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Impressum

Der Originaltext «The Last Hippie» erschien 1995 in dem Titel «An Anthropologist on Mars: Seven Paradoxical Tales» im Verlag Alfred A. Knopf, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2016

Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Der deutsche Text erschien zuerst in dem Titel «Eine Anthropologin auf dem Mars. Sieben paradoxe Geschichten», Copyright © 1995 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«An Anthropologist on Mars» Copyright © 1995 by Oliver Sacks

All rights reserved

Eine frühere Fassung des Essays erschien in The New York Review of Books.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Umschlagabbildung Brian Davis/Getty Images

Satz CPI books GmbH, Leck, Germany

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN 978-3-644-40008-5

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40008-5

Fußnoten

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Die recht ungewöhnliche Weltanschauung des Swami ist zusammengefasst in Easy Journey to Other Planets von Tridandi Goswami A.C. Bhaktivedanta Swami, herausgegeben vom League of Devotees in Vrindaban (keine Jahresangabe; Preis: 1 Rupie). Dieses schmale Bändchen mit grünem Umschlag wurde von den safranfarben gekleideten Anhängern des Swami massenweise unter die Leute gebracht und war damals Gregs «Bibel».

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Eine andere Patientin, Ruby G., ähnelte Greg in mancher Hinsicht. Auch bei ihr hatte sich ein großer Stirnhirntumor entwickelt, der, obwohl er 1973 entfernt wurde, zu Erblindung, Amnesie und einem Stirnlappensyndrom führte. Auch sie wusste nicht, dass sie blind war. Wenn ich eine Hand vor ihre Augen hielt und sie fragte: «Wie viele Finger?», antwortete sie: «Natürlich hat eine Hand fünf Finger.»

Eine enger umgrenzte Ausblendung der eigenen Blindheit kann durch die Zerstörung der Sehrinde verursacht werden, wie dies beim Anton’schen Zeichen der Fall ist. Patienten mit diesem Syndrom wissen zwar mitunter nicht, dass sie erblindet sind, verhalten sich aber sonst normal. Dagegen ist die Ausblendung bei Stirnlappenläsionen umfassender: So waren Greg und Ruby nicht nur blind gegenüber der eigenen Blindheit, sondern auch – jedenfalls zum größten Teil – gegenüber der Tatsache, dass sie krank waren, unter schweren neurologischen und kognitiven Ausfällen litten und auf tragische Weise in eine äußerst eingeschränkte Lebenssituation geraten waren.

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Edouard Claparède zeigte 1911 auf eine ziemlich rohe Weise, dass implizite Engramme (vor allem, wenn sie emotional besetzt sind) auch bei amnestischen Patienten dauerhaft bestehen können, indem er einem solchen Patienten, den er seinen Studenten vorführte, beim Händeschütteln mit einer zwischen seine Finger geklemmten Nadel in die Hand stach. Obgleich der Patient sich explizit an diesen Vorfall nicht erinnern konnte, weigerte er sich danach, Claparède die Hand zu geben.

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Lurija hebt in seiner Arbeit über die Neuropsychologie des Gedächtnisses hervor, dass alle seine amnestischen Patienten ein «Gefühl der Vertrautheit» mit ihrer Umgebung erwarben, wenn sie längere Zeit hospitalisiert waren.

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In meinem Buch «Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte».

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Ebenfalls in meinem Buch «Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte».

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Lurija, der Stirnhirnsyndrome in seinem Buch Human Brain and Psychological Processes überaus detailliert, manchmal fast romanhaft beschreibt, sieht in dieser «Gleichbehandlung» den Kern solcher Syndrome.

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Ähnlich undifferenzierte Reaktionen treten zuweilen auch bei Menschen mit Touretteschem Syndrom auf – manchmal in Form reflexhaften Imitierens von Äußerungen und Handlungen anderer Personen, manchmal in den komplexeren Formen der Mimikry, Parodie und Nachahmung, aber auch in Gestalt unbändiger verbaler Assoziationen (Reime, Wortspiele, Alliterationen usw.).

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Aufgrund von Vergleichen der elektrophysiologischen Eigenschaften zwischen dem schlafenden und dem wachen Gehirn stellten Rodolfo Llinás und seine Mitarbeiter an der New York University die These auf, dass ein einziger Grundmechanismus für beide Zustände verantwortlich sei – ein fortwährendes inneres Zwiegespräch zwischen Hirnrinde und Thalamus, ein ununterbrochener Austausch von Bildern und Gefühlen, unabhängig davon, ob gerade ein sensorischer Input stattfindet oder nicht. Wenn Sinnesdaten eintreffen, integriert sie dieser Austauschprozess, um waches Bewusstsein zu generieren. Liegt dagegen kein solcher Input vor, erzeugt er weiterhin zerebrale Zustände, die wir als Phantasiegebilde, Halluzination oder Traum bezeichnen. Aus dieser Sicht träumt das wache Bewusstsein – doch träumt es unter den Beschränkungen der Außenwelt.

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Traumähnliche (oneiroide) Zustände infolge von Läsionen des Thalamus und des Zwischenhirns sind von Lurija und anderen Autoren beschrieben worden. J.-J. Moreau charakterisierte in seiner frühen Studie über Haschisch und Geisteskrankheit von 1845 sowohl das Irresein als auch die Haschischtrance als «Wachträume». Eine besondere Art von Wachtraum ist bei schweren Formen des Tourette-Syndroms zu beobachten: Die Außen- und die Innenwelt, das Wahrgenommene und das Instinktive verschmelzen gewissermaßen zu einer nach außen gekehrten Phantasmagorie, zu einem «öffentlichen» Traum.

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Robert Louis Stevenson schrieb seine Erzählung Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde im Jahre 1886. Es ist nicht erwiesen, ob er den Fall Gage kannte, doch war dieser mittlerweile so berühmt geworden, dass er seit den frühen achtziger Jahren zum Allgemeinwissen gehörte. Mit Sicherheit aber wurde Stevenson von John Hughlings Jacksons Unterscheidung zwischen höheren und niedereren Hirnebenen inspiriert, der Auffassung, dass die animalischen Triebkräfte der «niedereren» Ebenen nur durch die «höheren» (und eher anfälligen) intellektuellen Zentren im Zaum gehalten werden.

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Der ungeheuerliche Leukotomie- und Lobotomieskandal endete in den frühen fünfziger Jahren, nicht etwa aufgrund ärztlicher Zurückhaltung oder Ablehnung, sondern weil nun ein neues Mittel – Tranquilizer – zur Verfügung stand, dem man (wie zuvor der Neurochirurgie) hohe Wirksamkeit ohne unerwünschte Nebenwirkungen bescheinigte. Ob allerdings zwischen Neurochirurgie und Tranquilizern in neurologischer wie moralischer Hinsicht tatsächlich ein so großer Unterschied besteht, ist eine unbequeme Frage, mit der man sich bisher nie wirklich konfrontiert hat. Gewiss können in hohen Dosen verabreichte Tranquilizer wie ein chirurgischer Eingriff «Beruhigung» erzeugen und die Halluzinationen und Wahnvorstellungen psychotischer Kranker zum Stillstand bringen, aber die Ruhe, die sie schaffen, könnte die Ruhe des Todes sein – sie könnte die Patienten in einem grausamen Paradox an einer natürlichen Auflösung der Psychose hindern und sie stattdessen ihr Leben lang in eine iatrogene Krankheit einmauern.

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Die medizinische Fachliteratur befasste sich erstmals mit Stirnlappenläsionen anlässlich des Falls Phineas Gage, doch finden sich in früheren Quellen Beschreibungen veränderter psychischer Zustände, die damals nicht identifiziert wurden, heute jedoch im Rückblick als Stirnhirnsyndrome betrachtet werden können. Einen solchen Fall aus dem achtzehnten Jahrhundert schildert Lytton Strachey in seinem Porträt «The Life, Illness, and Death of Dr. North». Dr. North, ein Lehrer am Trinity College in Cambridge, der unter schweren Angstanfällen und quälenden Zwängen litt, wurde wegen seiner Pedanterie, rigiden Moral und erbarmungslosen Strenge von seinen Kollegen gehasst. Eines Tages erlitt er einen Hirnschlag:

Er genas nicht vollständig. Sein Körper war linksseitig gelähmt; vor allem aber sein Geist hatte sich tiefgreifend verändert. Seine Ängste hatten ihn verlassen. Seine Gewissenhaftigkeit, seine Zurückhaltung, sein ernstes Wesen, ja sogar sein moralisches Empfinden waren verschwunden. Er lag in anzüglicher Manier auf dem Bett und stieß Schwalle derber Bemerkungen, zotiger Geschichten und anrüchiger Witze aus. Während seine Freunde kaum wussten, wohin sie schauen sollten, lachte er hemmungslos oder verzog sein halbgelähmtes Gesicht zu einem abstrus entstellten Grinsen … Nach einigen epileptischen Anfällen erklärte er, sein Leiden sei nur durch ständigen Weinrausch zu lindern. Dieser Mann, einst berüchtigt wegen seiner Strenge, goss nun in maßlosem Überschwang ein Glas Sherry nach dem anderen in sich hinein.

Strachey zeichnet hier mit großer Präzision das Bild eines Schlaganfalls im Stirnhirn, der die Persönlichkeit dieses Kranken grundlegend und gewissermaßen «therapeutisch» veränderte.

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Das dynamische wie semantische Wesen dieser «organischen Einheit», die eine so wichtige Rolle in der Musik, beim Gesang, in der Rezitation, in allen metrischen Strukturen spielt, hat Victor Zuckerkandl in seinem bemerkenswerten Buch Sound and Symbol