Nach sieben Jahren, in denen er neben einem Essayband über jüdische Leit- und Leidensmotive seinen zweiten großen Roman, Der Kalte (2013), publizierte, kehrt Robert Schindel mit einem lyrischen Buch zurück in seine »Herzzone«: zu Liebesgedichten, poetologischen und sprachreflexiven Gedichten, Existentialgedichten, Naturgedichten. Scharlachnatter (eine Wortfindung aus Oscar Wildes Salome) versammelt sowohl ausgreifende Poeme von großem Atem wie gnomisch verdichtete Verse. Es sind Zungengeburten, kunstvoll zur Welt gebracht und von zwiegeschlechtlichem Wesen: erotisch-musikalisch und durchsetzt von bitterer Lebenslust, geistesgegenwärtig und doch gedankenvoll, müde und schlaflos, hinhörend und stürmisch, bewölkt und immer auch sonnenklar – um nur einige der Gegensätze zu nennen, zwischen denen der Dichter ruhelos und rühmend seine Bahnen zieht, bis vielleicht nur noch das »Echo eines Trillers« vernehmbar ist. Eines allerdings mag diese Dichtung so ganz und gar nicht: den allgemeinen Wortgebrauch. Lieber und stets sucht sie »das Wort in welchem was sei«.

Robert Schindel ist Romanautor, Lyriker, Essayist und Regisseur. Geboren 1944 in Bad Hall bei Linz als verstecktes Kind jüdischer Kommunisten, überlebte er die Zeit des Nationalsozialismus in Wien, wo er seither lebt und schreibt. Ausgezeichnet wurde er mit vielen Preisen, zuletzt mit dem Heinrich-Mann-Preis der Berliner Akademie der Künste (2014).

Robert Schindel

Scharlachnatter

Gedichte

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2015

© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

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Umschlagabbildung: Emi Rendl Denk

Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-74293-8

www.suhrkamp.de

Für

Theresia Ritter

Christof Šubik

Kapitel 1
Bleibt einer jäh stehen

Anzählung 2
(Befund)

Die allgegenwärtigen Schnarchnasen

Durchsäbeln die Stille

Dass sie auffliegt

Und einwolkt

Unter ihr im milden Wind

Gehen wir ohne

Schellen an den Mützen ohne

Karos am Gewand

Herab wirbelt das Gekrächz und Gezirp

Besteppt den Boden

Ein mooriger Nachtwind

Räumt den Himmel auf

Sukzessive schläft das Geschnarche ein

Einen Moment Ruhe

Und doch ein Gegurgel

Hebt nunmehr an

Wird dringlicher

Durchsäbelt

Fliegt auf

Bildet

Serpentin

Inzwischen bereits die Serpentinen

Hinabgewackelt die Perspektiven

Abtauchender Sonnen in der Augenklemme

Offensichtlich auf den Gurgelpunkt zu

Bleibt einer jäh stehen da

Der schmalfransige Splitterschatten

Seinen Schädel streift

Ein Ichliebedich kommt von den Niederungen

Einhergesegelt Schrapnell und Schmetterling

Erreicht über der Nordlusterle seine Höhe steht

Still unterm Wolkenverhau dreht ab

Verschwindet weiter geht einer indes

Jenes Satzmonster an Böschungen aufprallt

Sich überschlagend und schließlich

Im Talgrund verscheppert

Vom Balkon

Ich trat herrlich hinaus auf meinen Balkon

Er stürzte hinab und traf meinen Sohn

Der lag auf dem Gehsteig und abgeschasselt

Auch ich der zu ihm hinuntergerasselt

War nicht viel hübscher als mein Spross

Man ähnelt sich im Totentross

Sie riefen zwei Leichentaxis zum Knochenblutort

Die fuhren uns zum Acker fort

Ein Neffe jetzt weiß ich nicht mehr von mir oder von ihm

Kotzte in den Blutteich sodass mittendrin

Die blaue Blume ihr Köpfchen hob

Indes der Wind durch die Gassen stob

Nature morte 2
(Heruntergehundet)

Aber heruntergehundet während

Wir uns in den Hoffnungskerzen winden

Zur Flamme herauf ja dieses

Herauf zu den Akkorden erfüllten Lebens

Aber wer immer den Kopf neigt

Hat das Heruntergehundete

Im Blickgetränkten begeht

Das Zukunftsgebirge

Im Nachtkegel und auf

Beide Dämmerungen zu

Davonkommen

1

Diese Nacht

Samten und garstig

Durch sie

Schneidet der Mondstrahl

Von der Wolke in den Fuchsbau

Vorne und hinten

Schreien die Nachtvögel auf

Dreh ich den Kopf hinüber

Finde in der schwachen

Finsternis erschrockenes Gras

Pendelnde Zweige auf denen

Kein Tier sich halten mag

Als Ganzer geh ich neben

Dem Mondstrahl

Meines Weges mag sein dass

Fuchs und Grille

Mir nachschauen das

Schmutzt mich nicht

Mondlicht nervöses Gezweig

Hummelgebrumm

2

Ich marschiere

Durch den Wald

Halte im aufrechten

Gang die Bestien ab

Und verschwinde