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Rasso Knoller · Erik Lorenz

Lesereise Hongkong

Rasso Knoller, geboren 1959, arbeitet als freier Journalist in Berlin und schreibt regelmäßig für große deutsche Zeitschriften und Zeitungen. Im Picus Verlag erschienen seine Lesereisen Papua-Neuguinea, Helsinki und Schweden sowie die Reportage Australien; gemeinsam mit Barbara Schaefer verfasste er die Lesereisen Inseln des Nordens sowie Südliches Afrika.

Erik Lorenz, 1988 in Berlin geboren, studierte International Marketing und Business & Management in den Niederlanden, Hongkong und Großbritannien. Er ist Autor von Büchern über Laos, England und die Schriftstellerin Liselotte Welskopf-Henrich sowie Herausgeber der Länderreihe »Wie wir es sehen«. Im Picus Verlag erschienen seine Lesereisen Laos und Kambodscha.

www.erik-lorenz-autor.de

Rasso Knoller · Erik Lorenz

Lesereise Hongkong

Ein Flugloch für den Drachen

Picus Verlag Wien

Copyright © 2016 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: © Leung Cho Pan/buenosdias.at
ISBN 978-3-7117-1068-0
eISBN 978-3-7117-5323-6

Informationen über das aktuelle Programm
des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

Inhalt

Tempel, Hochhäuser und eine Stadt in Eile

Ein Querschnitt durch Hongkong und eine Vorschau auf dieses Buch

Ein Flugloch für den Drachen

Hongkong ist die Feng-Shui-Hauptstadt der Welt

Mit Geckos gegen Lungenschmerzen

Die traditionelle chinesische Medizin wartet mit so manchem kuriosen Rezept auf, allerdings auch mit Weisheiten, die der westlichen Medizin überlegen sind

Der weiße Kranich schlägt mit den Flügeln

Tai Chi ist in Hongkong Volkssport. Nicht jeder Europäer erweist sich dabei allerdings als Talent

»Dim Sum« und Schwalbennester

Hongkong ist die Stadt ständig dampfender Kochtöpfe

»Sie nehmen mir meine Welt«

Ein Dorf verschwindet

»Ihre Furchtlosigkeit macht mir Mut«

Proteste und Regenschirme

Im Strom der Veränderung – Das Perlflussdelta

Das Perlflussdelta ist ein Gebiet der Extreme – selbst für chinesische Verhältnisse

Delfine und Plastiktüten

Als Naturreiseziel ist Hongkong nicht gerade bekannt, trotzdem kann man dort eine Tierart beobachten, die es sonst nirgends gibt – die rosaroten Delfine von Lantau

Hongkongs Inselwelten

Wer Hongkongs Inseln erkundet, kann die Vielseitigkeit der Metropole neu entdecken

Der Bademeister und der tote Hai

Sommerfrische am Strand

Goldene Jahre in Macau

Macau fasziniert nicht nur mit einem Sinnesrausch in gigantischen Kasinowelten, sondern auch mit einem beeindruckenden historischen Erbe, das von der kolonialen Vergangenheit der Insel zeugt

Wettfieber in Hongkong

Die Hongkongchinesen lieben Pferde. Aber nur, weil sie auf sie wetten wollen

Die schleichenden Doppeldecker

Das beliebteste Verkehrsmittel in der Stadt der Supermoderne ist ein Oldie vom Beginn des 20. Jahrhunderts

Reserviert für den Gouverneur

Heute fahren vor allem Touristen mit der Bahn hinauf zum Aussichtspunkt auf den Peak. Früher waren mit ihr die britischen Kolonialherren unterwegs

Ein Diamant im Kohlestück

Kunst aus der Volksrepublik China erzielt derzeit Höchstpreise. In Hongkong können dagegen auch Spitzenkünstler kaum von ihrer Arbeit leben

Heiraten in Rot oder Weiß

Heiraten ist in Hongkong eine teure Angelegenheit. Allein das Shooting für die Hochzeitsbilder dauert mehrere Tage

Dank

Tempel, Hochhäuser und eine Stadt in Eile

Ein Querschnitt durch Hongkong und eine Vorschau auf dieses Buch

Vorsichtshalber sollten Sie gleich zu Beginn Ihres Hongkongurlaubs einen Tempel besuchen und den Göttern ein Opfer darbringen. Dann sind Ihnen Glück und Gesundheit während des Aufenthalts sicher. Die Opfergaben kauft man im Tempel selbst oder in einem der unzähligen Läden für »Tempelzubehör«. Schwer zu finden sind sie nicht, denn in Hongkong gibt es ganze Straßenzüge, in denen sich ausschließlich Läden befinden, die sich auf diesen Markt spezialisiert haben. Die meisten Opfergaben sind aus Papier, denn sie müssen verbrannt werden, um zu den Göttern aufzusteigen. Sogar Geld wird so geopfert – aber eben nicht echtes, sondern Spielgeld, das man zuvor gekauft hat.

Überhaupt ist ein Tempel in Hongkong kein Ort der Ruhe, sondern ein Platz, an dem es laut und geschäftig zugeht. Die Schwaden der Räucherspiralen ziehen durch die Hallen; am einen Ende wird laut gebetet, am anderen in der Opferschale Papier verbrannt. Hier ein gebratenes Schwein durch den Tempel getragen, und dort ist das Klickern der zu Boden fallenden Orakelstäbchen zu hören.

Hongkongs Tempel sind meist gut besucht, schließlich gibt es ja immer praktische Fragen zu klären, und anders als bei uns hat die Religion durchaus handfesten Einfluss auf das tägliche Leben. Vielleicht steht ein Jobwechsel an oder eine Ehe soll geschlossen werden. Vielleicht plant der Sohn eine längere Reise oder die Großmutter ist krank. Auch in Geldfragen sind die Tempelgötter durchaus gute Berater. Ein Hongkongchinese sucht im Tempel nicht einfach Beistand, sondern konkrete Ratschläge. Deswegen spielt die Vorhersage der Zukunft auch eine große Rolle. Wer erfahren will, welches Schicksal auf ihn wartet, der kann die schon erwähnten Orakelstäbchen befragen oder er lässt sich von einem der vielen Wahrsager aus der Hand lesen.

Auch beim Hausbau werden die Götter befragt und Feng-Shui-Experten, die die Baustellen vor und während des Baus untersuchen, sind hoch bezahlte Fachleute. Kein Wolkenkratzer der scheinbar nur nach weltlichen Gütern strebenden Stadt wird ohne ihre Hilfe errichtet. Und so kommt es auch, dass in so manchem Wohnblock ein großes »Flugloch« in der Fassade des Bauwerks eingebaut ist – bei den Hongkonger Mietpreisen ist der dadurch bedingte Verzicht auf einige Wohnungen ein veritabler Verlust. Notwendig ist so eine Baumaßnahme aber allemal, denn nur so kann der Drache ungestört zum Meer gelangen.

Nirgends auf der Welt stehen so viele Wolkenkratzer wie in Hongkong – tausendzweihundertvierundneunzig, um genau zu sein. Um in die Kategorie der Megahochhäuser aufgenommen zu werden, muss ein Gebäude mehr als hundertfünfzig Meter in den Himmel ragen. In New York, der Nummer zwei dieser Weltrangliste, gibt’s nur sechshundertneunzig davon. In ganz Europa zählt man sogar zusammen kaum mehr – nämlich siebenhundertzehn. Das höchste Gebäude Hongkongs ist das International Commerce Centre mit vierhundertvierundachtzig Metern und hundertacht Etagen. Fragt sich nur wie lange noch, denn das Wachstum scheint hier nie aufzuhören. Immer mehr und immer größer wird gebaut. Nur zwei Megaprojekte als Beispiel: Der Flughafen, bereits jetzt der größte Frachtflughafen der Welt, wird schon wieder erweitert. Und damit man nach Macau nicht mehr mit dem Schnellboot fahren muss, setzt man eine mehr als vierzig Kilometer lange Mammutbrücke ins Meer. Natürlich werden auch schon wieder die nächsten Wolkenkratzer gebaut – selbst die »kleinen«, die in Hongkong keine besondere Erwähnung finden und in keiner Rangliste auftauchen, sind höher als die höchsten Wohn- und Bürogebäude in Deutschland.

Abends ist die Skyline besonders schön, wenn sich die Lichter der Giganten im Wasser des Victoria Harbour spiegeln. Und als würde das allein nicht schon genügen, werden die Hochhäuser bei der »Symphony of Lights« ins beste Licht gesetzt. Eine Viertelstunde tanzen dann bunte Lichter über der Stadt, Suchscheinwerfer erhellen den Himmel und Laserbeamer versetzen die Betrachter in eine Traumweltatmosphäre. Damit auch das Ohr was zum Genießen hat, untermalt man das Ganze mit Musik. Bei so viel Show gerät so mancher Großstadtromantiker ins Schwärmen. Und weil man in Hongkong bei allem, was man tut, nach den Topplätzen strebt, freut man sich sicher, dass das eigene Lichtspektakel vom Guinness-Buch der Rekorde als »größte dauerhaft stattfindende Lichtshow der Welt« ausgezeichnet wurde. Wenn dann in all dem Lichterschein noch eine alte Dschunke durchs Wasser tuckert, wird auch der abgeklärteste Reisende zum Hongkongfan. Freilich ist die vermeintlich alte Dschunke »nur« ein Touristenschiff auf Ausflugsfahrt. Der Optik tut das aber keinen Abbruch. Und wenn die Dschunke mal nicht unterwegs ist, geben auch die alten Fähren der Star Ferry einen guten Vordergrund ab.

Tagsüber hat man in den Hochhausbüros so gar keinen Sinn für Romantik. Hongkong ist nämlich auch eine Metropole des Geldes, in der jeder dem Gott des Mammons seine Aufwartung macht. Alle großen Banken haben hier standesgemäß in die Höhe gebaut. Die HSBC beispielsweise – was ausgeschrieben Hongkong and Shanghai Banking Corporation heißt. Oder die Bank of China. Beide Bankhäuser liefern sich aber nicht nur ein Rennen um Rendite, sondern auch eines ums Prestige. Die einen ließen ihren Wolkenkratzer deshalb von Sir Norman Foster planen, die anderen von I.M. Pei. Die bekanntesten Architekten der Welt sind für Hongkong gerade gut genug.

Die Stadt wirkt wie im Rausch, immer aktiv, immer unter Strom. Pausen sind auf dem Weg zum Glück nicht erlaubt. Oder nur dann, wenn es gar nicht anders geht. Deswegen passt ein schlafender Händler zwischen den Auslagen seines Marktstands durchaus ins Bild. Dort legt nämlich kein Tunichtgut den Kopf auf die Arme, sondern einer, der schon zwölf Stunden Arbeit hinter und noch einige vor sich hat. Schlendernde Menschen, entspannte Promenierer und Tagträumer sieht man selten. »Zeit ist Geld«, dieser Spruch gilt in Hongkong noch mehr als anderswo. Das erklärt auch den scheinbaren Widerspruch, warum es in Hongkong so viele Galerien gibt, aber trotzdem keine Kunstszene: Um ein Gemälde zu malen und auch um es wertschätzen zu können, brauchte man Zeit. Die aber hat niemand. Um ein Bild zu kaufen, womöglich das eines bekannten Künstlers zu Anlagezwecken, braucht man dagegen »nur« Geld. Und davon gibt es in Hongkong genug.

Ein Leben unter dem Hongkonger Dauerstrom mag anstrengend sein für Menschen, die dort immer leben. Für Besucher oder Expats ist Hongkong ein Faszinosum – die Stadt bietet ein Leben mit dem Fuß auf dem Gaspedal.

Neben dem Neuen existiert aber auch das Alte. Immer wieder das stete Wechselspiel von Moderne und Tradition. Im Schatten der Hochhäuser verkaufen die alten Apotheken ihre traditionellen Medizinen. Die Ärzte kurieren mit Kräutern und viel Wissen über den menschlichen Körper, aber auch mit für uns abstrusen Zutaten wie Tigerkot und Mammutknochen.

Wer rauswill aus dem Hexenkessel, der hat es, und das mag überraschen, gar nicht so weit. Der Hong Kong Trail beispielsweise startet oben am Victoria Peak und bietet von da eine fünfzig Kilometer lange Anti-Stress-Kur. Der etwas weniger bekannte MacLehose Trail ist sogar doppelt so lang und führt durch die New Territories in Richtung chinesische Grenze. Auffällig ist – und das mag wieder mit der Frage der Zeit zu tun haben –, dass auf den Wanderwegen überdurchschnittlich viele Expats und Touristen unterwegs sind.

Geld regiert zwar die Welt, aber eben nicht nur. Bei den Protesten von 2014 haben viele Hongkonger ihre politische Ader entdeckt, haben dafür gekämpft, die zarte Pflanze der Freiheit am Leben zu halten.

»Ein Land, zwei Systeme.« Mit diesem Versprechen hat China 1997 Hongkong übernommen. Weitere fünfzig Jahre sollte der Kapitalismus fortbestehen, und für 2017 hat Peking den Hongkongchinesen sogar freie Wahlen zugesichert. Etwas, das umso mehr zählt, da unter britischer Herrschaft nie gewählt wurde. Gehalten haben die Chinesen ihr Versprechen nur zum Teil – es wird zwar frei gewählt, auf den Stimmzettel kommt aber nur, wen Peking zuvor abgesegnet hat. Dagegen haben die Studenten rebelliert. Friedlich und tapfer haben sie sich gegen den übermächtigen Gegner gestemmt. Wahrscheinlich von Anfang an wissend, dass es für sie keinen Sieg geben kann.

Rasso Knoller

Ein Flugloch für den Drachen

Hongkong ist die Feng-Shui-Hauptstadt der Welt

Platz ist in Hongkong ein teures Gut. Deswegen wundere ich mich, warum in dem Wohnhochhaus an der Repulse Bay auf halber Höhe ein riesiges »Loch« in dem Gebäudekörper gelassen wurde. Hier hat der Bauherr auf die Einnahme aus der Vermietung oder dem Verkauf von bestimmt fünfzig Wohnungen verzichtet. »Das hat der Feng-Shui-Meister empfohlen«, erklärt mir ein älterer Herr, der mir unten an der Strandpromenade zufällig begegnet. Er sagt, dass durch das Loch der Drache, der auf dem Berg hinter dem Wolkenkratzer wohnt, zum Trinken und Baden hinunter zum Strand fliegen kann. Der Alte klingt nicht, als machte er Witze, der freie Flugweg des Drachen liegt ihm tatsächlich am Herzen. Wie für die meisten Hongkonger ist auch für ihn Feng Shui nicht irgendein Aberglaube, sondern der Weg zu einem glücklichen und erfolgreichen Leben.

Dass die Drachen zufrieden sind, ist umso wichtiger, als sie als Boten des Glücks gelten, mit denen man es sich auf keinen Fall verderben will. Deswegen ist das Wohnhaus an der Repulse Bay auch nur eines von vielen mit einem solchen Flugloch. Wer mit offenen Augen durch die ehemalige britische Kronkolonie geht, wird Dutzende Hochhäuser mit »Loch« entdecken. Die Bauherren waren hier besonders weitsichtig, verzichteten sie doch auf kurzfristigen finanziellen Gewinn durch ein paar zusätzliche Wohnungen oder mehr Bürofläche und tauschten ihn für lang währendes Glück für ihr Bauwerk ein. Selbst wer nicht an Feng Shui glaubt, beachtet zumeist seine Regeln. So kann man Wohnungen oder Häuser einfach teurer verkaufen. Grundregeln wie die, dem Drachen freien Flug zu gewähren, kennt jeder – die Feinheiten wissen aber nur die Spezialisten. Und deswegen befragt man auch Feng-Shui-Meister, bevor man die Maurer bestellt. Sie geben dann Ratschläge, wie das Haus aussehen muss, damit seine Bewohner mit der Umgebung in Harmonie leben können. »Die Geister der Luft und des Wassers sollen im Einklang mit dem Menschen leben«, sagt der alte Herr und hat damit gleichzeitig schon die Wortbedeutung von Feng Shui übersetzt.