illustrtion

Manuela Larcher / Theresia Oedl-Wieser / Mathilde Schmitt / Gertraud Seiser (Hrsg.)

Frauen am Land

Manuela Larcher / Theresia Oedl-Wieser /
Mathilde Schmitt / Gertraud Seiser (Hrsg.)

Frauen am Land

Potentiale und Perspektiven

StudienVerlag

Innsbruck

Wien

Bozen

 

 

Internet: www.studienverlag.at

Dank gebührt außerdem den zahlreichen KollegInnen für die geleistete fachliche, kreative und sehr praktische Unterstützung sowie den beteiligten Institutionen Bundesanstalt für Bergbauernfragen, Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Innsbruck, Universität für Bodenkultur Wien und Universität Wien.

Umschlagabbildungen: alle Fotolia, Hintergrundbild: © Iakov Kalinin; Cover: © wildman (links), © contrastwerkstatt (Mitte), © Sandor Kacso (rechts)

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ISBN 978-3-7065-5748-1

Inhaltsverzeichnis

Mathilde Schmitt, Gertraud Seiser, Theresia Oedl-Wieser & Manuela Larcher

Land_Frauen_Leben – Vielfalt im Fokus

Tim Leibert & Karin Wiest

Abwandern, Zurückkehren, Bleiben? Wanderungsentscheidungen junger Frauen in strukturschwachen ländlichen Räumen: Sachsen-Anhalt im Fokus

Nana Zarnekow

Charakteristika und Bedeutung sozialer Netzwerke von Frauen in ländlichen Regionen Polens und der Slowakei

Julia Bock-Schappelwein

Genderindex auf regionaler Ebene in Österreich

Brigitte Wotha & Kathleen Kreßmann

Teilhabe von Frauen und Männern in Beteiligungs- und Entscheidungsgremien der ländlichen Regionalentwicklung

Florian Reinwald, Doris Damyanovic & Friederike Weber

Die Beteiligung von Frauen in der burgenländischen Kommunalpolitik – Situation, Erklärungsansätze und Strategien

Jutta Obertegger & Theresia Oedl-Wieser

Mehr Frauen in die Kommunalpolitik durch Politiklehrgänge in Tirol – Vision oder Wirklichkeit?

Heidrun Wankiewicz

Gender Planning als Schlüssel für zukunftsfähige Dörfer und Städte – Handlungsansätze aus der Planungspraxis

Renate Fuxjäger

Gleichstellungsorientierte Beratung in der Ländlichen Entwicklung

Katrin Baumgartner & Anna Wanka

Unruhestand am Land – Selbstbestimmtheit und Teilhabe älterer Frauen durch ehrenamtliches Engagement

Eva Favry, Thomas Hader, Bente Knoll, Tina Uhlmann & Wiebke Unbehaun

Gendergerechte Teilhabe am Erwerbsleben – welche Rolle spielt die Mobilität?

Anna Faustmann, Lydia Rössl & Isabella Skrivanek

Die Erwerbssituation von Migrantinnen in der ländlichen Steiermark aus intersektionaler Perspektive

Ruth Rossier

Die Stellung der Frauen auf bäuerlichen Familienbetrieben in der Schweiz

Stefan Vogel, Manuela Larcher & Reinhard Engelhart

Sozialkapital und Ehrenamt landwirtschaftlicher Betriebsleiterinnen im Bezirk St. Pölten, Niederösterreich

Christine Jurt, Isabel Häberli & Ruth Rossier

Eine Frage der Organisation! Chancen und Risiken auf Schweizer Stufenbetrieben aus Sicht der Frauen

Elisabeth Prügl

Formen männlicher Dominanz in der deutschen Landwirtschaft: Ein Ost-West-Vergleich

Conclusio der Tagung Frauen am Land – Potentiale und Perspektiven

Kurzbiografien der AutorInnen

Land_Frauen_Leben – Vielfalt im Fokus

Mathilde Schmitt, Gertraud Seiser, Theresia Oedl-Wieser & Manuela Larcher

In der vorliegenden Edition wird den Potentialen und Perspektiven von Frauen_Leben am Land in interdisziplinärer und thematischer Vielfalt nachgegangen. Ihre Sichtbarmachung gelingt nur auf der Basis genauer Analysen des Status quo und damit der Benachteiligungen und Einschränkungen, mit denen Frauen und Mädchen in ländlichen Räumen konfrontiert sind. Diese erweisen sich als sehr ausdauernd. Die Auseinandersetzung mit geschlechterspezifischen Problemlagen erfordert daher neben empirischen Studien weitreichende Überlegungen, etwa zur Definition ‚ländlicher Räume‘, zur ruralen Frauen- und Geschlechterforschung, zum Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis, aber auch zu den notwendigen Übersetzungsleistungen zwischen Disziplinen und Wissenskulturen. Zudem verlangt eine Ausrichtung auf (zukünftige) Perspektiven, sich bewusst zu machen, dass die Ausführungen in eine Gegenwart einzubetten sind, die von weltweiten beschleunigten Veränderungsprozessen gekennzeichnet ist.

Seit den 1980er Jahren und verstärkt seit der Jahrtausendwende sind in Folge der Informationstechnologie-unterstützten Globalisierung, der einschneidenden politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa und des neoliberalen Umbaus der Volkswirtschaften rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformationen sowie wachsende soziale Ungleichheiten festzustellen. So eindeutig die Diagnosen für diese weitreichenden Entwicklungen sind, so vielfältig ist das Spektrum ihrer Interpretationen.1 Die Auswirkungen sind bis in unseren Alltag hinein deutlich zu spüren und werden auch in unserer Sprache sichtbar. Viele neue Begriffe wie Hedge-Fonds, Outsourcing, Turbo- oder Kasinokapitalismus werden immer selbstverständlicher. Gleichzeitig bestimmen demografische Veränderungen wie die Überalterung der Gesellschaft sowie Prozesse der Individualisierung, Pluralisierung und Entsolidarisierung die medialen, politischen und wissenschaftlichen Diskurse.

Die ländlichen Räume in Europa erscheinen demgegenüber aus Sicht der Medien und des Marketings in Traditionen verwurzelt, homogen, friedlich und abseits der großen Veränderungsprozesse. Diese dualistischen Imaginationen und Konstruktionen werden unter der Geschlechterperspektive nicht selten verstärkt: Frauen in der Stadt werden als modern, emanzipiert und weltgewandt ins Bild gesetzt, Frauen am Land als familien- und traditionsverbunden, als bescheiden und religiös verwurzelt angesehen. Tatsache ist jedoch, dass die Globalisierung nie am Land vorbeiging, sondern oft sogar von dort ausging oder unterstützt wurde. Die Industrialisierung wäre nicht ohne die vielen Arbeitskräfte, die vom Land in die Städte zogen, möglich gewesen. Großstädte waren damals und sind bis zu den Megacitys von heute Produkte der andauernden Migration und Landflucht (Mills 2003; Sassen 1996). Entdeckungen und Entwicklungen in der Landwirtschaft waren es, welche die Ernährung der ab Mitte des 19. Jahrhunderts rasch ansteigenden Weltbevölkerung ermöglichten (Bruckmüller 2008; Langthaler 2010). Historisch betrachtet war einer der ersten ,Weltmärkte‘ jener für Getreide und an der Börse zu Chicago wurden zunächst Butter und Eier gehandelt, die auf dem Land produziert wurden. Nicht zufällig gehört die Agrarpolitik zu den ersten und wichtigsten gemeinsamen Politikfeldern der Europäischen Union und ihrer Vorläuferorganisationen.

Die ländlichen Räume waren und sind massiv von vergangenen wie aktuellen weltweiten Umstrukturierungen betroffen. Diese sind die Folge von Konzentrationsprozessen im landwirtschaftlichen Sektor, der Abwanderung oder des Rückbaus von Industrien, die bedeutende Funktionen für die sie umgebenden ländlichen Räume hatten (vgl. Solbrig et al. 2001; McIntyre et al. 2009). Innerhalb der Europäischen Union wird seit Anfang der 1990er Jahre durch die zunehmende Forcierung der Regionalentwicklung und einer Spezialisierung der Regionen sowie ab dem Jahr 2000 durch die stärkere Betonung der Ländlichen Entwicklung im Rahmen der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) versucht, diesen weitreichenden Veränderungen entgegenzuwirken (Copus & Dax 2010; Hancvencl 2002). Auf der Ebene der Regionen führte dies zwar zu größeren politischen und wirtschaftlichen Gestaltungsspielräumen, gleichzeitig aber durch die Etablierung neuer intermediärer Verwaltungs-, Projekt- und Managementstrukturen zu einer Ausweitung der Bürokratie mit einer spezifischen Projektkultur und -sprache, die den Bedürfnissen der BürgerInnen vor Ort nicht immer gerecht werden (Hoppichler 2007; Kröger 2006). Aufkommende zivilgesellschaftliche Bewegungen, zurückgehende berufsständische Interessenpolitiken und die Auflösung der Parteienbindung führten weltweit einerseits zu neuen Allianzen, andererseits aber auch zum Rückzug aus gemeinschaftlichem Engagement – in Stadt und Land gleichermaßen. Jean und John Comaroff (2001: 40ff.) sprechen von einer „Beschwörung der Zivilgesellschaft“, die das Vakuum füllen soll, das durch das neoliberale Bestreben, staatliche Politik und Leistungen durch Markt zu ersetzen, entstand.

Ländlicher Raum und die Vielfalt der Regionen

Sicherlich war ‚das Land‘ in der Entstehungsphase der gemeinsamen Agrarpolitik in den 1950er Jahren anders zu betrachten als heute. Und die jüngsten Entwicklungen lassen in mancher Hinsicht die dichotome Unterscheidung in Stadt und Land in Frage stellen. Anerkannte Raumformen des Dazwischen sind sub- bzw. postsuburbane Räume. Auffallend dabei ist, dass immer die Stadt als Begriffshoheit fungiert (vgl. Schmitt 2012). Dem zu entgehen wurde in der französischen Geografie in den 1990er Jahren der Begriff der „Rurbanisation“ eingeführt. „Rurban bezeichnet eine räumliche Qualität, die sich den gewohnten städtischen Deutungsmustern entzieht. […] Rurban ist sowohl stadtländisch als auch landstädtisch“, wie Pretterhofer et al. (2010: 17 u. 19), die sich „an der Schnittstelle von Architektur, Urbanismus, Kulturproduktion und Theorie“ verorten, betonen. „[…] das Urbane ist eine hybride Synthese mit dem Ländlichen eingegangen, es ist eine technogen geprägte Kulturlandschaft entstanden, die durch eine Neunutzung und Neustrukturierung des Landes gekennzeichnet ist.“ Wie so oft, werden derart innovative Konzepte nur langsam in der Forschungs- und Verwaltungspraxis aufgegriffen. In wissenschaftlichen Publikationen findet sich eine Vielzahl an Modellen zur Definition und Abgrenzung ländlicher Räume, welche es im Einzelnen zu studieren und wahrzunehmen gilt, die aber oft keine unmittelbaren Vergleiche zulassen.

Bei genauerem Hinsehen zeichnen sich die vielfältigen ländlichen Räume durch ihre eigene Geschichte, unterschiedliche Strukturen und Mög lichkeiten für die dort lebenden Menschen aus. Immer wieder aber finden sich Hinweise darauf, dass es spezifisch ländliche Vergesellschaftungsformen gibt, die sich von städtischen unterscheiden. So bezeichnen LandbewohnerInnen mehr Personen als Teil der Familie oder Verwandtschaft als Menschen in der Stadt. Sie stehen mit ihnen im Austausch und halten Unterstützungsbeziehungen aufrecht. Es gibt mehr face to face-Kontakte vor Ort, die dazu führen, dass Individuen im Alltag sich vermehrt beobachten und dadurch eine stärkere soziale Kontrolle möglich ist – mit unterstützenden, aber auch negativen Folgen. So ist beispielsweise der Einfluss älterer Frauen auf die Abwanderung jüngerer Frauen nicht zu unterschätzen, sei es durch die offene Ermutigung, andere Lebenswege einzuschlagen, durch das Beklagen der eigenen, scheinbar ausweglosen Situation oder durch das abwertende ‚Gerede‘ über autonomere Lebensentwürfe. Zwar teilen nicht alle DorfbewohnerInnen die gleichen Werte, doch kennen sie die verschiedenen Positionierungen und orientieren sich danach (vgl. Seiser 2009; Seiser & Schweitzer 2010).

Diese spezifisch ländlichen Charakteristika rechtfertigen unseres Erachtens nicht, Landfrauen ähnlich wie Frauen aus der europäischen Peripherie oder den so genannten Ländern des Südens undifferenziert ‚über einen Kamm‘ zu scheren, sie als weniger emanzipiert einzuschätzen und damit abzuwerten. Oder sie „als rückschrittlich, im günstigeren Fall als zu spezifisch“ (Knab 2001: 9) einzustufen, um für die Frauen- und Geschlechterforschung als relevant zu gelten. Die Einschätzung „spezifisch“ ist wenig überzeugend, wenn es – je nach Region – um mehr als ein Drittel bis hin zur Hälfte der Frauen Europas geht. Frauen am Land sind in ihrer Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit, mit ihren vielfältigen Lebensverhältnissen und Rahmenbedingungen genauso differenziert und nicht immer im Vergleich zu urbanen Frauen zu betrachten.

Rurale Frauen- und Geschlechterforschung

Auf vielen Ebenen gilt es zu diskutieren, was die Lebensqualität am Land ausmacht. Und es gilt zu analysieren, wie die dortigen Phänomene mit der Geschlechterfrage verknüpft sind. Dies ist Gegenstand der ruralen Frauen- und Geschlechterforschung. Mit Fokus auf die ländlichen Räume und ihre BewohnerInnen nimmt sie Bezug auf Grundlagenwissen der sozial-, kultur- sowie der politikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterfor schung. Dabei werden die Anregungen und Methoden nicht einfach übernommen, sondern – ohne Abwertung der Lebens- und Arbeitskonzepte von Frauen in ländlichen Regionen – modifiziert. Um den vielfältigen Lebensrealitäten in den unterschiedlichen ländlichen Räumen gerecht zu werden, wird als notwendig erachtet, nicht nur das Weitverbreitete, das Angesagte auf die Tagesordnung zu setzen, sondern auch das Besondere, das Spezifische, die Anliegen von kleinen, öffentlich weniger präsenten Gruppen zu berücksichtigen.

Die Themenstellungen der ruralen Frauen- und Geschlechterforschung sind vielfach anwendungs- und umsetzungsorientiert: Der unterschiedliche Zugang von Frauen und Männern zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, Veränderungen in der Landwirtschaft, die unzureichende soziale Infrastruktur in der Kinder- und Altenbetreuung werden ebenso behandelt wie die geschlechterspezifische Arbeits- und Machtverteilung in der ländlichen Gesellschaft. Die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Fragestellungen und perspektivischen Ausrichtungen (Sichtbarmachen, Frauenbefreiung, Ermächtigung, Umsetzung von Gender Mainstreaming) ist für Österreich charakteristisch (Oedl-Wieser 2009: 6), findet sich aber auch in anderen europäischen Ländern (Buller & Hoggart 2004; Schmitt 2005; Bock & Shortall 2006). Der Wissenstransfer von der ruralen Frauen- und Geschlechterforschung in die Praxis, Politik und Verwaltung hinein ist auch in Folge der Gender Mainstreaming-Strategie der EU zu beobachten. Von vielen Feministinnen als zahnloses Herrschaftsinstrument kritisiert, war es seit Mitte der 1990er Jahre darüber gelungen, den Dialog zwischen unterschiedlichen AkteurInnen aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und NRO-VertreterInnen zu intensivieren und die Vernetzung voranzutreiben (Asztalos Morell & Bock 2008; Oedl-Wieser 2009).

Tagungen lassen Frauen am Land sichtbar werden

Als die ersten Arbeitsgruppen und Tagungen zu Frauen in ländlichen Regionen in Europa Ende des 20. Jahrhunderts abgehalten wurden, ging es vor allem darum, sie und ihre Lebens- und Arbeitsverhältnisse sichtbar zu machen (vgl. Schmitt 2005). Seitdem haben sich die Bedingungen und Möglichkeiten für Land_Frauen_Leben massiv verändert. Frauen in ländlichen Regionen sind heute gut ausgebildet, haben ein großes Spektrum an Berufen und Lebenskonzepten und bewegen sich im Laufe ihrer Biografien in einem wesentlich größeren räumlichen und sozialen Radius als ihre Mütter und Großmütter. Unter den Betriebsneugründungen in Handel und Tourismus steigt der Frauenanteil kontinuierlich. Frauen in der Landwirtschaft wollen einen Betrieb leiten, als Mitunternehmerin tätig sein oder außerlandwirtschaftlich arbeiten. Was Frauen (nicht nur auf dem Land) – im Unterschied zu Männern – weniger haben, ist selbstbestimmte Freizeit. Dies ist nicht so einfach zu verwirklichen, wenn Berufs-, Freizeit- und Familienleben aufeinander abzustimmen sind. Es ist noch schwieriger, wenn dazu eine gewünschte Mitsprache in öffentlichen Gremien und die selbstverständliche Teilhabe an lokalen und regionalen Ressourcen nach wie vor erkämpft werden müssen. Nach allen Diskussionen der Frauen- und Geschlechterforschung um Re- und Dekonstruktion von Geschlecht sowie vielfältigen Gender Mainstreaming-Aktivitäten auf den unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Ebenen ist es immer noch notwendig, die Anliegen der Mädchen und Frauen, die in ländlichen Regionen leben und arbeiten, sichtbar zu machen und dafür zu sorgen, sie sichtbar zu halten. Land_Frauen sind immer noch gefordert, sich und ihre Leistungen ins Licht zu setzen und ihre Interessen mit Mut und Leidenschaft einzufordern, um ihren Sichtweisen, Bedürfnissen und Forderungen mehr Geltung zu verschaffen.

Bezogen auf die vielfältigen Strukturveränderungen in der Landwirtschaft war dies erfolgreich mit der Tagung Frauen in der Landwirtschaft – Debatten aus Wissenschaft und Praxis gelungen, die im Januar 2011 in Bern (CH) stattfand. Frauen aus der Landwirtschaft, der Wissenschaft und von landwirtschaftlichen Beratungsstellen der Schweiz, aus Deutschland, Italien und Österreich diskutierten die Auswirkungen der Umbrüche in der Landwirtschaft aufgrund der zunehmenden internationalen Verflechtung und Marktöffnung für Frauen, Männer und bäuerliche Familien. Neben einer darauf bezogenen Standortbestimmung „[…] sollten durch die Vorträge und Diskussionen an der Tagung die Frauen in der Landwirtschaft und ihre mannigfaltigen Aufgaben, die sie in und für die Landwirtschaft übernehmen, sichtbar werden“ (Bäschlin et al. 2013: 10).

Einem erweiterten Spektrum an Fragestellungen und Lebensentwürfen in ländlichen Räumen widmete sich die Tagung Frauen am Land – Potentiale und Perspektiven, die im Februar 2013 in Wien (A) stattfand. Über 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Österreich, der Schweiz, Deutschland, Italien und Japan diskutierten über die vielfältigen Lebensund Arbeitsverhältnisse, Rollen und Leistungen von Frauen in ländlichen Regionen. Das erfreulich große Interesse an der Tagung zeugt von der Brisanz und der Wichtigkeit, die dem Tagungsthema und den Geschlechterverhältnissen in ländlichen Räumen mittlerweile zukommen. In wissenschaftlichen Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Praxisforen und dem Marktplatz zur Bildung wurden sowohl Möglichkeiten als auch die strukturellen und gesellschaftlichen Barrieren für eine selbstbestimmte Lebensführung von Frauen in ländlichen Räumen in vielen Facetten ausgeführt. Genderfragen im Rahmen der Regionalentwicklung, der Kommunalpolitik, der Landwirtschaft und des ländlichen Arbeitsmarktes wurden ebenso behandelt wie die Situation von Frauen am Land im Kontext von Bildung, Mobilität, Migration und Ehrenamt. Eine große Vielfalt an Lebensverhältnissen, die eigenständige Existenzsicherung von Frauen und geschlechtergerechte Eigentumsverhältnisse, Berufs- und Familienorientierung für Frauen und Männer waren wichtige Diskussionsthemen. Die eingangs skizzierten globalen Veränderungsprozesse standen zwar nicht im Mittelpunkt der Tagung, die dadurch ausgelösten Herausforderungen und Verunsicherungen schwangen aber in vielerlei Hinsicht in den Vorträgen und Diskussionen mit. Sie zeigten sich in der Sorge um Einkommenssicherung ebenso wie in den Einschätzungen von Abwanderung, Brain Drain und Care Drain, Arbeitsmigration und Ehrenamt. Es wurde deutlich: Auch Frauen am Land sind zunehmend weniger bereit, die demografischen und die Versorgungslücken zu schließen. Allerdings scheint dies nur zum Teil auf ein neu erstarktes Selbstbewusstsein der Frauen zurückzuführen zu sein. Land_Frauen finden sich im 21. Jahrhundert als Akteurinnen ebenso wie als Opfer, Leidtragende und Mittäterinnen. Und das ‚Land‘ als solches ist nach wie vor nicht als das konstruierte, homogenisierte und essenzialisierte ‚Andere‘ verschwunden.

Wissenskommunikation, Vermittlung und Vernetzung

Ziel der vorliegenden Edition ist es, die Mannigfaltigkeit der unterschiedlichen Lebensentwürfe, Potentiale und Perspektiven von Frauen am Land zu zeigen und respektvoll nebeneinander stehen zu lassen. Unabhängig von den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und Wissenschaftskulturen, denen wir vier Herausgeberinnen uns zuordnen, verknüpft sich für uns alle damit der Anspruch, gesellschaftlich relevantes Wissen zu produzieren und letztlich eine größere Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Wie sich bei der Tagung zeigte, sind dafür Übersetzungsleistungen in vielfacher Hinsicht nötig: zwischen VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Praxis, zwischen akademisch produziertem Wissen, Erfahrungs- und Anwendungswissen, zwischen etablierten und alternativen Wissenskonzepten, zwischen verschiedenen Werthaltungen und Sprachregelungen, zwischen unterschiedlichen Einschätzungen davon, was wünschenswert ist und politisch umgesetzt werden sollte. Bezogen auf das Geschlechterwissen unterscheidet Angelika Wetterer (2009) Alltagswissen, Gender-ExpertInnenwissen und wissenschaftliches Geschlechterwissen, die untereinander ebenfalls Übersetzungsarbeit notwendig machen. Schwierigkeiten bei der Kommunikation können die Hierarchisierung der Wissensarten und konkurrierende Wirklichkeitsdimensionen hervorrufen. Für einen konstruktiven Austausch ist es notwendig, die „Hierarchie des Besser-Wissens“ (ebd.: 46) aufzuheben, was nur gelingen kann, wenn es Ziel aller Beteiligten ist.

Gudrun-Axeli Knapp (2013: 105) spricht in Anlehnung an Ilse Lenz vom „Magischen Viereck“ bestehend aus autonomer Frauenbewegung, Frauenforschung, Einrichtungen der Frauenförderung bzw. Gleichstellung sowie der Frauennetzwerke in Gewerkschaften und Parteien. Politische Wirksamkeit beruht demnach auf dem hohen Maß an Kontakten und wechselseitiger Aufmerksamkeit zwischen den AkteurInnen aus den unterschiedlichen Praxisfeldern. Als besonders wichtig erachtet sie den Austausch in übergreifenden Räumen in Form von eventförmigen Treffen und Kongressen, die Verbreitung der Erkenntnisse und Forderungen durch Tagungsberichte, Artikel und die Dokumentation in Journalen. Die Rückmeldungen, die wir im Anschluss an die Tagung erhielten, lassen darauf schließen, dass die angesprochene Übersetzungsarbeit und Vermittlung mit der Tagung Frauen am Land – Potentiale und Perspektiven gut gelungen sind. Das Potential zur gegenseitigen Anregung von Forschung, Verwaltung und Praxis war in hohem Ausmaß vorhanden. Viele Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, noch vor Ort Kontakte herzustellen, um auch nach der Tagung gemeinsam weiter zu reflektieren und zu kooperieren. Wir wünschen uns, dass die vorliegende Edition dazu beiträgt, diese angeregte Vernetzung weiter zu intensivieren.

Vielfalt im Fokus der Beiträge

Die Beiträge dieses Sammelbandes machen die Relevanz ruraler Schwerpunktsetzungen innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung ebenso deutlich wie das Bestehen gravierender Forschungs- und Wissenslücken. Sie beruhen auf Untersuchungen der letzten Zeit und sind überwiegend der anwendungsorientierten Forschung zuzurechnen. Themen von allgemeiner weitreichender Bedeutung werden darin ebenso behandelt wie sehr lokale Phänomene. Sie gehen von konkreten Fragestellungen und spezifischen fachlichen Kontexten aus – und immer stehen Frauen in ländlichen Regionen im Fokus. Die soziale Kategorie Geschlecht wird dabei nicht ausschließlich sozialwissenschaftlich abgehandelt, sondern auch aus wirtschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet. Es kommt ein großes Spektrum sozialwissenschaftlicher, statistischer und planerischer Methoden sowie das Methodenrepertoire der Monitoring- und Evaluierungsverfahren zur Anwendung. Zu Beginn steht eine Gruppe von Beiträgen, die in Themen einleiten, Außenperspektiven hereinholen oder Überblicke bieten, die Verbindungen zu nachfolgenden Artikeln herstellen.

Entwicklungsperspektiven von Regionen

Die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen gilt als Indikator für ungünstige Entwicklungsperspektiven einer Region. Wenn die HoffnungsträgerInnen für die Zukunft weggehen, wird von Wissenschafter-Innen, PolitikerInnen und PraktikerInnen Handlungsbedarf gesehen. Tim Leibert und Karin Wiest gehen in einer qualitativen Untersuchung den Wanderungsentscheidungen junger Frauen in Sachsen-Anhalt (D) nach. Es wird deutlich, dass die Frauen, je nach Lebensphase, das Leben am Land mehr oder weniger attraktiv finden. Basierend auf diesen Erkenntnissen präsentieren die AutorInnen Regionalentwicklungsstrategien, welche Frauen nach der Ausbildungsphase in den Städten wieder in ihre Herkunftsregionen ziehen sollen. Sie werden derzeit im Rahmen eines EU-Projekts erprobt. Darüber hinaus entwickeln Leibert und Wiest eine quantitative Typologie regionaler Geschlechterungleichgewichte für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Aus dieser wird ersichtlich, wie wichtig geschlechtersensible Erhebungen auf regionaler Ebene sind und wie wenig zielführend es ist, Stadt und Land dichotom gegenüberzustellen.

Nana Zarnekow stellt ebenfalls relevante Unterschiede fest, sowohl zwischen Frauen und Männern als auch zwischen verschiedenen Regionen. Ausgehend vom vielfach bestätigten Befund, dass die Einbindung der Individuen in soziale Netze (Verwandte, Freunde, KollegInnen etc.) sowohl das persönliche Wohlbefinden als auch die wirtschaftliche Entwicklung einer Region stark beeinflusst, wurden die Netzwerkstrukturen in Polen und der Slowakei vergleichend untersucht. Mittels sozialer Netzwerkanalyse wurden stadtnahe und stadtferne, wirtschaftsstarke und wirtschaftsschwache ländliche Regionen in den zwei Ländern mit einem dezidierten Fokus auf geschlechtsspezifische Unterschiede verglichen. Neben den länderspezifischen Unterschieden der Netzwerkstrukturen wird z. B. belegt, dass Frauen in beiden Ländern über dichtere soziale Netzwerke als Männer verfügen, während die Netzwerke der Männer größer sind. Die für die Regionen positiven Effekte der Netzwerke der Frauen sind ein Potential, das bislang nicht hinreichend gewürdigt und gefördert wird. Julia Bock-Schappelwein stellt in ihrem Beitrag den österreichischen Genderindex vor. Er wurde in Anwendung und in Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen internationalen Beispielen entwickelt und soll auf regionaler Ebene Maßzahlen liefern, die den Unterschied in der Lebenssituation und Arbeitsmarktlage von Frauen und Männern abbilden. Bock-Schappelwein erläutert die Auswahl und Zusammensetzung der Indikatoren des österreichischen Genderindex und diskutiert seine Aussagekraft. So zeigt der Indexwert einer Region das Ausmaß der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf, sagt jedoch nichts über die allgemeine Situation dieser Region aus. Über einen längeren Zeitraum angewendet, eröffnet er die Möglichkeit zu erkennen, ob z. B. Politikmaßnahmen dazu beitragen, die Geschlechtergerechtigkeit zu fördern oder zu verringern. Dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in den urbanen Zentren merklich geringer ist als zwischen den verschiedenen intermediären und ländlichen Räumen dürfte Aufmerksamkeit hervorrufen.

Politische Beteiligung auf regionaler und kommunaler Ebene

Brigitte Wotha und Kathleen Kreßmann benennen für Deutschland eine mögliche Ursache für das stärkere Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auf dem Land: Frauen sind in strukturschwachen ländlichen Gebieten deutlich weniger in kommunalen politischen Gremien vertreten als in städtischen Räumen. Sie sind jedoch an den informellen lokalen und regionalen Netzwerken zur Alltagsbewältigung stärker beteiligt als die Männer, was auch Befunde aus anderen Ländern bestätigen (siehe Zarnekow). Wotha und Kreßmann nehmen die im Rahmen der ländlichen Regionalentwicklung geschaffenen, intermediären Gremien des LEADER-Schwerpunkts in den Blick und überprüfen, inwieweit das Querschnittsziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in den Halbzeitbewertungen der Förderperiode 2007–2013 erreicht wurde. Die Ergebnisse sind ernüchternd: die bestehende Ungleichheit in der kommunalpolitischen Beteiligung von Frauen wird in den EU-geförderten Projekten reproduziert. Trotz Gender Mainstreaming werden frauen- und geschlechterbezogene Themen kaum thematisiert. Die Autorinnen plädieren sowohl für strukturelle Maßnahmen (z. B. an Fördermittel gebundene Quoten), als auch für (Sensibilisierungs-)Maßnahmen bei AkteurInnen aus Verwaltung und Politik.

Auch im Beitrag von Florian Reinwald, Doris Damyanovic und Friederike Weber wird das Engagement von Frauen im öffentlichen politischen Raum behandelt. Mit einem breiten Methodenrepertoire gehen sie der Beteiligung von Frauen in der burgenländischen Kommunalpolitik (A) nach und analysieren Wege, wie diese erhöht werden könnte. Sie zeigen, dass Frauen in den Gemeinderäten die Qualität politischer Entscheidungen verbessern, weil sie andere Themen einbringen und beispielsweise sozialen Belangen höhere Priorität zuweisen. Die in den Gemeinderäten angetroffenen Frauen waren vorwiegend in der Altersgruppe der 45–55-Jährigen und zu 90 % erwerbstätig. Das lässt wichtige Rückschlüsse auf die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik zu, da die Betreuung von Kleinstkindern in dieser Altersphase meist schon wegfällt und Berufstätigkeit offenbar das Interesse an politischer Beteiligung fördert und keineswegs behindert. Der Artikel schließt ebenfalls mit einem Bündel von Strategien und Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in politischen Gremien.

Sowohl Wotha und Kreßmann als auch Reinwald, Damyanovic und Weber sehen das Empowerment von politisch interessierten Frauen durch entsprechende Schulungsangebote als eine wirksame Strategie an, die Präsenz von Frauen in der kommunalen und regionalen politischen Öffentlichkeit zu erhöhen. An bereits bestehenden Politikvorbereitungskursen setzen Jutta Obertegger und Theresia Oedl-Wieser an. In Tirol (A) werden seit 2001 kontinuierlich Politiklehrgänge für Frauen angeboten, die bis 2011 von insgesamt 230 Teilnehmerinnen absolviert wurden. Der Beitrag fasst die von Jutta Obertegger durchgeführte Evaluierung dieser Lehrgänge in Hinblick auf Wissenszuwachs, Empowerment und Vernetzung zusammen und mündet in der Frage, ob solche Kurse das Potential haben, Frauen für die Politik zu mobilisieren. Die Autorinnen bestätigen die ermächtigende Wirkung der Lehrgänge auf die Teilnehmerinnen in Bezug auf deren Selbstbewusstsein und Motivation. Allerdings wurde die Mehrheit der Frauen stärker von alternativen Politikformen und zivilgesellschaftlichem politischen Engagement angezogen als von der klassischen Parteipolitik.

Planung und Beratung zur Gleichstellung von Frauen und Männern

Sensibilisierung für Genderaspekte wird nicht nur politisch, sondern auch in Bezug auf die räumliche Ebene eingefordert: Gender Planning ist ein Ansatz der feministischen Raumplanung und Regionalentwicklung. Im Mittelpunkt stehen Männer und Frauen, deren Beziehungen zueinander und die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an sie. Auf dieser Basis werden Raumstrukturen und Nutzungserwartungen für den Lebensalltag bewertet, vorhandene Wert- und Machtstrukturen sichtbar gemacht und deren Veränderungen angestrebt. Heidrun Wankiewicz geht in ihrem Beitrag der Frage nach, inwieweit durch gendersensible Planung die vorhandene Ungleichheit der Geschlechter strukturell und dauerhaft abgebaut werden kann. Anhand ausgewählter länderübergreifender Modellprojekte demonstriert sie einerseits die Umsetzbarkeit von Gender Planning in der konkreten Projektpraxis, andererseits analysiert sie Stärken und Schwächen dieses Zugangs. Sie plädiert für ergebnisoffene partizipative Prozesse, die gemeinsames Lernen ermöglichen. Nur eine Bewusstseinsveränderung, die durch gendersensible Raumplanung unterstützt wird, kann die vorhandenen Werthaltungen aller Beteiligten nachhaltig transformieren.

Renate Fuxjäger wirft auf der Basis eigener Erfahrungen in der Beratungspraxis einen detaillierten Blick auf die Förderabwicklung von Projekten zur Diversifizierung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen des Österreichischen Programms für Ländliche Entwicklung 2007–2013. Die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie das Diskriminierungsverbot sind gesetzlich definierte Prinzipien, die auch in der Zuweisung von Fördergeldern zur Anwendung kommen sollen. Die konkrete Praxis zeigt jedoch, wie wenig wirkmächtig die Instrumente zur Umsetzung von Gleichstellung ausgestattet sind. Anhand der Darstellung des genauen Ablaufs des Antrags-, Genehmigungs- und Durchführungsverfahrens argumentiert Fuxjäger, dass die Berücksichtigung von Gleichstellungszielen derzeit ausschließlich über die individuelle Genderkompetenz und -sensibilität der am Prozess beteiligten BeraterInnen gesichert werden kann. Zum Abschluss präsentiert sie Vorschläge, wie Gleichstellungsziele von Beginn an einbezogen, umgesetzt und die Zielerreichung evaluiert werden könnten. Es ist verblüffend einfach und verursacht kaum Zusatzkosten, setzt allerdings voraus, dass Gendergerechtigkeit für die beteiligten AkteurInnen kein bloßes Lippenbekenntnis ist.

Die Autorinnen Wotha und Kreßmann, Wankiewicz und Fuxjäger fokussieren aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf die gleichstellungsorientierte Strategie des Gender Mainstreaming im Rahmen der ländlichen Regionalförderung der Europäischen Union. Sie sind sich darin einig, dass deren Umsetzung noch nicht sehr weit vorangeschritten ist. Gleichermaßen sind alle davon überzeugt, dass die gleichstellungspolitischen Ziele am nachhaltigsten gesichert werden, wenn es gelingt, alle beteiligten AkteurInnen für Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren. Reinwald, Damyanovic und Weber sowie Obertegger und Oedl-Wieser bestätigen diese Befunde für die kommunalpolitische Ebene. Welche Machtmittel und Strategien angebracht oder notwendig sind, Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen, wird von den AutorInnen sehr unterschiedlich eingeschätzt.

Die anschließenden Beiträge widmen sich dem Themenkomplex der sozialen Teilhabe, der aktuelle und sicherlich auch in Zukunft besondere Herausforderungen, aber auch Potentiale für ländliche Regionen beinhaltet.

Soziale Teilhabe unter der Geschlechterperspektive

Ehrenamtlichen Tätigkeiten wird seitens der Politik und der Forschung zunehmend mehr Interesse zuteil. Formelles Engagement in sozialen, religiösen oder freizeitbezogenen Organisationen und Vereinen stärkt die Eigenverantwortung der BürgerInnen und erhöht das soziale Kapital einer Region. Informelles Ehrenamt in Nachbarschafts- und Selbsthilfegruppen ist ein kostengünstiges Mittel, Infrastrukturdefizite oder Effekte zurückgenommener Sozialleistungen ein wenig auszugleichen. Katrin Baumgartner und Anna Wanka untersuchten die Teilhabe von Frauen ab 50 Jahren im formellen und informellen Ehrenamt in österreichischen Gemeinden bis 5 000 EinwohnerInnen im Vergleich mit Männern, die ebenfalls älter als 50 Jahre sind. Ihre Ergebnisse schließen an bereits Bekanntem an: Frauen üben vorwiegend informelle ehrenamtliche Tätigkeiten aus, während Männer bevorzugt Funktionen in Vereinen und Organisationen übernehmen. Im Detail zeigt sich, dass darüber wieder einmal eine Rollenverteilung, die Frauen auf den pflegerischen und sorgenden Bereich festlegt, reproduziert wird. Unabhängig davon, ob noch berufstätig oder nicht, engagieren sich etwa 80 % der Personen zwischen 50 und 69 Jahren ehrenamtlich. Ab einem Alter von etwa 70 Jahren reduziert sich dies erheblich.

Mobilität ist in dünner besiedelten ländlichen Räumen eine wesentliche infrastrukturelle Voraussetzung für die Teilhabe am sozialen Leben, sei dies für (Weiter)Bildung, Beruf oder Freizeitgestaltung. Im breit angelegten, von verschiedenen Institutionen getragenen Projekt „mobility-4job“ soll für eine Untersuchungsregion in Niederösterreich (A) auf Basis detaillierter quantitativer und qualitativer Analysen ein gendergerechtes Mobilitätskonzept erstellt werden. Eva Favry, Thomas Hader, Bente Knoll, Tina Uhlmann und Wiebke Unbehaun präsentieren in ihrem Beitrag Ergebnisse zum Spannungsverhältnis zwischen Mobilität, Erwerbsarbeit und unbezahlter Betreuungs- und Hausarbeit aus der Geschlechterperspektive. Der Zugang zu individueller Mobilität in Form von Führerscheinbesitz und Auto ist ein zentraler Faktor für die Beteiligung am Erwerbsleben. Er ist allerdings mit erheblichen Kosten verbunden, welche insbesondere bei Teilzeitbeschäftigung das Haushaltsbudget stark belasten. An der Entwicklung nachhaltiger, nicht-individueller Mobilitätslösungen wird noch gearbeitet, aber eines macht dieser Zwischenbericht deutlich: Für eine erfolgreiche Übertragung dieses Modellprojektes auf andere Regionen sind dort detailreiche, geschlechter-disaggregierte Erhebungen nötig und auch ungewöhnlichere Mobilitätslösungen zu entwickeln.

Intersektionalität ist ein wichtiger Ansatz in der Analyse von strukturellen und individuellen Benachteiligungen. Geschlecht, Alter, Klasse, ethnische Herkunft und Religion sind wesentliche Identitätskategorien, die zueinander in jeweils spezifischen Wechselwirkungen stehen. Sie können einander abschwächen oder verstärken, Einfluss auf die Teilhabechancen von Personen am Arbeitsmarkt haben sie immer. Anna Faustmann, Lydia Rössl und Isabella Skrivanek evaluieren, ausgehend vom Ansatz der Intersektionalität, acht Modellprojekte in der Steiermark (A), die mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert sind und die Verbesserung der Integration von Frauen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt zum Ziel haben. Sie zeigen die vielfältigen Verschränkungen der Problemlagen von Migrantinnen am Land auf und kommen zum Schluss, dass wirkungsvolle Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration auch eine Verschränkung der Politikfelder erfordern. Das heißt, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssten an Sozial-, Infrastruktur-, Bildungsund Regionalpolitik gekoppelt werden, damit das Potential von Migrantinnen im ländlichen Raum konstruktiv zur Geltung kommen kann.

Rollenbilder, Sozialkapital und Machtverhältnisse in der Landwirtschaft

Ruth Rossier leitet eine Reihe von Beiträgen ein, die sich mit Frauen in der Landwirtschaft auseinandersetzen. Für Frauen in bäuerlichen Familienbetrieben ergeben sich nicht nur in Bezug auf die Verschränkung von Arbeits- und Wohnort, sondern auch in sozial-, pensions-, erb- und besitzrechtlicher Hinsicht besondere Bedingungen. In der Schweiz wurde 2002 eine umfassende Untersuchung der Situation der Bäuerinnen durchgeführt, in der besonders Defizite in Hinblick auf die Altersvorsorge festgestellt wurden. 2012 wurde erneut eine Erhebung beauftragt, die sich methodisch an jener von 2002 orientierte, um Veränderungen im Zeitverlauf feststellen zu können. Wie Rossier zeigt, hat sich die außerlandwirtschaftliche Berufstätigkeit der Bäuerinnen verstärkt und auch ihr Ausbildungsniveau ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Nach wie vor ordnen jedoch viele Frauen ihre eigenen Ansprüche der Existenzsicherung des landwirtschaftlichen Betriebes unter. Ihnen ist vielfach nicht bewusst, dass sie in der Regel keine Miteigentümerinnen sind und im Falle von Invalidität oder Scheidung ein enormes finanzielles Risiko tragen.

Eine Sonderform von Berglandwirtschaft ist die Stufenbetriebswirtschaft in der Schweiz. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die bewirtschafteten Flächen in Bezug auf die Höhenlage soweit auseinander liegen, dass zwei oder mehr Wirtschafts- und Wohneinheiten benötigt werden und die gesamte Familie mehrmals im Jahr ihren Wohnsitz verlegt. Christine Jurt, Isabel Häberli und Ruth Rossier untersuchen in ihrer explorativen qualitativen Studie die Bedeutung der Frauen für die Stufenbetriebe und deren Wahrnehmung der damit einhergehenden Mehrfachbelastungen. Stufenbetriebe erfordern von den BewirtschafterInnen mehr Arbeit und mehr Ausgaben bei weniger Einnahmen. Sie werden daher von der Politik als unrentable Auslaufmodelle der Landbewirtschaftung gesehen. Die Autorinnen zeigen, dass die Aufrechterhaltung der Stufenwirtschaft seitens der BetreiberInnen nach wie vor gewünscht ist. Die Persistenz hängt sehr wesentlich von der Bereitschaft der Frauen ab, diese Bewirtschaftungsform zu unterstützen, denn sie organisieren die Logistik der Umzüge. Kernrisiken sehen die Bäuerinnen in der Arbeitsbelastung, der Gesundheit und der Agrarpolitik, die sie eng miteinander verknüpfen. Sie schätzen den besonderen Lebensstil und betonen die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Bewirtschaftungsform.

Im Mittelpunkt der Untersuchung von Stefan Vogel, Manuela Larcher und Reinhard Engelhart stehen landwirtschaftliche Betriebsleiterinnen in Niederösterreich (A). Sie stellen eine Verbindung zwischen Ehrenamt und Sozialkapital her und fragen, in welchem Ausmaß und in welchen Netzwerken sich Betriebsleiterinnen ehrenamtlich betätigen. Die von ihnen befragten Landwirtinnen sind äußerst aktiv in den lokalen Berufs- und Standesvertretungen. Sie sind hingegen kaum in Gemeinderäten und gar nicht in regionalen Entwicklungsverbänden oder Lokalen Aktionsgruppen vertreten. Ähnlich den Frauen bei Baumgartner und Wanka sowie bei Zarnekow liegt auch der Schwerpunkt der Landwirtinnen auf den familiären und nachbarschaftlichen Netzwerken. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass ein stärkeres Sich-einbringen der Betriebsleiterinnen in die Governance-Strukturen der ländlichen Entwicklung nicht nur ein Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch ein Beitrag zur Sicherung ihrer landwirtschaftlichen Familienbetriebe wäre.

Den Abschluss dieser Edition bildet Elisabeth Prügls pointierter Beitrag zu den Formen der männlichen Dominanz in der deutschen Landwirtschaft im Ost-West-Vergleich. Sie sieht durch die Existenz der zwei deutschen Staaten (BRD und DDR) die Chance zur Analyse eines „natürlichen Experiments“. Die Ausgangsbasis war in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse mehr oder weniger ident und dann wurde durch die Teilung Deutschlands die Variable „staatliche Politik“ verändert. Prügl fragt danach, ob und wie sich die männliche Herrschaft durch die unterschiedlichen staatspolitischen Projekte im Bereich der Landwirtschaft neu formierte. Dazu nimmt sie drei Bereiche in den Blick: die Rechte und Anrechte, die Arbeitsteilung und deren Regelungen sowie die Identitätsregeln. Ein Fazit, das an dieser Stelle gezogen werden kann, ist: staatliche Politik wirkt und unterschiedliche Politiken haben auch unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse. Die männliche Dominanz in der deutschen Landwirtschaft bleibt, wenngleich mit verschiedenen Akzentuierungen, weiter bestehen – und nicht nur dort, wie die Beiträge in dieser Edition belegen.

Die Vielfalt der hier präsentierten Artikel kann die Leserinnen und Leser dazu anregen, die unterschiedlichen Argumentationen in Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Praxis zur Kenntnis zu nehmen, im eigenen beruflichen und privaten Umfeld aufzugreifen und als frauenpolitisch notwendige Statements zu nutzen. Im unmittelbaren Anschluss an die Tagung wurde ein gemeinsames Resümee samt Forderungskatalog an die Politik verabschiedet. Diese Conclusio setzt den Schlusspunkt des Sammelbandes. Sie zeigt, dass sich die TagungsteilnehmerInnen, um auf Gudrun-Axeli Knapp zurückzukommen, nicht nur ausgetauscht und vernetzt, sondern ihre Erkenntnisse und Anliegen auch dokumentiert haben und die Handlungsmacht beanspruchen, sich in den öffentlichen politischen Diskurs einzubringen.

Wir bedanken uns

Last but not least möchten wir unseren Dank all jenen aussprechen, die dazu beigetragen haben, dass dieses Buch in dieser Form vorliegt. Da wären zunächst einmal die AutorInnen, denen wir für ihre Kooperationsbereitschaft über den gesamten Entstehungsprozess hinweg danken. Des Weiteren sei den anonymen GutachterInnen gedankt, die engagierte und sorgsame Gutachten erstellten und damit den AutorInnen wertvolle Hinweise lieferten.

Für die Fertigstellung der Edition sorgten Mitarbeiterinnen des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Valerie Braun danken wir für die zusammen mit Mathilde Schmitt durchgeführte Endredaktion der Beiträge, Kati Heinrich für das Layoutieren und die versierte Begutachtung und Handhabung aller grafischen Angelegenheiten. Danke auch an Fides und Valerie Braun, die sie dabei unterstützten. Bei Ruth Mayr vom Studienverlag bedanken wir uns für die umsichtige und kompetente Verlagsbetreuung.

Dieser Band wäre ohne die vorausgegangene Tagung nicht realisiert worden. Unser Dank gilt zahlreichen KollegInnen für ihre dabei geleistete fachliche, kreative und sehr praktische Unterstützung sowie den beteiligten Institutionen Bundesanstalt für Bergbauernfragen, Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Innsbruck, Universität für Bodenkultur Wien und Universität Wien.

Einen besonderen Dank möchten wir abschließend an all diejenigen richten, die im Familien- und Freundeskreis der Herausgeberinnen so manches Zugeständnis machten, weil wieder einmal Zeit und Aufmerksamkeit auch außerhalb der formalen Arbeitszeiten für den Band erforderlich waren.

Literatur

Asztalos Morell, Ildikó/Bock, Bettina B. (eds.) (2008) Gender Regimes, Citizen Participation and Rural Restructuring. Amsterdam [u.a.]: Elsevier Ltd.

Bäschlin, Elisabeth/Contzen, Sandra/Helfenberger, Rita (Hg.) (2013) Frauen in der Landwirtschaft. Debatten aus Wissenschaft und Praxis. genderwissen 14, Bern/Wettingen: efef Verlag.

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Innsbrucker Gender Lectures. Band 1