Der polnische Bettler

Inhaltsverzeichnis

In Breslau vor dem Dome stand einst ein Bettelmann
In grauem, leinenem Kittel, mit vielen Lappen d'ran.
Die Rechte hielt ein Söckchen, die Linke den Knotenstab,
Das weiße Haar hing zottig ihm über die Stirn hinab,
Und traurig sah'n die Augen in's Gotteshaus hinein,
Er legte Stock und Ranzen bedenklich auf einen Stein
Und wischte mit schmutzigem Aermel sich ab der Thränen Thau;
O heilige Mutter Gottes, du braune von Czenstochau!
Hier steh' ich in fremden Landen, ein elender armer Wicht,
Und wenn ich polnisch bitte, verstehn mich die Leute nicht,
Und wenn ich polnisch bete, hier hören die Heiligen nicht,
Du braune Mutter der Polen, hilf deinem armen Sohn,
Du liebe heilige Mutter, ich zittre vor Hunger schon! —

Da kommt ein Fremder! — Gebt mir, o gebt mir, Gottes Lohn!
Der giebt nichts, heilige Mutter. — Einst hatt' ich ein schönes Kleid
Von Tuch mit grünen Schnüren, das war bequem und weit;
Ein Haus von Balken gezimmert, mit neuem Stroh gedeckt,
Ein Rößlein in dem Stalle fast unter der Streu versteckt,
Sechs Hähne auf dem Hofe, die haben mich früh geweckt,
Und in der Kammer ein Bette, dort schlief ich ruhig ein;

Jetzt schlaf ich auf den Steiyen, jetzt weckt mich der Wächter Schrei'n.
Es war an kaltem Morgen, da jagten Kosacken vor's Haus;
Heraus du Landesverräther, du polnischer Hund heraus'.
Sie rissen mich zu Boden und spieen mir in den Bart,
Und hieben mich mit Säbeln nach ihrer groben Art,
Bewarfen das Haus mit Flammen, als wär' es eine Hex',
Und brieten mir die Hähne beim Feuer alle sechs,
Und warfen mich mit den Knöchlein und rissen mich am Ohr.
Ich lag auf kaltem Eise voll Blut und Wunden und fror.
Sie nahmen dem weißen Zaare mein warmes Bette mit,
Und meinen Rock mit Schnüren, das Roß, worauf ich ritt.
Ach Mutter, der große Kaiser muß viele Röcke tragen,
Denn seine Kosacken haben so viele Leute geschlagen.
Am Abend war die Hütte zu Boden gebrannt und gebrochen,
Da zogen die Herren von bannen, da bin ich herzu gekrochen,
Und hab' mit schlotternden Beinen mich in den Schutt gedrückt,
Und habe, du braune Mutter, vor dir mich zur Erde gebückt;
Und hab' dir Alles verziehen, die Schläge, das Rauben, den Brand,
Und hab' nur eins gebeten, nur Rettung dem Vaterland.

— 'S kommt wieder Einer. Gebt mir, o gebt mir, habt Erbarmen!
Die allerkleinste Gabe, ach helft dem polnischen Armen!
Er hat mir nichts gegeben. — Einst halt' ich ein treues Weib,
Die ist im Elend gestorben; ihr kranker schwacher Leib
Liegt unter grünem Rasen, ihr treues Herz dabei,
Das ist vor Gram gebrochen. Sie lag der Tage drei,
Als grade die Schlehen blühten, still unter einem Strauch.
Zwei Tage hat sie geweinet und ich, ich weinte auch,
Am dritten Morgen aber, da klagt' und weinte sie nicht,
Sie faßte mich bei den Haaren und zog mich an's Gesicht,
Und sah mich lange grausig und sehr bekümmert an
Und starb, — ich saß verlassen, ein alter Bettelmann.
Du braune Mutter der Polen, hilf deinem armen Sohn,
Du heilige Mutter Gottes, ich zittre vor Hunger schon.

— Da kommt ja Einer. Gebt mir, o gebt mir, helft dem Armen!
Auch dieser giebt nicht, Mutter, sie haben ja kein Erbarmen,
Du liebe heilige Mutter! — Einst hart' ich einen Knaben,
Gekräuselt war sein Schnurrbart und schwarz wie Federn der Raben,
Und wenn ihm die Augen glänzten, da war's wie Sonnenlicht,
Wie Rosen und Schnee zusammen, so war sein Angesicht.
Der trat am frühen Morgen an meines Bettes Breite,
Die Sense auf der Schulter, den Kober an der Seite;
Er küßte mir das Hemde und sagte: „leg' die Hand
„Auf meinen Kopf, ich gehe zu mähen in das Land!
„Es wuchert auf unserm Boden Unkraut so dick und lang,
„Heut fliegen die Raben; heute beginnt der Schnittergang.
Ich hielt ihn fest umschlossen, unheimlich war mir und bang'.
Er sprang mit schnellen Schritten zum hohen Thor hinaus,
Die Sens' auf seinem Rücken, als zög' er zum Erndteschmaus.
Ich stieg im Hemd' auf die Leiter, sah über's Thor ihm nach
Und streckte meine Arme zum Segen aus und sprach:

Du liebe, heilige Mutter, o nimm ihn in deine Hut!
Und sieh', das Haft du vergessen, das war nicht ehrlich und gut,
Er liegt von Pferden zertreten, zertreten in polnischem Sand,
Sein Vater steht und zittert vor Hunger in fremdem Land.

Sieh', wieder ein Fremder. Gebt mir, o gebt mir, helft dem Armen!
Ach, Alle schreiten vorüber und keiner hat Erbarmen.
So gehts nicht, heilige Mutter, du willst mich nicht verstehn,
Ich soll dich stärker bitten, ich will dir näher gehn. —
Er fuhr sich über die Augen und schlich zur Kirche hinein.
Da prangten die heiligen Bilder gar stolz im Kerzenschein;
Der Bettler drehte die Mütze mit seiner zitternden Hand
Und schlich von Pfeiler zu Pfeiler und schaute von Wand zu Wand,
Sah mancher Mutter Gottes verwundert in's Gesicht,
Die braune Mutter der Polen, die sah er nirgend nicht.
Da setzt' er sich zur Erde und weinte bitterlich:
Mit Knöchlein von meinen Hähnen, da hat man geworfen mich,
Mein Weib ist mir gestorben, mein Haus ist abgebrannt,
Mein Knabe liegt zertreten, zertreten das Vaterland,
Auch kann die heilige Mutter mir nicht erbetteln das Brod,
Die braune Mutter der Polen ist auch gestorben und todt.

Der Abend kam; da küßte der letzten Thräne Thau
Aus seinen geschlossenen Augen die Mutter von Czenstochau. —

Die Krone

Inhaltsverzeichnis

(Indisch)

Der König Nadir saß gedankenvoll
Auf seinem Stuhl im Abendsonnenschein;
Mit Federn spielend, jauchzte wild und toll
Im weiten Blumenfelde Prinz Hussein;
Und zu des Königs Füßen lag im Klee
Der Krone goldner, steingeschmückter Ring.
Der Kleine blies die Feder, weiß wie Schnee
In hohe Lüfte, lief als Schmetterling
Ihr über Blumen, Busch und Steine nach;
Und war der Wind des Federtreibens satt,
Bauscht eifrig er die Bäckchen auf und jach
Trieb er den Flaum auf's Neue von der Statt.
Doch endlich fiel die Flocke niederwärts
Und hing als Fahne an der Krone Knauf;
Da griff der Prinz die Krone, setzt' im Scherz
Sie eilig seinen Rahenlocken auf,
Und riß sie wieder ab und klagte laut:'
Die Krone drückt mich, Herr, wie ist so schwer
Das Gold, und brennend, starr und böse schaut
Der Diamanten und Rubine Heer
Wie Augen aus des Feindes Angesicht.
Da faßt der König seines Sohnes Hand
Und zieht ihn leise zu sich hin und spricht:
Will Hussein hören, ruhig, mit Verstand?
„Dein Hussein will." So hör' und lerne d'ran:
Ein guter König saß auf goldnem Thron,
Das Haupt, das graue, vorgebeugt, und sann
Gewicht'ge Dinge, als die Sterne schon
Zur Erde sahen; freundlich glitt ihr Glanz
Vom weißen Barte nach des Königs Schooß;
Darinnen lag der Krone goldner Kranz,
Die Hände d'rüber. Sanft und kummerlos
Schlief jeder Diener, nur der König nicht.
Und an der Thüre stand im Schuppenkleide
Ein Wächterpaar, zum Speere das Gesicht
Geneigt, und ihren Herrn beschauten Beide.

Da hob sich plötzlich Lärm und Waffenklang.
„Flieh', alter König, durch die Pforte drang
Ein Mörderhaufe, brüllt den Leichensang
Und wälzt sich heulend schon im letzten Gang."
Bleich saß der König, still im Sternenschein,
Allein, verlassen, hoch das graue Haupt. —
„Verlassen, sagst du?" rief erzürnt Hussein,
„Wo sind die beiden Wächter? Ha, entlaubt
„Sei euer Stamm, Fluch eurem Haupt, ihr Hunde;
„Euch, feile Buben, war zu sterben Pflicht!" —
Sie sterben auch. Sie schlagen manche Wunde,
Da bricht der Speer, der Sehnen Kraft zerbricht;
Der Erste wankt und mit des Tigers Schnelle
Durchkrallt im Todeskampf er noch die Haare
Von zwei Verräthern, reißt sie auf die Schwelle,
Fällt nieder, röchelt: Statt der Leichenbahre
Sollt ihr mir dienen, meinem Herrn als Wälle;
Und stirbt. — Der zweite steht dahinter, braucht
Als Schild die Arme und als Schwert die Hand;
Auch er ist todtgetroffen und es raucht
Vom heißen Blute Boden schon und Wand;
Da stürzt er rückwärts, faßt mit letzter Kraft
Den Arm des Thrones, wirft sich drüber lang,
Schlingt beide Hände um der Lehne Schaft
Und deckt als Brustwehr seinen Herrn. Es sprang
Die Schaar der Hunde heulend auf ihn ein
Und bohrte Löcher in den Königsschild.
Der Wächter stöhnte: Gott im Sternenschein,
Der Schild ist aufgehauen, Blut entquillt
Dem Mund, o donnre! — Und ein Keulenschlag
Zerbricht das Haupt, die rothen Funken springen
Zum Schooß des Königs, wo die Krone lag,
Und brennen dort sich ein. Die Mörder dringen
Mit wildem Jauchzen auf den Alten ein;

Schon zuckt die Klinge, die sein Leben raubt.
Bleich sitzt der König, still im Sternenschein,
Wein, verlassen, hoch das graue Haupt.
Da kracht die Erde, kracht des Himmels Rund, —
Die Götter hörten, was der Todte rief, —
Und Flammen zucken und ein weiter Schlund
Gähnt dicht am Throne, hungrig, schwarz und tief.
Geheul und Donner, Stille d'rauf und Schweigen.

Der greise König steht im Saal allein,
Den Reif in Händen und die Lippen neigen
Sich betend d'rüber und in's Blut hinein
Rinnt Thrän' um Thräne. Und die stille Nacht
Durchdringt der Ruf: Jetzt, König, zahlst du gut.
Das ist Gesetz der großen Himmelsmacht:
Die Königsthräne für des Volkes Blut'.
Setz' auf die Krone, Blut und Thränen hangen
Hinfort als Steine d'ran mit hellem Licht,
Und wehe, wenn sie dir die Augen sengen!
Denn wisse, gegenseitig ist die Pflicht:
Des Königs Thräne für des Volkes Blut,
Für Volkes Thränen zahlt des Königs — Glut
Durchfuhr den Himmel, Donner rollte d'rein.

Schach Nadir schwieg und Hussein legte bebend
Das goldne Kleinod in den Klee hinein,
Und sprach sich aus des Vaters Schooß erhebend:
O groß und schmerzvoll ist's ein König sein!

Des Burschen Ende - I.

Inhaltsverzeichnis

Das Testament.

Im Garten „zum grauen Bären" lag früh im Sonnenschein
Ein bleicher, blutender Knabe auf breitem Rasenrain.
Das Gras war niedergetreten und drin ein Purpursee,
Und von den blühenden Bäumen fiel langsam der Blätterschnee
Hinein in die blutige Lache. Des Wunden lockiges Haar
Umrollte wie schwarze Schlangen die grüne Leichenbahr',
Die treuen Gesellen knieten verzweifelnd auf dem Grund,
Und wimmernd saß ihm zu Füßen der schwarze Pudelhund.
Der Bursche hob die Augen und sah der Freunde Bemüh'n,
Die blutigen Schläger am Boden, der Morgensonne Glüh'n,
Und leise sprach er und fröstelnd: was starrt ihr so grausig von fern?
Der Schlag war gut und ehrlich, er traf in des Lebens Kern.
Still, still die Thränen und Klagen, ich fechte den letzten Strauß
Mit Gottes Pedell, dem Tode, in trotzigem Muthe aus;
Ich fühle, wie das Herzblut in meine Binden rennt,
D'rum hebt mich vom Boden und höret des Burschen Testament.

Im Dorfe hinter den Linden da steht ein hölzernes Haus,
Dort schaut die alte Mutter zum kleinen Fenster hinaus,
Und hört sie des Wand'rers Schritte, verklärt sich ihr altes Gesicht,
Gott schütze dich arme Mutter, den Heinz ersiehst du nicht,
Der geht die andere Straße! Gott schütz' und tröste dich sehr,
Dir bleibt nur der Vater im Himmel, auf Erden Niemand mehr.
Als ich zur Burschenreise den Knotenstock mir schnitt,
Ein weicher, träumender Bube, kam Mutter mit wankendem Schritt,
Erfaßte das Holz des Astes mit ihrer alten Hand
Und lehnte sich bekümmert an unsre Gartenwand.
Sie sprach: Dich wird er stützen, wo bleibt der Mutter Stab?
Tragt meiner Mutter den Kreuzdorn in ihre Hütte hinab,
Er ist die einzige Stütze, die ihr geblieben ist.
Erzählt ihr freundlich und schonend, was ihr vom Sohne wißt
Und sagt ihr, daß ich sie immer tief mitten im Herzen getragen
Und sagt ihr, sie soll nicht fluchen, daß ihr der Sohn erschlagen.
Und schwächer sprach er weiter: ich habe nach Burschenbrauch
An Mädchen und Blumen gehangen, ein weißer Rosenstrauch,
Die schönste Blüthe von allen, steht einsam in meinen Wänden,
Ich Hab' ihn gepflegt und gezogen mit meinen eigenen Händen
Und Hab' ihn in's Licht getragen und jeden Morgen begossen,
Er hat nur eine Knospe, ist noch zur Hälfte geschlossen.
Ich dachte die Rose zu winden in meines Liebchens Haar,
Sie soll mir nicht verwelken an meiner Leichenbahr'.
Tragt meinem Lieb die Rose bei stiller Mitternacht
Und stellt sie heimlich an's Fenster, damit es nicht erwacht,
Es soll ihm die weiße Rose erst morgen die Botschaft sagen
Und nichts den Schlummer stören. Sie wird in den nächsten Tagen
Nur schwerlich ruhen und schlafen; ich schlafe derweilen im Moose.
Der Herr erbarme sich deiner, du weiße, gebrochene Rose!

Und schneller sprach er weiter: Jetzt ist das Schwerste vorbei.
Jetzt sieht die Seele vorwärts, so leicht wie ein Vogel und frei.