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Thomas Pynchon

Mason & Dixon

Roman

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl

Informationen zum Buch

Die Briten Charles Mason und Jeremiah Dixon, ein Astronom und ein Landvermesser, nehmen uns mit auf eine Grand Tour durch die dunklen Gefilde der Aufklärung im 18. Jahrhundert, von ihrer ersten gemeinsamen Expedition ans Kap der Guten Hoffnung ins vorrevolutionäre Amerika und wieder zurück nach England. Wir begegnen Benjamin Franklin, George Washington, einem chinesischen Feng-Shui-Meister, einem sprechenden Hund und einem Enten-Automaten.

 

«Man liest und liest, stößt auf Stellen, Episoden und Sentenzen, bei denen einem der Mund offen stehen bleibt.» (Die Zeit)

 

«Ein Roman wie eine gewaltige Symphonie aus der Neuen Welt, und ein Sprachkunstwerk von einem ganz Großen der US-Literatur (Stern)

Informationen zum Autor

Thomas Pynchon wurde 1937 in Long Island geboren. Sein einziger öffentlicher Auftritt fand 1953 an der Oyster Bay High School in Long Island statt. Er studierte Physik und Englisch an der Cornell University, später schrieb er für Boeing technische Handbücher und verschwand. Seit Erscheinen seines Romans «Die Enden der Parabel» gilt Thomas Pynchon als einer der bedeutendsten englischsprachigen Schriftsteller der Gegenwart.

 

 

Weitere Veröffentlichungen:

Die Enden der Parabel

Die Versteigerung von No. 49

Spätzünder

V.

Vineland

Gegen den Tag

Natürliche Mängel

Bleeding Edge

 

 

 

Für Melanie

und für Jackson

EINS 

Längengrade und Aufbrüche

 

1

Schneebälle haben ihre Bahn gezogen, die Wände von Nebengebäuden ebenso wie Vettern und Basen besternt und Hüte in den frischen Wind vom Delaware geschleudert – nun schafft man die Schlitten unter Dach, trocknet und fettet sorglich ihre Kufen, stellt Schuhe im hinteren Flur ab und fällt strümpfig in die große Küche ein, die von früh an in planvollem Aufruhr, untermalt vom Deckelgeklirr verschiedener Pfannen und Schmortöpfe, duftend von Küchengewürz, geschälten Früchten, Nierenfett, erhitztem Zucker – und nachdem die Kinder, in fortwährender Unrast, zum rhythmischen Geklatsch von Teig und Löffel, alles Erdenkliche erschmeichelt und stiebitzt, begeben sie sich, wie den ganzen verschneiten Advent lang an jedem Nachmittag, in ein behagliches Zimmer im hinteren Teil des Hauses, das schon seit Jahren ihrem unbekümmerten Ansturm überlassen. Hier sind zur Ruhe gekommen: ein langer, narbigter Tisch auf Böcken mit zwei ungleichen Sitzbänken von der Verwandtschaft aus Lancaster County – einige Chippendale-Stücke zweiter Güte, darunter eine Ausführung des berühmten chinesischen Sofas mit einem hohen Himmel aus vielen Ellen purpurroten Tuches, der sich rundum zu einem behaglichen, dämmrigen Zelt zuziehen läßt – ein paar einzelne, vor dem Kriege aus England herübergeschickte Stühle – das meiste Kiefer- und Kirschholz, auch wenig Mahagoni, ausgenommen ein unheimlicher, wundervoller Kartentisch, welcher die im Gewerbe als Wanderndes Herz bekannte, minder wertige Wellenmaserung aufweist und damit eine Illusion von Tiefe erzeugt, in die seit Jahren Kinder hineinstarren wie in die illustrierten Seiten von Büchern … dazu so viele Scharniere, Gleitzapfen, verborgene Schnäpper und Geheimfächer, daß weder die Zwillinge noch ihre Schwester behaupten können, sie seien damit zu Rande. An der Wand, wegen der mit ihm einhergehenden Erinnerungen an eine besser vergess’ne Zeit in diese Stube voller Salon-Affen verbannt und den größten Teil des Zimmers spiegelnd – Teppich und Draperien schon etwas abgewetzt, unter den Möbeln auf Pirsch Whiskers die Katze, mit hellwachen Augen auf alles spitzend, was Fressen verheißt –, hängt ein Spiegel in einem Rahmen mit Inschrift zum Gedenken an die «Mischianza», jenen denkwürdigen Abschiedsball, den die Briten, welche die Stadt besetzt hielten, im Jahre ’77, kurz vor ihrem Rückzug aus Philadelphia, veranstalteten.

In jener Weihnachtszeit des Jahres 1786, da der Krieg entschieden ist und das Land sich zerhadert, schmerzen die Wunden, körperliche wie seelische, große wie kleine, weiter, und nicht aller wird gedacht – noch auch nur allzu oft Erwähnung getan. Auf ganz Philadelphia liegt Schnee, von Fluß zu Fluß, deren fernere Ufer so vollständig hinter Vorhängen von Eisnebel verschwunden sind, daß man die Stadt heute für eine Insel in einem Ozean halten möchte. Teiche und Bäche sind zugefroren, und die Bäume gleißen bis auf den letzten, dünnsten Zweig – Nervenbahnen von konzentriertem Licht. Hämmer und Sägen sind verstummt, Backsteine liegen in schneebedeckten Haufen, Stadt-Spatzen nutzen, ein buntscheckiges Gestiebe, jede sich bietende Deckung – der abendliche Himmel, die Wolken zu Kreidegeschmier zerweht, spannt sich über den Northern Liberties, Spring Garden und Germantown, sein früher Mond so fahl wie die Schneewehen – aus Schornsteinen steigt Rauch auf, Schlittenpartien verfügen sich ins Trockene, in Wirtshäusern herrscht lärmendes Treiben – allerorten fließt frisch gebrühter Kaffee, wird in Hinter- wie Vorderzimmern aufgetragen, während der Madeira, hierzulande seit jeher Treibmittel jedweden Bündnisses, sich heutzutage wie ein uraltes Elixier im siedenden Topf der Politik entfaltet –, denn die Zeiten sind in diesem Advent so unmöglich zu kalkulieren wie die Entfernung zu einem Stern.

Es ist den Zwillingen und ihrer Schwester, und was an Freunden, alten wie jungen, den Weg hierher finden mag, zur nachmittäglichen Gewohnheit geworden, sich zu einer weiteren Geschichte ihres weitgereisten Onkels, des Revd Wicks Cherrycoke, zu versammeln, der im Oktober zur Beisetzung eines alten Freundes hier eintraf – zu spät zum Begräbnis, wie sich herausstellte – und seither als Gast im Hause seiner Schwester Elizabeth weilt, der langjährigen Gattin von Mr. Wade LeSpark, eines geachteten, in Stadtangelegenheiten aktiven Kaufmannes, wiewohl in seiner häuslichen Sphäre noch Despot genug, um dem Revd, ohne daß er dergleichen je ausbedungen hätte, zu verstehen zu geben, er dürfe bleiben, solange er die Kinder bei Laune halten könne – zu viele Bekundungen jugendlichen Mutwillens im falschen Moment indes, und Wuppdich! heißt’s zur Tür hinaus mit ihm, wo des Winters Klotz und Axt wartet.

So haben sie denn die Flucht aus Hottentotten-Land gehört, den Verwünschten Rubin von Mogok, die Schiffbrüche in Ostwie Westindien – ein herodotisches Gespinst von Abenteuern und Merkwürdigkeiten, ausgewählt, so deutet der Revd an, ihres moralischen Nutzens wegen, während er andere, für die Ohren junger Menschen weniger geeignete wegläßt. Die jungen Menschen werden hierzu wie üblich nicht befragt.

Tenebrae hat sich gesetzt und ihre Handarbeit aufgenommen, ein Stück, dessen Größe und Schwierigkeit im Hause bereits Anlaß zu Diskussionen gibt, während die Stickerin selbst sich in Schweigen hüllt – zu diesem Thema jedenfalls. Avisiert per Nasentelegraph, kommen die Zwillinge herein, in Händen die alte, zinnene Kaffeemaschine, die ihre Dampfwölkchen ausstößt, nebst einem großen, saccharomanen Gelüsten gewidmeten Korb, bis zum Rande gefüllt mit frischgebackenen, in Zucker gewendeten Schmalzkringeln, glasierten Kastanien, Korinthenbrot, Pfannkuchen, Plinsen, Pasteten. «Was ist das? Ihr Burschen könnt ja meine Gedanken lesen.»

«Der Kaffee ist für Sie, Onkel –», «– letztes Mal haben Sie im Schlaf geredet», erklären die beiden und placieren das Naschwerk näher bei sich, worauf es jedem im Zimmer selbst überlassen bleibt, nach Belieben zuzugreifen und sich einzugießen. Weil man sich nicht einig war, wer als erster das Licht der Welt erblickt hat, wurden die Zwillinge Pitt und Pliny benamt, so daß ein jeder als «der Ältere» oder «der Jüngere» durchgehen konnte, was jeden Tag aufs neue dem einen gefallen oder seinen Bruder ärgern mag.

«Warum haben wir noch keine Geschichte über Amerika gehört?» Pitt leckt sich Brocken Philadelphia-Puddings von seinem besten Jabot.

«Mit Indianern drin, und Franzmännern», fügt Pliny an, dessen letzte Gebärde Kuchenkrümel überallhin schleudert.

«Und Franzweibern, wenn schon», murmelt Pitt.

«Fromm zu sein, fällt uns beiden nämlich nicht leicht», gibt Pliny zu bedenken.

«Zwanzig Jahre sind es jetzt», erinnert sich der Revd, «daß wir alle zusammen die Allegheny Ridge gewannen und auf das Ohio-Land hinausblickten – so schön, eine Offenbarung, Wiesen bis zum Horizont –, Mason und Dixon und all die McCleans, Darby und Cope, nein, Darby kann ’sechsundsechzig nicht dabeigewesen sein – wie dem auch sei, der alte Mr. Barnes und der junge Tom Hynes, der Spitzbube … weiß nicht, was aus ihnen geworden ist – mancher hat im Kriege gefochten, mancher, komme, was da wolle, den Frieden gewählt, mancher Gewinnst gemacht, mancher alles verloren, mancher ist nach Kentucky und mancher – so mittlerweile auch der arme Mason – zum Staube zurückgekehrt.

«Es waren nicht allzu viele Jahre vor dem Krieg – und was wir dort draußen in jenem Lande taten, war kühn, eine über meine Begriffe gehende Wissenschaft und letzten Endes sinnlos –, da zogen wir eine Linie, acht Ellen breit und immer nach Westen, mitten durch das Herz der Wildnis, um zwei Besitztitel zu trennen, gewährt, als die Welt noch feudal war, und schon acht Jahre später vom Unabhängigkeitskrieg null und nichtig gemacht.»

Und nun ist Mason tot und dahin, und der Revd, der nur in die Stadt gekommen, um seine Ehrerbietung zu erweisen, hat sich über den ersten Kälteeinbruch, die ersten Rückzüge an den Herd, die ersten, in den nächst-besten Schüsseln aufgetragenen Erntemähler hinaus verweilt. Schon vor Wochen wollte er reisen, aber er kann sich nicht lösen. Zu seinen täglichen Devoirs zählt ein Besuch am Grabe Masons, und sei er noch so kurz. Der Küster hat sich angewöhnt, ihm zuzunicken. Unlängst ist er mitten in der Nacht erwacht, überzeugt, er sei es gewesen, der Mason verfolgt – er habe, einer abgeschiedenen, unerlösten Seele gleich, von Mason, der doch selbst erst kürzlich zu Tode gekommen, erwartet, dieser könne ihm irgendwie helfen.

«Nachdem ich Jahre», hebt der Revd an, «mit der Vervollkommnung einer geistlichen Mummerei vergeudet – altgeworden im Dienste einer Personifikation, zu der es nie mehr als einer Handvoll Schauspielerkniffe bedurfte –, und hinaus war über alle Erinnerung an jenes Verlangen nach Gefahr, hinaus über alles, was hätte sein sollen, aber niemals Aussicht hatte zu werden, bin ich an diesen republikanischen Ufern gestrandet – geborsten, mastlos, vom Alter blödsinnig – ein unzuverlässiger Mahner, für den die wenigen Ereignisse, die noch in seinem entzweigegangenen Gedächtnis klappern, den einzigen Trost bieten, der ihm geblieben –»

«Onkel», erheuchelt Tenebrae Überraschung, «– dabei haben Sie noch diesen Morgen so viel jünger ausgesehen – ich hatte ja keine Ahnung.»

«Freundliche Brae. Das stammt natürlich aus meinem geheimen Bericht. Ich weiß nicht, ob ich es in anwesender Gesellschaft ganz so ausdrücken würde.»

«Sondern …?» Tenebrae erwidert auf das Blinzeln ihres Onkels mit dem gewohnten Wimperngetändel.

«Es beginnt mit einer Hinrichtung.»

«Vortrefflich», rufen die Zwillinge.

Der Revd zieht ein in billiges Leder gebundenes, narbigtes altes Notizbuch hervor und beginnt zu lesen. «Wäre ich der erste Kirchenmann der Neuzeit gewesen, den man an Tyburn Tree aufgeknüpft – hätte man mich für tot erachtet, während ich doch in Wirklichkeit nur eine der letzten Schale Ale geschuldete Pause auf den ereignislosen Korridoren jäher Ohnmacht verbracht – hätte ein wilder Haufe Medizinstudenten, was sie für meinen Leichnam hielten, unter die düsteren Gratbögen ihres College entführt – und wäre ich dann zu einer ganz neuen Kenntnis der Bedingungen des Seins ‹wiederauferstanden›, in welcher Unser Erlöser – seltsam auszusprechen in dieser Ära eines Wesley und eines Whitefield –, wiewohl gegenwärtig, nicht so herausragend figuriert hätte wie bei den meisten Sektierern – sei dem, wie ihm wolle –, so hätte ich große Ähnlichkeit mit dem nomadischen Pfarrer, den ihr heute vor euch seht …»

«Mutter sagt, die Familie hat Sie verstoßen», bemerkt Pitt.

«Sie bezahlen Ihnen Geld fürs Davonbleiben», sagt Pliny.

«Euer Großvater Cherrycoke, Ihr Burschen, hat stets sein Versprechen gehalten, mir über gewisse Handelskompagnien, auf den Farthing genau und pünktlich wie der Mond, eine Summe Geldes an jede Adresse in der Welt zu übersenden, eine britische ausgenommen. Britannien ist seine Welt, und er beharrt noch heute darauf, er müsse wegen bestimmter Verbrechen meiner fernen Jugend beschämt vor ihr stehen.»

«Verbrechen!» rufen die Knaben wie aus einem Munde.

«Je nun, schlechte Menschen haben sie dazu erklärt … vor Gott, das ist eine andere Geschichte …»

«Was hat man Ihnen angehängt?» möchte Onkel Ives wissen, «rein berufliches Interesse, selbstverständlich.» Die grüne Advokatenmappe am Schulterriemen, jedoch erst kürzlich von einer Zusammenkunft im Kaffeehaus zurückgekehrt, hat er später am Abend eine etwas förmlichere Version des eben Gehörten zu gewärtigen – und fühlt sich hier mit den Kindern ganz ähnlich wie ein mit der Postkutsche Reisender, den man bei Einbruch der Nacht unter fremdem Volk abgesetzt, damit er auf den Anschlußwagen warte, und der, allein und zu Fuß, die Zeit mit Ertrag, wenn nicht Gewinnst, hinzubringen wünscht.

«Neben einigen geringeren Klagepunkten», erwidert der Revd, «handelte es sich um eine der in jener Zeit unerträglichsten Missetaten, neben der sich die ärgsten Bubenstücke eines Dick Turpin wie jugendlicher Übermut ausnahmen – das Verbrechen, das man ‹Anonymität› betitelte. Will sagen, ich hinterließ öffentlich angeschlagene Mitteilungen, die ich jedoch nicht unterschrieb. Ich kannte im Bezirk ein paar Nachtläufer, deren Druckerpresse ich benutzen durfte – und irgendwie gewöhnte ich mir an, Berichte über gewisse Verbrechen zu drucken, die ich beobachtet, begangen von den Stärkeren an den Schwächeren – Einhegungen, Entsetzungen aus dem Besitze, Urteilssprüche, Aktivitäten des Militärs –, und dabei nannte ich die Namen aller der Übeltäter, deren ich sicher war, verschwieg jedoch, was ich törichter Weise für meinen eigenen hielt, bis ich eines Nachts verraten, in Ketten nach London geschafft und in den Tower geworfen wurde.»

«Den Tower!»

«Ziehen Sie sie nicht gar so auf», bittet ihn Tenebrae.

«Ludgate also? Wie auch immer, ’s war ein Gefängnis. Und erst als ich unter den Ratten und dem Ungeziefer lag, am gefrierenden Rande einer unsichtbaren Zukunft, da begriff ich, daß mein Name niemals mein gewesen –, sondern die ganze Zeit der Obrigkeit gehört hatte, die mir verbot, ihn zu ändern oder für mich zu behalten, als wäre er ein Band um den Hals eines Tieres, das immerzu darauf wartet, an die Leine gelegt zu werden … Einer jener Momente, wie sie Hindus und Chinesen nachgesagt, gänzliches Erlöschen des Ich, vollkommene Einheit mit allem, und dergleichen. Seltsame Lichter, Feuerbrände, unerklärbare Stimmen – fürwahr, Kinder, nun kommt der Teil der Geschichte, worin euer Onkel irre wird – so jedenfalls beliebte es allen, jedem in seinem Interesse, mich zu bezeichnen. Und da Seereisen in jenen Tagen die klassische Behandlung für Irrsinn, sollte mein Exil aus triftigsten medizinischen Gründen beginnen.»

 

Obzwar es ursprünglich meine Neigung gewesen, mich auf einem Ostindienfahrer einzuschiffen (fährt der Revd fort), da diese Ostroute notorisch eine lebhafte, jugendfrische Welt voller Bord-Liebeshändel, stürmischer Aufeinandertreffen und Duelle zu Lande durchmaß, auf welcher die französische Flotte eine ständige – für manchen romantische – Gefahr darstellte, «Wie Piraten, nur höflicher», wie die Damen mir häufig versicherten –, richteten es jene, die mein Schicksal beherrschten, als sie von meiner Vorliebe Wind bekamen, rasch so ein, daß ich auf eine kleine britische Fregatte verlegt wurde, welche in Kriegszeiten zu einer langen Reise in See stach – die Seahorse, vierundzwanzig Geschütze, Captain Smith. Ich eilte in die Leadenhall Street, um Erkundigungen einzuziehen.

«Soll das ein Einwand sein, was wir da hören?» wurde ich begrüßt. «Wollen Sie sagen, ein Schiff sechster Klasse sei unter Ihrer Würde? Wäre es Ihnen lieber, an Land zu bleiben und in Bedlam Quartier zu nehmen? Es hat viele in Ihrer Lage zum Manne gemacht. So mancher hat sich dort schließlich eines recht bedeutungsvollen Lebens erfreut. Wenn es freilich ein Bedürfnis nach dem Exotischen ist, könnten wir für einen Aufenthalt in einem der französischen Hospitäler sorgen …»

«Wüßte einer in meinem Zustande denn, wie man Einwände erhebt, Mylord? Ich verdanke Euch alles.»

«Der Wahnsinn hat Ihr Gedächtnis also nicht beeinträchtigt. Gut. Meiden Sie schädliche Substanzen, vorzüglich Kaffee, Tabak und indischen Hanf. Wenn Sie letzteres unbedingt nehmen müssen, so inhalieren Sie nicht. Halten Sie Ihr Gedächtnis in Schuß, junger Mann! Gute Reise.»

Also fuhr ich, während dieser fraglos wohlmeinende Rat sich zur Hundewache in die Wellengeräusche neben meinem Schlafplatz mischte, auf einer Zerstörungsmaschine aus, in der Hoffnung, ostwärts möchte noch einiges an Frieden und Gottheit vorhanden sein, was die britische Zivilisation auf ihrem Zuge westwärts zurückgelassen – und so war Bestürzung noch das geringste meiner Gefühle, als plötzlich, statt übernatürlicher Unterweisung von Lamas, so alt wie die Zeit, Jean Crapaud in Sicht kam – ein vierunddreißig Geschütze starkes Unheil, und nur eine Lektion.

2

An Mr. Mason, Gehülfe des Königlichen Astronomen

Zu Greenwich

Werter Herr, –

Da ich die Ehre habe, bei der in Aussicht genommenen Expedition nach Sumatra zur Beobachtung des Durchgangs der Venus zu Ihrem Helfer ernannt worden zu sein, hoffe ich, nicht fehlzugehen, wenn ich mich auf diese Weise vorstelle. Ungeachtet etwaiger Versicherungen in Rücksicht auf meine Eignung, die Sie von Mr. Bird, Mr. Emerson und hoffentlich auch von anderen empfangen haben mögen, wäre es, insofern Sie selbst Adjunkt des Ersten Astronomen des Königreichs sind, seltsam – beileibe nicht verwunderlich, sondern vielmehr überraschend –, wenn Sie nicht den einen oder anderen Zweifel hinsichtlich meiner Befähigung hegten.

So nehme ich zwar bei meiner Arbeit viel häufiger zur Magnetnadel als zu den Sternen Zuflucht, doch was mir an himmlischer Erfahrung fehlt, glaube ich wohl durch Sorgfalt und eine rasche Auffassungsgabe wettmachen zu können – da ich indes auf Ihre Höhe der Kunst fraglos keinen Anspruch machen kann, Sir, würde ich etwelche Vorschläge, die Sie zur Hebung der meinen vorzubringen hätten, ebenso dankbar willkommen heißen, wie umgehend Nutzen daraus ziehen.

Ich bin, hierin wie in allem anderen,

Ihr ergebenster Diener

Jeremiah Dixon. –

Ein paar Monate später, als es nicht mehr nötig ist, sich so zu verstellen, wie sie es anfänglich tun zu müssen glaubten, offenbart Dixon, er habe sich bei Abfassung des Schreibens bewußt des Trunkes enthalten. «Hab es an die zwanzig Mal umgeschrieben und dabei die ganze Zeit von dem Halben geträumt, der mich im Jolly Pitman erwartet. Und natürlich auch von dem Halben danach und so fort … hat sich mit jeder gestrichenen Phrase begehrenswerter ausgenommen, wenn Sie mir folgen können.»

Mason seinerseits bekennt, er hätte den Brief um ein Haar weggeworfen, nachdem er als Ursprungsort die Grafschaft Durham vermerkt und nur wieder einen jener wohlfeilen Ratschläge aus der Provinz darin vermutet habe, die zu lesen und zu beantworten zu seinen Pflichten im Dienste des Königlichen Astronomen zählte. «Doch er klang so aufrichtig, daß ich mich sogleich beschämt fühlte – unwürdig –, daß dieses redliche Bauerngemüt mich für gelehrt hielt. – Ah! Bitt’rer Trug …»

An Mr. Jeremiah Dixon

Bishop Auckland, Grafsch. Durham

Sir, –

Ich habe das Ihrige vom 26ten Ultimi richtig erhalten und bin Ihnen für Ihre freundlichen Worte sehr verbunden. Doch ich fürchte, die Zweifel müßten von Rechts wegen eher auf Ihrer Seite liegen, denn ich habe noch niemals jemanden in irgendeinem Gegenstande unterrichtet, noch dürfte ich mich darin als sonderlich geschickt erweisen. Wie dem auch sei – Wollen Sie bitte nicht zögern, mich ganz nach Ihrem Gefallen zu befragen, und werde ich mich stets bemühen, ehrlich zu antworten – wenn auch wahrscheinlich nicht in toto.

Jeder von uns wird sein eigenes Zwillingsfernrohr von Mr. Dollond, ausgestattet mit seinen neuesten achromatischen Linsen, erhalten, unsere Uhr kommt von Mr. Ellicott und der Zenitsektor natürlich von Ihrem Mr. Bird – für unser Unternehmen nur das Beste, möchte ich meinen!

In dem Wunsche, daß Ihre Reise in den Süden bei aller Unerforschlichkeit Seiner Wege sicher vonstatten gehen möge, erwarte ich Ihre Ankunft in einer Gemütsstimmung, welche Ihr durchgehends guter Name von allen Dämonen der Besorgnis glücklich befreit hat – eine höchst willkommene Ausnahme im allgemein beschwerlichen Leben

Ihres ergebensten Dieners

Charles Mason