Leitfaden
Gymnasialschulordnung Bayern
von
Ivo Moll
Präsident des Verwaltungsgerichts Augsburg
Verlag C.H. Beck München 2010
Zum Inhalt
Der vorliegende Leitfaden enthält eine allgemeinverständliche Darstellung des in Bayern geltenden Schulrechts. Angesprochen werden in erster Linie Eltern der Schülerinnen und Schüler an den bayerischen Gymnasien, die Schülerinnen und Schüler selbst sowie andere – juristisch nicht vorgebildete – Interessenten.
Vorwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Eltern,
die Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern feiert in diesem Jahr ihr 60-jähriges Bestehen. Viele Eltern haben in diesen Jahren bei uns um Rat gefragt, weil sie Unterstützung bei der Bewältigung der Schulprobleme ihrer Kinder benötigten und sich allein in den schulischen Gesetzen und Verordnungen und deren Auslegung nicht zurechtfanden. Die juristische Ausdrucksweise und die schulische Fachsprache sind fachfremden Eltern unbekannt und erzeugen Distanz und Unsicherheit, die gerade in Zeiten der immer stärker geforderten und auch zunehmend praktizierten Partnerschaft von Elternhaus und Schule überwunden werden muss.
Die vorliegende Broschüre zu den schulrechtlichen Bestimmungen soll das in Bayern geltende Schulrecht in kurzen und verständlichen Worten aus der Sicht der Eltern darstellen und erläutern. Nur informierte Eltern können aktiv als Teil der Schulfamilie die Schule mitgestalten und sich als qualifizierte und engagierte Gesprächspartner einbringen.
Es freut die Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern e.V. .(LEV) als Herausgeber und den Verlag C.H. Beck in besonderer Weise, dass wir als Autor mit dem Verwaltungsrechtler Ivo Moll, Präsident des Verwaltungsgerichts Augsburg und vorher langjähriger Vorsitzender Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, einen so renommierten und anerkannten Experten für das Schulrecht haben gewinnen können.
Viel Spaß beim Lesen!
Thomas Lillig
Vorsitzender der Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien e.V.
Abschnitt 1.
Wie kommt mein Kind an das Gymnasium?
Abitur, allgemeine Hochschulreife
Das Gymnasium vermittelt vertiefte allgemeine Bildung, die für ein Hochschulstudium vorausgesetzt wird. Es schafft auch zusätzliche Voraussetzungen für die berufliche Ausbildung außerhalb der Hochschule. Das Gymnasium schließt mit der Abiturprüfung ab, nach deren Bestehen die allgemeine Hochschulreife zuerkannt wird. Die allgemeine Hochschulreife berechtigt grundsätzlich zur Aufnahme eines jeden Hochschulstudiums an jeder Hochschule, unabhängig davon, an welcher Art von Gymnasium sie erworben wurde. Um den unterschiedlichen Bildungsvorstellungen der Eltern, den individuellen Begabungen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler und den spezifischen Anforderungen eines künftigen Studiums und/oder Berufs Rechnung zu tragen, gibt es mehrere Arten von gymnasialen Ausbildungsrichtungen.
Sprachliche Ausrichtung
Der Unterricht am Sprachlichen Gymnasium umfasst drei Fremdsprachen. Gymnasien, an denen Latein verpflichtend erste oder zweite Fremdsprache und Griechisch verpflichtend dritte Fremdsprache ist, führen die Bezeichnung .„Humanistisches Gymnasium“.
Naturwissenschaftlich-technische Ausrichtung
Das Naturwissenschaftlich-Technologische Gymnasium sieht nur zwei Fremdsprachen vor, jedoch verstärkten Unterricht in Physik und Chemie sowie Informatik als zusätzliches Fach.
Musische Ausrichtung
Auch am Musischen Gymnasium werden nur zwei Fremdsprachen verpflichtend unterrichtet. Angeboten werden verstärkt der Unterricht in Kunst und Musik und die Ausbildung im Instrumentenspiel.
Wirtschafts-Sozialwissenschaftliche Ausrichtung
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Gymnasium, wiederum mit zwei Fremdsprachen, verfügt ab der 8.Jahrgangsstufe über ein wirtschaftswissenschaftliches und/oder ein sozialwissenschaftliches Profil. Schwerpunkte liegen hier auf der Sozialkunde und der Wirt[2]schaftsinformatik bzw. auf einer sozialpraktischen Grundausbildung.
Die meisten Gymnasien bieten zwei oder drei der genannten Ausbildungsrichtungen an, so dass es meist keine Probleme gibt, eine geeignete Schule zu finden.
Übertritt, Übertrittszeugnis, Jahreszeugnis
Der Übertritt in das Gymnasium erfolgt in der Regel nach der 4.Jahrgangsstufe der Grundschule. Eine Schülerin oder ein Schüler wird in das Gymnasium aufgenommen, wenn sie oder er für den Bildungsweg des Gymnasiums geeignet ist.
Diese Eignung ist auf jeden Fall gegeben, wenn die Schülerin oder der Schüler im Übertrittszeugnis einer Volksschule als geeignet für diesen Bildungsweg bezeichnet ist. Voraussetzung hierfür ist, dass die Gesamtdurchschnittsnote aus den Fächern Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachkunde mindestens 2,33 beträgt. Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 5 einer Hauptschule können auch noch an das Gymnasium übertreten, wenn sie im Jahreszeugnis dieser Schule als geeignet für den Bildungsweg des Gymnasiums bezeichnet sind. Hierfür ist Voraussetzung, dass die Gesamtdurchschnittsnote aus den Fächern Deutsch und Mathematik mindestens 2,0 beträgt. Schülerinnen und Schüler der 5.Jahrgangsstufe der Realschule können in die 5.Jahrgangsstufe des Gymnasiums übertreten, wenn im Jahreszeugnis der 5.Jahrgangsstufe die Durchschnittsnote in den Fächern Deutsch und Mathematik mindestens 2,5 beträgt.
Probeunterricht
Bestätigt die bisher besuchte Schule nicht die Eignung des Kindes für das Gymnasium, kann es gleichwohl an das Gymnasium übertreten, wenn es mit Erfolg am Probeunterricht teilgenommen hat. Diese Möglichkeit gibt es ab dem Schuljahr 2010/2011 nur noch für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 4. Eltern etwas schwächerer Schüler müssen daher versuchen, dass diese aus der Jahrgangsstufe 4 in das Gymnasium übertreten können. Der Probeunterricht findet an drei Tagen in den Fächern Deutsch und Mathematik statt. Die Teilnahme am Probeunterricht ist erfolgreich, wenn in einem Fach mindestens die Note drei und in dem anderen Fach mindestens die Note vier erreicht wurde.
Ausnahmen
Es werden schließlich auch solche Schülerinnen und Schüler ins Gymnasium aufgenommen, die in beiden Fächern[3]des Probeunterrichts die Note vier erzielt haben, wenn die Erziehungsberechtigten dies beantragen.
Schülerinnen und Schüler der 5. oder 6.Jahrgangsstufe einer Realschule können in die 6.Jahrgangsstufe des Gymnasiums übertreten, wenn ihnen die Erlaubnis zum Vorrücken erteilt wurde und der Durchschnitt aus den Jahresfortgangsnoten in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik mindestens 2,0 beträgt.
Aufnahmeprüfung, Probezeit
Es können auch Schülerinnen und Schüler mit dem Abschlusszeugnis der Realschule, einer Wirtschaftsschule oder der Mittleren-Reife-Klasse Jahrgangsstufe 10 der Hauptschule .(M-Zug) in die Einführungsphase der Oberstufe .(Jahrgangsstufe 10) eintreten, wenn sie sich erfolgreich einer Aufnahmeprüfung und einer Probezeit unterzogen haben. Die Aufnahmeprüfung und die Probezeit entfallen, wenn der Notendurchschnitt in den Vorrückungsfächern im Abschlusszeugnis mindestens 3,0 beträgt; die Nachfrist für die zweite Fremdsprache beträgt in der Regel nicht mehr als ein Jahr.
Einführungsklasse
Die genannten Schülerinnen und Schülerkönnen ohne Aufnahmeprüfung in eine Einführungsklasse des Gymnasiums eintreten, wenn ihnen ein pädagogisches Gutachten der in der 10.Jahrgangsstufe besuchten Schule die uneingeschränkte Eignung für den Bildungsweg des Gymnasiums bestätigt. Nicht jedes Gymnasium verfügt jedoch über derartige Einführungsklassen.
Übertrittszeugnisse
Die Übertrittszeugnisse werden am ersten Schultag im Mai ausgegeben. Die Anmeldung am Gymnasium findet an mehreren Tagen Mitte Mai und der Probeunterricht Ende dieses Monats statt.
Informationsveranstaltung
Im Herbst führen die Grund- und Hauptschulen Informationsveranstaltungen zum Übertritt auf das Gymnasium durch. An dem Gymnasium selbst finden im Frühjahr derartige Veranstaltungen statt, bei denen sich interessierte Eltern und Schüler über die angebotenen Ausbildungsrichtungen und die sonstigen schulischen Einrichtungen informieren können. Über die bislang besuchten Schulen werden auch Merkblätter ausgegeben mit Angaben über konkrete Anmeldungstermine und benötigte Unterlagen.
Internetauftritt
Die Gymnasien haben Auftritte im Internet. Neben Angaben zum Unterrichtsangebot enthalten die Seiten im Internet auch zahlreiche Informationen zum gesamten Schulleben.
Abschnitt 2.
Andere Wege zur allgemeinen Hochschulreife
FOS/BOS
Schülerinnen und Schüler sowie Absolventen der Fachoberschulen und Berufsoberschulen können durch Nachweis der notwendigen Kenntnisse in einer zweiten Fremdsprache die allgemeine Hochschulreife erwerben.
Abendgymnasium
Das Abendgymnasium ist eine Schule, die Berufstätige im vierjährigen Abendunterricht zur allgemeinen Hochschulreife führt. In der Abschlussklasse kann Tagesunterricht erteilt werden.
Kolleg
Das Kolleg .(Institut zur Erlangung der Hochschulreife) ist ein Gymnasium besonderer Art, das Erwachsene, die sich bereits im Berufsleben bewährt haben, im dreijährigen Unterricht zur allgemeinen Hochschulreife führt. Für beide Einrichtungen gilt, dass die Führung eines Familienhaushalts einer Berufstätigkeit gleichgestellt ist.
Studium ohne Abitur
Seit dem Jahr 2008 haben auch Absolventen von Meisterprüfungen, von diesen gleichgestellten Fortbildungsprüfungen und von Fachschulen und Fachakademien den allgemeinen Zugang zu Hochschulen. Sie müssen sich lediglich einem Beratungsgespräch unterziehen. Sonstige qualifizierte Berufstätige erhalten den fachgebundenen Hochschulzugang. Von ihnen kann die Hochschule aber das Bestehen einer besonderen Zugangsprüfung oder die erfolgreiche Absolvierung eines Probestudiums von mindestens zwei Semestern verlangen.