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Für Ursula

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DAS KOLUMNISTISCHE MANIFEST

Die manifesten Kolumnen

Noch was, bevor es losgeht

ABER WIE FANGEN WIR JETZT EIGENTLICH WIRKLICH AN?

Die Raumfliegerin

Das UFO-Kid

War der Urknall eine gute Idee?

Vom Siedeln und Besiedeltwerden

UND WIE MACHEN WIR JETZT WEITER?

Der Messias-Beschleuniger

Die Brücke am Spei

Naturkraft, Hacke-Kraft

JETZT MAL WAS GANZ ANDERES: TOP TWENTY, DIE ERSTEN ZEHN

Eine plötzliche Erkrakung

Sie sind ja soooo wichtig!

Bügäln!

Wein oder Nichtwein

Der Feuertopf

Die Christbaumkugel

Mein Leben bringt mich um

Vorhangstangen sind eigentlich doch schön

Schill und Schiller

Wurst

WENN WIR GERADE DABEI SIND: NOCH DREIMAL IN DEN KINDERGARTEN

Baggerkäfer

Watte hatte ich da

Jesus Beuys

NUN EINE KLEINE PAUSE: DREI KOLUMNEN ÜBER DIE STILLE

Wiehernde Autos, hörende Hemden

Wie man Eier hart schreit

Brüllwelt

ÜBER LESERINNEN, LESER UND NICHTLESER

Die Fötengruppe

Der Krake Mario

Malcolm, you sexy thing

Gold, Weiber und Möhren

Verdis Pappkarton

Wenn man im Roten Ochsen isst

Vollbart Mittwoch

Vitello Tornado

A Walter Scheel of Pale

Die Brechtstange

Die Autoschlüssel

Das Reich der verlorenen Dinge

meÿHi let pHile mer benobi neremkHure – oder: Wie man Schweine verberstet

Sytytysjärjestelmä

Meine Meinung über Wolfsburg

EINIGE KOLUMNEN ÜBER TIERE

Erster Tierversuch: Der Pinguin

Kleine Abschweifung: Und wo sind die Pinguine?

Zweiter Tierversuch: Die Giraffe

Kleine Abschweifung: Das Giraffen-Syndrom

Dritter Tierversuch: Der Flamingo

Kleine Abschweifung: Das ertrunkene Rhinozeros

Vierter Tierversuch: Das Krokodil

ÜBER DAS ESSEN UND GEGESSENWERDEN

Schlechte Nachrichten für Vegetarier

Ich esse meine Freunde doch

ABER DAS IST NATÜRLICH NOCH NICHT ALLES ÜBER TIERE

Bemerkungen über das Eincremen von Rattenpenissen

Über das Sittichgähnen und anderes

Opa liegt auf dem Plattenteller

Auf der Mauer, auf der Lauer …

JETZT ABER NOCH MAL ZURÜCK ZU DEN ANFÄNGEN: DER KLEINE ERZIEHUNGSBERATER

Holmsen

Gute Nacht

Nervensache

Am Familientisch

Ursuppe aus Legosteinen

Bittere Semmeln

WENN WIR GERADE BEIM THEMA »ERZIEHUNG« SIND: ZWEI KOLUMNEN ÜBER DIE MÜDIGKEIT

Das Müdometer

Hypnokratie

Kleine Bilanz des Erziehungsthemas: Das Leben ist ein Kreis

Kleine Variation des Erziehungsthemas: Fairdammt noch mal!

ZWISCHENDURCH MAL WAS GANZ ANDERES: EINE GESCHICHTE ÜBER RUHM UND ANONYMITÄT

Die Jubeldusche

ZEHN LIEBLINGSKOLUMNEN

Eins: Ich kotz’ gleich

Zwei: Tallinn

Drei: Holla hia hia holla di holla di ho

Vier: Skulptural, skulpturesk, skulpturös

Fünf: Im Matratzenmarkt

Sechs: Der Eingeweidefisch

Sieben: Facebook und die Schweine

Acht: Über Comics

Neun: Die große Rabenfrage

Zehn: Eine Elster mit Sodbrennen

WENN WIR GERADE MAL WIEDER DABEI SIND …

Tiere, die sich auf den Weg machten 1: Waschbärenliebe

Tiere, die sich auf den Weg machten 2: Die Wanderkatze

VOM GLÜCK (UND VOM PECH)

Ekelschleim

Das Glück ist ein Regenschirm

Die Glücksformel

Wie man für sein eigenes Glück sorgt

Von Glücks- und Pechkeksen

Das Pechtropfenexperiment

NOCH MAL ZURÜCK ZU DEN ANFÄNGEN: HACKES GRUNDKURSE

Skifliegen

Tanzen

Ein Haus bauen

WENN WIR SCHON MAL BEI DEN GRUNDKURSEN SIND: ÜBER DAS SPRECHENLERNEN

Naum

Ssseiße

Halixen

Sie nannte ihn Papper

Prima war aber auch das Lesenlernen mit Luis: Ein schönes Gevül

Am schönsten aber ist das Schreibenlernen: Dada lebt

Und schwer ist das Schreibenverstehenlernen: Warum schreibst du nicht dieses Buch hier?

ÜBER DAS SCHREIBEN GIBT ES HIER NATÜRLICH NOCH EINIGES ZU SAGEN. MELANCHOLISCHE GESCHICHTEN AUS DEM BÜRO

Über Schönmalven und Nichtsoschönmalven

Der neue Bademantel

Lob der Mansarde

Uaf dme Blakon …

… und auf dem Balkon

WENN WIR GERADE IM BÜRO SIND …

Fukushima 1

Fukushima 2

ZURÜCK ZU DEN TIEREN: VOM ANGELN. UND VON DEN FISCHEN.

Fische, die es nicht geschafft haben

Und ein Fisch, der es doch geschafft zu haben schien, am Ende aber auch nicht

WIR BLEIBEN NOCH FÜR EINEN MOMENT IM WASSER. UND BEI DEN TIEREN. DEN ESSBAREN TIEREN.

Du krillst es doch auch

Schweine mit Begleitung

ZU EINIGEN MENSCHEN DA DRAUSSEN IN DER GROSSEN WEITEN WELT

Don Gorske

Mick Wilary

Steve Feltham

EINBRÜCHE UND ANDERE KLEINIGKEITEN

Obsttag

Sue Warren

Knackort

Erstes Apropos: Das Fernsehen und die gelben Großmütter

Zweites Apropos: Tod auf dem Buchmarkt

Drittes Apropos: Der Buchmarkt und wie man Europa retten könnte

Viertes Apropos: Der Online-Handel und die Innenstädte

ES WIRD ZEIT FÜR EINEN ALTEN FREUND: DAS BOSCHSTE AUS ALLER WELT

Ein Kühlschrank hat Angst

Ist Bosch ein Mann?

El Condor Pasa

Apocolocyntosis

Der Coolschrank

Als ich meinen Kühlschrank küsste

Fieber

Am Nullpunkt

Kleine Abschweifung: Reading in a box

NUN SETZEN WIR UNS WIEDER IN BEWEGUNG: VOM BAHNFAHREN

Am Ausbildungstag

Der Übergangsreisende

Entspannt Euch!

Im Schlafwagen

TOP TWENTY, DIE ZWEITEN ZEHN

Verspannt in alle Ewigkeit

Wegschmeißer und Behalter

Weitermachen!

Wie fragt man eine Mailbox ab?

Falsche Schlangen

Ein schimmelblauer Gorgonzola GTI

Orlando, der Vielfache

Reist Herr Hacke in den Süden

Kleine Abschweifung: Über das Baumeln der Seele – eine Klarstellung

Doktor Leibtrost

Achtung! Huch! Buch!

Und eine Zugabe: Entscheidungsschwach, ach!

AUS DEM CAFÉ, DER SAUNA, DEM KELLER UND VON ANDEREN ORTEN: KOLUMNEN ÜBER DAS NICHTGESCHEHEN

Menschen im Café

Menschen in Kellern

Menschen im Hotel

Menschen in der Sauna

Menschen vor meinem Haus

Und drei Thesen über Schubladen

Kleine Abschweifung: Lob der Unordnung

AUS DEM ALBUM MEINES LEBENS: NOCH EINIGE LIEBLINGSKOLUMNEN

Wie darf ich es dir machen?

Im Dosenpalast

siuL dnu eid neilA-kcohcs-epmaL

Als ich auf dem Balkon wohnte

Von Wörtern und Menschen

Das Eintreffen Herrn Kurts

Der Herr Kurt

Der Aldiwagen

Wie man glücklich wird

ZU EINIGEN POLITISCHEN FRAGEN

Edmund Stoiber 1

Edmund Stoiber 2

Wladimir und die Langschläfer

Hund und Macht

Malaga

Wer nicht wählen will, muss fühlen

The Choice of Germany

Über das Seehofern

Deutschland kostet Eintritt

Das Dobrindt-Prinzip

Die Problematur

Großprojekte

Die Teeküchen-These

Was Couscous mit Küssen zu tun hat

VIER KOLUMNEN ÜBER EUROPA

Skond l-opinjoni tieghi ta ’l-orkestra

Es lebe das schwule Europa

Was ist ein Abtropfgewicht?

Buntbarschonauten

ZUR VERTEIDIGUNG DER GEHEIMDIENSTE

Eins: Das Nationalarchiv des Alltags

Zwei: Von Brunstdetektoren und dem Handbuch der Darmreinigung

Drei: Grottenolme ohne Grotte

DER JAHRESLAUF IN DER KOLUMNE

Frühling: Kotlotto

Sommer: Mückengestöber

Herbst: Drachenwut

Winter: Liftfahren in Colorado

Kleine Abschweifung: Liftfahren in Österreich

NOCH EINMAL ZURÜCK ZU EINEM WICHTIGEN THEMA: SCHLAFFE TIERE, SCHLIMME TIERE

Warmduschergrizzlys

Mehr über Mücken

Die Merkel-Zellen

Von der Quallenherrschaft

Deutschland ist Wolfsland 1

Deutschland ist Wolfsland 2

BEMERKUNGEN ÜBER ÄRSCHE

Die Unverwechselbarkeit des menschlichen Hinterns

Hamuketsu

Saddams Hintern

DREI VORSTELLUNGEN VON DER ZUKUNFT, DEM WELTUNTERGANG UND DER ZEIT DANACH

2113

Runterdimmen

Bolon Yokte’ K’uh

Der Stellvertreter des Nichts auf Erden

Dank

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DAS KOLUMNISTISCHE
MANIFEST

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Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kolumnismus. Nun ist es aber folgendermaßen: Den Kolumnismus kennen alle. In jeder Zeitung, jedem illustrierten Blatt und auf jeder Internetseite schreiben Kolumnisten; manche befassen sich mit der politischen Lage, andere mit dem Wirtschaftsleben, wieder andere mit dem guten Essen oder mit ihrer eigenen Lustigkeit.

Das Gespenst aber kennen nur die Kolumnisten selbst.

Mir zum Beispiel ist es wirklich gut vertraut. Es erscheint hier seit Jahrzehnten nicht nur nachts, sondern am helllichten Tag, nicht nur, wenn ich in meinem Büro sitze, sondern auch, wenn ich im Zug fahre, in einem Hotel übernachte oder irgendwo auf unserem Kontinent Ferien zu machen versuche, Ferien, die nun seit eh und je unterbrochen werden von dem Tag, an dem ich meine Kolumne zu schreiben habe.

Mal sitzt das Gespenst mir im Nacken, mal tanzt es mir auf der Nase herum, dann wieder flüstert es in mein Ohr: »Hast Du schon eine Idee …?« Oder: »Weißt du überhaupt, wie spät es bereits ist?« Oder auch: »Findest du nicht, dass die Kolumne, die du heute Morgen geschrieben hast, ausgesprochen schwach geworden ist?« Und weiter: »Und ist nicht überhaupt in dieser Geschichte ein Fehler, ein dummer, nun aber nicht mehr zu ändernder Fehler?«

Ich habe jetzt tausendundeine Kolumne geschrieben, das ist eine schöne Zahl, die man sich gut merken kann, und in Zeiten wie diesen sind Zahlen und überhaupt Dinge, die man sich, wie gesagt, gut merken kann, extrem wichtig.

Andererseits: War es je anders? Ich meine, hat es je Zeiten gegeben, in denen sich die Leute irgendwas gemerkt haben, wenn man es ihnen nicht mit runden, großen und einprägsamen Zahlen um die Ohren gehauen hat? Na, also.

Ich schreibe Kolumnen seit den Zeiten Alarichs des Saumseligen, Wilfrieds des Haarigen oder Childerichs des Chönen, so genau weiß ich es nicht mehr, jedenfalls geht das schon seit Jahrhunderten so. Hier in meinem Archiv gibt es halb zerbröselte Schriftstücke aus dem Mittelhochdeutschen, in denen vom »kolumniman« oder »kolumnimester axel« die Rede ist, der regelmäßig etwas verfasse, das den Titel spurucelwurc oder sperucilwirc oder so ähnlich trage, das Wort ist unleserlich. Später heißt es an einer Stelle: »und es versamlet sich viel volcks zu im, also dasz er vor alles volck trat und lasz«, was bedeutet, dass ich schon vor sehr langer Zeit meine Kolumnen auch öffentlich vorgetragen habe. Auch daran habe ich keine Erinnerung mehr.

Das Einzige, was ich mir, wie gesagt, eben gut gemerkt habe, ist diese Zahl: 1001.

Das Kolumnenverfassen ist mir in den Zeitläuften zur Gewohnheit geworden, es gibt meinem Alltag Struktur und meiner Existenz Halt. Es ist schön zu wissen, dass man mittwochs etwas Bestimmtes zu tun hat, jeden Mittwoch, denn Mittwoch ist mein Kolumnentag. Das verleiht so einem Mittwoch eine ganz andere Bedeutung, als wenn er einfach nur ein Mittwoch wäre; so ragt der Mittwoch gleichsam säulenartig aus dem Daseinsmatsch heraus, komme, was da wolle. Mittwoch ist der Tag, auf den ich hinlebe. Und nach dem es eine Weile bergab geht, bis sich der nächste Mittwoch schemenhaft am Horizont abzuzeichnen beginnt.

Ich schreibe in meinem Leben jetzt schon länger Kolumnen, als ich nicht Kolumnen geschrieben habe. Ich habe mich sozusagen selbst überholt, was mir sehr wichtig ist. Jeder sollte sich mindestens einmal im Leben selbst überholen, es ist ein tolles Gefühl, sich aus dem Seitenfenster zuzuwinken, zuzuschauen, wie man zurückbleibt, und dann mit Höchstgeschwindigkeit abzurauschen.

Übrigens finde ich die Zahl 1001 schöner als die 1000. Was ist schon dran an einer 1, hinter der drei Nullen marschieren, das ist im Leben doch immer das Gleiche, einer geht voran, und die Nullen marschieren hinterher?!

Mir erschien das Gespenst zum ersten Mal, als ich gerade begonnen hatte, an einer täglichen Kolumne auf Seite eins der Zeitung, für die ich damals schrieb, mitzuarbeiten. Meine Aufgabe war, 63 leicht hingeworfene, mit überraschenden historischen Assoziationen versehene, intellektuell tiefgehend begründete und dennoch umwerfend komische Zeilen über die Tatsache zu schreiben, dass es in München im Mai schneite – eine Aufgabe, mit der verglichen mir die, auf einer Glatze Locken zu drehen, leicht lösbar erschienen wäre.

Ich begann um zwölf. Um 16.30 Uhr musste ich fertig sein.

Um 16 Uhr hatte ich zehn Zeilen geschrieben.

Da stand das Gespenst vor mir. »Weißt du eigentlich, dass die Zeitung ohne diese Kolumne nicht erscheinen kann?«, flüsterte es. »Könnte sein, dass sie dich gleich wieder rauswerfen, wenn du nicht soforrrrt …«

Ich rannte auf den Flur, wo ich dem Kollegen Meyer begegnete, der das Gespenst bereits seit Jahrzehnten kannte. Er sah meine zerrauften Haare, und ich sah seine zerrauften Haare, soweit ihm in seinem fortgeschrittenen Alter noch welche verblieben waren. Meyer hatte im Laufe seines langen Lebens eine Art Dauerzerraufung der Haare erlitten, das heißt, seine Frisur war immer zerrauft, ob er nun die tägliche Kolumne gerade zu schreiben hatte oder nicht.

Er riet mir, mit dem Paternoster einmal die große Runde zu fahren, nicht auszusteigen oben, nicht auszusteigen unten, sondern mein vor Angst zitterndes Jungkolumnistenfleisch durch das Zahnradgetriebe des Umlaufaufzuges fest massieren zu lassen.

Das werde das Gespenst vertreiben, prophezeite er.

Gespenster hassen nämlich Zahnräder.

Ich tat, wie mir von Meyer geheißen. Es half. Ich machte die Kolumne in zwanzig Minuten fertig und überreichte sie dem Chef, und der Chef sah an, was ich geschaffen hatte, und fand, dass es gut war.

Seit dieser Geschichte habe ich immer ein paar kleine Zahnräder in der Hosentasche. Naht das Gespenst, klimpere ich leise mit ihnen. Meistens hilft das schon, damit es wieder abzischt.

Die Zahl 1001 kennen wir alle natürlich aus dem Paragrafen 1001 des Bürgerlichen Gesetzbuches, in dem es um die »Klage auf Verwendungsersatz« geht. Aber einigen von uns ist sie auch aus Tausendundeine Nacht bekannt, ein Buch, das damit beginnt, dass ein morgenländischer König namens Schahriyâr von der Untreue seiner Frau so erschüttert ist, dass er sie hinrichten lässt und seinem Wesir befiehlt, ihm fortan jede Nacht eine neue Jungfrau zuzuführen, die am folgenden Morgen ebenfalls getötet wird.

Im Morgenland haben sie es ja irgendwie mit den Jungfrauen und dem Hinrichten, aber das soll hier jetzt keine Rolle spielen.

Scheherazade, die Tochter des Wesirs, bittet ihren Vater eines Tages, er möge sie ebenfalls zum König bringen. Was der Wesir natürlich ablehnt, weil er weiß, was ihr dort blüht. Doch Scheherazade besteht darauf und setzt sich durch (wie ja Töchter im Allgemeinen von ihren Vätern immer bekommen, was sie wollen). Sie wisse, sagt sie zum Vater, wie sie das Morden beenden könne – und weiß es auch tatsächlich: Jede Nacht erzählt sie nämlich dem König eine Geschichte von Ali Baba, Harun ar-Raschid oder Sindbad, dem Seefahrer, deren Schluss sie aber jedes Mal für sich behält. Das Ende, sagt sie zum König, werde sie erst in der kommenden Nacht verraten.

Der König steht also vor der Wahl, unter Verzicht auf dieses Ende weiter zu morden oder den Schluss zu hören. Er entscheidet sich für die Pointe. War ja klar.

Nach 1001 Nächten sagt Scheherazade: Nun wisse sie kein Märchen mehr. Aber da ist der König natürlich längst in Liebe zu ihr entbrannt, schwört seinen Grausamkeiten ab und heiratet sie.

Kurz müssen wir uns jetzt mit der Frage befassen, ob eigentlich der Untertitel dieses Buches Das Beste aus 1001 Kolumnen grammatisch korrekt ist. Vielen von uns ist ja das Buch Tausendundeine Nacht unter dem Titel Geschichten aus tausendeiner Nacht geläufiger: Müsste es dann nicht auch Das Beste aus 1001 Kolumne heißen, also Singular statt Plural? Nein, das klingt denn doch zu seltsam. Was sagt der Duden? In seiner Ausgabe von 1959 heißt es, tausendundein kombiniert mit dem Singular müsse immer gebeugt werden, man sagt mithin, zum Beispiel: mit tausendundeinem Salutschuss. Möglich sei allerdings auch die Verwendung des Plurals, dann hingegen falle die Beugung von »ein« weg (sowie bisweilen auch das »und«): mit tausend (und)ein Salutschüssen.

Zieht man dann noch die aktuelle Duden-Grammatik von Gallmann und anderen zurate, liest man allerdings: »Schließlich wird die Form auf -eins immer gebräuchlicher«, also zum Beispiel: »Die tausendundeins besten Tipps für Bauherren«. Anders ausgedrückt: mit tausendundeins Salutschüssen geht auch in diesen wurschtigen Zeiten. Wenn man den Untertitel des Buches spricht, sagt man Das Beste aus tausendundein Kolumnen oder Das Beste aus tausendundeins Kolumnen – und hat nichts falsch gemacht.

Ich danke tausendundeinmal für die Aufmerksamkeit auch in dieser Passage! Und nun weiter im Text.

Die wichtigste Grundlage des kolumnistischen Manifests ist, dass es nicht als Manifest geschrieben wurde. Sein Inhalt wurde sozusagen von Woche zu Woche und von Jahr zu Jahr und von Kolumne zu Kolumne erst manifest. Niemals hatte der Autor vor, von der Welt etwas zu fordern oder sie zu etwas aufzufordern oder ihr etwas einzureden, wie es den meisten anderen Arten von Kolumnen und Manifesten eigen ist. Ohnehin lehnt er (der Autor) es ab, Menschen zu belehren.

Und überhaupt lag es zu keiner Zeit in seiner Absicht, irgendeine Art von Manifest vorzulegen.

Seine einzige Intention war immer bloß, von sich zu erzählen: wie er seine Kinder erzieht, oder sagen wir: zu erziehen versucht, oder sagen wir: wie er beim Versuch der Erziehung scheitert; auch wie er die Beziehung zu seiner Frau gestaltet und wie er selbst andererseits sozusagen von den Zeitläuften gestaltet wird, wie er seinen Alltag als Mann erlebt und überlebt, wie er Gewicht zu verlieren versucht, was er beim Anblick von Tieren empfindet und was überhaupt so in seinem Kopf vorgeht, wenn er die Welt betrachtet.

Wie ein Reporter von der Welt berichtet, so berichtet dieser Kolumnist von sich selbst.

Das ist nämlich die Grundlage des Kolumnismus, wie er in diesem Manifest ja nun aber doch vertreten wird: eine Art regelmäßiger Selbstbericht, dessen Grundlage absolute Verlässlichkeit ist. Hat man nämlich einmal beschlossen, dass eine Kolumne immer wieder zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle erscheinen soll, so muss sich der Leser darauf verlassen können, wie sich der Alpinist auf den Bergkameraden verlässt: Ich bin für dich da, Mann, es sei denn, es reißt mich selbst in die Tiefe.

Selbst nach dem Weltuntergang sollte der Kolumnist mit zuverlässiger Genauigkeit zum geplanten Zeitpunkt seine Eindrücke von Ablauf und Gestaltung desselben schildern sowie sein eventuelles Lob des Vorgangs und seinen Einwände dagegen am vereinbarten Ort vorbringen. Wobei, wenn ich genau darüber nachdenke, er auch sagen könnte: Weltuntergang? Ist für mich kein Thema. Ich hätte da etwas anderes, auf den ersten Blick ganz Abseitiges, hören Sie mal …

Das Wunderbare an Tausendundeine Nacht ist ja, nebenbei gesagt, dass es dem Leser einen Weg zeigt, wie Härte, Grausamkeit und Mordlust zu überwinden sind: durch das Erzählen nämlich oder, wie man heute sagen würde, durch Kommunikation. Der mordende König, ja, der Mörder überhaupt, ist ein einsamer Mensch, der keinen Weg gefunden hat, sich anders als durch Mord mitzuteilen, und zu dem, weil das so ist, auch niemand je einen Weg gesucht, geschweige denn gefunden hat – bis auf, in diesem Fall, Scheherazade eben, die allein durch die Kunst des beharrlichen und gekonnten Erzählens alle Mauern, die der Mann und König Schahriyâr um sich errichtet hatte, überwand.

Weshalb sich, so lehrt uns dieses Buch, die Menschlichkeit jeder Gesellschaft, ja, die Qualität jeder menschlichen Beziehung überhaupt daran misst, wie intensiv und offen darin erzählt oder meinetwegen kommuniziert wird.

Oder anders gesagt: Das Unglück der Welt kommt aus dem Schweigen.

Hier sind also nun aber doch einige Forderungen des kolumnistischen Manifests: Sei erstens immer pünktlich am vereinbarten Ort! Verpasse zweitens nie die Verabredung mit deinen Lesern! Und mache drittens keinen Urlaub! Viertens: Wenn du doch Urlaub machst, dann sorge dafür, dass fünftens deine Kolumne in diesem Urlaub dennoch erscheint, und zwar sechstens von dir und niemand sonst verfasst. Mache aber siebtens am besten doch keinen Urlaub. (Ferien sind achtens etwas für Schwächlinge. Außerdem gibt es für einen Kolumnisten, der auf sich hält, neuntens keine Vertretung, er hält sich nämlich für unersetzlich, und was er tut, ist zehntens unvertretbar.)

Wäre es übrigens ein guter Gedanke, den Schluss einer Geschichte, wie Scheherazade es tat, immer erst mit einer gewissen Verzögerung bekannt zu geben, sagen wir: eine Woche später, in der nächsten Kolumne, im nächsten Heft?

Das ist natürlich abzulehnen, denn es hieße, diesen Schluss zu wichtig zu nehmen (was nicht zu diesen Texten passt), sich selbst als eine Art Scheherazade zu sehen (was albern wäre) und das Publikum mit dem König Schahriyâr gleichzusetzen (was man eine Unverschämtheit nennen müsste).

Was aber gesagt werden kann: Die Beziehung zwischen Kolumnist und Leser ist nicht ohne Gefühl. Man muss sich irgendwie mögen, sonst geht es nicht, und zwar wechselseitig.

Mir hat immer diese Geschichte gefallen, die ich mit meiner ersten Kolumne erlebt habe. Der kleine Erziehungsberater bestand aus etwa dreißig Texten über das Leben einer Familie mit drei kleinen Kindern, wobei ich anfangs keineswegs plante, dass es so viele sein sollten (also Kolumnen meine ich, nicht Kinder), ich dachte an vielleicht acht Geschichten. Doch die Sache entglitt mir insofern, als sich schon nach der ersten Kolumne jene Leser meldeten, von denen ich glaubte, ich würde ihnen von einem ganz speziellen, zum Erziehen ihres Nachwuchses besonders unbegabten Elternpaar und seinem ungewöhnlichen und unvergleichlich anstrengenden Alltag zu erzählen. Die Leserpost hatte immer wieder im Wesentlichen diesen Satz zum Inhalt: Das ist ja wie bei uns, also ist es bei uns gar nicht so ungewöhnlich und unvergleichlich anstrengend, wie wir dachten. Und ich dachte: Wenn es bei anderen Leuten so ist wie bei uns, dann ist es bei uns ja gar nicht so schlimm, wie ich dachte.

So trösteten, ja: therapierten sich Leser und Autor gewissermaßen gegenseitig.

Das Gespenst sagt: »Warte nur, es wird der Tag kommen, an dem dir plötzlich nichts mehr einfällt, der Bildschirm leer bleibt und deine Kinder vergebens nach Essen rufen.«

Ich meinerseits jedoch sage dem Gespenst: »Weißt du, die Sache macht mir einfach Spaß! Manchmal jedenfalls. Wenn nur du nicht wärst …«

Meine Arbeit besteht nämlich, grundsätzlich betrachtet (und warum sollte man die Sache nicht einmal und an dieser Stelle, und weil es sich ja um ein Manifest handelt, grundsätzlich betrachten?), darin, aus dem Schweren etwas Leichtes zu machen. Das heißt, ich knöpfe mir die Lasten des Lebens vor und versuche, sie mit Hilfe sprachlicher Bearbeitung zum Schweben zu bringen, verstehen Sie? Ich möchte, wenn ich einen Arbeitstag hinter mir habe, das Leben leichter empfinden als zu Beginn dieses Tages, und wenn es dem Leser genauso geht, soll es mir recht sein.

Als Kind hatte ich einen immer wiederkehrenden Traum: Ich stand auf einem freien Feld, einer Straße oder in einem Garten und fühlte mich so schwer, wie ich mich als Kind oft schwer gefühlt habe. Aber aus irgendeinem Grund, einem inneren Antrieb folgend, begann ich in diesem Traum plötzlich, mit den Armen zu rudern, wie ein Vogel mit den Flügeln schlägt, und es geschah, was nicht zu erwarten, aber doch diffus zu erhoffen gewesen war: Ich erhob mich tatsächlich in die Lüfte, ich flog hoch und weit, und das war nicht einmal besonders anstrengend, es geschah einfach nur durch diese Armbewegung, immer wieder von der Angst vor dem Abstürzen begleitet, der ich jedoch durch neue Armbewegungen begegnete, die mich leicht in der Luft und über der Welt hielten. Alles geschah nach meinem Willen, ich konnte fliegen, solange und wohin ich wollte, und mein Gefühl dabei war nicht das einer jubelnden Euphorie, sondern eher das eines nicht aufhörenden Staunens über ungeahnte Möglichkeiten.

Jeder, der sich mit dem Schreiben beschäftigt, weiß, dass es sich dabei um ein täglich zu erlebendes Abenteuer handelt. Denn es kann passieren, dass man auf dem Weg zu seinem Ziel abrutscht, stürzt, liegen bleibt und abends irgendwie resigniert und jedenfalls schlechteren Mutes heimkehrt, als man morgens aufbrach. Wenn man nicht überhaupt schon in der nächsten Kneipe hängen bleibt, dem Wirt etwas vorweint und einige Gläser Bier mit seinen Tränen salzt.

Aber wenn man Glück hat und fleißig ist, dann ist es anders, und man schwebt nach Hause zu den Seinen.

Hier sind deshalb die nächsten Proklamationen des kolumnistischen Manifests: Langweile elftens deine Leser nicht, öde sie zwölftens nicht an und schläfere sie dreizehntens nicht ein.

Beispielsweise habe ich eine Weile lang eine Kolumne namens Der Abnehmer geschrieben, Geschichten über einen Mann, der unbedingt an Gewicht verlieren will. Man hatte mich, in bester Absicht, zu diesen Geschichten überredet, doch, ehrlich: Schnell war mir damit langweilig. Es ödete mich an. Der hier behandelte Lebensausschnitt war mir zu klein, und das Abnehmen war nicht wirklich mein Thema und mein Problem. Ich war, kurz gesagt, beim Schreiben nicht bei mir selbst.

Hier ist, was Das Kolumnistische Manifest dazu sagt: Wenn du deine Leser nicht langweilen und anöden und nicht dafür sorgen willst, dass sie bei der Lektüre einschlafen, dann musst du sehr streng darauf achten, dass du selbst bei der Arbeit dich nicht langweilst, anödest und du auch nie dabei einschläfst.

Denn Schreiben ist nichts als purer Egoismus, und gerade weil es purer Egoismus ist, haben auch andere etwas davon.

Noch ein Wort zum Thema »Routine«.

Es gibt nichts Schlimmeres als einen routinierten Kolumnisten. Wenn du das Gefühl hast, routiniert eine Geschichte heruntergeschrieben zu haben, zerschlage alles Porzellan in deinem Büro, werfe deinen Laptop gegen die Wand und fang noch mal von vorne an. Routine ist das Letzte, sie ist nicht die Vorstufe des Endes, sie ist das Ende selbst.

Routine ist der Tod!

Na ja, das war natürlich Blödsinn jetzt, außerdem hasse ich dieses Martialische. Ich dachte nur einen Moment lang, in einem ordentlichen Manifest könnte es nicht schaden, mal auf die Pauke zu hauen.

Unter uns gesagt: Routine kann manchmal sehr nützlich ein.

Aber lass sie dir vierzehntens wenigstens nicht anmerken.

Übrigens möchte ich nicht, dass dieses erwähnte Gespenst hier als etwas Lustiges, Witziges und Nichternstgemeintes empfunden wird. Wenn ich von den Ängsten spreche, die das Gespenst mir einzuflößen versucht und immer wieder auch einflößt, dann mache ich keine Scherze. Denn dieses Gespenst hängt mir ja dauernd im Nacken, es droht mir mit einer leeren Seite, mit Einfallslosigkeit, mit Unwitzigkeit, mit Wiederholung. Und wissen Sie, was das für einen Kolumnisten bedeutet? Eine leere Seite!? Ein einfallsloser, unwitziger, unorigineller Text!?

Immer wieder muss ich dieses Gespenst verscheuchen!

Ich empfinde Pflichtgefühl. Beauftragt zu sein damit, wieder und wieder und wieder und dann noch mal und bis auf unabsehbare Zeit sehr regelmäßig eine ganze Magazinseite zu füllen, gibt mir das Gefühl, die Welt da draußen warte darauf, von mir betrachtet, zergliedert, neu zusammengesetzt und so wiederum auf andere Art beschrieben zu werden. Und die Leute da draußen warteten auch darauf, dass ich dies täte, und die Kolumne sei also deshalb quasi eine Säule nicht nur meines, sondern auch ihres Lebens.

Und selbst der schon erwähnte und eines Tages ja nun wohl wirklich unvermeidliche Weltuntergang werde leichter, ja, überhaupt nur zu ertragen sein, weil und wenn ich ihm in meiner Kolumne etwas, sagen wir, Spielerisches abgewönne.

Na klar ist das Größenwahn! Was soll es denn sonst sein!?

Immer wieder wird mir die Frage gestellt: Warum schreiben Sie überhaupt Kolumnen? Warum schreiben Sie nicht mal einen ROMAN?

Darauf habe ich eine demütige Antwort und eine Gegenfrage.

Meine demütige Antwort ist: Weil ich es nicht kann! Mein Gehirn gibt das nicht her. Es funktioniert nicht wie das Gehirn eines Romanautors, es ist eher wie diese Münz-Föhn-Apparate im Schwimmbad, die sich nach einer gewissen Weile einfach abschalten – es sei denn, man wirft Geld nach, dann beginnen sie von neuem. So ist das auch bei mir: Nach drei Seiten ist nix mehr drin in meinem Kopf, es macht einfach Klack, und dann ist Schluss.

Nun meine Gegenfrage: Wenn ein Hundert-Meter-Läufer im Ziel ist, fragen Sie ihn dann auch: Warum laufen Sie nicht mal Marathon? Nein, oder? Der Sprinter ist eben ein Sprinter, und der Langstreckler ist ein Langstreckler.

Julian Reus, der beste deutsche Hundert-Meter-Läufer, hat in einem Interview mit der Welt gesagt: »100 Meter kann man nur schnell laufen, wenn man zu 100 Prozent fit ist. Wenn ich beispielsweise mit 95 Prozent Fitness an den Start gehe, renne ich statt 10,10 vielleicht 10,30 Sekunden. In keiner Phase des Rennens lassen sich Kräfte aufsparen. Es wird kein einziger Fehler verziehen. Wer in einem 10.000-Meter-Rennen mal einen kurzen Durchhänger hat, kann diese Phase folgenlos überstehen. Mache ich aber über 100 Meter einen Fehler, habe ich auf internationalem und auf dem hohen nationalen Niveau, das wir momentan in Deutschland haben, keine Chance.«

So ist das.

Der Kolumnist geht extrem fokussiert an den Start, zu hundert Prozent fit. Nach dem Kaffee ist er wie eine gespannte Feder oder ein voll gedehnter Zwillengummi. Startbereit. Schussbereit. Seine Disziplin verzeiht keine Fehler, sie erlaubt keine Durchhänger. So ein kurzer Text ist ein einziges schönes Wuuuuuschschsch.

Im Idealfall.

Wenn’s nicht so gut läuft, gibt es morgen oder nächste Woche eine neue Chance, das ist der Vorteil des Kurzstrecklers. Man läuft nicht jeden Tag Marathon. Man schreibt nicht jeden Tag einen neuen Roman.

Sprint zwischendurch geht aber immer.

Wobei jede einzelne Kolumne ein Sprint ist, aber 25 Jahre Kolumnenschreiben sind dann doch irgendwie ein Marathon, oder? Komischer Widerspruch, aber wer bin ich, dass ich jeden Widerspruch und jede Ungereimtheit in meinem Leben auflösen müsste?

Dieses Manifest soll jedenfalls zeigen: Auch Menschen wie ich können ihren Platz im Leben finden, Menschen, die unfähig sind zu logischem Denken, zu klarer Analyse und eindeutigen Bekenntnissen, Menschen, die nicht in der Lage sind, einen Text so aufzubauen, dass er frei ist von Gedankensprüngen. (Denn alle Kolumnen in diesem Manifest sind Belege dafür, dass der Autor keiner Idee länger als fünf Minuten folgen kann).

Zufällig lese ich übrigens, während ich dies hier schreibe (ich lese ja zwischen den Sätzen immer noch Zeitung, um mein sprunghaftes Hirn auf Trab zu halten), in der Zeit einen Artikel über Friedrich Liechtenstein, der, wie sich mancher erinnern wird, »Mr. Supergeil« gewesen ist und mit sonorer Stimme und den Worten »Super Uschi, super Muschi, super Sushi, supergeil!« Werbung für Edeka machte. Es taucht die Frage auf, warum diese Supermarkt-Werbung eigentlich eingeschlagen habe wie eine Bombe. Liechtenstein antwortet: »Immer wenn das Wort ›geil‹ auftaucht, läuft es. Alle Leute, die was mit geil gemacht haben, hatten Erfolg … Geil ist immer eine großes Hallo, da lachen die Leute.«

Hiermit melde ich Titelschutz an für die Kolumnen Das Geilste aus meinem Leben und Das Geilste aus aller Welt.

Ohne einen gewissen bescheidenen (und ja schon erwähnten) Größenwahn kann man übrigens gewisser Gespenster nicht Herr werden, sage ich und füge hinzu, dass es Tage gibt, an denen ich glaube, die ganze Welt sei nur geschaffen worden, damit ich in meinem Büro etwas zu tun habe. Genau aus diesem Grunde habe ich 2008 mit Das Beste aus aller Welt angefangen, eine Kolumne, die sich die ganze Welt vorknöpft, aber natürlich nur das Beste davon und nur jene Teile, die andere noch nicht so recht zur Kenntnis genommen haben, das meiste also.

Das ist aber noch längst nicht alles. Es gibt nämlich Indizien dafür, dass nicht nur ich die Schöpfung als etwas geistig und seelisch überaus Anregendes empfinde, sondern dass auch die Schöpfung ihrerseits sich mittlerweile an meiner Kolumne orientiert oder sich jedenfalls bisweilen ein paar Ideen daraus holt. (Nur um hier noch ein weiteres Mal das Thema Größenwahn aufzunehmen und zu variieren.)

Dazu folgende Geschichte: Ich schrieb eines Tages einen Text über eine geplante Vogelzählung in Deutschland, anlässlich derer die Menschen aufgerufen waren, eine Stunde lang in Gärten, Parks und anderswo die Vögel, derer sie ansichtig wurden, zu zählen. Und weil ich schon mal dabei war, von Vögeln zu schreiben, erzählte ich auch die Geschichte meines Lesers F., der mir berichtet hatte, seine Frau habe der gemeinsamen Enkelin Alle Vögel sind schon da vorgesungen. Es habe sich herausgestellt, dass sie zeitlebens die zweite Zeile nicht mit Hoffmann von Fallerslebens Text »Welch ein Singen, Musizieren« intoniert habe, sondern mit der eigenen Variation »Welchlein singen, musizieren«. Die Welchlein seien, ihrer Auskunft zufolge, bunte Vögelein, die sängen und musizierten.

Wumbaba, oder?

Drei Wochen später erhielt ich Post vom bayerischen Landesbund für Vogelschutz, der mir über die Ergebnisse dieser Vogelzählung berichtete – und was fand sich auf Platz 105 der Statistik, gleich nach der Streifengans, jedoch noch vor Waldrapp und Eiderente?

1 Welchlein.

Zweifellos hatten die Schöpfungsverantwortlichen in meiner Kolumne diese Vogelart erst entdeckt, sie als interessant und schaffenswert empfunden und sofort in die Welt gesetzt: bunte, musizierende, von Leserin F. ins Leben gerufene, von mir der Bevölkerung annoncierte Vögelein.

In diese Richtung gilt es weiterzuarbeiten.

Natürlich frage ich mich die ganze Zeit, ob Scheherazade das Gespenst gekannt hat. Für den Fall, dass ihr nichts mehr einfiele, drohten ihr ja nicht nur leere Seiten, Kränkung der Berufsehre und bedrohlicher Geldmangel, sondern der Tod. Aber sie scheint doch über ein gewisses Selbstbewusstsein und beneidenswert großes Vertrauen in die eigenen erzählerischen Fähigkeiten verfügt zu haben. Wenn sie also das Gespenst gekannt haben sollte, dann hat sie es einfach beiseite geschoben und nicht weiter beachtet.

Und nun hört also, was Das Kolumnistische Manifest Euch zu sagen hat: Lasst die Gespenster reden und lasst sie Gespenster sein, das ist ihre Aufgabe. Sie sollen uns erschrecken. Unsere Aufgabe jedoch ist, uns nicht erschrecken zu lassen. Wir sollen unser Ding machen im Leben, wie ich hier mein Ding mache gegen den Widerstand aller Scheißgespenster meines Lebens. Denn wir haben nichts zu verlieren als Langeweile, Ödnis und Verblödung, und wenn wir uns durch die Gespenster nicht davon abhalten lassen, unser Ding zu machen (wie ich allen Gespenstern zum Trotz mein Ding mache), dann haben wir eine Welt zu gewinnen, unsere eigene Welt nämlich.

Ist jedenfalls meine Meinung.

DIE MANIFESTEN KOLUMNEN

Um noch mal auf die 1001 zurückzukommen: Diese tausendundein Kolumnen erschienen im Süddeutsche Zeitung Magazin seit 1990 nacheinander unter folgenden Titeln: Katastrophen, Der kleine Erziehungsberater, Der Abnehmer, Hackes Grundkurse, Hackes Tierversuche, Als ich heute früh anfing zu denken, Ich hab’s euch immer schon gesagt, Meine Memoiren, Das Beste aus meinem Leben und Das Beste aus aller Welt. Außerdem und darüber hinaus wurden veröffentlicht: im Bayerischen Rundfunk jahrelang einige hundert Geschichten wie Du und Ich, ebenso fünf Jahre lang jeden Sonntag im Tagesspiegel die Kolumne Und was mache ich jetzt?, die aber in diesem Buch allesamt nicht enthalten sind, weil es sich nämlich, zählte man diese Texte mit, um mindestens 1500 Kolumnen handeln würde, und das ist eine nicht einmal annähernd so schöne Zahl wie die 1001.

Zu seiner Arbeit von 1985 bis 2000 als einer der Verfasser des Streiflichts, der wahrscheinlich ältesten noch erscheinenden deutschsprachigen Kolumne, in der Süddeutschen Zeitung hat der Autor, also ich, sich als verantwortlicher Herausgeber von Das Streiflichtbuch (1994) und Das neue Streiflichtbuch (2000) in seinen Vorworten zu diesen Bänden geäußert.

Etliche der Kolumnen in diesem Buch standen übrigens schon mal in einem meiner Bücher, die meisten aber noch nicht.

NOCH WAS, BEVOR ES LOSGEHT

Man kann dieses Buch, wie so viele andere, von vorne nach hinten durchlesen. Dafür ist es aber eigentlich nicht geschrieben, denn seine Texte sind ja, jeder für sich, Woche für Woche erschienen, jeder hat für sich seine eigenen Bezüge im Lauf der Zeit, und weil das so ist, kann man sich in diesem Buch auch treiben lassen, man kann von hier nach dort springen, es gibt überall Verweise, man kann seine eigenen Assoziationswege finden. Man kann also bei der Lektüre so sprunghaft vorgehen wie der Autor vorgeht, wenn er denkt, und vielleicht ist das sogar das Beste.

Denken Sie im Übrigen bitte daran, dass ich 25 Jahre gebraucht habe, um all das hier zu schreiben, also: Auch Sie können sich ruhig Zeit lassen.

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ABER WIE
FANGEN WIR JETZT EIGENTLICH
WIRKLICH AN?

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Fangen wir klein an? Oder eher so mittel? Nein, wir fangen ganz groß an. So eine Kolumne ist etwas Kleines, es sind nur ein paar Zeilen, eine kurze Geschichte, die sich aber mit großen Themen beschäftigt, der Liebe, dem Tod, der Erziehung von Kindern und auch der Frage, welcher Fußballverein der beste ist. Die Kolumne macht das Große klein, oder sie entdeckt im Gegenteil vielleicht im Kleinen die Größe, auch versucht sie, dem Entlegenen Bedeutung abzugewinnen und zu erklären, warum das uns bedeutend Erscheinende in Wahrheit doch komplett entlegen ist.

Deshalb beginnen wir mit dem Größten überhaupt: dem Weltraum. Ich erinnere mich, ein paar Geschichten über den Weltraum geschrieben zu haben, hier sind einige davon.

DIE RAUMFLIEGERIN

Die Piratenüberfälle in letzter Zeit haben mich an einen Brief von Leserin B. aus Flensburg erinnert. B. segelt viel mit ihrem Mann, oft sind Familien von Freunden dabei, einmal auch die fünfjährige Chiara, die beim gemeinsamen Singen folgendermaßen in den Text eines Seeräuber-Songs einstimmte:

»Alle, die mit uns auf Körperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein.«

Natürlich hat das Missverständnis entscheidend damit zu tun, dass sich keine Fünfjährige vorstellen kann, was eine Kaperfahrt ist. Wer weiß das schon noch? Den modernen Kaperfahrern fehlt ja alles, was (wie wir in unserer Kindheit lernten) zu einem anständigen Piraten gehört. Weder heißen sie Jan, Klaas, Hein oder Pit, noch tragen sie Bärte, Augenklappen oder Holzbeine – das ist alles sehr enttäuschend. Auch hat meiner Auffassung nach ein Pirat sich mit Goldschätzen zu beschäftigen, nicht mit Öltankern oder Weizendampfern. Wo möchte er denn diese vergraben, um für spätere Generationen eine Schatzkarte anzufertigen? Das hat alles nicht das Niveau von früher.

Doch das Wort »Körperfahrt« sollten wir uns merken. Frau B. schreibt mir, sie habe sich »bärtige Seemänner mit ziemlich ansehnlichen Körpern« vorgestellt. Aber müssen wir nicht, da wir von der Phantasie eines unschuldigen Kindes ausgehen, den Begriff weiter fassen, vielleicht auch gelöst vom Liedtext, ja, über diesen hinausweisend? Man hat das Leben schon immer als Seelenreise verstanden, aber hier wird uns durch die plötzlich-schiere Existenz des Begriffs vor Augen geführt, dass es auch eine Körperfahrt ist.

Einen ähnlichen Banalisierungsprozess wie der Piratenberuf hat die Tätigkeit des Astronauten durchlaufen. Kaum hatten wir kürzlich erfahren, dass die NASA in der Raumstation ISS eine Anlage installieren möchte, mit deren Hilfe sich aus Astronauten-Urin Trinkwasser gewinnen lässt, da hieß es, die Raumfahrerin Heide Stefanyshyn-Piper habe (im Urinrausch?) bei Außenarbeiten eine Tasche verloren, die unter anderem eine Fettpresse enthielt. Bitte, wir reden hier vom Beruf des Mondfliegers, vielleicht das Größte, was ein Mensch auf seiner Körperfahrt erreichen kann – und nun werden am unendlichen Himmelszelt Schmiernippel mit Fettpressen geölt?! War es das, was wir wollten, als wir Armstrong und Aldrin zum Mond schickten? Dass fremde Intelligenzen als erste Botschaft der Erde eine ins All entschwebte Mehrzweckhebelfettpresse in ihren schleimigen grünen Händen halten? Was werden diese Wesen von uns denken? Wofür werden sie das Gerät halten? Für eine Waffe? Eine Erdlings-Pistole? Kann man sich das schmatzende Lachen vorstellen, mit dem sie auf den Fettpressenhebel drücken, so dass dem Gerät in blödester Weise Schmierfett entquillt – und wie sie dann grölend und mit einem einzigen Feuerstoß aus dem Superionenkontaminator uns alle zu Staub machen?

Leserin S. schrieb, sie habe im Alter von sechs Jahren mit anderen Kindern im Garten eines Kinderheimes gesessen. Man habe darüber gesprochen, was die jeweiligen Eltern von Beruf seien. Ein Junge habe berichtet, seine Mutter sei Raumfliegerin. S. schreibt: »Oh, ich war voller Bewunderung. Eine Mutter zu haben, die Raumfliegerin war! Wie ich diesen kleinen Jungen beneidete. Aber gleichzeitig wunderte ich mich darüber, dass dieser Junge in einem städtischen Kinderheim war. Seine Mutter war doch Raumfliegerin! Ich erklärte es mir damit, dass seine Mutter wohl zurzeit im Raum fliegt und deshalb keine Zeit für ihren Jungen hatte. Es vergingen Tage der Bewunderung und des Neides, bis mich ein Betreuer aufklärte, dass es sich bei der Raumpflegerin um eine Putzfrau handelte.«

Dachte nicht vielleicht auch der Junge selbst, seine Mutter sei Raumfliegerin und blicke stolz aus dem All auf ihn herunter, wie er seinen Alltag im Kinderheim meistere (bevor sie mit ihrer Fettpresse weiter den Weltraum pflegte)?  

 · DAS BESTE AUS ALLER WELT 2008

Als dieser Text erschien, gab es vor der Küste Somalias mehr als sechzig Überfälle von Piraten, darauf bezieht sich die Bemerkung zu Beginn der Geschichte. Und, wie man sieht, ist dies schon mal eine der vielen Kolumnen, die ohne Mitarbeit von Lesern nicht möglich gewesen wären, siehe dazu das Kapitel Über Leserinnen, Leser und Nichtleser auf Seite 107.

Die nächste Geschichte stammt aus Der kleine Erziehungsberater, und obwohl in ihr nur zwei der Hauptfiguren dieser Kolumne vorkommen, sollte man gleich mal alle erklären: Neben dem Erziehungsberater sind das eben der Max, der fünf Jahre alt ist, Anne, die ältere Schwester (sechs Jahre alt), und Marie, die mit zwei Jahren jüngere Schwester. Und natürlich Antje, deren Mutter, die vom Erziehungsberater, nun ja, eben beraten wird. Wir kommen später noch ausführlich auf sie alle zurück, jetzt ist aber erst mal der Max dran.

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DAS UFO-KID

Manchmal ist die Welt dem Erziehungsberater so fremd, und er versteht seine Kinder nicht.

Durch einen Türspalt späht er abends ins Kinderzimmer und sieht den Max, einen Stoffhund im Arm …, doch er schlummert nicht, noch nicht: Das Kind murmelt im Halbschlaf Zahlen. »Elf, zwölf, dreiunddreißig, neunundneunzig, hundert, tausend …« Was bedeutet das? Morgens sitzt er auf der Bettkante seiner Mutter und begehrt, dass sie auf seinen Rücken mit dem Finger Zahlen male, die er dann flugs errät, ein schönes, doch auch rätselhaftes Spiel, jedenfalls um sechs Uhr in der Früh. Beim Frühstück später, nicht nur bei irgendeinem Frühstück, sondern bei jedem Frühstück, stellt er Fragen, die etwa lauten: »Wie viel ist eins und null und fünf und tausend und null und neunundneunzig?« Abends, wenn ich das Märchen von Seite 94 vorlese, fragt er mitten im Satz: »Wie viel ist neun plus vier?« Lese ich die Geschichte von Seite 83, fragt er: »Wie viel ist acht plus drei?«

Was ist das? Wer ist dieser Junge? Eine Wiedergeburt von Adam Riese? Von Carl Friedrich Gauß? War in meiner Familie in früheren Generationen je ein Zahlen-Mystiker, ein Rechen-Schamane? Oder murmelt er Zauberformeln? Verkehrt er so mit außerirdischen Wesen, die ihm lauschen? Hat man uns den Abgesandten eines anderen Sterns ins Nest geschoben?

Wahrscheinlich ist er einfach fasziniert von Zahlen, von deren Magie, ihrer Aura. Buchstaben interessieren ihn nicht. Er hat gehört, Pippi Langstrumpf sei neun Jahre alt, und als wir mit dem Auto hinter der Buslinie neun herfahren, schreit er plötzlich: »So alt ist Pippi!«

Kein Ende des Rätsels. Neulich hat er einen Satz gesagt, den ich gern in Stein hauen würde: »Gottesdienst ist die höchste Zahl, aber die gibt es nicht mehr.«

Gottesdienst. Die höchste Zahl. Gibt es nicht mehr. Also doch: Er ist uns vom Jupitermond Ganymed geschickt worden. Ein UFO-Kid.

»Aber, Max, Gottesdienst ist keine Zahl.«

»Doch.«

»Wer hat denn das erzählt? War es Mike? Josef? Philipp? Petra?«

»Das weiß ich halt so.«

Weiß er halt so. Auf Ganymed weiß man so was halt so.

Am nächsten Tag sagt er: »Aber unselig ist noch größer als Gottesdienst.«

»Das heißt ›unzählig‹, Max.«

»Nein! Unselig.«

Was soll ich ihm sagen? Auf Ganymed lebt man in einer anderen Bewusstseinsstufe als hier. Sie wissen dort alles über uns, wir nichts über sie. Er weiß mehr als ich. Viel mehr. Gottesdienst viel mehr. Unselig viel mehr.  

 · DER KLEINE ERZIEHUNGSBERATER 1991

Dieses Sich-die-Welt-einmal-ganz-anders-zu-erklären-als-Erwachsene-das-können ist ja wohl etwas, nach dem die meisten Leute sich sehr sehnen. Der Vorteil des Autors ist, dass er sich diese Sehnsucht gelegentlich mit einer Kolumne erfüllen kann. (Mehr vom Kleinen Erziehungsberater dann auf den Seiten 201ff.)

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WAR DER URKNALL EINE GUTE IDEE?

Letztlich bin ich nicht sicher, ob es eine gute Idee Gottes war, die Welt aus dem Urknall heraus entstehen zu lassen. Man hätte sich auch softere Methoden vorstellen können, ein Modellieren, bedächtiges Plastizieren, meinetwegen auch eine Art Backen von Planeten. Oder so etwas wie Bildhauerei oder wenigstens Töpfern. Aber er wird seine Gründe gehabt haben, und letztlich läuft es wohl darauf hinaus, dass der Herr es wahrscheinlich einfach geil fand, alles richtig krachen zu lassen. Man kann das ja verstehen und auch nachvollziehen; der eine lebt diesen Aspekt für sich nur Silvester auf der Terrasse aus, der andere mit kontrollierten Sprengungen von alten Weltkriegzwo-Bomben.

Übrigens glaube ich, dass der Schöpfer letztlich eben doch ein Mann war, keine Schöpferin. Eine Frau wäre anders vorgegangen, nicht so rabiat krachend. Eine Göttin hätte die Erde eher aus dem Gespräch heraus erschaffen.

Aber die Dinge sind, wie sie sind, und wir schlagen uns jetzt mit den Folgen herum. Das ganze Weltall ist ein einziges Herumgesause von irgendwelchen Bruchstücken, die aus einem Urknallkörper hervorgegangen sind. Kürzlich las ich mit Interesse, der Mond sei entstanden, als ein etwa marsgroßer Himmelskörper namens Theia (der damals aber noch nicht so hieß, der Name kam erst später) mit dem Vorläufer unserer Erde kollidierte, wobei große Teile des Globus abgesprengt wurden, mit Theia-Bestandteilen verschmolzen und seitdem um die Rest-Erde kreisen, als »Mond« eben. Ich las auch, man müsse nur mal nach großem Regen einen Magneten in die Regenrinne halten, schon würden viele winzige Teilchen an ihm hängen, Meteoritenmaterial.

Problem nun: Wie schützen wir uns vor diesen Urknall-Resten? Ein zerberstender Meteorit über Tscheljabinsk, der Asteroid 2012 DA 14 rauschte neulich zum Greifen nah an uns vorbei – immerzu passiert irgendwas, und eines Tages wird gewiss ein Riesentrumm herunterballern und uns ein Ende bereiten, wie ein anderer Brocken einst die Dinosaurier auslöschte. Immer wieder heißt es, man solle solche Dinger brachial mit Atombomben aus der Bahn werfen (die Finanzierung wäre durch die Fernsehrechte gesichert), von Satelliten wegschubsen oder von Astronauten klein meißeln lassen. Auch gab es schon die Idee, der bayerische Innenminister könnte den einen oder anderen provozierenden Kleinplaneten mit gezielten Faustschlägen von seinem Weg abbringen.

Aber jetzt erfuhr ich von einem interessanten Vorschlag.

Es ist nämlich so: Tag für Tag wärmt die Sonne eine Seite eines Asteroiden auf, die andere kühlt ab. Da der Körper aber rotiert, dreht sich die warme Seite wieder von der Sonne weg, wird ihrerseits kühler und gibt Wärmestrahlung ab – das erzeugt eine Art winzigen Raketeneffekts. Man nennt ihn nach seinem Entdecker Iwan Ossipowitsch Jarkowski den Jarkowski-Effekt.

Könnte man den Asteroiden auf einer Seite weiß, auf der anderen schwarz anstreichen, würde die Intensität der Sonne verändert und damit der genannte Raketenschub. Das ganze Ding änderte die Richtung, nur ein wenig, gewiss. Doch genug, um an der Erde vorbeizufliegen.

Sung Wook Paek vom Massachusetts Institute of Technology in Boston hat bereits vorgeschlagen, gefährliche Asteroiden mit entsprechenden Farbbehältern, Paintballs, zu beschießen. David Hyland von der Texas A&M University schlug mit Farbpulver geladene, auf Satelliten geschraubte Kanonen vor. Auch die Münchner Malerinnung arbeitet bereits an konstruktiven Vorschlägen, einige ihrer besten Kräfte stehen Pinsel bei Fuß.

Großartiger Gedanke: die Schöpfung dort, wo sie bedrohlich wird, einfach anmalen. Sanft umgestalten. Dem ganzen Geknalle auf ganz neue Art begegnen, sooo kreatiiiv. Näheres im neuen Kurs-Programm der Volkshochschule Bad Schwürbelbach. Wir sind auf dem richtigen Weg.  

 · DAS BESTE AUS ALLER WELT 2013

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VOM SIEDELN UND BESIEDELTWERDEN

Wann endlich wird der erste Mensch auf dem Mars landen, der gerade von einem Roboter namens »Neugier« untersucht wird? Kürzlich las ich ein Interview mit Ulrich Walter, der 1993 mit der Columbia ins All flog: Er sagte, 2033 wäre ein gutes Jahr, Erde und Mars stünden dann günstig zueinander, aber vermutlich seien die Vorbereitungen dann noch nicht weit genug. Also werde es wohl 2050 werden.

Dieser Mars-Besuch ist ja ein etwas gruseliges Projekt, die Reise dauert Jahre, vielleicht kehrt der Reisende nie zurück, und wenn, dann hat er ein enormes Krebsrisiko, wegen der Strahlen. Walter sagte, der erste Mars-Mensch solle so um die sechzig sein, er brauche ja nicht viele Muskeln, müsse nur fit sein, und das Krebsrisiko sei eben für einen älteren Menschen nicht so groß. Vermutlich wird es auf Helmut Schmidt hinauslaufen, denke ich. Oder die Inder? Sie wollen ja auch zum Mars und haben Yogis, die jahrelang aufs Atmen verzichten können, das ist auf dem Mars ganz praktisch. Vielleicht könnten sie auch ohne Raumschiff reisen?