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Nr. 1384

 

Ort der Erfüllung

 

Auf dem Planeten der Schläfer – die Station der Barkoniden wird entdeckt

 

von Clark Darlton

 

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Nach der Zerschlagung des Kriegerkults ist den Völkern der Milchstraße nur eine kurze Verschnaufpause vergönnt. Die neue Bedrohung, die auf die Galaktiker zukommt, wird Anfang des Jahres 447 NGZ, das dem Jahr 4034 alter Zeitrechnung entspricht, erstmals erkennbar, als Teile der Galaxis Hangay aus dem sterbenden Universum Tarkan in unseren eigenen Kosmos gelangen.

Im Herbst 447 ist vielen Galaktikern das ganze Ausmaß der Gefahr des Materietransfers längst klar geworden, zumal ein weiteres Viertel von Hangay in unserer Lokalen Gruppe aufgetaucht ist – unter gleichzeitigem Verschwinden einer großen Anzahl von Sonnenmassen unseres eigenen Universums.

Noch bevor der Transfer des 3. Hangay-Viertels aus dem sterbenden Universum ansteht und bevor Atlans Tarkan-Expedition ihr Ziel erreicht und die Kreise der Hauri im Ushallu-System stören kann, deren Materiewippe beim Hangay-Transfer Ersatz der verloren gegangenen Sternenmassen aus unserem Universum besorgen soll, ereignet sich auch an anderer Stelle Wichtiges.

Schauplatz ist unser Universum – die Handlungsträger sind Barkon, der alte Kurier, Ernst Ellert und Testare, das ehemalige Cappinfragment Alaska Saedelaeres. Die drei Intelligenzen mit nur einem Körper erreichen den ORT DER ERFÜLLUNG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Barkon – Ein Kundschafter auf der Suche nach dem Ort der Erfüllung.

Ernst Ellert und Testare – Zwei Bewusstseine auf Reisen.

Norok und Torm – Zwei Xatrer werden übernommen.

Vanna iko Louth – Ein Blinder erteilt Auskunft.

Brentor – Ein Gastwirt von Xatron.

1.

 

Als der ehemalige Kundschafter der Barkoniden, der seinen Namen vergessen hatte und sich deshalb einfach nur »Barkon« nannte, den Transmitter auf dem zweiten Planeten der unbekannten gelben Sonne aktivierte, war er fest davon überzeugt, dass die nächste Empfangsstation in einer Galaxis der Mächtigkeitsballung von ES stand. Er war davon überzeugt, aber ganz sicher konnte er nicht sein. Die Symbole auf den Aktivierungstasten waren nicht zu entziffern gewesen, und selbst die beiden Bewusstseine von Ernst Ellert und dem Cappinfragment Testare hatten ihm nicht weiterhelfen können.

Sie waren in seinen Körper geschlüpft, um während der Transition durch die fünfte Dimension nicht getrennt zu werden.

»Vertraue mir, Ellert, und auch du, Testare«, hatte er ihnen mitgeteilt. »Einmal im sicheren ›Hafen von ES‹ ist die Orientierung einfach. Du kennst dort jede Galaxis, Ellert, wenn du sie nur von Ferne siehst. So, und nun wollen wir nicht noch mehr Zeit vergeuden.«

Sie hatten einen langen Weg über verschiedene Transmitterstationen hinter sich. Barkon war überzeugt, dass einige von ihnen von seinem eigenen Volk angelegt worden waren, aber die fremden Zeichensymbole hatten ihn verwirrt und ihn zweifeln lassen. Jedenfalls hatten sie nun endgültig die Orientierung verloren, und ihr eigentliches Ziel, der »Ort der Erfüllung«, schien entfernter zu sein als je zuvor.

Diese Befürchtung jedoch behielt Barkon für sich.

Seine herbe Enttäuschung aber, die wie eine eiskalte Woge über ihn herfiel, als er in der unbekannten Empfangsstation rematerialisierte, konnte er vor Ellert und Testare nicht mehr verbergen.

Immer noch in Barkons Körper vereint, nahmen die drei Bewusstseine Verbindung auf. Akustisch war nur Barkon zu vernehmen, wenn er laut dachte.

»Wo sind wir?«, wollte Ellert wissen, der – wie Testare – durch die Augen des alten Barkoniden sehen konnte. »Ein unheimlicher und düsterer Ort. Wir sollten gleich wieder von hier verschwinden.«

»Wir dürfen nichts übereilen«, warnte Barkon bedrückt, denn auch ihm flößte die neue Umgebung kein Vertrauen ein. »Wir sehen nur das Innere der Empfangsstation, aber wir wissen nicht, wie es draußen aussieht und in welchem Teil der Lokalen Gruppe wir uns befinden.«

Wenn wir uns da befinden, dachte Testare voller Zweifel.

»Sehen wir uns um«, schlug Barkon vor und öffnete die Tür der Transmitterkabine.

Die riesige Halle war von einem schwachen Dämmerlicht erfüllt, das von der hohen Decke herabfiel. Der Raum war kahl und leer, wenn man von dem runden Podest absah, auf dem der Transmitter fest verankert stand. Darunter musste sich unsichtbar die Energieversorgung befinden. Vom Podest führten fünf Stufen in die Halle hinab.

»Ich kann keinen Ausgang entdecken«, sagte Barkon laut und enttäuscht. »Wenn die Abstrahlanlage ausfällt, sind wir hier lebendig begraben.«

»Keine Sorge, Barkon. Testare und ich können jederzeit körperlos an die Oberfläche gelangen, aber ich denke, wir sehen uns zuerst einmal gründlich hier um. Was meinst du zu dem Transmitter?«

Barkon warf einen Blick zurück.

»Die gleiche Konstruktion wie auf dem Planeten der Dorten, nehme ich an. Zumindest lassen die unverständlichen Symbole darauf schließen. Die Anlage stammt nicht von meinem Volk.«

Langsam und bedächtig unternahm Barkon einen Rundgang durch die Halle. Immer noch hoffte er, einen verborgenen Ausgang zu entdecken, den sie bisher übersehen hatten. Wenn es wirklich keinen gab, konnte es sich bei der Anlage nur um eine Art Relaisstation handeln, die lediglich empfing und – nach entsprechender Aktivierung – wieder abstrahlte.

»Nichts«, verriet er nichts Neues, als er zum Ausgangspunkt seiner Wanderung zurückgekehrt war. »Wir werden uns abermals auf unser Glück verlassen müssen. Die obere Reihe der Aktivierungstasten transportiert uns weiter. Ich möchte wissen, in welchem Teil des Universums wir uns aufhalten. Das könnte uns helfen, die Symbole auf den Tasten zu deuten.«

»Du hast recht«, gab Barkon zu, und auch Testare signalisierte sein Einverständnis. »Als körperloses Bewusstsein dürfte es dir leichtfallen, diesen unheimlichen Ort zu verlassen und dich draußen umzusehen. Hoffentlich findest du zu uns zurück.«

»Keine Sorge, ich suche nur die Nachtseite des Planeten auf, um die Sterne zu sehen – oder mehr.«

Ernst Ellert verließ seinen Gastkörper und schwebte unsichtbar in der Halle. Er konzentrierte sich senkrecht nach oben, um die Felsendecke zu durchdringen, die ihn von der Oberfläche des Planeten, wie er hoffte, trennte. Normalerweise kein Problem für ihn, aber diesmal kam es anders, als er erwartete.

Noch ehe er die Decke erreichen konnte, wurde er zurückgeschleudert.

Zurückgeschleudert in Barkons Körper.

Ellert konnte keinen körperlichen Schmerz empfinden, und doch war ihm, als wolle ihn eine furchtbare Gewalt in Stücke reißen. Es dauerte Sekunden, ehe er wieder fähig war, die erschrockenen Gedankenimpulse von Barkon und Testare aufzunehmen.

»Was ist passiert?«

Ellert zögerte mit der Antwort, weil er selbst nicht wusste, was geschehen war – und warum. Unter normalen Umständen gab es für ihn als körperloses Bewusstsein kein Hindernis, das ihn bei seinen Bewegungen aufhalten konnte, aber er konnte sich erinnern, dass er in vergangenen Zeiten schon mit ähnlichen Problemen konfrontiert worden war.

»Eine psionische Sperre, nehme ich an«, teilte er schließlich unsicher mit. »Die Erbauer dieser Station haben dafür gesorgt, dass niemand die Anlage verlassen kann – aber fragt mich nicht, warum sie das taten. Ich weiß es nicht und kann beim besten Willen keine Erklärung für diese Maßnahme finden.«

»Und was nun?«, wollte Testare wissen.

»Es gibt nur eine einzige Möglichkeit: der Transmitter!«

Barkon sagte es mit einem bitteren Unterton und ging die Stufen hinauf, die zur Kontrolltafel führten.

Er erreichte sie nicht mehr.

Die düstere Halle wurde plötzlich von einer mächtigen Stimme erfüllt, die von überall her zu kommen schien. Barkon blieb abrupt stehen und rührte sich nicht mehr, denn die Worte, die sein Ohr erreichten, waren deutlich zu verstehen, aber er hätte nicht zu sagen vermocht, welche Sprache benutzt wurde.

Für Ellert kam die Stimme aus dem Nichts wie ein Schock, und er spürte, dass es Testare ähnlich erging. Vage Erinnerungsfetzen stiegen für Bruchteile von Sekunden in ihm auf, nahmen jedoch keine feste Gestalt an.

Mühsam nur konzentrierte er sich auf die Stimme:

»Es gibt keinen anderen Weg als den, den ihr zu gehen beabsichtigt. Es gibt keinen Weg zurück, nur den nach vorn, den wählt. Aber wehe euch, ihr kommt mit unlauteren Absichten – ihr müsstet es bereuen.«

Als die Stimme verstummte und ihr Echo verhallte, ließ sich Barkon schwerfällig auf die oberste Stufe des Podests sinken. Er hielt sich nur noch mühsam aufrecht, blieb aber fast reglos sitzen, ohne seine Stellung zu verändern.

»Was war das?«, fragte Testare scheu. »Diese Stimme – woher kam sie? Aus dem Nichts?«

Er bekam keine Antwort. Barkon schien in eine Art Trance versunken zu sein, und Ellert konnte nicht einmal mehr seine Gedanken aufnehmen. Das Bewusstsein des alten Kundschafters der Barkoniden war in unerreichbare Ferne entrückt worden. Es gab keinerlei Impulse mehr.

»Ellert!« Testares Gedanke verriet Panik. »Was ist mit Barkon? Sein Bewusstsein ist erloschen, so als wäre er tot.«

»Beruhige dich, mein Freund. Er lebt, und sein Bewusstsein kann diesen Raum ebenso wenig verlassen wie das meine, selbst wenn er es von seinem Körper zu trennen vermöchte. Wir können nichts tun ohne ihn. Wir können nur warten – und hoffen.«

Es wurde Ellert ganz allmählich klar, dass sie in einer vorerst ausweglosen Falle saßen, aber dann entsann er sich der Stimme, die von einem Weg nach vorn gesprochen hatte. Wem immer auch diese geheimnisvolle Stimme gehörte, sie hatte Rettung aus dem Verlies versprochen – wenn auch mit Bedingungen verknüpft.

Nur den Weg nach vorn gab es. Der Transmitter also, die obere Tastenreihe.

Ellert hätte später nicht mehr zu sagen vermocht, wie lange er und Testare auf das »Erwachen« des alten Barkoniden gewartet hatten. Manchmal bewegte er sich und sah hinauf zur Kontrolltafel, so als habe er eine Botschaft empfangen und wolle sich von ihrer Richtigkeit überzeugen. Aber er strahlte nicht einen einzigen Impuls ab.

Und dann, von einer Sekunde zur anderen, war er wieder voll da.

 

*

 

»Von hier aus gelangen wir zum Ort der Erfüllung«, lauteten seine ersten Worte.

Mit aller Gewalt unterdrückte Ellert das aufwallende Glücksgefühl, um später keine Enttäuschung hinnehmen zu müssen. Vergeblich versuchte er, von Barkon zu erfahren, woher sein plötzliches Wissen rührte. Auch Testare drängte auf eine Erklärung.

»Ich kann es euch nicht sagen, aber ihr müsst mir vertrauen. Jemand hält seine schützende Hand über uns – jemand, der unser Freund ist, auch wenn er Bedingungen stellt. Aber wir haben nichts zu befürchten, denn unsere Absichten sind gut. Der Weg zum Ort der Erfüllung jedoch ist nicht leicht und einfach zu gehen. Noch liegen Hindernisse vor uns, die es zu überwinden gilt. Ich kenne diese Hindernisse nicht, aber wir werden sie beseitigen können. Und nun wollen wir nicht länger warten.« Mühsam stand er auf. »Gehen wir.«

Mit drei Schritten erreichte er die Kontrolltafel.

Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, drückte er eine Taste der oberen Reihe ein. Sie leuchtete sofort auf und kündigte damit Betriebsbereitschaft an.

Dann betrat er die Kabine und schloss die Tür.

Er entmaterialisierte.

 

*

 

Es war nicht das erste Mal, dass Ellert im Körper Barkons die Transmitterreise durch die fünfte Dimension antrat, aber diesmal wusste er sofort, dass sich diese Transition erheblich von den anderen unterschied.

Zuerst war es wieder die geheimnisvolle Stimme, die sich mental meldete und eine seltsame, rätselhafte Frage stellte.

Die Frage lautete:

»Ihr begehrt Einlass, und er wird euch vielleicht gewährt. Aber nennt mir zuvor die hervorragendste Leistung des barkonidischen Volkes.«

Es war Ellert nicht möglich, seine Verwirrung zu unterdrücken. Nicht nur, dass er während einer Transition eine gedankliche Botschaft empfangen konnte, was bisher niemals geschehen war, sondern es wurde ihm zugleich bewusst, dass er jeden Kontakt mit Barkon und Testare verloren hatte.

Er war allein. Er war allein in absoluter Finsternis und hatte keine Ahnung, ob eine Fortbewegung seines Bewusstseins stattfand oder nicht.

Aber da war die fremde Stimme, und sie hatte eine Frage gestellt. Eine Frage, die er beim besten Willen nicht beantworten konnte.

Mit stärkster Konzentration dachte er:

»Mein Gefährte Barkon weiß die Antwort. Frage ihn, wer immer du auch bist.«

Er wusste nicht, ob der Unbekannte seinen Gedankenimpuls empfangen konnte, es musste jedoch möglich sein. Ein Wesen, das in der Lage war, einen Transmittervorgang nach Belieben zu unterbrechen und mentalen Kontakt aufzunehmen, würde seine Botschaft erhalten haben.

Die Bestätigung für Ellerts Vermutung – und Hoffnung – kam in Form überdeutlicher Gedankenströme, die so verständlich waren wie laut gesprochene Worte. Und diesmal wandte sich der Unbekannte direkt an ihn, nicht an Barkon oder Testare.

»Du hast den falschen Weg gewählt, Ernst Ellert, und deine Gefährten verloren. Dein Bewusstsein ist zu autark, deshalb trennte es sich ab – ohne deine Schuld allerdings. Deine Absichten sind gut und ehrlich, darum erhältst du eine zweite Chance. Du wirst nach Kolouth fragen, wenn du die Welt erreichst, die ausgewählt wurde. Er wird dir die gewünschten Informationen geben, und danach nehme ich wieder Kontakt mit dir und den anderen auf.«

Selten in seinem langen Leben hatte Ellert sich so hilflos gefühlt wie jetzt. Befand er sich überhaupt noch im Transmitterstrom? Wenn nicht, müsste er sehen können – Galaxien oder gar einzelne Sterne. Aber es war finster und lichtlos um ihn herum.

Vergeblich versuchte er erneut, Verbindung zu dem Unbekannten aufzunehmen. Er bekam keine Antwort mehr. Es wurde ihm klar, dass er sich völlig in der Gewalt des fremden Wesens befand, dessen Eigenschaften und Fähigkeiten alles übertrafen, was Ellert sich vorzustellen vermochte.

Wer oder was war dieses Wesen? War es überhaupt eins?

Er wusste nicht, wie viel Zeit seit der Trennung von seinen Freunden vergangen war, falls in dieser unbekannten Dimension die Zeit existierte. Es blieb ihm auch keine Gelegenheit mehr, darüber lange nachzudenken, denn plötzlich veränderte sich alles mit einem Schlag.

Das ihn umgebende Dunkel wich einer strahlenden Helligkeit.

 

*

 

Tief unter ihm lag die Tageshälfte eines Planeten im Schein einer gelben Sonne, die ihn unwillkürlich an Sol erinnerte. Aber der Planet war nicht die Erde, wie er sofort an den Umrissen des großen Kontinents erkannte, über dem er schwebte.

Er befand sich hoch über den obersten Schichten der Atmosphäre und konnte die Sterne sehen. Ihr Anblick ließ erste Hoffnung in ihm aufsteigen. Vielleicht fand er heraus, in welchem Teil des Universums er sich aufhielt.

Der Gedanke, sich wieder frei als körperloses Bewusstsein nach Belieben bewegen zu können, begann ihn mehr und mehr zu faszinieren. Hatte er sich nicht mit der Suche nach dem Ort der Erfüllung ein wenig übernommen? So verlockend die Aussicht auch sein mochte, wieder einen eigenen Körper nach Wahl zu besitzen, so schwierig und gefährlich schien aber auch der Weg zu sein, den er gehen sollte.

Warum eigentlich, fragte er sich, sollte er das Risiko eingehen?

Überhaupt war es recht ungewiss, ob er Barkon jemals wieder begegnete, und nur der Barkonide würde ihn ans Ziel bringen können. Und was Testare betraf, so war er sicher, ihn eines Tages in der Nachbarschaft von Alaska Saedelaere wiederzufinden.

Immer noch unentschlossen, begann er mit dem Versuch, sich zu orientieren. Mit der Konstellation der fremden Sterne konnte er nicht viel anfangen, auch nicht mit der gelben Normalsonne, von denen es allein in der heimatlichen Milchstraße einige Millionen gab.