Hugo von Hoffmannsthal

 

Die gesammelten Gedichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2014

 

ISBN/EAN: 9783958705920

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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VORFRÜHLING

Es läuft der Frühlingswind

Durch kahle Alleen,

Seltsame Dinge sind

In seinem Wehn.

 

Er hat sich gewiegt,

Wo Weinen war,

Und hat sich geschmiegt

In zerrüttetes Haar.

 

Er schüttelte nieder

Akazienblüten

Und kühlte die Glieder,

Die atmend glühten.

 

Lippen im Lachen

Hat er berührt,

Die weichen und wachen

Fluren durchspürt.

 

Er glitt durch die Flöte

Als schluchzender Schrei,

An dämmernder Röte

Flog er vorbei.

 

Er flog mit Schweigen

Durch flüsternde Zimmer

Und löschte im Neigen

Der Ampel Schimmer.

 

Es läuft der Frühlingswind

Durch kahle Alleen,

Seltsame Dinge sind

In seinem Wehn.

 

Durch die glatten

Kahlen Alleen

Treibt sein Wehn

Blasse Schatten

 

Und den Duft,

Den er gebracht,

Von wo er gekommen

Seit gestern Nacht.

 

ERLEBNIS

Mit silbergrauem Dufte war das Tal

Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond

Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht.

Mit silbergrauem Duft des dunklen Tales

Verschwammen meine dämmernden Gedanken,

Und still versank ich in dem webenden,

Durchsichtgen Meere und verließ das Leben.

Wie wunderbare Blumen waren da,

Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht,

Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen

In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze

War angefüllt mit einem tiefen Schwellen

Schwermütiger Musik. Und dieses wusst ich,

Obgleich ichs nicht begreife, doch ich wusst es:

Das ist der Tod. Der ist Musik geworden,

Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend,

Verwandt der tiefsten Schwermut.

 

Aber seltsam!

 

Ein namenloses Heimweh weinte lautlos

In meiner Seele nach dem Leben, weinte,

Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff

Mit gelben Riesensegeln gegen Abend

Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,

Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er

Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht

Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber.

Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen,

Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht

Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer –

Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter,

Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend

Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.

 

VOR TAG

Nun liegt und zuckt am fahlen Himmelsrand

In sich zusammgesunken das Gewitter.

Nun denkt der Kranke: ›Tag! jetzt werd ich schlafen!‹

Und drückt die heißen Lider zu. Nun streckt

Die junge Kuh im Stall die starken Nüstern

Nach kühlem Frühduft. Nun im stummen Wald

Hebt der Landstreicher ungewaschen sich

Aus weichem Bett vorjährigen Laubes auf

Und wirft mit frecher Hand den nächsten Stein

Nach einer Taube, die schlaftrunken fliegt,

Und graust sich selber, wie der Stein so dumpf

Und schwer zur Erde fällt. Nun rennt das Wasser,

Als wollte es der Nacht, der fortgeschlichnen, nach

Ins Dunkel stürzen, unteilnehmend, wild

Und kalten Hauches hin, indessen droben

Der Heiland und die Mutter leise, leise

Sich unterreden auf dem Brücklein: leise.

Und doch ist ihre kleine Rede ewig

Und unzerstörbar wie die Sterne droben.

Er trägt sein Kreuz und sagt nur: ›Meine Mutter!‹

Und sieht sie an, und: ›Ach, mein lieber Sohn!‹

Sagt sie. – Nun hat der Himmel mit der Erde

Ein stumm beklemmend Zwiegespräch. Dann geht

Ein Schauer durch den schweren, alten Leib:

Sie rüstet sich, den neuen Tag zu leben.

Nun steigt das geisterhafte Frühlicht. Nun

Schleicht einer ohne Schuh von einem Frauenbett,

Läuft wie ein Schatten, klettert wie ein Dieb

Durchs Fenster in sein eigenes Zimmer, sieht

Sich im Wandspiegel und hat plötzlich Angst

Vor diesem blassen, übernächtigen Fremden,

Als hätte dieser selbe heute Nacht

Den guten Knaben, der er war, ermordet

Und käme jetzt, die Hände sich zu waschen

Im Krüglein seines Opfers wie zum Hohn,

Und darum sei der Himmel so beklommen

Und alles in der Luft so sonderbar.

Nun geht die Stalltür. Und nun ist auch Tag.

 

REISELIED

Wasser stürzt, uns zu verschlingen,

Rollt der Fels, uns zu erschlagen,

Kommen schon auf starken Schwingen

Vögel her, uns fortzutragen.

 

Aber unten liegt ein Land,

Früchte spiegelnd ohne Ende

In den alterslosen Seen.

 

Marmorstirn und Brunnenrand

Steigt aus blumigem Gelände,

Und die leichten Winde wehn.

 

DIE BEIDEN

Sie trug den Becher in der Hand

– Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand –,

So leicht und sicher war ihr Gang,

Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

 

So leicht und fest war seine Hand:

Er ritt auf einem jungen Pferde,

Und mit nachlässiger Gebärde

Erzwang er, dass es zitternd stand.

 

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand

Den leichten Becher nehmen sollte,

So war es beiden allzu schwer:

Denn beide bebten sie so sehr,

Dass keine Hand die andre fand

Und dunkler Wein am Boden rollte.

 

LEBENSLIED

Den Erben lass verschwenden

An Adler, Lamm und Pfau

Das Salböl aus den Händen

Der toten alten Frau!

Die Toten, die entgleiten,

Die Wipfel in dem Weiten –

Ihm sind sie wie das Schreiten

Der Tänzerinnen wert!

 

Er geht wie den kein Walten

Vom Rücken her bedroht.

Er lächelt, wenn die Falten

Des Lebens flüstern: Tod!

Ihm bietet jede Stelle

Geheimnisvoll die Schwelle;

Es gibt sich jeder Welle

Der Heimatlose hin.

 

Der Schwarm von wilden Bienen

Nimmt seine Seele mit;

Das Singen von Delphinen

Beflügelt seinen Schritt:

Ihn tragen alle Erden

Mit mächtigen Gebärden.

Der Flüsse Dunkelwerden

Begrenzt den Hirtentag!

 

Das Salböl aus den Händen

Der toten alten Frau

Lass lächelnd ihn verschwenden

An Adler, Lamm und Pfau:

Er lächelt der Gefährten. –

Die schwebend unbeschwerten

Abgründe und die Gärten

Des Lebens tragen ihn.

 

GUTE STUNDE