Vorwort

In Finanzfragen wird mehr schlecht als recht beraten: Die Kunden von Banken, Versicherungsunternehmen oder anderen Finanzdienstleistern in Deutschland werden seit vielen Jahren auf unterschiedliche Weise abkassiert. Die maßlose Gewinnmaximierung von Finanzinstituten weltweit ohne Rücksicht auf Risiken hat im Oktober 2008 fast zum Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte geführt. Die Folge war eine Finanzmarktkrise, deren langfristige Auswirkungen heute noch nicht abzusehen sind. Kapitalanleger und Vorsorgesparer mussten erfahren, dass ihr angeblich sicher angelegtes Geld zum Spielball von Finanzjongleuren geworden war. Kein Wunder also, dass die Beziehung zwischen Kunden und Finanzdienstleistern in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt wurde. Möglich war eine solche Entwicklung in Deutschland vor allem deshalb, weil Verbraucherschutz im Finanzsektor von jeher eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Folgen dieser mangelnden Rechtssicherheit bekommen meine Kollegen und ich täglich in unserer Kanzlei zu spüren: finanzielle Existenzsorgen und damit verbundene Ängste und Ohnmachtsgefühle der Geschädigten gegenüber der mächtigen Finanzwirtschaft. Für die Betroffenen ist es unfassbar, dass unter staatlicher Aufsicht stehende Finanzinstitute derart rücksichtslos agieren konnten und können, und dies nur, weil Falschberatung für die Finanzvermittler weitestgehend ohne rechtliche Konsequenzen bleibt.

Die Lehren aus der Finanz- und Vertrauenskrise sind immer noch nicht gezogen worden: nicht von der Politik, den Aufsichtsbehörden und den Gerichten und am allerwenigsten von Banken, Versicherern oder anderen Finanzdienstleistern. Lippenbekenntnisse allein schaffen kein neues Vertrauen. Es müssen sinnvolle Taten folgen. Die Politik hat zwar begonnen, neue Rahmenbedingungen für einen wirksameren Verbraucherschutz im Finanzsektor zu schaffen, aber dies ist nur ein bescheidener Anfang. Die Liste der Aufgaben ist lang:

Finanzaufsicht

Die Finanzaufsicht hat bisher versagt. Sie hat die Verbraucher vor Risiken nicht gewarnt. Die jüngsten Erfahrungen (Prokon, S&K, Infinus, Wölbern Invest etc.) zeigen, dass die BaFin keine effiziente Aufsicht im Sinne des Anlegerschutzes gewährleistet. Den Beweis liefert auch dieses Buch, etwa in Kapitel 6 (S. 107). Die Autoren zeigen eindrucksvoll, dass die Aufseher trotz Kenntnis von Verstößen nicht eingeschritten sind, um die Vernichtung von Anlegergeldern zu verhindern. Eine funktionierende Finanzaufsicht sorgt dafür, dass »schwarze Schafe« nicht nur ausfindig, sondern auch publik gemacht und in ihrem Handeln gestoppt werden. Die Aufsichtsbehörden müssen ihre traditionell nahezu ausschließliche Fixierung auf die Stabilität des Finanzsystems zugunsten des Verbraucherschutzes erweitern. Verbraucherschutz muss endlich als Aufsichtsziel in der Bankenaufsicht verankert werden. Auch sollten die Produkte des »grauen Kapitalmarkts« zwingend in die Regulierung und Aufsicht einbezogen werden.

Falschberatung

Solange Kunden den Finanzdienstleistern eine Falschberatung nachweisen müssen, herrscht vor Gericht keine Waffengleichheit. Solange es per Gesetz keine wirkliche Haftung für Falschberatung gibt, wird es für Finanzdienstleister auch nicht ausreichend Anreiz geben, ihre Beratung in erster Linie an den Bedürfnissen des Verbrauchers auszurichten. Wie wenig sich viele Berater an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, zeigen das erste und zweite Kapitel dieses Buches, S. 12-41. Hier berichten Finanzberater aus ihrem Alltag. Sie erklären sogar, wie sie Kunden gezielt unter Druck setzen, um für sie nachteilige Produkte abzuschließen. Nicht wenige Finanzberater leiden darunter, denn auch sie möchten ihr Geld nicht damit verdienen, ihre Kunden zu übervorteilen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dreistigkeit einiger Vertriebsmethoden kriminelle Züge angenommen hat. Deshalb brauchen wir im Anlagerecht klare Haftungsgrundlagen. Rückrufaktionen, wie sie im Automobilbereich bei Bedarf üblich sind, geben ein Beispiel für Handeln im Kundeninteresse. Ein vergleichbar klar geregeltes Haftungsrecht im Finanzbereich hätte im Falle der Lehman-Brothers-Zertifikate bereits die bankinternen Kontrollen eingreifen lassen. Deshalb fordern wir die Beweislastumkehr als Voraussetzung für eine bessere Beratungsqualität.

Justiz

Auch in der Rechtsprechung ist ein Umdenken erforderlich. Getäuschten Kapitalanlegern wurden in der Vergangenheit allzu oft Geldgier und Steuersparsucht unterstellt und es wurde zu sehr ihre Eigenverantwortung betont. Richter und Staatsanwälte sollten anerkennen, dass die entstandenen Schäden die Folgen einer provisionsorientierten Beratung sind. Die Aufgabe des Staates ist es, die Justiz personell so auszustatten, dass sich Richter für die Beurteilung von Einzelfällen die erforderliche Zeit nehmen können und durch qualifizierte Finanzexperten unterstützt werden.

Dokumentationspflicht

Es reicht nicht aus, die Dokumentationspflicht allein quantitativ zu erweitern. Dabei besteht die Gefahr, dass die Verbraucher mit Informationen überfrachtet werden. Die Praxis zeigt sogar, dass Finanzdienstleister diese Pflicht missbrauchen, indem sie sich unter Hinweis auf die formelle Dokumentation jeglicher inhaltlichen Haftung entziehen. Um eine qualitative Verbesserung zu erreichen, müssen die Vorschriften zur Dokumentation präzisiert und vereinheitlicht werden.

Qualifikation der Berater

Trotz Milliardenverlusten durch Falschberatung ist die fachgerechte Ausbildung von Finanzberatern immer noch nicht gesetzlich geregelt. Freie Finanzberater benötigen weder einen Schulabschluss noch eine berufliche Qualifikation, geschweige denn eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung. Wir brauchen ein Berufsbild mit Mindestqualifikationen für Finanzberater. Doch auch die beste Ausbildung führt nicht zwangsläufig zu einer guten Beratungsleistung, wenn der Berater unter Verkaufsdruck steht und vom Provisionsinteresse gesteuert wird. Das zeigt die Praxis in Banken mit qualifiziert ausgebildeten Kundenbetreuern. Der Starverkäufer ist kein guter Berater. Deshalb ist eine Abkehr vom Provisionssystem unabdingbar.

Finanzwirtschaft

Immer noch wehren sich Finanzdienstleister gegen die Einführung eines wirksamen Verbraucherschutzes in ihrem Bereich. Dabei gibt es unter der Voraussetzung seriösen Handelns keinen Grund, Produkt- und Beratungstransparenz zu fürchten. Auch könnte durch das Eingeständnis der für die Krise mitverantwortlichen Branche, Fehler gemacht zu haben, und durch die Bereitschaft, dafür die Verantwortung zu übernehmen, verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Immerhin hat fast die gesamte Finanzbranche den Gesellschaftsvertrag gebrochen, der auf dem ethischen Grundsatz beruht, dass Banken und Versicherer das Geld der Bürger verwalten und damit Gewinne machen dürfen, im Gegenzug aber Regeln einhalten müssen, damit das eingebrachte Geld gesichert wird. Finanzunternehmen, die weiterhin Umsatzziele von 20 bis 30 Prozent erreichen wollen, müssten zumindest klarstellen, dass dies nur unter der Inkaufnahme großer Risiken für das eigene Unternehmen oder für die Kunden möglich ist. Aber nach wie vor werden risikoreiche Finanzprodukte unter dem Deckmantel angeblich sicherer Kapitalanlagen verkauft, ohne dem Kunden die Vertragsfolgen verständlich offenzulegen. Banken und Versicherer müssen entscheiden, ob sie (wieder) Treuhänder für fremdes Geld sein oder Abkassierer bleiben wollen. Das in hohem Maße verspielte Vertrauen werden sie nur zurückgewinnen, wenn sie einen Rollenwechsel in ihrer Beziehung zum Kunden vollziehen und ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ausüben. Dazu gehört unter anderem, dass die Finanzwirtschaft sich intensiv mit neuen Vergütungssystemen auseinandersetzt, die auch den Service am Kunden honorieren. Dies ist mit dem bisherigen Provisionssystem nicht erreichbar. Anbieterunabhängige Honorarberatung ist zwar mühsamer als das schnelle Provisionsgeschäft. Wer aber an einer langfristigen Kundenbeziehung interessiert ist, wird seinen Fokus auf faire, produktoffene Beratung legen, verantwortungsvoll Kredite vergeben und diese nicht leichtfertig weiterverkaufen. Auch auf diese Weise lässt sich Geld verdienen, vielleicht nicht so viel, dafür aber dauerhaft.

Die Banken selbst sollten sich wieder auf ihre originäre volkswirtschaftliche Aufgabe zurückbesinnen: für einen reibungslosen Zahlungsverkehr zu sorgen und der Wirtschaft und den Bürgern Kredite zu geben, um so Produktion, Beschäftigung und Vermögensvorsorge zu ermöglichen. Damit leisten sie einen volkswirtschaftlichen Mehrwert.

Verbraucher

Die Unübersichtlichkeit des Marktangebots hat in den vergangenen Jahrzehnten so stark zugenommen, dass für die Verbraucher eine angemessene Orientierung bei Finanzprodukten nahezu unmöglich geworden ist. Solange bei Finanzgeschäften keine umfassende Transparenz herrscht, die es Verbrauchern überhaupt erst ermöglicht, eventuelle Fallen zu erkennen, bleibt der mündige Verbraucher ein Wunschbild. Der Bedarf der Verbraucher an unabhängiger Beratung und an Orientierung ist in dem Maße gestiegen, wie Märkte liberalisiert wurden und die Eigenverantwortung der Verbraucher für die Abdeckung von Lebensrisiken von der Politik verlangt wurde. Dass mit dem Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge zugleich die Kapazitäten der unabhängigen Verbraucherberatung abgebaut wurden, ist ein politischer Fehler und bedeutet eine Benachteiligung der ohnehin schwächeren Vertragsseite der Verbraucher. Mehr Eigenverantwortung der Bürger im Bereich finanzwirtschaftlicher Entscheidungen ist nur bei entsprechendem Bildungs- und Informationsangebot möglich, das allein mit staatlich unterstützten Volkshochschulkursen nicht abzudecken ist. Von einer »aktiven Verbraucherpolitik«, die den Konsumenten als tragende Säule der Wirtschaft einbezieht, sind wir weit entfernt: Die Anbieterseite sieht im Verbraucherschutz unverändert einen Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit. Und die Politik hat es bisher nicht geschafft, aktive Verbraucherpolitik als Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik zur Belebung der Binnennachfrage und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland zu etablieren.

Krise als Chance

Die Finanz- und Weltwirtschaftskrise hat eine gesellschaftspolitische Dimension bekommen, die sich vor allem in verloren gegangenem Vertrauen bei den Bürgern niederschlägt. Die Vertrauenskrise kann nur überwunden werden, wenn die Bedürfnisse der Verbraucher in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Krise sollte als Chance verstanden werden, umfangreiche Veränderungen herbeizuführen: Der Gesetzgeber muss klare Rahmenbedingungen schaffen. Die Justiz muss bei Verstößen konsequent durchgreifen. Die Finanzwirtschaft muss ihre Kunden als langfristige Geschäftspartner begreifen und sie deswegen in deren Interesse beraten. Sie sollte ökonomisches Handeln und ethische Werte in Einklang bringen. Schließlich sollte der Verbraucher sich intensiver informieren und kritischer hinterfragen. Die Verbraucher müssen umdenken und bereit sein, für unabhängige Beratung ein Entgelt zu zahlen, damit nicht die Provisionshöhe der Berater die Produktwahl bestimmt. Alle Beteiligten würden von derartigen Veränderungen profitieren.

Ich wünsche eine spannende und lehrreiche Lektüre,

Ihr

Gerhart Baum

Bundesinnenminister a.D

1.5 Interview: »Heute ist Ihr Glückstag«

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Heiko Löschen ist Vermögensverwalter in Hamburg (www.heiko-loeschen.de)

Ein unabhängiger Vermögensverwalter erklärt auf Handelsblatt Online, wie Vertriebler zweifelhafte Produkte verkaufen, wann Anleger misstrauisch werden sollten und wie Graumarkt-Anbieter agieren.

Herr Löschen, Sie sind ein erfahrener Vermögensverwalter, viele Jahre im Geldgeschäft. Was geht in Ihnen vor, wenn Anlegerskandale wie S&K oder Infinus auffliegen?

Manchmal habe ich natürlich vorher schon etwas geahnt. Wenn die Presse dann darüber berichtet, überwiegt zuerst das Mitleid mit den betroffenen Geldanlegern, die oft einen großen Teil ihres hart erarbeiteten Vermögens verlieren. Dann regt sich mein Rechtsempfinden. So etwas muss hart bestraft werden. Für mich sind das sehr emotionale Momente.

Haben auch bei Ihnen mal zwielichtige Produktanbieter angeklopft?

Ja. Täglich erhalte ich Anrufe und E-Mails. Die Vertriebler sind oft unglaublich ausdauernd.

Welches sind Ihre Verkaufsargumente?

Die Ansprache ähnelt sich oft. Die Vertriebler erwecken den Eindruck: »Herr Löschen, heute ist Ihr Glückstag! So ein Angebot dürfen Sie Ihren Kunden nicht vorenthalten!« Sie tun so, als hätten sie mit einer neuen Geschäftsidee den Stein der Weisen entdeckt, als wäre man selbst der Einzige, der ihr wunderbares Angebot nicht verstehen würde. Nie soll es dabei Risiken geben, immer liegen die Renditen weit über dem Marktdurchschnitt.

War einer Ihrer Kunden mal betroffen?

Ja, eine Kundin, die neu zu uns kam, hatte Papiere von Infinus, genauer Future Business, im Depot. Ein früherer Vermittler hatte sie empfohlen.

Um welche Summe ging es?

Es waren zwei Orderschuldverschreibungen, die eine mit wöchentlicher, die andere mit monatlicher Kündigungsfrist im Wert von insgesamt 950 000 Euro. Die Rendite lag mit 6 Prozent weit über dem damals üblichen Satz für risikofreie Zinspapiere.

Wie hoch wäre die Provision gewesen?

Es hätte zusätzlich eine Bestandsprovision von 1 Prozent per annum gegeben, die wir als unabhängiger Vermögensverwalter weitergereicht hätten. Die Höhe der Provision war ungewöhnlich, einige Vertriebler, die davon leben, dürfen wohl auch deswegen solche Papiere empfohlen haben. Bis zum Ende von Infinus hätte der vormalige Vermittler an unserer Mandantin gut 40 000 Euro verdient.

Wie gehen Sie bei solchen Themen grundsätzlich vor?

Ich bitte in Einzelfällen um ein Treffen mit dem Produktanbieter, zu denen es dann auch gelegentlich kommt. Mir geht es dabei um das Verstehen und die handelnden Personen.

Wie treten diese Manager auf? Könnten Sie uns ein Beispiel nennen?

Infinus als Beispiel aus der Praxis: Treffen am Flughafen, Anzug, Krawatte, Dreitagebart, ein souveräner Typ. Er war anders als die meisten Vertreter, sehr ruhig und bodenständig. Man hatte den Eindruck, dass er gar nicht verkaufen wollte. Wahrscheinlich war das seine Masche. Ich fragte ihn, wie er es schafft, so hohe Renditen zu erzielen und selbst noch von seinem Geschäft zu leben.

Wie war die Antwort?

Es gäbe kein Risiko, alles sei so sicher wie Geldmarktpapiere. Zwei Drittel der Einlagen wurden in gebrauchte Lebensversicherungen investiert, der Rest in Immobilien in B-Lagen und den Kauf von Versicherungsvertrieben. Das sei so ertragreich, dass noch 2 bis 3 Prozent von den Erträgen bei der Gesellschaft blieben.

Insgesamt sollte das Geschäft also knapp 9 Prozent für Anleger, Vermittler und Unternehmen abwerfen.

Ganz genau. Er konnte mir aber nicht plausibel erklären, wie das Unternehmen das schaffen sollte. Am Ende des Gesprächs lud mich der Gesprächspartner sogar ein, die Versicherungspolicen im Infinus-Archiv im Keller zu sehen. Das sollte wohl Sicherheit suggerieren. Lachhaft, als ob der Blick auf ein paar Aktenordner irgendwas aussagen könnte. Das Unternehmen war eine Black Box.

Wie war Ihre Reaktion?

Wir sind eine konservative Vermögensverwaltung und mussten handeln. Unsere Mandantin hat die Papiere verkauft, ohne einen Verlust zu machen. Im Nachhinein eine weise Entscheidung.

Für die Infinus-Manager scheint sich das Geschäft gelohnt zu haben. Fotos zeigen Manager bei ausschweifenden Partys. Der Bundesanzeiger veröffentlicht sichergestellte Vermögenswerte. Darunter ein Bentley, 24 Goldbarren, 17 sündhaft teure Armbanduhren, zwei Motorboote…

… von wilden Partys kann ich Ihnen nicht berichten, mir ging es nur um Informationen. Es ist aber bezeichnend, dass bei Anlegerskandalen immer wieder der Protz und Prunk der handelnden Personen bekannt wird. Das ist allerdings nicht meine Welt.

Immer wieder fallen Menschen auf unseriöse Finanzprodukte und Vermittler rein. Wann sollten Anleger misstrauisch werden?

Anleger sollten immer wissen, wie hoch der Zins für risikolose Anlagen ist. Bei deutschen Staatsanleihen liegt er je nach Laufzeit bei ca. 1,5 Prozent, bei Festgeldern bei maximal 0,5 Prozent. Spätestens ab einer Rendite von 2 Prozent und darüber muss der Anleger fragen: Wer trägt dieses Risiko? Warum wird mehr bezahlt als bei Festgeldkonten?

Gibt es bestimmte Papiere, bei denen Privatanleger Vorsicht walten lassen sollten?

Genussrechte und -scheine, Mittelstandsanleihen, Nachrangkapital, unternehmerische Beteiligungen: Die sollten Anleger besonders genau auswählen und im Zweifel lieber auf einen Kauf verzichten.

Gibt es überhaupt noch gute Anlagen in diesem Marktsegment?

Es ist wie beim Trüffel – der Anleger muss lange suchen, verstehen und dann auch entschlossen investieren. Es gibt die qualitativ hochwertigen und seriösen Anlagen – das Finden ist die große Herausforderung.

Warum?

Diese Produkte sind oft intransparent und werden aufsichtsrechtlich nur wenig geprüft. Anleger müssen wissen, dass vielfach der Totalverlust drohen kann. Bei unternehmerischen Beteiligungen können Nachschusspflichten bestehen, wenn das Unternehmen längst in Schieflage ist. Letztlich muss jeder Anleger seine Finanzanlagen verstehen, um Erfolg zu haben. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass die Ausschüttungen bei Genussscheinen an bestimmte Vorgaben geknüpft sind. Wenn ein Unternehmen nicht den erhofften Gewinn erzielt, gehen die Anleger leer aus.

Woran erkennen Kunden schlechte Berater?

Zuerst einmal muss der Berater eine entsprechende Ausbildung mitbringen und im Zweifel dem Kunden nachweisen können. Das ist bei einigen Vertrieben immer noch nicht Standard. Berater sollten Produkte im Detail erklären können, und zwar in eigenen Worten, nicht mit Formulierungen aus dem Prospekt. Chancen, Risiken und Laufzeiten müssen transparent sein.

Nicht alle Finanzvertriebler arbeiten ausschließlich im Interesse des Kunden.

Kunden sollten immer die Abhängigkeiten des Vermittlers kennen, der etwa Verkaufsvorgaben aus dem eigenen Unternehmen hat oder hochprovisionierte Produkte empfiehlt, um seinen Schnitt zu machen. Als Honorarberater, der solche Vorgaben nicht hat, tue ich mich da natürlich leichter. Es geht aber auch um den gesunden Menschenverstand.

Bitte erklären Sie uns das genauer.

Man merkt doch meistens, ob man seinem Gegenüber vertrauen kann. Hört der Berater zu, geht er auf meine individuellen Bedürfnisse ein oder verkauft er von der Stange? Kann er Fragen erschöpfend beantworten? Wenn der Kunde nicht im Mittelpunkt steht, sollte er lieber gehen. Und selbst wenn alles perfekt erscheint, sollten Anleger nicht direkt abschließen. Ich empfehle meinen Kunden vor größeren finanziellen Entscheidungen oft: »Schlafen Sie noch einmal drüber und kommen Sie zurück, wenn Sie absolut sicher sind.«

2. Die Beichte: Ein erfolgreicher Vertreter beschreibt seinen Joballtag

Normalerweise gilt die Finanzbranche als verschwiegen. In einer aufsehenerregenden »Beichte« berichtet eine ehemalige Führungskraft im Handelsblatt Online aus dem Joballtag. Der Informant arbeitete jahrelang im Vertrieb von Banken, Bausparkassen und Versicherern. Zuletzt bekleidete er eine leitende Funktion unterhalb des Vorstandes und leitete einen eigenen Vertrieb. Die Bedingung für den Bericht war Anonymität. Die »Beichte« erlaubt einen Blick hinter die Kulissen der Finanzvertriebe. Die Motivation: Der Vertriebler war »angewidert« von der Arbeitspraxis seiner Branche.

Jeder Mensch, ob Säugling oder Greis, wird heute von der Finanzindustrie als potenzielles Opfer betrachtet. Eine Heerschar von Beratern versucht, den Kunden auf Teufel komm raus Finanzprodukte aufs Auge zu drücken, egal ob diese Produkte Sinn machen oder nicht. Ich war einer von ihnen. Hauptsache, die eigene Kasse stimmt.

Warum ich das alles öffentlich mache? Ich sehe in den meisten Finanzprodukten keinen Sinn mehr. Sie sind überflüssig wie ein Kropf und deshalb werde ich nie mehr in dieser Branche arbeiten. Außerdem möchte ich Aufklärung leisten und dieser Artikel ist ein Anfang, allerdings gäbe es noch viel mehr dazu zu sagen.

Vielleicht liest aber auch ein Politiker den Artikel und schützt die Bürger endlich vor übermächtigen Finanzkonzernen und Lobbygruppen. Vielleicht wacht die Finanzaufsicht BaFin irgendwann mal auf und bewahrt Kunden vor den zahllosen Abzockerprodukten.

Warum ich das alles nur anonym schreibe? Um mich selbst zu schützen. Meinen Ruf, um im neuen Job wieder erfolgreich sein zu können. Meine Gesundheit, weil nicht alle alten Kollegen diesen Text besonders witzig finden dürften und weil ich auch in Zukunft gerne einiges zur Aufklärung beitragen möchte.

Vielleicht haben Sie in der Vergangenheit auch schon mal ein komisches Gefühl gehabt, wenn Ihr Bankberater, Ihr Versicherungs- oder Anlagenverkäufer sich mit Ihnen unterhalten hat. Und vielleicht hatten Sie in Ihrem Leben auch schon einmal das Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein.

Ich kann Ihnen aus jahrzehntelanger Erfahrung sagen, Ihr Gefühl täuscht Sie oftmals nicht, denn leider wird bis heute noch frei nach dem Motto gehandelt: Das Geld ist doch nicht weg, es hat jetzt nur ein anderer!

Meinen ersten Kontakt mit Finanzprodukten hatte ich in einer kleinen Regionalbank. Nach meiner Ausbildung war ich da vor allem für die Themen Baufinanzierung und Bausparen zuständig. Sehr schnell musste ich lernen, dass es ausschließlich um die Erfüllung der Vorgaben des Vorstandes und um Gewinnmaximierung geht und nur in den seltensten Fällen um die bedarfsgerechte Beratung von Kunden.

Ich wunderte mich zwar von Anfang an über die hohen Verkaufsvorgaben. Aus heutiger Sicht und nach 20 Jahren als leitender Mitarbeiter in konzerngestützten Vertrieben und in Strukturvertrieben war das natürlich sehr naiv.

Ich lernte schnell und ich wurde ein »guter Verkäufer«. Egal was auf der Visitenkarte Ihres Gegenübers steht, vergessen Sie nie, es handelt sich immer um einen Verkäufer. Im Vertrieb geht es nicht darum, den Bedarf des Kunden zu decken, sondern Nachfrage zu wecken.

Am Ende des Tages müssen die Verkaufsvorgaben erreicht werden. Wie sonst lässt es sich erklären, dass Jahresziele einer Filiale oder eines Beraters auf den Tag heruntergebrochen werden und Unsummen in Verkaufstrainings und Motivationsveranstaltungen gesteckt werden? Und dabei ist es egal, ob Ihnen ein Mitarbeiter einer Großbank, einer Sparkasse, einer Volks- und Raiffeisenbank, eines freien Vertriebes oder wer auch immer gegenübersitzt.

Bei Baufinanzierungen empfiehlt man eine Eigenkapitalquote in Höhe von 20 Prozent und diese 20 Prozent können natürlich auch in einen Bausparvertrag fließen, damit später ein zinsgünstiges Darlehen zur Verfügung steht. Wenn wir unsere Zielvorgaben im Segment Bausparen aber noch nicht erfüllt hatten, änderten wir oft unsere Empfehlungen.

Wenn etwa ein Kunde für sein Haus in einigen Jahren 300 000 Euro benötigte, wurde normalerweise für die Bildung der üblichen Eigenkapitalquote von 20 Prozent ein Bausparvertrag in Höhe von 60 000 Euro Bausparsumme empfohlen. Wenn wir aber noch nicht unsere Ziele erreicht hatten und die Vorgesetzten bereits Druck machten, empfahlen wir besonders den naiven Kunden einfach eine höhere Bausparsumme. Wenn es richtig gut für uns lief, bis zu 100 Prozent des geplanten Kaufpreises.

So stiegen die Vermittlungsprovisionen für das Beispiel von 600 Euro auf 3000 Euro und alle Beteiligten – bis auf die Kunden – waren Gewinner. Für die Kunden waren diese Varianten wegen der hohen Abschlussgebühren natürlich unnötig teuer.

Da diese Gebühren aber mit den eingezahlten monatlichen Sparraten verrechnet wurden, fiel das oft erst nach einem Jahr auf – beim Blick auf den Jahreskontoauszug. Was beim Abschluss ebenfalls nicht aktiv erwähnt wurde, war die hohe Rate bei einer späteren Finanzierung. Bauspardarlehen müssen nämlich in kurzer Zeit zurückgezahlt werden und damit lässt sich die monatliche Annuität von den meisten Kunden nicht aufbringen.

Da ich schnell lernte und meine vorgegebenen Ziele oftmals übertraf, wurde ich sehr schnell Führungskraft einer großen Bausparkasse. Rasant stieg ich auf und leitete zum Schluss meiner Konzernkarriere eine Vertriebsmannschaft von mehreren Hundert Verkäufern.

Dass es im Vertrieb um Marktanteile und nicht um Qualität geht, wurde in den Sitzungen mit dem Vertriebsvorstand immer wieder sehr deutlich. Hier wurden die Ziele erörtert, vereinbart, anschließend marketingmäßig verarbeitet und nach unten weiterverteilt.

Die meisten Konferenzen im Unternehmen waren auf Ergebnisse ausgerichtet und anschließend wurde überlegt, wie die Produkte an den Mann oder die Frau gebracht werden können. Die Vertriebsvorstände wissen das ganz genau, und wer sich innerhalb der Hierarchie widersetzt und Bedenken anmeldet, ist für die Position eben nicht geeignet. Führungsnachwuchs gibt es immer, dann wird man eben kurzerhand ersetzt!

Der »Korb« wird von Jahr zu Jahr höher gehängt. Wenn ein Bezirksleiter in einem Jahr noch ein Volumen von 5 Millionen Euro Bausparsumme verkaufen musste, erhält er im nächsten Jahr eben seinen Bonus erst bei einem Volumen von 6 Millionen Euro Bausparsumme. Und da dies über die verschiedenen Ebenen gleich ist, sitzen auch alle im gleichen Boot.

Da der Markt aber bereits verteilt ist und Kunden nach dem zweiten oder dritten Bausparvertrag nun wirklich keinen neuen Bausparvertrag mehr brauchen, werden dann eben neue Vertriebsaktionen ins Spiel gebracht.

Jede Bank führt zum Beispiel Überziehungslisten und wir Bezirksleiter besuchten die von uns betreuten Filialen mindestens einmal in der Woche. Da auch der Filialleiter mit seinem Bankvorstand Bausparziele vereinbart und er außerdem zu den Personen auf den Überziehungslisten wöchentlich Stellung beziehen muss, wurden Kunden, die einen hohen Dispokredit bedienen mussten, kurzerhand in die Filiale bestellt.

Gemeinsam empfahlen wir dann den Kunden eine Umschuldung mit einem speziellen Darlehen der Bausparkasse. Die Kreditsumme betrug in der Regel die doppelte Disposumme. Mit der einen Hälfte wurde der Überziehungskredit getilgt. Die andere Hälfte floss in den Bausparvertrag. Bis zur Zuteilung des Bauspardarlehens wurden von der Bausparkasse Zinsen auf die Sparbeiträge gezahlt und anschließend musste der Bausparer Zins und Tilgung für das Darlehen zahlen.

Diese Umschuldung wurde den Kunden vielfach als Sonderaktion etwa im Frühling ans Herz gelegt und von zehn Kunden nahmen in der Regel mindestens acht die Empfehlung an. Kleine Selbstständige und klamme Kunden hatten oft Angst, dass ansonsten ihr Dispo gekündigt würde, und dadurch verkauften sich diese fragwürdigen Konstrukte natürlich sehr einfach. Die Kosten für die Kunden sind bei einem solchen Konstrukt extrem hoch und sie mussten oft sehr lange abzahlen. Und der weiterhin vorhandene Disporahmen war nach sechs Monaten meistens wieder voll ausgeschöpft.

Das Risiko der Überschuldung stieg bei diesen Kunden, aber der Filialeiter und der Bezirksleiter konnten an solchen »Vertriebstagen« schnell einen vierstelligen Eurobetrag an Provisionen einstreichen und der Filialleiter hatte einen »schlechten« Kunden von der Liste, zumindest vorläufig. Da die Filiale über solche Vertriebsansätze auch schnell ihre Bausparjahresziele erreichte, entstanden über die Jahre hinweg gute Beziehungen zwischen Bausparkasse und Bank. Man kannte sich, man half sich.

In Bausparkassen, aber auch in anderen Vertriebsunternehmen klagen vor allem die Finanzvorstände über die üppigen Vertriebskosten. Die Abschlusskosten bei einem Bausparvertrag sind so hoch, dass die Bausparkassen bei einem Vertrag erst dann in die Gewinnzone kommen, wenn der Vertrag mindestens vier Jahre regelmäßig bespart wird.

Für die Motivation von Verkäufern sind Anreize, konkreter die Höhe der Provision, aber entscheidend. Für Motivationsveranstaltungen werden in einigen Bausparkassen rund 20 Millionen Euro pro Jahr einkalkuliert und die Vergütung von guten Verkäufern beträgt mindestens 120 000 Euro pro Jahr.

Richtig gute Leute liegen auch schon einmal über 250 000 Euro und der ein oder andere kommt auch schon einmal an die Vorstandsvergütungen heran. Da die Führungskräfte der Bausparkassen ebenfalls erfolgsabhängig bezahlt werden, ist das Interesse auf allen Ebenen gleich.

Oft ist die persönliche Eitelkeit der wichtigste Ansatzpunkt für herausragende Vertriebsleistungen bei den Mitarbeitern. Exklusive Reisen oder Geschenke, Anerkennung und Auszeichnungen auf Firmenfesten, mal auf der Bühne stehen – das motiviert Top-Verkäufer oft mehr als die letzte Zahl hinter dem Komma bei der Provisionshöhe.

Dieses Phänomen kann man besonders bei Strukturvertrieben beobachten. Es wird immer viel versprochen und es wird »auf Teufel komm raus« gelogen, geblendet und geprotzt. Natürlich erreichen manche Mitarbeiter auch die für die exklusiven Reisen und Prämien notwendigen Ziele. Aber letztendlich bleiben die meisten Mitarbeiter auf der Strecke.

Deshalb auch die hohe Fluktuation. Da viele Verkäufer oft mit einem niedrigen Bildungsniveau ausgestattet sind oder aus sozial schwachen Familien kommen, sind sie natürlich die idealen »Opfer« für Führungskräfte und lassen sich hervorragend manipulieren. Wer in der Jugend nie Erfolgserlebnisse verzeichnen konnte oder von den Eltern vernachlässigt wurde, für den sind Anerkennung und Status alles.

In all meinen Funktionen war ich die meiste Zeit damit beschäftigt, Mitarbeiter zu bauchpinseln und zu bespaßen, und wir haben Unsummen dafür ausgegeben. Ein Problem waren aber die ständig steigenden Ansprüche der Mitarbeiter. Wenn es im vergangenen Jahr die Aida war, sollte es dieses Mal bitte die MS Europa sein.

Natürlich gab es auch bei uns Auswüchse bei den Motivationsveranstaltungen und ich denke, dass dies nicht nur ein Thema der ERGO-Versicherung war. Eines unserer regionalen Führungsteams hat in einer ausländischen Stadt über die Stränge geschlagen und auf Spesenkosten einen Stripclub mit Bordell besucht.

Das wäre vielleicht nie aufgefallen, wenn die Beteiligten nicht diesbezüglich im Unternehmen geprahlt hätten. Mitarbeiterinnen haben sich dann beim Vertriebsvorstand darüber beschwert und der Unmut im Unternehmen wuchs. Der Gesamtvorstand hat den Vorgang dann pro forma prüfen lassen, danach die Etatrichtlinien für Führungskräfte geändert und den Fall auf sich beruhen lassen. Bei den Mitarbeiterinnen hat man sich übrigens nie entschuldigt, ganz im Gegenteil!

Überhaupt der Vorstand. Vorstände stehen unter extremem Erfolgsdruck, und gerade die Vertriebsvorstände wissen ganz genau, wie das Geschäft gemacht wird. Denn sie sind oft von ganz unten über die Vertriebsstrukturen aufgestiegen. Wenn die ehemaligen Vermittler aber dann Vorstand sind, wollen sie von den Verkaufsmethoden nichts mehr wissen. Sie schauen ganz bewusst weg, weil sie ihre Vertriebsziele gefährdet sehen, und deshalb gilt das Motto: Solange etwas nicht verboten ist und den Ergebnissen dient, gilt es als erlaubt.

Wenn Mitarbeiter dann neue zweifelhafte Verkaufsmethoden in den Teams erfolgreich einführen, werden sie juristisch geprüft und im großen Stil im Unternehmen eingeführt. Wenn Vertriebstricks juristisch nicht standhalten und auffliegen, erklärt der Vorstand, es handle sich um Einzelfälle, fehlgeleitete Individuen, die leider auf die schiefe Bahn gekommen seien. 

Besonders in den neuen Bundesländern gründeten die meisten Vertriebsunternehmen nach der Wende freie Vertriebe, auch solche Unternehmen, die normalerweise ihre Produkte über den Vertriebsweg Bank absetzen. Extrem zielstrebig ging dabei eine Bausparkasse vor, die Marktanteile außerhalb ihrer Bankengruppe gewinnen wollte. Diese Mitarbeiter waren aber oft schlecht ausgebildet und es ging ihnen nur um den Abschluss.

In der Folge waren die Stornoquoten immens. Die Produkte brachten den Kunden keinen Nutzen, sondern nur Kosten. Im Laufe der Zeit wurden die Vorstände der ortsansässigen Volks- und Raiffeisenbanken durch ihre Kunden massiv unter Druck gesetzt und trotzdem dauerte es Jahre, bis dieser Vertriebsweg eingestellt wurde. Der Gewinn von Marktanteilen geht halt vor!

Besonders dreist gehen Vertriebe in einem anderem Segment, dem Verkauf von privaten Krankenversicherungen (PKV), vor. Call-Center in der Türkei ermitteln die Adressen von potenziellen Kunden, erzählen dabei die wildesten Geschichten. Gesundheitsfragen werden bewusst manipuliert und sogar Unterschriften werden gefälscht.

Es geht lediglich um den Abschluss! Dass der Kunde spätestens im Krankheitsfall auf der Strecke bleibt, interessiert niemanden. Auch die Versicherungsunternehmen haben hier schlicht versagt oder sie wollen es gar nicht wissen. Warum sonst wird das Geschäft ohne große weitere Überprüfung angenommen?

Der Abschluss einer privaten Krankenpolice bringt hohe Provisionen, in der Spitze wurden vor 2012 für die Abschlüsse Provisionen in Höhe von bis zu 20 Monatsbeiträgen von den Versicherungsunternehmen gezahlt. Die Stornohaftungszeit betrug damals zwölf Monate.

Das bedeutete: Alle zwölf Monate konnte man die Kunden wieder anrufen und das Geschäft umdecken, also dafür sorgen, dass der Kunde den Tarif wechselt. Was macht man nicht alles für die Steigerung der Marktanteile, auch wenn sich das Geschäft für die Versicherungsgesellschaften überhaupt nicht lohnt, da die Verträge ja permanent ausgetauscht werden.

Seit 2012 hat die Bundesregierung die Stornohaftungszeiten nun auf 60 Monate verlängert und die Provisionen gedeckelt. Wer aber nun glaubt, dass der Spuk damit ein Ende hat, täuscht sich. Außerdem frage ich mich, warum die Versicherungsunternehmen nicht von sich aus diese Regelungen getroffen haben. So macht man sich die Hände nicht selbst schmutzig und man kann den Vertrieben eben über Marketingzuschüsse die entgangenen Provisionen zukommen lassen. Da hat die Versichererlobby doch wieder geschickt die Politik benutzt.

Die aktuell neueste Masche der Vermittler ist der Ankauf von Lebensversicherungen. Die Vertriebe überzeugen ihre Kunden, ihre Policen zu kündigen oder an Dritte zu verkaufen. Dabei wird den Kunden ein Teil des Rückkaufswertes sofort ausgezahlt. Der größere Teil wird wieder angelegt, mit dem Versprechen, es in 10 oder 20 Jahren bis zum Dreifachen des heutigen Rückkaufwertes zu steigern.

Die Kunden zu überzeugen fällt nicht schwer. Statistisch gesehen hat jeder Deutsche zwei bis drei Lebensversicherungen, aber so richtig glücklich sind die meisten Kunden damit auch nicht. Hinzu kommt, dass die Überschüsse und der Garantiezins seit Jahren ständig sinken. Übrigens: Die meisten Versicherten halten ihre Verträge bei den völlig unsinnigen Laufzeiten und Beitragsraten und bei mangelnder Flexibilität sowieso nicht ein und deshalb werden rund 70 Prozent aller Verträge vorzeitig aufgelöst.

Bei einer vorzeitigen Kündigung muss der Kunde natürlich Verluste hinnehmen. Die Vertriebler überzeugen die Kunden dann, mit dem frei werdenden Geld Beteiligungsmodelle zu kaufen. Meist angeblich sichere Immobilienkonstrukte, geschlossene Fonds, aber auch Wasserkraftwerke in der Türkei oder Windräder in Spanien.

Das ist ein Riesengeschäft für den Vermittler, die Provisionen betragen 10 Prozent bis 20 Prozent der Anlagesumme. Was die Kunden nicht wissen: Bei einer Pleite droht der Totalverlust. Bei geschlossenen Fonds können Kunden sogar nachschusspflichtig werden. Da tickt eine Zeitbombe und ich kann nur jedem raten, die Finger davon zu lassen.

Es gibt natürlich auch seriöse Vermittler. Und ich persönlich distanziere mich heute von den unseriösen Geschäften. Das heißt aber nicht, dass ich nicht selbst solche Geschäfte gemacht habe. Meistens sind sie auch nicht strafbar, der Verkauf wurde halt lediglich aus Sicht des Verkäufers optimiert.

Ich habe keine Ahnung, ob und wie man diese Praktiken stoppen kann. Letztendlich, glaube ich, hilft es nur, wenn man sich als Kunde sehr selbstbewusst verhält und sich nicht alles aufschwatzen lässt.

Da ich immer wieder erleben musste, dass man keinem in der Branche vertrauen kann, kommt für mich eine Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche heute nicht mehr infrage. Ein Staatsanwalt sagte einmal zu mir: »Wissen Sie, diese Branche ist aus meiner Sicht kein schützenswerter Bereich.« Dem habe ich nichts hinzuzufügen.