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Doris Runge

zwischen tür und engel

Gesammelte Gedichte

Ausgewählt und
mit einem Nachwort von
Heinrich Detering

Deutsche Verlags-Anstalt

Liedschatten

ein scharfer wind

ein scharfer wind schärft

disteldolche und

andere klingen

über der schuldfrage

lernten wir das

apfelschälen

manchmal nachts

die morde

die wir tagsüber

mit sauberen händen

begehen

regenlianen

von gedanke zu gedanke

bittermandelmelodie

mit larmoyanz

in dunkelpoesie

eroberst du

die seelenlandschaft

aufwärts vom knie

Der Vogel der morgens singt

hinterm deich

ist die landschaft abgegrast

am horizont

das schimmelreiterreich

im nebeltuch regentrude

sie strickt den tag

auf langen weidenruten

wer weint ihr die fäden

ich hab keine zeit

fürchte das wetter

buchte den wolkenschlepper

für einen südlichen traum

serenissima

das lied ist gesungen

der letzte ton zersprang

rosen liegen in scherben

ein geöffneter mund

den niemand mehr schließt

jagdlied

fliegen

meine flügel ließ ich dir

du rupftest sie

für unser daunenbett

nun träume ich nachts

vom fliegen

es ist wie immer

erste sommersprossen

vom buschwind

rosenlicht

durchlässigen

vorfrühling

ach meine katzen so voller sehnsucht

und gottseidank etwas

das mich unruhig macht

flugreise

über den wolken

fällt der mond

eine zitronenscheibe

ins glas

öffnen sich

blusen wie herzen

engelhaar fällt

sternschnuppen sausen

schnell schließen

einige herren

die augen

haben einen wunsch frei

ikarus

das herz randvoll

mit himmel

als die erde

mein raubvogel

immer größer

und dunkler werdend

mich mitten

im flüchtigen traum

schlug

disteln

friedlich im sand

ratterndes erntelied

möwen im schlepp

augen voll flügelmuster

deine flatterschwinge

schwarz gegen die sonne

septemberspray

haut wärmt wie tee

in kleinen schlucken

zu genießen das glück

kratzt seine rechnung

unter die augen

drei krähenfüße cash

den rest später

morgen bin ich transparent

getöntes pergament

für deine disteln

september

licht runtergebrannt

erdtöne flackern

ein dünner rauchfaden

schwalben nach süden

eine mit gebrochenem

genick

die katze trägt

den sommer zurück

zigeunerin

beeren und ahornblut

sie schürt die abendglut

legt karten

trägt kleinen tod

in schwarzen spitzen

dreht sie den federkragen

rot schwillt sein kamm

der hund schlägt an

ein fluch ein zeichen

rot weht ihr kleid

der bäurin der gans

gibt sie noch

bis martini zeit

bäume [I]

vor der roten

wegsackenden sonne

winterbäume

noch einmal heben sie

trotzig

ihre blutgescheuerten geweihe

küste

küste

schön geschwungene

hüfte

ins blau

teer tang

perlmuttersand

öl totes

gefieder

den kopf

spalten

düsenjagdlieder

jagdlied

spannst neu den bogen

übers jahr

schießt du mir fliederduft

ins haar ins herz

den reim

in blattgold

später

jetzt komm ins gras

das alte spiel

die haut das nest

rupfst mir den rest

federn

blutschön am grünen hut

später

wildbret satt

mit blick nach unten

der sommer mit seinen

erdbeerfallen

so bodennah rot

einige jahrgänge ernten

körbevoll himmel

mit blick nach unten

später die gleichen

früchte nur der

befall nimmt zu

sommerfrische

du richtest dich ein

in mir

landhaus mit dorischen schenkeln

mit schönen antiken

gefühlen

rosa samtvorhängen

schwer genug gegen

zweifel

ein lächeln morgenrouge

auf die wettergeprüfte

fassade

das hält bis zum nächsten regen

ich tauche meine hände

in schwarze farbe

und schreibe

die ballade von einem

der einzog das fürchten zu lernen

wochenende

überm teekessel

weiße wolken

beschlagene brillengläser

eine zeitung

anzeigen

schwarz gerahmt

wie fingernägel

nach langer

drecksarbeit

unter wölfen

ist hunger gesetz

und winter

meine verwandlung

heul ich gegen den mond

in der ebene

weiß ich ein lamm

bevor das rudel

setz ich an zum sprung

unter wölfen

ist hunger gesetz

café niederegger

hinter rüschen runzeln

brüssler spitzen

gezuckert gepudert

die alten damen

vom kränzchen

legen den kaffeelöffel

auf die untertasse

sanft

wie sonntags

die blumen aufs grab

kommt zeit

lied

ein grünes pflaster

vor den augen

das herz blüht auf

und sieht und singt

der liebe auferstehung

in jedem baum baut

fleisch ein nest

komm liebster lüge

halt mich fest

sentenz

angst macht

liebe

macht angst

das ende die

himmelfahrt

in der

schenkelschere

fällt angst fort

pflanzt sie sich

schlangenköpfig

wieder gespalten

in ich und du

blut im alten gewässer

fließt ohne eile

dem herzen zu

über mir schlägt

der himmel sein rad

wolken lösten

sonne dich ab

schlaflos

wind will

laken schütteln

schnee was von

der liebe blieb

schwarze schafe

zählen werde

ich nicht müde

hexenspruch

korallenhaar und pfaffenhut

mohnraute und schlangenbrut

dohlenschwarzesteufelskraut

schierling für die neue braut

morgen back ich

morgen brau ich

hol zurück

was mir nicht gehört

ertrunkener sommer

mit raddampfern

befahren bauern

versunkenes reich

käfer krabbelgetier

fand nicht zurück

zu flosse und laich

ich melde kopfunter

seerosen durchwachsen

meinen leib schwarzes

schlingarmiges gewächs

kalte schmatzende münder

froschkönige werben

ums vergessene geschlecht

die mönche von c

mit der dämmerung

schlüpften sie in die schatten

der bäume beugten ihre rücken

übers wasser sprachen ein

grünes gebet nahmen vom

wind hände gesang fiedelten

wer hatte ihre schriftgelehrtenseelen

aus dem pergament gerollt riefen

bruder mauer halte nicht fest

am stein schwester fleisch

wir sind gekommen dein grab

zu befreien dein herz sieh

es hat sein zelt aufgeschlagen

leuchtfeuer gezündet für die

verlorenen eingenäht in meine

tierhaut heulte ich den mond an

sah sie aufsteigen nebelkutten

über den klosterseewiesen

dorfhochzeit

die nachbarin hat es vorher gewusst

zu viel haut zu wenig braut

zu weiß unterm schleier

zerwühlt die rosen rot

auf der brust

unschuldig der wind

am gebauschten rock

sie hat es vorher gewusst

das gute ende

römischer park

herrlicher apoll

ungeübt im umgang

mit göttern

ergebe ich mich

deinem schönen

lebendigen schatten

nebel über dem kirchacker

das vergängliche fleisch

der bäume graue aufsteigende

seelen gegen mittag

ist der maulwurf tätig

für unsere heimkehr

grubenlampe

lebendig begrabene bilder

im stollen im wurzelwerk

schlafen vater mutter nicht

fremd wie sie es waren im leben

gebt mich nicht fort

dass ich nicht aufstehe

zur tat liebe fremde

verlorene wesen auswürge

wer

warf ich die brut

aus den nestern

verteilte sie unter den schwestern

federn schmücken meinen hut

führte ich das lamm

zur bank den schwamm

zum mund das brot

wer hält mir die augen

offen die ohren das herz

wer droht ich sei nicht tot

kommt zeit

kommt zeit kommt mord

kein widerspruch kein

wort kein jubellaut

was soll ich hier was dort

wintergrün

geschützte landschaft

folgen wir

seinem wiedergänger

einer russenmütze

wo ist die flöte aus rohr

einst rafften wir töchter

die röcke und sprangen

graue nachkriegsnebel

durch gras über hecken

was blieb ist eingezäunt

erinnerung

geschützte landschaft

das kind

gefüttert

mit furcht leben

verboten

die tür

aus dem märchen

öffnete es

mit fäustlingen

schafwolle

über dem herzen

im rückspiegel

an der kindheit

vorbei zurück

auf allen vieren

bin ich viel schneller

folgt mir mein schatten

fahr ich ihm nach