Über das Buch:
Der aufsehenerregende Prozess um die Stalkerin, die Dayne Matthews und Katy Hart belästigt hat, wirft seine Schatten voraus. Doch noch andere, tiefere Schatten fallen auf Daynes Leben. Seine Ex-Freundin Kelly überrascht ihn mit einer Nachricht, die alles auf den Kopf stellt.
Daynes Leben scheint auseinanderzubrechen – und das ausgerechnet in dem Moment, in dem er sich wieder dem Glauben zuwendet. Ratlos flieht er nach Mexiko zu einem alten Freund. Wird er dort die Antworten finden, die er für sein Leben braucht? Vor allem auf die eine, alles entscheidende Frage: Gibt es eine Zukunft für ihn und Katy Hart?
In der Zwischenzeit steht John Baxter vor einer wichtigen Entscheidung. Endlich hat ein Privatdetektiv seinen erstgeborenen Sohn gefunden - ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um seinen Kindern die Wahrheit über ihren Bruder zu erzählen? Immerhin steht ein großes Baxter-Familientreffen bevor ...

Über die Autorin:
Karen Kingsbury war Journalistin bei der Los Angeles Times. Seit einiger Zeit widmet sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane. Sie lebt mit ihrem Mann, 3 eigenen und 3 adoptierten Kindern in Washington.

Kapitel 8

John Baxter war den ganzen Abend unruhig.

Es war nicht seine Art, seine Tochter anzulügen. Zu lügen widersprach allem, wovon er überzeugt war. Ab dem Moment, in dem er das getan hatte, ging er das Gespräch immer wieder in Gedanken durch und überlegte, wie er es hätte vermeiden können, unehrlich zu sein. Jedes Mal gelangte er zur selben Antwort. Es hatte keine andere Möglichkeit gegeben.

Jetzt, da er die Wahrheit über die Identität seines Sohnes wusste, tat er, was er konnte, um Kontakt zu ihm aufzunehmen. Er hatte bei Daynes Agenten drei Nachrichten hinterlassen, aber bis jetzt hatte ihn noch niemand zurückgerufen. Er würde Ashley natürlich bald verraten, was er herausgefunden hatte, aber er wollte ihr gern ein vollständiges Bild geben.

Denn durch sein Verhalten legte Dayne die Vermutung nahe, dass er möglicherweise nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Wenn das der Fall war, würde John sich ihm nicht aufdrängen. Aber er musste das erst mit Bestimmtheit wissen, bevor er Ashley die ganze Wahrheit sagen konnte. Gemeinsam konnten sie sich dann überlegen, wie sie es den anderen beibringen wollten. Es war schon schwer genug, ihnen die überraschende Nachricht zu verkünden, dass sie einen älteren Bruder hatten. Aber der Gedanke, dass er mit ihnen nichts zu tun haben wollte, würde ein solches Gespräch fast unmöglich machen.

Aus diesem Grund konnte er es Ashley nicht verraten. Noch nicht. Er wollte nicht, dass sie ein schlechtes Bild von Dayne bekäme. Vielleicht hatte er nur deshalb keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen, weil er nicht wusste, was er sagen sollte, oder weil das Schweigen seines Agenten unabsichtlich geschah. Sobald Ashley die leiseste Ahnung hätte, dass ihr älterer Bruder berühmt war und mit seiner Familie vielleicht nichts zu tun haben wollte, wäre sie auf ihn wütend, bevor John den nächsten Schritt unternehmen konnte.

In seiner Gebetszeit hörte John immer wieder das Gleiche, den Vers aus dem Matthäusevangelium: Bei Gott ist alles möglich. Aus diesem Grund gab er die Hoffnung nicht auf. Vielleicht wurde Daynes Agent mit Nachrichten überhäuft. Vielleicht hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, Dayne Johns Nachricht auszurichten. Vielleicht hatte er versucht, John zurückzurufen, und eine falsche Nummer gewählt.

John konnte sich viele Gründe vorstellen, warum sein Sohn ihn nicht zurückgerufen hatte. Aber je mehr Zeit verging, umso unglaubwürdiger klangen sie für ihn. Und seit Ashley sich jedes Mal, wenn sie zusammen waren, nach ihrem älteren Bruder erkundigte, war das besonders schwer. Wenn er nicht bald etwas von Daynes Agenten hörte, müsste er Ashley anvertrauen, was er wusste. Selbst wenn die Details sie traurig stimmen würden.

John arbeitete an diesem Nachmittag an seinem Fischteich. Er entfernte das abgestorbene Unkraut zwischen den Steinen und baute ein kleines Ufer aus Kieselsteinen, damit Cole und Maddie näher ans Wasser herankommen konnten, ohne über die größeren Felsblöcke steigen zu müssen, die das Wasser umgaben. Er konnte es kaum erwarten, Coles Reaktion auf die Veränderungen zu sehen.

Der kleine Uferbereich war jetzt frei von Schmutz und Steinen. Deshalb ging John zur Garage, um die Schubkarre mit den Kieselsteinen zu holen. Sein Handy hatte er für den Fall, dass Dayne oder sein Agent anrufen würde, die ganze Zeit in der Hosentasche. Er blinzelte mit zusammengekniffenen Augen gegen das Sonnenlicht und war froh, dass es heute, wie schon die ganze Woche, etwa zehn Grad warm war. Das war sehr ungewöhnlich für einen Februar in Indiana.

An Tagen wie heute vermisste er Elizabeth noch mehr als sonst, auch wenn er am Vormittag ein paar Stunden mit Elaine Denning verbracht hatte. Sie hatten sich in einem Café in der Nähe der Universität getroffen, weil er unbedingt mit jemandem über Dayne hatte sprechen müssen. Bis jetzt hatte er die Information über seine Identität für sich behalten, da er gedacht hatte, es wäre nicht richtig, wenn jemand außer seinen Kindern wüsste, was er in Erfahrung gebracht hatte. Aber angesichts des Schweigens von Daynes Seite musste er mit jemandem sprechen. Elaine war schlicht und einfach der einzige Mensch, der von seinem erstgeborenen Sohn wusste, aber nicht emotional in die Sache verwickelt war.

Während er die Schubkarre mit den Kieselsteinen zum Teich schob, spielte er sein Gespräch mit Elaine noch einmal im Kopf durch ...

Sie hatten sich an einen Ecktisch gesetzt, wo es ein wenig ruhiger war als in der Nähe der Theke. Als sie beide mit ihrem Kaffee am Tisch saßen, hatte John tief Luft geholt. „Ich habe ihn gefunden.“

Elaine schaute ihn zuerst verwirrt an. „Wen hast du gefunden?“ Etwas in seinen Augen musste ihr verraten haben, was er meinte, denn sie wartete nicht auf seine Antwort. Ihr Tonfall änderte sich und klang plötzlich leise und ungläubig. „Du hast ... deinen ältesten Sohn gefunden?“

John nickte. „Es ist ... es ist sehr kompliziert.“ Jedes Mal, wenn er an Dayne dachte, schnürte es ihm die Kehle zu. Das Gespräch würde zweifellos schwierig werden. Als er endlich wieder sprechen konnte, schaute er sie an und wusste, dass sie ihn verstehen würde. „Er ist Schauspieler, Elaine. Ein sehr berühmter Schauspieler.“

Sie schaute ihn fragend an. „Habe ich schon von ihm gehört?“

Ein trauriges Lachen kam aus seinem Mund. „Die ganze Welt hat schon von ihm gehört.“

„Spann mich nicht so auf die Folter.“ Ihre Stimme war aufgeregt und verriet ihre Überraschung. „Wer ist er?“

John schaute sich um, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand zuhörte. „Dayne Matthews.“ Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und konnte es selbst noch nicht ganz glauben. „Es klingt immer noch nicht real, das zu sagen. Bis jetzt wenigstens nicht.“

„Ist das dein Ernst?“ Elaine flüsterte fast. „Dayne Matthews ist dein Sohn?“

„Ja.“ John wärmte seine Finger an seiner Kaffeetasse und ließ ihnen beiden Zeit, diese Neuigkeit zu verarbeiten.

„Dann ist es ja kein Wunder, dass er Luke ähnlich sieht.“

„Genau.“ John schaute aus dem Fenster. Das alles war sehr frisch und neu für ihn. Es gelang ihm immer noch nicht, seine Gefühle in Worte zu fassen. „Der Privatdetektiv, den ich engagiert habe, war gut. Er hat mehr herausgefunden, als ich mir erträumt hätte.“

Elaine schaute ihn fragend an. Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee und wartete, was noch kommen würde.

„Dayne war mindestens zweimal in Bloomington. Das zweite Mal war er hier, als er seinen Film drehte.“

Elaine war wie gebannt und konnte immer noch nicht ganz glauben, was sie hier hörte. „Wir waren auf dem Bauernmarkt. Dann gingen wir zu den Dreharbeiten und standen ein paar Minuten an der Absperrung und schauten ihm zu.“

„Ja.“ John stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Ich war zehn Meter von meinem ältesten Sohn entfernt und wusste es nicht.“

Elaine trank wieder einen Schluck. „Er war vorher schon hier? Wozu? Um sich die Stadt wegen der Dreharbeiten anzusehen?“

„Das glaube ich nicht.“ Johns Herz wurde schwer. „Mein Privatdetektiv glaubt, dass Dayne selbst einen Detektiv engagiert hat und dass er hier in Bloomington gewesen sein könnte, weil er herausgefunden hatte, wer wir sind. Wer seine leiblichen Eltern sind.“ Er kniff die Augen zusammen. „Sein erster Besuch war einen Tag, bevor Elizabeth starb.“

Ein leises Keuchen entfuhr Elaine. „Elizabeth dachte, sie hätte euren Sohn gesehen. Sie sagte doch, er wäre bei ihr im Krankenhaus gewesen und hätte eine Stunde mit ihr gesprochen, nicht wahr?“

„Genau.“ John trank einen großen Schluck. „Ich kann nicht beweisen, dass es wirklich so war, aber wenn Dayne hier war ...“

Elaine setzte sich aufrechter hin. „Dann hat Gott Elizabeths Gebet erhört.“

„Das ist meine Hoffnung.“

„Das ist doch schön. Und was ist jetzt so kompliziert an der ganzen Sache?“ Sie legte den Kopf schief. „Er ist berühmt, aber er ist trotzdem dein Sohn. Wenn er extra gekommen ist, um Elizabeth zu besuchen, bevor sie starb, dann kann er nicht so schlecht sein.“

„Elaine ...“ Johns Tonfall wurde genauso schwer wie sein Herz. „Er war zweimal hier in Bloomington. Aber kein einziges Mal hat er angerufen oder versucht, zu irgendeinem von uns Kontakt aufzunehmen, außer zu Elizabeth. Falls er tatsächlich bei ihr war.“

„Oh.“ Elaines zuversichtliche Miene verschwand wieder. „So hatte ich es bis jetzt nicht gesehen.“

„Ich habe bei seinem Agenten mindestens drei Nachrichten hinterlassen und keine Antwort bekommen.“ Er hob die Hände und ließ sie auf den Tisch fallen. „Was soll ich anderes denken, als dass Dayne kein Interesse daran hat, uns kennenzulernen? Dass er vielleicht nicht belästigt werden will oder dass er Angst hat, wir würden nur etwas von ihm wollen, weil er berühmt ist?“

„Ich verstehe, was du meinst.“ Elaine stützte die Ellbogen auf den Tisch und überlegte einen Moment. „Das ist wirklich kompliziert.“

„Gestern Abend haben wir unser Familientreffen geplant, und Ashley fragte mich, bevor die anderen kamen, was ich herausgefunden hätte und warum der Privatdetektiv nicht schneller oder effektiver arbeitet.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe sie angelogen, Elaine. Was hätte ich sagen sollen? Dein älterer Bruder ist Dayne Matthews, aber vergiss ihn, weil er nichts mit uns zu tun haben will?“

„Das wäre nicht gut gewesen.“

„Deshalb habe ich sie angelogen. Ich habe ihr gesagt, ich wüsste noch nichts, weil ich noch abwarten will. Ich muss erst wissen, ob Dayne Kontakt zu uns haben will oder nicht.“ Er trank wieder einen großen Schluck von seinem Kaffee. Der Ärger war ein gutes Gefühl, besser als die Traurigkeit, die ihn normalerweise befiel, wenn er an Dayne dachte. Er atmete tief aus. „Was soll ich tun?“

Elaine ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Ihre Geduld war eine der vielen Eigenschaften, die John an ihr mochte. Sie war nachdenklich, vorsichtig und verlieh ihren Antworten aufgrund ihrer lebenslangen Erfahrungen und ihres langjährigen Glaubens ein starkes Gewicht.

Schließlich streckte sie die Hand über den Tisch und ergriff seine Hand. „Wir müssen beten. Hier ...“ Sie schaute sich um. „Jetzt. Bevor noch mehr Zeit vergeht. Wir müssen Gott bitten, dir irgendwie einen Kontakt zu ihm zu ermöglichen, damit du Klarheit bekommst. Und in der Zwischenzeit darfst du nicht aufgeben und solltest weiter versuchen, diesen Agenten anzurufen.“

Die Traurigkeit war wieder da und verdrängte seinen Ärger. Sein Blick verweilte noch einige Sekunden auf Elaines Gesicht. Dann beugte er den Kopf und betete. Leise, aber mit einer Aufrichtigkeit, die aus der Tiefe seiner Seele kam, bat er Gott, ihm einen Kontakt entweder zu Dayne oder seinem Agenten zu ermöglichen und das nach Möglichkeit bald.

„Ich kann das nicht allein herbeiführen, Herr. Aber ich glaube, du hast mich aus einem bestimmten Grund so weit gebracht. Deshalb bitte ich dich: Zeige mir, ob ich diese Sache weiter verfolgen soll.“ Er schluckte und spürte, wie sein Kinn zitterte. Seine Stimme war unsicherer als vorher. „Wenn Dayne uns nicht kennenlernen will, Gott ... könntest du es dann bitte machen, dass er seine Meinung ändert? Dass wir uns wenigstens ein einziges Mal treffen? Es gibt so vieles ...“ Er konnte nicht weitersprechen. Er wartete, bis er sich wieder ein wenig gefangen hatte. „Es gibt so vieles, worüber ich mit ihm sprechen möchte. Amen.“

Die Erinnerung an sein Gebet vom Vormittag verblasste. John kippte die Kieselsteine aus und starrte dann in den Teich. Aber bevor er ein weiteres Gebet flüstern konnte, bevor er Gott bitten konnte, einen Kontakt zwischen ihm und seinem ältesten Sohn zu ermöglichen, klingelte das Telefon in seiner Hosentasche.

Wahrscheinlich war es Ashley, die wissen wollte, wann er fertig wäre, damit sie Cole vorbeibringen könnte. Von seinen Töchtern war sie diejenige, die am intensivsten den Kontakt zu ihm pflegte und sich regelmäßig meldete. Dafür war er sehr dankbar. Wenn Landon bei der Arbeit war, besuchten Ashley und Cole ihn oft. Er hegte keinen Groll mehr, weil sie im letzten Herbst, als sie den Brief mit der Aufschrift Mein erstgeborenes Kind gefunden hatte, ihn mit nach Hause genommen hatte, um ihn Brooke zu geben. Es hatte ihn verletzt, dass sie den Brief geöffnet und gelesen hatte. Auf diesem Weg hatte sie das Geheimnis erfahren, dass sie einen älteren Bruder hatte. Aber diese Sache war zwischen seiner Tochter und ihm längst bereinigt.

Er zog das Telefon aus der Tasche, klappte es auf und hielt es sich ans Ohr. „Hallo?“

„Hallo ... spreche ich mit John Baxter?“ Die Verbindung war nicht gut, aber das Zögern des Mannes am anderen Ende der Leitung war unüberhörbar.

„Ja.“ John richtete sich auf und verzog das Gesicht wegen der Rückenschmerzen, die er von der Arbeit in der gebeugten Haltung hatte. „Hier ist John Baxter.“

Der Mann klang besorgt. „Äh ... hier ist Chris Kane, der Agent von Dayne Matthews. Ich glaube, Sie haben mir einige Nachrichten hinterlassen.“

Johns Herz schlug schneller. Ein Flugzeug flog über ihn hinweg, und er hielt sich das andere Ohr zu, damit er den Mann besser verstehen konnte. „Ja.“ Johns Verstand arbeitete auf Hochtouren. Wo sollte er anfangen? Die Details waren so sensibel, dass er in seiner Nachricht, die er auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, nichts erwähnt hatte. Er hatte nur gesagt, dass er ein Verwandter sei, der Dayne gern sprechen würde.

Er ging langsam zum Haus zurück und bat Gott um die richtigen Worte. „Hat Dayne Ihnen erzählt, dass er als Kind adoptiert wurde? Dass die Missionare, die ihn aufzogen, nicht seine leiblichen Eltern waren?“

„Ja.“ Etwas am Tonfall des Agenten änderte sich. „Ich weiß, dass Dayne vor fast zwei Jahren einen Privatdetektiv engagiert hat und dass es dabei um Familienfragen ging. Seit damals weiß ich Bescheid. Er hat mir erzählt, dass er adoptiert wurde.“

John erreichte die Veranda vor seinem Haus. „Vor Kurzem habe ich einen Privatdetektiv damit beauftragt, die Identität meines erstgeborenen Sohnes herauszufinden, den meine Frau und ich damals zur Adoption freigeben mussten.“ Er stieg die Treppe hinauf und setzte sich auf die Schaukel. „Ich kann es nicht anders sagen.“ Er holte kurz Luft. „Ich bin Daynes leiblicher Vater.“

Einige Sekunden sprach der Mann am anderen Ende der Leitung kein Wort. „Dayne weiß über Sie Bescheid, Mr Baxter.“

„Wirklich?“ John konnte nicht atmen, er konnte nichts tun, als genau zuzuhören, was der Mann sagte, um keine Silbe zu verpassen.

„Ja.“ Der Agent seufzte, und es klang, als schwinge eine gewisse Irritation in seiner Stimme mit. „Er weiß über Ihre ganze Familie Bescheid. Er flog gegen meinen Rat sogar im vorletzten Sommer nach Bloomington.“

„Das hat mir mein Privatdetektiv gesagt.“ John wollte nicht fragen, ob Dayne Elizabeth besucht hatte. Aber er musste es wissen. Er blinzelte die Tränen zurück. „Er war einen Tag, bevor meine Frau starb, hier. Sie hieß Elizabeth. Sie war ... Daynes leibliche Mutter.“

„Ja, das weiß ich auch.“ Wieder klang der Mann müde, als wäre diese ganze Situation so schlimm und unangenehm, dass es ihn große Überwindung kostete, sie anzusprechen. „Meines Wissens nahm er einen Mietwagen und fuhr mit der Absicht, seine leibliche Mutter zu besuchen, ins Bloomingtoner Krankenhaus, aber dann ist etwas passiert. Etwas, das ihn bewogen hat, seine Meinung zu ändern.“

Seine Meinung zu ändern? John beugte sich vor und zwang sich einzuatmen. Wie war das möglich, wenn Elizabeths Geschichte genau mit Daynes Besuch übereinstimmte? Er schloss die Augen. „Er hat sie also nicht besucht?“

„Meines Wissens nicht.“ Der Agent klang jetzt noch genervter. „Schauen Sie, Mr Baxter. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll.“ Die Verbindung war noch schlechter als vorher. „Dayne ist berühmt. Es wäre schlecht für ihn, wenn er auf dem gegenwärtigen Höhepunkt seiner Karriere Kontakt zu einer leiblichen Familie aufnähme. Soweit er mir gesagt hat, hat er das selbst begriffen. Seine Entscheidung steht fest. Obwohl er natürlich neugierig ist, was Sie und Ihre Familie betrifft, weiß er, dass fast jeder etwas von ihm will. Ein Stück von seinem Ruhm, Geld, Beziehungen. Irgendetwas.“

Johns Magen zog sich zusammen. Jedes Wort aus dem Mund dieses Agenten fühlte sich wie ein Rammbock an, der seinem Herzen und seinem Verstand, seiner Seele und seinem Körper einen schmerzenden Schaden zufügte. John hatte keine Zeit zu antworten; der Agent schoss seine Munition unaufhörlich weiter ab.

„Sie und Ihre Frau haben ihn weggegeben. Ein anderes Ehepaar hat ihn aufgezogen. Ende der Geschichte. Jeder Kontakt zum jetzigen Zeitpunkt wäre bestenfalls zwecklos und würde bei Dayne und dem Rest seines Teams in Bezug auf Ihre Motive nur Argwohn wecken.“ Der Agent brach einen Moment ab. „Ich hoffe, das klingt nicht zu gefühllos, Mr Baxter. Es ist einfach die Realität, mit der Dayne jeden Tag konfrontiert wird. Es ist nicht so, dass er seine leibliche Familie bräuchte, um zu wissen, wer er ist. Können Sie das verstehen?“

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten war John wirklich versucht, etwas zu sagen, das er später bereuen würde. Wie konnte dieser aufgeblasene Mann es wagen, ihn so anzugreifen, seine Motive infrage zu stellen und anzunehmen, er würde nur den Kontakt zu Dayne suchen, um von seinem Status als berühmter Schauspieler zu profitieren? Er biss die Zähne zusammen und blieb stumm.

„Sind Sie noch dran?“ Die Verbindung knisterte.

John schlug die Augen auf. Er stand auf und hielt sich an einer Verandasäule fest. „Ich bin noch da.“

„Okay, was ich sagen will: Dayne ist einer der berühmtesten Männer des Landes. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für ein Treffen mit Leuten, die er nie gekannt hat.“ Der Agent versuchte, seine Stimme weicher klingen zu lassen. „Für ihn steht zu viel auf dem Spiel. Er hat zu viel zu verlieren.“ Wieder folgte eine Pause. „Es tut mir leid, aber so ist es nun einmal. Oh, und noch etwas.“ Das Rauschen in der Leitung war sehr stark, aber die Worte des Mannes waren trotzdem klar und deutlich. „Sie müssen diese Information für sich behalten. Das Letzte, was Dayne braucht, ist, dass diese Geschichte in den Boulevardblättern breitgetreten wird.“

John spürte, wie sein Gesicht glühte, er fühlte, wie sein Herz kräftig in seiner Brust hämmerte. „Gut. Danke für Ihren Rückruf.“ Seine Worte verrieten seinen Ärger. „Wir werden weder Sie noch Dayne weiter belästigen.“ Er klappte das Telefon zu, noch bevor der Mann etwas erwidern konnte.

Ein paar Sekunden hielt John die Luft an und war sicher, dass er vor Zorn gleich platzen würde. Aber dann atmete er laut aus und stürmte ins Haus. Es gab nur einen Ort, an dem er jetzt sein wollte, einen Ort, an dem er die Gefühle, die in seiner Seele wüteten, beruhigen konnte.

Er nahm die Autoschlüssel vom Haken an der Küchenwand, und zehn Minuten später war er dort, wo er sein musste. Auf dem Friedhof. Er kannte den Weg gut, er wusste, wie viele Stufen sich zwischen der Stelle, an der er immer parkte, und dem schlichten Stein an Elizabeths Grab befanden.

Ab dem Moment, in dem er aufgelegt hatte, hatte er sich geweigert, noch weiter an das Gespräch zu denken. Er weigerte sich, es an sich heranzulassen, da er fürchtete, dass es ihn lähmen würde. Doch als er jetzt die Stelle erreichte, wo Elizabeth begraben war, war der Schmerz so stark, dass er ihn fast nicht aushalten konnte. Er fiel auf die Knie und ergriff mit beiden Händen ihren Grabstein, genauso wie er die Hände auf ihre Schultern gelegt hätte, wenn sie bei ihm gewesen wäre.

„Es ist vorbei.“ Er ließ den Kopf hängen. Die Tränen raubten ihm die Sicht. „Liebling, Elizabeth, ich habe es versucht ... aber es ist vorbei.“

Mehr konnte er nicht sagen. Mehr gab es nicht zu sagen. Jeden Tag hatten John und Elizabeth für ihren erstgeborenen Sohn gebetet, sich nach ihm gesehnt und sich gefragt, was wohl aus ihm geworden war. Zweimal hatten sie zu Elizabeths Lebzeiten eine Suche nach ihm gestartet, bei der sie nicht weitergekommen waren. Elizabeths letztes Gebet, dass sie ihren Sohn vor ihrem Tod wiedersehen würde, war nicht erhört worden. Alles, was sie an jenem Abend gesagt hatte, war eine Halluzination gewesen, genau, wie John von Anfang an vermutet hatte.

Er wusste nicht, was Dayne in seinen frühen Jahren erlebt hatte. Aber offenbar war er kalt und herzlos, getrieben von dem Ehrgeiz, eine Karriere zu machen, in der er im Rampenlicht stand, und mit so wenig Herz, dass er nicht einmal seine leibliche Mutter vor ihrem Tod besucht hatte.

Der Friedhof war an diesem Februarnachmittag leer, sodass John seinen Tränen freien Lauf lassen konnte und seine Traurigkeit nicht verbergen musste. Seine Tränen tropften an der Stelle, an der Elizabeth beerdigt war, auf die Erde. „Warum, Gott?“ Er trat ein wenig näher und hatte die Hände immer noch auf dem Grabstein liegen, als könnte er dadurch irgendwie die Frau festhalten, die er jahrzehntelang geliebt hatte. Er lehnte die Stirn auf den kühlen Marmorstein. Das war das Ende dieses Weges. Das Ende der Suche, auf die John sein ganzes Leben verwendet hätte. „Es tut mir leid, Elizabeth. S-so leid.“

Jetzt musste er es Ashley sagen. Er musste es allen seinen Kindern sagen. Sie verdienten es zu wissen, dass ihre Eltern ein unvorstellbares Geheimnis hatten. Sie hatten als frisch Verliebte einen Fehler gemacht, und sie mussten bis ans Ende ihrer Tage mit diesem Schmerz leben.

John lehnte sich zurück und schaute den Grabstein an. Über den zwei Daten – ihrem Geburtsdatum und ihrem Sterbedatum – stand nur Elizabeth Baxter, liebevolle Ehefrau und Mutter. Diese wenigen Worte fassten ihr Leben zusammen. Er stützte sich wieder auf den Stein. Immer noch liefen ihm Tränen übers Gesicht. Er weinte um alles, was sie verloren hatten, weil sie ihren ältesten Sohn weggegeben hatten, und er weinte, weil Dayne so nahe davorgestanden hatte, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, und es sich dann doch anders überlegt hatte.

„Es tut mir leid, Liebling. Ich habe es versucht.“ Schließlich weinte er wegen des schmerzlichsten Aspektes bei der ganzen Situation: Er wusste jetzt, wer sein ältester Sohn war. Der junge Mann führte ein Leben in der Öffentlichkeit, und John konnte seine Filme jederzeit im Fernsehen oder Kino sehen, wenn er wollte. Er hatte immer Bilder, er würde immer wissen, was Dayne gerade machte.

Aber er kannte ihn nie als seinen Sohn.

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Chris Kane stand von seinem Schreibtisch auf und schaute aus dem großen Fenster. Der Himmel über Los Angeles war an diesem Nachmittag kristallklar. Es war ein Tag, an dem er lieber am Strand spazieren gehen oder in den Bergen wandern würde. Stattdessen hatte er diesen Anruf tätigen müssen. Er hatte diesen John Baxter abwimmeln müssen, bevor dieser Mann irgendwie einen anderen Weg fand, zu Dayne Kontakt aufzunehmen.

Denn Dayne Matthews durfte nie von diesem Telefongespräch erfahren.

Seit Dayne angefangen hatte, von seiner leiblichen Familie zu sprechen, hatte er sich verändert. Er war nicht mehr so aufgedreht und gesellig, sondern ruhiger und introvertierter geworden. Eine Weile hatte Chris gedacht, es ginge mehr um diese Frau, diese Theaterregisseurin aus Bloomington. Aber je mehr Zeit verging, umso sicherer war er, dass das alles zusammen Dayne aus der Ruhe brachte. Seine leibliche Familie, die Frau, ganz Bloomington.

Es gab Tage, an denen Chris befürchtete, Dayne würde alles hinschmeißen und von einem Tag auf den anderen nach Indiana ziehen. Er hielt sich am Fensterrahmen fest und erschauerte. Das konnte er nicht zulassen. Das durfte er keine Sekunde erlauben. Dayne war ein brillanter Schauspieler, der gerade erst an der Oberfläche seiner Fähigkeiten kratzte. Das Letzte, was er brauchte, waren fehlgeleitete Gefühle, die ihn zu einem Kleinstadtleben verlocken wollten.

Er musste sich in Nachtclubs aufhalten, sich in der Gesellschaft zeigen. Er brauchte jeden Monat eine andere Schauspielerin in seinem Arm – etwas, über das die Boulevardblätter schreiben konnten. Oh natürlich, Chris’ Klienten beklagten sich über die Paparazzi, aber keiner von ihnen hatte genug Geld, um die Druckerschwärze zu bezahlen, die diese Fotografen ihnen jede Woche kostenlos zur Verfügung stellten.

Chris behielt diese Dinge im Auge. Dayne war seit einem Monat auf keinem Titelblatt einer Boulevardzeitung mehr erschienen. Beim letzten Mal war sein Gesicht nur in einem fünf Zentimeter großen Kasten abgebildet gewesen wegen der Zeugenvernehmung für die Anklage gegen die Stalkerin, die ihn überfallen hatte. Diese Story war gut, um Interesse zu wecken, aber dieses Interesse würde nur von kurzer Dauer sein.

Nicht nur die Aufmerksamkeit der Paparazzi ließ anscheinend nach, auch Daynes Ausdruckskraft. In der Vergangenheit hatte er Rollen in Angriff genommen, sie erobert und seinen Regisseur und seine Schauspielerkollegen und das Publikum begeistert. Chris hatte Dream On noch nicht gesehen, aber er hatte Gerüchte gehört. Dayne ließ nach. Dayne war nicht mehr so aggressiv. Dayne war nicht mehr der, der er früher gewesen war.

Als sein Agent verstand Chris, was mit Dayne los war. Dayne hatte sein Können und seine Brillanz nicht verloren. Er war einfach nur abgelenkt. Chris starrte auf den Verkehr auf der überfüllten Straße hinab. Er war Daynes Agent, sein Aufpasser. Es war seine Aufgabe, Dayne vor sich selbst zu schützen. Besonders wenn es um seine Karriere ging.

Er dachte an das Gespräch mit John Baxter. Okay, er hatte die Fakten ein wenig verdreht und einige erfunden. Dayne wäre sauer auf ihn, falls er das je herausfände, was aber nicht geschehen würde. Er hatte in der Stimme dieses Baxters gehört, dass für ihn die Sache erledigt war. Wahrscheinlich sagte sich der Mann, wenn Dayne nichts mit seiner Familie zu tun haben wolle, dann würde er ihn nicht dazu zwingen.

Genau das hatte Chris erreichen wollen. Denn Dayne Matthews musste den Kopf freibekommen von seiner Vergangenheit, von irgendwelchen fehlgeleiteten Gefühlen, die in ihm eine Sehnsucht nach einem Leben weckten, das er nie haben konnte. Er war ein Filmstar, eine berühmte Persönlichkeit. Chris hatte diesem Baxter die Wahrheit gesagt. Dayne hatte keine Zeit, seine Wurzeln zu erforschen. Er schuldete seinem Publikum, seinen Regisseuren und seinem Agenten seine beste schauspielerische Leistung.

Chris seufzte und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Ein berühmter Star zu sein kostete seinen Preis, und auf lange Sicht würde Dayne diesen Preis bestimmt gern bezahlen.

Selbst wenn das ein kleines Opfer hier und da erforderte.

Kapitel 9

Das Restaurant war dezent beleuchtet, die Kellner trugen weiße Smokings. Katy war überrascht. Sie fuhr jede Woche mehrmals auf dem Weg zur Theaterprobe an diesem Restaurant vorbei. Aber nie war ihr bewusst gewesen, dass es so elegant war. Sie strich ihren Rock glatt und stützte die Ellbogen auf die Damasttischdecke.

Ihr Begleiter war auf der Toilette, und sie war für diese kurze Pause dankbar.

Das Gespräch war bis jetzt steif und unangenehm, obwohl ihr Begleiter sich wohlzufühlen schien. Terrence C. Willow, Staatsanwalt, war zweiunddreißig Jahre alt. Seine Tante hatte zwei Kinder im christlichen Kindertheater, und wie so viele andere Mütter hatte sie sich in den Kopf gesetzt, Katy mit einem Mann zusammenzubringen. Wenigstens zum Essen.

Anfangs hatte Katy widersprechen wollen, aber ihr gesunder Menschenverstand hatte sich durchgesetzt. Wenn sie nicht mit anderen Männern ausging, würde sie sich vielleicht nie verlieben, würde sie vielleicht nie den Mann finden, den Gott für sie vorgesehen hatte, und – was am schlimmsten war – sie würde nie heiraten. Das hieß natürlich nicht, dass es so schlecht wäre, Single zu sein. Wenigstens für manche Menschen nicht.

Aber als sie sich vor langer Zeit ausgemalt hatte, wie ihr Leben mit Ende zwanzig aussehen würde, hatte sie sich immer als Mutter von eigenen Kindern gesehen – und nicht als Single, den jede Mutter in der Stadt verkuppeln wollte. Rhonda und sie hatten zusammen mehr gescheiterte Dates hinter sich als der Rest von ganz Bloomington zusammengenommen. Davon war Katy fest überzeugt.

Auf dem Papier klang Terrence vielversprechend. Er liebte Wasserski und Wandern, er arbeitete ehrenamtlich in der Jugendgruppe seiner Gemeinde mit, und sein berufliches Ziel war es, Richter am Bloomingtoner Gericht zu werden. Seit einiger Zeit arbeitete er in der Bezirksstaatsanwaltschaft – das war eindeutig ein großer Schritt in Richtung dieses Zieles.

Die Mutter vom Kindertheater hatte Katy ein Foto von ihm gezeigt; er sah nett aus. Groß, dünn – ein wenig zu dünn –, blonde Haare und Brille. Ein ruhiger, sensibler Typ, vermutete Katy. Ein Mann mit starken Moralvorstellungen und klaren Zielen, der seine Zeit dafür einsetzen wollte, die Bösen hinter Gitter zu bringen. Wenn sie sich schon in jemanden verliebte, warum dann nicht in Terrence C. Willow?

Das hatte Jenny Flanigan gestern Abend zu ihr gesagt.

Katy war gerade von der Probe nach Hause gekommen und hatte sich mit einer Tüte Popcorn aus der Mikrowelle zu Jenny und ihrem Mann, Jim, an die Arbeitsplatte in der Küche gesetzt.

Jenny hatte sie schelmisch angegrinst. „Ich habe gehört, dass du am Samstagabend ein heißes Date hast.“

Katy verdrehte die Augen. Das passierte immer wieder. Das war eine der Begleiterscheinungen, wenn man jede Woche mit vielen Kindern arbeitete. Neuigkeiten verbreiteten sich blitzschnell. Offensichtlich hatte es Terrences Tante ihren Kindern erzählt, und diese hatten es wiederum einigen anderen Kindern erzählt. Das bedeutete, dass das gesamte christliche Kindertheater den Atem anhielt und gespannt darauf wartete, ob Katy Hart sich am Samstagabend verlieben würde.

Sie war froh, dass sie den Familien im Kindertheater nie ein Wort über Dayne erzählt hatte.

Nur die Flanigans und Tim Reed wussten von Katys Beziehung zu ihm, und da Dayne ein Filmstar war, hatten auch sie die Sache nicht ernst genommen. Sie sahen es eher so, dass die beiden flüchtige Bekannte waren und mehr nicht. Katy Hart kannte Dayne Matthews. Wow! Nie käme jemand außer ihren engsten Freunden auf die Idee, dass sie und Dayne vielleicht etwas Ernsteres, etwas Tieferes miteinander verbinden würde.

Sie hatte Jenny zugenickt und sie schief angegrinst. „Terrence C. Willow, Staatsanwalt, und ich.“

Jenny verzog das Gesicht. „Hat er sich so vorgestellt?“

„Nein.“ Katy lachte. „So hat ihn seine Tante bezeichnet. Wahrscheinlich, um mich zu beeindrucken.“

„Hast du schon mit ihm gesprochen?“ Jenny nahm eine Handvoll Popcorn und schob es sich in den Mund. „Hat er dich angerufen, oder wie kam es zu der Verabredung?“

„Ich habe das Okay gegeben, und er rief mich an.“ Sie schaute Jim an. „Der Beschreibung nach scheint er ein netter Kerl zu sein, aber das Telefongespräch war sehr kurz. Es dauerte höchstens eine Minute.“

„Das gefällt mir.“ Jim grinste und stieß seine Frau an. „Ganz mein Typ. Macht nicht viele Worte.“

„Ja, hoffentlich macht er am Samstagabend ein bisschen mehr Worte. Sonst halte ich einen dreistündigen Monolog.“

Sie hatten alle drei geschmunzelt, und Katy hatte das Thema gewechselt und von den aktuellen Robin-Hood-Vorstellungen gesprochen. Obwohl es Katy immer noch schwer ums Herz war, war sie stolz, mit wie viel Talent und Einsatz die Kinder brillante Vorführungen boten. Alice Stryker war zu mehreren Vorführungen gekommen und hatte sich mit den Kindern unterhalten, wie sie sich mit ihrer eigenen Tochter, Sarah Jo, nie unterhalten hatte. Sie zu beobachten war gleichzeitig schmerzlich und ermutigend.

Jenny bestätigte, dass Katy mit ihrer Vermutung richtig lag, obwohl sie nicht immer zu Hause war, um es mit eigenen Augen sehen zu können. Alice Stryker kam zu den Bibelstunden bei den Flanigans. „Sie steht kurz davor, ihr Leben dem Herrn zu übergeben.“ Jenny ergriff die Hand ihres Mannes. Sie bedachte ihn mit einem wissenden Blick. „Sie weiß, dass sie es aus eigener Kraft nicht schaffen kann; so viel steht fest.“

„Unser Gespräch neulich abends ging sehr tief.“ Jim schaute Katy an. „Am Ende hatte ich zwei weinende Frauen hier sitzen.“

Katy lächelte. Das liebte sie so an den Flanigans. Ja, sie erkundigten sich vielleicht nach einem Date, aber nur, weil ihnen wirklich etwas an ihr lag. Jenny sagte oft: „Die Flanigans sind ein Familienunternehmen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen zu helfen.“ Katy wusste, dass das stimmte. Jim und Jenny hatten den starken Wunsch, Menschen zu zeigen, dass sie sie liebten, und sie zu Gott zu führen. Das war das Wichtigste in ihrem Haus, das war die Motivation nicht nur für ihr Leben als Ehepaar, sondern auch für das Leben ihrer sechs Kinder, von denen drei ihre leiblichen Kinder waren und die anderen drei aus Haiti adoptiert waren.

Das Gespräch vom Vorabend verblasste, als Katy aus dem Augenwinkel sah, dass Terrence zu ihrem Tisch zurückkam. Er sah nicht schlecht aus. Die meisten Frauen hätten ihn wahrscheinlich sogar als attraktiv bezeichnet. Oder wenigstens als ganz nett.

Aber etwas an ihm schien steif und starr, obwohl Katy dieses Gefühl nicht genau erklären konnte. Sie legte die Hände wieder in ihren Schoß und richtete sich ein wenig auf. „Hallo“, sagte sie lächelnd.

„Hallo.“ Er setzte sich und schob seinen Stuhl näher an den Tisch. „War der Kellner schon da?“

Katy hatte nicht darauf geachtet. Sie war so in ihre Erinnerungen an ihr Gespräch mit den Flanigans vertieft gewesen, dass sie nicht aufgepasst hatte. Sie sah sich im Restaurant um und schaute dann Terrence wieder an. „Ich glaube nicht.“

Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Wir sind schon seit fünf Minuten hier, nicht wahr? Würdest du das nicht auch sagen?“

Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie in einer Spielshow gelandet war und die Fragen, die er ihr stellte, schnell und richtig beantworten musste, da sie sonst ausscheiden würde. „Äh ...“ Sie trank einen schnellen Schluck von ihrem Eiswasser. „Ich glaube schon. Fünf Minuten könnte stimmen.“

„Nun ...“, lächelte er, aber seine Augen blieben ernst. „Das ist ein Prozentpunkt.“

Katy zog verwirrt die Stirn in Falten. „Ein Prozentpunkt?“

„Ich habe ein klares System.“ Terrence schaute wieder auf seine Uhr. „Wenn der Kellner nicht innerhalb von fünf Minuten an meinen Tisch kommt, ziehe ich einen Prozentpunkt von seinem Trinkgeld ab.“ Er fuhr mit der Hand durch die Luft. „Ich habe dazu ein ganzes System entwickelt.“

„Oh.“ Katy starrte auf ihr Wasser. Kein Wunder, dass er Richter werden wollte. Sie konnte nur hoffen, dass sie nie vor seinem Richterstuhl landen würde.

Terrence bewegte die Hände auf dem Tisch. Katy hob die Augen so weit, dass sie sehen konnte, was er machte. Er schob sein Besteck gerade und ordnete die Teile so an, dass sie genau eine Fingerbreite voneinander entfernt waren.

Ihre Augen wurden riesengroß vor Erstaunen. Wenn sie nicht schnell etwas sagte, würde sie entweder in lautes Gelächter ausbrechen oder um ihr Leben laufen. Sie räusperte sich. „Und ... hast du Robin Hood gesehen?“ Es war eine harmlose Frage. Katy war ziemlich sicher, dass die Antwort Ja lautete. Immerhin spielten Terrences Cousine und Cousin bei dem Stück mit.

Terrence nickte nachdenklich. Er strich sich über das Kinn und baute eine Spannung auf, die angemessen gewesen wäre, wenn sie ihn nach seiner Haltung zur Todesstrafe gefragt hätte.

Bevor er den Mund öffnen konnte, eilte der Kellner atemlos zu ihrem Tisch.

Katy schaute Terrence an und fragte sich, wie viele Prozentpunkte der Kellner verlieren würde, wenn er ganze sieben Minuten nicht an den Tisch kam.

Auf dem Namensschild des Kellners las sie, dass er Bart hieß. Er lächelte sie beide an und zog schwungvoll einen Block heraus. „Hallo, Leute. Wie geht’s?“

Terrence hob das Kinn und bedachte den Mann mit einem Blick, der seine Verachtung laut hinausschrie. Er warf wieder einen Blick auf seine Uhr, und seine Miene wurde sehr streng. „Sie müssen sehr viel zu tun haben.“

Bart hielt einen Stift über seinen Block. „Geht schon. Was kann ich Ihnen zu trinken bringen?“

Katy verkniff sich ein Grinsen.

Der Kellner war von unauffälliger Statur und seine Haare standen lustig hoch. Aber seine Augen funkelten, und seine Stimme klang fröhlich und optimistisch. Ohne es zu wollen, kontrollierte Katy seinen Ringfinger. Leer. Wenn Terrence sich nicht schnell bessern würde, konnte sie immer noch Bart ihre Telefonnummer geben.

Terrence schaute sie an. „Katy? Etwas zu trinken?“

„Ja.“ Ihre Stimmung wurde wieder besser. Es war immerhin nur eine einzige Verabredung. Wenn der Abend so weiterging, wie er angefangen hatte, hätte sie immerhin etwas, worüber sie mit Rhonda später lachen könnte. „Eine Zitronenlimonade bitte. Mit einer Kirsche.“

„Wirklich?“, fragte Terrence mit einem leichten Keuchen. Er bedachte sie mit einem Blick, als hätte sie einen doppelten Whiskey bestellt. Er wartete einen Moment, bevor er sich wieder Bart zuwandte. „Ich bleibe bei Wasser.“ Er schob sich leicht vom Tisch zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Was können Sie uns empfehlen?“

Bart schien zu begreifen, dass Terrence nicht zu Scherzen aufgelegt war. Sein Lächeln verschwand, und er zählte sehr ernst die Gerichte mit frischen Meeresfrüchten und andere Spezialitäten auf.

„Gut.“ Terrence schob seinen Stuhl wieder näher zum Tisch. „Geben Sie uns bitte fünf Minuten.“

Bart schaute Katy an und kniff die Augen zusammen. „Sie leiten das christliche Kindertheater, nicht wahr?“

„Das stimmt.“ Sie lächelte ihn an. „Haben Sie schon einmal eine Vorstellung von uns gesehen?“

„Selbstverständlich.“ Der Mann war ungezwungener, als Terrence das je sein könnte. „Meine kleine Schwester ist Hannah Warman. Sie hatte bei ein paar Stücken eine kleine Rolle.“

„Und die spielte sie sehr gut.“ Katy legte den Kopf schief. „Ich dachte mir schon, dass Sie mir irgendwie bekannt vorkommen.“

„Nun ...“ Er deutete zur Theke. „Ich hole Ihre Limonade.“

Terrence machte sich wieder an seinem Besteck zu schaffen. Während er seine Salatgabel gerade rückte, bedachte Bart Katy mit einem Blick, der ihr sagte, dass sie ihm leidtue. Sie lächelte ihn kurz an, und bevor er sich umdrehte, erwiderte er ihr Lächeln. Ja, Bart war eindeutig eine Möglichkeit.

Sobald er fort war, runzelte Terrence die Stirn. „Du isst Garnierkirschen?“

„Ja.“ Wieder hatte Katy den Drang zu lachen, aber sie beherrschte sich und zwang sich zu einem ernsten Blick. „Ja, das mache ich.“

Terrence zog die Brauen in die Höhe. „Du weißt, dass sie mit Chemie und rotem Farbstoff beladen sind? Das weißt du, ja?“

„Also, Terrence ...“ Sie bewegte lässig die Hand. „Wie viel Chemie kann in einer einzigen Kirsche sein?“

„Siebenundvierzig Stoffe, Katy.“ Er war über ihre Naivität entsetzt. „Du hast gesagt, dass du sie isst? Das heißt ... mehr als eine im Jahr?“

„Ehrlich gesagt ...“ Katy biss sich auf die Lippe. Als sie sich so weit trauen konnte, dass sie nicht laut loslachen würde, nickte sie. „Wahrscheinlich sogar mehr als eine im Monat.“

„Das ist sehr gefährlich.“ Er schüttelte entsetzt den Kopf. „Du hast keine Ahnung, wie viele krebserregende Stoffe in einer einzigen Garnierkirsche stecken. So viele, dass man sie gar nicht zählen kann.“

„Dann hoffe ich, dass sie in der Limonade absterben.“ Sie zwang ihre Mundwinkel, sich nach oben zu bewegen. „Richtig?“

„Ich wollte eigentlich nichts sagen.“ Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor sich. „Zitronenlimonade besteht hauptsächlich aus Natrium und Zucker.“ Er bewegte den Zeigefinger vor ihr, wie Jim Flanigan es mit seinem Hund machte, wenn dieser ein Paar Socken angekaut hatte. „Die meisten Menschen wissen das mit dem Zucker, aber das Natrium ... die meisten nehmen wegen des Natriums zu. Das weißt du wahrscheinlich nicht. Natürlich verursacht Zucker Typ-2-Diabetes, aber Übergewicht ist auch die Folge einer Ernährung mit zu starkem Natriumgehalt.“

„Wirklich?“ Katy schaute ihren Begleiter treuherzig an. Rhonda würde sich kaputt lachen. „Ist das wirklich wahr?“

„Allerdings. Natürlich brauchst du dir um dein Gewicht keine Sorgen zu machen. Wenigstens noch nicht.“ Er bildete mit dem Finger und Daumen ein L und lehnte das Kinn auf seinen Daumen. Mit dem Finger, der seine Wange umrahmte, sah er aus wie ein Professor, der einen Vortrag hält. Terrence sprach weiter. „Man hat Untersuchungen über die möglichen Organschädigungen durch Natrium durchgeführt. Die Hälfte der Pestizide in unserem Land bestehen aus Natriumchlorid.“ Er zögerte, als fiele ihm erst jetzt ein, dass sie vielleicht nicht wusste, was Natriumchlorid war. „Das ist die, äh, chemische Verbindung, aus der Kochsalz besteht.“ Er nickte ein letztes Mal. „Natrium ist eine tödliche Sache.“

Gerade als er „tödliche Sache“ sagte, kam Bart mit Katys Limonade zurück. Er blieb stehen und schaute zuerst Katy und dann Terrence und dann wieder Katy an. Vorsichtig stellte er das Glas vor ihr ab und bedachte sie mit einem Blick, den nur sie sehen konnte. Sie hielt sich die Hand über den Mund, um nicht laut loszukichern. Als Bart sich aufrichtete, wandte er sich an Terrence. „Brauchen Sie noch ein paar Minuten?“

„Ja, bitte.“ Terrence hob seine Speisekarte hoch, und Bart ging zu einem anderen Tisch.

Katy zog ihre Limonade näher heran, nahm den Strohhalm zwischen die Lippen und saugte lange daran. Länger als gewöhnlich. Als sie geschluckt hatte, hätte sie beinahe Aaaah gesagt.

Terrence schaute sie streng an, warf einen Blick auf ihr Glas und zuckte traurig die Achseln.

Durch seinen strengen Blick gereizt, steckte sie die Kirsche in den Mund, kaute ein paarmal und schluckte. Sie fühlte, wie ihre Augen tanzten. „Ich wusste gar nicht, dass krebserregende Stoffe so gut schmecken.“ Sie schob das Glas ein Stück zu ihm hinüber. „Trink einen Schluck, Terrence sei leichtsinnig.“

Er schien zu verstehen, dass sie ihn aufzog und nur einen Spaß machte. Er schmunzelte, hob aber abwehrend die Hand. „Das kann ich nicht. Ich habe keine Limonade mehr getrunken, seit ich zwölf war. Das ist eine persönliche Sache.“

„Okay.“ Katy zog ihr Glas wieder an sich heran. „Schade.“

Terrence sah aus, als wollte er anfangen zu erklären, wie viele chemische Stoffe sich in einem halben Liter Limonade befanden. Aber er überlegte es sich anders und lächelte. „Ich mag dich, Katy Hart. Du hast Mut.“

„Ja.“ Sie hob ihr Glas, wie um ihm zuzuprosten. Sie wurde nur selten von Männern zum Essen eingeladen. Sie wollte den Abend genießen, selbst wenn sie den Alleinunterhalter spielen musste. „Meine Organe sind voll tödlichen Natriums, aber ich habe Mut.“

Sein Lächeln verschwand. „Vielleicht sollten wir uns lieber die Speisekarte anschauen.“

Terrence war ein strenger Gegner von rotem Fleisch. Das erfuhr sie aber erst, als sie sich den großen Rindfleischburger bestellt hatte. Seine Miene verriet, dass er lieber einen Teelöffel Kochsalz gegessen hätte als irgendetwas von einem Rind.

Als sie das Essen endlich bestellt hatten, kam er wieder auf das Thema Robin Hood zu sprechen. „Ich finde, dein Ansatz war ein wenig zu komisch.“

Katy trank gerade ihren letzten Schluck Limonade, als er „zu komisch“ sagte. Aus irgendeinem Grund lösten seine Worte bei ihr einen Lachanfall aus. Sie war darauf völlig unvorbereitet und prustete ihre Limonade über den Tisch. Ein paar Spritzer mussten Terrence im Gesicht getroffen haben, denn er machte eine finstere Miene, und in einer langsamen, übertriebenen Geste tupfte er mit seiner Stoffserviette seine Wangen ab.

„Entschuldigung.“ Sie hielt sich die Hand über den Mund. Hatte sie das wirklich gerade getan? Hatte sie wirklich soeben ihren Begleiter mit Limonade bespuckt?

Aber der Abend wurde noch schlimmer.

Im Verlauf des Abends bekam Katy so viele Vorträge, dass ihr der Kopf rauchte. Terrence sprach über die Vorteile des Wasserskifahrens auf einem Ski gegenüber dem Fahren auf zwei Skiern und dass er diese Kunstfertigkeit einübte und ständig verbesserte, seit er zwölf war. Das war ironischerweise im selben Jahr gewesen, in dem er aufgehört hatte, Limonade zu trinken.

Katy hörte auf, ihm zuzuhören, als er anfing, ihr seine Meinung über die Mängel des Justizsystems darzulegen und zu erklären, warum Wiederholungstäter strengere Strafen verdienten. Obwohl sie ihm zustimmte, konnte sie es nicht ertragen, ihm länger zuzuhören. Keine Minute länger.

Dass Terrence ganze zehn Minuten am Stück dozieren konnte, ohne ihr auch nur eine einzige Gelegenheit zu geben, ein Wort zu erwidern, war gut. Das gab ihr Zeit, darüber nachzudenken, wie viel anders dieser Abend sein könnte, wenn sie auf einer Terrasse mit Blick über den Malibu Beach sitzen und in den Augen eines Mannes versinken könnte, der wie für sie geschaffen zu sein schien. Dass er sie in die Arme nehmen, küssen würde und ihr versprechen, dass er einen Weg fände, aus dem Dschungel seines Lebens auszubrechen, und ihr sagen würde, dass er alles in seiner Macht Stehende täte, um mit ihr zusammen zu sein. Und sie könnte ihm gegenübersitzen und ihm glauben und wüsste, dass nichts sie je trennen würde.

Aber leider gab es zwei unüberwindliche Hindernisse: Erstens war der Mann, der ihr gegenübersaß, nicht Dayne Matthews, sondern Terrence C. Willow, Staatsanwalt.

Und das zweite Hindernis ließ sich ebenfalls nicht ausräumen. Dayne würde Katy keine Versprechungen machen. Er machte sie Kelly Parker, der Frau, die in ein paar Monaten sein Kind zur Welt bringen würde.