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Hannelore Di Guglielmo

Bucht der

trügerischen

Leidenschaft

Roman nach einer wahren Geschichte

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Impressum:
© 2008 Hannelore Di Guglielmo
Herstellung: Verlag Kern, Bayreuth
Umschlagdesign und Satz: winkler.layout@t-online.de
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2012
ISBN 9783944224381

Wer am Ende ist, kann von vorne anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite.

(Karl Valentin)

1. Kapitel – Abschied, Ende August 2003

Nach 40 Jahren Arbeit endlich unseren Lebenstraum verwirklichen. Zurück in die geliebte Heimat Italien, dank Altersteilzeit. Die Situation in der Welt-Firma, in der wir beide seit Jahrzehnten arbeiteten, wurde immer unerträglicher. Das unheilvolle Wort „Stellenabbau“ grassierte durch die Produktions-Firma, die uns beiden zur zweiten Heimat geworden war, da am Aufbau mit vollem Einsatz und persönlichem Engagement beteiligt. Die Rationalisierung war in vollem Gange, erfasste ganze Führungs-Etagen, in deren Folge nahezu jeder Mitarbeiter direkt oder indirekt betroffen war. Nach Kenntnis der Sachlage zogen auch wir die Konsequenzen und unterschrieben einen 5-Jahres Altersteilzeitvertrag, der als akzeptabler Ausweg offeriert wurde. Mein Mann, 2 Jahre älter, war vor mir dran. Noch 2 Jahre, dann habe auch ich es geschafft, seine, über alles geliebte und verehrte Frau, die ich seit 18 Jahren war.

In Reichweite vor Augen: Kleine (Adress-Wohnung) in Deutschland und Hauptwohnsitz in der „schönsten Stadt der Welt“, seiner Heimatstadt am Meer. Wir konnten es kaum erwarten, die Früchte unseres Arbeitslebens zu genießen, das äußerst anspruchsvoll war, das uns aber auch zu einem gewissen Wohlstand verhalf, den man als gute Mittelklasse bezeichnen konnte. Doch es kam anders!

Um ein paar Tage auszuspannen und endlich der Bitte meiner Freundin Dagmar nachzukommen, fuhr ich mit ihr nach Budapest. Sie lernte seit Jahren ungarisch und hatte dort ebenfalls eine Freundin, die uns vor Ort treffen und „ihre Stadt“ zeigen wollte. Am Abend des ersten Besichtigungs-Tages, kamen wir, reichlich geschafft, in unserem 4-Sterne-Wellness-Hotel an. Kaum auf das Bett geplumpst, überkamen mich urplötzlich unsägliche Kopfschmerzen, mein Nervensystem spielte total verrückt, so dass ich kaum mehr wusste, was oben oder unten war, zudem wurde mir übel; ich konnte mich nicht erinnern, je solchen Totalcrash verspürt zu haben. Dagmar ging, nachdem sie sich vergewisserte, mich alleine lassen zu können, zu Tisch. Mit letzter Kraft nahm ich zwei Aspirin, ließ mir eine Badewanne einlaufen, keineswegs sicher, dieses Bad heil zu überstehen. Mehr noch als mein Zustand machte mir die völlig unbekannte Art der Beschwerden zu schaffen. Nur allmählich fand mein Körper zu seinem gewohnten Rhythmus zurück, ich erholte mich aber während unseres Aufenthalts nie mehr ganz von dieser Attacke. Einmal fragte mich Dagmar, ob ich denn meinen Mann nie anrufen würde? „Nein, nein, das machen wir nie“, sagte ich, dabei verwechselte ich die Situation mit meinem Sohn, denn von Gianni, meinem Mann, war ich ja noch nie länger als ein paar Stunden getrennt. Hätte ich bloß ihren Rat befolgt!

Wie sich später bei meiner Rückkehr herausstellte, brach just zu diesem Zeitpunkt auf äußerst schmerzhafte Weise seine Krankheit aus. Er brauchte mich, war alleine und vollkommen hilflos. Nun, Budapest hatte so einige Erlebnisse, wobei nicht alle als schön bezeichnet werden konnten. Es war die Zeit nach dem Umbruch, der Privatisierung, da blieb schon Einiges auf der Strecke, dies betraf vor allem die untere Schicht, die sich gefährlich um die Metro-Viertel scharte. Einige gemischte Erfahrungen reicher, fuhren wir nach 5 Tagen zurück.

Ich wollte meinen Schnuffi, so nannte ich meinen Mann, voller Vorfreude überraschen und läutete an der Türe - es rührte sich nichts. War er nicht zu Hause? Kaum denkbar, um diese Zeit. Also ein zweiter Versuch, diesmal vehementer. Zögernd öffnete sich die Tür. Was ich sah, erschreckte mich zu Tode. Da stand nicht mein Mann, sondern ein zu Methusalem gealtertes Bündel Elend. In gebeugter Haltung berichtete er von irren Schmerzen im Rücken. Es war ihm weder Sitzen, noch Liegen oder Stehen möglich, und das, seit ich weg war. Schuldgefühle überkamen mich, ihn allein gelassen zu haben. Aber wie konnte ich das ahnen? Noch nie hatte er einen Arzt gebraucht. Beim Abschied zum Bahnhof begleitete er mich liebevoll, wenngleich er mir, jetzt, im Nachhinein betrachtet, ziemlich kraftlos oder etwas traurig erschien. Unglaublich, aber er bat mich, anderentags, Montag, eigentlich Arbeits- und zudem Abrechnungstag, mit ihm zum Arzt zu gehen. Es musste drastisch und nicht nur ernst sein, denn es war das erste Mal, dass wir beide uns entschuldigten. Undenkbar, nicht zur Arbeit zu gehen, so was kam für andere Mitarbeiter, nicht jedoch für uns infrage, die wir auch noch „mit dem Kopf unter dem Arm“ unserer Pflicht nachgingen. Unsere Hausärztin ordnete eine Blutentnahme an. Tags darauf die telefonische Aufforderung, „bitte umgehend kommen, zur Klärung der Angelegenheit.“ Alle Blut-Werte sprengten jeden Rahmen und eine sofortige Krankenhauseinweisung wurde veranlasst.

Dort angekommen, es war ein sehr heißer November-Tag, mussten wir warten, bis wir als neunter Notfall-Patient, nach etlichen Stunden, endlich dran waren. Mittlerweile sah mein Mann gelb wie eine Honigmelone aus, was die einfallenden Sonnenstrahlen noch untermalten. Er musste für weitere Untersuchungen im Krankenhaus bleiben. Was dann kam, war das Fegefeuer mit Sicht zur Hölle. Am schlimmsten war die Wartezeit, sprich die Zeit des Bangens und der Ungewissheit, die sich endlos hinzog, bis alle nötigen Untersuchungen abgeschlossen waren. Dann das brutale Resultat: Er hatte, wie sich der Arzt ausdrückte, die absolut hinterhältigste, heim-tückischste Krankheit in derzeitiger Medizin. Oh Gott, welch ein Urteil. Wenn du es vernimmst, bist du erstmal entsetzt. Wie konnte das sein? Wir hatten einen sehr schönen Sommer mit einem 4-wöchigen Aufenthalt im August/September in seiner Heimat hinter uns, waren motiviert für die „Frühaussteigerphase“, die in Reichweite anstand, und jetzt das! Erste Reaktion, unglaubliche Wut, gefolgt von der Frage nach dem Warum. Banale Dinge vermischen sich mit der unausweichlichen Realität, die du in diesem Augenblick noch nicht einschätzen kannst, aber nach und nach, mit jeder erneuten Untersuchung, zur Gewissheit wird.

Na, meine Liebe, hast die Rechnung wohl ohne „IHN“ gemacht, dachte ich sarkastisch zu mir, „IHN“, den großen Regisseur, der alles gibt und nimmt, der mich nicht vergessen wird und wieder einmal zugeschlagen hatte. Nächtelang am Fenster stehend, klagte ich ihn an. Verdammt, warum er? Ein allseits beliebter Mensch, der nie jemanden etwas zu leide getan hat, im Gegenteil, bei dem die Menschen die Straßenseite wechselten, um mit ihm zu plaudern, um hinterher frohgemut weiterzugehen. Wo er auftauchte, war gute Stimmung garantiert.

Nach neun qualvollen Monaten des Haderns, Hoffens und Leidens, in denen wir das ganze Chemo-, Strahlen- und Radio-Therapie-Programm sowie neueste amerikanische Studien, die mit 1 ½ Millionen versichert waren, sprich, nichts unversucht ließen, ging es unaufhaltsam dem Ende entgegen. Meine große Liebe „Schnuffi“ kämpfte verbissen gegen hochgradiges Fieber in einer Auffangklinik für Krebskranke, überstand unmenschliche Therapien, in diversen Kliniken, allesamt unwürdige Aufenthaltsorte, zusammen mit herzzerreißenden Patienten-Schicksalen. Dann das Aus. Er durfte sich seinen Platz zum Sterben aussuchen und entschied sich für zuhause.

Es war August und fürchterlich heiß. Sein Sterbelager, unser gemeinsames Schlafzimmer aber war nordseitig, mit herabgelassenen Jalousien erträglich kühl gehalten, und wir waren alle da. Seine geliebten Nachbarn, die Verwandten, auch sein Bruder und die Schwägerin aus Italien waren eingetroffen, Arzt und Pflegedienst im wechselnden Einsatz. In der dritten Nacht vor seinem Tod liebte er mich, unter Aufbietung all seiner Kräfte ein letztes Mal und es war uns beiden bewusst: Nie mehr!

Danach gab er mir entscheidende Lebenshilfe mit - auf meinen Weg allein:

„Zwei Dinge, Piccola:

1. Du bist eine super Frau, es tut mir unendlich leid, dich alleine lassen zu müssen, das hast du nicht verdient. Aber es gibt keine guten Männer mehr, wenn doch, sind sie verheiratet.Trotzdem, du sollst Spaß haben, aber kein Türke!

2. Niemand kommt in „meine kleine Schnuffi-Wohnung. „

Generell sagte er noch: „Du hast einen großen Fehler, du bist zu ehrlich, aber nicht alle Menschen um dich sind genauso ehrlich wie du.“

Ich weinte still.

Nun kannte ich bis dato so ziemlich jede Nation der Welt; erstaunlicherweise befand sich jedoch nicht eine türkische Person darunter. Deshalb fiel das Versprechen leicht: „Nein, niemals.“ Und die bisher vermietete Wohnung, in die ich ziehen würde, war sowieso nur für mich. Wie konnte er an ein Leben nach ihm denken? Ausgeschlossen!

Gianni hatte vor 10 Jahren zum Kauf geraten mit den Worten: „Piccola, deine Rente mal nix genug, die Wohnung ist für dich, ich da nix wohnen.“ „Aber Schnuffi, du gehst doch auch mal da mit mir rein, wenn auch nur für die kurze Zeit, die wir in Deutschland sind“, tat er stets mit einem eigenartigen Lächeln auf den Lippen ab.“ Heute weiß ich, er war in allem ein Prophet. Nichts, was er nicht vorausgesehen hatte. Wir lebten in einer gemieteten Wohnung, in wunderschöner Lage, mit netten Nachbarn, die ihm die Heimat ersetzten. Von dort würde er nie freiwillig weg gehen, darin war er standhaft.

Seinem in Jahren oft geäußerter letzter Wunsch: „Von hier gehe ich nur mit den Füßen voraus weg“, wurde stattgegeben, und so drehten die Leichenträger den Sarg um, und trugen ihn mit den Füßen voraus aus dem 1. Stock zu seiner letzten Fahrt in die Leichenhalle. Er war „Verso l’alto“, was soviel heißt wie, nach oben, himmelwärts, gegangen. Von da an war ich nicht mehr ich. Auf den Bildern der Beerdigung habe ich gelächelt als der Sarg herunter gelassen wurde, während „it’s time to say goodbye“, von Andrea Bocelli, erklang. Ich kann mich nur noch erinnern, ständig an Jacqueline Kennedy gedacht zu haben, die mir Vorbild, in gefasster Haltung und sehr stark, am Grab ihres Mannes stand, bei dessen Beerdigung. Warum gerade die? Keine Ahnung. Jedenfalls sollte niemand meine Verzweiflung sehen. Die Summe meiner Schicksale waren zuviel für mich in dieser Stunde, wurden verdrängt. Mein Sohn mit Freund, der ihm nahe stand wie ein Bruder, weinte bitterlich. Gianni war ihm Vaterersatz geworden. Schließlich war er namhaft am zustande kommen seiner Ehe beteiligt. Die Super-Schwiegertochter hatte als Gärtnerin die Blumen- Arrangements übernommen, die einfach überwältigend waren. Für jedes Familienmitglied gab es außer den Kränzen ein an Blumen verzierten Stangen hängenden, herzförmig verschweißten, persönlichen Abschiedsgruß. So stand zum Beispiel auf dem meines kleinsten Enkels: „Lieber Gianni, bist du gut im Himmel angekommen?“ Mein Kranz bestand aus einem Lorbeer geschmückten Ferrari-Reifen, den mein Sohn aufgetrieben hatte. Ferrari und die Formel 1 waren für meinen Mann kein Sport sondern sein Leben. „Entweder kaufe ich einen Ferrari oder ich heirate.“ So ernst war es ihm damit. Nun, er entschied sich für mich und fuhr dann Mercedes, wozu ich ihn aus ökonomischen Gründen überredete, allerdings jedes Jahr das neueste Modell, was ihn aber erst nach Jahren besänftigte. Das neueste Sportmodell war bereits bestellt, jetzt war es zu spät dafür. Alles wurde bedeutungslos.

Sofort nach seinem Tod zog ich aus der teuren Miet- in meine eigene Wohnung, was problemlos durch den Mieter, dem ich durch Zufall eine andere geeignete Wohnung anbieten konnte, gelang. Überhaupt hatte ich in den folgenden drei bis vier Monaten soviel Glück, wie niemals zuvor. Ich machte das Unmögliche möglich, brauchte nur einen Wunsch an „Schnuffi“ zu richten, und erhielt Hilfe von allen Seiten her. Für mich, dem selbständigen Macher, eine ungewohnte Situation. Es schien mir, als würde ich alle jemals geleisteten guten Taten für Andere, nun, mit einem Mal, zurück erhalten. Alles klappte wie am Schnürchen. Jetzt war ich also in meiner sonnigen kleinen Wohnung, renoviert und, bis auf drei alte Erinnerungsstücke, neu möbliert. Alle Leute um mich herum wunderten sich, wie ich das alles wegsteckte, wo sich doch jeder an uns als liebendes Vorzeige-Paar erinnerte. Dem war aber ganz und gar nicht so. Meine Aktivitäten, reiner Selbstschutz. Ganz im Gegenteil. Es folgten zwei Jahre der Isolation und fürchterlichen Herzschmerzes. Trotz meines großen Schicksalsschlages in einer Jung-Ehe war es mir bisher nie vergönnt, zu weinen. Jetzt, mit fünfundfünfzig Jahren, holte ich alles doppelt und dreifach nach.

„Wo bist du?“, fragte ich in den einsamen, verlassenen Nächten, eine Zigarette nach der anderen auf der Terrasse qualmend. Kommunizierte mit ihm, verbunden mit dem unsichtbaren Band unserer Liebe und verzweifelten, unwiderruflichen Trennung. Ich fühlte mich amputiert und vermisste ihn so schrecklich. Vor Tränen blind, in einem nicht enden wollenden schwarzen Tunnel, nur noch von dem Wunsch beseelt, meinem Mann nachfolgen zu dürfen, musste ich im Hier leben. Doch was heißt hier leben? Dem Jenseits näher, da vorwiegend auf dem Friedhof, der mir zur zweiten Heimat wurde, durchbrach ein Lebensfunke, der erste Blitzgedanke, der sich nicht mit „Schnuffi“ beschäftigte: „Ich muss hier raus!“

Aber wohin? Vielleicht eine Stadtreise? Alle namhaften Metropolen hatte ich bereits mit meinem Mann besucht. Also, was könnte mich noch interessieren, wohin? Istanbul hast du noch nicht gesehen, fiel mir ein, als ich in der Samstagausgabe meiner Zeitung einen Artikel darüber las. Ich buchte, ohne weitere Überlegung, in einem türkischen Reisebüro. Der Besitzer fragte: „Du alleine reisen?“ „Ja.“ „Du Verwandte treffen?“ „Nein.“ „Du Freunde treffen?“ „Nein.“ „Du erste Mal in Istanbul?“ „Ja.“ „Du aufpassen, Istanbul ganz schön, aber gefährlich für Frau alleine.“ „Schon gut“, meine Antwort, „ich aufpassen.“ Überflüssig, die Ermahnung, Reisen war und bleibt meine Passion. Hier hast du einen Experten vor dir, dachte ich. Keine Sekunde war mir bewusst, dass ich in die Türkei aufbrechen und damit auf verbotenes Terrain stoßen würde.

2. Kapitel – Istanbul, Anfang Mai 2005

Lethargisch machte ich mich auf, die fünftägige Stadt-Rundreise anzutreten. Eine schwarze, deutsche Frau im Kaftan, darunter Lederstiefel, die am ersten Tag noch nicht dabei war, stand am zweiten Besichtungs-Tag abwartend neben dem Bus. Sie setzte sich neben mich, und war mir während des gesamten Aufenthalts ein angenehmer, unaufdringlicher Begleiter. Es war Sympathie auf den ersten Blick und ich bedankte mich insgeheim bei meinem Mann. Wohl wissend, dass ich Schwarze ganz besonders ins Herz geschlossen habe, war ich mir sicher, dass dieser Beistand von ihm kam. Wir logierten im gleichen Hotel, wovon uns nur 2 Zimmer trennten. Abends gingen wir aus, wobei ihr auf Schritt und Tritt Komplimente gemacht wurden, ob ihrer auffälligen Erscheinung – sie trug bunte, seidige, lange Kaftane, dazu langes schwarzes Haar, umgeben von einer eigenartigen Unnahbarkeit. Die Frage nach ihrer Nationalität beantwortete sie jedes Mal anders, wobei sie meist irgendwelche weit entfernte Südseeinseln nannte, die hier kein Mensch kannte, und allenfalls Staunen und noch mehr Bewunderung hervorriefen. Oft benutzten wir eines der preisgünstigen Taksis für eine lebensgefährliche Rückfahrt ins Hotel über sechs Autospuren hinweg, alle Verkehrsregeln außer Acht lassend. Istanbul bei Nacht, mit nicht lizenzierten Fahrern, ein Erlebnis der besonderen Art, nur bedingt empfehlenswert, wir waren gewarnt.

Nach 5 Tagen gemeinsamer Stadterkundung fassten wir, ohne konkrete Vorstellung, den Entschluss, den Sommerurlaub gemeinsam zu verbringen. Vorschlag ihrerseits: Ibiza. Dort habe sie mal 8 Jahre gelebt und ob ich es kennen würde, was ich verneinte, aber liebend gerne nachholen wollte. Sophia gestand, vor Jahren am Strand eine romantische Ehe ohne Trauschein geschlossen zu haben, die jedoch nicht hielt, da sich ihr Auserwählter nach einigen Jahren einer anderen Frau zuwandte, was sie bis heute nicht überwunden hätte. Aus irgendwelchen Gründen schaffte sie es nicht, die Reise klarzumachen, angeblich war alles überbucht im Sommer etc., und so ging der Ball an mich. In der Auswahl hatte ich freie Hand. Da meine schöne Kreolin Sophia in der Schweiz arbeitete, waren Kontakte schwierig und teuer. Jedoch ihre telefonisch knappen, klaren Anweisungen, verbunden mit einem Urvertrauen, ließen mich selbständig gewähren, was mir sehr entgegen kam. Eine schönere Verbindung zwischen zwei Frauen konnte ich mir nicht vorstellen. Oder doch? Das gab es schon einmal, erinnerte ich mich. Damals, auf dem Boot in Kroatien. Sie hieß Sylvia, unsere Freundschaft hielt jahrelang und endete, ohne erkenn- oder nachvollziehbarem Grund, abrupt mit ihrer zweiten Heirat. Sie war eine wohl situierte, gebildete Frau mit einem Lehramt, hineingeboren in höchste Kreise und heiratete einen Analphabeten von einer kleinen Insel im Atlantik, den sie erst einmal auf eine Schule für Asylanten schicken musste, um ein wenig Deutsch zu lernen. Dem sie später ein Auto kaufte, damit er sich als Taxifahrer verdingen konnte, sein Haus ausbaute, umgestaltete, wohnlich machte für beide. Alles Dinge, für die ich sie liebte.

Meine Erinnerungen an diesen, viele Jahre zurückliegenden Bootsurlaub, entlang der Küste Kroatiens wurden wach, als mir ein Prospekt in die Finger kam, der abwechslungsreichen Urlaub verhieß. Der nun schon vertraute türkische Reise- büroleiter schwärmte von meiner Wahl einer „blauen Reise“ auf einem Motorsegler, die von Bodrum aus, die Marmaris-Küste entlang führte. Anschließend sollte noch eine Woche in einem kleinen, von ihm empfohlenen Hotel, im nahe gelegenen Gümbet, folgen. Ein kurzes Telefonat mit Sophia – zwecks Terminabsprache – und ich buchte für uns. Gleicher Ankunfts- bzw. Abflugtag, Sophia jedoch aus dem Norden, ich aus dem Süden Deutschlands kommend.

Diese Reise in die Türkei, sollte zu einem ungeahnten Traumurlaub werden.

3. Kapitel – Bootsurlaub, Anfang August 2005

Planmäßig erreichte ich das Boot. Freundliche Begrüßung durch die Crew und Zuteilung der Kabine. Wenig später der Besuch einer Dame von der Agentur mit folgendem Anliegen: Das von uns gebuchte Boot wurde kurzfristig privat gechartert, ob es uns möglich wäre, auf ein anderes zu wechseln, das allerdings erst morgen Nachmittag einlaufen würde. Diese Nacht könnten wir hier verbringen. Ich entschied spontan: „Keineswegs“, das Abenteuer konnte beginnen! Sophia traf einige Stunden später ein, Flugverspätung und Probleme mit dem Zubringerbus, der aufgrund dessen lange Wartezeiten hatte. Sie vernahm die Änderung flexibel wie ich. Allerdings bedauerte die Crew unseren Wechsel, wollte ihn rückgängig machen, musste aber letztendlich klein beigeben. Zum Trost, oder als letzte Chance für sie? ludten sie uns anderentags für ein Grill-Abendessen ein, das sie für uns auf dem Boot arrangieren wollten.

Als Dankeschön der Reiseleitung durften wir uns für den kommenden Tag ein Boot aussuchen, mit dem wir einen mehrstündigen Ausflug in der Gegend Bodrums unternahmen. Wir entschieden uns für ein altes, kleines Ausflugsboot und ließen die modernen, lederbestückten „Halli-Galli Ausflugsboote“ links liegen. Außer einigen Japanern auf Honeymoon-Reise war nur noch ein Universitäts-English-Teacher aus Istanbul da. Als er die schöne Kreolin Sophia sah, war er hin und weg. Wahrlich, eine Kopie von Naomi Campbell. Entgegen seiner Gepflogenheit, man sah es ihm an, und unter Aufbietung aller Courage, sprach er sie an und konnte sein Glück kaum fassen, als sie ihm, meinen zustimmenden Blick auffangend, freundlich antwortete. Der Mann war völlig aus dem Häuschen und lud uns beide für den Abend in das beste Fischrestaurant am Platze ein. Er musste am Treffpunkt eine Stunde auf uns warten, da meine Uhr noch deutsche Zeit hatte, war aber überglücklich, als er uns - für den Abend ziemlich herausgeputzt - erblickte. Bei Tisch überreichte er Sophia zwei hübsche Schmuckkästchen. Eines enthielt ein Perlmutt-Collier, im anderen befand sich das dazu passende Armband. Auch mir schenkte er, wohl in Dankbarkeit (Trostpreis), einen Perlmutt-anhänger, der wirklich zu allem passt. Nach dem sowohl guten als auch teuren Fisch-Essen am Hafen, schlenderten wir auf eine Anhöhe hinauf, zur absoluten In-Diskothek namens Harlikanas. Das dort gebotene Spektakel rechtfertigte allemal den Eintrittpreis. Viele VIP’s waren anwesend, wegen Formel-Eins in Istanbul, darunter ein Scheich, der gleich das ganze Rixos-Hotel gebucht hatte, und die Security arbeitete unübersehbar, auch wegen erhöhter Bombendrohungen.

Nach einer langen Nacht verabschiedeten wir uns brav von unserem Begleiter, da wir anderentags ablegten, und eine Mütze Schlaf mehr als erstrebenswert war. Am Boot angekommen, das wir nachmittags gewechselt hatten, wobei der Kapitän persönlich meinen kleinen Koffer holte, aber ich ihn, neben ihm hertrottend, nicht wahrnahm, sah ich „ihn“ erstmals. Er lag in Cäsar-Manier weiß gekleidet, auf dem neben uns ankernden Boot. Ein kurzer Augenblick nach rechts, mich durchzuckte ein Blitz, das war’s. Alle übrigen 10 Passagiere, die nun ebenfalls vollzählig an Deck waren, suchten sich je eine Liege an Deck, um mit den Decken aus der Kabine am Vorderdeck, unter freiem Himmel, zu übernachten. Sophia und ich blieben in der Kabine. Als es ruhig wurde, schlich ich wort- und lautlos, wie ferngesteuert, ans Deckende, wo sich hinter dem Tisch schöne, breite Liegen befanden. „Er“ lag da, vergraben und unkenntlich in eine Decke gehüllt. Wie konnte ich ahnen, dass „er“ es war, der Mann vom anderen Boot, der da unter freiem Sternenhimmel sein Nachtlager aufgeschlagen hatte. Ich wusste es einfach. Behutsam legte ich mich dazu. Keine Regung seinerseits. Langsam begann ich, ihn am Kopf zu massieren, sehr bedächtig und gezielt. Er hatte keine Ahnung, wer bei ihm war, lag regungslos da. Seine Erstarrung wich erst nach 1 Stunde intensiver, beinahe professioneller Kopfmassage. Vom ersten Blick-Kontakt an erfasste ich seine enormen, verborgenen Probleme. Der Reiz, zu ihnen vorzudringen, beflügelte mich und wurde von Erfolg gekrönt. Unendlich langsam öffnete sich der Knoten, bis er am Morgen wie Butter in meinen Armen lag. Ein außergewöhnlicher Mann, unendlich verschlossen und schwierig! Aber wer war er? Was hat mich bewogen, zu ihm zu gehen, woher wusste ich so genau, dass er es war? Üblicherweise warteten Männer auf mich jahrelang erfolglos. Wie komme ich dazu, auf einen Mann zuzugehen, den ersten Schritt zu tun? Eines stand für mich fest: Das war nicht ich! Wer oder was hat mich also, nahezu schlafwandlerisch, geleitet? Woher nahm ich die Sicherheit, dass er sich dort, in der Dunkelheit, auf seinem Nachtlager befand? Ich spürte instinktiv, es waren seine überwältigenden Probleme, die mich magisch anzogen. Als sich am frühen Morgen die ersten Passagiere rührten, ging ich in meine Kabine zurück, um zu duschen, und er sagte „Danke.“ Sophia fragte süffisant: „Na, wo warst du denn?“, aber statt einer Antwort schaute ich sie nur völlig fassungslos an. Was war passiert mit mir? Nach einem gemeinsamen Frühstück liefen wir aus. Am Ruder der Kapitän: „Er“. Verstohlene Blicke, Einigkeit.

Meine Verwunderung war riesengroß, da ich ihn ursprünglich, instinktiv, für einen Maschinisten hielt. Als ich Sophia nach ihm fragte und sie darüber informierte, mit ihm die Nacht verbracht zu haben, antwortete sie: „Das ist Karim, der Kapitän, hast du das nicht gewusst?“ Ich war sprachlos. Eine ca. dreistündige, rasante Fahrt übers Meer brachte uns an eine herrliche Bucht, in der wir ein erfrischendes Bad nahmen. Seine kritischen Blicke folgten mir bis an Land. Zurück an Bord ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen: „Du schwimmst sehr gut.“ Eine nicht unerhebliche Aussage, wie sich später herausstellte. Zudem das einzige persönliche Kompliment, das ich von ihm jemals zu hören bekam. Der Tag verstrich mit Mittagessen, Haut mit Sonnencreme schützen sowie lesen und dösen gleichermaßen. Die Gespräche der Mitreisenden hielten sich in Grenzen; man war gerade erst dabei, sich kennen zu lernen. Ab und zu kam „Er“ vorbei, um Anker zu lichten oder andere Arbeiten zu verrichten. Aus dem Blickwinkel streiften mich regelmäßig seine betörenden Signale, einem Stromschlag gleich. Nach der Siesta stellte er kleine Lautsprecher in Augenhöhe meiner Liege, um mir wundervolle Musik zuzuspielen. Mir war klar, hier war ein Profi am Werk, der alle Register zog und um seine Wirkung auf Frauen wusste. Wir waren 8 Frauen an Bord. Darunter eine Thailänderin, drei Österreicherinnen usw. Er war sich deren Bewunderung sicher und eine Frau, sie war verheiratet, aber alleine mit Sohn gekommen, konnte ihre Gier nach ihm kaum im Zaum halten. Nachdem ihr eindeutiges Drängen unerhört blieb, machte sie ihm und uns das Leben zur Hölle, indem sie allabendlich zuviel trank und sich entsprechend daneben benahm. Natürlich genoss er seinen Status, badete in der Gunst seiner Anvertrauten, war aber stets zurückhaltend, schweigend, äußerst sanft und ruhig; schlicht und ergreifend - angenehm. Es war Fakt, dass er jede einzelne Frau hätte haben können, sie lauerten ihm buchstäblich auf, um sich ganz offensichtlich anzubieten. Warum also ich? Ich hasste Schönlinge, bevorzuge Typen mit markanten Zügen; innere Werte waren mein Gradmesser. Kurz, er war so gar nicht mein Typ, weil viel zu schön. In Wahrheit nahm ich sein Äußeres zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wahr, vielmehr sah ich auf den Grund seiner Seele. Eine einzige drängende Frage beschäftigte mich dabei: „Wie kann ein Mensch leben ohne Herz, wie funktioniert er?“ Dieser Mann war so tot, wie es mein geliebter Mann nie war. Wie war es einem Menschen möglich, ohne Motor zu leben? Das Rätsel seiner Ausweglosigkeit, verbunden mit einer vorher nie gesehenen Melancholie, lag unausgesprochen vor mir, beschäftigten mich unentwegt.

Abends waren wir bereits wieder an anderen, noch schöneren Ufern angelangt. So konnte das gerne 8 Tage bleiben. Nach einem tollen Abendessen, Spaghetti mit Bohnen, eines meiner Leibgerichte seit Kuba, die er servierte, zu denen ich mit Sophia die obligatorische Flasche Wein trank, fragte er leise ins Ohr flüsternd, indem er mir nachschenkte: „Kommst du?“ Und ich kam – gemeinsam erlebten wir ein Feuerwerk der Inbrunst. Gott, was konnte der Mann küssen. Mit seinen makellosen, blendend weißen Zähnen sog er mich mit Haut und Haaren in sich auf, einem Raubtier gleich, das seine Beute verschlingt. Sein Haifischgebiss grub sich in meinen Hals, sog an meinen Lippen, meinen Brüsten, bis wir uns in Ekstase, der lodernden Leidenschaft hingaben.

Er konnte nicht ahnen, dass ich 2 Jahre vorher meinen über alles geliebten Mann verloren hatte und ich kurz davor noch drauf und dran war, ihm zu folgen. Was für ein Kontrast! Das Leben hatte mich wieder! Dank ihm. Beide hatten wir den rettenden Anker gefunden. Ich war an Bord seines Bootes, tagsüber Ausflüge unternehmend mit Sophia, die unsere gegenseitige tiefe Zuneigung bewundernd und billigend miterlebte; nicht ohne lächelnd auf die vielen lila gefärbten Flecke an mir und meine aufgeschwollenen Lippen aufmerksam zu machen, die ich aus der leidenschaftlichen Nacht mitbrachte - aber nicht wahrnahm, in meinem Ausnahmezustand.

Die Sonne lachte und die Meerluft tat das Übrige. Meine Augen strahlten mit den Farben des Meeres um die Wette, sie waren wie frisch poliert, der Tränenvorhang abgenommen. Ich fühlte mich wie ein 14-jähriges Mädchen; alle Schwermut war vergessen, das Meer hatte sie weggeblasen. So schön die Tage waren, die Nächte unter freiem Sternen-Himmel, die zahllos und greifbar nahe strahlten, waren noch einzigartiger. Das Glück hatte bei uns Einzug gehalten, Halt gemacht, und uns überwältigt. Mit den Elementen kannte er sich bestens aus, nein, er war Teil von ihnen, und so nannte er den einen oder anderen Stern beim Namen. Auch konnte er Seebeben vernehmen, von denen es hier so viele gab und denen er nachts atemlos lauschte. Einmal gingen wir an Land zu einem Paar mit Kindern, das dort in primitivsten Verhältnissen, zusammen mit Tieren lebte – ein Garten Eden, in dem man Feigen vom Baum pflücken konnte und kleine Zicklein streicheln -. Unser Koch, im Privatleben Segler, übernahm die weitere Exkursion. Bis hinauf in karge Gipfelregionen, führte uns der Duft mediterraner Gewürze, von wo aus man auf malerische Buchten sah. Dort angekommen, staunten wir über frische Quellen, die dem Berg entsprangen, und direkt ins Meer flossen. Sehen, genießen, jubeln, festhalten wollen und Abschied nehmen müssen von diesem Kleinod der Natur.

Dem wundervollen Tag folgte ein Abend, an dem ich, super gelaunt, die komplette Mannschaft unterhielt. Es wurde viel gelacht und eine Flasche Wein nach der anderen geleert. Wir amüsierten uns so sehr, dass keiner ins Bett wollte und den Abend darauf der Wunsch nach Wiederholung laut wurde, dem ich jedoch auswich, aus verständlichem Grund. Karim, mein Kapitän, wartete schon lange schläfrig und ungeduldig auf seinen Schlafplatz - und mich. Er hatte mir nachmittags ein Geschenk gemacht, indem er mir hoheits- und liebevoll, eine Feige überreichte. Feigen hatten für mich und meinen Mann seit jeher eine besondere Bedeutung, wie konnte er das ahnen? Sofort folgte ein Wehrmutstropfen. „Hier, noch eine für deine Freundin“, sagte er, und ich empfand zu meinem größten Erstaunen Eifersucht. Sophia sagte aber, „ich esse keine Feigen“ und so blieb mir auch die andere, was er lächelnd beäugte. Immerzu fühlte ich mich von ihm ausgetrickst, wie eine kleine, dumme Gans. In seinem Beisein hatte ich das Gefühl eines Schulmädchens, das verbotenerweise auf ihren ersten, heimlichen Freund traf.

Tags darauf kamen wir nach Marmaris und von dort gelangten wir mit dem Bus zum Golf von Gökova. Hier war ein Ausflug mit einem kleinen Fischerboot vorgesehen. Wir tuckerten entlang eines unberührten Schilfparadieses und ich fühlte mich zurückversetzt in meine Kindheit, in der ich, zusammen mit meinem Opa, derartiges Land durchstreifte, das es, aufgrund der Flurbereinigung, heute leider nicht mehr gibt. An der Anlegestelle lagen malerisch bunte Fischerboote, flankiert von einigen Fischern, die Karim, im Boot stehend, wie ein Gladiator passierend, freundlich grüßte. Ich beobachtete seinen Einzug sehr aufmerksam und mir entging nicht, dass nicht jeder Einheimische ebenso freundlich zurück grüßte. Wir glitten an verträumt wirkenden kleinen Häusern mit blühenden Gärten vorbei, die mich zum Bleiben aufforderten. An einer kleinen runden Seestelle sprang Karim unversehens, zum Erstaunen der Touristen, ins Wasser und forderte uns auf, es ihm gleich zu tun. Schwups und schon war ich ihm gefolgt. Das Wasser war glasklar und eiskalt, da frisches Quellwasser von den Bergen. Man konnte die grünen Schlingpflanzen, die Brutstätten der Enten und Wasservögel im Schilf sehen. Ein unberührtes Naturparadies, wie es nur noch wenige gibt und in meiner Gegend leider ausgestorben ist. Danach fuhren wir an einen Strand. Mir war die Zeit zu schade, um mich den restlichen Touristen anzuschließen, die in ein Cafe gingen. Außerdem wollte ich das soeben Erlebte noch nachklingen lassen. So schlenderte ich durch einen liebevoll gestalteten, kleinen Basar und erstand dabei für ein paar türkische Lira schöne Schmuck-Handarbeiten. Auf dem Rückweg setzte ich mich auf eine Bank und genoss vor der herrlichen Strandkulisse ein Eis am Stiel.

Wie aus dem Nichts tauchten Karim und sein Stewart auf, der mir einige persönliche Fragen in Englisch stellte. Nanu, was war in den gefahren? Der hatte auch einen Mund zum Reden, noch dazu war er gut gelaunt. Er wollte wissen, was ich arbeitete und wo. Bereitwillig gab ich Auskunft und auch er verriet mir einiges aus seinem Leben. Es wurde eine richtige Unterhaltung und mir wurde bewusst, die erste für mich, seit langer Zeit, die mich auch noch fesselte. Karim hörte aufmerksam zu, verfolgte jedes meiner Worte voller Interesse. Sein Steward war ein seriöser aufrichtiger Mann, selbst Kapitän, ohne Hintergedanken, das konnte ich spüren und leise dachte ich, „gar nicht so wie Karim.“ Der aber zog mich später beiseite und erklärte mir, dass der Mann geschieden wäre, weil impotent, sein Patent dem Militär zu verdanken hätte und deshalb auch unbrauchbar in der Praxis wäre, die er ausschließlich ihm zu verdanken hätte. Na, na, bisschen viel Negatives auf einmal, schoss es mir durch den Kopf, ich fand den Mann ganz gut. Ob er wohl was ahnte, von unserem Verhältnis? Gut möglich, sinnierte ich. Lautstark näherte sich unsere Gruppe, da war es auch schon wieder Zeit zurückzukehren. Der Koch empfing uns auf dem Boot mit einem speziellen Abendessen, das er, einem Show-Entertainer gleich, mit viel Geschick und Humor servierte. Nach einer wohl schmeckenden Kürbissuppe tischte er in einer Kasserolle, nach griechisch/türkischer Art gebratene, mit Reis und Hackfleisch gefüllte Paprikaschoten auf. Zu meinem Leidwesen blieb kein Krümel übrig. Dieses, auch ein Leibgericht von mir, konnte niemand so gut zubereiten, wie meine griechische Nachbarin, an die ich mich jetzt erinnerte. Alles vorbei, sie lebte mit ihrem Mann seit einigen Jahren, da beide in Rente, in Griechenland. Bald würde ich sie besuchen, nahm ich mir vor, und damit ein langes Versprechen einlösen.

Gleich Morgen wollte ich ihnen eine Karte schreiben aus dieser herrlichen Gegend der Ägäis, die schließlich bis 1923 griechisches Territorium war. Der Koch war noch nicht fertig mit seinem Überraschungsabend und brachte selbst gebackenen Kokos-Kuchen und duftendes Gebäck. Zum Abschluss gab es frisches Obst, wie man es so wohlschmeckend nur in südlichen Ländern vorfindet. Durchgehend entertainte er uns mit diversen Varieteeinlagen und Spielen, wie ein Profi-Animateur. Wir waren allesamt bester Stimmung. Nicht so der Kapitän, dessen Mimik sich immer mehr verfinsterte. In dieser Nacht ging ich zu ihm, aber er war nicht da. So blieb ich allein, schnappte mir eine seiner zwei Decken und legte mich auf die andere Seite seines Nachtlagers. Bald darauf musste ich wohl eingeschlafen sein. Ein ständig sich wiederholendes, beängstigendes Geräusch des Prustens weckte mich mitten in der Nacht. Ich hielt den Atem an und lauschte. Ja, da, keine Täuschung, ich hörte regelmäßige, undefinierbare Laute, die aus der Tiefe kamen. Nach einer Weile nahm ich, mit stockendem Atem, allen Mut zusammen und schaute vorsichtig über Bord. In pechschwarzer Nacht konnte ich ein Dingi wahrnehmen, in dem ein Mann stand; daneben ein Taucher. Jetzt war mir das Geräusch klar, es kam vom Atemgerät der Taucherflasche.

Leise schlich ich ans Vorderdeck und weckte den Koch, der dort schlief. Ich deutete ihm, mit mir zu kommen, um ihm zu zeigen, dass das Boot gestohlen wird, so meine Vermutung. Als er das Dingi sah, lachte er leise und sagte, „das ist der Kapitän mit seinem Steward.“

Sofort legte ich mich wieder ins Bett. Es dauerte nicht lange, da kam Karim im Taucheranzug an Bord, dem er sich klatschend zu Boden fallend, entledigte. Er verstaute seine mit der Harpune erlegte Beute, indem er das prall gefüllte Fischernetz auf den Boden warf, um es dann, umgeschichtet, in der großen Gefriertruhe zu verstauen. Vollkommen nass und halb erfroren legte er sich zu Bett, nicht ahnend, dass ich am Fußende gegenüber lag. Ich wartete bis er sich zur Seite rollte und schlich mich kurz darauf zu ihm. Igitt! Er fühlte sich an wie ein Fisch aus dem Eismeer, währenddessen ich fast kochte vor Aufregung über das Erlebte. Es dauerte auch nicht lange, bis wir beide den entsprechenden Temperaturausgleich hergestellt hatten. Diese Nacht war unwiderruflich die abenteuerlichste meines Lebens. Er wäre wohl besser als Hai geboren, dachte ich bei mir. Wie überlebt er nur die Tauch-Stunden im dunklen Meer? Seine lautlose, unaufdringliche und doch so gierige, raubfischähnliche Art, einem Angriff gleich, ließen immer wieder den Vergleich aufkommen. „Ich jetzt gut, du hier, du meine zweite Frau, ich weiß. Wir jetzt bisschen Schlafen, morgen früh weg.“ Mit einem „Danke, lieber Gott“, gen Himmel gerichtet, schlief ich wohlig an seiner Seite ein.

Nach so einer Woche, in der er, während wir Touristen Ausflüge unternahmen, jede freie Minute zum Tauchen nutzte, war mir klar, dass dieses aufregende Abenteuer hier sein Ende finden müsste. Wiederholung ausgeschlossen. Langsam wurde mir bewusst, dass ich meinen Eid gebrochen hatte und mit einem Türken schlief, ohne mich auch nur einen Deut über Konventionen zu scheren, die mein bisheriges Leben bestimmten. Begierig kostete ich jede Minute mit ihm aus. Eine einzigartige kurze Zeit, von der nur noch wenig blieb. Mehr konnte, wollte ich nicht denken. Tags darauf steuerten wir eine Bucht mit magischer Aura an. Ich schwamm an Land und plötzlich tauchte „Er“ aus dem Nichts auf, wo kam er bloß her? Ich hatte ihn, wie üblich, nicht bemerkt. Seine ständige Kontrolle über mich machte mich rasend. Gemeinsam erkundeten wir die Gegend, er machte mich auf Bergziegen aufmerksam, die in schwindelnden Höhen mühelos herumliefen.