass es bei ihr nicht witzig klingt wie beim Fritz, sondern süßlich und verlogen.

Die Gucki war zwar nie unglücklich verliebt in den Fritz, hat sich aber schon gewundert, dass er sie nie belästigt hat. Die zwei waren ja oft genug miteinander aus. Und manchmal hat die Gucki sogar bei ihm in Freistadt übernachten müssen. „Aus Mangel an Antialkohol“, wie das der Fritz in seiner verschrobenen Art genannt hat. Ist aber nie mehr passiert, als dass er sanft ihre Hand gehalten und ihr tief in die Augen geschaut hat. Selbst wenn er noch so tief ins Glas geschaut hat.

Ist die Gucki sogar ein bisserl enttäuscht gewesen, wenn sie ehrlich ist. Erstens war sie es gewohnt, dass alle Männer auf sie fliegen – praktisch gekränkte Eitelkeit – und zweitens war die Auswahl an gut aussehenden, witzigen Männern im Mühlviertel nicht gerade berauschend. Die Abende mit dem Fritz aber umso mehr. Zum Schluss hat sie eh einmal was mit ihm gehabt und kann sich nur nicht erinnern?

Oder er war schwul? Was die Gucki so weiß, kennen sich Schwule mit Damenmode gut aus. Der Fritz sogar ziemlich gut. Alles, was er angeschleppt hat, passt der Gucki wie angegossen. Er hat ihr ja nicht nur ein schwarzes Kostüm für das Begräbnis besorgt, sondern gleich einen ganzen Koffer voll Kleider. Samt Schuhen, Strumpfhosen und Schminkzeug. Einen BH hat er sich derspart. So gut kennt er die Gucki. Seit sie Fünfzehn ist, hat sie keinen mehr angehabt. Hat es auch nicht notwendig, wenn du mich fragst!

„Das mit den Schuhen wird noch ein Problem werden!“, hat sich die Gucki gleich gedacht, wie sie die ganzen Sachen ausgepackt und probiert hat. Weil es Stöckelschuhe waren. Und so was hat sie praktisch in ihrem ganzen Leben nicht getragen. Sie ist ja nicht blöd, dass sie sich die Haxen ruiniert! Jetzt kann sie nicht aus. Kann ja nicht gut in ihren Fliegerstiefeln aufs Begräbnis gehen. Passen wirklich nicht zum schwarzen Chanel-Kostüm.

Die Kathi hat fast der Schlag getroffen, wie sie die Gucki so gesehen hat. Kommt dieses ausgschamte Luder doch wirklich in Stöckelschuhen zum Frühstück? Und wackelt beim Gehen so mit dem Arsch hin und her, dass dem hochwürdigen Herrn Pfarrer fast die Augen herausfallen. Die Kathi hat ja nicht wissen können, dass die Gucki mit den ungewohnten Schuhen unbedingt Probe gehen muss, wenn sie es ohne Umfallen bis zur Kirche schaffen will. In drei Stunden beginnt ja schon das Begräbnis. Der Herr Pfarrer hingegen ist hingerissen und könnte sich durchaus vorstellen, seinen Messwein einmal aus so einem putzigen Schuh zu schlürfen.

Wie wenn die Kathi seine Gedanken lesen könnt: Jetzt reicht es ihr! Jetzt hat die Mörderin den Schutz der Kirche ein für alle Mal verwirkt! Sie ruft zwar nicht direkt die Polizei an, aber immerhin das Fräulein Aistleitner. Wenn man der was erzählt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Neuigkeit in ganz St. Anton herumgesprochen hat. Das ist so sicher wie das Amen im Gebet! Und irgendwer wird dann schon die Polizei alarmieren.

Die Gucki hat aber sowieso keine Angst vor der Polizei, sie hat Angst vorm Probegehen im Garten. Jetzt haut es sie schon herinnen fast auf die Pappen. Wie wird das dann erst auf dem Schotter werden? Aber sie muss. Sonst kann sie sich das Friedhof-Gehen abschminken. Dort sind die Wege zwischen den Gräbern auch mit diesen kleinen, heimtückischen Steinderln ausgelegt.

Gut, dass außer dem Turrini und der Krimi keiner hört, was die Gucki jetzt im Pfarrgarten zusammenflucht. Das möchte ich jetzt gar nicht wiedergeben – sonst wird mir noch unterstellt, dass ich eine ordinäre Drecksau bin. Dabei tu ich wirklich nichts anderes, als den Leuten aufs Maul schauen. Schau ich halt einmal weg!

Ist anscheinend wirklich nicht so leicht, das mit den Stöckelschuhen! Weil die Gucki normalerweise nicht so patschert ist, und trotzdem haut es sie bei jedem zweiten Schritt fast hin. Jetzt wird ihr erst klar, warum so viele Frauen heiraten: Nur weil sie einen Mann zum Anhalten brauchen, wenn sie in Stöckelschuhen daherkommen!

Das ist es! Aber wer kommt für sie als Begleitung in Frage? Der Leo einmal nicht, der wird selber von der Polizei gesucht, der Fritz und die Nachbarbuben auch nicht, mit denen könnte sie der Rammer womöglich trotz Maskerade erkennen. Und sonst gibt es in ihrem Leben keine Männer. Dann halt eine Frau!

„Hallo Tiger!“ Sybilles Stimme klingt ziemlich verschlafen.

„Nix Tiger! Ich bin’s, die Gucki!“

„Grüß Sie, Frau Mörderin!“ Klingt schon munterer. „Bist du schon verhaftet oder bist du noch auf der Flucht? Übrigens sehr sexy, das Foto von dir in der Krone!“

„Sag einmal, Sybille, was hättest du getan, wenn nicht ich angerufen hätte und auch nicht der Tiger, sondern, sagen wir einmal: der Bär? Wie hättest du dich da herausgeredet? Weil, dass du zurzeit nur einen einzigen Lover hast, das kann ich mir bei dir nicht vorstellen!“

„Geh, Gucki, ich bin doch nicht blöd! Ich nenn doch alle Tiger. Die ganzen Namen könnt ich mir doch gar nicht merken!“

Muss die Gucki lachen. Typisch Danninger Sybille! „Hast du Zeit?“

„Ich komm grad aus dem Nachtdienst. War ziemlich anstrengend!“

„Ein Arzt oder ein Patient?“ Ein bisserl neugierig ist die Gucki schon.

„Weder – noch: ein Rettungsfahrer, aber ein ganz ein Süßer! In der Rettung, wenn du es genau wissen willst.“ Die Sybille ist auskunftsfreudig wie immer.

Die Gucki hat ihre Jugendfreundin sogar im Verdacht, dass sie nur deswegen so viele Affären hat, weil sie halt einmal so gern über Sex redet. Nur: Momentan interessiert sie der Sybille ihr Sexualleben kein bisserl. „Kannst du in einer Stunde in St. Moritz sein?“

„Klaro! Was zieh ich an?“

„Schwarz. Aber nicht auf nuttig, sondern auf Begräbnis!“

„Wahnsinn! Bei einem Begräbnis war ich noch nie auf Aufriss. Kann ich mir aber gut vorstellen. Die ganze Trauer und so, da kommt man sich menschlich näher!“

Bringt sie die Gucki schon wieder zum Lachen. Lacht eigentlich ziemlich viel, die Gucki. Für jemanden, der in Trauer ist. Könnte man meinen. Ist aber dann doch nicht so, wie es auf den ersten Blick ausschaut. Weil die Gucki mit dem Lachen nur ihre Verzweiflung überspielt.

Die Gucki macht das aber nicht absichtlich: Nicht sie selber überspielt mit der Lacherei ihre Verzweiflung, sondern – wie soll man das nennen? – ihre Seele vielleicht. Ich mein: Wenn wir schon einmal in einem Pfarrhof sind, passt Seele gar nicht so schlecht. Halt das, was in einem Menschen drinnen ist. Und in der Gucki ist halt einmal mehr Lachen drinnen als Weinen. Und mehr Kämpfen als Verzweifeln. Drum denkt die Gucki auch kein bisserl an Selbstmord. Sie denkt an Selbstjustiz. Wie sie jetzt die Pistole aus ihrer Lederjacke nimmt und in die Handtasche steckt. Hat sie sich übrigens vom Leo ausgeborgt. Aber ohne fragen! Und von ihrer ganzen katholischen Erziehung – acht Jahre Kreuzschwesternschule – ist nur ein einziger Satz hängen geblieben: „Mein ist die Rache!“, spricht der Herr.