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Otto Betz
Freundschaften sind wie Heimat

topos taschenbücher, Band 1043

Eine Produktion des Matthias Grünewald Verlags

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Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8367-1043-5
E-Book (PDF): 978-3-8367-5041-7
E-Pub: 978-3-8367-6041-6

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Umschlagabbildung: www.photocase.de / mahey.foto
Einband- und Reihengestaltung: Finken &Bumiller, Stuttgart
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Inhalt

Präludium

Über sein kleines Ich hinausgehen

„Jemanden zu wissen, mit dem wir im Innersten übereinstimmen“

„Freunde habe ich euch genannt“

Gibt es noch den Freundesbrief?

„Ihr seid eingeladen“

Kann ich auch allein sein?

Sei mir Bruder und Freund, sei mir Schwester und Freundin

Der Freundeskreis

Jeder hat seine eigenen Freundschaftsgeschichten

Postludium

Präludium

Dass eine Freundschaft entstehen kann, ist nie selbstverständlich, sondern eine Überraschung, manchmal sogar ein Wunder. Es braucht eine ganze Menge Zeit, bis man erkennt, dass aus einer Begegnung Freundschaft geworden ist.

*

Ein Leben ohne Freundschaften, das ist wie ein Garten ohne Blumen, wie eine Welt ohne Farben, wie ein Jahr ohne Feste. Haben nicht erst die Freunde die Akzente in unser Leben gesetzt?

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Erst im Nachhinein können wir oft erkennen, wie viel wir unseren Freunden zu verdanken haben, was sie uns geschenkt haben.

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Weil jeder Mensch sich selbst ein Rätsel ist, das er allein nicht lösen kann, haben wir Begegnungen nötig. Es gehört zu den großen Überraschungen in unserem Leben, dass der Freund uns zu uns selbst führen kann. Ohne den Freund wäre ich ein anderer geworden.

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Geht mir ein Freund verloren, entsteht in mir ein Riss, ein Stück der eigenen Wirklichkeit ist plötzlich nicht mehr da. Eine gewisse Heilung mag eintreten, weil ich so vieles in der Erinnerung bewahrt habe. Das Gedächtnis bringt mir den Freund wieder in die Gegenwart zurück.

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Jetzt erst erkenne ich die Bedeutung einiger Briefe, die ich von meinem Freund bewahrt habe, jetzt erst lese ich die Bücher, die er mir geschenkt hat, mit anderen Augen.

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Es gibt keine vollkommenen Freunde, immer sind es sehr unvollkommene Freundschaften, die wir leben. Aber ein wenig haben wir doch tatsächlich unsere Bruchstückhaftigkeit durch unsere Begegnungen überwunden.

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Spannend wurde unser Miteinander immer dann, wenn wir etwas gemeinsam erlebt haben, wenn wir plötzlich unsere „innere Verwandtschaft“ erkannten.

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Wie gut, dass wir nicht immer einer Meinung waren. Erst durch den Disput konnten wir Gemeinsamkeit und Unterscheidung genauer wahrnehmen.

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Oft brauchten wir ein Medium, um unserer Freundschaft Nahrung zu geben: Wir lasen miteinander ein Buch oder betrachteten ein Bild, wir schauten einen Film an oder lauschten einer Musik. Und im Austausch unserer Eindrücke bauten wir eine Brücke, öffneten uns gegenseitig die Augen und die Ohren und erlebten unsere Verbundenheit.

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Vielleicht waren die gemeinsamen Reisen ein „Königsweg“ unseres freundschaftlichen Lebens. Die Klettertouren in den Alpen, die Wanderungen durch unbekannte Landschaften, aber auch die Autopannen in der Fremde, die Verständigungsschwierigkeiten im Ausland, wie haben sie uns zusammengeschweißt.

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Wie tröstlich, dass auch eine lange Trennung unsere Freundschaft nicht unbedingt in Frage stellt, wenn der gedankliche Brückenbau aufrechterhalten bleibt.

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Man sollte die „Erinnerungskultur“ zwar nicht auf die Spitze treiben (eine Haarlocke von dir wollte ich nie haben), wenn aber eine Freundschaft nicht folgenlos bleiben soll, dann ist sie darauf angewiesen, dass man sich auf die wichtigen Stationen des gemeinsamen Weges besinnen kann und sie wieder in die Gegenwart hineinruft.

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Bettine Brentano hat einmal an Goethe geschrieben: „Nie denke ich etwas Schönes, ohne dass ich mich darauf freue, es Dir zu sagen.“ Diese Verbundenheit, dieses selbstverständliche Gespräch macht den Austausch unter Freunden aus.

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Wenn Freundschaften nicht erstarren sollen und dadurch leblos werden, sind sie auf Veränderung angewiesen und bedürfen der Erneuerung. Dadurch werden sie auch krisenanfällig, weil sich Freunde möglicherweise nach verschiedenen Richtungen entwickeln können.

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Freundschaften ereignen sich in einem Prozess des Nehmens und Gebens. Wenn nur noch einer der Gebende ist, erschlafft die Beziehung und wird müde.

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Die Sehnsucht nach einer idealen Freundschaft hilft uns nicht weiter, wenn wir nicht selbst auf die Suche gehen nach Menschen, mit denen wir eine Gemeinsamkeit spüren.

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Eine Freundschaft muss nicht immer harmonisch sein: Auch Spannungen gehören zu unserem Leben und können eine Anziehungskraft entwickeln, die uns zusammenführt.

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Freundschaften müssen nicht ewig dauern, aber sie sollten Folgen haben.

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Hat nicht jeder meiner Freunde, jede meiner Freundinnen ein sehr eigenes Gesicht? Einer lacht mir entgegen und erinnert mich an heitere Stunden. Ein anderer ist mir durch seine blitzende Intelligenz unvergesslich, aber auch durch seine bohrenden Fragen. Ein dritter ist mir gleichsam noch im Ohr durch seine singende Stimme und seine Sprache voller Poesie. Wie gut, dass ich nicht nur einen Freund hatte und dass jeder und jede unverwechselbar war.

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Matthias Claudius schreibt: „Hat Dein Freund an sich, das nicht taugt; so musst Du ihm das nicht verhalten und es nicht entschuldigen gegen ihn. Aber gegen den dritten Mann musst Du es verhalten und entschuldigen. Mache nicht schnell jemand zu Deinem Freund, ist er’s aber einmal, so muss er’s gegen den dritten Mann mit allen seine Fehlern sein.“ Ein anspruchsvolles, aber ehrliches Programm.

Über sein kleines Ich hinausgehen

„Wahrscheinlich ist der Mensch das einzige Geschöpf der Erde, das den Willen hat, in ein anderes hineinzuschauen. Aus dieser Gabe steigt ja auch die Barmherzigkeit empor, sie, die mehr bedenkt als das bloße Mitleid und uns über unser Selbst hinausweist“, so habe ich es bei Hans Carossa gelesen. Und wenn diese Gabe zu den wesentlichen Talenten des Menschen gehört, nicht im Schneckenhaus der Selbstverschränkung steckenzubleiben, sondern sich zu übersteigen, dann ist die Freundschaft der Königsweg dieses Reifungsprozesses. Bin ich nicht immer auf ein Gegenüber angewiesen, auf einen Menschen, der mich aufweckt und die schlafenden Kräfte in mir wahrnimmt und sie fördert?

Es ist ja so viel Blindheit in uns, und es scheint, dass wir uns selbst nicht aus dieser Gebundenheit befreien können. Es muss jemand kommen und den Versuch machen, in uns hineinzuschauen. Aber es muss ein Freund sein, der versucht, dem Freund beizustehen und ihm zu einer tieferen Schau der eigenen Wirklichkeit zu verhelfen. In Goethes „Wahlverwandtschaften“ gibt es den aufschlussreichen Satz: „Das Leben war ihnen ein Rätsel, dessen Auflösung sie nur miteinander fanden.“ Vielleicht hat Bettine Brentano diesen Satz absichtlich aufgegriffen, als sie an Goethe schrieb: „Jeder Mensch ist ein solches Rätsel, dass es die Aufgabe der Liebe ist zwischen Freunden, das Rätsel aufzulösen; so dass ein jeder seine tiefe Natur durch und im Freund kennenlerne.“

Freundschaften fallen nicht vom Himmel, sie werden uns angeboten, es ergeben sich Möglichkeiten, es deutet sich etwas an, aber wir selbst müssen die Chance erkennen und müssen zum rechten Zeitpunkt das Richtige tun. Jede Freundschaft ist riskant, sie muss gewagt werden, aber dann bedarf sie der Pflege. Sie mag zunächst ein kleines Pflänzchen sein, ein fragiles Gebilde, wenn wir sie aber ernst nehmen, dann kann sie stabil werden und Dauerhaftigkeit entwickeln.

Man könnte heute den Eindruck gewinnen, dass manche Zeitgenossen Freundschaften sammeln wie andere Leute Briefmarken. Sollen sie wie gesammelte Trophäen Eindruck machen und die eigene Bedeutung herausstreichen? Wir brauchen zwar eine Freundschaftskultur, aber eine Freundschaftsplantage wäre der falsche Weg.

Friedrich Hebbel behauptet: „Wer mehr als einen Freund verlangt, verdient keinen.“ Dem kann ich nicht beistimmen, weil jeder Mensch eine Vielfalt in sich enthält, die auch zu einer Vielzahl von Freunden führen mag. Hat nicht jeder seine private Landkarte, in der seine Freunde eingetragen sind? Der Name einer Stadt oder eines Landes können uns ganz unbeteiligt lassen, wenn aber einer unserer Freunde dort wohnt, dann ändert sich alles, weil plötzlich ein Gesicht auftaucht, ein Stimme hörbar wird oder ein Lachen. Auf wunderbare Weise hat Goethe diesen Gedanken auf den Punkt gebracht:

„Die Welt ist leer, wenn man nur Berge, Flüsse und Städte darin entdeckt; aber hie und da jemand zu wissen, der mit uns übereinstimmt, mit dem wir stillschweigend übereinstimmen, das macht uns dieses Erdenrund erst zu einem bewohnten Garten.“

Keiner von uns braucht die Freundschaft neu zu erfinden, als Möglichkeit ist sie immer da. Und wer sie einmal erfahren hat, der behält einen Hunger nach ihr, er merkt, dass er sie braucht und immer wieder nötig hat. Verwundern wir uns nicht manchmal selbst über unser Verhalten, dass wir gleichsam aufblühen, wenn wir mit unseren Freunden zusammen sind und wir von einem anderen Lebensgefühl erfasst werden. Es ist eine veränderte Atmosphäre entstanden, eine Lust kommt herauf, etwas zu tun, eine Aufgabe anzupacken oder einfach die Gemeinsamkeit zu genießen und zu feiern.

Vielleicht ist unsere Gegenwart aber auch so anders geworden, dass wir die Bedeutung und den „Stellenwert“ der Freundschaft für uns heute neu bestimmen müssen. – Wir sind zwar alle mehr oder weniger gut „vernetzt“, sind immer und überall „abrufbar“ und zu erreichen, aber die meisten dieser Querverbindungen haben formalen Charakter und gehen nicht wirklich in die Tiefe. Müssen wir nicht eine zunehmende seelische Vereinsamung feststellen, meist bleibt alles bei einer oberflächlichen Kontaktaufnahme, die uns unbefriedigt lässt und auf die Dauer langweilig erscheint. Lassen wir uns auf die heimlichen Sehnsüchte und Wünsche ein, die in uns aufsteigen, dann müssen wir zugeben: Wir brauchen eine liebende Einbindung in einen Kreis von Menschen, die wir hochschätzen und denen wir uns anvertrauen können, die zu uns stehen und die auch bereit sind, eine Weile uns zu tragen und zu ertragen, wenn wir eine Krisenzeit durchmachen.

Freundschaften, die den Namen verdienen, entstehen nicht „einfach so“. Es gehört Mut dazu, sich auf einen oder mehrere andere wirklich einzulassen. Wir sollen ja auch anspruchsvoll sein, Freundschaften können sogar anstrengend werden, wenn sie uns herausfordern und uns verändern. Vor allem aber können sie uns unendlich bereichern und beglücken, weil Freunde dazu beitragen, dass uns neue Augen geschenkt werden und wir auch die eigene Wirklichkeit besser entdecken.

Wenn aber die Freundschaft eine so bedeutsame Stelle in unserem Leben einnimmt, wenn wir ein „Organ“ der Freundschaft entwickeln müssen, eine besondere Sensibilität, damit wir die rechten Freunde finden, und ein Talent, eine Freundschaft am Leben zu halten, dann ist es naheliegend, auch nach einer „Kultur der Freundschaft“ zu fragen. – Natürlich: nicht jedes freundschaftliche Treffen ist auf Dauer aus: Man kann sich auch auf einer langdauernden Zugreise mit anderen Passagieren hervorragend verstehen, ohne dass daraus eine Freundschaft fürs Leben entsteht. Ein sportliches Engagement oder eine gemeinsame Wanderung wecken Sympathien und ein besonderes Wohlwollen, und trotzdem verweht eine solche Begegnung vielleicht schnell wieder. Aber dann ereignet sich gleichsam schicksalhaft ein Zusammentreffen, das eine andere Qualität hat und uns aus der üblichen Begegnungsform herausholt. Ich werde gewissermaßen „namentlich“ gemeint und muss mich als Person stellen, muss eintreten in eine Zuordnung, die mich im Kern trifft. Vielleicht wird mir erst im Nachhinein klar, welche Bedeutung dieses Zusammentreffen für mein Leben hat, und es mag sein, dass mir dieses „Datum“ später als Wendepunkt meiner Existenz in Erinnerung bleibt. Jetzt erst wird es ernst!

Wir wissen es natürlich: Freundschaften können eine völlig unterschiedliche Qualität bekommen. Manche begleiten uns das ganze Leben, andere haben nur für eine bestimmte Lebensphase ihre Bedeutung.

Ist die eine Freundschaft angestoßen worden durch die Verbundenheit mit einem Interessengebiet oder einem Aufgabenfeld, so mag eine andere einfach durch das persönliche Angezogensein und die Zuneigung bestimmt sein. Während die freundschaftliche Verbundenheit zweier Menschen als „klassische Form“ einer Freundschaft angesehen werden mag, so steht daneben der Freundeskreis, der eine Gruppe von Mensehen verbindet. Wir wollen in diesem Buch der Frage nachgehen, ob es nicht auch eine religiöse Dimension der Freundschaft gibt. Heißt es ja schon in der griechischen Antike: „Gott macht Menschen zu Freunden, indem er sie einander zuführt und sie miteinander bekannt macht.“ Und Jesus wollte seine Jünger nicht als Knechte und Untertanen haben, deshalb hat er sie Freunde genannt. – So öffnet sich uns ein weites Feld menschlicher Verwirklichung, veranschaulicht durch die Freundschaft als eine Grundform humaner Gestaltwerdung.

„Jemanden zu wissen, mit dem wir im Innersten übereinstimmen“

„Die Freundschaft ist nicht nur die treueste Beförderin, sondern auch Stifterin von Lebenslust sowohl für unsere Freunde als für uns selbst. Und diese Lebenslust genießt man nicht bloß in der Gegenwart, sondern man wird durch sie auch zur Hoffnung auf weitere in der nächsten und späteren Zukunft aufgerichtet“, so überliefert Cicero die Auffassung Epikurs über die Freundschaft. – Das Verlangen nach einem freundschaftlichen Beistand, einem Bruder oder einer Schwester im Geiste, scheint zu den Ursehnsüchten des Menschen zu gehören. Wir sind als soziale Wesen geschaffen, brauchen einander, aber es genügt uns nicht, nur im beziehungslosen Nebeneinander zu existieren. Wir wollen auch stärkere Bindungen eingehen, uns aufeinander verlassen können und andere Menschen so an uns binden, dass sie uns emotional nahestehen und wir beinahe eine Einheit bilden.

Das Lob der Freundschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die Literatur der verschiedenen Jahrhunderte. Das kann man verfolgen von der Freundschaft des Gilgamesch zu Enkidu über die großen Gestalten der griechischen Antike, die Helden Homers bis zu der bewegenden Freundschaft Davids zu Jonathan in der Bibel und bis in die heutigen Tage.

Es verwundert nicht bei der Wichtigkeit dieses Phänomens, dass schon früh auch die Philosophen sich mit dem Geheimnis der Freundschaft beschäftigt haben. Im platonischen Dialog „Lysis“ gibt es eine köstliche Stelle, da heißt es: „Von Kind auf wünsche ich mir ein gewisses Besitztum, so wie der eine dieses, der andere etwas ganz anderes sich wünscht. Der eine hat Sehnsucht, Pferde zu besitzen, der andere möchte gern Hunde haben, der Dritte sehnt sich nach Gold, der Vierte nach Ehrenstellen. Ich aber bin gegenüber solchen Dingen ganz gleichgültig, dagegen bin ich voller Sehnsucht, Freunde zu haben; die möchte ich lieber als die beste Wachtel oder den besten Hahn von der Welt, ja wahrhaftig, beim Zeus, lieber als Pferd und Hund! Und ich glaube, beim Hunde, lieber als das Gold des Dareios wäre es mir, wenn ich einen befreundeten Kameraden besitzen könnte.“ Für Aristoteles, den Systematiker, ist es wichtig, dass „ohne Freunde niemand leben möchte“, er glaubt, im Menschen sei ein Naturtrieb wirksam, weil ein Zusammengehörigkeitsgefühl in ihm vorhanden ist und weil er vor allem in der Not eine Zuflucht und eine Hilfe erhofft. Wenn in einer Bürgergemeinschaft das gegenseitige Wohlwollen vorhanden ist und die Menschen sich gegenseitig das Gute wünschen, dann braucht man keine große Sorge um den Rechtsschutz zu haben. Das Zusammenleben der Menschen ist auf die Dauer nur möglich, wenn sie sich „aneinander freuen und einander Dinge von Wert verschaffen.“ Allerdings müssen sich die Partner angenehm sein und am Gleichen Freude haben. Aristoteles denkt auch über die Frage nach, wie sich Liebe und Freundschaft unterscheiden. Seiner Meinung nach ist „Liebe ein leidenschaftliches Gefühl, Freundschaft dagegen eine Grundhaltung des Charakters.“ Für ihn ist es aber auch von Bedeutung, dass ein sittlich hochstehender Mensch jemanden haben möchte, „dem er wohltun kann. Niemand wird es vorziehen, allein für sich alle denkbaren Güter zu besitzen. Denn der Mensch ist für die Gemeinschaft der Polis und von Natur für das Zusammenleben bestimmt.“ Aristoteles gibt zu: „Solche Freundschaft ist natürlich selten, denn Menschen dieser Art gibt es nur wenige. Ferner braucht sie auch Zeit und gegenseitiges Vertraut-Werden. Denn, wie das Sprichwort sagt, lernt man sich erst kennen, wenn man den bekannten ,Scheffel Salz‘ miteinander gegessen hat.“ Er hält auch nichts davon, möglichst viele Freunde zu haben, „sondern nur so viele, als für das gemeinsame Leben ausreichen … Man muß sich damit bescheiden, auch nur einen kleinen Kreis solcher Freunde zu finden.“

Nach dieser Wegweisung haben sich die nachdenklichen Menschen lange orientiert. Cicero hat in seiner Schrift „Laelius“ keine grundsätzlich anderen Akzente gesetzt. Bei ihm heißt es: „Das ganze Wesen der Freundschaft liegt in der vollkommenen Übereinstimmung in Entschlüssen, Neigungen und Meinungen.“ Interessant ist, dass er die Freundschaft und die verwandtschaftlichen Beziehungen deutlich unterscheidet: „Aus der Verwandtschaft kann das Wohlwollen weggenommen werden, aus der Freundschaft aber nicht.“ Und er weist auch darauf hin, dass ein Mensch zunächst in sich stehen muss, damit er auch die Voraussetzungen für die Freundschaft mitbringt: „Je mehr Zutrauen einer zu sich hat, je besser er durch männlich-starken Sinn und Weisheit so gesichert ist, dass er keines anderen bedarf und ganz in sich selbst zu ruhen glaubt, desto mehr zeichnet er sich durch Suche und Pflege von Freundschaften aus.“ Auch er fordert dazu auf, sorgsam darauf zu achten, die rechten Freunde zu gewinnen. „Nichts ist hässlicher, als mit dem zu kriegen, mit dem man vertraut gelebt hat … Man beginne nicht allzu schnell und nicht Unwürdige zu lieben.“ Und sehr schön deutet er die seelische Verbundenheit von Freunden an, die dazu führt, dass man gemeinsame Erfahrungen machen möchte oder jedenfalls von den großen Erlebnissen erzählen möchte: „Wenn einer in den Himmel hinaufstiege und die Natur der Welt und die Schönheit der Gestirne erschaute, so wäre doch der wundersame Anblick ohne Reiz für ihn, es wäre ihm aber höchst erfreulich, wenn er einen hätte, dem er davon erzählen könnte.“